Erster Akt

[1454] Ein schlechtes Zimmer im Wirtshaus »Zum Gelben Kreuz«: die Art wie es möblieret sein muß, ist aus dem Akt selbst zu ersehn: auf der Seite eine Türe, die in eine Nebenkammer führt. Lieutenant von Gröningseck führt Frau Humbrecht an der Hand herein. Evchen ihre Tochter geht hinterdrein. Die Frauenzimmer haben Domino, er eine Wildschur an; alle noch ihre Masken vor.


MARIANEL setzt ein Licht auf den Tisch, im Abgehn. Sie haben schon befohlen?


[1454] Lieutenant winkt ja, Magd ab.


FRAU HUMBRECHT die Maske vom Gesicht ziehend. Herr Hauptmann! Sie stehn mir doch –

VON GRÖNINGSECK wirft Wildschur, Maske und Hut hin. Für alles, liebe Frau Humbrecht! für alles! – Ein Mäulchen, Kleine; das ist Ballrecht: Zieht Evchen die Maske auch ab. sei doch nicht so kleinstädtisch; ein Mäulchen! sag ich. Küßt sie; zur Mutter. Noch aber bin ich nicht Hauptmann, und ich laß mich nicht gern mehr schelten, als ich bin.

FRAU HUMBRECHT verneigt sich. Wie Sie befehlen; Sie stehn mir doch, Herr Major –

VON GRÖNINGSECK. Bravo! bravo! immer besser! ha ha ha!

EVCHEN. Ei, Mutter, stell Sie sich doch nicht so artig; Major ist ja noch mehr als Hauptmann, Sie weiß ja gar nichts. – Der Herr Lieutenant wohnt schon einen ganzen Monat bei uns. –

VON GRÖNINGSECK. Einen Monat und drei Tage, mein Kind! ich hab jede Minute gezählt.

EVCHEN. Denk doch! ist Ihnen die Zeit so lang geworden.

VON GRÖNINGSECK. Noch nicht! aber bald möchte sie mir's werden, wenn du nicht –

EVCHEN. Du! seit wann so vertraut?

VON GRÖNINGSECK. Zank nicht, Evchen! zank nicht! Müßt mir heut nichts übelnehmen, Leutchen, ich hab ein Gläschen Likör zuviel.

FRAU HUMBRECHT. Was ich fragen wollt, Herr Leutenant, Sie stehn mir doch davor, daß wir in einem honetten Haus sind?

VON GRÖNINGSECK. So soll mich der Teufel lebendig zerreißen, Frau Humbrecht! wenn hier nicht täglich alles, was beau monde heißt, zusammenkommt: – sehn Sie nur an, wie schlecht das Zimmer möbliert ist. –

FRAU HUMBRECHT. Eben drum!

VON GRÖNINGSECK. Eben drum! freilich, eben drum! Das macht, die guten Zimmer sind alle schon besetzt. Meint Sie denn pardieu! der Lieutenant von Gröningseck würde sich sonst in einen solchen Stall weisen lassen. Drei Stühl, und ein Tisch, den man nicht anrühren darf!


Er stößt daran, der Tisch fällt um, das Licht mit, geht aus.


FRAU HUMBRECHT. Herrjemine das Licht! Herr Leutenant, das Licht!

VON GRÖNINGSECK ihr nachäffend. Das Licht! das Licht! Hat der[1455] Henker das geholt, so gibt's noch andre. – Wo ist der Leuchter? – Sucht.

EVCHEN. Hier hab ich ihn schon.

VON GRÖNINGSECK. Wo? wo?

EVCHEN. Ei hier! Sie greifen ja dran vorbei – pfui! –

FRAU HUMBRECHT. Was ist? was gibt's?

VON GRÖNINGSECK. Gar nichts! Nimmt den Leuchter ab, und geht nach der Türe. Holà, des flambeaux!


Ein altes Weib hält ihm, ohne sich recht sehn zu lassen, ein Licht hin, er steckt seines an.


EVCHEN sich die Hände am Schnupftuch abwischend. Ei da hab ich mir die Hände am Inschlitt beschmiert. Wirft dem Lieutenant heimlich einen drohenden Blick zu; er lächelt.

