Zweites Capitel.
Der Graf d'Artigas.

[18] Wer war eigentlich dieser Graf d'Artigas?... Ein Spanier?... Sein Name schien darauf hinzudeuten. Am Achter seiner Goelette stand in goldnen Buchstaben der Name »Ebba«, und dieser ist rein norwegischen Ursprungs. Hätte man ihn gefragt, wie der Kapitän der »Ebba« heiße, so würde er geantwortet haben: »Spade«, und »Effrondat« der Obersteuermann, und »Helim« der Koch, lauter sehr abweichende Namen, die auf verschiedne Nationalität der Inhaber schließen ließen.

Es erschien auch schwierig, aus dem Typus, den der Graf d'Artigas selbst vertrat, einen sichern Schluß zu ziehen. Wies auch die Farbe seiner Haut, das tiefschwarze Haar, die Grazie seiner Haltung auf spanische Abstammung hin, so zeigte seine Gesammterscheinung doch nicht den Rassencharakter, der den Eingebornen der iberischen Halbinsel eigen ist.

Er war ein Mann von übermittler Größe, kräftigem Bau und höchstens fünfundvierzig Jahre alt. Mit seinem ruhigen, fast hoheitsvollen Auftreten ähnelte er jenen Großen der Hindus, deren Blut mit solchem vom malaiischen Archipel gemischt ist. War diese Persönlichkeit auch nicht von kalter Natur, so bemühte sie sich doch, so zu erscheinen, zeigte gebieterische Bewegungen und bediente sich einer kurzen Ausdrucksweise. Was die Sprache des Mannes und seiner Leute anging, so bestand sie in einem jener eigenthümlichen Idiome, die auf den Inseln des Indischen Oceans und der benachbarten Meere herrschen. Brachten ihn seine Seereisen aber an die Küste der Alten oder der Neuen Welt, so drückte er sich mit auffallender Leichtigkeit englisch aus, wobei sich nur ein ganz schwacher Anklang an seine fremde Abstammung hörbar machte.

Kein Mensch hätte sagen können, welches die Vergangenheit des Grafen d'Artigas war, auf welche Schlangenwege ihn sein höchst geheimnißvolles Leben geführt hatte, was er jetzt eigentlich war, woher sein jedenfalls beträchtliches Vermögen, das ihm als vornehmer Herr zu leben erlaubte, wohl stamme, wo er seinen dauernden Wohnsitz oder wenigstens seine Goelette ihren Heimathafen[18] habe, und kein Mensch hätte auch gewagt, ihn danach zu fragen, da er sich wenig mittheilsam erwies. Er schien nicht der Mann zu sein, der sich durch ein Interview, selbst mit amerikanischen Reportern, ausforschen ließ.

Was man von ihm wußte, beschränkte sich auf die Nachrichten der Zeitungen, wenn diese das Eintreffen der »Ebba« in dem oder jenem Hafen, vorzüglich in einem der Ostküste der Vereinigten Staaten meldeten. Dahin kam die Goelette nämlich fast zu bestimmten Zeitpunkten, um sich mit allen Bedürfnissen für eine längere Seefahrt zu versorgen. Hier erwarb sie nicht allein Mundvorrath, Mehl, Zwieback, Conserven, getrocknetes und frisches Fleisch, lebende Rinder und Schafe, sondern auch Kleidungsstücke, Werkzeuge, Luxus- und Bedarfsgegenstände aller Art gegen hohe Preise, die in Dollars, Guineen oder andern Münzsorten verschiednen Herkommens bezahlt wurden.

Hieraus ergiebt sich, daß, wenn man vom Privatleben des Grafen d'Artigas auch gar nichts wußte, er doch in den verschiednen Häfen Amerikas, von denen der Halbinsel Florida an bis zu denen Neu-Englands hin, recht wohl bekannt war. Es erscheint daher gar nicht wunderbar, daß der Director des Healthsul-House sich durch das Gesuch des Grafen d'Artigas sehr geehrt fühlte und diesen ehrerbietigst empfing.

