Zehntes Capitel.
Ein großer Markttag.

[336] Dick Sand's Bewegung war eine so schnelle gewesen, daß Niemand ihn aufzuhalten vermochte.


Dick Sand reißt ein Jagdmesser heraus und gräbt es ihm in's Herz. (S. 335.)
Dick Sand reißt ein Jagdmesser heraus und gräbt es ihm in's Herz. (S. 335.)

Einige Eingeborne fielen über ihn her und hätten ihm auf der Stelle den Garaus gemacht, wenn nicht Negoro hinzugekommen wäre.


Eng gefesselt ward Dick Sand in eine fensterlose Baracke eingesperrt. (S. 338.)
Eng gefesselt ward Dick Sand in eine fensterlose Baracke eingesperrt. (S. 338.)

Ein Zeichen des Portugiesen entfernte die Eingebornen, welche nun Harris' Leichnam aufhoben und wegtrugen. Alvez und Coïmbra verlangten Dick[336] Sand's schnellste Hinrichtung, doch beschwichtigte sie Negoro mit der Versicherung, daß sie durch einiges Zuwarten nichts verlieren würden, und gab Befehl, den jungen Leichtmatrosen abzuführen, denselben aber nie einen Augenblick aus den Augen zu lassen.[337]

Endlich also sah Dick Sand Negoro wieder, zum ersten Male, seitdem sie die Küste verließen. Er wußte, daß dieser Schurke allein die Katastrophe des »Pilgrim« verschuldete. Ihn mußte sein Haß noch schwerer treffen als dessen Spießgesellen. Und doch würdigte er Negoro, nachdem er den Amerikaner niedergestoßen, auch nicht eines Wortes.

Harris hatte gesagt, daß Mrs. Weldon und ihr Kind nicht mehr am Leben seien!.... Jetzt reizte nichts mehr sein Interesse, nicht einmal sein eigenes ihm bevorstehendes Schicksal.

Eng gefesselt, ward Dick Sand in eine fensterlose Baracke eingesperrt, in eine Art Kerker, in welchem der Sklavenhändler Alvez die wegen Rebellion oder anderer Vergehen zum Tode verurtheilten Sklaven verwahrte. Hier war ihm jede Verbindung mit der Außenwelt abgeschnitten, ohne daß das auch nur sein Bedauern erregte. Er hatte sie ja gerächt, die er liebte und die jetzt nicht mehr waren! Welch' Loos ihn auch erwarten mochte – er war bereit zu Allem.

Wenn Negoro zuerst die Eingebornen abhielt, Harris' Mörder zu tödten, so versteht es sich, daß er Dick Sand zu einer jener entsetzlichen Todesstrafen verdammt wissen wollte, welche das Geheimniß der eingebornen Stämme sind. Der Schiffskoch hatte den Kapitän von fünfzehn Jahren in seiner Gewalt; jetzt fehlte ihm nur Herkules, um seine Rache vollständig zu machen.

Zwei Tage nachher, am 28. Mai, nahm der Markt, der große »Lakoni«, seinen Anfang, auf dem sich die Händler der verschiedenen Factoreien des Binnenlandes und die Eingebornen aus den benachbarten Provinzen von Angola zusammenfanden. Dieser Markt war nicht speciell zum Sklavenhandel bestimmt, sondern es vereinigten sich hier alle Erzeugnisse des fruchtbaren Afrikas.

Schon vom frühen Morgen ab zeigte sich die große Tchitoka von Kazonnde ganz außerordentlich belebt, so daß man sich davon nur schwer eine zutreffende Vorstellung zu machen vermag.

Mit Hinzurechnung der Sklaven des Jose-Antonio Alvez, unter welchen sich auch Tom nebst seinen Gefährten befand, bewegten sich hier vier- bis fünftausend Menschen bunt durcheinander. Gerade die erwähnten armen Leute mußten voraussichtlich, da sie von fremder Race waren, auf dieser Menschenfleisch-Börse am meisten gesucht sein.[338]

Alvez traf hier zuerst von Allen ein; unter Coïm bra's Mithilfe vertheilte er die Sklaven in einzelne Loose, aus denen dann verschiedene Karawanen gebildet wurden.