FRAU HUMBRECHT. Wenn's sonst nichts ist –

VON GRÖNINGSECK stellt den Tisch wieder auf, das Licht drauf. Das war ma foi ein Hauptspaß! eben red ich von dem krüpplichten Hund, da stürzt die Kanaille zu Boden – Bald hätten wir das Beste übersehn, le diable m'emporte, c'est charmant; c'est divin! seht doch das Stellagie da an, halb Bett, halb Kanapee; ich glaub gar, es ist ein Feldschragen, den sie aus dem Spital gestohlen haben; ha ha ha! – Was wett ich: Sie haben kein so schönes Brautbett gehabt, Frau Humbrecht? – Zwar nur ein Strohsack – Drückt mit der Hand drauf. aber doch gut gefüllt – elastisch! –

FRAU HUMBRECHT halb böse. Ei was, Herr Leutenant! in Gegenwart meiner Tochter –

VON GRÖNINGSECK. Muß ich Sie küssen – guckst scheel, Evchen? – noch einmal, dem Evchen zum Possen! – so! aller guter Ding sind drei. – Geht auf Evchen los, bietet ihr die Hand, sieht ihr starr in die Augen, sachte zur Tochter. Das war Strafe für dein unzeitiges Pfui! Evchen lacht, schlägt ein.

FRAU HUMBRECHT während obiger Pantomime. Er ist zum Fressen der kleine Narr! man muß ihm gut sein, nicht ob man will: wie Quecksilber, bald da, bald dort.

MARIANEL kommt. Befehlen Sie, daß man aufträgt?

VON GRÖNINGSECK. Das versteht sich pardieu! je eher je besser, und je mehr je lieber!

FRAU HUMBRECHT. Komm, Eve! ich muß den Domino ein wenig ausziehn, es wird mir so warm ums Herz.

EVCHEN. Mir auch Mutter! Nimmt der Magd die Lampe ab, und geht mit ihrer Mutter ins Nebenzimmer.[1456]

VON GRÖNINGSECK. Desto besser! Sachte. für mich. Ruft ihnen nach. Soll ich die Kammermagd vorstellen? ich kann perfekt mit umgehn. –

FRAU HUMBRECHT. Ei ja! das wär mir schön. Nein, so eine Kammermagd wär uns viel zu vornehm.

EVCHEN. Wir können's ohne Sie, Herr Blaurock!


Schabt ihm hinterrücks der Mutter ein Rübchen, und schlägt die Tür zu.


VON GRÖNINGSECK. Wo führt denn dich das Donnerwetter hierher, Marianel? bist nicht mehr im Kaffeehaus dort an der Eck? – das kleine Stübchen war sehr bequem –

MARIANEL. Gar recht, daß du selbst davon anfängst, du Teufelskind – gar recht! bist mir auch noch 's Christkindel schuldig, gleich gib mir's, oder ich verrat dich. –

VON GRÖNINGSECK. Ich – dir schuldig? hab ich dir nicht jedesmal deinen kleinen Taler gegeben, wenn –

MARIANEL. Ja schön allemal bezahlt! wie oft hab ich dir borgen müssen? gelt du weißt es nit du Saufigel, wie Er den Sonntag vor Weihnachten noch des Nachts um zwölf einen Lärm machte, als wollt Er das Haus stürmen, und wie ich Ihn heimlich zur Hintertür herein ließ, und wie ich Ihm Tee kochte, und wie Er mich über und über bespie, und –

VON GRÖNINGSECK. Und – und – halt 's Maul zum – hier sind sechs Livres, du Schindaas – Aber eins mußt du mir zu Gefallen tun –

MARIANEL. Alles, alles, mein Kostbarle! sag! red!


Will ihn liebkosen.


VON GRÖNINGSECK stößt sie von sich. Das ist heut überflüssig: wenn der Soldat Eierweck hat, frißt er kein Kommißbrot.

MARIANEL. Denk doch! Kostbarle, bist sehr verschleckt; wirst froh sein und von selbst wiederkommen.

VON GRÖNINGSECK. Das denk ich auch, Narr! so bös ist's nicht gemeint! – sieh, da ist ein Päckchen, das nimm, und wenn ich um Punsch ruf, so tu das Pulver, das drin ist, ins erste Glas voll, das du auf den Tisch stellst. –

MARIANEL. Geh du zum lüftigen Teufel mitsamt deinem Pulver, du Tausendsakerment! willst mich die Leut vergiften machen? – meinst, ich hab kein Gewissen, du Höllenhund? –

VON GRÖNINGSECK. So hör mich doch an, Marianchen! sakerment hör mich, oder – Es ist kein Gift, ein kleiner Schlaftrunk ist's, wenn's doch wissen willst – und hier ist noch ein großer Taler –[1457]

MARIANEL. Ja so! das ist was anders – so gib nur her.


Sie greift nach dem Geld, er steckt's wieder ein.


VON GRÖNINGSECK. Hier ist das Pulver – mach deine Sachen ja klug! wenn ich fortgeh, kriegst du den großen Taler.

MARIANEL. Warum nicht gleich?

VON GRÖNINGSECK. Einer Hur ist niemals zu trauen –

MARIANEL im Fortgehn. Keinem Schelmen auch nicht, und wenn keine Hurenbuben wären; so gäb's lauter brave Mädels. – Darft's wohl noch schimpfen ihr – erst schnitzt ihr euch euren Herrgott, dann kreuzigt ihr ihn. –

VON GRÖNINGSECK. Halt 's Maul! und tu, was ich dir sagte.

MARIANEL. 's wird einen Dreck nutzen.


Ab.


VON GRÖNINGSECK. Das ist meine Sorge! Es müßte toll hergehn, wenn ich die Alte nicht über den Gänsmist führen sollt – Zu Evchen, die zurückkommt, die Mutter hinterdrein. So, ma chère, das ist recht, das ist schön, sehr schön! – le diable m'emporte – siehst so recht appetitlich aus! so dünn und leicht angezogen! – bist auf mein Ehr recht hübsch gewachsen, so schlank! alles so markiert! –

FRAU HUMBRECHT. Na, Herr Leutenant, wie seh denn ich aus? gelt! zum Spektakel –

VON GRÖNINGSECK ohne sie anzusehn. Superb, superb! das Negligé steht Ihnen recht gut.

FRAU HUMBRECHT. Ja, das sagt er so: Gedanken sind zollfrei, denkt er; – wenn nur ein Spiegel da wäre! –

VON GRÖNINGSECK. Wie göttlich schön dir das derangierte Haar läßt, mein Liebchen! kann mich nicht satt an dir sehn: – die Zöpfe so flott!


Küßt sie, und führt sie, den Arm um ihren Leib geschlungen, dem Tisch zu, setzen sich nebeneinander.


FRAU HUMBRECHT sich mittlerweil betrachtend. Du hast fast recht, Eve, ich hätte den Domino wieder umwerfen sollen – jetzt seh ich's erst, bei der Lampe hab ich's nicht so bemerkt – mein Mantlett ist fast gar zu schmutzig.

EVCHEN. Hab's Ihr ja gleich gesagt, aber da hat Sie keine Ohren gehabt.

VON GRÖNINGSECK. Es ist gut, Leutchen! 's ist gut! Frau Humbrecht 's ist gut, sag ich.

FRAU HUMBRECHT. Na denn! wenn's nur Ihnen gut genug ist – Geht zu ihm, und spielt ihm an der Epaulette. – ich hab eben gedacht, unter der Maske sieht man's ja nicht, ob's rein oder[1458] schmutzig ist, und tust du ein weißes an, dacht ich, so wird's doch auch verkrumpelt.

VON GRÖNINGSECK. Eine vortreffliche Haushälterin, bei meiner Treu; Läßt Evchens Hand gehen, packt ihre Mutter um den Leib, und stellt sie zwischen seine Beine. très bonne ménagère! – sind Sie denn nicht müde geworden auf dem Ball, mein Weibchen?

FRAU HUMBRECHT. Ei wer kann denn da müd werden, es gibt immer etwas zu sehn! immer was Neues! ich hätt, glaub ich, noch die ganze Nacht und den ganzen Tag durch ohngegessen und ohngetrunken auf einem Fleck sitzen können.

EVCHEN. Ich nicht! am Zusehn hätt ich gar keine Freud.

VON GRÖNINGSECK. Du machst lieber selbst mit, nicht wahr?

EVCHEN unschuldig. Ja!

FRAU HUMBRECHT lacht; sich recht auszulachen bückt sie sich vorwärts an des Lieutenants Brust, das Gesicht von Evchen abgekehrt: Er spielt ihr am Halsband, sie drückt ihm die Hand, und küßt sie. Das hat sie nicht verstanden: müssen ihr ihre Dummheit nicht übel auslegen. Sich aufrichtend. Sie sind auch gar zu schlimm, daß Sie es nur wissen.

MARIANEL bringt Essen, hernach Wein und Gläser, setzt es hin, geht ab.

VON GRÖNINGSECK. Allons fix! Platz genommen meine Lieben! Das Frühstück ist da; – zugegriffen! – Sie setzen sich, er legt vor. Hier Madame –

FRAU HUMBRECHT. Pfui doch! ich hab's Ihnen ja schon oft gesagt, ich mag nicht Madame heißen; ich bin halt Frau schlechtweg – sorgen Sie aber auch für sich. –

EVCHEN. Wo denken Sie hin? – was soll ich mit alle dem Essen anfangen?


Will wieder in die Schüssel legen.


FRAU HUMBRECHT. Laß nur, behalt's! – Kannst ja, was du nicht essen kannst, in die Poschen stecken: – nit wahr? Herr Leutenant! – bezahlt muß es doch werden.

VON GRÖNINGSECK. Richtig, mein Weibchen! Kneipt ihr in die Backen, und schielt auf Evchen. Ma foi Sie haben Verstand wie ein Engel; gleich wissen Sie sich zu helfen. – Pardieu! der Muskatenwein ist vortrefflich! Stößt an. Unsre Gesundheit! – der künftige Mann, Evchen!

FRAU HUMBRECHT. O das hat noch Zeit; – sie ist erst achtzehn Jahr alt.

VON GRÖNINGSECK. Schon drei Jahr verloren![1459]

FRAU HUMBRECHT. Denk doch! und ich war nächst an den vierundzwanzigen, als ich meinen Humbrecht kriegte, und doch lachten mich meine Kameräden all aus, daß ich so jung heiratete.

VON GRÖNINGSECK. Gotische Zeiten! Gotische Sitten! – Stößt an. Nun die Brautnacht, Frau Humbrecht!

FRAU HUMBRECHT. Hi hi hi! Sie wollen mir, glaub ich, ein Räuschchen anhängen, nein, nein! da wird nichts draus. – Na denn; meinem lieben Mann zu Ehren; ich geb mir die Ehr –


Will aufstehn.


VON GRÖNINGSECK hält sie davon ab. Ohne Komplimenten! wir trinken noch eine Bouteille, und dann setzen wir ein Gläschen Punsch obendrauf.

FRAU HUMBRECHT. Behüt und bewahre! Das würde mir eine schöne Wirtschaft geben: – nein, nein! wenn's Ihnen gefällig ist, wollen wir jetzt auf brechen –

VON GRÖNINGSECK. Aufbrechen? jetzt schon? rappelt dir's Weibchen? – Faßt sie um den Hals. Wahrhaftig, da würden wir uns schön affigieren. – Sieht auf die Uhr. Erst halb drei! die ganze Nachbarschaft würde uns auslachen, wenn wir um halb drei schon vom Ball nach Haus kämen. – Lassen Sie sich nur nichts davon träumen, Frau Humbrecht! – Vor einer Stunde kommen Sie mir nicht vom Fleck hier, und dann fahren wir noch erst wieder auf den Ball zurück; – ich hab Kontermarken genommen.

EVCHEN. O ja Mutter! noch auf den Ball wieder!

FRAU HUMBRECHT. Na so denn! weil ich dir doch eine Freude hab machen wollen; und weil uns der Herr Leutenant so viel Ehr erzeigt, so will ich's denn nur erlauben – dein närrischer Vater läßt dich ja so nie aus dem Haus.

VON GRÖNINGSECK. Das heiß ich geredet: wenn man nur selten ans Vergnügen kommt, so muß man's auch recht genießen, zudem ist heute der letzte Ball für dies Jahr: also – frisch Evchen! nicht so geleppert, das Glas muß aus: Evchen leert's. So bist brav! sollst auch ein Mäulchen haben! – Küßt sie. Holà! la maison! Marianel macht die Tür auf. Punsch! Magd wieder ab.

EVCHEN. Was ist denn der Punsch eigentlich für ein Getränk, Mutter?

FRAU HUMBRECHT. Ich weiß selbst – es ist halt –

VON GRÖNINGSECK. Wie Evchen, du weißt nicht, was Punsch ist,[1460] hast noch keinen getrunken? – Ihr Leute lebt ja, wie die Bettelmönche – schon achtzehn Jahr alt, und heut zum erstenmal auf den Ball gewesen, und weiß nicht, was Punsch ist? – Ein Nektar! ein Göttertrank ist's! le diable m'emporte, s'il n'est pas vrai! Wenn ich König von Frankreich wär, so wüßt ich mir dennoch kein delikaters Gesöff zu ersinnen, als Punsch; der ist und bleibt mein Leibtrank, so wahr ich – Ah le voilà! Marianel bringt drei Schoppengläser auf einem Kredenzteller; er nimmt ihr eins nach dem andern ab, beim ersten, das sie ihm hinhält, frägt er sie. Ist das vom Rechten?

MARIANEL sich tief verneigend. Ihnen gehorsamst aufzuwarten – Zwickt ihn, ungesehn der andern im Arm, er sieht sie stolz an, und macht eine Bewegung mit der Hand, daß sie fortgehn soll: sie verneigt sich nochmals, und geht mit Mühe das Lachen verbeißend, ab.

FRAU HUMBRECHT hält das Glas an die Nase. Ja da kommen Sie mir schön an, beim Blut; da trink ich keinen Tropfen von; – das riecht einem ja, Gott verzeih mir's! so stark in die Nase, daß man vom bloßen Geruch besoffen wird.

VON GRÖNINGSECK. Grade das Gegenteil, Weibchen! grade das Gegenteil; – ich geb Ihnen meine parole d'officier, oder auch meine parole de maçon, welche Sie wollen, daß ich mich schon mehrmals zwei- auch dreimal in einem Nachmittag besoffen, und jedesmal im Punsch mich wieder nüchtern getrunken habe.

EVCHEN. Ja Sie: Sie haben den Magen schon ausgepicht, aber ich bin gar nichts Starkes gewohnt.

VON GRÖNINGSECK. Gut! so will ich kapitulieren: Evchen trinkt, soviel sie will, und ihren Rest nehm ich noch auf mich; die Mama aber leert ihr Glas so ist hübsch die Proportion gehalten. – Allegro! ins Gewehr! –


Er reicht jeder ihr Glas, nimmt seines, stößt an, sie trinken.


EVCHEN speit aus. Pfui! das brennt einen ja bis auf die Seele.

FRAU HUMBRECHT. Du Unart! geht man denn mit Gottes Gab so um? Trinkt wieder fort. – Mir schmeckt's ganz gut – fast wie Rosoli.

VON GRÖNINGSECK. So ungefähr, ja! – wenn's Ihnen nur schmeckt, Weibchen. – Aber eins, Evchen, mußt du mir, wenn wir wieder auf den Ball fahren, versprechen, daß du mir keinen Teutschen mit jemand anders, als mit mir tanzest; Kontertänz soviel du willst.[1461]

FRAU HUMBRECHT. Gelt! sie kann nichts! hat's eben wieder verlernt. –

VON GRÖNINGSECK. Nicht doch! – sie tanzt nur zu gut, macht ihre Figuren, Wendungen, Stellungen mit zu viel grâce, zu reizend, zu einnehmend – ich kann's ohne heimlich eifersüchtig zu werden, nicht mit ansehn.

FRAU HUMBRECHT. Ei Sie belieben halt zu vexieren! – sie hat zwar drei Winter hintereinander beim Sauveur Lektion genommen. –

VON GRÖNINGSECK. Beim Sauveur! – pardieu! da wundert's mich nicht mehr – ich hab auch bei ihm repetiert: – c'est un excellent maître pour former une jeune personne! – sein Wohlsein! Frau Humbrecht und er trinken. – aber, comment diable kamen Sie an den Sauveur? der hat ja immer so viel mit Grafen und Baronen zu tun –

EVCHEN. Es waren auch drei Baronen und ein reicher Schweizer, die beim Herr Schaffner neben uns logierten, und weil sie noch Frauenzimmer brauchten, so luden sie mich auch ein.

VON GRÖNINGSECK. Die Kerls hatten, hol mich der Teufel! keinen übeln Geschmack. – Wie lang ist es?

FRAU HUMBRECHT gähnend. Schon fünf Jahr, glaub ich –

EVCHEN. Ja so lang ist's gewiß, wenn's nicht gar sechse sind.

VON GRÖNINGSECK. Das laß ich gelten: – da warst du zwölf Jahr alt, und stachst doch schon den Barons in die Augen –

EVCHEN. Ei Mutter! Sie wird doch, hoff ich, nicht einschlafen wollen?

VON GRÖNINGSECK faßt sie mit der einen Hand um den Hals, und hält ihr mit der andern das Glas an den Mund. – Das Restchen noch, Frau Humbrecht!

FRAU HUMBRECHT stößt das Glas von sich. Kein Tropfen mehr. Er setzt es weg. Ich kann die Augen nicht mehr aufhal – –


Fällt schlafend dem Lieutenant an die Brust.


EVCHEN. Gerechter Gott! was soll das denn sein? – Springt ganz erschrocken und besorgt auf, schüttelt ihre Mutter. – Mutter! was fehlt Ihr? – hört Sie? hört Sie nicht? – Guter Himmel! wenn Sie nur nicht krank wird! –

VON GRÖNINGSECK. Sei ruhig, Evchen! es hat nichts zu bedeuten – in einer Viertelstunde ist sie wieder so wach, als vorher: – Der Punsch hat's getan – sie ist ihn nicht gewohnt.

EVCHEN schüttelt sie wieder. Mutter! – Mutter! – sie liegt in Ohnmacht, glaub ich, oder ist gar tot. –[1462]

VON GRÖNINGSECK. Ohnmacht! – Tot! – Narrenspossen! – fühl den Puls hier – sie hat ein wenig zu hastig getrunken, das ist alles. – Komm, Evchen! hilf mir sie aufs Bett dort führen, sie wird mir wahrlich zu schwer so. – Evchen und er führen sie ans Bett, und legen sie querüber. – Pardieu! vorher machten wir uns über das Stellagie lustig, und jetzt sind wir froh, daß wir's haben.

EVCHEN ganz bestürzt. Noch weiß ich nicht, wie mir geschieht! – hätt ich sie nur zu Haus.

VON GRÖNINGSECK setzt sich neben die Mutter, zieht Evchen nach sich. Sei doch kein Kind, ma chère! was ist's denn weiter? – wir kommen noch zeitig genug wieder auf den Ball. Sieht ihr starr unter die Augen. – Bist du mir gut, Evchen?

EVCHEN. Um Himmels willen sehn Sie mich nicht so an; ich kann's nicht ausstehn.

VON GRÖNINGSECK. Warum denn nicht, Närrchen?


Küßt ihr mit vieler Hitze die Hand, und sieht ihr bei jedem Kuß wieder starr in die Augen.


EVCHEN. Darum! – ich will nicht. – Er will sie umarmen und küssen, sie sträubt sich, reißt sich los, und lauft der Kammer zu. Mutter! Mutter, ich bin verloren. –

VON GRÖNINGSECK ihr nacheilend. Du sollst mir doch nicht entlaufen! – Schmeißt die Kammertür zu. Inwendig Getös; die alte Wirtin und Marianel kommen, stellen sich aber, als hörten sie nichts: nach und nach wird's stiller.

WIRTIN. Räum geschwind ab; – sieh, wie das alte Murmeltier dort schläft.

MARIANEL. Hättet Ihr mir nur meinen Willen gelassen; weiß wohl, wer jetzt schlafen müßt! – da hätt man doch auch was fangen können.

WIRTIN. Ja fangen! – du und der Teufel fang! Die Offizier sind dir die Rechten. – Da verlor einer vom Corps royal vorm Jahr einen lumpichten Kugelring, hat mir der Racker nit bald 's Fell über die Ohren gezogen! – wollt mir 's Haus über dem Kopf anstecken, wenn ihn nicht die Christine noch im Strohsack wiedergefunden hätt. – Geh du an Galgen mit deinem Fangen! – mir komm nit!. – – Was steckst in Sack da! he! Staubbesenwar'! was steckst ein? willst reden?

MARIANEL. St; st! eine Tobaksbüchs: – wir teilen – gehört dem Marmottel dort.

WIRTIN. Gewiß? – wenn sie dem Leutnant ist! –[1463]

MARIANEL. Nein doch, sag ich. – Ich weiß es –

WIRTIN. So mach fort! – marsch! die Bouteillen können noch stehen bleiben. – Wenn er nach der Zech frägt – anderthalb Louisdor –


Ab.


MARIANEL. Schon gut! und eine halbe für mich, macht zwo.


Räumt vollends ab, und schleicht auf den Zehen hinaus.


EVCHEN stürzt wieder aus dem Nebenzimmer heraus, auf ihre Mutter hin. – Mutter! Rabenmutter! schlaf – schlaf ewig! – deine Tochter ist zur Hure gemacht – Fällt schluchzend ihrer Mutter auf die Brust; der Lieutenant geht ein paarmal die Stub auf und ab, endlich stellt er sich vor sie.

VON GRÖNINGSECK. So wollen Sie denn gar nicht Raison annehmen, Mademoiselle? – wollen sich selbst fürs Teufels Gewalt prostituieren? – alle Welt wissen lassen, was jetzt unter uns ist?

EVCHEN richtet sich auf, bedeckt aber das Gesicht mit dem Schnupftuch. – Fort, fort! Henkersknecht! – Teufel in Engelsgestalt! –

VON GRÖNINGSECK. Sie haben Romanen gelesen, wie's scheint? – Ewig schade wär's ja, wenn Sie nicht selbst eine Heldin geworden wären.


Geht wieder auf und ab.


EVCHEN. Spott nur, Ehrenschänder, spott nur! – ja ich hab Romanen gelesen, las sie, um euch Ungeheuer kennenzulernen, mich vor euren Ränken hüten zu können – und dennoch! Gott! Gott! – dein Schlaf ist nicht natürlich, Mutter! jetzt merk ich's. –

VON GRÖNINGSECK. Ums Himmels willen, so komm doch zu dir! – du bist ja nicht die erste –

EVCHEN. Die du zu Fall gebracht hast? – bin ich's nicht – nicht die erste? o sag mir's noch einmal.

VON GRÖNINGSECK. Nicht die erste, sag ich, die Frau wurde, eh sie getraut war. – Von dem jetzigen Augenblick an bist du die Meinige; ich schwur's schon in der Kammer, und wiederhol's hier bei allem, was heilig ist; – auf meinen Knieen wiederhol ich's. – In fünf Monaten bin ich majorenn, dann führ ich dich an Altar, erkenne dich öffentlich für die Meine.

EVCHEN. Darf ich dir trauen, nach dem, was vorgefallen? – Doch ja! ich muß – ich bin so verächtlich als du, verächtlicher noch! – kann's nicht mehr werden, nicht tiefer sinken! – Die Tränen abtrocknend. Gut, mein Herr Lieutenant, ich will Ihnen glauben – Steht auf. Stehn Sie auf, und hören Sie meine Bedingung[1464] an. – – Fünf Monat, sagten Sie? gut! so lang will ich mich zwingen, mir Gewalt antun, daß man meine Schande mir nicht auf der Stirne lesen soll! – aber! – ist es Ihr würklicher Ernst, was Sie geschworen haben? – sind Sie stumm geworden? – Ja! oder nein! –

VON GRÖNINGSECK. Ja, ja, Evchen! so wahr ich hier stehe! –

EVCHEN küßt ihn, reißt sich aber, sobald er sie wieder geküßt, gleich los. Hör weiter! so sei dieser Kuß der Trauring, den wir einander auf die Eh geben. – Aber von nun an, bis der Pfarrer sein Amen! gesagt, von nun an – hören Sie ja wohl, was ich sage – unterstehen Sie sich nicht, mir nur den Finger zu küssen; – sonst halt ich Sie für einen Meineidigen, der mich als eine Gefallene ansieht, der er keine Ehrerbietung mehr schuldig ist, der er mitspielen kann, wie er will: – und sobald ich das merke, so entdeck ich Vater oder Mutter – es gilt gleich, wer? – dem ersten dem besten alles, was vorgegangen, und sollten Sie mich mit Füßen zu Staub treten! – Haben Sie mich verstanden? – warum so versteinert, mein Herr? – wundert Sie's, was ich gesagt habe? – jetzt lassen Sie den Kutscher rufen.

VON GRÖNINGSECK. Ich bewundre Sie, Evchen! – in diesem hohen Ton –

EVCHEN. Spricht beleidigte Tugend: – muß so sprechen: – Jetzt hängt es von Ihnen ab zu zeigen, ob Sie wahr geredet haben.

VON GRÖNINGSECK will auf sie los. Engelskind! –

EVCHEN tritt zurück. Schimpfst du mich, Verräter? – kannst du Engel sagen, ohne an die Gefallne zu denken? gefallen durch dich! –


Lieutenant von Gröningseck ab, der Vorhang fällt.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1454-1465.
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