Drittes Capitel.
Die Bewohner der schwimmenden Stadt. – Hauptmann Mac Elwin.

[16] Der Great-Eastern schickte sich zur Abfahrt an; der Rauch begann spiralförmig seinen fünf Schornsteinen zu entströmen, ein heißer Brodem durchzog die tiefen Räume, welche unmittelbar zu den Maschinen führten; einige Matrosen putzten an den vier mächtigen Kanonen, mit denen wir Liverpool im Vorbeifahren salutiren sollten, und die Matrosen gingen auf den Raaen einher und machten Tauwerk frei. Man zog die Wanten straff auf ihren dichten, an das Innere der Verschanzungen angehakten Jungfern, und gegen elf Uhr schlugen endlich die Tapezierer den letzten Nagel ein, und die Maler waren mit dem Anstrich fertig. Dann begaben sich die Handwerker auf das Lichterschiff, um auf ihm wieder zur Stadt zurückzukehren.

Sobald genügender Druck vorhanden, wurde der Dampf in die Cylinder der das Steuerruder bewegenden Maschine gelassen, und die Maschinenbauer constatirten, daß der sinnreiche Apparat regelmäßig arbeite.

Das Wetter war ziemlich gut; die Sonne brach hie und da in mächtigen Streiflichtern durch die Wolken. Auf dem Meere mußte heute eine kräftige Brise wehen; ein Umstand, der den Great-Eastern glücklicherweise nur wenig zu kümmern brauchte.

Alle Officiere waren an Bord und auf die verschiedenen Punkte des Schiffes vertheilt, um das Lichten der Anker vorzubereiten. Das Officiercorps bestand aus einem Kapitän, dem Obersteuermann, zwei Untersteuermännern, aus fünf Lieutenants, von denen einer, M. H ..., ein Franzose war, und einem Freiwilligen, gleichfalls Franzosen.

Kapitän Anderson genießt als Seemann im englischen Handelsverkehr einen großen Ruf; ihm hat man auch die Legung des transatlantischen Kabels zu danken, wenn man hiebei auch in Erwägung ziehen muß, daß er unter bei Weitem günstigeren Verhältnissen, als seine Vorgänger, das Unternehmen antrat, da ihm der Great-Eastern zur Verfügung stand. Wie dem jedoch sein möge, sein Erfolg in dieser Operation hat ihm den Titel »Sir« eingebracht, der ihm nach seiner Rückkehr von Ihrer Majestät der Königin verliehen wurde.[16]

Ich fand in Kapitän Anderson einen sehr liebenswürdigen Befehlshaber. Es war ein Mann von etwa fünfzig Jahren mit einem Haarwuchs von fahlblonder Farbe, die den Vorzug hat, ihre Nüance bis in's hohe Alter nicht zu verändern; seine Gestalt war hoch und kräftig, sein Gesicht breit, ruhig und lächelnd von durchaus englischem Schnitt; er pflegte ruhig und gleichmäßig, mit blinzelndem Auge einherzuschreiten und mit sanft gedämpfter Stimme seine Befehle zu ertheilen. Immer elegant in einen mit dreifachen,[17] goldenen Treffen besetzten Ueberrock gekleidet, machte er sich nie des Vergehens schuldig, mit den übrigens jederzeit sein behandschuhten Händen in den Taschen umherzuschlendern.


Vom Lichterschiff auf den Great Eastern. (S. 19.)
Vom Lichterschiff auf den Great Eastern. (S. 19.)

Als besonderes Kennzeichen mag noch erwähnt werden, daß stets ein Zipfelchen seines weißen Taschentuches aus dem blauen Rocke hervorlugte.

Zu Kapitän Anderson bildete der Obersteuermann einen eigenthümlichen Contrast. Man denke sich ein kleines, lebhaftes Männchen mit auffallend gebräunter Hautfarbe, etwas gerötheteten Augen, schwarzem Vollbart und bedenklich einwärts gekrümmten Beinen, die allen Ueberraschungen des Rollens Trotz boten. Ein thätiger, in allen Einzelheiten wohl bewanderter Seemann, gab er rasch mit abgebrochener Stimme seine Befehle, die der Bootsmann dann mit dem heiseren Löwengebrüll wiederholte, das der englischen Marine erb- und eigenthümlich ist. Ich hielt diesen Obersteuermann Namens W ..... für einen Marine-Officier, der sich besonderer Erlaubniß zufolge an Bord des Great-Eastern befand, er war durch und durch, was man »einen alten Seebären« nennt, und stammte jedenfalls aus der Schule jenes heldenmüthigen französischen Admirals, der seinen Leuten beim Kampfe zurief: »Jungens, aufgepaßt! Ihr wißt, daß ich mein Schiff in die Luft zu sprengen pflege!«

Von diesem Officiercorps abgesehen, standen die Maschinen unter dem Commando des Oberingenieurs, der von acht bis zehn Maschineningenieuren unterstützt wurde. Unter seinem Befehle manoeuvrirte ein Bataillon von zweihundertundfünfzig Mann, unter ihnen Assistenten, Oberheizer, Heizer und Kohlenzieher, welche die Tiefen und Abgründe des Schiffes fast nie verließen.

Dieses Bataillon hatte die Aufgabe, die Feuer der zehn Kessel – ein jeder hatte zehn Feuerungen – also im Ganzen hundert Feuer zu beaufsichtigen und zu unterhalten.

Die eigentliche sogenannte Bemannung des Schiffes, wie Proviantmeister, Zahlmeister, Untersteuermänner, Bootsmänner, Matrosen, Schiffsjungen u.s.w, umfaßte etwa hundert Mann, natürlich exclusive der zweihundert Stewards, die zur Bedienung der Passagiere engagirt waren.

Jeder befand sich jetzt auf seinem Posten; der Lootse, welcher den Great-Eastern aus dem Fahrwasser der Mersey herausbringen sollte, war bereits seit dem vorigen Abende an Bord. Außer ihm bemerkte ich noch einen französischen Lootsen von der Insel Molène bei Quessant, der mit[18] uns von Liverpool nach New-York fahren und bei der Rückkehr das Dampfschiff in die Rhede von Brest einlootsen sollte.

»Ich beginne nach und nach daran zu glauben, daß wir heute noch abfahren werden, bemerkte ich gegen den Lieutenant H ...

– Wir warten nur noch auf unsere Passagiere, antwortete dieser.

– Ist ihre Zahl bedeutend?

– Zwölf bis dreizehnhundert, immerhin die Bevölkerung eines großen Marktfleckens.«

Um halb zwölf Uhr signalisirte man das Lichterschiff, welches, über und über mit Passagieren beladen, herankam. In den Cajüten eingepfercht, auf den Stegen lehnend, auf Bergen von Collis thronend, auf dem Radkasten ausgestreckt, kamen sie näher und boten unseren Blicken ein buntes Bild wirren Durcheinanders. Es befanden sich, wie ich später erfuhr, unter ihnen Californier, Canadier, Yankees, Peruaner, Südamerikaner, Engländer, Deutsche und zwei oder drei Franzosen. Unter ihnen zeichneten sich aus der berühmte Cyrus Field aus New-York, der sehr ehrenwerthe John Rose aus Canada, der sehr ehrenwerthe Mac Alpine aus New-York, Herr und Frau Alfred Cohen aus San Francisco, Herr und Frau Whitney aus Mont-Réal und der Kapitän Mac Ph ... nebst Gemahlin. Unter den Franzosen befand sich der Gründer der Société des Affréteurs du Great-Eastern, Herr Jules D. als Vertreter der Telegraph construction and maintenance Company, die zu dem Geschäft eine Beisteuer von 20,000 Pfund geliefert hatte.

Das Lichterschiff legte am Fuß der Steuerbordtreppe an, und nun begann der Act des Umsteigens von dem Lichterschiff auf den Great-Eastern, der sich jedoch so ruhig und ohne alle Hast vollzog, wie dies der Fall ist bei Leuten, die einen kleinen Umzug in ihrem eigenen Hause vornehmen. Franzosen hätten unter diesen Umständen jedenfalls geglaubt, sie müßten die Treppe wie im Sturm nehmen und sich hiebei wie richtige Zuaven geberden.

Sobald ein Passagier den Fuß auf Deck des Great-Eastern gesetzt hatte, war seine erste Sorge, in die Speisesäle hinabzusteigen und hier einen Platz zu belegen, indem er ihn mit seiner Karte oder sonst einem Stückchen Papier mit darauf gekritzeltem Namen bezeichnete. Da gerade jetzt ein Gabelfrühstück aufgetragen wurde, hatten sich in wenigen Augenblicken die Reisenden um die Tische niedergelassen und lieferten den Beweis, daß die Angelsachsen es[19] aus dem Grunde verstehen, die Langeweile einer Seefahrt mit guter Klinge zu bekämpfen.

Was mich betrifft, so war ich auf dem Verdeck geblieben, um allen Einzelheiten der Aus- und Einschiffung folgen zu können. Um halb ein Uhr war das Gepäck endlich an Bord geschafft, und Tausende von Collis aller denkbaren Größen und Formen lagen rings umher aufgethürmt. Hier Kisten von der Größe eines Eisenbahnwaggons, die vollständige Meublements enthalten konnten, dort kleine zierliche Reisepäckchen, Säcke mit den wunderlichsten Zipfeln und Ecken, und dann wieder die so leicht an ihrer luxuriösen Sattlerarbeit kenntlichen Koffer und Köfferchen mit blanken Schnallen, glänzenden Kupferplatten und soliden Leinwandbezügen, von denen sich zwei oder drei große Initialen von weißem Metall abhoben. Bald war dieses ganze Chaos in den Magazinen, oder vielmehr in den Ausladestellen des Zwischendecks geordnet und untergebracht, und die Arbeiter und Träger stiegen wieder auf den Dampfer zurück, der unterdessen mit seinem schmutzigen Rauch die Beschläge und Schilder des Great-Eastern geschwärzt hatte.

Ich wandte mich, um jetzt nach dem Vordertheil zurückzukehren, stand aber gleich darauf überrascht still, denn ich sah plötzlich denselben jungen Mann vor mir, der mir bereits auf dem Kai von New-Prince aufgefallen war.

»Fabian! Du hier? rief ich überrascht.

– Ich bin's, mein lieber Freund.

– So habe ich mich also nicht getäuscht, ich glaubte, Dich vor einigen Tagen bei der Abfahrt am Ufer zu erkennen.

– Wohl möglich, antwortete er, ich habe Dich nicht bemerkt.

– Und Du willst nach Amerika?

– Gewiß! kann man einen mehrmonatlichen Urlaub besser benutzen, als sich die Welt anzusehen?

– Welch' glücklicher Zufall, daß auch Du den Great-Eastern zu Deiner Reise gewählt hast!

– Es ist dies kein Zufall, Kamerad; ich hatte aus der Zeitung ersehen, daß Du Dich auf dem Great- Eastern einschiffen würdest, und da wir seit mehreren Jahren nicht zusammengekommen sind, habe ich mich gleichfalls an Bord begeben, um die Reise in Deiner Gesellschaft zu machen.

– Du kommst direct von Indien?[20]

– Mit dem Godavery, der mich vorgestern nach Liverpool gebracht hat.

– Und Du reisest, Fabian? ..... fragte ich von Neuem, den schwermüthigen Ausdruck seines bleichen, traurigen Gesichts bemerkend.

– Um mich zu zerstreuen, wenn dies überhaupt möglich ist,« antwortete der Hauptmann Fabian Mac Elwin, und reichte mir mit trübem Blick die Hand.

Quelle:
Jules Verne: Eine schwimmende Stadt. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XIX, Wien, Pest, Leipzig 1877, S. 16-21.
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