Dritter Auftritt

[13] Die Decke öffnet sich, es erscheint in einem rötlichen Lichtkreis Mephistopheles mit einem Orchester von höllischen Geistern, die, als Köchinnen und Kellnerinnen gekleidet, in einer Küche beschäftigt sind; er dirigiert mit dem Taktstock.


GESANG DER GEISTER.

Schwindet beengende,

Mönchisch bedrängende,

Traurige Wände!

Weichet behende

Traulichen Räumen

Freundlicher Küche!

Schüsseln umsäumen,[13]

Blanke, die Ränder,

Pfannen die Ständer;

Quillet hervor,

Steiget empor,

Holder Gerüche

Reizparadies.

Denn an dem Herde

Flinker Gebärde

Stehet die nette

Köchin Babette,

Drehet das fette

Gänschen am Spieß. –

Weitre Gewahrung

Zeiget daneben

Salzigen Harung,

Welcher soeben

Neben Kartöffelein,

Die sie gerädelt fein,

Stehet parat,

Kleingeteilt aufzugehn,

Angemacht aufzustehn

Im ölgenetzeten,

Essigdurchsetzeten

Räsen Salat.

Doch in Kamines Schoß

Drängen sich klein und groß

Bis zu dem Firste,

Locken und winken

Rauchige Schinken,

Zungen und Würste,

Ziehn um die niedliche,

Um die gemütliche,

Die appetitliche

Köchin, die drehende,

Sorglich besehende,

Schwebenden Kranz.[14]

Fertig nun findet sie,

Ziehet vom Spieße die

Brätelnde, schmorende,

Nasebetorende,

Goldschimmerhäutliche,

Brodelnde, bräutliche,

Rundliche Gans.

Wie sie sich beuget,

Wie sie sich neiget

Über die Schüssel,

Klirren bewegt,

Rasseln die Schlüssel,

Lange und kurze,

Blinkend am Ringe

Stählerner Zwinge,

Die sie am Schurze

Amtsgemäß trägt.

Doch der gewaltigste

Unter denselbigen

Öffnet aufs baldigste

Zu dem gewölbigen

Keller die Tür;

Dort aus dem kluftigen,

Dunkeln Gelaß

Luget herfür

Strotzend von duftigen,

Alten und reinen

Tiroler Weinen,

Strotzend von hopfigem,

Malzgehalttropfigem

Kraftelixiere

Lagernder Biere

Faß an Faß. –

FAUST sich den Mund wischend.

Oh, oh, oh!

O das ist nicht von Stroh!


[15] Gebärden des Entzückens, hierauf Versinken in einen träumerischen Zustand. Er schläft ein. Der Geisterchor ist verschwunden, die Decke schließt sich wieder, Mephistopheles erscheint hinter Faust.


MEPHISTOPHELES ad Spectatores.

Da bin ich. Faßt den Satz in seiner Tiefe:

Wo Prüfung ist, ist auch das Negative!


Sich über Faust beugend und die dürren Hände über ihn ausstreckend.


Er schläft, so recht, nun ist er wieder mein!

LIESCHEN.

O weh, o weh, der Böse wieder da!

MEPHISTOPHELES.

Altbackne Trutschel, freilich, ja.

LIESCHEN.

Weh, schläfert er ihn gänzlich ein,

So hat er gewonnen,

Hat ihm den Geist umsponnen!


Zu Faust, indem sie ihn rüttelt.


Wach auf, wach auf, sonst bist du ja verloren!

FAUST im Schlaf redend.

Hörst du das Gänselein am Spieße schmoren?

LIESCHEN ihn stärker rüttelnd.

Ermanne dich, da steht der Hölle Sohn!

Komm zu dir! Auf, er packt dich schon!

Vertreib ihn mit Gebet,

Sonst wird's zu spät!

FAUST erwachend.

Ach, laß mich fort, du bete nur und bleibe!

Ich breche auf und stürze in die Kneipe!

Was ist die Himmelsfreud? Ein leerer Traum

Verglichen mit der Kneipe trautem Raum!

Fühlt' ich nicht immer ihren Wert?

Bin ich der Schlucker nicht, der Schlechtbehauste,

Der Unmensch, den am magern Herd

Der grimme Durst, der dürre Hunger zauste?

Und seitwärts du mit wohlerzognen Sinnen[16]

In dieser Hütte dürft'gem Möbelzelt

Und all dein häusliches Beginnen

Umfangen von der engen Küchenwelt?

Dich, deinen Frieden muß ich untergraben,

Du, Kneipe, willst und sollst dies Opfer haben!

Hilf, Teufel, mir die Angst verkürzen!

Was muß geschehn, mag's gleich geschehn!

Genießen will ich noch des Lebens Würzen

Und meinethalb zugrunde gehn!

MEPHISTOPHELES reißt ihn empor, um ihn fortzuzerren.

Gehörest mir,

Nur her zu mir!

LIESCHEN.

O Not, o Not! Er raset, er ist hin!

Jetzt ist es Zeit, jetzt schell ich Valentin!


Zieht die Glocke.


Quelle:
Friedrich Theodor Vischer: Faust, Der Tragödie dritter Teil. Stuttgart 1978, S. 13-17.
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