Unter den Händlern aus dem Innern bemerkte man auch einige Mestizen aus Ujiji, dem Hauptstapelplatz des Taganyika-Sees, und Araber, welche in diesem Handelszweige jenen Mestizen offenbar weit überlegen waren.

Auch Eingeborne tummelten sich in großer Zahl umher. Hier sah man Kinder, Männer und Frauen, jene passionirten Händlerinnen, welche bezüglich ihres Handelslatentes gewiß mit jedem weißen Kaufmann gewetteifert hätten. In den Hallen der größten Städte herrscht auch an einem eigentlichen Meßtage sicher weder mehr Geräusch, noch erscheint der Gang der Geschäfte lebhafter. Bei civilisirten Völkern übertrifft die Sucht zu verkaufen weitaus die Lust einzukaufen. Hier unter den Wilden Afrikas entwickelt sich Angebot und Nachfrage mit gleichmäßiger Leidenschaftlichkeit.

Für Eingeborne beiderlei Geschlechts ist der Lakoni ein Festtag, und selbst wenn sie dazu nicht ihre besten Kleider angelegt hatten, so trugen sie doch mindestens die kostbarsten Zierrathen.

Das Haar in vier mit kleinen Kissen bedeckte Abtheilungen vertheilt und das untere Ende der Flechten chignonähnlich zusammengebunden oder fast vorhangsartig vorn über den Kopf herabfallend, mit Büscheln von rothen Blumen – Haarfrisuren, bestehend aus zurückgebogenen, mit rothem Thon und Oel eingesalbten Hörnern, wie mit dem bekannten Mennigegemisch, das man zum Dichten von Dampfapparaten gebraucht – in jenen Haufen eigener oder falscher Haare eine Menge kleiner Brochen, Nadeln aus Eisen oder Elfenbein, zuweilen auch, vorzüglich bei den Stutzern, ein Tätowirmesser in dem krausen Gewirr befestigt, von dem wieder viele einzelne Haare, dadurch, daß an ihnen Safi, d.h. Glasperlen, aufgereiht sind, eine gebogene Linie verschiedenfarbiger Körnchen bildet – das waren etwa die Gebäude, die sich meist auf den Köpfen der Männer aufthürmten. Die Frauen zogen es vor, ihr Haar in eine große Anzahl kleiner, kirschgroßer Tollen zusammenzuballen, oder es in festen Strähnen gewunden fransenähnlich so zu tragen, daß das untere Ende der letzteren eine gewisse Figur darstellte oder pfropfenzieherartig neben dem Antlitz herabhing. Andere einfachere und vielleicht hübschere Mädchen und Frauen ließen das lose Haar nach englischer Mode auf den Rücken herabfallen, während es wiederum Andere nach französischer[339] Mode als halben Vorhang über die Stirn trugen. Auf den dicken Haarhauben glänzte dann fast immer ein reichlicher Kitt von Oel, Thon oder leuchtender »Ukola«, eine rothe aus dem Sandelholz extrahirte Substanz, so daß die elegantesten wie mit gebrannten Ziegeln frisirt erschienen.

Man darf aber nicht glauben, daß dieser Luxus in der Ausschmückung sich allein auf's Haar erstreckte. Wozu dienten die Ohren, wenn nicht zum Durchstecken von Stäbchen kostbaren Holzes, von durchbrochenen Kupferringen, von feingeflochtenen Maiskettchen oder kleinen Kürbissen, die als Tabaksdosen dienten – so daß die ausgedehnten Ohrläppchen zuweilen bis auf die Schultern ihrer Träger herabfielen. Uebrigens sind die Wilden Afrikas nicht im Besitz von Taschen, und wie könnte dies auch der Fall sein? Hieraus erklärt sich aber die Nothwendigkeit, Messer, Pfeifen und andere Gegenstände des gewöhnlichen Gebrauchs unterzubringen, wo und wie es eben angeht. Arme, Hals, Handgelenke, Beine, Knöchel, alle diese Körpertheile sind ausschließlich bestimmt, mit kupfernen oder erzenen Spangen geschmückt zu werden, mit geschnitzten Hörnern, welche kostbare Steine zieren, oder auch mit rothen Perlenschnüren, den sogenannten Same-Sames oder »Talakas«, welche damals sehr beliebt waren. Mit derlei Schätzen mehr als verschwenderisch beladen, boten die Reichen ganz das Aussehen wandernder Reliquienkästen dar.

Wenn die Natur den Eingebornen Zähne gab, geschah das nicht, um das Zahnfleisch zwischen ihnen zu entfernen, sie zu Spitzen auszufeilen, sie zu scharfen Haken auszubilden, wie die Hakenzähne der Klapperschlange? Wenn sie Nägel schuf für die Enden der Finger, sollten und mußten diese dann nicht zu einer solchen Länge gezogen werden, daß sie den Gebrauch der Hand so gut wie unmöglich machten? Wenn die Haut mit schwarzer oder brauner Farbe den menschlichen Körper gleichmäßig bedeckt, ladet das nicht von vornherein dazu ein, sie mit Tembos oder Tätowirungen zu schmücken, welche Bäume, Vögel, den zu- oder abnehmenden Mond oder den Vollmond darstellen, oder auch mit solchen Linien zu überziehen, in welchen Livingstone altgriechische Bilder wiederzuerkennen glaubte? Diese mittelst eines blauen, durch Hauteinschnitte eingeriebenen Stoffes hergestellten Tätowirungen der Väter »clichiren« sich dann Punkt für Punkt auf den Körper der Kinder über und ermöglichen es, daran zu erkennen, welchem Stamme oder welcher Familie sie angehören. Man ist ja gezwungen, sein[340] Wappenschild auf der Brust zu malen, wenn man es an einer Wagenthür nicht anzubringen vermag.

Hierin bestand also etwa die Mode der Eingebornen bezüglich des Schmuckes. Was die eigentliche Kleidung betraf, so beschränkte sie sich bei den »Herren« auf eine bis zum Knie herabhängende Schürze aus Antilopenfell oder einem aus lebhaft gefärbten Pflanzenfasern gewebten Rocke; die »Damen« dagegen trugen einen Perlengürtel, der in der Taille einen grünen, seidengestickten Rock festhielt, dessen Ausschmückung aus Glasperlen oder »Kauris« bestand, manchmal auch nur einen Schurz aus, Lambba«, einem blau, schwarz und gelben, bei den Zanzibariten sehr gesuchten Faserstoffe.

Hier sprechen wir nur von Negern der besseren Gesellschaft. Die anderen alle, ob selbst Kaufleute oder Sklaven, waren überhaupt kaum bekleidet. Die Frauen versahen häufig Dienste als Lastträgerinnen und erschienen auf dem Markte mit großen Butten und Tragkörben auf dem Rücken, welche sie mittelst eines über die Stirn laufenden Riemens festhielten. Nach Auswahl eines Platzes und Auspackung ihrer Waaren kauerten sie sich dann in ihren leeren Tragkörben zusammen.

Die erstaunliche Fruchtbarkeit des Landes führte bei dem Lakoni auch Nahrungsmittel in enormer Auswahl zu. Hier fand sich Ueberfluß an jenem hundertfältigen Reis, jenem Mais, der bei drei Ernten binnen acht Monaten den zweihundertfachen Ertrag liefert, ferner an Sesam, an Pfeffer von Urua, der den Cayenne-Pfeffer an Schärfe noch übertrifft, an Manioc, Sorgho, Muscat, Salz, Palmöl u.s.w. Hier drängten sich Hunderte von Ziegen, Schweinen, Schafen ohne Wolle, mit Fett- oder behaarten Schwänzen, welche offenbar arabischen Ursprungs waren; hier wimmelte es von Geflügel, Fischen u.s.w. Sehr sauber gedrehte Töpferwaaren erregten die Aufmerksamkeit durch ihre grellen Farben. Verschiedene Getränke, welche die kleinen Eingebornen mit kreischender Stimme anpriesen, führten die Liebhaber von Bananenwein, »Pombe«, d.i. ein ebenso starker als beliebter Liqueur, in Versuchung, sowie die Verehrer des »Malosu«, eines aus dem Safte von Bananen erzeugten, milden Bieres, oder die des Methes, eines Gemisches von Honig und Wasser, das man durch Malzzusatz in Gährung bringt.

