Drittes Capitel.
Am Vorabend.

[236] Es war am Morgen des 11. März, als Gilbert Burbank durch den Bürgerausschuß in Jacksonville verurtheilt wurde, und noch am nämlichen Tage fand auch die Verhaftung seines Vaters auf Befehl des genannten Ausschusses statt. Am zweiten Tage sollte der junge Mann durch Pulver und Blei hingerichtet[236] werden und James Burbank, unter der Anklage der Mitschuld zur nämlichen Strafe bedroht, ihm jedenfalls nachfolgen.

Wir wissen, daß Texar den Bürgerausschuß vollständig in seiner Hand hatte, daß nur sein Wille es war, der die Gesetze jetzt machte.

Die Hinrichtung des Vaters und des Sohnes bildete dann gewiß nur das Vorspiel blutiger Schandthaten, welche die ärmere weiße Bevölkerung unter Unterstützung des Pöbels gegen die nordstaatlich gesinnten Bewohner von Florida und gegen Diejenigen verüben würde, welche ihre Anschauungen bezüglich der Sclavenfrage nicht theilten. Wie viel persönliche Rache wurde nicht unter dem Deckmantel des Bürgerkrieges rücksichtslos gestillt! Nur die Anwesenheit der föderirten Truppen hätte dem Einhalt thun können; aber es schien leider ganz unbestimmt, ob dieselben überhaupt kämen, und noch mehr, ob sie eher kämen, ehe die ersten Opfer seiner Rache dem Hasse des Spaniers dargebracht worden waren.

Wie gesagt, war das leider nicht zu erwarten.

Da diese unbegreifliche Verzögerung eintrat, kann man sich leicht vorstellen, welche Angst die Bewohner des Castle-House auszustehen hatten.

Allem Anscheine nach mußte man annehmen, daß der Plan, den Saint-John hinauszusegeln, von dem Commandanten Stevens ganz aufgegeben sei. Die Kanonenboote machten keinerlei Anstalt, ihren Ankerplatz zu verlassen, und wahrscheinlich wagten sie jetzt, wo Mars nicht mehr da war sie zu führen, nicht die Barre des Flusses zu überschreiten und in die gefährliche Wasserstraße ohne Lootsen einzufahren. Sollten sie wirklich darauf verzichten, Jacksonville zu unterwerfen und mit der Einnahme dieser Stadt die Sicherheit der Ansiedlungen stromaufwärts des Saint-John zu gewährleisten?

Doch welch' neue kriegerische Ereignisse konnten den Commandanten Dupont wohl veranlaßt haben, seine Pläne zu ändern?

Das fragten sich Mr. Stannard und der Oberverwalter Perry während dieses ihnen fast endlos erscheinenden 11. März.

An demselben Tage gingen nämlich in demjenigen Theile von Florida, der zwischen dem Flusse und dem Meere liegt, ziemlich bestimmt auftretende Gerüchte, nach denen alle Maßnahmen der Föderirten sich hauptsächlich nur auf das Uferland zu richten schienen. Der Commandant Dupont, der sich auf dem »Wasbah« befand und dem die stärksten Kanonenboote seines Geschwaders folgten, war in die Bai von Saint-Augustine eingelaufen. Man sagte selbst, die Milizen träfen[237] schon Anstalt, die Stadt zu verlassen und das Fort Marion ebensowenig zu vertheidigen, wie das Fort Clinch nach der Uebergabe von Fernandina vertheidigt worden war.

So lauteten wenigstens die Neuigkeiten, welche der Verwalter im Laufe des Morgens nach dem Castle-House mitbrachte. Dieselben wurden sofort Mr. Stannard und Edward Carrol mitgetheilt, den seine noch nicht ganz vernarbte Wunde vorläufig noch zwang, auf einem Divan in der Vorhalle still liegen zu bleiben.

»Die Bundestruppen in Saint-Augustine! rief der Letztere. Und warum gehen sie nicht nach Jacksonville?

