Sechster Auftritt

[21] Ein Schulzimmer. Es treten lärmend ein, mit Schulsäcken, Büchern, dreißig selige Knaben, nehmen nach und nach Platz auf den Bänken. Mephistopheles steckt den Kopf zur Türe herein.


MEPHISTOPHELES.

Gut' Morgen, holde Jugend, liebe Fratzen!

KNABEN jubelnd.

Oho! der lustige Kauz ist wieder da!

MEPHISTOPHELES ist eingetreten.

Heut setzt's wohl Tatzen?[21]

KNABEN.

Wieso, wieso? Ihr wisset ja,

Er darf nichts tun, darf uns nicht schlagen!

MEPHISTOPHELES.

Wollt ihr's mal recht drauf wagen?

Nun sagt mir doch, ihr allerliebsten Tocken,

Was denkt ihr heut ihm wieder einzubrocken!

KARLCHEN.

Hier eine Kugel Pech, ich schmier's auf den Katheder.

MEPHISTOPHELES.

Auch gut, da klebt er fest mit seines Sitzteils Leder.

FRITZCHEN.

Ich habe da Knallerbsen mitgebracht.

MEPHISTOPHELES.

Nun ja, ihr müßt sie auf den Boden streuen,

Daß, wenn er auftritt, es ergötzlich kracht;

Doch bin ich stets ein Freund vom Neuen;


Zieht ein Schächtelchen aus der Tasche.


Kommt her, da guckt, ich hab euch was!

KNABEN ihn umringend und drängend.

Ei, wie, laß sehen, was ist das?

MEPHISTOPHELES.

Platz, süßer Pöbel, Platz!


Hält Gustelchen die Schachtel ans Ohr.


Hörst, Äffchen, wie es krabbelt?

Wie's rutscht und schiebt und zappelt?

GUSTELCHEN.

Ach, Maienkäfer!

MEPHISTOPHELES.

Ja, mein liebes Kind!

Ich haschte sie heut nacht nur so geschwind,

Wie ich vom Blocksberg schlendernd stieg herunter;

Ich dachte schmunzelnd just an jene Nacht,

Wo ich mit Faust denselben Weg gemacht.

Blitz, welcher lust'ge Saus und Braus!

Der Hexentanz, was für ein Schmaus!

Es war so munter wie in Wien beim Sperl,[22]

Und damals, ja, war Faust ein andrer Kerl!

Wie unverzagt schritt er bergan mit mir!

Das Drama ging nicht weiter, aber wir,

Und einem Rest von Goethes Epigrammen,

Die mit den Xenien nicht gepaßt zusammen,

Verschafft' ich bei der Geisterzunft

Noch leidlich eine Unterkunft!

Nun, wie ich da so bummle ohne Sorgen,

So schwärmten denn die Käfer gegen Morgen,

Sie summten fröhlich ihre Frühlingslieder,

Es spukte wohl selbst durch die Käferglieder

Die herrliche Walpurgisnacht –

Blitz, wer hat aufgemacht?

KNABEN.

Der Fritz, der Fritz!

MEPHISTOPHELES gibt ihm eine Ohrfeige.

Da hast du was für deinen Wunderfitz!


Beschwörend, die offene Schachtel hinaushaltend.


Der Herr der Maienkäfer, Schwaben,

Der Wanzen, Spinnen, Läuse, Schaben,

Der Schlangen, Kröten, Krokodille,

Vampire, Molche, Armadille,

Der Herr der Würmer und Lazerten,

Der Herr des Krebsgangs auf der Erden,

Er schickt euch das Verhängnis!

Zurück in das Gefängnis!


Die Käfer fliegen in die Schachtel.


MEPHISTOPHELES zu Gustel, der sich des Deckels bemächtigt hat.

Klapp zu, klapp zu!

So, jetzt ist Ruh!

Da nimm's, und wenn der Lehrer ist im Zug,

Mach auf und laß den Tierchen ihren Flug!

Doch halt, es fällt mir noch ein Stückchen ein,

Das soll das beste noch von allen sein!

Langt vom Katheder mir den Stecken![23]

FRITZCHEN, KARLCHEN UND ANDERE ihn holend und bringend.

Was mag er wohl bezwecken?

MEPHISTOPHELES zieht ein Messerchen und schneidet am Stecken.

Wir ringeln ihn.

KNABEN.

Was ist denn das?

MEPHISTOPHELES.

Sancta Simplicitas!

Wie, ihr, in allen Bubenstreichen

Zu Lehrers Qual bewandert sondergleichen,

Ihr wißt vom Steckenringeln nichts? Schaut her!

Ich nehm ihn, schneid hinein, doch nicht ganz quer,

Auch nicht bis in des Markes Mitte;

Aufsteigend in Spirale mit dem Schnitte,

Ganz fein, daß man ihn ja nicht sieht,

Richt ich den Stab so her, daß, wenn zu wild

Die Zornesader dem Gereizten schwillt

Und er nun doch vom Leder zieht,

Das Instrument ihm in der Hand zerbricht

Und ihm die Hälfte schnellet ins Gesicht.

Ihr sorgt dafür, daß seines Unmuts Geister

Nicht mehr bezwingt der hart bedrängte Meister.

KNABEN.

Gern, gern nach Kräften! Wird's, so ist's famos!


Man hört Schritte.


MEPHISTOPHELES.

Er kommt; an euren Platz! Dann frisch drauf los

Mit allen euren Teufelei'n!

Den Stecken schnell ins Pult hinein!


Die Knaben legen den Stecken ins Kathederpult, alle ordnen sich schnell, Mephistopheles verschwindet.


Quelle:
Friedrich Theodor Vischer: Faust, Der Tragödie dritter Teil. Stuttgart 1978, S. 21-24.
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