Uebrigens war es das erste Mal, daß die Goelette »Ebba« im Hafen von New-Berne ankerte. Nach der Mündung der Neuze konnte sie offenbar nur eine Laune ihres Eigenthümers geführt haben. Was hätte Graf d'Artigas sonst hier vorgehabt?... Sich zu verproviantieren?... Nein, denn im Grunde des Pamplicosundes hätte er die Hilfsmittel, die ihm andre Häfen, wie Boston, New-York, Dover, Savannah, Wilmington in Nord- und Charleston in Südcarolina boten, gewiß nicht vorgefunden. Seine Piaster und Banknoten hätte er im Becken der Neuze, auf dem unbedeutenden Markte von New-Berne, auch kaum gegen Waaren umtauschen können.

Dieser Hauptort der Grafschaft Craven zählt kaum fünf- bis sechstausend Einwohner. Der Handel desselben beschränkt sich auf die Ausfuhr von Getreide, Schweinen, Möbeln und einiger Schiffsmunition. Außerdem hatte die Goelette vor wenigen Wochen, bei einem zehntägigen Aufenthalt in Charleston, volle Ladung für eine Reise eingenommen, deren Ziel wie immer niemand kannte.

Es fragt sich nun, ob die räthselhafte Persönlichkeit nur mit der Absicht gekommen war, das Healthsul-House einmal zu besuchen.[19]

Das erschien ja nicht überraschend, da diese Anstalt sich eines verbreiteten und wohlverdienten Russ erfreute.

Vielleicht bestimmte den Grafen d'Artigas dabei auch die Laune, einmal mit Thomas Roch zusammenzutreffen. Das allgemeine Bekanntwerden des französischen Erfinders hätte eine solche Neugier ja gerechtfertigt... ein überspanntes Genie, dessen Erfindungen die Methoden der modernen Kriegführung umzustürzen versprachen.

Am Nachmittage stellte sich, seinem Gesuche entsprechend, der Graf d'Artigas in Begleitung des Kapitän Spade, des Befehlshabers der »Ebba«, am Thore des Healthsul-House ein.

Gemäß den ertheilten Anordnungen wurden Beide sofort eingelassen und nach dem Privatzimmer des Directors geführt.

Dieser empfing den Grafen d'Artigas in zuvorkommendster Weise und stellte sich ihm zur Verfügung, da er keinem Andern die Ehre gönnen wollte, sein Cicerone zu sein. Graf d'Artigas nahm das verbindliche Angebot mit höflichem Danke an. Der Director prahlte nicht wenig mit seiner den Kranken gewidmeten Pflege, einer Pflege, die, wenn man ihm glauben durfte, der weit überlegen war, die jene in ihrem eignen Heim genossen hätten, einer wahren »Luxusbehandlung«, wiederholte er öfters, deren Erfolge dem Healthsul-House seinen verdienten Ruhm erworben hatten.

Der Graf d'Artigas hörte ihm zu, ohne sich aus seinem gewohnten Phlegma bringen zu lassen, und schien sich von dieser unversieglichen Ruhmrednerei interessieren zu lassen, um desto besser das Verlangen zu verhüllen, das ihn nach diesem Hause geführt hatte. Nach fast einstündigem Zuhören und Umherwandeln nahm er jedoch selbst das Wort.

»Haben Sie, Herr Director, nicht auch einen Kranken hier, von dem man in der letzten Zeit allgemein viel gesprochen und der sogar in nicht geringem Maße dazu beigetragen hat, dem Healthsul-House die öffentliche Aufmerksamkeit zuzuwenden?

– Ah, Sie sprechen wohl von Thomas Roch, Herr Graf? fragte der Director.

– Ganz recht... von jenem Franzosen... jenem Erfinder, dessen Vernunft etwas angegriffen zu sein scheint.

– Sogar sehr, Herr Graf, und vielleicht ist das ein wahres Glück. Meiner Ansicht nach hat die Menschheit nichts zu gewinnen durch Erfindungen,[20] deren Verwendung nur die ohnehin schon so zahlreichen Zerstörungsmittel noch vermehrt...

– Sehr klug und weise, Herr Director! Ich theile hierin übrigens völlig Ihre Meinung. Der wahre Fortschritt liegt nicht auf dieser Seite, und ich betrachte die als verderbliche Geister, die auf solchem Wege wandeln. Hat jener Erfinder denn seine geistigen Fähigkeiten noch nicht gänzlich verloren?