– Vielleicht beabsichtigen sie nur, den Fluß nach seiner Mündung zu abzusperren, ohne von demselben weiter Besitz zu nehmen, antwortete Mr. Perry.

– James und Gilbert sind verloren, wenn Jacksonville in den Händen Texar's bleibt! sagte Mr. Stannard.

– Könnte ich, meldete sich Perry, mich nicht auf machen, um dem Commodore Dupont die Meldung zu bringen, in welcher Gefahr Herr Burbank und sein Sohn schweben?

– Sie würden einen ganzen Tag brauchen, um nach Saint-Augustine zu gelangen, meinte Mr. Carrol, vorausgesetzt, daß sie unterwegs nicht von den auf der Flucht befindlichen Milizen aufgehalten werden. Und ehe es ferner dem Commodore Dupont nur möglich gewesen wäre, Stevens den Befehl, Jacksonville zu nehmen, zukommen zu lassen, müßte zuviel Zeit vergehen. Und dann... die Barre... diese unglückselige Barre des Flusses –! Wenn die Kanonenboote dieselbe nicht überschreiten können, wie könnte unser armer Gilbert, der schon morgen den Tod erleiden soll, gerettet werden? – Nein! Nicht nach Saint-Augustine gilt es jetzt zu gehen, sondern gleich nach Jacksonville selbst!... An den Commodore Dupont haben wir uns nicht zu wenden, sondern an Texar!...

– Herr Carrol hat Recht, lieber Vater... und ich werde gehen!« erklärte Miß Alice, welche nur die letzten von Mr. Carrol ausgesprochenen Worte gehört hatte.

Das muthige junge Mädchen war entschlossen, Alles zu versuchen, Allem zu trotzen zum Heile des unglücklichen Gilbert.

Als James Burbank am Vorabende Camdleß-Bay verließ, hatte er ganz besonders dringend empfohlen, daß seiner Gattin sein Aufbruch nach Jacksonville nicht verrathen werden solle. Es kam ihm darauf an, ihr zu verheimlichen, daß jener Bürgerausschuß einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte. Frau Burbank[238] wußte also davon nichts, ebenso wenig wie von dem Schicksale ihres Sohnes, den sie längst wieder an Bord der Flottille wähnte. Wie hätte das arme Weib auch den doppelten Schlag, der sie zu treffen drohte, überstehen sollen? Ihr Gatte in der Gewalt Texar's, ihr Sohn am Vorabend seines Todes! Das hätte sie nimmermehr überlebt.

Als sie ihren Mann zu sehen gewünscht hatte, begnügte sich Miß Alice zu antworten, daß er aus dem Castle-House fortgegangen sei, um neue Nachforschungen wegen Dy's und Zermah's anzustellen, und daß seine Abwesenheit wohl achtundvierzig Stunden dauern könne. Frau Burbank's Gedanken weilten übrigens stets nur bei ihrem verschollenen Kinde – schon dieser Verlust war zuviel, als daß sie ihn in dem Zustande, indem sie sich befand, lange hätte ertragen können.

Alice wußte übrigens selbst recht wohl, was James und Gilbert Burbank drohte. Es war ihr bekannt, daß der junge Officier am nächsten Tage erschossen werden solle, und daß dasselbe Schicksal seinem Vater bevorstand... Und deshalb entschlossen, Texar aufzusuchen, richtete sie an Mr. Carrol die Bitte, sie nach der anderen Seite des Flusses übersetzen zu lassen.

»Du... Alice.... nach Jacksonville! rief Mr. Stannard.

– Es muß sein, mein Vater!«

Das sehr natürliche Zögern Mr. Stannard's wich jetzt plötzlich der erkannten Nothwendigkeit, ohne Verzug zu handeln. Wenn Gilbert gerettet werden konnte, so war das nur durch den Schritt möglich, den Miß Alice eben wagen wollte. Vielleicht gelang es ihr, wenn sie sich Texar zu Füßen warf, diesen noch zu erweichen; vielleicht erlangte sie wenigstens noch einen Aufschub der Execution; vielleicht endlich fand sie gar Unterstützung seitens der besser denkenden Einwohner, welche die eigene Verzweiflung trieb, sich gegen die unleidliche Tyrannei des Bürgerausschusses aufzulehnen. Man mußte also, selbst auf die schlimmste Gefahr hin, nach Jacksonville gehen.

