Achtes Capitel.
Die letzte Sclavin.

[99] Noch am nämlichen Abend setzte James Burbank die Seinigen in Kenntniß von dem, was im Courte-Justice vorgegangen war. Er enthüllte ihnen das gehässige Auftreten Texar's. Nur auf Drängen dieses Mannes und der Pöbelmengen von Jacksonville war seine Vorladung dahin erfolgt. Die Haltung der Behörden in dieser für sie recht mißlichen Angelegenheit verdiente[99] dagegen alles Lob. Auf die Beschuldigung seines Einvernehmens mit den Föderirten hatten sie nur mit der Forderung von Beweisen, welche dieselbe stützen konnte, geantwortet. Da Texar diese Beweise nicht vorzulegen vermochte, war James Burbank frei ausgegangen.

Bei Gelegenheit jener haltlosen Beschuldigungen war jedoch auch der Name Gilberts mit gefallen. Im Allgemeinen schienen auch Fernerstehende nicht daran zu zweifeln, daß der junge Mann sich unter den Truppen des Nordens befand, und James Burbank's Weigerung, auf diese Nebenfrage einzugehen, mußte ja einem halben Zugeständnisse seinerseits gleichkommen.

Es ist also begreiflich, welche Furcht und Angst sowohl Frau Burbank und Miß Alice, wie überhaupt die ganze, so schwer bedrohte Familie peinigte, denn wie leicht konnten sich die Tollköpfe von Jacksonville für den ihnen nicht erreichbaren Sohn an dessen Vater halten. Von Texar lief es ohne Zweifel mehr auf Prahlerei hinaus, wenn er versprach, zur Erhärtung jener Behauptung binnen wenigen Tagen Beweise zur Stelle zu schaffen. Andrerseits war doch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß ihm das irgendwie gelang, und dann gestaltete sich die Lage allerdings höchst bedenklich.

»Mein armer Gilbert! seufzte Frau Burbank. Ihn so in der Nähe Texar's zu wissen, der zur Erreichung seines Zieles gewiß vor nichts zurückschreckt!

– Sollten wir ihm über die Vorgänge in Jacksonville nicht eine Mittheilung zugehen lassen können? schlug Miß Alice vor.

– Ja, setzte Mr. Stannard hinzu. Wäre es nicht wenigstens angezeigt, ihn wissen zu lassen, daß jede Unklugheit von seiner Seite für seine Angehörigen wie für ihn selbst die schlimmsten Folgen haben müsse?

– Wie sollten wir ihn aber benachrichtigen? warf James Burbank ein. Es ist nur zu wahrscheinlich, daß Camdleß-Bay unablässig von Spionen belauert wird. Schon der Bote, den uns Gilbert gesandt hatte, ist bei seiner Rückkehr beobachtet und verfolgt worden. Jeder Brief, den wir etwa schrieben, könnte Texar in die Hände fallen; jeder Mann, den wir mit einer mündlichen Nachricht absendeten, könnte unterwegs abgefangen werden. Nein, liebe Freunde, unternehmen wir nichts, was die ohnehin schwierige Lage noch verschlimmern könnte, und gebe der Himmel, daß die föderalistische Armee nicht zögert, Florida zu besetzen. Es ist die höchste Zeit für die Minderzahl ehrbarer Leute, welche sich von der großen Mehrzahl von Schurken bedroht sieht.«[100]

James Burbank hatte ganz recht. Bei der Ueberwachung, welche jedenfalls rings um seine Pflanzung stattfand, wäre es sehr unklug gewesen, einen Briefwechsel mit Gilbert zu versuchen. Uebrigens nahte ja der ersehnte Augenblick, wo James Burbank und die hiesigen Anhänger der Nordstaaten unter dem Schutze der föderirten Armee wieder Sicherheit finden mußten.

Am folgenden Tage schon sollte Commodore Dupont von der Rhede von Edisto aus unter Segel gehen. Vor Ablauf von drei Tagen durfte man also der Nachricht entgegensehen, daß die Flotte, nachdem sie längs der Küste von Georgia herabgefahren, in der Bai von Saint-Andrews erschienen sei.

