XV.

[138] Am Abend des nächstfolgenden Tages kehrte Sylvius Hog nach Dal zurück, erwähnte aber nichts von seiner Reise. Niemand wußte also, daß er sich inzwischen nach Bergen begeben hatte. Da die angestellten Nachforschungen bisher noch kein Ergebniß geliefert hatten, wollte er sie gegenüber der Familie Hansen verschweigen. Jeder Brief und jede Depesche, welche von Bergen oder Christiania einlief, mußte an ihn persönlich und nach dem Gasthause adressirt sein, wo er die Entwicklung der Sache abzuwarten gedachte. Hoffte er wohl noch immer? Ja, doch wir müssen gestehen, daß er dabei nur einer Art Vorahnung nachgab.

Kaum zurückgekehrt, bemerkte der Professor ohne Schwierigkeit, daß hier während seines Fortseins ein recht ernstes Ereigniß eingetreten sein mußte. Das Auftreten Joëls und Huldas verrieth nur zu deutlich, daß es zwischen diesen und ihrer Mutter zu einer Erklärung gekommen sein mochte. Sollte jetzt die Familie Hansen noch ein neues Unglück betroffen haben?

Natürlich hätte das Sylvius Hog nur tief betrüben können. Er empfand für die beiden jungen Leute eine so väterliche Zuneigung, daß er auch an eigenen leiblichen Kindern kaum inniger hätte hängen können. Wie hatten sie ihm gefehlt während seiner kurzen Abwesenheit – aber wie sehr mochte er auch ihnen gefehlt haben![138]

»Sie werden sich schon aussprechen, dachte er, sie müssen ja sprechen. Gehör' ich denn nicht auch zur Familie?«

Ja, Sylvius Hog hielt sich jetzt für wirklich berechtigt, in das Privatleben seiner jungen Freunde mit einzugreifen und zu erfahren, warum Joël und Hulda noch unglücklicher als zur Zeit seiner Abreise erschienen. Er sollte darüber bald genug aufgeklärt werden.

Wirklich sehnten sich ja Beide danach, dem vortrefflichen Manne, dem sie mit wahrer Kindesliebe zugethan waren, ihr ganzes Herz zu öffnen. Sie warteten so zu sagen nur auf eine erste Frage von seiner Seite; seit den letzten zwei Tagen hatten sie sich ja gar so verlassen gefühlt, und zwar desto mehr, weil Sylvius Hog nicht einmal gesagt hatte, wohin er ginge.

Nein, noch niemals waren ihnen die Stunden so lang vorgekommen. Ihrer Ansicht nach konnte seine Abwesenheit nur mit Nachforschungen über das Schicksal des »Viken« im Zusammenhange stehen, dagegen wäre es ihnen niemals in den Sinn gekommen, daß Sylvius Hog Zweck und Ziel seiner Reise nur geheim halten könne, um ihnen im Falle eines Mißerfolges die schlimmste Enttäuschung zu ersparen.

Und doch, wie erschien ihnen seine Anwesenheit jetzt mehr als je vonnöthen! Wie verlangte es sie danach, ihn zu sehen, seinen Rath einzuholen und seine stets liebevolle, ermuthigende Stimme zu hören! Doch sollten sie es wagen, ihm mitzutheilen, was zwischen ihnen und dem Wucherer aus Drammen vorgekommen war und wie ihre Mutter die ganze Zukunft der Familie unbedacht auf's Spiel gesetzt habe? Was würde Sylvius Hog denken, wenn er hörte, daß das Loos sich nicht mehr in Huldas Händen befand, wenn er erfuhr, daß Frau Hansen es benützt hatte, sich von ihrem unerbittlichen Gläubiger zu befreien?

Es sollte ihm dennoch nicht verhehlt bleiben. Von wem dabei das erste Wort ausging, ob von Sylvius Hog oder von Joël und Hulda, ist nicht festzustellen und hat ja auch keine weitere Bedeutung. Genug, der Professor war bald in die ganze Angelegenheit eingeweiht. Er wußte nun, in welch drückender Lage sich Frau Hansen und ihre Kinder befunden hatten. Binnen vierzehn Tagen drohte der Wucherer, sie aus dem Gasthause in Dal zu vertreiben, wenn seine Forderung nicht durch Auslieferung jenes Lotterie-Looses ausgeglichen worden wäre.

Sylvius Hog hatte diesen traurigen Bericht, den Joël in Gegenwart seiner Schwester ihm abstattete, stumm angehört.[139]

»Das Loos hätte nicht weggegeben werden dürfen, sagte er dann plötzlich. Nein, das durfte nicht geschehen!

– Konnte ich anders, Herr Sylvius? rief das junge Mädchen tief erschüttert.

– Nein... freilich... Sie konnten wohl nicht anders handeln!... Und doch... Oh, wenn ich dabei gewesen wäre!«

Und was hätte er wohl gethan, der Professor Sylvius Hog, wenn er dabei gewesen wäre? Das ließ er nicht laut werden, sondern fuhr fort:

»Ja, meine liebe Hulda, ja, Joël, Ihr habt ja eigentlich nur nach Kindespflicht gehandelt. Doch was mich ergrimmt, ist der Umstand, daß jener Sandgoïst nur den Aberglauben der Leute ausbeuten wird. Wenn man dem Loose des armen Ole eine Art übernatürlichen Werth andichtet, so wird nur er daraus Vortheil ziehen. Und doch, zu glauben, daß jene Nummer 9672 nothwendigerweise vom Schicksal besonders begünstigt sein müßte, ist lächerlich, ist geradezu thöricht! Doch, Alles in Allem, ich selbst hätte ihm das Loos bestimmt nicht überlassen. Nachdem sie Sandgoïst's Gebot abgeschlagen, hätte Hulda besser gethan, auch ihrer Mutter gegenüber auf derselben Weigerung zu beharren!«

Auf Alles, was Sylvius Hog hier sagte, vermochten die Geschwister keine Antwort zu geben. Mit Ueberlassung des Looses an ihre Mutter hatte Hulda ja nur einem kindlichen Gefühle Folge gegeben, um deswillen sie doch Niemand tadeln konnte. Das Opfer, zu dem sie sich entschlossen, war ja nicht eine Aufopferung mehr oder weniger zufälliger Gewinnaussichten, welche jenes Loos bei der Ziehung der Lotterie in Christiania haben mochte, nein, es war der Verzicht auf Erfüllung des letzten Willens Ole Kamp's, es war der Verlust des letzten Abschiedswortes von ihrem unglücklichen Verlobten.

Doch darauf war jetzt nicht mehr zurückzukommen. Sandgoïst besaß das Loos, welches ihm rechtmäßig gehörte und das er zum Verkauf stellen würde. Ein elender Wucherer sollte nun Geld schlagen aus dem rührenden Lebewohl eines Schiffbrüchigen! Nein, Sylvius Hog konnte darüber nicht hinwegkommen.

Noch an demselben Tage suchte Sylvius Hog darüber noch ein Gespräch mit Frau Hansen herbeizuführen, ein Gespräch, das an der Lage der Dinge zunächst zwar nichts ändern konnte, aber das zwischen ihnen gewissermaßen zur Nothwendigkeit geworden war. Er stand dabei übrigens einer sehr praktischnüchternen Frau gegenüber, welche ohne Zweifel mehr gesunden Menschenverstand, als tieferes Gefühl besaß.[140]

»Sie tadeln mich also, Herr Hog? fragte sie, nachdem sie den Professor ganz nach seinem Belieben hatte ausreden lassen.

– Gewiß, Frau Hansen.

– Wenn Sie mir darüber Vorwürfe machen, mich unbesonnener Weise in schlecht auslaufende Geschäfte eingelassen, des Vermögen meiner Kinder verscherzt zu haben, so gebe ich Ihnen Recht. Doch wenn Sie mir vorwerfen, so wie ich es that gehandelt zu haben, um mich zu retten, dann haben Sie Unrecht. – Was könnten Sie darauf antworten?

– Nichts.

– Im Ernst gesprochen, sollte ich das Angebot Sandgoïst's abschlagen, der doch schließlich fünfzehntausend Mark für die Abtretung eines Lotterie-Looses gezahlt hat, dessen höherer Werth ja durch gar nichts begründet ist? Ich frage Sie noch einmal, sollte ich das abschlagen?

– Ja und nein, Frau Hansen.

– Nein, hier kann's nicht ja und nein heißen, Herr Hog, sondern nur nein! Wenn in unserer Lage, die Sie ja kennen gelernt, die nächste Zukunft – ich gestehe durch meine Schuld – nicht gar so drohend erschienen wäre, gut, dann hätte ich Huldas Weigerung recht wohl begriffen. Ja, ich hätte eingesehen, daß sie sich um keinen Preis von diesem ihr von Ole Kamp zugekommenen Loose trennen wollte. Wenn es sich aber darum handelte, binnen wenig Tagen aus dem Hause gejagt zu werden, in dem mein Mann die Augen geschlossen, in dem meine Kinder das Licht der Welt erblickten, dann hätte ich das nicht verstehen können, und Sie selbst, verehrter Herr Hog, hätten an meiner Stelle nicht anders gehandelt.

– Und doch, Frau Hansen, doch!

– Und was hätten Sie gethan?

– Ich würde eher Alles versucht haben, als das Loos zu opfern, das meine Tochter gerade unter solchen Verhältnissen erhalten hatte.

– Machen diese Verhältnisse dasselbe etwa werthvoller?

– Das wissen Sie nicht und ich nicht, das weiß überhaupt Niemand.

– O, das kann man denn doch beurtheilen, Herr Hog! Auch dieses Loos ist weiter nichts, als ein Lotterie-Loos, das neunhundertneunundneunzigtausendneunhundertneunundneunzigmal zu verlieren und dagegen einmal zu gewinnen Aussicht hat. Legen Sie ihm deswegen einen besonderen Werth bei, weil es in einer aus dem Meere aufgefischten Flasche gefunden wurde?«[141]

Auf diese so gestellte Frage hatte Sylvius Hog freilich einige Mühe zu antworten. Er spielte die Sache daher wieder auf die »Gefühlsseite« hinüber und sagte:

»Der Sachverhalt ist folgender: Ole Kamp hat Hulda im Augenblicke, wo ihm der Untergang drohte, das einzige Werthobject hinterlassen, das er noch auf der Welt besaß. Er hat ihr sogar anempfohlen, am Ziehungstage mit diesem Loose, wenn es ein glücklicher Zufall ihr in die Hand spielte, in Christiania gegenwärtig zu sein, und nun hat Hulda das Loos nicht einmal mehr in der Hand!

– Wäre Ole Kamp zurückgekehrt, bemerkte dazu Frau Hansen, so würde auch er nicht gezögert haben, das Loos an Sandgoïst zu überlassen.

– Das ist wohl möglich, erwiderte Sylvius Hog, er hatte auch allein das Recht dazu. Was würden Sie ihm denn antworten, wenn er nicht todt, nicht bei einem Schiffbruche umgekommen wäre, wenn er zurückkäme... schon morgen... noch heute...

– Ole wird nicht zurückkehren, antwortete Frau Hansen mit dumpfer Stimme. Ole ist todt, Herr Hog, ist sicherlich todt!

– Das wissen Sie nicht, Frau Hansen! rief der Professor mit wirklich auffallend überzeugendem Tone. Es sind sehr umfassende Nachforschungen eingeleitet, um irgend einen Ueberlebenden von dem Schiffbruche zu finden. Diese können ja glücken, können glücken, noch bevor jene Lotterie gezogen wird. Sie haben also nicht das Recht, zu sagen, daß Ole todt sei, wenigstens nicht, bevor Beweise beigebracht worden sind, daß er bei dem Unfalle des »Viken« umgekommen ist. Wenn ich jetzt nicht mit derselben Zuversicht gegen Ihre Kinder spreche, so geschieht es, weil ich in denselben keine Hoffnungen wach rufen möchte, die ja zur schmerzlichsten Enttäuschung führen könnten. Vor Ihnen aber, Frau Hansen, spreche ich aus, was ich denke. Und daß Ole todt sei... nein, ich kann es nicht glauben... nein, ich will es nicht glauben... nein, ich glaub' es eben nicht!«

Auf dem Gebiete, nach welchem das Gespräch jetzt hinübergespielt war, konnte Frau Hansen mit dem Professor nicht mehr streiten. Die im Grunde ebenfalls etwas abergläubische Norwegerin schwieg also still und senkte den Kopf, als fürchte sie, Ole jeden Augenblick vor sich auftauchen zu sehen.

»Ueberdies, Frau Hansen, fuhr Sylvius Hog fort, hatten Sie, ehe in dieser Weise über Huldas Lotterie-Loos verfügt wurde, eine sehr einfache Sache zu thun, was Sie jedoch unterlassen haben.[142]

– Was meinen Sie damit, Herr Hog?

– Sie hätten sich erst an Ihre Freunde, an die Freunde Ihrer Familie wenden sollen; diese hätten sich gewiß nicht geweigert, Ihnen zu helfen, indem Sie sich entweder bei Sandgoïst für Sie verbürgten oder Ihnen den nothwendigen Betrag verschafften, um jenen zu befriedigen.

– Ich habe keine Freunde, die ich um einen solchen Liebesdienst hätte angehen können, Herr Hog.

– Darin dürften Sie wohl irren, Frau Hansen, denn Einen solchen kenne ich selbst, der Ihrem Wunsche ohne Zögern, schon aus herzlicher Dankbarkeit, gerne entsprochen hätte.

– Und wer wäre das?

– Sylvius Hog, der Abgeordnete des Storthing.«

Frau Hansen konnte darauf nichts erwidern und begnügte sich mit einer Verbeugung vor dem Professor.

»Doch was geschehen ist, ist leider geschehen, nahm Sylvius Hog wieder das Wort. Ich würde Ihnen also dankbar sein, Frau Hansen, wenn Sie dieses Gesprächs, auf welches zurückzukommen ja doch nutzlos wäre, gegen Ihre Kinder nicht erwähnen wollten.«

Damit gingen Beide auseinander.

Der Professor hatte seine gewöhnliche Lebensweise wieder aufgenommen und seine täglichen Spaziergänge wieder begonnen. Während weniger Tage besuchte er mit Joël und Hulda die Umgebung von Dal, ohne dabei jemals zu weit zu wandern, um das junge Mädchen nicht zu übermüden. Ins Zimmer zurückgekehrt, beschäftigte er sich mit seinem stets sehr umfassenden Briefwechsel und sendete ein Schreiben nach dem anderen nach Bergen oder nach Christiania.

Er bemühte sich, den Eifer aller Derjenigen noch weiter anzufeuern, die jetzt den menschenfreundlichen Versuch der Nachforschung nach dem verschollenen »Viken« unternahmen. Sein ganzes Leben ging auf in dem einen Gedanken, Ole zu finden, nur Ole wieder aufzufinden.

Er hielt es auch für nothwendig, noch einmal für vierundzwanzig Stunden nach auswärts zu gehen, gewiß aus einem Grunde, der mit jener, die Familie Hansen so nahe berührenden Angelegenheit in innigem Zusammenhange stand; er bewahrte jedoch wie immer das strengste Stillschweigen über das, was er darin that oder thun ließ.[143]

Die Gesundheit der so schwer geprüften Hulda machte nur sehr langsam einige Fortschritte. Das arme Mädchen lebte nur noch von der Erinnerung an Ole, aber die Hoffnung, welche sich zuerst noch mit dieser Erinnerung verband, wurde von Tag zu Tag schwächer. Und doch sah sie neben sich die beiden Wesen, welche sie auf der Welt am meisten liebte, und Einer derselben unterließ es niemals, ihr Muth zuzusprechen. Doch genügte das schon allein? Galt es nicht auch, sie um jeden Preis zu zerstreuen? Wie sollte man sie aber von den Gedanken, welche ihre ganze Seele erfüllten, ablenken, von den Gedanken, die sie wie mit Eisenketten an den Schiffbrüchigen vom »Viken« schmiedeten?

So kam der 12. Juli heran.

Binnen vier Tagen sollte die Lotterie der Schulen von Christiania gezogen werden.

Selbstverständlich war die von Sandgoïst in die Hand genommene Speculation inzwischen zu allgemeiner Kenntniß gekommen.

Auf sein Betreiben und im bezahlten Auftrage des Wucherers hatten die Tagesblätter die Anzeige gebracht, daß das »berühmte, vom Himmel gesendete Loos« mit der Nummer 9672 sich jetzt im Besitze des Herrn Sandgoïst in Drammen befinde, der es zum Verkauf stelle und dem Meistbietenden überlassen wolle; daß Herr Sandgoïst Besitzer dieses Lotterie-Looses sei, komme daher, daß er es um einen hohen Preis von Hulda Hansen in Dal erstanden habe.

Man begreift, daß solche Anzeigen das junge Mädchen in der öffentlichen Achtung herabsetzen mußten. Wie? Jene Hulda hatte sich, bestochen durch einen hohen Preis, verleiten lassen, das Loos des Schiffbrüchigen, das Loos Ole Kamp's, ihres Verlobten, zu verkaufen! Sie hatte – Geld geschlagen aus diesem letzten Andenken!

Eine bald darauf im Morgenblad erscheinende Notiz belehrte dessen Leser jedoch rechtzeitig über den Hergang der Sache. Man erfuhr dadurch die niedrige Handlungsweise jenes Sandgoïst und die eigentliche Ursache, warum das Loos sich jetzt in seinen Händen befinde. Damit verfiel aber der Wucherer von Drammen der allgemeinen Verachtung, dieser herzlose Gläubiger, der sich nicht gescheut hatte, die unglückliche Zwangslage der Familie Hansen zu seinem Vortheile auszubeuten.


 »Sie hätten sich erst an Ihre Freunde wenden sollen.« (S. 143.)
»Sie hätten sich erst an Ihre Freunde wenden sollen.« (S. 143.)

Das hatte aber die sofort zu Tage tretende Folge, daß – wie nach allgemeiner Verabredung – die Angebote, welche auf das Loos gemacht wurden, so lange Hulda dasselbe noch besaß, gänzlich ausblieben, seit es sich in den Händen des neuen Eigenthümers befand. Es schien, als ob jenes Loosden ihm früher beigelegten außerordentlichen Werth gänzlich verloren habe, nachdem dieser Sandgoïst es durch seine Berührung besudelt hatte. Sandgoïst hatte mit seiner Speculation also ein sehr verunglücktes Geschäft gemacht, und die berühmte Nummer drohte ihm für eigene Rechnung liegen bleiben zu sollen

Es versteht sich von selbst, daß weder Hulda noch Joël von den umlaufenden Gerüchten etwas erfuhren. Und das war ein Glück zu nennen. Wie peinlich wäre es für sie gewesen, sich in die Angelegenheit eingemischt zu wissen, die unter den Händen des Wucherers zu einem feilen Geschäft herabgedrückt worden war.

Am 12. Juli gegen Abend traf wieder ein an den Professor gerichteter Brief ein.

Dieses vom Seeamte ausgegangene Schreiben enthielt noch ein anderes, das aus Christiansand, einem kleinen Hafen nahe dem Eingange zum Meerbusen von Christiania, eingelaufen war. Ohne Zweifel erfuhr Sylvius Hog dadurch auch nichts besonders Neues, denn er zerknitterte es in seiner Tasche und erwähnte desselben weder gegen Joël, noch gegen dessen Schwester.

Nur als er sich, ihnen gute Nacht wünschend, schon nach seinem Zimmer zurückziehen wollte, sagte er zu ihnen:

»Ihr wißt wohl, liebe Kinder, daß die Ziehung der Lotterie binnen drei Tagen vor sich gehen wird. Habt Ihr nicht die Absicht, derselben beizuwohnen?

– Wozu sollte das nützen. Herr Sylvius? fragte Hulda

– Nun, meinte der Professor, Ole hat doch gewünscht, daß seine Verlobte dabei anwesend sei. In den letzten, von ihm geschriebenen Zeilen hat er ihr das noch anempfohlen, und ich denke, man müsse den letzten Willen Oles achten und ihm nachkommen.

– Aber Hulda besitzt ja das Loos nicht mehr, warf Joël ein, und wer weiß, in wessen Händen es sich jetzt befindet.

– Das ändert an der Sache nichts, entgegnete Sylvius Hog. Ich lade Euch also Beide ein, mich nach Christiania zu begleiten.

– Sie wünschten es also, Herr Sylvius? erwiderte das junge Mädchen.

– Ich nicht allein, liebe Hulda, Ole wünscht es, und dem müßt Ihr wohl gehorchen.

– Liebe Schwester, Herr Sylvius hat ganz Recht, erklärte jetzt Joël; ja, es ist sogar unsere Pflicht. – Wann denken Sie abzufahren, Herr Sylvius?

– Morgen mit Tagesanbruch, und der heilige Olaf sei unser Schirm und Hort!«[147]

Quelle:
Jules Verne: Ein Lotterie-Los. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LI, Wien, Pest, Leipzig 1888, S. 138-145,147-148.
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