Neuntes Capitel.
Die Gruppe der Sandwich-Inseln.

[118] Diesen Theil des Stillen Oceans durchzieht eine unterseeische Gebirgskette, die man von Westnordwest nach Ostsüdost neunhundert Meilen weit verfolgen könnte, wenn sich die viertausend Meter tiefen Abgründe, die sie von andern oceanischen Ländern trennen, einmal entleerten. Von dieser Kette ragen nur acht Gipfel empor: Nühau, Kaouaï, Oahu, Molokaï, Lanaï, Mauï, Kaluhani und Hawaï. Diese acht ungleich großen Inseln bilden den Hawaïchen Archipel oder die Gruppe der Sandwich-Inseln, und reichen über die Grenzen der Tropen nur mit dem Felsen- und Klippengewirre hinaus, das sich nach Westen hin fortsetzt.

Während sie Sebastian Zorn brummen und sich in einen Winkel zurückziehen lassen, da er gegen alle Naturmerkwürdigkeiten gleichgiltig ist, unterhalten sich Pinchinat, Yvernes und Frascolin über die Reise, wie folgt:

»Wahrhaftig, sagte der eine, ich bin nicht böse darüber, die Sandwich-Inseln einmal zu besuchen. Da wir nun einmal über den Großen Ocean fahren, halt' ich es wenigstens für richtig, davon möglichst viel Erinnerungen mit heimzunehmen.

– Und ich füge hinzu, meinte ein andrer, daß wir dadurch einmal die Pawnies, Sioux und die übrigen gar zu civilisierten Indianer des Farwest los werden, und es mißfällt mir gar nicht, einmal mit leibhaftigen Wilden – mit Menschenfressern zusammenzutreffen.

– Die Hawaïner sind das also noch immer? fragte der dritte.

– Wir wollen es hoffen, antwortet Pinchinat ernsthaft. Ihre Großväter waren es, die den Capitän Cook verzehrten, und wenn die Großväter einen so berühmten Seefahrer gekostet haben, ist wohl anzunehmen, daß die Enkel an Menschenfleisch auch noch Geschmack finden.«

Man wird zugeben, der Bratschist sprach sehr unrespectierlich von dem berühmten englischen Seemanne, der diesen Archipel 1778 entdeckte.[118]

Aus diesem Gespräche geht hervor, daß unsre Künstler durch die Zufälle bei ihrer Fahrt mit mehr waschechten Eingebornen zusammenzutreffen hofften, als mit den Exemplaren, die im Jardin d'Acclimatisation zur Schau gestellt werden, und diese jedenfalls in ihrer Heimat sehen zu können erwarteten. Sie empfinden daher eine gewisse Ungeduld, dort anzukommen, und warten jeden Tag darauf, daß die Wachposten auf dem Observatorium die ersten Höhen der Hawaïschen Inseln melden.

Das geschieht am Morgen des 6. Juli. Sofort verbreitet sich diese Nachricht und die Anzeigetafel des Casinos zeigt die telautographische Inschrift:

»Standard-Island in Sicht der Sandwich-Inseln«

Freilich ist man noch fünfzig (See-) Meilen entfernt, doch die höchsten Bergspitzen der Gruppe, die der Insel Hawaï, welche über viertausendzweihundert Meter emporsteigen, sind bei klarem Wetter schon aus dieser Entfernung sichtbar.

Von Nordosten kommend, steuert der Commodore Ethel Simcoë auf Oahu mit der Hauptstadt Honolulu zu, die gleichzeitig die Hauptstadt des ganzen Archipels ist. Diese Insel ist die dritte der geographischen Breite nach; Nühau, ein großes Viehgehege, und Kaouaï liegen nordwestlich davon. Oahu ist nicht die größte der Sandwich-Inseln, da sie nur sechzehnhundertachtzig Quadratkilometer mißt, während Hawaï sich fast über siebzehntausend ausdehnt. Die Gesammtoberfläche der übrigen Inseln beträgt nur dreitausendachthundert Quadratkilometer.

