Sechster Akt

[1508] Zimmer der Frau Marthan, im Hintergrund ein armseliges Bett ohne Vorhänge. Frau Marthan biegelt, und legt Stück vor Stück, wie sie's fertig bringt, in einen Korb zusammen. Evchen sitzt am Bette, hat ihr Kind auf dem Arm, es schreit.


EVCHEN. Armes, armes Kind! – nein, länger ertrag ich's nicht. – Legt's aufs Bett. O liebe Frau Marthan! – ich bitt Sie um Gotts willen, nur ein einziges halbes Weißbrot, nur ein Viertel! schaff Sie mir, und ein paar Löffel Milch, daß ich dem unschuldigen Tröpfchen ein bissel Brei koche.

FRAU MARTHAN. Woher nehmen und nicht stehlen? wenn Sie mich auf den Kopf stellt, so fällt kein Heller heraus – Sie weiß ja[1508] selbst, daß ich heut meine letzten Pfennige zusammengescharrt hab, um das Laibchen Kommißbrot zu kaufen.

EVCHEN. Heiland der Welt! – so soll's denn verschmachten!

FRAU MARTHAN. Gib Sie ihm zu trinken.

EVCHEN. Wenn ich was hätte! – es ist alles vertrocknet, kein Tropfen herauszupressen! mein Kummer hat alles aufgezehrt. – Geht vom Bett weg. Kann den Jammer nicht ansehn, sonst werd ich noch rasend.

FRAU MARTHAN. Behüt und bewahre! da käm Sie ja ins Tollhaus! – weiß Sie was, Jungfer –

EVCHEN. Spricht Sie mit mir, Frau Marthan?

FRAU MARTHAN. Mit wem sonst? – Soll ich Sie etwa nit Jungfer heißen? Kurios! – gehn so viele Vornehme und Geringe in der Stadt herum, die schon drei, vier so Puppelchen in der Kost haben, täten einem die Augen auskratzen, oder gar einen Jurienprozeß an Hals hängen, wenn man sie nit hinten und vornen Jungfern hieß! – Ich glaub aber, Gott verzeih mir's, Sie ist gar nit wie ander Leut. – Was geschehn ist, ist geschehn, da hilft kein Greinen und kein Jammern! und ein Kind, so denk ich, ist doch immer besser als ein Kalb: – kann Sie nicht gleich wieder einen Platz als Stubenmädchen bekommen, so will ich Sie als Säugamm rekummedieren –

EVCHEN. Hätt ich Milch für den Wurm!

FRAU MARTHAN. Wie ist's möglich? wo soll sie herkommen? seit den fünf Wochen, daß Sie bei mir ist, hat Sie, Gott verzeih mir's! glaub ich, ein Ohm Wasser zu den Augen herausgeweint; und darnach, wenn man nichts ißt und trinkt – ich will doch wärli nit hoffen, daß es Ihr etwa nit gut genug ist? – wer 's Geringe nit will, ist 's Gute nit wert: – gelt! den Teller voll Fleischsuppe, den ich Ihr vorgestern abends hinstellte, weil ich gestern im Taglohn wäschen mußt, warum hat Sie ihn nicht gewärmt und gegessen? Gott weiß, ich hab ihn an meinem eignen Maul erspart! – sie war so kräftig, es hätt sich ein Prinz daran erlaben können! ein ganz Pfund vom besten Kuhfleisch und zwei Kalbsfüß! – aber nein, da ließ Sie sie verderben, heut mußt ich sie der Katz hinstellen. – Ist das nit sündlich? heißt das nit an seinem eignen Leib zum Mörder werden, und kann Sie das verantworten?


Geht hinaus einen heißen Stahl zu holen.


EVCHEN. Ha! verantworten, das ist die Sache! – wäre das nicht, nicht die Furcht ewig, ewig – schon längst wär meines Gebeins[1509] nicht mehr. Frau Marthan kommt wieder. Sie soll vollkommen recht haben, Frau Marthan! ganz recht; aber denk Sie sich an meinen Platz, betracht Sie das arme Würmchen hier; von Gott und der Welt verlassen –

FRAU MARTHAN. Das sag Sie nicht, ja nicht! Sie versündigt sich wieder. – Gott hat noch niemand verlassen, er wird an Ihr und an Ihrem Kind nicht anfangen; und ich will ja gern alles tun, was ich tun kann; – wie gesagt, sobald die Frau Funfzehnerin ins Kindbett kommt, will ich Sie als Säugamm hinbringen. – Ich gelt was bei ihr, das kann ich wohl sagen.