»Perry, sagte das junge Mädchen, wird mich nach der Wohnung des Herrn Harvey führen können.

– Ich bin jeden Augenblick bereit, versicherte der Verwalter.

– Nein, Alice, ich selbst werde Dich begleiten, erklärte da Mr. Stannard. Ja... ich!... Brechen wir auf...

– Sie, Stannard?... rief Edward Carrol... Sie setzen sich damit Allem aus... Ihre Ansichten sind allzubekannt.[239]

– Was thut das! erwiderte Mr. Stannard. Ich werde meine Tochter nicht ohne mich unter diese rohen Burschen gehen lassen. Perry mag im Castle-House bleiben, Edward, da Sie selbst noch nicht gehen können, denn wir dürfen nicht vergessen, daß auch wir zurückgehalten werden könnten.

– Und wenn Frau Burbank nach Ihnen fragt, warf Edward Carrol ein, wenn sie nach Miß Alice verlangt, was soll ich ihr dann antworten?

– So sagen Sie ihr, wir hätten uns James angeschlossen, den wir bei seinen Nachsuchungen auf dem anderen Flußufer begleiteten.... Sagen Sie, wenn es nöthig wäre, sogar, wir hätten uns nach Jacksonville begeben müssen... überhaupt alles Beliebige, um sie zu beruhigen, aber nichts, was sie muthmaßen lassen könnte, daß ihr Gatte und ihr Sohn jetzt in schlimmster Gefahr schweben... Perry, lassen Sie ein Boot zurecht machen!«

Der Verwalter zog sich sofort zurück und überließ es Mr. Stannard, die weiteren Vorbereitungen zur Fahrt selbst zu treffen.

Immerhin erschien es rathsamer, daß Miß Alice das Castle-House nicht verließ, ohne Frau Burbank selbst mitzutheilen, daß sie und ihr Vater sich nach Jacksonville begeben mußten. Im Nothfalle durfte sie nicht zögern, zu sagen, daß Texar's Partei daselbst gestürzt worden sei... daß die Föderirten die Herren des Flußlaufes seien... daß Gilbert morgen in Castle-House eintreffen werde...

Doch würde das junge Mädchen auch die Kraft haben, dabei nicht zu zittern, würde ihre Stimme sie nicht verrathen, wenn sie angeblich Thatsachen aussprach, deren Verwirklichung jetzt doch so gut wie unmöglich schien?

Als sie das Zimmer der Kranken betrat, schlief Frau Burbank oder sie lag vielmehr, versenkt in eine Art schmerzlicher Betäubung, in einem tiefen Torpor, aus dem sie zu erwecken Miß Alice nicht den Muth hatte. Vielleicht war es auch besser, daß das junge Mädchen hierdurch der Aufgabe, sie durch ihre Worte zu beruhigen, enthoben wurde.

Eine der in der Wohnung beschäftigten Frauen wachte neben dem Bette. Miß Alice empfahl ihr dringend, keinen Augenblick von hier zu weichen und sich wegen einer Antwort auf die Fragen, welche Frau Burbank an sie stellen könnte, an Mr. Carrol zu wenden. Dann neigte sie sich über die Stirne der unglücklichen Mutter, berührte diese mit den Lippen und entfernte sich aus dem Zimmer, ihren Vater wieder aufzusuchen.

Als sie dessen ansichtig wurde, rief sie:[240]

»Jetzt, mein Vater, wollen wir aufbrechen!«

Beide traten aus der Vorhalle, nachdem sie Edward Carrol noch warm die Hand gedrückt hatten.

In der Mitte der Bambusallee, welche nach dem kleinen Hafen führte, begegneten sie dem Oberverwalter.


Das Segel wurde gehißt. (S. 242.)
Das Segel wurde gehißt. (S. 242.)

»Das Boot ist bereit, sagte Perry.

– Gut, antwortete Mr. Stannard. Nun sorgen Sie nach besten Kräften für das Castle-House, lieber Freund.[241]

– Fürchten Sie nichts, Herr Stannard; unsere Schwarzen kehren schon nach und nach zur Ansiedlung zurück, das liegt auf der Hand. Was sollten sie auch mit einer Freiheit, zu der sie doch nicht geboren sind? Führen Sie uns nur Herrn Burbank zurück, und er wird sie alle wieder an ihrer Stelle finden!«

Mr. Stannard und seine Tochter nahmen nun in dem von vier Leuten aus Camdleß-Bay geruderten Boote Platz. Das Segel wurde gehißt und unter schwachem östlichen Winde fuhr man ab. Die Landungsbrücke war bald hinter der Spitze, welche von der Pflanzung aus nach Nordwesten auslief, verschwunden.

Mr. Stannard hatte nicht die Absicht, im Hafen von Jacksonville selbst, wo er unfehlbar erkannt worden wäre, ans Land zu gehen. Es erschien ihm rathsamer, in einem kleinen Uferausschnitt, ein wenig oberhalb desselben, zu landen. Von hier würde es auch leichter sein, die Wohnung des Mr. Harvey, welche nach dieser Seite hin und am Ende der Vorstadt lag, ungehindert zu erreichen, dann wollte man sich, je nachdem die Umstände es forderten, bezüglich der weiter zu thuenden Schritte entscheiden.

Der Fluß war zu dieser Stunde ganz unbelebt und nichts sah man stromaufwärts, von wo die aus Saint-Augustine vertriebenen und nach dem Süden hin geflohenen Milizen hätten kommen können – nichts auch stromabwärts. Zwischen den floridischen Fahrzeugen und den Kanonenbooten des Commandanten Stevens war es also noch zu keinem Scharmützel gekommen. Man konnte nicht einmal deren Absperrungslinie sehen, da eine Biegung des Saint-John den Horizont unterhalb Jacksonville abschloß.

Nach ziemlich schneller, durch Rückenwind begünstigter Ueberfahrt erreichten Mr. Stannard und seine Tochter das linke Ufer. Ohne bemerkt zu werden, konnten beide im Grunde jenes, übrigens unbewachten Einschnittes landen, und schon nach wenigen Minuten befanden sie sich im Hause des Geschäftsfreundes James Burbank's.

Dieser war gleichzeitig sehr erstaunt und sehr beunruhigt, sie hier zu sehen. Ihre Anwesenheit inmitten des hiesigen aufs Höchste erregten und Texar gedankenlos ergebenen Pöbels erschien wirklich gefährlich. Die Leute wußten ja recht gut daß Mr. Stannard die auf Camdleß-Bay herrschenden, der Sklaverei feindlichen Anschauungen vollständig theilte. Die Plünderung seiner eigenen Wohnung in Jacksonville konnte ihm schon als Warnung und Zeichen dienen, wessen er sich gegebenen Falles zu versehen hatte.[242]

Unzweifelhaft setzte er sich persönlich den größten Gefahren aus. Das Geringste, was ihm, sobald er erkannt wurde, widerfahren konnte, war eine unmittelbare Einsperrung als Mitschuldiger James Burbank's.

»Wir müssen Gilbert retten!... weiter vermochte Miß Alice auf Mr. Harvey's Einwendungen nichts zu antworten.

– Ja wohl, meinte dieser, das muß gewiß versucht werden, nur soll Herr Stannard sich nicht auf der Straße zeigen!... Er mag hier verborgen bleiben, während wir handeln.

– Wird man mich in das Gefängniß einlassen? fragte das junge Mädchen.

– Ich glaub' es nicht, Miß Alice.

– Oder kann ich bis zu Texar vordringen?