Natürlich haben die Pariser Künstler seit dem Tage der Abfahrt angenehme Verbindungen mit den obern Beamten von Standard-Island angeknüpft. Alle, der Gouverneur, der Commodore Simcoë, der Oberst Stewart, wie die Oberingenieure Watson und Somwah haben sich beeilt, ihnen theilnahmsvoll entgegenzukommen. Bei ihren häufigen Besuchen des Observatoriums verweilen sie oft stundenlang auf dessen Plattform. Da erscheint es nicht auffällig, daß Yvernes und Pinchinat, die wißbegierigsten der Truppe, sich auch am heutigen Tage daselbst eingefunden hatten, und gegen zehn Uhr vormittags beförderte sie der Aufzug nach »dem Top des Mastbaums«, wie der Bratschist sich ausdrückte.

Der Commodore Ethel Simcoë befand sich schon oben, und indem er den beiden Freunden sein Fernrohr lieh, machte er sie auf einen Punkt am südwestlichen Horizonte zwischen den niedrigen Dünsten am Himmel aufmerksam.

»Das ist der Mauna Loa von Hawaï, sagt er, oder es ist der Mauna Kea, beide sehr schöne Vulcane, die die Insel 1852 und 1855 mit einem siebenhundert[119] Quadratkilometer großen Lavastrome bedeckten und deren Krater 1880 noch siebenhundert Millionen Cubikmeter Eruptivstoffe auswarfen.

– Herrlich! antwortet Yvernes. Glauben Sie, Commodore, daß wir das Glück haben werden, einem solchen Schauspiele beizuwohnen?

– Das weiß ich nicht, Herr Yvernes, antwortet Ethel Simcoë, Vulcane sind nicht auf Bestellung thätig...

– O, und dies eine Mal auch nicht?... fährt Pinchinat fort. Wäre ich so reich wie die Herren Tankerdon oder Coverley, so veranstaltete ich mir Eruptionen nach Belieben auf eigne Kosten...

– Nun, wir wollen unser Heil versuchen, erwidert der Commodore lächelnd, vielleicht machen sie das Unmögliche möglich, um Ihnen gefällig zu sein.«

Pinchinat erkundigt sich hierauf nach der Volksmenge der Sandwich-Inseln. Der Commodore erklärt ihm, daß die Bevölkerung, obwohl sie zu Anfang des Jahrhunderts zweimalhunderttausend Seelen betrug, jetzt auf die Hälfte davon zurückgegangen sei.

»Schön, Herr Simcoë! Hunderttausend Wilde sind auch noch genug, und wenn sie tüchtige Cannibalen geblieben sind und den frühern Appetit behalten haben, dann verzehren sie alle Milliardeser von Standard-Island als Gabelfrühstück!«

Die Schraubeninsel besucht den Hawaï-Archipel heute nicht zum ersten Male. Schon im vorigen Jahre ist sie, angelockt durch das heilsame milde Klima, in diese Gegend gekommen. Von Amerika begeben sich Kranke deshalb nicht so selten hierher, und es fehlt nur noch, daß auch europäische Aerzte ihren Patienten den Genuß der Luft des Großen Oceans verordnen. Warum sollte das nicht geschehen? Honolulu liegt zur Zeit ja nur fünfundzwanzig Tagereisen von Paris, und wenn es sich darum handelt, die Lungen mit einem Sauerstoff zu versorgen, den man nirgends anderswo athmen kann...

Am Vormittag des 9. Juli trifft Standard-Island in Sicht der Inselgruppe ein. Fünf Meilen nach Südwesten hin zeigt sich Oahu. Darüber ragen an der Ostseite das Diamond-Head, ein alter Vulcan, der die Rhede dahinter beherrscht, und noch ein andrer Berggipfel hervor, den die Engländer Bowl de Punch (die Punschbowle) genannt haben.


Die Propeller-Insel im Hafen von Hawaï (S. 126.)
Die Propeller-Insel im Hafen von Hawaï (S. 126.)

Der Commodore bemerkt dazu, daß John Bull, wenn diese riesige Terrine mit Gin oder Brandy gefüllt wäre, sie gewiß ohne Bedenken ausleeren würde.

Standard-Island fährt zwischen Oahu und Molokaï hindurch, ganz wie ein Schiff, das durch sein Steuerruder gelenkt wird, während man sich hier dazu der combinierten Wirkung der Propeller an beiden Längsseiten der Insel bedient. Nach Umschiffung des Südostcaps von Oahu hält die Propeller-Insel, mit Rücksicht auf ihren großen Tiefgang, schon zehn Kabellängen vom Ufer entfernt an. Wie man die Insel, um ihr die nöthige Bewegungsfreiheit zu sichern, ziemlich weit vom Ufer entfernt hält, so geht diese auch nicht im strengen Sinne des Wortes »vor Anker«, was bei dem über hundert Meter tiefen Grunde an sich unausführbar gewesen wäre, sondern man hält sie mittelst ihrer nach Bedarf nach vor- oder rückwärts arbeitenden Maschinen während ihres Aufenthalts hier, unbeweglich wie die Sandwich-Inseln selbst, an einer Stelle fest.