Das Kind schreit wieder.


EVCHEN läuft ans Bett. Gottes Barmherzigkeit, es schreit sich vor Hunger noch zu Tode. Nimmt's auf den Arm, und wiegt's.

FRAU MARTHAN. So! das ist recht! such Sie's ein wenig zu geschweigen; sobald ich mit der Wäsch fertig bin, will ich sie wegtragen; vielleicht krieg ich ein paar Schilling. – Aber alles, was Sie tut, huck Sie mir nit immer so über sich selber; der Bös, Gott b'hüt uns, könnt gar leicht sein Spiel haben: nimm Sie ein Gebetbuch und les Sie hübsch drin, Sie sagt ja, Sie könnt's; dort auf dem Tresurchen steht der Himmels- und Höllenweg; 's ist gar schön, sag ich Ihr! mein Mann selig hat ihn in seiner letzten Krankheit fast auswendig gelernt. – Bei wem hat Sie denn zuletzt gedient, eh Ihr das Unglück begegnet ist? – Ich sag immer, es ist aber doch nicht recht von den Herrschaften, die einen armen Dienstboten, wenn er in den Umständen ist, so mir nix dir nix zum Haus hinauswerfen, wir sind alle sündliche Menschen; wie bald kann nit ein Unglück geschehn, und dann hat's der Herr oder die Frau doch auch auf'm Gewissen. – Bei wem war S', hört Sie nicht? –

EVCHEN. Bei wem? Verwirrt. beim – beim – Sie kennt ihn doch nicht.

FRAU MARTHAN. Wer weiß? sag Sie's nur; – über mein Zung soll's nit kommen.

EVCHEN. Beim – beim Metzger Humbrecht.

FRAU MARTHAN. Bei dem! was! beim Metzger Humbrecht? – ei! was Sie mir nit sagt da – so muß Sie denn auch seine Tochter kennen, gelt?

EVCHEN. Zu gut nur, leider!

FRAU MARTHAN. Ja wohl leider! – man soll zwar niemand richten, aber – es muß doch kein guter Blutstropfen in ihr gewesen sein, sonst hätt sie das nit getan! – gestern auf der Britsch ist[1510] ein langes und ein breites davon erzählt worden. – Wenn ein Weibsbild sich so weit verleiten läßt, daß sie gar in Burdels geht –

EVCHEN. Was sagt Sie? Gott! Sie wär in ein Bordell gegangen?

FRAU MARTHAN. Ja, ja! – Ihr wird sie's freilich nit auf die Nas gebunden haben – mit einem Uffezier ist sie 'neingangen, und die Mutter mit, das ist noch die schönste Zier; die ganze Stadt ist voll davon, man hat mir auch das Haus genennt, hab's aber wieder vergessen; – und da hat sie und der Uffezier der Mutter etwas zu trinken gegeben, daß sie einschlief. Warum sie's getan haben, ist leicht zu denken. – Und da soll ihr der Mußie die Eh versprochen haben; – wie aber die Herren sind, ein ander Städtel, ein ander Mädel! – jetzt blast er ihr was, und da hat sie sich ins Wasser gestürzt – gestern früh hat man sie in der Wanzenau gefunden.

EVCHEN. Ersäuft! ha! wenn's doch wahr wäre!

FRAU MARTHAN. 's ist leider! nur zu wahr; – wie ich Ihr sage; ich wollt, es war nicht!

EVCHEN. Warum? so wär sie doch der Qual nun los.

FRAU MARTHAN. Sie redt, glaub ich, auch, und – weiß nit was? Es hat sich wohl – der Qual los! ja prosit d'Mahlzitt! – Und nur vom Schimpf zu reden, wenn sie sie heut oder morgen hereinbringen – ich geh ihr doch auch zu Gefallen, 's soll ein bildschön Mädel sein – wer weiß! wer weiß! ob sie unsre gnädige Obrigkeit nit, den andern zum Exempel, gar durch die Stadt schleifen laßt; wie den Muttermörder, der sich vor ein Jahrer zwei oder drei im Turn selbst erhenkt hat, auch.

EVCHEN. Muttermörder! gibt's Muttermörder?

FRAU MARTHAN. Ob's ihrer gibt? wie das gefragt ist! – Weiß Sie denn nit mehr, der Kerl, wie hieß er doch? der seiner Mutter die Gurgel wollt abschneiden –

EVCHEN. Ja, ja! ich besinn mich; – seine Mutter war eine Hure, er ein Bastert, im Bordell gezeugt, das warf ihm einer im Trunk vor, da gab er seiner Mutter den Lohn, der ihr gebührte; – ich erinner mich's gar wohl.

FRAU MARTHAN. Beileibe nicht! – Sie ist ganz irr dran – er wollte Geld von ihr haben.

EVCHEN. Recht! recht! – er hatte Hunger und Durst; wollte sich einen Milchweck kaufen und ein Glas Bier dazu, die Mutter konnt's ihm nicht geben, da wollt er ihr das Geld aus den Rippen schneiden – und das ward ihm versalzen![1511]

FRAU MARTHAN. Ist Sie närrisch? – bald förcht ich mich allein bei Ihr zu bleiben. – Ich will's Ihr besser sagen, wie's zuging. Er war von Jugend auf ein böser Bub, vertat seiner Mutter viel Geld, sie war eine kreuzbrave Frau, ich hab ihr zehn Jahr wäschen helfen, bis mich die Anne Mey ausbiß, wie das zuging, das will ich Ihr ein andermal erzählen, es ging um einen lumpichten mußlinenen Halsstrich an, der mir beim Ausschwenken davonschwamm – da ging er nun unter die Kaiserlichen, und von da, denk ein Seelenmensch! – gar unter die Preußen; disertierte aber auch da, und kam wieder heim. – Da triblierte er nun seine Mutter so lang, bis sie ihm endlich von Obrigkeits wegen das Haus verbieten ließ, denn er hat sie mehr als einmal wie einen Hund durchgeprügelt: – Damit war denn alles gut ein paar Wochen lang, da kam er einmal 's morgens früh wieder, und gab die besten Worte, versprach recht ordentlich zu sein, und kurz, er bat wieder um gut Wetter. – Sein Mutter, die sich nichts Bös träumen ließ, fing an die bittern Tränen zu weinen, und greift in Sack und gibt ihm einen ganzen kleinen Taler – »'s ist viel Geld schon, ich verdien in vier Tagen manchmal so viel nit« – Drauf schickt er – weiß nit mehr, was er für einen Pretext nahm, die Magd fort; und, kaum daß er allein war, fällt er mit einem Schermesser über sein Mutter her, und will ihr den Hals abschneiden; – die wehrte sich denn um ihr Leben, wie Sie leicht denken kann, so gut als möglich, schrie, was sie schreien konnt, und bekam zwei Schnitt in die Hand, und einen – aber nit gefährlich – in die Gurgel. – Drüber liefen die Hausleut hinzu, und zeigten denn, wie nit mehr als billig ist, die schöne Geschichte halt an. – Und sieht Sie, was ihm noch am meisten den Hals gebrochen hat, war, daß er das Schermesser, damit es nit zurückschnappen sollt, hinten am Stiel mit Bindfaden zusammengebunden hatte. – Wie er denn nun trapiert war, und alles eingestanden hatte, und wie's schon drauf und dran war, daß ihm sein Urteil sollt gesprochen und sein Recht angetan werden, so ließ er sich zwei Tag vorher noch gar vom Satan, Gott sei bei uns! blenden, und tat sich im Turn mit eigner Hand ein Leids an. – Da ging's ihm dann, wie ich gesagt habe. – Sein Vetter, der Ratsherr, ein grundreicher Mann dort in der langen Straß, hätt tausend Taler darum gegeben, wenn er's dahin hätt bringen können, daß er in der Still wär begraben worden. So mußt er aber den Spektakel selbst mit ansehn,[1512] wie er vor dem Haus durch den Schinder vorbeigeschleift wurde. Der Kopf plozte hinten auf den Steinen auf, daß man's nit mit ansehn konnte. – Es war greulich, wie ich Ihr sage. – Aber so Leuten geschicht's ganz recht, warum beten sie nicht? – – Mit vielbedeutender Miene. Ich förcht, ich förcht, es möcht Ihrer Mamsell, bei der Sie war, auch nicht besser gehn. Sie ist so gut eine Muttermörderin, als –

EVCHEN die während obiger Erzählung, wie sinnlos auf dem Bette saß, und nur ihr Kind anstarrte, auffahrend. Muttermörderin! – ich eine Muttermörderin?

