Raffaels Erscheinung

[142] Die Begeisterungen der Dichter und Künstler sind von jeher der Welt ein großer Anstoß und Gegenstand des Streites gewesen. Die gewöhnlichen Menschen können nicht begreifen, was es damit für eine Bewandtnis habe, und machen sich darüber durchaus sehr falsche und verkehrte Vorstellungen. Daher sind über die inneren Offenbarungen der Kunstgenies ebenso viele Unvernünftigkeiten, in und außer Systemen, methodisch und unmethodisch abgehandelt und geschwatzt worden, als über die Mysterien unsrer heiligen Religion. Die sogenannten Theoristen und Systematiker beschreiben uns die Begeisterung des Künstlers von Hörensagen, und sind vollkommen mit sich selbst zufrieden, wenn sie mit ihrer eiteln und profanen Philosophasterei umschreibende Worte zusammengesucht haben, für etwas, wovon[142] sie den Geist, der sich in Worte nicht fassen läßt, und die Bedeutung nicht kennen. Sie reden von der Künstlerbegeisterung, als von einem Dinge, das sie vor Augen hätten; sie erklären es, und erzählen viel davon; und sie sollten billig das heilige Wort auszusprechen erröten, denn sie wissen nicht, was sie damit aussprechen.

Mit wie unendlich vielen unnützen Worten haben sich nicht die überklugen Schriftsteller neuerer Zeiten bei der Materie von den Idealen in den bildenden Künsten versündigt! Sie gestehen ein, daß der Maler und Bildner zu seinen Idealen auf einem außerordentlicheren Wege, als dem Wege der gemeinen Natur und Erfahrung gelangen müsse; sie geben zu, daß dies auf eine geheimnisvolle Weise geschehe: und doch bilden sie sich und ihren Schülern ein, sie wüßten das Wie; – denn es scheint, als würden sie sich schämen, wenn irgend etwas in der Seele des Menschen versteckt und verborgen liegen sollte, worüber sie wißbegierigen jungen Leuten nicht Auskunft geben könnten.

Andre sind nun gar in der Tat ungläubige und verblendete Spötter, welche das Himmlische im Kunstenthusiasmus mit Hohnlachen gänzlich ableugnen, und durchaus keine besondere Auszeichnung oder Weihe gewisser seltener und erhabener Geister annehmen wollen, weil sie sich selber allzu entfernt von ihnen fühlen. Diese liegen indessen ganz außer meinem Wege, und ich rede mit ihnen nicht.

Aber die Afterweisen, auf welche ich deutete, wünsche ich zu belehren. Sie verwahrlosen die jungen Gemüter ihrer Schüler, indem sie ihnen so kühn und leichtsinnig abgesprochene Meinungen über göttliche Dinge beibringen, als wären es menschliche, und ihnen dadurch den Wahn einpflanzen, als stände es in ihrer Macht, dreist zu ergreifen, was die größten Meister der Kunst, – ich darf es freiheraus sagen, – nur durch göttliche Eingebung erlangt haben.

Man hat so manche Anekdoten aufgezeichnet und immer wieder erzählt, so manche bedeutende Wahlsprüche von Künstlern[143] aufbehalten und immer wiederholt; und wie ist es möglich gewesen, daß man sie so bloß mit oberflächlicher Bewunderung anhörte, daß keiner darauf kam, aus diesen sprechenden Zeichen das Allerheiligste der Kunst, worauf sie hindeuteten, zu ahnden? und nicht auch hier, wie in der übrigen Natur, die Spur von dem Finger Gottes anzuerkennen? Ich, für mein Teil, habe von jeher diesen Glauben bei mir gehegt; aber mein dunkler Glauben ist jetzt zur hellsten Überzeugung aufgeklärt worden. Glücklich bin ich, daß der Himmel mich ausersehen hat, seinen Ruhm durch einen einleuchtenden Beweis seiner unerkannten Wunder auszubreiten: es ist mir gelungen, einen neuen Altar zur Ehre Gottes aufzubauen. – Raffael, welcher die leuchtende Sonne unter allen Malern ist, hat uns in einem Briefe von ihm an den Grafen von Castiglione folgende Worte, die mir mehr wert sind als Gold, und die ich nie ohne ein geheimes dunkles Gefühl von Ehrfurcht und Anbetung habe lesen können, hinterlassen, worin er sagt:

»Da man so wenig schöne weibliche Bildungen sieht, so halte ich mich an ein gewisses Bild im Geiste, welches in meine Seele kommt.«1

Über diese bedeutungsvollen Worte nun ist mir neulich ganz unerwartet, zu meiner innigen Freude, ein helles Licht aufgesteckt worden.