Was diese Messe von Kazonnde aber noch bemerkenswerther machte, das war der Handel mit Stoffen und Elfenbein.[341]

Von Stoffen lagerten hier »Chukkas« zu Tausenden, klafterweise der »Mericani«, ein grauhaariger, aus Salem in Massachussets herstammender Calicot, der »Kaniki«, ein 90 Centimeter breiter Baumwollenstoff, der »Sohari«, ein blau und weiß quarrirtes, roth gerändertes Gewebe mit schmalen blauen Streifen dazwischen, der aber geringer geschätzt wird als die »Diulis«, d.h. grün, roth oder gelb geränderte Seidenzeuge aus Surate, von denen ein Stück von ungefähr drei Yard Länge von sieben Dollars an bis zu achtzig Dollars kostet, letzteres wenn der Stoff mit Goldfäden durchwirkt ist.

Das Elfenbein strömte hier aus allen Theilen Inner- Afrikas zusammen, um nach Chartum, Zanzibar oder Natal übergeführt zu werden, und zahlreiche Händler betrieben nur allein diesen Zweig des afrikanischen Handels. Stellt man sich vor, wie viel Elefanten getödtet werden, um 500.000 Kilogramm Elfenbein1 zu erlangen, welche den Handelsplätzen Europas und vorzüglich Englands zugeführt werden? Das Bedürfniß des Vereinigten Königreiches fordert allein 40.000. Die Ostküste Afrikas erzeugt 140 Tonnen dieses kostbaren Materials. Das mittlere Gewicht eines Paares von Elefantenzähnen beträgt etwa 151/2 Kilogramm und diese galten im Jahre 1874 bis 1500 Francs, doch giebt es deren auch bis 921/2 Kilo Schwere, und gerade bei Gelegenheit des Marktes von Kazonnde hätten die Liebhaber dieser Waare wundervolle Exemplare gefunden, aus opalem, halbdurchscheinendem, leicht zu bearbeitendem Elfenbein mit brauner Rinde, das seine Weiße unverändert bewahrt und nicht, wie das Elfenbein von niederer Art, mit der Zeit nachdunkelt.

Wie kam zwischen Käufern und Verkäufern der Abschluß des Handels zu Stande? Welches war die coursfähige Münze? Für die afrikanischen Sklavenhändler waren das, wie gesagt, die Sklaven.

Der Eingeborne zahlt mit Glasperlen venetianischen Fabrikats, welche »Catchokolos« heißen, wenn sie kalkweiß, »Bubulus«, wenn sie schwarz, und »Si kunderetches«, wenn sie rosa von Farbe sind. Die Perlenschnüre bilden in zehnfacher Reihe oder »Khetes« und so lang, daß sie den Hals zweimal umschließen, den »Fundo«, der einen ansehnlichen Werth repräsentirt. Einen gewöhnlichen größeren Werthmesser dieser Perlen bildet der »Frasilach«, im[342] Gewicht von 35 Kilo, und Livingstone, Cameron und Stanley sorgten immer für einen hinlänglichen Vorrath dieser Münze. In Ermanglung von Glasperlen haben auch der »Pize«, eine zanzibaritische Münze von 4 Centimes, und die »Viunguas«, d.s. nur der Ostküste eigenthümliche Muscheln, Courswerth auf den afrikanischen Märkten. Die menschenfressenden Stämme schätzen die Zähne und menschlichen Kiefern ziemlich hoch, und während des Lakoni sah man Rosenkränze von Zähnen am Halse von Eingebornen, welche jedenfalls deren frühere Träger aufgespeist hatten; solche Zähne haben neuerdings aber an Werth bedeutend verloren.

Das war das Bild des großen Marktes. Gegen Mittag erlangte die Belebtheit ihren Gipfelpunkt und ward das Geräusch wahrhaft betäubend. Die Aufregung der Verkäufer, wenn man ihnen zu niedrige Preise bot, und das Geschrei der Käufer, welche sich für übervortheilt hielten, spottet jeder Beschreibung. Ost kam es dabei zu Streitigkeiten und selbstredend fehlte es gänzlich an Hütern des Gesetzes und des Friedens, um diese heulende, gröhlende Masse im Zaume zu halten.

Um die Mitte des Tages war es, als Alvez die Sklaven, welche er verkaufen wollte, dem Markte zuführen ließ. Die Menschenmenge vermehrte sich dadurch um zweitausend Unglückliche jeden Alters, welche der Händler in seinen Baracken seit mehreren Monaten verwahrt gehabt hatte. Dieser »Stock« befand sich auch nicht in schlechtem Zustande. Eine längere Ruhe und hinreichende Nahrung hatten die Sklaven jene auf dem Lakoni beliebte, vortheilhafte Erscheinung gewinnen lassen. Die Letztangekommenen konnten mit jenen keinen Vergleich aushalten und nach einem Monat Barackenaufenthalt hätte sie Alvez sicher zu höheren Preisen an den Mann gebracht; die Nachfrage von Seiten der Ostküste trat aber so dringend auf, daß er sich dafür entschied, sie zum Verkauf zu stellen wie sie eben waren.

Für Tom und seine drei Genossen war das ein Unglück. Die Havlidars stießen sie unter die Heerde, welche die Tchitoka erfüllte. An den Händen fest geknebelt, sagten ihre Blicke doch, welcher Zorn in ihnen kochte, wie die Scham sie überwältigte.

»Herr Dick ist nicht hier! sagte Bat, als er den weiten Platz von Kazonnde prüfend überblickt hatte.

– Nein, antwortete Acteon, ihn wird man nicht zum Verkauf stellen.[343]

– Er wird ermordet, wenn es nicht schon geschehen ist! fügte der alte Neger hinzu. Was uns betrifft, wir haben nur eine Hoffnung, und zwar die, daß uns ein und derselbe Händler ersteht. Es wäre doch ein Trost, nicht getrennt zu werden.

– Ach, Dich fern von mir und als Sklaven arbeitend zu wissen!... Ach, mein armer alter Vater! rief Bat schluchzend.

– Nein, sagte Tom bestimmt, nein, man wird uns nicht trennen, und vielleicht könnten wir gar...

– O, wenn Herkules zur Stelle wäre!« setzte Austin hinzu.

Der Riese war jedoch nicht wieder zum Vorschein gekommen. Seit den letzten, Dick Sand zugegangenen Nachrichten hatte man weder von Dingo noch von ihm auch nur ein Wort gehört. Sollte man ihn um sein Schicksal beneiden? O gewiß! Denn wenn Herkules den Tod fand, so hatte er doch wenigstens keine Sklavenketten zu tragen gehabt.

Inzwischen hatte der Verkauf seinen Anfang genommen. Alvez' Agenten bewegten sich unter der Menge einzelner Loose von Männern, Frauen und Kindern umher, ohne sich darum zu sorgen, ob sie die Mütter von ihren Kindern trennten oder nicht. Kann man wohl diesen Unglücklichen noch den Namen von Menschen geben, da sie nicht anders als wie Hausthiere behandelt wurden? Tom und die Seinen führte man von Käufer zu Käufer. Vor ihnen her schritt ein Agent, der den Preis ausrief, für den ihr Loos abgegeben werden sollte. Arabische Zwischenhändler oder Mestizen aus den inneren Provinzen unterzogen sie einer sorgfältigen Prüfung. Sie erkannte an ihnen nicht jene der afrikanischen Race eigenthümlichen Zeichen, welche sich bei Amerikanern der zweiten Generation gewöhnlich verwischen. In ihren Augen hatten diese kräftigen und intelligenten Neger, welche sich von den Schwarzen von Zambesi oder von der Lualaba auffällig unterschieden, indessen einen hohen Werth. Sie betasteten sie, wendeten sie nach allen Seiten, und sahen nach ihren Zähnen. So verfahren die Roßtäuscher, wenn sie Pferde kaufen wollen. Dann schleuderte man einen Stock weit weg, und ließ sie dahinlaufen, um ihn wieder zu holen und dabei die Art ihrer Bewegungen zu beobachten.

Dieser Methode huldigten Alle, und Alle wurden derselben erniedrigenden Probe unterworfen. Nun darf man nicht etwa glauben, daß diese Unglücklichen einer solchen Behandlung gegenüber ganz unempfindlich gewesen[344] wären. Im Gegentheil. Mit Ausnahme der Kinder, welche ja nicht zu beurtheilen vermochten, wie sehr man hiermit der Menschenwürde zu nahe trat, stieg Allen, Männern und Frauen, die Farbe der Scham in's Gesicht. Man ersparte ihnen auch weder Schimpfworte noch Schläge.


Dieser König war gegen fünfzig Jahre alt. (S. 348.)
Dieser König war gegen fünfzig Jahre alt. (S. 348.)