– Wir wollen's versuchen.

– Sie wünschen also nicht, daß ich Sie begleite? fragte Mr. Stannard, der das gerne gethan hätte.

– Nein, damit würden alle unsere Schritte bei Texar und bei dem Bürgerausschuß nur weiter erschwert und jedenfalls erfolglos werden.

– So kommen Sie also, Herr Harvey,« drängte Miß Alice.

Bevor er die Beiden jedoch gehen ließ, wollte Mr. Stannard wenigstens erfahren, ob nicht neue Nachrichten vom Kriege eingetroffen wären, von denen in Camdleß-Bay vielleicht noch nichts verlautet hätte.

»Keine, berichtete Mr. Harvey, wenigstens soweit solche Jacksonville betreffen. Die föderirte Flottille ist in der Bai von Saint-Augustine erschienen und die Stadt hat sich ergeben. Was den Saint-John angeht, so ist keinerlei Bewegung gemeldet worden. Die Kanonenboote liegen noch immer unterhalb der Barre vor Anker.

– Es fehlt ihnen also auch jetzt noch das Wasser, um über dieselbe wegkommen zu können?

– Ja, Herr Stannard; heute aber werden wir hohe Aequinoctialflut haben. Gegen drei Uhr muß das Meer seinen höchsten Stand einnehmen, und vielleicht können dann die Kanonenboote die Einfahrt unternehmen...

– Unternehmen ohne Lootsen, jetzt, wo Mars nicht mehr da ist, sie durch die ihnen so gut wie unbekannte Wasserstraße zu führen! erwiderte Miß Alice, in einem Tone, der Allen bewies, daß sie sich an eine solche Hoffnung nicht mehr zu klammern wagte. Nein... das ist unmöglich!... Herr Harvey, ich muß Texar sehen und sprechen, und wenn er mich zurückweist, müssen wir Alles daran setzen, Gilbert aus dem Kerker zu befreien.[243]

– Das werden wir auch thun, Miß Alice.

– Die allgemeine Stimmung hat sich in Jacksonville verändert? fragte Mr. Stannard.

– Nein, erwiderte Mr. Harvey. Die Schurken sind hier noch immer die Herren und Texar beherrscht sie. Gegenüber den Willkürlichkeiten und den Bedrohungen des sogenannten Bürgerausschusses zittern die besseren Leute sozusagen vor Entrüstung. Es bedürfte nur einer Bewegung der Föderirten auf dem Flusse, um den Zustand der Dinge zu ändern. Dieser freche Pöbel ist im Grunde entsetzlich feig. Wenn er sich erst zu fürchten beginnt, ist es um Texar und seine Spießgesellen geschehen... Ich hoffe noch immer, der Commandant Stevens wird die Barre übersegeln können..!

– Darauf können und dürfen wir nicht warten, bemerkte Miß Alice, und ehe das geschieht, muß ich Texar gesehen haben!«

Es wurde also ausgemacht, daß Mr. Stannard in der Wohnung bleiben sollte, damit zunächst Niemand von dessen Anwesenheit in Jacksonville etwas erführe. Mr. Harvey war bereit, dem jungen Mädchen bei allen zu unternehmenden Schritten seine Unterstützung zu Theil werden zu lassen, obwohl an einen Erfolg derselben kaum zu glauben war. Wenn Texar ihr die Begnadigung abschlug, wenn Miß Alice nicht bis zu ihm vordringen konnte, so wollte man, selbst um den Preis eines ganzen Vermögens, die Befreiung des jungen Officiers und seines Vaters zu erlangen suchen.

Es war gegen elf Uhr, als Miß Alice und Mr. Harvey dessen Wohnung verließen und sich nach dem Court-Justice begaben, wo der Bürgerausschuß unter dem Vorsitze Texar's jetzt unausgesetzt versammelt blieb.

