Scena quinta.

[252] Gott vater, Cayn.


GOTT VATER.

Cayn, kom her zu mir gantz schnel.

Wu ist itzt dein bruder Abel?

CAYN.

Weis nicht, wu er ist gangen hin;

Meinstu, das ich sein hüter bin?

GOTT VATER.

Cayn, was hastu nu gethan?

Das bludt deins bruders schreit mich an

Gantz starck zu mir von der erden,

Verflucht, vordampt mustu werden,

Die erdt das bludt entpfangen hat

Deins bruders von dein henden drath,

Darumb wenn du auch bawen werst,[252]

Dein acker werdt dir aller erst

Nicht geben sein vermögen baldt,

Unstet und flüchtig mannichfaldt

Saltu alzeidt auff erden sein,

Dich engsten sol das gewissen dein.

CAYN.

Ach leider, was hab ich gethan,

Das ich mein bruder erwürget han

Gantz jemerlich unschüldiglich?

Derhalb ich auch mus ewiglich

Vordampt und gantz verloren sein,

Ewig leiden der helle pein,

Darzu ich mus hie auff der erden

Gantz elendt und flüchtig werden,

Weis nicht, wie es bereidt zugath,

Ich fürcht mich vor eim rauschen bladt,

Darzu ich lauff auch hin und her,

Wie wol mich niemandt jaget sehr,

Doch kan ich itzt nirgent bleiben,

Mein gewissen thut mich treiben,

Des abents ist mir bang und we,

Des morgens, wenn ich auch auffsthe,

Wünsch ich den abend mit vorlangen,

Mein hertz am faden thut hangen

Und schwebet vor meim angesicht,

Dann ich förcht alzeit Gots gericht.

Mein missethat hie auff erden

Ist größer, dann mir kan werden

Vorgeben durch barmhertzigkeidt,

Mein sündt brengt mich inn einig leidt,

Gott mich vom erdboden treibet,

Gegen ihm die furcht stetz bleibet,

Unsteth und flüchtig mus ich sein

Hie auff erd inn elends pein

Und mus besorgen alle zeit,[253]

Wer mich bekompt auff erden weith,

Würd mich erwürgen der gestalt,

Weil ichs vordient hab mannichfalt.

GOTT VATER.

Cayn, das sol nicht sein also,

Sünder, wer dich erwürget do,

Sieben feltig sols gerochen werden,

Das sag ich dir hie auff erden,

Saltu von mir dis zeichen han:

Zitternt und bibent soltu ghan,

Das zeichen dein tag soltu schir

Tragen, das yder sich förcht vor dir,

Niemants dich auch erwürgen sal

Bey voriger straffe alle mahl.

CAYN.

Ach, wie bin ich in großer not!

Ich stecke mitten inn dem todt,

Darzu mus ich von eitern mein,

Vom angesicht des herrn rein

Ins elend fliehn inn frembde landt,

Do wert mir sein gantz unbekandt

Hülffe und trost an allem ort.

Ach, het ich gfast nu Gottes wordt

Vom vater und der mutter mein,

Das möcht mir itzt ein trost auch sein;

Aber weil ich das hab voracht,

So gibt mirs auch kein krafft noch macht,

Ich bin vorlassen gantz und gar,

Gehör auch inn der teuffel schar,

Die sündt mich ganz gefangen hat,

Darzu wert meiner nümmer radt,

Bis mich der ewig todt erschleich

Und kom also ins teuffels reich.


Quelle:
Dramen von Ackermann und Voith. Tübingen 1884, S. 252-254.
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