Ich durchsuchte den Schatz von alten Handschriften in unserm Kloster, und fand, unter manchem nichtsnützigen bestäubten Pergament, einige Blätter von der Hand des Bramante, von denen es nicht zu begreifen ist, wie sie an diesen Ort gekommen sind. Auf dem einen Blatte stand folgendes geschrieben, wie ich es, ohne weiteren Umschweif, zu deutsch hierhersetzen will:

»Zu meinem eigenen Vergnügen, und um es mir genau aufzubewahren, will ich hier einen wunderbaren Vorfall aufzeichnen, welchen der teure Raffael, mein Freund, mir unter dem[144] Siegel der Verschwiegenheit vertraut hat. Als ich ihm vor einiger Zeit meine Bewunderung wegen seiner über alles schön gemalten Madonnen und heiligen Familien aus vollem Herzen zu erkennen gab, und mit recht vielen Bitten in ihn drang, mir doch zu sagen, von woher er denn in aller Welt die unvergleichliche Schönheit, die rührenden Mienen und den unübertrefflichen Ausdruck in seinen Bildern der heiligen Jungfrau entlehnt habe; so ward er, nachdem er mich eine Zeitlang mit seiner ihm eigenen, jünglinghaften Schamhaftigkeit und Verschlossenheit hingehalten hatte, endlich sehr bewegt, fiel mir mit Tränen um den Hals, und entdeckte mir sein Geheimnis. Er erzählte mir, wie er von seiner zarten Kindheit an, immer ein besondres heiliges Gefühl für die Mutter Gottes in sich getragen habe, so daß ihm zuweilen schon beim lauten Aussprechen ihres Namens ganz wehmütig zumute geworden sei. Nachher, da sein Sinn sich auf das Malen gerichtet habe, sei es immer sein höchster Wunsch gewesen, die Jungfrau Maria recht in ihrer himmlischen Vollkommenheit zu malen, aber er habe es sich noch immer nicht getraut. In Gedanken habe sein Gemüt beständig an ihrem Bilde, Tag und Nacht, gearbeitet; allein er habe es sich gar nicht zu seiner Befriedigung vollenden können; es sei ihm immer gewesen, als wenn seine Phantasie im Finstern arbeitete. Und doch wäre es zuweilen wie ein himmlischer Lichtstrahl in seine Seele gefallen, so daß er die Bildung in hellen Zügen, wie er sie gewollt, vor sich gesehen hätte; und doch wäre das immer nur ein Augenblick gewesen, und er habe die Bildung in seinem Gemüte nicht festhalten können. So sei seine Seele in beständiger Unruhe herumgetrieben; er habe die Züge immer nur umherschweifend erblickt, und seine dunkle Ahndung hätte sich nie in ein klares Bild auflösen wollen. Endlich habe er sich nicht mehr halten können, und mit zitternder Hand ein Gemälde der heiligen Jungfrau angefangen; und während der Arbeit sei sein Inneres immer mehr erhitzt worden. Einst, in der Nacht, da er, wie es ihm schon oft geschehen sei, im Traume zur Jungfrau gebetet habe, sei er, heftig bedrängt, auf einmal aus dem Schlafe aufgefahren. In der finsteren Nacht sei sein Auge von[145] einem hellen Schein an der Wand, seinem Lager gegenüber, angezogen worden, und da er recht zugesehen, so sei er gewahr geworden, daß sein Bild der Madonna, das, noch unvollendet, an der Wand gehangen, von dem mildesten Lichte strahle, und ein ganz vollkommenes und wirklich lebendiges Bild geworden sei. Die Göttlichkeit in diesem Bilde habe ihn so überwältigt, daß er in helle Tränen ausgebrochen sei. Es habe ihn mit den Augen auf eine unbeschreiblich rührende Weise angesehen, und habe in jedem Augenblick geschienen, als wolle es sich bewegen; und es habe ihn gedünkt, als bewege es sich auch wirklich. Was das Wunderbarste gewesen, so sei es ihm vorgekommen, als wäre dies Bild nun gerade das, was er immer gesucht, obwohl er immer nur eine dunkle und verwirrte Ahndung davon gehabt. Wie er wieder eingeschlafen sei, wisse er sich durchaus nicht zu erinnern. Am andern Morgen sei er wie neugeboren aufgestanden; die Erscheinung sei seinem Gemüt und seinen Sinnen auf ewig fest eingeprägt geblieben, und nun sei es ihm gelungen, die Mutter Gottes immer so, wie sie seiner Seele vorgeschwebt habe, abzubilden, und er habe immer selbst vor seinen Bildern eine gewisse Ehrfurcht gefühlt. – Das erzählte mir mein Freund, mein teurer Raffael, und es ist mir dieses Wunder so wichtig und merkwürdig gewesen, daß ich es für mich, zu meiner Ergötzung niedergeschrieben habe.« –

So ist der Inhalt des unschätzbaren Blattes, welches in meine Hände fiel. Wird man nun deutlich vor Augen sehen, was der göttliche Raffael unter den merkwürdigen Worten versteht, wenn er sagt:

»Ich halte mich an ein gewisses Bild im Geiste, welches in meine Seele kommt.«

Wird man, durch dieses offenbare Wunder der himmlischen Allmacht belehrt, verstehen, daß seine unschuldige Seele in diesen einfachen Worten einen sehr tiefen und großen Sinn aussprach? Wird man nun nicht endlich begreifen, daß all das profane Geschwätz über Begeisterung des Künstlers, wahre Versündigung sei, – und überführt sein, daß es dabei doch geradezu[146] auf nichts anderes, als den unmittelbaren göttlichen Beistand ankomme?

Aber ich füge nichts mehr hinzu, um jeden, über diesen so wichtigen Gegenstand der ernsten Betrachtung, seinem eigenen Nachdenken zu überlassen.

1

Essendo carestia di belle donne, io mi servo di certa idea che me viene al mente.

Quelle:
Wilhelm Wackenroder: Werke und Briefe. Berlin und München 1984, S. 142-147.
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