In der Stadt herrschte noch immer große Bewegung. Da und dort zogen Milizen vorüber, verstärkt durch einzelne Abtheilungen, welche aus anderen Ländern des Südens hierher geströmt waren. Im Laufe des Tages erwartete man noch Diejenigen, welche die Uebergabe von Saint-Augustine außer Dienst setzte, ob diese nun direct auf dem Saint-John kamen oder einen Weg durch die Wälder des rechten Ufers einschlugen, um den Fluß erst in der Höhe von Jacksonville zu überschreiten. Tausend Neuigkeiten schwirrten durch die Luft und – widersprachen sich wie gewöhnlich, was wiederum einen neuen Tumult hervorrief. Man erkannte übrigens leicht genug, daß, im Fall die Föderirten nur in Sicht des Hafens erschienen, von keiner einheitlichen Vertheidigung die Rede sein könne. An ernsthaften Widerstand war sonach gar nicht zu denken. Wenn sich neun[244] Tage vorher Fernandina den ausgeschifften Truppen des Generals Voight ergeben hatte, wenn Saint-Augustine das Geschwader des Commodore Dupont empfangen hatte ohne nur einen Versuch, ihm die Einfahrt zu verweigern, konnte man voraussehen, daß es sich in Jacksonville nicht anders gestalten würde. Die conföderalistischen Milizen würden sich, indem sie den Platz den nordstaatlichen Truppen überließen, einfach tiefer in's Innere der Grafschaft zurückziehen. Ein einziger Umstand nur konnte Jacksonville vor der Einnahme retten, die Machtvollkommenheiten des Bürgerausschusses verlängern und die Ausführung der blutigen Beschlüsse desselben möglich machen – nämlich der, daß die Kanonenboote aus irgend einem Grunde – sei es wegen Mangels an Wasser oder wegen des Fehlens eines Lootsen – die Barre des Flusses nicht überschreiten konnten. Uebrigens handelte es sich ja nur um wenige Stunden, dann mußte diese Frage gelöst sein.

Inzwischen begaben sich, mitten in einer sich immer dichter zusammendrängenden Volksmenge, Miß Alice und Mr. Harvey nach dem öffentlichen Platze. Wie sie es freilich beginnen sollten, um in den Saal des Court-Justice zu gelangen, davon hatten sie zunächst keine Vorstellung. Vielleicht entzog sich auch Texar, wenn er vernahm, daß Alice Stannard vor ihm zu erscheinen verlangte, einer unbequemen Frage einfach auf die Weise, daß er das junge Mädchen verhaften und bis nach der Hinrichtung des jungen Lieutenants einsperren ließ. Das muthige Mädchen wollte jedoch von allen solchen Möglichkeiten nichts wissen. Keine persönliche Gefahr hätte sie von ihrem Vorhaben abwenden können, bis zu Texar vorzudringen und ihm die Begnadigung Gilbert's abzunöthigen.

Als Mr. Harvey und sie den Platz erreicht hatten, fanden sie hier einen Haufen Pöbel, der womöglich noch toller lärmte. Wildes Geschrei erschütterte die Luft. Von allen Seiten tönten wüthende Rufe und schreckliche Flüche von einer Gruppe zur anderen, doch immer brüllten alle einstimmig: »Zum Tode! Zum Tode!«

Mr. Harvey erfuhr auf seine Erkundigungen, daß der Ausschuß seit einer Stunde zu einer Sitzung beisammen sei. Ein peinliches Vorgefühl ergriff ihn, eine Ahnung, welche nur zu sehr in Erfüllung gehen sollte. In der That einigte sich der Ausschuß eben bezüglich des Urtheils über James Burbank als Mitschuldigen seines Sohnes Gilbert, unter der Anschuldigung, ein Einverständniß mit der föderirten Armee unterhalten zu haben. Dasselbe Verbrechen erheischte natürlich dieselbe Strafe, die Krönung des Werkes seines Hasses, den Texar der Familie Burbank einmal geschworen hatte.[245]

Mr. Harvey wollte für jetzt nicht weiter gehen. Er versuchte Alice mit sich fortzuziehen. Es erschien ihm unnöthig, daß sie Zeugin der Gewaltthätigkeiten sei, zu denen der Pöbel geneigt schien, wenn die Gefangenen nach Verkündigung des Urtheiles den Court-Justice verließen. Das war auch gewiß nicht der geeignete Zeitpunkt zu einer Fürsprache bei dem Spanier.

»Kommen Sie, Miß Alice, sagte Mr. Harvey, kommen Sie! – Wir kehren hierher zurück... sobald der Bürgerausschuß...

– Nein, erklärte Miß Alice, ich will und werde mich zwischen die Verurtheilten und deren Richter werfen...«

Die Entschlossenheit des Mädchens war eine so große, daß Mr. Harvey daran verzweifelte, dieselbe zu erschüttern. Miß Alice drängte sich vorwärts, er mußte ihr wohl oder übel folgen. So dicht sich die Volksmenge – aus der sie Einzelne gewiß erkannten – auch staute, öffnete sie sich doch vor ihrer Erscheinung, aber der Ruf »Zum Tode!« gellte nur noch schrecklicher in ihr Ohr. Nichts vermochte sie aufzuhalten, und so gelangte sie denn wirklich zuletzt bis zum Thore des Court-Justice.

Hier war die Menge nur noch aufgeregter, zeigte aber nicht die Aufregung nach dem Sturm, sondern die, die jenem vorherzugehen pflegt. Von deren Seite konnte man sich auf die schlimmsten Ausschreitungen gefaßt machen.

Plötzlich entstand eine lärmende Rückwärtsbewegung unter den Massen, und wild durcheinander strömten die Zuhörer aus dem Saale des Court-Justice heraus. Das Schreien und Heulen verdoppelte sich. Das Urtheil war eben verkündigt worden.

James Burbank wie Gilbert waren des angeblich gleichen Verbrechens schuldig befunden und zur Hinrichtung verdammt worden; Vater und Sohn sollten von dem nämlichen Executions-Commando fallen.

»Zum Tode mit ihnen... zum Tode!« brüllte sinnlos die Menge. James Burbank erschien auf den obersten Stufen. Er war ruhig und völlig Herr seiner selbst. Ein Blick unsäglicher Verachtung – das war Alles, was er für das Toben der Volksmasse hatte.

Eine Abtheilung Miliz umringte ihn; sie hatte Befehl, ihn nach dem Kerker zurückzuführen.

Er war nicht allein.

Gilbert ging an seiner Seite.

Aus der Zelle geholt, in der er die Stunde der Execution erwartete, war der junge Officier vor den Bürgerausschuß geschleppt worden, um James Burbank[246] gegenüber gestellt zu werden. Dieser konnte die Aussagen seines Sohnes nur in allen Stücken bestätigen und versicherte, daß derselbe nur nach dem Castle-House gekommen sei, um dort zum letzten Male seine sterbende Mutter zu sehen. Dieser unzweideutigen Bestätigung gegenüber hätte die Anklage gegen ihn eigentlich schon allein aufgehoben werden müssen, wenn der Ausgang der Untersuchung nicht schon vorher bestimmt gewesen wäre. So traf also dasselbe Urtheil zwei Unschuldige – eine Verurtheilung, welche nur durch persönlichen Haß herbeigeführt und von unwürdigen Richtern bestätigt wurde.

Die Menschenmenge stürzte inzwischen auf die Verurtheilten zu, so daß es der Miliz nur mit Mähe gelang, diesen über den Platz vor dem Court-Justice Bahn zu brechen.

Da entstand eine eigenthümliche Bewegung. Miß Alice hatte sich zu James und Gilbert Burbank hindurchgedrängt.

Unwillkürlich wich der, über dieses unerwartete Dazwischentreten des jungen Mädchens erstaunte Pöbel ein wenig zurück.

»Alice!..., rief Gilbert.

– Gilbert... Gilbert!... schluchzte Alice Stannard, die in die Arme des jungen Officiers fiel.

