Dritter Auftritt

[91] Faust tritt mit Lieschen ein.


LIESCHEN.

Sei mir gegrüßt, du schlichte Frau!

Der Horizont ist wieder blau,

Er strahlet Wonne auf uns nieder!

Wir haben unsre Freunde wieder!

Und bist du auch an Bildung mir nicht gleich,

Doch nah wie ich dem offnen Himmelreich.

BÄRBELCHEN.

Ach Gott! Ich spüre gar kein Bildungsstreben,

Als brave Wirtin möcht ich weiter leben!

FAUST zu Lieschen.

Bestanden ist der dreifach harte Strauß,

Doch weh, noch ist die Probezeit nicht aus!

Nicht freut mich die Tafel, im wirtlichen Saal[91]

Gerüstet zum Einweihungsfestbacchanal,

Verhülltes Schweres ist noch angedroht –

Oh, mir ist bang, und Zuspruch tut mir not!

LIESCHEN.

Sei stark! So hart wie die bestandne Pein

Kann diese letzte Läuterung nicht sein!

FAUST.

Wer weiß! Sieh diesen Vorhang ausgebreitet!

Wie geisterhaft die langen Falten zucken!

Was hinter ihm sich mystisch vorbereitet,

Gibt mir gewiß noch Grausiges zu schlucken.


Man sieht in der offenen Türe vier Gestalten in Kutten, mit Studentenmützen und Heiligenscheinen. Eine derselben schwebt beständig auf und ab.


Aha! das sind sie, die beim leidensvollen

Einkleidungsfest mir assistieren sollen!

»Ein heil'ger Doktor, in Scholastik groß,

Soll Täufer sein bei deinem Fuchsenstoß,

Drei Patres seien Paten dir und Zeugen!«

So ist mir angesagt; ich muß mich beugen,

Muß sie ertragen nach dem finstern Spruch

Mit ihrem ranz'gen Heiligengeruch!

Ach! ich gesteh es, mir geschieht nur recht!

Warum auch hielt ich damals mich so schlecht

Vor dem Gespenste mit der schwarzen Kutte!

Dafür entlehnt aus faulem Kirchenschutte

Mein Dichter aus des alten Goethe Spalten

Boshaft die sporig modrigen Gestalten!

LIESCHEN.

Laß von Verdruß dich nicht zu stark beschweren:

Es gilt, sie allegorisch zu erklären!

FAUST.

Ein schwacher Trost für meinen Katzenjammer:

Sie riechen eklich nach der Rumpelkammer.

LIESCHEN.

Zählst du dich zu den Schuldigen,

Zähl' auch zu den Geduldigen![92]

Zwar nach der Lehre neuerer Theologen,

Die einem denkenden Glauben huldigen,

Bin ich im Töchterinstitut erzogen,

Entwachsen dem byzantinischen Stil,

Wie auch dem folgenden Formenspiel,

Als da ist: dem romanischen Halbrundbogen

Und dem steilen, spitzigen, gotischen;

Aus Andachtbüchlein, niedlichen, modischen,

In schwarzem Saffian mit goldnem Schnitte

Ward schön gesungen in der Töchter Mitte.

Doch ließ' ich, um beseligt hinzuwallen,

Mir gern auch jeden ältern Stil gefallen;

Sei objektiv! Bedeutung ist in allen!

FAUST.

Ach, sieh doch nur den einen von den Vieren

Beharrlich auf und nieder oszillieren!

Weist dies auf meines ungeratnen jungen

Euphorion verrückte Purzelungen?

LIESCHEN.

Mahnt dieses Bild magnetischen Prozesses

Dich an die Frucht begangenen Exzesses:

Als Buße für erkannte Schuld

Ertrag' auch dieses mit Geduld!


Quelle:
Friedrich Theodor Vischer: Faust, Der Tragödie dritter Teil. Stuttgart 1978, S. 91-93.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon