61. Huldigung

[316] 15. März 1795.


Oben glänzt des Himmels Bläue,

Weit umher die schöne Flur.

In des großen Tempels Freie

Schwör ich Treue,

Gottes Abglanz, dir, Natur!
[316]

Brich, o Geist, des Wahnes Schranken,

Wo dich Ort geengt und Zeit!

Auf zu Gott entfleuch mit franken

Lichtgedanken,

Endlos durch Unendlichkeit!


Schau, wie hehr und wunderprächtig

Alles strahlt, so hoch du drangst!

Vater, gut und weis' und mächtig,

O wie dächt' ich

Dein mit Schwermut, dein mit Angst?


Aller Wesen Stimm' erhebet:

Gott ist Gott! in hellem Chor.

Wo ein Staub sich regt und lebet,

Alles strebet

Zu der Geister Wonn' empor.


Allem Volk ins Herz geschrieben

Ward sein ewiges Gebot:

Reine Menschlichkeit zu üben;

Ach zu lieben

Gott in uns, im Bruder Gott!


Überall ertönt von allen

Fromme Sehnsucht, frommer Dank,

Gott vernimmt mit Wohlgefallen

Dort das Lallen,

Dort gereiften Lobgesang.


Wunderbar durch Glanz und Trübe

Wird der Geist uns angefacht.

Ob der Staub um uns zerstiebe;

Gottes Liebe

Läutert auch durch Todesnacht!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 316-317.
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