Das Quartett betrachtet die Höhen, die sich seinen Blicken bieten. Von der Seeseite her bemerkt man nur Baumdickichte und Gruppen von Orangenbäumen neben andern prächtigen Species aus der Flora der gemäßigten Zonen. Nach Westen hin zeigt sich durch eine schmale Oeffnung der hohen Uferwand ein kleiner Binnensee, der Perlensee, eine Art sumpfiger, von Kratermündungen unterbrochener Ebene.

Oahu bietet einen reizenden Anblick, und die von Pinchinat so ersehnten Anthropophagen haben sich über den Schauplatz ihrer Thätigkeit wahrlich nicht zu beklagen. Huldigen sie noch immer ihren cannibalischen Instincten, so bleibt dem Bratschisten gar nichts zu wünschen übrig.

Da ruft dieser plötzlich:

»Großer Gott, was seh' ich da?

– Nun, was denn! fragt Frascolin.

– Da unten... Kirchthürme...

– Ja freilich... Thürme... und auch Façaden von Palästen, sagt Yvernes.

– Dort können sie doch unmöglich den Capitän Cook aufgezehrt haben?

– Wir liegen gewiß gar nicht vor den Sandwich-Inseln, meint Sebastian Zorn achselzuckend. Der Commodore hat sich in der Richtung geirrt...

– Ganz unzweifelhaft!« versichert Pinchinat.

Nein! Der Commodore hat sich nicht geirrt. Das ist Oahu, und die Stadt, die mehrere Quadratkilometer einnimmt, ist Honolulu.

Ja seit den Zeiten des großen englischen Seefahrers hat sich hier alles gewaltig verändert. Die Missionäre überboten sich in frommem Eifer. Methodisten, Anglikaner und Katholiken förderten das Werk der Civilisation und triumphierten über das Heidenthum der alten Kanaken. Dabei verschwindet die Ursprache des Landes mehr und mehr vor der angelsächsischen Zunge, und der Archipel[123] beherbergt Amerikaner, Chinesen – die meisten im Dienste von Grundeigenthümern, so daß schon eine Rasse von Halb-Chinesen, die der Hava-Pake, entstanden ist – und Portugiesen in Folge des Seeverkehrs zwischen den Sandwich-Inseln und Europa.

Eingeborne giebt es jedoch auch noch, wenigstens genug für unsre Künstler, obgleich sie durch die aus China herübergebrachte Lepra (den Aussatz) stark decimiert sind. Den Typus von Menschenfleischliebhabern repräsentieren sie allerdings nicht mehr.

»O Du Localfärbung, ruft die erste Geige, welche Hand hat Dich von der modernen Palette abgeschabt!«

Freilich, Zeit, Civilisation und der Fortschritt, der ja ein Gesetz der Natur ist, haben diese Färbung fast ganz verwischt. Das zeigte sich zu jedermanns Leidwesen deutlich, als eines der elektrischen Boote von Standard-Island an der langen Klippenreihe vorüberglitt und Sebastian Zorn nebst seinen Kameraden ans Land brachte.

Zwischen zwei spitzwinklig zulaufenden Pfahldämmen liegt hier ein kleiner Hafen, der durch ein Amphitheater von Bergen gegen gefährliche Winde gestützt ist. Seit 1794 haben sich die Klippen, die die Meereswogen vor ihm brechen, um einen Meter gehoben, doch hat er genug Wasser, um Schiffen von achtzehn bis zwanzig Fuß Tiefgang das Anlegen an den Quais zu gestatten.

»Enttäuschung!... Enttäuschung! murmelt Pinchinat. Es ist wirklich beklagenswerth, daß man auf der Reise um so viele Illusionen ärmer wird!

– Und man also besser thut, hübsch zu Hause zu bleiben! meint der Violoncellist, die Achseln zuckend.

– Nein! ruft der immer enthusiastische Yvernes, welches Bild kann sich mit dem unsrer stählernen Insel vergleichen, wenn sie, wie jetzt, den oceanischen Archipelen einen Besuch abstattet?«

Wenn sich aber der sittliche Charakter der Sandwichianer zum Kummer unsrer Künstler so bedauerlich verändert hat, so ist das wenigstens mit dem Klima nicht der Fall. Es gehört noch immer zu den heilsamsten in dieser Gegend des Großen Oceans, obwohl die Inselgruppe in einem Meerestheile liegt, der als das »Meer der Wärme« bezeichnet wird. Steigt der Thermometer bei Nordwind auch ziemlich hoch und entfesselt der Südwind zuweilen die heftigen, hier »Kouas« genannten Stürme, so übersteigt die Mitteltemperatur Honolutus doch kaum einundzwanzig Centigrad. Darüber darf man sich an der Grenze der[124] Tropenzone gewiß nicht beklagen. Die Einwohner thun das auch nicht, und wie gesagt, suchen viele kranke Amerikaner den Archipel zu ihrer Wiedergenesung auf.

Je mehr das Quartett indeß in die Geheimnisse dieses Archipels eindringt, desto mehr schwinden auch seine Illusionen. Die guten Leute behaupten, mystisiciert worden zu sein, wo sie sich doch nur selbst anklagen sollten, sich dieser Mystification ausgesetzt zu haben.

»Das ist wieder der Calistus Munbar, der uns in die Tinte geritten hat!« behauptet Pinchinat in Erinnerung an die Aussage des Oberintendanten, wonach die Sandwich-Inseln die letzte Zufluchtsstätte wild lebender Eingeborner im Großen Ocean seien.

»Was wollen Sie denn, liebe Freunde? antwortet er mit den Augen zwinkernd auf ihre bittern Vorwürfe. Das alles hat sich seit meinem letzten Hiersein so sehr verändert, daß ich gar nichts wiedererkenne!

– Possenreißer!« erwidert Pinchinat und klopft ihn scherzend auf den wohlgepflegten Leib.

Immerhin darf man es als bestimmt annehmen, daß sich alle hier wahrnehmbaren Veränderungen mit verblüffender Schnelligkeit vollzogen haben. Bis vor kurzem erfreuten sich die Sandwich-Inseln einer 1837 gegründeten constitutionellen Monarchie mit zwei Kammern, einer Art von Herren- und Abgeordnetenhauses. Die erste Kammer wurde nur durch die Bodeneigenthümer, die zweite durch alle des Lesens und Schreibens kundigen Bürger gewählt. Jede Kammer bestand aus vierundzwanzig Mitgliedern, die aber gemeinschaftlich vor dem aus vier Staatsräthen bestehenden königlichen Ministerium berathschlagten.

»Hier gab es also gar einen König, sagte Yvernes, einen constitutionellen König, statt eines Affen mit Federschmuck, dem alle Fremden ihre unterthänigen Ehrenbezeugungen erwiesen!

– Ich bin überzeugt, setzte Pinchinat hinzu, daß diese Majestät nicht einmal Ringe durch die Nase hatte... und daß sie sich von den geschicktesten Dentisten der Welt sogar falsche Zähne einsetzen ließ.

– Ach, diese traurige Civilisation! jammerte die erste Violine. Die frühern Kanaken brauchten kein künstliches Gebiß, wenn sie ihre Kriegsgefangnen schmunzelnd verzehrten!«

Der freundliche Leser verzeihe unserm Phantasten diese Anschauung der Dinge. Es hat in Honolulu ja einen König gegeben, oder wenigstens eine Königin, Liliuokalani, die jetzt entthront ist und die gegenüber einer Thronprätendentin,[125] der Prinzessin Kaiulani, für die Rechte ihres Sohnes, des Prinzen Adey, entschlossen eintrat.

Kurz, lange Zeit herrschte in dem Archipel eine revolutionäre Bewegung, anz wie in manchen Staaten Amerikas und Europas, denen er also auch in dieser Beziehung ähnelt. An eine wirksame Intervention der hawaiischen Armee und an eine Zeit toller Pronunciamentos war deshalb nicht wohl zu denken, denn diese »Armee« bestand nur aus zweihundertfünfzig Conscribierten nebst ebenso vielen Freiwilligen, und fünfhundert Mann richten nicht viel aus, wenigstens nicht inmitten des Großen Oceans.

Dagegen waren die Engländer da, die die Vorgänge überwachten. Die Prinzessin Kaiulani erfreute sich, wie es scheint, der Sympathie Großbritanniens. Andrerseits zeigte sich Japan bereit, die Schutzherrschaft über die Inseln zu übernehmen, und es hatte auch Parteigänger unter den Kulis, die auf den Pflanzungen in großer Anzahl beschäftigt sind...

Nun und die Amerikaner? wird man fragen. Eine solche Frage bezüglich einer damals ganz nahe liegenden Intervention richtete Frascolin auch an Calistus Munbar.

»Die Amerikaner? antwortet der Oberintendant. O, sie gelüstet nach keinem Protectorate. Wenn sie auf den Sandwich-Inseln für ihre Dampfer der Pacificlinien eine Flottenstation haben, so werden sie nicht mehr verlangen.«

Dennoch hatte der König Kamehameha 1875 bei Gelegenheit eines Besuches des Präsidenten Grant in Washington den Archipel unter den Schutz der Vereinigten Staaten gestellt. Als Cleveland siebzehn Jahre später aber den Entschluß faßte, die Königin Liliuokalani wieder einzusetzen, nachdem auf den Sand wich-Inseln ein republikanisches Regiment unter der Präsidentschaft Sanford Dole's eingeführt war, da regnete es aus beiden Ländern die heftigsten Proteste.

Nichts vermag eben zu ändern, was im Schicksalsbuche der Völker einmal geschrieben steht, ob diese Völker nun alten oder neuen Ursprungs sind, und der Hawaïsche Archipel bildet deshalb seit dem 4. Juli 1894 eine Republik unter der Präsidentschaft Doles und seiner Nachfolger.

Der Aufenthalt Standard-Islands hier ist auf zehn Tage bemessen. Viele seiner Bewohner benutzen das, um Honolulu und dessen Umgebungen zu besuchen. Die Familien Coverley und Tankerdon, die ersten Notabeln von Milliard-City, begeben sich alle Tage im Boote nach dessen Hafen. Andrerseits kennt, obwohl die Schraubeninsel schon vorher einmal hier lag die Bewundrung der Einwohner[126] von Hawaï keine Grenzen und sie stürmen in hellen Haufen herbei, dieses Wunderwerk zu besichtigen. Cyrus Bikerstaff's Polizei, die bezüglich der Zulassung Fremder immer streng ist, hält darauf, daß die Gäste zur festgesetzten Stunde wieder heimkehren. Bei derartigem Sicherheitsdienste dürfte es jedem Unberufnen schwer fallen, ohne besondre, nicht leicht erhältliche Genehmigung auf dem Juwel des Stillen Oceans länger zu verweilen. Uebrigens herrschen auf beiden Seiten gute Beziehungen, obwohl man jeden officiellen Empfang zwischen den Inseln vermeidet.

Das Quartett unternimmt einige recht interessante Ausflüge. Die Eingebornen gefallen unsern Parisern. Ihr Typus ist deutlich ausgesprochen, ihr Teint bräunlich, ihr Gesichtsausdruck gleichzeitig sanft und etwas stolz, und obgleich die Leute jetzt in einer Republik leben, sehnen sie sich doch vielleicht nach ihrer ehemaligen wilden Unabhängigkeit zurück.

»Die Luft unsres Landes ist frei,« lautet ein dortiges Sprichwort; sie selbst sind es nicht mehr.

Nach der Unterwerfung des Archipels durch Kamehameha und während der 1837 errichteten constitutionellen Monarchie wurde jede zugehörige Insel durch einen besondern Gouverneur regiert. Jetzt, unter der Republik, sind die Inseln noch in Haupt- und Nebenbezirke eingetheilt.

»Ei, ruft Pinchinat, da fehlen ja nur noch die Präfecten, Unterpräfecten und die Präfecturbeisitzer nebst der Constitution des Jahres VIII!

– Mich verlangt es, von hier wegzukommen!« knurrt Sebastian Zorn.

Das wäre unrecht gewesen, ohne vorher die landschaftliche Schönheit Oahus bewundert zu haben. Diese ist überraschend, wenn auch ohne reiche Flora. Das Küstengebiet zeitigt Cocospalmen und andre Arten, Brodbäume, Aleuriten, die zur Oelgewinnung dienen, ferner Ricinus-, Stechapfel- und Indigopflanzen. In den von den Bergwässern durchzognen und von einem üppigen, Menervia genannten Strauche erfüllten Thälern bilden sich viele Gesträche zu richtigen Bäumen aus, wie Chenopodien, Halapepen und riesige Asparagineen.


