Zwölftes Capitel.
Fragoso bei der Arbeit.

[112] »Braza«, Feuergluth, ist ein Wort, das sich schon in der spanischen Sprache des zwölften Jahrhunderts findet. Aus ihm entstand das Wort »Brazil« zur Bezeichnung gewisser Holzarten, welche eine rothe Farbe liefern (das ist das sogenannte Brasilien- oder Rothholz). Hiervon übertrug sich der Name Brasilien auf jenen ungeheueren Gebietstheil Südamerikas, durch den der Aequator verläuft und wo jene Holzart sehr häufig vorkommt. Es wurde übrigens sehr zeitig zu einem wichtigen Gegenstande des Handels mit den Normannen, und obwohl dasselbe am Productionsorte selbst, »Ibirapitunga« heißt, so ist ihm doch der Name »Brazil« geblieben und hat sich, wie erwähnt, eingebürgert für das ganze Land, das unter den Strahlen der tropischen Sonne einer Gluthpfanne ähnlich erscheint.

Zuerst eroberten dasselbe die Portugiesen. Gegen Anfang des sechzehnten Jahrhunderts nahm Pedro Alvarez Cabral (Cabrera), der berühmte Seefahrer, von dem Lande Besitz. Gründeten auch Holland und Frankreich im Laufe der Zeit hier beschränktere Niederlassungen, so ist es doch durchweg portugiesisch geblieben und besitzt alle die Eigenschaften, welche jenes thatenlustige kleine Volk auszeichnen. Jetzt bildet es weitaus den größten Staat des südlichen Amerika, mit dem intelligenten, kunstliebenden Kaiser Dom Pedro als Oberhaupt.

»Welches Vorrecht steht Dir bei Deinem Stamme zu? fragte Montaigne einen Indianer, den er in Havre traf.

– Das Recht, als der Erste in den Krieg zu ziehen!« antwortete einfach der Wilde.

Der Krieg bildete lange Zeit bekanntlich das sicherste und schnellste Verbreitungsmittel der Civilisation. Die Brasilianer thaten dasselbe, wie jener Indianer; sie kämpften, vertheidigten ihre Eroberungen, dehnten diese allmählich weiter aus und jetzt marschiren sie, in ihrem Erdtheile, sozusagen an der Spitze der Civilisation.

Es war im Jahre 1824, sechzehn Jahre nach Begründung des portugiesisch-brasilianischen Reiches, als Brasilien durch den Mund Don Juans, den die[112] französischen Waffen aus Portugal vertrieben hatten, seine Unabhängigkeit vom Mutterlande erklärte.

Bei dieser Gelegenheit entstand die Frage wegen Regelung der Grenzen zwischen dem neuen Reiche und dem Nachbarstaate Peru.

Die Sache war nicht so leicht zu ordnen.

Wenn Brasilien sich nach Westen hin bis zum Rio Napo ausdehnen wollte, so strebte Peru danach, seine Grenze bis zum Ega-See, das heißt acht Grade weiter östlich, vorzuschieben.


Es fand sich kein besseres Mittel als die Befestigung der Insel de la Ronde. (S. 114.)
Es fand sich kein besseres Mittel als die Befestigung der Insel de la Ronde. (S. 114.)

[113] Inzwischen mußte Brasilien mit Waffengewalt gegen einen Aufstand der Indianer am Amazonenstrome einschreiten, die sich zu Gunsten der spanisch-brasilianischen Missionen empörten. Es fand sich kein besseres Mittel, derartigem Landesverrath Einhalt zu thun, als die Befestigung der Insel de la Ronde, etwas oberhalb Tabatinga, und die Etablirung eines Militärpostens daselbst.

Dieser Entschluß führte zur Lösung der brennenden Tagesfrage, und seitdem verläuft die Grenze zwischen beiden Ländern mitten durch genannte Insel.

Oberhalb derselben ist der Strom peruanisch und heißt, wie früher erwähnt, Marañon.

Flußabwärts ist er brasilianisch und nimmt den Namen Amazonenstrom an.

Am Abend des 25. Juni war es, als die Jangada vor Tabatinga anhielt, der ersten brasilianischen Stadt am linken Stromufer und an der Mündung des Flusses, dessen Namen sie trägt, die übrigens zu dem Kirchspiele Saint-Paul, flußabwärts am rechten Ufer, gehört.