– Gänzlich?... O nein, Herr Graf, außer was so die gewöhnlichen Sachen des Lebens betrifft. In dieser Beziehung fehlt es ihm an jedem Verständniß und an jeder Verantwortlichkeit für sein Thun und Treiben. Sein Erfindergenie ist dagegen ganz unberührt geblieben, es hat die geistige Entartung überlebt, und wenn jemand auf seine, allerdings ganz unverständigen Forderungen eingegangen wäre, zweifle ich gar nicht daran, daß er eine neue Kriegsmaschine – für die ja nicht das geringste Bedürfniß vorliegt – zu Stande gebracht hätte.

– Gewiß, kein Bedürfniß, Herr Director, wiederholte der Graf d'Artigas, dem der Kapitän Spade beizustimmen schien.

– Sie werden darüber übrigens selbst urtheilen können, Herr Graf. Hier stehen wir vor dem von Thomas Roch bewohnten Pavillon. Ist seine Einschließung auch vom Gesichtspunkte der öffentlichen Wohlfahrt ganz gerechtfertigt, so wird er doch mit aller ihm gebührenden Rücksicht und aller Sorgfalt behandelt, die sein Zustand erfordert. Daneben ist er geschützt vor indiscreten Personen, die etwa darauf ausgingen...«

Der Director schloß seinen Satz mit einem sehr bezeichnenden Kopfschütteln, das auf den Lippen des Fremden ein kaum bemerkbares Lächeln hervorrief.

Wird denn Thomas Roch, fragte der Graf d'Artigas, auch niemals allein gelassen?...

– Niemals, Herr Graf. Er hat zur steten Beaufsichtigung einen besondern Wärter, auf den wir uns unbedingt verlassen können. Im Fall ihm dann auf die eine oder die andre Weise eine Andeutung entfallen sollte, wird diese augenblicklich bemerkt, und es würde sich dann zeigen, welcher Gebrauch davon zu machen wäre.«

Bei diesen Worten streifte der Graf d'Artigas mit einem flüchtigen Blicke den Kapitän Spade, der durch eine leichte Bewegung sagen zu wollen schien: »Ja, ja, ich verstehe.«

Wer den genannten Kapitän während dieses Besuchs beobachtet hätte, würde in der That bemerkt haben, daß er den Theil des Parks, der den[21] Pavillon Nr. 17 umschloß, und die Eingänge, die hierher den Zutritt ermöglichten, mit größter Aufmerksamkeit musterte... wahrscheinlich angesichts eines schon vorher entworfnen Planes.

Der Garten dieses Pavillons reichte bis an die Umfassungsmauer des Healthsul-House. Nach außen zu zog sich die Mauer fast am Fuße des Hügels hin, dessen letzter Abhang in sanfter Neigung nach dem rechten Neuzeuser verlief.

Der Pavillon selbst bestand nur aus einem Erdgeschoß, mit einer Art italienischen Terrasse darüber. Das Erdgeschoß enthielt zwei Zimmer nebst einem Vorraume, deren Fenster durch Eisenstangen verwahrt waren. An beiden Seiten des kleinen Gebäudes erhoben sich schöne Bäume, die jetzt im üppigsten Laubschmuck standen. Davor dehnte sich eine grüne, zarte Rasenfläche aus, die da und dort mit verschiednen Gesträuchen und farbenprächtigen Blumen geschmückt war. Das Ganze umfaßte etwa einen halben Ar zum ausschließlichen Gebrauch für Thomas Roch, der hier unter der Aufsicht seines Wärters beliebig lustwandeln konnte.

Als der Graf d'Artigas, der Kapitän Spade und der Director der Anstalt den abgeschlossnen Raum betraten, bemerkten sie schon an der Thür des Pavillons den Wärter Gaydon.

Sofort wendete sich der Blick des Grafen d'Artigas dem Manne zu, den er mit merkwürdiger Zähigkeit zu betrachten schien. Es war nicht zum ersten Male, daß Fremde den Insassen des Pavillons Nr. 17 aufsuchten, denn der französische Erfinder galt mit Recht für den interessantesten Pflegling des Healthful-House. Gaydon's Aufmerksamkeit wurde jetzt aber besonders erregt durch den originellen Typus der zwei Männer, deren Nationalität er nicht kannte. War ihm der Name des Grafen d'Artigas auch geläufig genug, so hatte er doch nie Gelegenheit gehabt, diesem Gentleman während seines Aufenthalts in den östlichen Häfen zu begegnen, und er wußte auch nicht, daß die Goelette »Ebba« zur Zeit am Eingange der Neuze und am Fuße des Hügels vom Healthful-House verankert lag.

»Wo ist Thomas Roch, Gaydon? fragte der Director.

– Dort, antwortete der Wärter, indem er mit der Hand nach einem Manne hinwies, der hinter dem Pavillon nachdenkend und langsamen Schrittes unter den Bäumen auf und ab ging.

– Der Herr Graf d'Artigas ist ermächtigt, das Healthsul-House zu besuchen und hat davon nicht wieder weggehen wollen, ohne Thomas Roch gesehen zu haben, von dem in letzter Zeit so vielfach gesprochen worden ist...[22]

– Und von dem man noch mehr sprechen würde, fiel der Graf d'Artigas ein, wenn die Bundesregierung nicht die Vorsicht gebraucht hätte, ihn in dieser Anstalt einzuschließen...

– Eine nothwendige Vorsichtsmaßregel, Herr Graf.

– Nothwendig... ja freilich... Herr Director, jedenfalls ist es für die Ruhe der Welt ersprießlicher, wenn das Geheimniß dieses Erfinders mit ihm untergeht.«

Gaydon hatte, nachdem er sich den Grafen d'Artigas angesehen, noch kein Wort gesprochen und begab sich jetzt, den beiden Fremden voranschreitend, nach dem Baumdickicht im Hintergrunde der Einzäunung.

Die Besucher hatten nur einige Schritte zu machen, um Thomas Roch gegenüber zu stehen.

Thomas Roch hatte sie nicht kommen sehen, und als sie sich in kurzem Abstande vor ihm befanden, bemerkte er ihre Anwesenheit wahrscheinlich auch jetzt nicht.

Inzwischen besichtigte der Kapitän Spade, ohne irgendwelchen Verdacht zu erregen, die ganze Oertlichkeit, vorzüglich die Stelle, die der Pavillon Nr. 17 hier im untern Parktheile des Healthsul-House einnahm. Als er eine geneigt verlaufende Allee herauskam, konnte er deutlich eine Mastspitze sehen, die über die Umfassungsmauer emporragte. Um zu erkennen, daß es die der Goelette »Ebba« war, genügte ihm ein einziger Blick, und er sah daraus, daß die Mauer sich hier längs des Neuzeusers hin erstreckte.

Unbeweglich und stumm betrachtete der Graf d'Artigas inzwischen den französischen Erfinder. Bei diesem noch kräftigen Manne – das erkannte er – schien die körperliche Gesundheit durch eine schon achtzehn Monate währende Einschließung noch nicht gelitten zu haben. Sein seltsames Auftreten aber, die unzusammenhängenden Bewegungen, der starre Blick und die mangelnde Aufmerksamkeit gegen alles, was um ihn her vorging, verriethen nur zu deutlich einen vollständigen Zustand der Unbewußtheit und eine tiefe Störung der geistigen Fähigkeiten.

Thomas Roch hatte sich auf eine Bank gesetzt und zeichnete mit der Spitze eines Rohrstöckchens die Umrisse einer Festungsanlage in den Sand des Weges. Dann kniete er nieder und scharrte kleine Haufen von Sand zusammen, die offenbar Bastionen vorstellen sollten. Nachdem er hierauf einige Blätter von einem Strauche in der Nähe abgerissen hatte, steckte er sie als Miniaturfahnen[23] in die Häuschen, und alles das geschah höchst ernsthaft und ohne daß er sich durch die ihm zusehenden Personen im geringsten beirren ließ.

Das Ganze war ein Kinderspiel, nur hätte ein Kind dabei nicht diesen Ernst und die charakteristische Gleichgiltigkeit für alles andre gezeigt.

»Er ist also wohl ganz irrsinnig? fragte der Graf d'Artigas, der trotz seiner gewohnten Unerregbarkeit doch einige Enttäuschung zu fühlen schien.

– Ich hatte Ihnen schon mitgetheilt, Herr Graf, wie es mit ihm steht.

– Wäre er auch nicht im Stande, uns einige Aufmerksamkeit zu widmen?

– Es dürfte schwer fallen, ihn dazu zu bewegen.«

Dann wendete er sich an den Wärter.

»Sprechen Sie ihn an, Gaydon, vielleicht bringt ihn Ihre Stimme dazu, eine Antwort zu geben.

– Ja, mir wird er sicherlich antworten, Herr Director,« sagte Gaydon.

Bei diesen Worten berührte er die Schulter des Kranken.

»Thomas Roch?« rief er recht sanften Tones.

Dieser richtete den Kopf auf, sah aber von allen anwesenden Personen ohne Zweifel nur seinen Wärter, obgleich der Graf d'Artigas, der Kapitän Spade und der Anstaltsdirector einen Kreis um ihn her bildeten.

»Thomas Roch, fuhr Gaydon in englischer Sprache fort, hier sind Besucher, die Sie zu sehen wünschten... sie interessieren sich für Ihr Wohlergehen... für Ihre Arbeiten...«

Das letzte Wort war das einzige, das die Aufmerksamkeit des Erfinders zu wecken schien.

»Für meine Arbeiten?...« erwiderte er ebenfalls englisch, das er geläufig sprach.

Darauf faßte er, wie ein Knabe seinen Ball, einen Kieselstein mit Daumen und Zeigefinger und schleuderte ihn nach einem der Sandhäufchen, das er dadurch zerstörte.


Während der Kapitän den Garten durchstreifte... (S. 27.)
Während der Kapitän den Garten durchstreifte... (S. 27.)

Ein Freudenruf drang aus seinem Munde.

»Vernichtet!... Weggefegt!... Mein Fulgurator!... Ich habe alles mit einem einzigen Schlage zerstört!«

Thomas Roch hatte sich erhoben, das Feuer des Triumphes leuchtete aus seinen Augen.

»Da sehen Sie es, bemerkte der Director gegen den Grafen d'Artigas, der Gedanke an seine Erfindung weicht nie von ihm...[24]

– Und wird auch mit ihm sterben, versicherte der Wärter Gaydon.

– Könnten Sie ihn nicht dazu bewegen, von seiner Erfindung, von seinem Sprengstoffe und seinem Zünder zu sprechen, Gaydon?...

– Wenn Sie es haben wollen, Herr Director...

– Ja, ich will es, denn ich glaube, das dürfte den Grafen d'Artigas vor allem interessieren...

– In der That, fiel der Besucher ein, ohne daß sein kalter Gesichtsausdruck etwas von den Empfindungen erkennen ließ, die ihn bewegten.[25]

– Ich laufe aber Gefahr, damit einen neuen Anfall hervorzurufen, bemerkte der Wärter.

– Sie werden das Gespräch abbrechen, wo Sie es für angezeigt halten. Sagen Sie Thomas Roch, ein Fremder wünsche mit ihm um den Ankauf seiner Maschine zu verhandeln...

– Fürchten Sie denn nicht, daß ihm sein Geheimniß dabei entschlüpft?« versetzte der Graf d'Artigas.

Das stieß er so hastig hervor, daß Gaydon sich nicht enthalten konnte, ihn mit mißtrauischen Blicken zu messen, was den unerschütterlichen Gast freilich nicht zu beunruhigen schien.

»Das ist nicht zu befürchten, antwortete der Wärter; kein Versprechen vermöchte Thomas Roch sein Geheimniß zu entlocken!... So lange man ihm nicht die Millionen eingehändigt hat, die er fordert...

– Die hab' ich leider nicht bei mir,« antwortete der Graf d'Artigas sehr ruhig.

Gaydon trat seinem Pflegebefohlenen etwas näher und berührte, wie vorher, leicht dessen Schulter.

»Thomas Roch, sagte er, hier sind Fremde, die Ihren Fulgurator zu kaufen beabsichtigen....

Thomas Roch richtete sich auf.

»Meinen Fulgurator... rief er, den Fulgurator Roch!...«

Eine zunehmende Aufregung deutete schon auf das Bevorstehen eines Anfalls hin, von dem Gaydon bereits gesprochen hatte und den Fragen dieser Art stets auslösten.

»Für wieviel wollten Sie ihn erwerben... für wieviel... wieviel...« fuhr der französische Erfinder fort.

Es war gar nicht gewagt, ihm eine noch so ungeheure Summe zu bieten.

»Wieviel bieten Sie... wieviel?... wiederholte der Kranke.

– Zehn Millionen Dollars, antwortete Gaydon.

– Zehn Millionen!... rief Thomas Roch. Zehn Millionen für einen Fulgurator, der allem, was man bisher in solchen Dingen geschaffen hat, zehnmillionenmal überlegen ist?... Zehn Millionen für ein Geschoß mit eigner Fortbewegung, das im Zerspringen seine zerstörende Gewalt über Tausende von Quadratmetern ausbreitet?... Zehn Millionen, das ist ja allein der Zünder werth, der die Explosion hervorbringt!... Nein, alle Schätze der Erde würden[26] nicht hinreichen, das Geheimniß meiner Maschine zu bezahlen, und ehe ich es für einen solchen Preis hingebe, beiß' ich mir lieber die Zunge im Munde ab!... Zehn Millionen für etwas, das eine Milliarde werth ist... eine Milliarde... eine Milliarde!...«

Thomas Roch erwies sich hiermit als ein Mensch, dem alle Begriffe und jedes Maß der Dinge verloren gegangen waren, wenn man mit ihm unterhandeln wollte. Und selbst wenn ihm Gaydon zehn Milliarden geboten hätte, so würde er in seinem Wahnsinn doch noch mehr verlangt haben.

Der Graf d'Artigas und der Kapitän Spade hatten nicht aufgehört, ihn von Anfang dieses Anfalles an zu beobachten – der Graf immer phlegmatisch, obgleich sich seine Stirn verdüstert hatte, der Kapitän mit Kopfschütteln, wie Einer, der sagen zu wollenschien: »Entschieden ist mit diesem Unglücklichen nichts an zufangen!«

Thomas Roch war übrigens schon entwichen, lief quer durch den Garten und rief noch immer mit von Zorn erstickter Stimme:

»Milliarden!... Milliarden!...«

Da bemerkte Gaydon, gegen den Director gewendet:

»Das hatt' ich Ihnen vorhergesagt!«

Dann machte er sich an die Verfolgung des Irrsinnigen, holte ihn ein und faßte ihn am Arm, ohne besondern Widerstand zu finden, und führte ihn endlich nach dem Pavillon, dessen Thür sofort geschlossen wurde.

Der Graf d'Artigas blieb mit dem Director allein zurück, während der Kapitän den Garten längs der untern Mauer noch einmal durchstreifte.

»Ich hatte nicht übertrieben, Herr Graf, begann der Director. Wir wissen, daß die Krankheit Thomas Roch's jeden Tag neue Fortschritte macht und meiner Ansicht nach dem unheilbaren Wahnsinn entgegengeht. Und stellte man auch alles Geld, das er verlangt, zu seiner Verfügung, es ließe sich doch nichts aus ihm herausbringen.

– Das scheint so, antwortete der Graf d'Artigas, und doch hat er, wenn seine Geldansprüche auch ins Sinnlose gehen, nichtsdestoweniger eine Kriegsmaschine erfunden, deren Macht sozusagen grenzenlos ist.

– So lautet die Meinung sachverständiger Personen, Herr Graf; was er aber auch erfunden haben mag, es wird in einem der Anfälle, die immer heftiger auftreten, mit ihm zu Grunde gehen. Bald wird auch die Triebfeder des Interesses, das allein in seiner Seele fortgelebt zu haben scheint, erlahmen...[27]

– Vielleicht bleibt dann noch die Triebfeder des Hasses übrig!« murmelte der Graf d'Artigas, als sich der Kapitän Spade ihnen an der Thür des Gartens wieder zugesellte.

Quelle:
Jules Verne: Vor der Flagge des Vaterlands. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXIX, Wien, Pest, Leipzig 1897, S. 18-28.
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