Wie ein Gewirr von Schlangen ziehen die Lianen durch das Astwerk hin. (S. 127.)
Wie ein Gewirr von Schlangen ziehen die Lianen durch das Astwerk hin. (S. 127.)

Die bis auf zweitausend Meter hinausreichende Waldzone wird von verschiednen Holzarten, von hohen Myrtaceen, kolossalen Rumexarten und von Lianen gebildet, die sich wie ein Gewirr von Schlangen durch das Astwerk hinziehen. Was die Bodenerzeugnisse angeht, die die Hauptausfuhr bilden, so bestehen diese aus Reis, Cocosnüssen und Zuckerrohr.


Ein verdächtiges Fahrzeug. (S. 130.)
Ein verdächtiges Fahrzeug. (S. 130.)

Zwischen den Inseln herrscht ein lebhafter Schiffsverkehr, da alle Producte nach Honolulu geschafft werden, um von hier[127] aus, meist nach Amerika, zur Ausfuhr zu gelangen. Auch die Fauna zeigt wenig Verschiedenheit. Wenn die Kanaken in intelligenteren Rassen unterzugehen drohen, so erleiden doch die Thierarten keine Veränderung. Es finden sich davon nur Schweine, Ziegen und Hühner als Hausthiere, wilde Thiere gar nicht, höchstens einige Paare Wildschweine; Mosquitos, deren man sich nur mit Mühe erwehren kann, zahlreiche Scorpione und viele Arten ungefährlicher Eidechsen; ferner Vögel, die niemals singen, wie der Oo, die Drepanis pacifica mit schwarzem Gefieder und geschmückt mit den gelben Federn, aus denen der berühmte Mantel Kamehameha's[128] hergestellt war, an welchem neun Generationen von Eingebornen gearbeitet hatten.

Der Antheil des Menschen an diesem Archipel besteht darin, ihn, und zwar nach amerikanischem Muster, civilisiert zu haben, nämlich durch gelehrte Gesellschaften, obligatorische Lehranstalten, die bei der 1878er Ausstellung einen Preis erhielten, durch reiche Bibliotheken und eine in englischer und kanakischer Sprache erscheinende Journalistik. Unsre Pariser konnten darüber nicht staunen, denn die Notabeln des Archipels sind in der Mehrzahl Amerikaner und ihre Sprache ist[129] hier ebenso eingeführt wie ihre Münzsorten. Diese Notabeln ziehen mit Vorliebe nur Chinesen aus dem Himmlischen Reiche in ihre Dienste, entgegen dem Verfahren in Westamerika, wo man sich dieser Geißel mit dem bezeichnenden Namen der »Gelben Pest« zu erwehren bemüht.

Natürlich gleiten seit dem Eintreffen Standard-Islands vor der Hauptstadt von Oahu zahlreiche Boote mit Neugierigen um jenes herum. Bei so herrlichem Wetter und stiller See giebt es gar nichts Schöneres als eine Fahrt von etwa zwanzig Kilometern eine Kabellänge von dieser vernieteten und verbolzten »Küste« hin, auf der die Zollbeamten eine so strenge Ueberwachung ausüben.

Unter jenen Booten hätte man auch ein leichtes Fahrzeug bemerken können, das jeden Tag im Gewässer der Schraubeninsel umhersegelt. Es ist eine Art malayischer Ketsch mit zwei Masten, eckigem Achterschiff und einer Besatzung von zehn Mann unter dem Befehle eines Kapitäns von sehr energischem Aussehen. Der Gouverneur schenkt der Sache aber keine Beachtung, obgleich jene Hartnäckigkeit verdächtig erscheinen konnte. Jene Leute hören nämlich nicht auf, die Insel in ihrem ganzen Umfange zu besichtigen, segeln von dem einen Hafen zum andern und suchen die Anordnung des Ufers auszukundschaften. Doch wenn sie auch Schlimmes im Schilde führten, konnte die Besatzung von zehn Mann gegen eine Bevölkerung von zehntausend Menschen doch nichts ausrichten. Niemand bekümmert sich also um das Verhalten der Ketsch, ob diese nun am Tage hin und her segelt oder die Nacht über auf dem Meere bleibt. Auch das Marineamt von Honolulu wird wegen dieser Sache nicht interpelliert.

Am Morgen des 10. Juli verläßt Standard-Island die Insel Oahu, macht zuerst eine Schwenkung und gleitet dann nach Südwesten hin, um nach den andern hawaïschen Inseln zu gelangen. Dabei kommt ihm die von Osten nach Westen verlaufende Aequatorialströmung zu statten, deren Richtung der der Meeresströmung im Norden des Archipels gerade entgegengesetzt ist.

Zur Freude derjenigen seiner Bewohner, die sich nach dem Backborduser begeben haben, steuert Standard-Island zwischen den Inseln Molokaï und Kaouaï hindurch. Ueber der letzteren, einer der kleinsten der Gruppe, erhebt sich ein Vulcan bis achtzehnhundert Meter, der Nirhau, der eben etwas rauchigen Dampf ausstößt. Das Ufer an seinem Fuße besteht aus Korallengebilden mit einer Dünenkette dahinter. Von jenen tönt das Echo fast mit metallischem Klange zurück, wenn der Wogenschwall der Brandung daran schlägt.[130]

Bei Einbruch der Nacht befindet sich die Schraubeninsel noch immer in dem engen Canale, hat aber unter der kundigen Führung des Commodore Simcoë nichts zu fürchten. Zur Stunde, wo die Sonne hinter den Höhen von Lanaï unterging, hätten die Wachen die Ketsch nicht sehen können, die gleich nach der Abfahrt Standard-Islands den Hafen verlassen hatte und sich immer in dessen Nähe zu halten suchte. Doch es kümmerte sich, wie gesagt, so wie so niemand um das unscheinbare malayische Fahrzeug.

Bei Tagesanbruch erschien die Ketsch nur noch wie ein weißer Punkt am Horizonte.

Im Laufe dieses Tages steuert man zwischen Kaluhani und Mauï weiter. Die letztere, mit Lahaïna als Hauptstadt und einem von Walfischfängern vielbesuchten Hafen, ist ihrem Umfange nach die zweite des Archipels. Fast dreitausend Meter hoch steigt darauf der Haleahala, das Haus der Sonne, in die Lüste empor.

Die beiden nächsten Tage fährt man längs der Kästen der großen Insel Hawaï hin, deren Berge, wie erwähnt, die höchsten der ganzen Inselgruppe sind. In der Bucht von Kealakeacua war es, wo der Kapitän Cook, den die Eingebornen erst wie einen Gott empfangen hatten, 1779 ermordet wurde, ein Jahr nach seiner Entdeckung dieses Archipels, dem er zu Ehren des berühmten britischen Ministers den Namen Sandwich gegeben hatte. Hilo, der auf der Ostseite gelegene Hauptort derselben, wird nicht sichtbar, dagegen zeigt sich Kailu, das an der Westküste liegt.

Die Insel Hawaï besitzt siebenundfünfzig Kilometer Eisenbahnen, die meist nur zum Waarentransporte dienen, und das Quartett kann den weißen Dampf ihrer Locomotiven sehen.

»Das fehlte gerade noch!« ruft Yvernes.

Am nächsten Tage hat das Juwel des Stillen Oceans diese Gegenden hinter sich gelassen, während die Ketsch die Spitze von Hawaï umschifft, über die der Mauna-Loa, der Große Berg, viertausend Meter emporragt.

»Betrogen, wettert Pinchinat, betrogen sind wir und bestohlen!

– Ja freilich, stimmt ihm Yvernes bei, wir hätten hundert Jahre früher kommen sollen. Dann befänden wir uns aber nicht auf dieser wundervollen Schraubeninsel.

– Einerlei! Weit schlimmer, daß wir hier Eingeborne in Jaquets mit umgeschlagenem Kragen gefunden haben, statt der Wilden im Federschmuck, die[131] uns dieser Schlingel von Munbar versprochen hatte! Nein, ich gebe der Zeit des Kapitän Cook den Vorzug!

– Und wenn die Cannibalen Dich nun auch aufgezehrt hätten, Freund Bratschist? bemerkte Frascolin.

– O, da bliebe mir doch der Trost, in meinem Leben... einmal um meiner selbst willen geliebt worden zu sein!«

Quelle:
Jules Verne: Die Propeller-Insel. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXVII–LXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1897, S. 118-121,123-132.
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