James Burbank schilderte dann den ernsten Zwischenfall, zu dem es vor dem Richterstuhle in Jacksonville gekommen war. Er setzte auseinander, wie er auf die ihm von Texar bezüglich seiner Haltung gegenüber den Sclaven von Camdleß-Bay ins Gesicht geschleuderte Herausforderung habe antworten müssen. Pochend auf sein Recht und seinem Gewissen nachgebend, habe er ganz öffentlich die Absicht einer sofortigen Freilassung der Sclaven seiner Besitzung angekündigt. Was noch keiner der südlichen Staaten zu verkündigen gewagt, ohne durch die Entscheidung der Waffen dazu genöthigt gewesen zu sein, das hatte er freiwillig und auf eigene Eingebung hin gethan.

Gewiß eine ebenso kühne als edelmüthige Erklärung. Welche Folgen dieselbe haben werde, ließ sich zunächst nicht voraussehen. Jedenfalls war jene nicht derart, um die Lage James Burbank's inmitten eines ausgesprochenen Sclavenstaates minder bedrohlich zu gestalten. Vielleicht konnte sie gewisse Anzeichen schon unter der Oberfläche liegender Empörungen unter den Sclaven der anderen Pflanzungen hervorrufen. Immerhin! Die Familie Burbank billigte, ergriffen von der Hochsinnigkeit dieser Handlungsweise, ohne Rückhalt, was deren Oberhaupt gethan hatte.

»James, ließ Frau Burbank sich vernehmen, was auch daraus folgen möge, Du hast ganz recht gethan, die gehässige Nachrede, welche jener Texar gemein genug war, Dir unter die Augen zu sagen, in dieser Weise zu entkräften.

– Wir sind stolz auf Dich, Vater, setzte Miß Alice hinzu, die Mr. Burbank hier zum ersten Male diesen Namen gab.

– Und, meine liebe Tochter, antwortete James Burbank, wenn Gilbert und die Föderirten in Florida eindringen, so werden sie keinen einzigen Sclaven mehr auf Camdleß-Bay vorfinden.[101]

– Ich danke Ihnen, Herr Burbank, sagte da Zermah, ich danke Ihnen im eigenen Namen und im dem meiner Genossen. Was mich betrifft, so habe ich mich bei Ihnen freilich niemals als Sclavin gefühlt. Ihre Güte, Ihr Edelmuth hatten mich schon ebenso frei gemacht, wie ich es heute bin.

– Du hast Recht, Zermah, antwortete Frau Burbank. Sclavin oder Freigelassene, wir werden Dich deshalb nicht minder lieb behalten.«

Zermah hatte vergeblich versucht, ihre innere Erregung zu bemeistern. Sie nahm die kleine Dy in die Arme und preßte sie an ihre Brust.

Die Herren Carrol und Stannard hatten James Burbank's Hand mit größter Wärme gedrückt, das sagte diesem, daß sie ihm beistimmten und seine ebenso kühne als gerechte Handlungsweise gern anerkannten.

Unter dem Eindrucke dieses Edelmuthes kann es nicht wundernehmen, daß die Familie Burbank einstweilen völlig vergaß, wie die Handlungsweise James Burbank's in Zukunft doch manche Ungelegenheit herbeiführen könnte.

Auf Camdleß-Bay dachte aber gewiß Niemand daran, James Burbank deshalb zu tadeln, außer jeden falls der Inspector Perry, wenn er von dem erfuhr, was sich inzwischen zugetragen hatte. Dieser befand sich jedoch gerade auf einer Rundfahrt durch die Ansiedlung und konnte vor Einbruch der Nacht nicht zurückkehren.

Es war jetzt schon spät geworden. Man trennte sich; James Burbank meldete aber zuvor noch, daß er am folgenden Morgen seinen Sclaven deren Freilassungsschein einhändigen würde.

»Wir werden bei Dir sein, James, antwortete Frau Burbank, wenn Du sie für frei erklärst.

– Ja, Alle! setzte Edward Carrol hinzu.

– Und ich auch, Vater? fragte die kleine Dy.

– Ja, Du auch, mein Herz, Du auch.

– Meine gute Zermah, wandte sich das Kind an diese, wirst Du nachher von uns fortgehen?

– Nein, mein Kind, antwortete Zermah, nein; Dich verlaß ich nimmermehr!«

Jeder zog sich dann, nachdem die gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln zur Sicherheit des Castle-House getroffen waren, nach seinem Zimmer zurück.