Der halb betrunkene Coïmbra und die Agenten von Alvez schienen sich zum letzten Male noch ein Vergnügen daraus zu machen, sie recht brutal zu behandeln, und bei[345] den neuen Herren, welche sie mit Elfenbein, Stoffen oder Perlen bezahlten, wartete ihrer im Ganzen kein besserer Empfang. Mutter und Kind, Mann und Frau, gewaltsam voneinander gerissen, durften sich nicht einmal Lebewohl sagen und sahen sich auf diesem Lakoni vielleicht zum letzten Male für dieses Leben.

Wegen der verschiedenen Zwecke, zu welchen man die Sklaven verwendet, müssen sie nach dem Geschlechte getrennt werden. Die Händler, welche Männer kaufen, haben gewöhnlich keine Verwendung für Frauen. Letztere werden, eine Folge der bei den Mohamedanern noch gesetzlichen Polygamie, meist nach arabischen Ländern ausgeführt, wo man sie gegen Elfenbein umtauscht. Die zu schwereren Arbeiten bestimmten Männer dagegen müssen nach den Factoreien beider Küsten wandern und werden entweder nach den spanischen Kolonien oder nach den Märkten von Mascate und Madagaskar exportirt. Diese Auswahl ruft oft herzzerreißende Auftritte zwischen Denen hervor, welche die Agenten voneinander trennen und die einst auch sterben werden, ohne sich je wieder gesehen zu haben.

Tom und seine Gefährten sollten das allgemeine Schicksal theilen. Im Grunde fürchteten sie diesen Wechsel ihrer Verhältnisse nicht. Jedenfalls war es ihnen lieber, nach irgend einer Sklavenkolonie zu gelangen, wo sie weit eher Gelegenheit finden mußten, eine Reclamation zu erheben. In einer Provinz von Inner-Afrika zurückgehalten, hätten sie auf jede Aussicht, jemals wieder frei zu werden, gewiß verzichten müssen.

Ihr Wunsch sollte in Erfüllung gehen. Sie hatten sogar den Trost, nicht voneinander getrennt zu werden. Um das Loos, zu dem sie gehörten, wurde von mehreren Händlern aus Ujiji sehr lebhaft gefeilscht. Jose-Antonio Alvez klatschte in die Hände. Die Preise gingen in die Höhe. Man drängte sich herbei, die Sklaven von bisher ungekanntem Werthe zu sehen, deren Anwesenheit auf dem Markte von Kazonnde Alvez bis jetzt sogar zu verheimlichen für gut befunden hatte. Tom und die Seinen konnten bei ihrer Unkenntniß der Landessprache hier natürlich nicht einmal protestiren.

Ihr Herr wurde ein reicher arabischer Händler, der sie in einigen Tagen nach dem Taganyika-See bringen wollte, wohin die meisten Sklaven gehen, welche später für Factoreien von Zanzibar bestimmt sind.

Würden sie dort überhaupt ankommen nach einer Reise quer durch die ungesundesten und gefährlichsten Gegenden von Afrika? Eintausendfünfhundert[346] Meilen sollten sie unter diesen Verhältnissen zurücklegen mitten durch den zwischen so vielen Häuptlingen unausgesetzt herrschenden Kriegstrubel, mitten durch das mörderischste Klima! Würde der alte Tom die Kräfte haben, solche Strapazen zu ertragen? Mußte er nicht, wie die alte Nan, schon auf der Reise unterliegen?

Vor Allem jedoch sahen die armen Leute sich wenigstens nicht voneinander getrennt; die Kette, welche sie verband, schien ihnen weniger schwer zu tragen. Der arabische Händler ließ sie in einer besonderen Baracke unterbringen. Es lag ihm offenbar daran, mit einer Waare vorsichtig umzugehen, die ihm auf dem Markte von Zanzibar einen hohen Gewinn versprach.

Tom, Bat, Acteon und Austin verließen also den Platz und konnten die Scenen nicht mehr mit ansehen, welche den großen Lakoni von Kazonnde schlossen.

Fußnoten

1 Die Schnitzerei von Sheffield verarbeitet jährlich allein 170.000 Kilogramm Elfenbein.


Quelle:
Jules Verne: Ein Kapitän von fünfzehn Jahren. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXVII–XXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1879, S. 347.
Lizenz:

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

640 Seiten, 29.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon