Zwölftes Capitel.
Ein königliches Begräbniß.

[357] Am folgenden Tag, dem 29. Mai, bot die Stadt Kazonnde einen völlig ungewohnten Anblick. Die entsetzten Eingebornen hielten sich in ihren Hütten zurück. Noch niemals hatten sie weder einen König, der sich aus göttlichem Stoffe zu bestehen rühmte, noch einen ganz gewöhnlichen Minister dieses schrecklichen Todes sterben sehen. Wohl hatten sie schon wiederholt ihresgleichen verbrannt und die Aeltesten unter ihnen erinnerten sich noch recht gut der zu jenen Zeiten des noch blühenden Kannibalismus in solchen Fällen getroffenen Maßregeln. Sie wußten, wie schwierig es ist, einen menschlichen Körper gänzlich in Asche zu verwandeln, und hier verbrannten ihr König und sein Minister vor ihren Augen sozusagen aus freien Stücken! Das erschien ihnen und mußte ihnen in der That unerklärlich erscheinen.[357]

Jose-Antonio Alvez verhielt sich ganz still in seinem Hause. Er mochte fürchten, daß man ihn für diesen Zufall verantwortlich machen könnte. Negoro erhielt ihn bezüglich der Vorgänge in der Stadt auf dem Laufenden und rieth ihm, auf seiner Hut zu sein. Kam der Tod Moini Loungga's auf seine Rechnung, so möchte er sich doch nicht so leicht aus dieser bösen Geschichte herausgewickelt haben.

Da kam Negoro aber ein rettender Gedanke. Mit seiner Unterstützung ließ Alvez das Gerücht aussprengen, daß dieser Tod des Herrschers von Kazonnde ein übernatürlicher sei, dessen der große Manitu nur seine Auserwählten würdige, und die dem Aberglauben ja so sehr ergebenen Eingebornen nahmen dieses Märchen leicht für baare Münze. Die Flammen, welche aus den Körpern des Königs und seines Ministers emporschlugen, wurden zum heiligen Feuer. Nun blieb nur übrig, Moini Loungga noch durch Todtenfeierlichkeiten zu ehren, welche eines zum Range der Götter erhobenen Manneswürdig waren.

Dieses Begräbniß mit all' seinem Ceremoniell, wie es bei den afrikanischen Völkern gebräuchlich ist, bot Negoro eine höchst günstige Gelegenheit, Dick Sand eine Rolle zuzutheilen. Man würde kaum glauben, was dieser Tod Moini Loungga's für Blut kostete, wenn die Afrika-Reisenden, vorzüglich Lieutenant Cameron, nicht ähnliche, unzweifelhafte Thatsachen berichteten.

Die natürliche Erbin des Königs von Kazonnde war die Königin Moina. Dadurch, daß sie die Leichenfeierlichkeiten sofort veranlaßte, übte sie einen Act souveräner Autorität aus und lief damit den Mitbewerbern um den Thron den Rang ab, unter Anderen z.B. dem Könige von Ukusu, der sich die Rechte des Souveräns von Kazonnde anzumaßen drohte. Dabei entging Moina, eben als Königin, dem grausamen Loose der anderen Frauen des Verschiedenen und entledigte sich dabei der jüngeren derselben, über die sie, als Erste der Zeit nach, sich natürlich nicht selten zu beklagen hatte. Das war Alles so recht nach dem Sinne der wilden Megäre. Sie ließ also unter Begleitung von Cudu- und Marimebas-Hörnern ankündigen, daß die Leichenfeierlichkeiten für den verstorbenen König am folgenden Abend und mit allem, sonst dabei gebräuchlichen Ceremoniell stattfinden würden.

Weder seitens des Hofes noch seitens des Volkes wurde ein Einwand dagegen erhoben. Alvez und die übrigen Sklavenhändler hatten ja von der[358] Thronbesteigung dieser Königin Moina nichts zu fürchten. Durch einige Geschenke und gelegentliche Schmeicheleien konnten sie sich sicherlich leicht ihren Einfluß auf dieselbe erhalten. Die Uebernahme der königlichen Erbschaft vollzog sich demnach ohne Schwierigkeiten. Nur im Harem herrschte, und zwar nicht ohne Grund, darüber ein gewisser Schrecken.

Noch an demselben Tage begannen die Vorarbeiten zu der Leichenfeier. Nahe dem Ausgange der Hauptstraße von Kazonnde floß ein tiefer, brausender Fluß, ein Nebenarm des Congo, dessen Lauf abgeleitet werden sollte, um sein Bett trocken zu legen; in diesem Bette sollte die Ruhestätte des Königs ausgegraben werden; nach dem Begräbniß erhielt das Wasser dann seinen gewöhnlichen Lauf wieder.

Die Eingebornen arbeiteten emsig an der Aufschüttung eines Dammes, der den Fluß nöthigte, sich ein provisorisches Bett durch die Ebene von Kazonnde zu suchen. Bei dem letzten Acte der bevorstehenden Ceremonie sollte dann der Damm wieder geöffnet und der Wasserlauf in sein natürliches Bett zurückgeleitet werden.

Zu den unglücklichen Opfern, welche auf dem Königsgrabe hingeschlachtet werden sollten, bestimmte Negoro auch Dick Sand. Jener war Zeuge gewesen des unwiderstehlich durchbrechenden Zornes des jungen Leichtmatrosen, als Harris ihm fälschlich Mrs. Weldon's und Jack's Tod meldete. Negoro, ein von Natur feiger Schurke, vermied es ängstlich, sich dem gleichen Schicksale wie sein Spießgeselle auszusetzen. Gegenüber einem an Händen und Füßen gefesselten Gefangenen glaubte er jetzt aber nichts mehr befürchten zu müssen und beschloß, jenen aufzusuchen. Negoro gehörte zu den Scheusalen, denen es nicht genügt, ihre Opfer zu quälen, sondern die sich auch noch an deren Qualen weiden wollen.

Er begab sich also gegen Mittag nach der Baracke, in der Dick Sand von einem Havildar scharf bewacht wurde; dort lag der eng geknebelte junge Leichtmatrose, seit vierundzwanzig Stunden fast ohne jede Nahrung, entkräftet von den ausgestandenen Strapazen, gepeinigt durch die Bande, welche ihm tief in's Fleisch einschnitten, kaum im Stande, sich nur zu wenden, und in Erwartung des Todes, der, so grausam er auch sein mochte, doch seine Qualen endigen mußte.


Die Stadt Kazonnde bot einen völlig ungewohnten Anblick. (S. 357.)
Die Stadt Kazonnde bot einen völlig ungewohnten Anblick. (S. 357.)

Beim Erblicken Negoro's lief ein Zittern durch seinen ganzen Körper. Er machte eine unwillkürliche Anstrengung, seine Fesseln zu[359] sprengen, um sich auf den elenden Wicht zu stürzen und mit ihm Abrechnung zu halten. Selbst Herkules jedoch hätte dieser Versuch mißlingen müssen.


 »Du Elender!« rief der Portugiese. (S. 363.)
»Du Elender!« rief der Portugiese. (S. 363.)

Er begriff, daß es sich hier nur noch um einen anderen Kampf zwischen ihnen Beiden handeln könne, und so zwang sich Dick Sand, ruhig zu sein und Negoro furchtlos anzusehen, entschlossen, ihn auf keinen Fall einer Antwort zu würdigen.[360]

»Ich hielt es für meine Pflicht, begann Negoro, meinen jungen Kapitän zum letzten Male zu begrüßen und ihm mein Bedauern auszusprechen, daß er hier nicht ebenso das Commando führt wie an Bord des »Pilgrim«.

Da Dick Sand auf diese Worte schwieg, fuhr er fort:

»Zum Kuckuck, Kapitän, erkennen Sie denn ihren früheren Schiffskoch nicht wieder? Er kommt ja nur, Ihre Befehle entgegenzunehmen und zu fragen, was Sie zum Frühstück aufgetragen wünschen.«[361]

Gleichzeitig versetzte Negoro dem auf der Erde liegenden jungen Leichtmatrosen einen rohen Fußtritt.

»Außerdem, fügte er hinzu, hätte ich noch eine Frage an Sie zu richten, mein junger Kapitän. Können Sie mir wohl erklären, wie Sie eigentlich nach Angola, wo wir uns heute befinden, gekommen sind, während Sie doch nach der Küste Amerikas steuerten?«

Für Dick Sand bedurfte es kaum der höhnischen Worte des Portugiesen, um einzusehen, daß seine Voraussetzung völlig zutreffend war, als er zu der Ueberzeugung kam, daß der Kompaß des »Pilgrim« durch diesen Verräther unrichtig gemacht worden sei. Die jetzige Frage Negoro's galt ihm aber als wirkliches Geständniß. Auch hierauf antwortete er jedoch nur durch verächtliches Schweigen.

»Sie werden zugeben, Kapitän, fuhr Negoro fort, daß es ein Glück für Sie war, damals einen Seemann, einen wirklich erfahrenen Seemann an Bord zu haben. Großer Gott! Wo wären wir jetzt ohne diesen? Statt an irgend welcher Klippe, an welche der Sturm Sie warf, elend umzukommen, verdanken Sie ihm, zuletzt doch nach einem befreundeten Hafen gekommen zu sein, und wenn irgend Jemand das Verdienst hat, Sie jetzt zu einem sicheren Orte befördert zu haben, so ist es eben jener Seemann, den Sie ungerechter Weise so geringschätzig behandelten, mein junger Herr!«

Mit diesen Worten hatte Negoro, dessen scheinbare Ruhe nur das Resultat einer unglaublichen Anstrengung war, sein Gesicht Dick Sand genähert; den Ausdruck thierischer Wildheit in den Zügen, berührte er damit das Dick Sand's so nahe, daß man glaubte, er wolle ihn aufzehren. Jetzt konnte der Schurke seinen inneren Grimm nicht mehr bemeistern.

»Einer nach dem Anderen! rief er plötzlich in einem Ausbruche von Wuth, welche die gleichmäßige Ruhe seines Opfers nur noch steigerte. Jetzt bin ich der Kapitän, bin ich der Herr! Dein verfehltes Schiffsjungenleben liegt in meiner Hand.

– Nimm es hin, antwortete Sand ohne jede Erregung, aber wisse, im Himmel lebt ein Rächer aller Verbrechen und Deine Strafe wird nicht mehr fern sein!

– Wenn Gott sich um die Menschen kümmert, dann ist es Zeit, daß er sich Deiner annimmt![362]

– Ich bin jeden Augenblick bereit, vor den höchsten Richter zu treten, erwiderte Dick Sand gelassen und der Tod erschreckt mich nicht.

– Das werden wir ja sehen, heulte Negoro. Du hoffst vielleicht noch auf irgend welche Hilfe. Hilfe und Rettung in Kazonnde, wo Alvez und ich allmächtig sind – Du bist ein Narr! Du sagst Dir vielleicht, Deine früheren Gefährten, der alte Tom und die Anderen, seien ja noch da! Laß diesen Irrthum: sie sind schon längst verkauft und nach Zanzibar unterwegs, wobei sie von Glück sagen können, wenn sie nicht schon auf der Reise elend umkommen.

– Gott besitzt unzählige Mittel, Gerechtigkeit zu üben, erwiderte Dick Sand. Ihm genügt das unscheinbarste Mittel. Herkules ist noch frei.

– Herkules! rief Negoro mit dem Fuße stampfend, o, der ist längst unter den Zähnen der Löwen und Panther umgekommen, und ich bedauere dabei nur, daß diese Bestien meiner Rache zuvorgekommen sind.

– Wenn Herkules todt ist, antwortete Dick Sand, so lebt doch Dingo noch. Ein Hund seines Schlages, Negoro, ist mehr als genug, um mit einem Menschen gleich Dir fertig zu werden. Ich kenne Dich durch und durch, Negoro, und muthig bist Du nicht. Dingo sucht Dich, er wird Dich zu finden wissen, und seinen Zähnen wirst Du einst noch erliegen.

– Du Elender! rief der Portugiese wild. Du Erbärmlicher! Dingo ist längst durch eine Kugel von mir crepirt! Er ist todt, so wie Mistreß Weldon und ihr Sohn, todt wie alle Ueberlebenden des »Pilgrim«!

– So wie auch Du bald Dein Schurkenleben beschließen wirst!« vervollständigte Dick Sand, dessen ruhiger Blick den Portugiesen zittern machte.

Negoro war außer sich und stand auf dem Punkte, von Worten zu Thätlichkeiten überzugehen und seinen hilflosen Gegner mit den Händen zu erwürgen. Schon hatte er sich auf ihn gestürzt und schüttelte ihn heftig, als ein plötzlicher Gedanke seine Arme lähmte. Er sagte sich, daß er sein Opfer tödten, daß damit Alles vorbei sein, und er jenem die vierundzwanzig Stunden Todesangst ersparen würde, die er noch leiden sollte. Er stand also wieder auf, richtete einige Worte an den Havildar, der der ganzen Scene theilnahmslos zugesehen hatte, indem er ihm anempfahl, den Gefangenen auf's Strengste zu bewachen, und verließ dann die Baracke.[363]

Statt ihn niedergeschlagener zu machen, gab dieser Auftritt Dick Sand im Gegentheil seine ganze moralische Kraft wieder. Auch seine physische Energie er hielt dadurch eine glückliche Anregung und gewann wieder die Oberhand. Hatte Negoro, als er sich auf ihn warf, vielleicht die Fesseln etwas gelockert, die ihm bisher jede Bewegung verwehrten? So schien es; denn Dick Sand überzeugte sich, daß seine Glieder mehr Spielraum hatten, als vor dem Erscheinen seines Peinigers. Mit dem Gefühle der Erleichterung kam dem jungen Manne auch der Gedanke, daß es ihm jetzt vielleicht nicht allzu schwer fallen könnte, seine Arme gänzlich frei zu machen. Da er in einem sicher verwahrten Gefängniß noch überdem streng bewacht war, erreichte er damit zwar nicht mehr, als daß er sich wenigstens von einer Marter befreite, aber in mancher Lebenslage gewinnt auch die geringste Erleichterung einen unschätzbaren Werth.

Gewiß hegte Dick Sand kaum einen Schimmer von Hoffnung. Menschliche Hilfe konnte ihm ja nur von außen kommen, aber wie sollte er auf solche rechnen? Er hatte sich also ergeben in sein Schicksal. Im Grunde war ihm das Leben jetzt werthlos. Er gedachte nur Derer, die ihm im Tode vorausgegangen, und ihn erfüllte die Sehnsucht, diese in einer besseren Welt wiederzusehen. Negoro behauptete ja ebenso wie Harris, daß Mrs. Weldon und der kleine Jack umgekommen seien. Dazu war es nur gar zu wahrscheinlich, daß auch Herkules den ihn rings bedrohenden Gefahren erlegen sei und ein schreckliches Ende gefunden habe. Tom und seine Gefährten waren jetzt weit, weit entfernt und, wie Dick Sand annehmen mußte, ihm für immer verloren. Auf etwas Anderes zu hoffen, als auf das Ende seiner Leiden durch einen Tod, der ja nicht furchtbarer sein konnte als ein solches Leben, wäre eine offenbare Thorheit gewesen. Er bereitete sich also vor, zu sterben, empfahl sich der Gnade des Höchsten und bat nur um den Muth, bis an's Ende ohne Schwachheit auszuharren. Nicht vergebens erhebt man aber seine Seele zu Dem, der ja Alles vermag, und als Dick Sand sein schweres Opfer dargebracht, fand er im Grunde seines Herzens doch noch ein Fünkchen Hoffnung, ein Fünkchen, das ein Hauch von oben, trotz aller Unwahrscheinlichkeit eines erhofften Ausganges, doch noch zur leuchtenden Flamme anfachen konnte.

Die Stunden schlichen dahin. Die Nacht kam heran. Nach und nach erstarben die letzten Schimmer des Tages, welche sonst durch das Strohdach der Baracke drangen. Das Lärmen von der Tchitoka, wo es heute[364] vergleichsweise sehr still zuging gegenüber dem Getöse und den wilden Auftritten des Vortages, verstummte allmälig. Im Innern des engen Gefängnisses herrschte tiefe Dunkelheit Bald pflegte in der Stadt Kazonnde Alles der Ruhe.

Die Nacht mochte schon halb verflossen sein. Der Havildar lag in bleiernem Schlafe, den er einer Flasche Branntwein verdankte, deren Hals seine Hand noch immer umschlossen hielt. Der Wilde hatte sie bis zur Neige geleert. Dick Sand kam auf den Gedanken, sich der Waffen seines Wächters zu bemächtigen, die ihm ja im Falle einer Flucht von großem Werthe sein konnten; in demselben Augenblicke vernahm er ein leises Scharren am unteren Theile der Barackenthür. Mit Hilfe der Arme gelang es ihm, bis zur Schwelle hinzukriechen, ohne den Havildar zu erwecken.

Dick Sand täuschte sich nicht. Das Scharren währte fort und ward immer deutlicher. Es schien, als werde von außen der Erdboden unter der Thür weggekratzt. War das ein Thier? War es ein Mensch?

»Herkules! Wenn das Herkules wäre?« sagte sich der junge Leichtmatrose.

Er heftete die Augen auf seinen Wächter; dieser lag in seinem Todtenschlafe nach wie vor unbeweglich da. Dick Sand näherte seine Lippen möglichst der Thürschwelle und glaubte es wagen zu dürfen, leise Herkules' Namen zu flüstern. Ein unbestimmter Laut, ähnlich einem unterdrückten, kläglichen Bellen, antwortete ihm.

»Herkules ist es nicht, sagte Dick Sand für sich, aber Dingo ist es! Er hat meine Spur bis nach dieser Baracke gewittert. Bringt er mir wohl ein Wort von Herkules? Wenn Dingo aber nicht todt ist, so hat Negoro also gelogen und vielleicht...«

Da drängte sich eine Tatze unter der Thür hindurch. Dick Sand erfaßte sie und erkannte nun Dingo mit Sicherheit daran. Wenn dieser aber ein Billet trug, dann konnte es nur an dem Halse des Hundes befestigt sein. Was nun? War es möglich, das Loch so weit zu vergrößern, daß Dingo den Kopf durchzwängen konnte? Jedenfalls mußte dieser Versuch gemacht werden.

Kaum hatte Dick Sand jedoch begonnen, die Erde mit den Fingernägeln wegzuscharren, als auf dem Platze draußen ein lebhaftes Gebell, aber nicht[365] von Dingo herrührend, anhob. Die einheimischen Hunde hatten das treue Thier aufgespürt, und ihm blieb gewiß nichts Anderes übrig, als die Flucht zu ergreifen. Einige Flintenschüsse krachten. Der Havildar ward halb munter. Dick Sand konnte nicht mehr daran denken, auszubrechen, nachdem einmal Lärm geschlagen war, und mußte auf's Neue in seinen Winkel kriechen wo er den Tag anbrechen sah, der für ihn der letzte sein sollte.

Während des ganzen Tages ward die Ausschachtung des Grabes emsig fortgesetzt. Unter Leitung des ersten Ministers der Königin Moina nahmen sehr viele Eingeborne daran Theil. Bei Strafe der Verstümmelung sollte Alles zur festgesetzten Stunde fertig sein, denn die neue Herrscherin befleißigte sich, nach allen Richtungen hin die Gewohnheiten des entseelten Königs beizubehalten.

In dem nach Abdämmung des Wassers trocken gelegten Flußbette wurde das Grab in einer Tiefe von etwas über drei Meter, bei gleicher Breite und etwa sechzehn Meter Länge ausgehoben.

Gegen Abend tapezierte man sozusagen den Boden und die Seitenwände der Grube mit lebenden, unter Moini Loungga's Sklavinnen auserwählten Frauen. Gewöhnlich werden diese unglücklichen Geschöpfe bei ähnlichen Gelegenheiten einfach lebendig begraben. Unter Berücksichtigung des eigenartigen und wunderbaren Todes Moini Loungga's war aber dahin entschieden worden, sie in nächster Nähe der Leiche ihres Herrn zu ertränken.1

Die Sitte erheischt es, den verstorbenen König, bevor er in's Grab gelegt wird, mit seinen prächtigsten Kleidern zu schmücken. Diesmal mußte freilich, da Sr. Majestät Ueberreste nur aus einigen calcinirten Knochenstücken bestanden, in anderer Weise verfahren werden. Man fertigte eine Art Gliedermann aus Weidenzweigen an, der Moini Loungga hinlänglich, höchstens etwas zu vortheilhaft vertrat, und füllte in denselben die nach der Selbstverbrennung gesammelten Ueberbleibsel. Diese Puppe ward mit der königlichen Kleidung angethan – welche Hinterlassenschaft, wie wir wissen, keine besonderen Werthgegenstände enthielt – und man vergaß dabei auch nicht, ihr Vetter Benedict's[366] verhängnißvolle Brille als Zierrath aufzusetzen. Die ganze Maskerade hatte wirklich den Anstrich einer entsetzlichen Komik.

Die letzte Ceremonie sollte bei Fackelschein und mit möglichstem Glanze vor sich gehen. Die ganze Bevölkerung von Kazonnde, Einheimische wie Fremde, sollte ihr beiwohnen.

Als der Abend herankam, bewegte sich ein langer Zug von der Tchitoka aus bis nach dem Begräbnißplatze. Geschrei, wilde Tänze, Beschwörungen der Magiker, der Lärm verschiedener Instrumente, das Knallen alter Musketen aus dem Arsenal – nichts fehlte dabei.

Jose-Antonio Alvez, Coïmbra, Negoro, die arabischen Händler und ihre Havlidars vergrößerten die Reihen des Volkes von Kazonnde. Noch Niemand war bis jetzt nach Schluß des großen Lakoni abgereist. Die Königin Moina hätte es nicht zugegeben, und es wäre unklug gewesen, den Befehlen Derjenigen entgegen zu handeln, welche ihre Kräfte jetzt im Regierungsgeschäfte erprobte.

Der in einem Palankin ruhende Körper des Königs wurde in den letzten Gliedern des Leichenzuges getragen. Ihn umgaben seine Frauen zweiten Ranges, deren einige ihm aus diesem Leben das Geleite geben sollten. Königin Moina ging in großem Ornate hinter dem Aufbau her, den man hier als Katafalk bezeichnen könnte. Es war vollständig Nacht, als Alles am Flußufer anlangte, die von ihren Trägern fleißig geschwungenen Harzfackeln warfen aber einen hellen Schein über die Versammlung.

Die Grube war deutlich zu übersehen. Sie zeigte sich mit schwarzen, lebenden Körpern ausgekleidet, welche sich unter den Ketten wanden, die sie am Boden festhielten. Fünfzig Sklavinnen erwarteten hier, daß der Strom sich über sie ergieße; meist waren es junge Eingeborne, die Einen ergeben und lautlos, die Anderen leise seufzend und jämmernd.

Die gleichwie zu einem Feste geschmückten Gattinnen, welche hier gleichzeitig den Tod erleiden sollten, hatte die Königin selbst ausgewählt.

Die Eine unter diesen Schlachtopfern, welche sonst den Titel der zweiten Gemalin führte, wurde mit gekrümmten Armen und gebogenen Knieen gebunden, um als Sessel des Königs zu dienen, wie sie es bei seinen Lebzeiten zu thun pflegte, die dritte Gemalin hatte die Gliederpuppe aufrecht zu halten, während die vierte als Kissen zu deren Füßen lag.[367]

Am Ende des Grabes und vor der Gliedergruppe erhob sich ein rothangestrichener Pfahl aus der Erde. An demselben festgebunden, stand ein Weißer, den man den Schlachtopfern dieser grauenvollen Leichenfeierlichkeit zugesellt hatte.


Die Grube war deutlich zu übersehen (S. 367.)
Die Grube war deutlich zu übersehen (S. 367.)

Jener Weiße war kein Anderer als Dick Sand. Sein halb entblößter Körper zeigte die Merkmale der Torturen, welche ihm auf Negoro's Anordnung schon vorher zu Theil wurden. An den Pfahl geknebelt, stand er hier[368] in Erwartung des Todes, im Herzen nur noch mit der Hoffnung auf ein anderes, besseres Leben.

Noch war indeß der Augenblick, den Damm zu durchstechen, nicht gekommen.

Auf ein Zeichen der Königin wurde die vierte Gemalin, welche ihren Platz zu Füßen des Königs hatte, von dem Nachrichter in Kazonnde hingeschlachtet und ihr Blut floß in die Grube hin. Das war der Anfang einer geradezu entsetzlichen Blutscene. Fünfzig Sklavinnen fielen unter dem Messer ihrer Mörder. Das Bett füllte sich mit Menschenblut.

Eine halbe Stunde hindurch mischte sich das Geschrei der Opfer mit den Ausrufungen der Zuschauer, vergebens aber hätte man unter dieser Menge nach einem Zeichen des Abscheus oder des Mitleids gesucht.

Endlich gab Königin Moina ein weiteren Zeichen, worauf der Verschluß, welcher das obere Wasser zurückhielt, langsam geöffnet wurde. Mit ausgesuchter Grausamkeit ließ man das Wasser nur allmälig ansteigen, statt es durch eine plötzliche Oeffnung des Dammes herabstürzen zu lassen. Der langsame Mord statt des schnellen Todes!

Das Wasser erreichte zuerst die Schicht Sklaven, welche den Grund der Grube bedeckte. Mit schrecklichen Anstrengungen und Verrenkungen arbeiteten die Unglücklichen gegen den Erstickungstod. Dick Sand stand schon bis zu den Knieen im Wasser und versuchte noch eine letzte Anstrengung, seine Fesseln zu sprengen.

Doch das Wasser stieg höher. Die letzten Köpfe verschwanden unter dem Strome, der wieder seinem alten Laufe folgte, und nichts verrieth, daß in seinem Grunde ein Grab war, in dem zu Ehren des Königs von Kazonnde hundert unglückliche Opfer hingemordet wurden.

Die Feder sträubt sich vor solcher Schilderung, wenn nicht die Verpflichtung, bei der Wahrheit zu bleiben, es verlangte, auch diese Scenen in ihrer ganzen Abscheulichkeit wiederzugeben. In jenen traurigen Ländern steht der Mensch leider noch auf so niedriger Stufe. Man bessert solche Verhältnisse nicht, indem man sich ihrer Erkenntniß verschließt.[369]

Fußnoten

1 Man macht sich gar keine zureichende Vorstellung von den furchtbaren Hekatomben, wenn es bei den Stämmen Central-Afrikas sich darum handelt, das Andenken eines mächtigen Häuptlings würdig zu ehren. Cameron erzählt, daß bei dem Leichenbegängniß des Vaters des Königs von Kassongo weit über hundert Opfer hingeschlachtet wurden.


Quelle:
Jules Verne: Ein Kapitän von fünfzehn Jahren. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXVII–XXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1879, S. 370.
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