– Alice... warum bist Du hier?... sagte James Burbank.

– Um Eure Begnadigung zu erflehen! Um Eure Richter zu erweichen!... Gnade... Gnade für Euch!«

Die Ausrufe des unglücklichen jungen Mädchens klangen wahrhaft herzzerreißend. Sie hing sich an die Kleider der Verurtheilten, die einen Augenblick stehen geblieben waren. Konnte sie denn von der sie umtobenden zügellosen Menge Mitleid erhoffen? Nein! Ihr Dazwischentreten hatte jedoch mindestens die Wirkung, jene in dem Augenblicke aufzuhalten, wo sie sich vielleicht, trotz der Milizen, zu Gewaltthätigkeiten gegen die Gefangenen, die sie durch ihre Ruhe beleidigten, hinreißen ließ.

Dazu erschien auch Texar, von dem Vorgefallenen unterrichtet, eben auf der Schwelle des Court-Justice. Ein Zeichen von ihm beschwichtigte die stürmende Menge. Der von ihm wiederholte Befehl, daß James und Gilbert Burbank nach dem Gefängnisse zurückzuführen seien, wurde gehört und beachtet.

Die Milizabtheilung setzte sich in Bewegung.

»Gnade!... Gnade!...« rief Miß Alice, die sich vor Texar auf die Knie geworfen hatte.


James Burbank war völlig Herr seiner selbst. (S. 246.)
James Burbank war völlig Herr seiner selbst. (S. 246.)

Der Spanier antwortete nur durch eine abwehrende Handbewegung.

Da erhob sich das junge Mädchen wieder.[247]

»Elender!« donnerte sie ihn an.

Sie wollte sich wieder zu den Verurtheilten gesellen, verlangte, ihnen wieder in's Gefängniß zu folgen, die letzten Stunden, die Jene noch zu leben hatten, mit ihnen zu theilen...

Diese waren jedoch schon über den Platz hinaus, und die Volksmenge begleitete sie mit ihrem wüsten Geheul. Das war mehr, als Miß Alice zu ertragen vermochte.[248]

Die Kräfte verließen sie. Sie wankte und stürzte zusammen. Als Mr. Harvey sie in seinen Armen auffing, hatte sie weder Empfindung noch Bewußtsein mehr.

Das junge Mädchen kam erst wieder zu sich, als sie schon in das Haus des Herrn Harvey und zu ihrem Vater geschafft worden war.

»Nach dem Gefängniß! Nach dem Gefängniß!... murmelte sie schwach, wir müssen Beiden entweichen helfen!...

– Ja, antwortete Stannard, etwas Anderes können wir nicht mehr versuchen.... Doch dazu wollen wir die Nacht abwarten.«[249]

In der That war auch während des Tages nichts zu thun. Wenn die Dunkelheit ihnen gestatten würde, ohne Besorgniß einer Ueberraschung zu handeln, wollten Mr. Harvey und Mr. Stannard versuchen, mit Hilfe des Wärters eine Flucht der beiden Gefangenen zu ermöglichen. Sie gedachten dazu eine so große Summe Geld bei sich zu führen, welche den Mann – so hofften sie wenigstens – bestimmen könnte, ihren Willen zu thun, zumal da der erste, von der Flottille des Commandanten Stevens donnernde Kanonenschuß der Herrschaft des Spaniers ein Ende zu machen versprach.


Texar hatte sich nach dem Quai begeben. (S. 251.)
Texar hatte sich nach dem Quai begeben. (S. 251.)

Doch als die Nacht gekommen war, als die Herren Stannard und Harvey ihre Absicht auszuführen gedachten, da sahen sie sich gezwungen, darauf zu verzichten. Das Haus erwies sich streng bewacht durch eine starke Abtheilung Milizen, und es wäre unbedingt vergeblich gewesen, dasselbe nur verlassen zu wollen.

Quelle:
Jules Verne: Nord gegen Süd. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LII–LIII, Wien, Pest, Leipzig 1889, S. 236-250.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
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