Am anderen Morgen war die erste Person, welche James Burbank in dem das Wohnhaus umgebenden Parke antraf, gerade Mr. Perry. Da das Geheimniß streng gewahrt worden war, wußte der Verwalter noch von nichts;[102] er vernahm es jedoch alsbald aus dem Munde James Burbank's selbst, der die grenzenlose Verblüffung des Mr. Perry schon vorauszusehen schien

»O, Herr Burbank!... Herr Burbank!«

Der würdige Mann war so außer Fassung gebracht, daß er keine Erwiderung fand.

»Die Sache kann Sie doch eigentlich nicht überraschen, Perry, fuhr James Burbank fort. Ich bin den Ereignissen einfach zuvorgekommen. Sie wissen ja, daß die Freilassung der Sclaven eine Maßregel ist, die sich jedem auf seine Würde haltenden Staate unbedingt aufnöthigt.

– Auf seine Würde, Herr Burbank! Was hat hiermit denn die Würde des Staatswesens zu thun?

– Sie haben von dem Worte Würde keine rechte Vorstellung, Perry. Nun, dann jedem auf seine Interessen achtenden Staat.

– Seine Interessen... seine Interessen, Herr Burbank! Sie wagen zu sagen, seine Interessen?

– Ja gewiß, und die kommende Zeit wird Ihnen gar nicht lange den Beweis dafür schuldig bleiben, lieber Perry.

– Wo soll man dann aber das nöthige Personal für die Pflanzungen hernehmen, Herr Burbank?

– Immer aus dem Volk der Schwarzen, Perry.

– Doch wenn die Schwarzen vom Zwange dieser Arbeit befreit sind, werden sie nicht mehr arbeiten wollen.

– Im Gegentheil, sie werden arbeiten, ja sogar mit größerem Eifer, weil es freiwillig geschieht, und mit mehr Vergnügen, weil ihre Lage eine bessere sein wird.

– Aber Ihre Leute, Herr Burbank?... Ihre Leute werden Sie baldigst verlassen!

– Es sollte mich sehr wundern, lieber Perry, wenn es einen Einzigen darunter gäbe, der einen Gedanken daran hätte.

– Dann bin ich aber nicht mehr der Oberaufseher der Sclaven von Camdleß-Bay.

– Nein, doch nach wie vor der erste Verwalter auf Camdleß-Bay, und ich meine nicht, daß Ihre Stellung eine geringerwerthige geworden sei, wenn Sie fortan freien Männern und nicht mehr Sclaven zu befehlen haben.

– Aber...[103]

– Lassen Sie sich im Voraus gesagt sein, lieber Perry, daß ich auf alle ihre »Aber« eine Antwort bereit habe. Söhnen Sie sich also mit einer Maßnahme aus, die doch früher oder später getroffen werden mußte, und welche meine eigene Familie, vergessen Sie das nicht, herzlich willkommen geheißen hat.

– Und unsere Schwarzen wissen nichts davon?

– Bis jetzt noch nichts, antwortete James Burbank; ich ersuche Sie auch, Perry, gegen dieselben nicht darüber zu sprechen. Sie werden noch heute Alles selbst erfahren. Rufen Sie die Leute für heute Nachmittag drei Uhr in den Park des Castle-House zusammen, indem Sie sich begnügen zu melden, daß ich denselben eine Mittheilung zu machen habe.«

Darauf zog sich der Verwalter mit dem unverblümtesten Ausdruck des Erstaunens zurück und wiederholte öfter für sich:

»Schwarze, welche keine Sclaven sind! Schwarze, die für eigene Rechnung arbeiten sollen! Schwarze, die sich ihre Bedürfnisse selbst beschaffen müssen! Damit ist jede gesellschaftliche Ordnung auf den Kopf gestellt! Das ist der Umsturz der menschlichen Gesetze! Das ist gegen die Natur! Ja, gegen die Natur!«

Während des Morgens besuchten James Burbank, Walter Stannard und Edward Carrol in einem leichten Preschwagen einen Theil der Pflanzungen an der nördlichen Grenze. Die Sclaven waren bei ihrer gewohnten Arbeit in den Reisplantagen, den Kaffee- und Zuckerrohrfeldern. Dieselbe Regsamkeit herrschte in den Werkstätten und in den Sägemühlen. Das Geheimniß war wohl bewahrt geblieben. Zwischen Jacksonville und Camdleß-Bay hatten sie noch keine Verbindungen anknüpfen können. Gerade Diejenigen, welche es in erster Linie anging, wußten von dem Vorhaben James Burbank's noch nicht das Geringste.

Da sie einmal durch die, vielleicht gefährdetsten Theile der Pflanzung kamen, wollten James Burbank und seine Freunde sich versichern, daß sich an den Grenzen des weitausgedehnten Gebietes nichts Verdächtiges zeige. Nach der Erklärung vom Vortage lag die Befürchtung nahe, daß ein Theil des Pöbels von Jacksonville oder vom benachbarten Lande nicht übel Lust bekommen haben könnte, sich auf Camdleß-Bay zu stürzen. Diese Befürchtung erwies sich als unbegründet. Weder von dieser Seite des Flusses noch von dem Wasserlaufe des Saint-John selbst wurden verdächtige Gestalten gemeldet. Der[104] »Shannon«, der gegen zehn Uhr Morgens gerade stromaufwärts fuhr, hielt nicht an der kleinen Landungsbrücke des Hafens, sondern setzte seinen Weg nach Picolata fort. Weder von oberhalb noch von unterhalb des Flusses war also für die Insassen des Castle-House etwas zu fürchten.

Ein wenig vor Mittag überschritten James Burbank, Walter Stannard und Edward Carrol wieder die Brücke der Umzäunung und betraten das Wohnhaus. Die ganze Familie erwartete sie zum Frühstück. Alle schienen mehr beruhigt und plauderten in zwangloser Weise. Es sah fast aus, als sei bezüglich[105] der Gesammtlage eine gewisse Entspannung eingetreten. Ohne Zweifel hatte die Entschlossenheit der Behörde von Jacksonville den Hitzigsten von Texar's Partei doch einige Achtung abgenöthigt; und wenn dieser Zustand der Dinge nur noch einige Tage anhielt, mußte die föderirte Armee Florida ja besetzt und unter ihrer Gewalt haben. Die Gegner der Sclaverei, ob solche aus dem Norden oder aus dem Süden, waren dann in Sicherheit.


Der Verwalter zupfte ihn an den Ohren. (S. 107.)
Der Verwalter zupfte ihn an den Ohren. (S. 107.)

James Burbank konnte also zu der Ceremonie der Freilassung schreiten – zur ersten dieser Art, welche in einem Sclavenstaate vorgenommen wurde.

Derjenige von allen Schwarzen der Ansiedlung, der voraussichtlich die größte Befriedigung darüber empfinden würde, war ein Bursche von zwanzig Jahren, Namens Pygmalion, der gewöhnlich nur Pyg genannt wurde. In dem Hause der eigentlichen Dienstleute des Castle-House beschäftigt, wohnte genannter Pyg auch in demselben. Er arbeitete weder in den Feldern noch in den Werkstätten oder auf den Zimmerplätzen von Camdleß-Bay. Wir müssen hier vorausschicken, daß Pygmalion nur ein lächerlicher, eitler und ziemlich träger junger Mann war, dem seine Herren Vieles aus Gutmüthigkeit so hingehen ließen. Seitdem die Sclavenfrage zur brennenden Frage geworden, mußte man ihn nur seine großmäuligen Phrasen über die menschliche Freiheit vortragen hören. Vorzüglich seine Stammesgenossen belästigte er bei jeder Gelegenheit mit seinen Flunkereien, wenn diese auch nur darüber lachten. Er setzte sich auf's hohe Pferd, wie man sagt, er, den jeder Esel schon abgesattelt hätte. Da er aber im Grunde nicht bösartiger Natur war, so ließ man ihn nach Herzenslust sich heiser reden.

Man erkennt schon, welcherlei Verhandlung er mit dem Verwalter Perry haben mußte, wenn dieser in der Laune war, ihn anzuhören, und man kann sich wohl vorstellen, wie er diesen Freilassungsact aufnahm, der ihm seine »Menschenwürde« wieder geben sollte.

Heute wurde den Schwarzen also gemeldet, daß sie sich in dem reservirten Park des Castle-House zu versammeln hätten; dort wollte ihnen der Besitzer von Camdleß-Bay eine wichtige Mittheilung machen.

Ein wenig vor vier Uhr – der für die Versammlung festgesetzten Stunde – hatte sich das ganze Personal, das übrigens aus den Baracken kam, vor dem Castle-House anzusammeln begonnen. Die wackeren Leute waren nach dem Mittagessen gar nicht wieder nach den Werkstätten, noch in die Felder oder nach den Stellen, wo Bäume gefällt wurden, zurückgekehrt. Sie hatten etwas[106] Toilette machen und die Arbeitsanzüge gegen den Sonntagsstaat vertauschen wollen, wie das übrigens von jeher Sitte war, wenn sie innerhalb der Umzäunung etwas zu schaffen hatten. Es herrschte jetzt überall reges Leben und schnelles Hinundherlaufen von Hütte zu Hütte, während der Verwalter Perry, für sich in den Bart murmelnd, von einer Baracke zur anderen schritt.

»Wenn ich bedenke, brummte er, daß man diese Schwarzen noch in der jetzigen Stunde mit vollkommenem Recht verkaufen könnte, da sie vorläufig doch nichts anderes als eine Waare sind!

Nach Ablauf einer Stunde würde es nicht mehr zulässig sein, sie zu kaufen oder zu verkaufen! Ja, ich bleibe dabei, so lange ich noch einen Athemzug habe, der Herr Burbank mag nun reden und thun was er will, nach ihm der Präsident Lincoln und nach diesem alle Föderirten des Nordens und alle Freisinnigen beider Welten – es ist doch gegen die Natur!«

In demselben Augenblicke befand sich Pygmalion, der auch noch nichts wußte, gerade ganz nahe bei dem Verwalter.

»Warum wurden wir zusammengerufen, Herr Perry? fragte Pygmalion. Wären Sie so freundlich, es mir zu sagen?

– Ja, Du Dummkopf, es geschah, um Dich...«

Der Verwalter hielt inne, da er das Geheimniß ja nicht verrathen wollte. Da kam ihm noch ein Gedanke.

»Tritt noch näher, Pygmalion,« sagte er.

Pygmalion folgte der Aufforderung.

»Ich zupfe Dich zuweilen an den Ohren, mein Junge, nicht wahr?

– Ja, leider, Herr Perry, weil das – entgegen aller menschlichen und göttlichen Gerechtigkeit – einmal Ihr Recht ist.

– Richtig, und weil das mein Recht ist, werd' ich mir gestatten, davon noch einmal Gebrauch zu machen.«

Und ohne auf das Wehgeschrei Pygmalion's zu achten und übrigens auch, ohne ihm besonders hart mitzuspielen, zerrte er diesen noch einmal an den Ohren, die schon eine recht anständige Länge hatten. Wahrlich, es schien dem Verwalter eine Herzenserleichterung zu sein, zum letzten Male eines seiner Rechte bei einem Sclaven der Pflanzung geltend gemacht zu haben.

Um vier Uhr erschienen James Burbank und die Seinigen auf dem erhöhten Vorplatz des Castle-House. Innerhalb der Umzäunung standen siebenhundert Sclaven – Männer, Frauen und Kinder – in Gruppen beisammen,[107] selbst einige zwanzig solcher alten Schwarzen, welche, als sie zur Arbeit untauglich geworden waren, in den Baracken von Camdleß-Bay eine sichere Zuflucht für ihre alten Tage fanden.

Sofort wurde es ringsum tief still. Auf einen Wink James Burbank's ließen Perry und die Unterverwalter das Personal näher herantreten, damit Jeder die ihnen zu eröffnende Mittheilung deutlich verstehen konnte.

James Burbank nahm das Wort:

»Meine Freunde, begann er, Ihr wißt Alle, daß ein schon lange dauernder höchst blutiger Bürgerkrieg die Bevölkerung der Vereinigten Staaten entzweit hat. Die wahre Ursache dieses Krieges ist die Sclaverei gewesen. Der Süden, der durch die geplante Freilassung sein Lebensinteresse geschädigt glaubte, entschied sich für deren Beibehaltung; der Norden wollte dieselbe, im Namen der Menschlichkeit, ausgerottet wissen. Gott stand auf der Seite der Vertheidiger einer gerechten Sache, und schon mehr als einmal neigte sich der Sieg zu Gunsten Derer, welche jetzt für die Befreiung aller und jeder menschlichen Racen kämpfen. Seit längerer Zeit hab' ich, wie Jedermann weiß, getreu meiner Herkunft, die Ansichten des Nordens getheilt, ohne in der Lage zu sein, dieselben thatsächlich beweisen zu können. Gewisse Verhältnisse haben es jetzt herbeigeführt, daß in dem Augenblick, wo es mir möglich ist, meine Handlungsweise mit meinen Ansichten in Uebereinstimmung zu setzen, ich mich beeile, dieses Werk zu beschleunigen. So hört denn, was ich Euch im Namen meiner ganzen Familie zu eröffnen habe.«

In den Reihen der Leute entstand ein leises Murmeln gespannter Erwartung, doch legte sich dasselbe sofort wieder, und dann gab James Burbank mit weitschallender und verständlicher Stimme folgende Erklärung ab:

»Vom heutigen Tage, dem 28. Februar 1862, ab sind die Sclaven meiner Ansiedlung jeder Zwangsarbeit ledig. Sie können allein über ihre Person verfügen. Auf Camdleß-Bay gibt es hinfort nur noch freie Männer!«

Die ersten durch diese Worte hervorgerufenen Aeußerungen gaben sich durch laute Hurrahs von allen Seiten zu erkennen. Alle Arme bewegten sich wie zum Danke und laut wurde der Name Burbank's gerufen. Alle drängten sich nach dem Vorplatze. Männer, Frauen und Kinder wollten ihrem Befreier die Hand küssen. Es herrschte ein unbeschreiblicher Enthusiasmus, der sich, gerade weil er unvorbereitet war, desto naturgemäßer und kräftiger kund gab. Man kann sich wohl denken, wie Pygmalion mit den Armen umherfocht, wie er sich in hochtönenden Redensarten erging und sich vor Stolz aufblies.[108]

Dann trat ein alter Neger – der älteste des gesammten Personals, – bis an die Stufen des Vorplatzes heran. Dort erhob er den Kopf und sagte mit tiefbewegter Stimme:

»Im Namen der bisherigen und von jetzt ab befreiten Sclaven von Camdleß-Bay nehmen Sie unseren Dank dafür entgegen, Herr Burbank, an uns die ersten Worte, betreffend unsere Freigebung, gerichtet zu haben, die in ganz Florida gesprochen wurden!«

Und während er so sprach, stieg der alte Neger langsam die Stufen des Vorplatzes hinaus. An James Burbank herantretend, küßte er ihm die Hand, und da die kleine Dy ihm die Arme entgegenstreckte, hob er diese auf und zeigte sie seinen Kameraden.

»Hurrah!... Hurrah für Herrn Burbank!«

Diese Freudenrufe hallten in der Luft wieder und mußten wohl bis Jacksonville an der anderen Seite des Saint-John die Botschaft von dem großen Acte tragen, der sich eben vollzogen hatte.

Die Familie James Burbank's war tief bewegt. Vergebens versuchten Alle die lauten Kundgebungen des Enthusiasmus zu beruhigen. Erst Zermah sollte dies gelingen, als die Leute sie auf dem Vorplatz an den Rand treten sahen, um ihrerseits das Wort zu nehmen.

»Meine lieben Freunde, nun sind wir Alle frei – Dank dem Edelmuthe, der Menschenliebe Desjenigen, der unser Herr und der der beste der Herren war!

– Ja!... Ja!... riefen Hunderte von Stimmen, die ihre Erkenntlichkeit zugleich an den Tag legen wollten.

– Ein Jeder von uns kann in Zukunft über seine Person verfügen, fuhr Zermah fort. Jeder kann die Pflanzung verlassen und von seiner Freiheit Gebrauch machen, wie es ihm das eigene Interesse gebietet. Was mich betrifft, so werde ich allein der Eingebung meines Herzens folgen, und ich bin überzeugt daß die meisten von Euch dasselbe thun werden, was ich zu thun gedenke. Seit sechs Jahren nun bin ich auf Camdleß-Bay eingetreten; mein Mann und ich, wir haben hier gelebt und wünschen einst hier unser Leben zu beschließen. Ich richte also an Herrn Burbank die Bitte, uns auch als Freie hier zu behalten, wie wir als Sclaven bei ihm waren. Mögen Diejenigen, welche denselben Wunsch hegen...

– Alle!... Alle!«[109]

Diese tausendfach wiederholten Worte bewiesen, wie hoch der Herr von Camdleß-Bay von Allen geschätzt wurde, weil es feste Bande der Freundschaft und Dankbarkeit waren, die ihn mit allen Untergebenen auf jenem Besitzthum verknüpften.

James Burbank nahm darauf wieder das Wort. Er äußerte, daß alle die, welche auf der Pflanzung zu bleiben wünschten, das auch unter den neuen Verhältnissen könnten, es werde sich nur darum handeln, mit allgemeiner Uebereinstimmung den Lohn für die freie Arbeit ebenso wie die Rechte der nun Freigelassenen fest zu setzen. Er fügte hinzu, daß zunächst die veränderte Sachlage gesetzliche Bestätigung finden müsse. Um dieser Anforderung zu genügen, werde jeder Schwarze für seine Familie wie für sich einen Freilassungsschein erhalten, der ihm erlauben würde, in der menschlichen Gesellschaft die ihm rechtlich zukommende Stellung einzunehmen.

Das wurde denn auch mit Hilfe sämmtlicher Unterverwalter sofort ausgeführt.

Seit längerer Zeit entschlossen, seine Sclaven freizulassen, hatte James Burbank hierzu schon die nöthigen Vorarbeiten besorgt, und jeder Schwarze nahm seinen Schein mit den rührendsten Zeichen von herzlicher Dankbarkeit in Empfang.

Das Ende des Tages wurde nun dem Vergnügen gewidmet. Wenn die Leute alle am nächsten Tage wieder zu ihren gewöhnlichen Arbeiten zurückkehren wollten, so galt der heutige auf der ganzen Pflanzung als Festtag. Die Familie Burbank, welche unter den wackeren Leuten blieb, erhielt von Allen die unzweideutigsten Zeichen von Zuneigung, wie die Versicherung einer Ergebenheit ohne Grenzen.

Inmitten seiner früheren »Heerde menschlicher Wesen« bewegte sich auch der Oberverwalter Perry, wie eine Seele im Fegefeuer hin und her. Und als James Burbank an ihn die Frage richtete:

»Nun, Perry, was sagen Sie dazu? erwiderte er:

– Ich sage, Herr Burbank, daß diese Afrikaner, wenn sie auch scheinbar Freie sind, doch noch immer in Afrika geboren sind und ihre Hautfarbe auch nicht gewechselt haben. Kurz, da sie als Schwarze geboren sind, werden sie auch als Schwarze sterben....

– Aber als Weiße leben, versetzte Burbank lächelnd, und ich denke, das ist die Hauptsache.«[110]

Am nämlichen Abend sah der Tisch des Castle-House die Familie Burbank als wirklich glückliche Menschen und wir können hinzufügen, auch mit mehr Vertrauen in die Zukunft beisammen.

Nur noch wenige Tage und die Sicherheit Floridas mußte vollkommen hergestellt sein. Von Jacksonville war übrigens keinerlei schlimme Nachricht eingetroffen. Es war ja möglich, daß das Auftreten James Burbank's vor den Richtern des Court-Justice einen günstigen Eindruck bei der Mehrzahl der Einwohner hinterlassen hatte.

Zum Abendessen war auch der Verwalter Perry hinzugezogen, der sich, da er doch nichts ändern konnte, schon in das Unvermeidliche fügen lernen mußte. Er saß dabei sogar dem ältesten Schwarzen gegenüber, den James Burbank eingeladen hatte, um für seine Person desto deutlicher zu erkennen zu geben, daß die Freilassung des Alten wie seiner Kameraden nicht nur eine inhaltlose Erklärung seitens des Besitzers von Camdleß-Bay, sondern damit eine wirkliche Gleichstellung seiner Leute zur Thatsache geworden sei. Von draußen ertönte der Festjubel herein und der Park erglänzte an verschiedenen Stellen von Freudenfeuern.

Als die Mahlzeit im besten Gange war, erschien eine Deputation, welche dem kleinen Mädchen ein überraschend schönes Bouquet brachte, das schönste, welches gewiß jemals dem »Fräulein Dy vom Castle-House« gewidmet worden war. Freundliche Reden und Danksagungen wurden dabei von beiden Seiten mit herzlicher Aufrichtigkeit gewechselt.

Dann zogen sich Alle zurück und die Familie begab sich nach der kühleren Vorhalle. Es schien, als ob der so schön begonnene Tag auch glücklich enden müsse.

Gegen acht Uhr herrschte wieder Ruhe auf der ganzen Pflanzung. Man durfte sich wohl dem Glauben hingeben, daß diese durch nichts gestört würde, als sich von draußen ein Geräusch von Stimmen hören ließ.

James Burbank erhob sich nun und öffnete sofort die Thüre nach der Vorhalle.

Auf dem Vorplatze standen einige Personen in lautem Gespräch.

»Was gibt es? fragte James Burbank.

– Herr Burbank, antwortete einer der Verwalter, eben kam ein Boot nach unserer Landungsbrücke.

– Und woher kam es?[111]

– Vom linken Flußufer.

– Wer war darin?

– Ein Bote, der von der städtischen Behörde von Jacksonville an Sie abgesendet ist.

– Und was will er?

– Er hat Ihnen eine Mittheilung zu machen. Gestatten Sie, daß er an's Land kommt?

– Natürlich.«

Frau Burbank hatte sich ihrem Gatten genähert; Miß Alice trat raschen Schrittes an ein Fenster der Vorhalle, während Mr. Stannard und Edward Carrol sich nach der Thür begaben. Zermah hatte sich, die kleine Dy an der Hand fassend, erhoben. Alle empfanden eine Art Ahnung, daß sich hier etwas besonders Wichtiges ereignen werde.

Der Verwalter war nach der Landungsbrücke des Hafens zurückgekehrt. Zehn Minuten später erschien er mit dem Boten, den ein Fahrzeug von Jacksonville nach Camdleß-Bay gebracht hatte.

Es war das ein Mann in der Uniform der Milizen der Grafschaft. Er wurde in die Vorhalle geführt und fragte hier nach Herrn Burbank.

»Das bin ich! Was wünschen Sie?...

– Ihnen diese Schrift zu überreichen.«

Der Bote hielt ihm damit einen großen Briefumschlag entgegen, der an einer Ecke den Stempel des Court-Justice trug.

James Burbank erbrach das Siegel und las wie folgt:

»Auf Befehl der neu eingesetzten Obrigkeit von Jacksonville wird jeder Sclave, der gegen den Willen der Südstaatler frei geworden ist, sofort des Landes verwiesen.

Diese Maßregel ist binnen achtundvierzig Stunden auszuführen – bei Vermeidung der Anwendung von Gewalt.

Gegeben zu Jacksonville 28. Februar 1862.

Texar«.

Die bisherigen Behörden, welche das beste Vertrauen verdienten, waren gestürzt worden. Unterstützt von seinen Spießgesellen, stand jetzt seit kurzer Zeit Texar an der Spitze der Stadt.

»Was soll ich als Antwort überbringen? fragte der Bote.

– Gar nichts!« erwiderte James Burbank.[112]

Der Bote zog sich zurück und wurde nach seinem Fahrzeug begleitet, das wieder nach der linken Flußseite hinübersteuerte.


Alle Arme bewegten sich... (S. 108.)
Alle Arme bewegten sich... (S. 108.)

Auf Anordnung des Spaniers sollten also die früheren Sclaven der Pflanzung vertrieben werden! Allein dadurch, daß sie freigelassen waren, hatten sie das Recht verwirkt, auf dem Gebiete von Florida zu leben! Camdleß-Bay sollte seines ganzen Personals beraubt werden, auf welches James Burbank zur Vertheidigung der Pflanzung rechnen konnte!

»Frei sein unter solchen Bedingungen? rief Zermah, nein, niemals! Ich[113] verzichte auf die Freiheit, und da es nothwendig ist, um bei Ihnen bleiben zu können, Herr Burbank, so will ich lieber wieder Sclavin werden!«

Bei diesen Worten ergriff Zermah ihren Freilassungsschein, zerriß ihn in Stücken und sank vor James Burbank auf die Knie.

Quelle:
Jules Verne: Nord gegen Süd. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LII–LIII, Wien, Pest, Leipzig 1889, S. 99-114.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Nord gegen Süd
Nord gegen Süd
Nord gegen Süd Band 2 (Collection Jules Verne)
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