Joam Garral hatte sich vorgenommen, hier sechsunddreißig Stunden zu rasten, um seinen Leuten einmal Ruhe zu gönnen. Die Fahrt sollte also erst am Morgen des 27. fortgesetzt werden.

Jetzt gaben Yaquita und seine Kinder, in der Voraussetzung, weniger als in Iquitos von den schrecklichen Muskitos gepeinigt zu werden, den Wunsch zu erkennen, einmal an's Land zu gehen und den Flecken zu besuchen.

Die Bevölkerung desselben schätzt man heutzutage auf vierhundert Seelen, fast lauter Indianer, wobei ohne Zweifel auch jene Nomaden mitgezählt sind, welche an den Ufern des Amazonenstromes und seiner Nebenströme eigentlich nur umherziehen, ohne je feste Wohnsitze zu wählen.

Der Militärposten der Insel de la Ronde war seit einigen Jahren aufgelassen oder vielmehr nach Tabatinga verlegt worden. Man kann letzteres also gewissermaßen eine Garnisonstadt nennen; freilich besteht die ganze bewaffnete Macht daselbst aus – neun Soldaten, fast alle Indianer, und einem Unterofficier, der thatsächlich als Befehlshaber des Platzes zu betrachten ist.

Eine gegen dreißig Fuß messende Anhöhe, in welcher Stufen einer etwas unsicheren Treppe angebracht sind, bildet die Courtine (den Mittelwall) der Esplanade, welche die kleine Festungsanlage trägt. Die Wohnung des Befehlshabers umfaßt zwei viereckig angelegte Hütten, während die Soldaten ein längliches Gebäude bewohnen, das hundert Schritte von hier am Fuße eines mächtigen Baumes errichtet ist.[114]

Das Gesammtbild dieser ärmlichen Bauwerke würde mit dem der Dörfer und Weiler, welche längs des ganzen Stromes verstreut liegen, vollkommen übereinstimmen, wenn sich hier nicht noch ein Flaggenstock mit den brasilianischen Landesfarben über einem Schilderhaus – ohne Wachposten – erhoben hätte, und nicht vier kleine bronzene Mörser zur Beschießung jedes Fahrzeuges, welches ohne Erlaubniß vorübersegelte, vorhanden gewesen wären.

Das eigentliche Dorf liegt übrigens am jenseitigen Abhange des Plateaus. Ein kurzer Weg, im Grunde nur eine von Ficus und Miriten beschattete Schlucht, führt zu demselben in wenigen Minuten. Dort erheben sich auf einer geneigten Fläche von theilweise gerissener Schlammerde etwa ein Dutzend mit Palmenblättern bedeckter und rund um einen freien Platz angelegter Häuser.

Hier ist also nicht viel Merkwürdiges zu sehen; dagegen bietet die Umgebung von Tabatinga einen herrlichen Anblick, vorzüglich an der Mündung des Javary, welche sich hier so stark erweitert, daß sie den ganzen Archipel der Aramasa-Inseln umschließt. Da streben herrliche Bäume empor, unter ihnen zahlreiche Exemplare jener Palmenart, deren geschmeidige, zu Netzen und Angelschnüren verarbeitete Fasern einen nicht unwesentlichen Handelsartikel bilden. Mit einem Worte, man hat hier wohl eine der interessantesten Stellen des oberen Amazonenstromes vor sich.

Tabatinga scheint übrigens berufen, in kurzer Zeit zu einer wichtigen Station zu werden, und dürfte sich ohne Zweifel rasch entwickeln. Hier werden die brasilianischen Dampfer, welche den Strom hinauffahren, ebenso anhalten wie die peruanischen, welche auf demselben hinabfahren. Hier muß die Umladung der Güter und das Umsteigen der Passagiere stattfinden. Weiter bedürfte es für ein englisches oder amerikanisches Dorf nichts, um binnen wenig Jahren zum Centrum einer beträchtlichen Handelsbewegung aufzuwachsen.

Der Strom selbst ist in diesem Theile seines Laufes sehr schön. Natürlich ist die Wirkung der gewöhnlichen Gezeiten bis zu dem sechshundert Meilen vom Atlantischen Ocean gelegenen Tabatinga nicht mehr bemerkbar. Anders verhält es sich mit der sogenannten »Pororoca«, einer Art Springfluth, welche zur Zeit der Sizygien drei Tage lang die Wassermassen des Amazonenstromes aufstaut und mit der Schnelligkeit von siebzehn Kilometern in der Stunde rückwärts drängt. Man behauptet wirklich, daß sich eine solche Hochfluth bis jenseits der Grenze Brasiliens fühlbar mache.[115]

Am folgenden Tage, den 26. Juni, traf die Familie Garral vor dem Frühstück schon Anstalt, an's Land zu gehen und die Ortschaft zu besuchen.

Hatten Joam, Benito und Manoel den Fuß schon in mehr als eine brasilianische Stadt gesetzt, so war das bei Yaquita und deren Tochter nicht der Fall. Für diese bildete der Besuch eine Art neues Ereigniß.

Yaquita und Minha legten dem Vorhaben also eine gewisse Wichtigkeit bei.

Andererseits hatte Fragoso als wandernder Barbier schon verschiedene Bezirke Central-Amerikas kennen gelernt, Lina dagegen, gleich ihrer jungen Herrin, den Boden Brasiliens noch niemals betreten.

Bevor jedoch Alle die Jangada verließen, trat Fragoso noch einmal an Joam Garral heran und begann folgendes Gespräch:

»Herr Garral, sagte er, seit dem Tage, wo Sie mich in der Fazenda von Iquitos aufgenommen, beherbergt, gekleidet, ernährt, überhaupt so ungemein gastfreundlich behandelt haben, schulde ich Ihnen...

– Sie schulden mir gar nichts, lieber Freund, fiel ihm Joam Garral in's Wort. Bestehen Sie also nicht darauf, mir...

– O, darüber beruhigen Sie sich! rief Fragoso, ich bin leider nicht in der Lage, Ihnen das entgelten zu können. Ich erwähne auch noch, daß Sie mich an Bord der Jangada aufgenommen und mir die Möglichkeit gewährt haben, den Strom hinab zu gelangen. Wir befinden uns nun aber auf brasilianischem Boden, den ich aller Wahrscheinlichkeit nach niemals wiedergesehen hätte. Ohne jene Liane...

– Dafür haben Sie Ihren Dank Lina, nur dieser allein, abzustatten, sagte Joam Garral.

– Gewiß, das weiß ich, erwiderte Fragoso, ich werde nie vergessen, was ich ihr, nicht weniger als was ich Ihnen schulde!

– Das sieht ja ganz so aus, Fragoso, nahm Joam wieder das Wort, als wollten Sie sich verabschieden! Gedenken Sie etwa in Tabatinga zu bleiben?

– Keineswegs, Herr Garral, da Sie mir gestattet haben, Sie bis Belem zu begleiten, wo ich hoffentlich meine alte Beschäftigung wieder aufnehmen kann.

– Nun, wenn das Ihre Absicht ist, was wünschen Sie dann jetzt von mir?

– Ich möchte Sie fragen, ob Sie nichts dagegen haben, wenn ich dieses Geschäft einmal unterwegs betreibe. Meine Hand darf nicht rosten, und einige Reïs, vorzüglich selbst verdiente, würden meiner Tasche recht wohl thun. Sie wissen, Herr Garral, ein Barbier, der gleichzeitig etwas Haarkünstler und –[116] aus Respect gegen Herrn Manoel wage ich es kaum auszusprechen – auch so ein Bischen Mediciner ist, der findet in den Ortschaften des oberen Amazonenstromes allemal seine Kunden.

– Wenigstens unter den Brasilianern, meinte Joam Garral, denn was die Indianer betrifft...

– Entschuldigen Sie, unterbrach ihn Fragoso, vorzüglich unter den Indianern! Freilich, mit Bartscheeren giebt's da nicht viel zu thun, da die Natur jenen diesen Mannesschmuck gar zu spärlich zuertheilt hat; dafür ist aber immer der Haarwuchs nach neuester Mode zu ordnen. Das lieben diese Wilden, die Männer wie die Frauen. Ich würde kaum zehn Minuten auf dem Platze in Tabatinga erschienen sein, mit dem Kräuselholz in der Hand – das Kräuselholz lockt sie am sichersten heran, und das verstehe ich meisterhaft zu handhaben – da hätte sich schon ein Kreis von Indianern und Indianerinnen um mich versammelt und stritte sich darum, wer zuerst unter meine Hände kommen sollte! Einen Monat hier, und ich hätte den ganzen Stamm der Ticunas frisch coiffirt! Ueberallhin würde die Kunde dringen, daß »das Eisen, welches frisirt« – so nennen sie mich nämlich – in die Mauern von Tabatinga zurückgekehrt sei. Schon zweimal hielt ich mich hier auf, und Scheere und Kamm haben wirkliche Wunder verrichtet. Freilich darf unsereins nicht zu häufig wiederkommen. Die geehrten Indianerinnen lassen sich nicht tagtäglich frisiren, wie die vornehmen Damen in den Städten Brasiliens. Nein! Wenn das einmal geschehen ist, muß es für ein Jahr aushalten, und ein ganzes Jahr lang sparen sie keine Mühe, das Gebäude zu erhalten, welches ich – das darf ich wohl behaupten – nicht ohne Talent auf ihrem Schädel errichtet habe. Jetzt ist etwa ein Jahr vergangen, seit ich nach Tabatinga kam. Ich würde also alle meine Bauwerke in Trümmern vorfinden und, wenn Sie, Herr Garral, nichts dagegen einzuwenden haben, mir ein zweites Mal die Achtung erwerben, deren ich mich in dieser Gegend schon erfreue. Das Ganze ist übrigens, das glauben Sie mir, mehr eine Reïs-Frage, als daß mich etwa die Eigenliebe dazu triebe.

– So führen Sie es aus, lieber Freund, antwortete Garral lächelnd, aber nur geschwind! Wir können nur einen Tag in Tabatinga rasten und fahren morgen frühzeitig weiter.

– Ich werde keine Minute verlieren, versicherte Fragoso. Ich brauche nur mein Handwerkszeug zu holen und bin damit zum Landen fertig.[117]

– So gehen Sie, Fragoso, empfahl ihm Garral, und möchte es recht viele Reïs in Ihre Tasche regnen!

– Ich danke! O, das ist ein gar zu wohlthätiger Regen, der sich noch niemals stromweise über Ihren ergebenen Diener ergossen hat!«

Mit diesen Worten verschwand Fragoso eiligst.

Kurz darauf ging die ganze Familie, mit Ausnahme Joam Garral's, an's Land. Die Jangada hatte so nahe am Ufer anlegen können, daß das keine Schwierigkeiten machte. Eine schlecht erhaltene, am Uferabhange angebrachte Treppe führte die Besucher nach dem Kamme des Plateaus.

Yaquita und ihre Begleiter wurden von dem Commandanten des Forts empfangen, einem armen Teufel, der jedoch die Pflichten der Gastfreundschaft kannte und den Gästen in seiner Dienstwohnung ein Frühstück anbot. Einige Wachposten marschirten an verschiedenen Stellen langsam auf und ab, während an der Thür der Kaserne mit ihren, dem Stamme der Ticunas angehörenden Müttern mehrere Kinder, und zwar ziemlich mittelmäßige Producte dieser Racenmischung, sichtbar wurden.

Anstatt das Frühstück des Sergeanten anzunehmen, ersuchte Yaquita im Gegentheile den Commandanten und dessen Frau, an dem ihrigen an Bord der Jangada theilzunehmen.

Der Commandant ließ sich das nicht zweimal sagen, und man bestimmte dazu die elfte Stunde.

Inzwischen lustwandelten Yaquita, ihre Tochter und die junge Mulattin in Begleitung Manoels in den Umgebungen des Forts und überließen Benito die Erledigung der Förmlichkeiten zur Erlangung des Durchfahrtsrechtes, denn jener Sergeant war gleichzeitig militärischer Befehlshaber und oberster Beamter der Zollstätte.

Nachdem das geschehen, entfernte sich Benito, um in den benachbarten Dickichten seiner Gewohnheit gemäß zu jagen. Manoel hatte es heute abgelehnt, ihn dabei zu begleiten.

Auch Fragoso hatte die Jangada verlassen; anstatt aber nach dem Militärposten hinauf zu gehen, wandte er sich nach dem Dorfe, wohin ein Hohlweg führte, der sich mehr nach rechts hin in gleicher Höhe mit dem Ufer öffnete. Er rechnete aus Erfahrung mehr auf die Kundschaft der Eingebornen von Tabatinga, als auf die der Garnison. Die Soldatenfrauen wären zwar sicherlich nicht abgeneigt gewesen, sich einmal seinen geschickten Händen anzuvertrauen,[118] deren Ehemänner hüteten sich aber weislich, einige Reïs für die Launen ihrer putzsüchtigen schöneren Hälften zu opfern.

Bei den Eingebornen lag die Sache ganz anders. Der lustige Bartscheerer wußte sehr wohl, daß ihn hier seitens der Männer und der Frauen ein gleich guter Empfang erwartete.

So schritt Fragoso also auf dem von schönen Ficus (Feigenbäumen) beschatteten Wege hin und gelangte nach dem Mittelpunkte von Tabatinga.

Sobald der berühmte Haarkünstler auf dem Platze erschien, wurde die Nachricht davon ruchbar und er von allen Seiten umringt.

Fragoso hatte weder Trommel oder Pauke, noch Klappenhorn, um Neugierige heranzulocken, keinen Wagen mit blendenden Schildern, glänzenden Laternen, großen Spiegelscheibenfenstern oder mit riesigem Sonnenschirme, nichts, was das Interesse der Volksmenge erregen konnte, wie man das auf Jahrmärkten so häufig beobachtet. Nein! Aber Fragoso besaß sein Lockenholz, und wie spielte dieses in seiner Hand! Mit welchem Geschick balancirte er darauf einen Schildkrötenkopf, der die Stelle einer Kugel vertrat, und ließ denselben jene geheimnißvolle Curve beschreiben, deren mathematischen Ausdruck die Gelehrten noch nicht gefunden haben, diese Allerweltserklärer, denen es gelang, die berühmte Curve »des Hundes, der seinem Herrn folgt«, naturgesetzlich zu bestimmen.

Von den Eingebornen waren so gut wie alle zur Stelle; Männer und Frauen, Alte und Junge in den primitivsten Kostümen, sperrten weit die Augen auf und lauschten mit gespannten Ohren. Halb in portugiesischer und halb in der Sprache der Ticunas verkündete der lustige Künstler in verlockendster Weise, was er seinen Kunden zu bieten vermöge.

Was er den Leuten sagte, stimmte ganz mit den Selbstanpreisungen aller Charlatane überein, mögen das nun spanische Figaros oder französische Haarkräusler sein. Auf seiner Seite waren die nämliche Wichtigthuerei, dieselbe gründliche Kenntniß der menschlichen Schwachheiten, der Aufwand abgenutzter Witze und eine amüsante körperliche Gewandtheit, auf der der Eingebornen dieselbe Verwunderung, Neugier und Leichtgläubigkeit, wie bei den Jahrmarkts-Maulaffen der civilisirten Welt.

Die unausbleibliche Folge war, daß die enthusiasmirte Menge sich nach Verlauf von zehn Minuten um Fragoso drängte, der sich in einer »Loja« des Platzes, das ist eine Art Bude, welche als Schänke diente, eingerichtet hatte.[119]

Diese Loja gehörte einem in Tabatinga ansässigen Brasilianer. Hier versorgten sich die Einwohner für wenige Vatems – die gebräuchliche Scheidemünze im Werthe von zwanzig Reïs, etwa sechs Pfennige – mit den landesüblichen Getränken, vorzüglich mit »Assaï«.


Aber Fragoso besaß sein Lockenholz. (S. 119.)
Aber Fragoso besaß sein Lockenholz. (S. 119.)

Unter Letzterem ist ein halb fester und halb flüssiger, aus den Früchten einer gewissen Palmenart hergestellter Likör zu verstehen, der aus einen »Couï« oder Flaschenkürbis getrunken wird, welcher im Becken des Amazonenstromes als gebräuchlichstes Gefäß dient.


Auf dem Hauptplatze standen ganze Reihen von ungeduldig Harrenden. (S. 122.)
Auf dem Hauptplatze standen ganze Reihen von ungeduldig Harrenden. (S. 122.)

Nun beeilten sich Männer und Frauen – erstere kaum weniger als die letzteren – auf dem Schemel des Barbiers Platz zu nehmen.

Fragoso's Scheeren blieben freilich unbenutzt, denn[120] hier kam es nicht in Frage, die mächtigen, fast alle durch ihre Feinheit bemerkenswerthen Haarwulste zu verstutzen; dafür hatte der Künstler desto mehr zu thun mit dem Kamme und den Brenneisen, welche auf einer Kohlenpfanne in einer Ecke der Bude erhitzt wurden.

Der Künstler ließ es aber auch am Zureden nicht fehlen![121]

»Seht, seht nur da, meine Freunde, rief er, wie gut das halten wird, wenn Ihr nicht geradezu darauf schlaft! Das reicht für ein Jahr aus und ist nach den neuesten Moden von Belem und Rio de Janeiro hergestellt! Die Ehrendamen der Kaiserin sind nicht vollkommener und schöner frisirt; auch bemerkt Ihr wohl, daß ich mit der Pomade nicht geize!«

Nein, der brave Mann geizte damit nicht! Freilich bestand dieselbe nur aus ganz gewöhnlichem Talg, dem er etwas wohlriechendes Oel beigemischt hatte, dafür klebte sie aber fest wie Cement.

Den von Fragoso's Hand hervorgezauberten Kunstwerken hätte man mit Recht den Namen von Haargebäuden geben können, welche alle Stylarten der Architektur vertraten. Locken, Löckchen und Ringe, hoch aufgesteckte und geflochtene Zöpfe, krause Wülste, Rollen, lange Schmachtlocken und Haarwickel – Alles wurde dabei angebracht. Von etwas Falschem, von ganzen Touren, Chignons oder fremden Zöpfen war hier natürlich keine Rede. Die Haupthaare der Eingebornen ähnelten nicht einer durch Rodung erzielten oder durch natürlichen Ausfall entstandenen Lichtung, sondern dem Urwalde in all' seiner ursprünglichen Jungfräulichkeit. Trotzdem hielt es Fragoso für angemessen, seinen Werken noch ein paar natürliche Blumen, einige lange Fischgräten oder seine Zierathen aus Knochen oder Kupfer hinzuzufügen, welche die putzsüchtigeren Ortsbewohnerinnen mitbrachten. Sicherlich hätten die Modenärrinnen aus der Zeit des Directoriums die Anordnung dieser hochphantastischen Coiffüren mit drei und vier Stockwerken aufrichtig bewundert, und der große Leonard selbst würde vor seinem transatlantischen Collegen ehrerbietig den Hut gezogen haben.

Da begann es denn bald, Vatems, ganze Hände voll Reïs – die einzige Münze, welche den Eingebornen am Amazonenstrome beim Waarenaustausch dient – in die Taschen Fragoso's zu regnen, der diesen befruchtenden Segen mit sichtbarem Wohlgefallen entgegennahm. Voraussichtlich mußte jedoch der Abend herankommen, bevor er den Wünschen der stetig zunehmenden Kundschaft gerecht werden konnte. Es war nämlich nicht die Einwohnerschaft von Tabatinga allein, die sich vor der Thür der Loja ansammelte; die Nachricht von dem Eintreffen Fragoso's hatte sich vielmehr sofort weiter verbreitet, und daraufhin strömten Eingeborne von allen Seiten hinzu: Ticunas vom linken, Mayorunas vom rechten Stromufer, solche, welche an den Ufern des Cajuru, wie solche, welche in den Dörfern am Javary wohnten. Auf dem Hauptplatze standen ganze Reihen von ungeduldig Harrenden. Die Glücklichen – Männer so gut[122] wie Weiber – die aus Fragoso's Händen hervorgingen, wanderten stolz von Haus zu Haus, brüsteten sich mit dem frischen Schmucke und bekümmerten sich nicht im geringsten darum, daß sie doch eigentlich nur die Rolle – großer Kinder spielten.

So hatte der mit Arbeit überhäufte Haarkräusler, als die Mittagsstunde schlug, natürlich nicht Zeit gefunden, zum Frühstück an Bord zurückzukehren, sondern mußte sich mit einem Schluck Assaï, etwas Maniocmehl und ein paar Schildkröteneiern begnügen, die er mitten unter der Arbeit verzehrte.

Aber auch der Schänkwirth machte sein gutes Geschäft, denn es versteht sich von selbst, das die Gebinde im Keller der Loja wiederholt angezapft werden mußten, um der Nachfrage nach Likör zu genügen. Wahrlich, es bildete ein Ereigniß für die gute Stadt Tabatinga, dieses unverhoffte Eintreffen des berühmten Fragoso, des ordentlichen und außerordentlichen Professors der Haarkräuselkunst bei den Volksstämmen des oberen Amazonenstromes!

Quelle:
Jules Verne: Die Jangada. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXXIX–XL, Wien, Pest, Leipzig 1883, S. 112-123.
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