FRAU MARTHAN. Sie! wer sagt denn von Ihr? von Ihrer gewesenen Jungfer, von's Humbrecht seiner Tochter red ich.

EVCHEN. Nun, ist denn die es?

FRAU MARTHAN. Sie ist's, und ist's nicht. – Freilich die Gurgel selbst hat sie ihr nicht abgeschnitten, aber – das Messer nah genug doch dran gesetzt. – Hätt sie sich in der Ordnung aufgeführt, so wär ihre Mutter nicht vor lauter Schagrin gestorben –

EVCHEN. Meine Mutter! gestorben! – und ich schuld dran.


Sinkt in die Kniee, und fällt zur Erden, Frau Marthan lauft ihr zu Hülf.


FRAU MARTHAN. Barmherziger Gott! was soll das denn sein? das Mensch macht mir angst und bang. – Setzt sie wieder aufs Bett. – Wer sagt denn von Ihr, oder von Ihrer Mutter? – bald hätt ich Lust Sie in Spital tragen zu lassen, eh Sie mir noch einmal so einen Schrecken einjagt. Bin, Gott weiß es! ganz vergellstert! – Wie oft soll ich's Ihr noch sagen, daß ich von Humbrechts Mädel red und nit von Ihr? – Deren ihr Mutter ist gestern begraben worden, nit Ihre, die kenn ich ja nit, weiß ja noch nit einmal, wo Sie her ist. – Der Vater, der Metzger, hat hundert Taler versprochen, wer ihm Nachricht von seiner Tochter bringt. Ein schönes Geld! das kriegen die Schiffischen jetzt, die sie gefunden haben. –

EVCHEN stutzt, denkt eine Weile bei sich selbst nach. Wollt Sie dies Geld wohl verdienen, Frau Marthan? – könnt's Ihr wohl was helfen? – hundert Taler! er ist auch sehr geizig, warum nicht fünf –, sechshundert! – da könnt ich doch etwas zu Ihrem Glück beitragen, Frau Marthan! – geizig, sagt ich! hab's auch Ursache, fürwahr! bin ich doch keine –

FRAU MARTHAN. Schon wieder ich!

EVCHEN. Ja, ja! IchIch! ich bin die Muttermörderin, die[1513] keinen guten Blutstropfen in sich hat, die sich im Bordell herumwälzte, die von einem Ehrenschänder sich hintergehn ließ, die hier ein säugendes Kind hat, das kaum geboren schon vater – und mutterlos ist – denn wenn ich Mutter wär, müßt ich's auch nähren können, das kann ich nicht. – Ich bin's, die, die – kurz, ich bin des Humbrechts eigne Tochter; die, wie Sie sagte, sich ersäuft soll haben: – Sie sieht, es ist eine Lüge, wollt das andre wär auch eine; 's ist aber leider! nur zu wahr. – Was mich freut, ist, daß ich jetzt ein Mittel weiß, Euch die viele Müh, die ich Euch gemacht habe, wenigstens zum Teil zu vergelten. – Geh Sie sogleich zu meinem Vater, Frau Marthan, sag Sie nur, ich, die Eve schickte Sie, er sollte Ihr die hundert Taler auszahlen. – Es wird ihm wenig Freud machen – aber – geh Sie, Frau Marthan, geh Sie gleich –

FRAU MARTHAN. Ach, du lieber Herrgott! nein! das hab ich wärli nit um Sie verdient, – so gut und so unglücklich – verzeih Sie mir ja alles, was ich da sagte – ganz gewiß ist Sie verführt worden – sonst wär Sie nie –

EVCHEN. Das bin ich, bin verführt, übertölpelt worden, da ich mir's am wenigsten dachte. Sie hat's ja selbst erzählt; das Ersäufen ausgenommen, ist alles wahr, alles! nur muß ich Ihr noch sagen, daß ich nicht wußte, daß wir in einem so schönen Haus waren, noch weniger hab ich am Schlaftrunk Anteil gehabt. – Diese zwei Umstände, die ich von Ihr erfahren, zeigen mir die ganze schwarze Seele des Niederträchtigen, der mich so tief herabsetzte. – Noch blieb mir immer wenigstens ein Schatten von Hoffnung übrig, nun ist auch der verschwunden, und mit ihm alles – nun kann ich nichts mehr, als –


Stockt, sieht mitleidsvoll ihr Kind an.


FRAU MARTHAN. O Sie kann noch glücklicher wieder werden, vielleicht kommt er doch wieder, wo Sie sich's gar nicht vermutet.

EVCHEN. Wieder! – Er sollte wiederkommen! Frau Marthan, sieht Sie's, ich bin nur ein Weibsbild, aber – wenn er wiederkommt, mir wieder unter die Augen tritt, so stoß ich ihm mit der einen Hand diesen Brief hier, sieht Sie – Zieht ihn aus der Tasche. unter die Nase, und mit der andern bohr ich ihm ein Brotmesser ins Herz. – Er hat's um mich verdient! – vorher hab ich ihn Auf den Brief deutend, und ihn wieder einsteckend. nicht ganz verstanden; Sie hat mir erst die Augen geöffnet. – Jetzt geh Sie, Frau Marthan! geh Sie! ich bitt Sie darum.

FRAU MARTHAN. Hundert Taler wär mir freilich ein schönes Kapetal;[1514] hab mein Lebtag nit so viel beisammen gehabt, aber ich tät mich Sünd förchten, Sie jetzt allein zu lassen.

EVCHEN. Warum, Liebe? – Seh ich vielleicht etwas erhitzt, etwas aufgebracht aus? – Das tut es mir zuzeiten, wenn ich an den Treulosen denk; 's ist aber gleich wieder vorbei, nur ein Übergang – jetzt bin ich schon ganz gelassen wieder – nur ein bißchen schwach – geh Sie, sag Sie meinem Vater, ich lebte noch, morgen sollt er mehr von mir hören: – wenn er Ihr Geld gibt, bring Sie was fürs Kind mit, es kann kaum mehr schrein, so matt ist's; – geh Sie, geh Sie! jeder Augenblick ist mir jetzt teuer. –

FRAU MARTHAN. Na denn, dem armen Kind zu Gefallen will ich geschwind hinten herum springen; in weniger als nichts bin ich wieder zurück, und bring ihm ein Stück Zuckerdorsch mit.

EVCHEN. Das tu Sie, Frau Marthan! komm Sie ja bald wieder, sonst möcht's zu spät sein.

FRAU MARTHAN im Abgehn. Zu spät? –

EVCHEN. Es wird ja schon dunkel – Frau Marthan vollends ab. – mir vor den Augen! war mir schon lang. – Fast war mir bang, ich brächte sie mir nicht vom Hals. – Ja! was wollt ich doch? – warum schickt ich sie aus. – Mein armes bißchen Verstand hat, glaub ich, vollends den Herzstoß bekommen! – Das Kind schreit wieder. Singst du? singst? singst unsern Schwanengesang? – sing, Gröningseckchen! sing! – Gröningseck! so hieß ja dein Vater; Nimmt's vom Bett wieder auf, und liebkost's. – Ein böser Vater! der dir und mir nichts sein will, gar nichts! und mir's doch so oft schwur, uns alles zu sein! – ha! im Bordell sogar es schwur! – Zum Kind. Schreist? schreist immer? laß mich schrein, ich bin die Hure, die Muttermörderin; du bist noch nichts! – ein kleiner Bastert, sonst gar nichts; – Mit verbißner Wut. – sollst auch nie werden, was ich bin, nie ausstehn, was ich ausstehn muß – Nimmt eine Stecknadel, und drückt sie dem Kind in Schlaf, das Kind schreit ärger; es gleichsam zu überschrein, singt sie erst sehr laut, hernach immer schwächer.


Eia Pupeia!

Schlaf Kindlein! schlaf wohl!

Schlaf ewig wohl!

Ha ha ha, ha ha!


Wiegt's auf dem Arm.


Dein Vater war ein Bösewicht,[1515]

Hat deine Mutter zur Hure gemacht;

Eia Pupeia!

Schlaf Kindlein! schlaf wohl!

Schlaf ewig wohl!

Ha ha ha, ha ha!


Schläfst du, mein Liebchen, schläfst? – wie sanft! bald beneid ich dich, Bastert, so schlafen Engel nur! – Was mein Liedchen nicht konnte! – säng mich doch auch jemand in Schlaf so! – Ha! ein Blutstropfen! den muß ich wegküssen, – noch einer! – auch den! Küßt das Kind an dem verwundeten Schlaf. – Was ist das? – süß! sehr süß! aber hintennach bitter – ha, jetzt merk ich's – Blut meines eignen Kinds! – und das trink ich? – Wirft 's Kind aufs Bett. Da schlaf, Gröningseck! schlaf! schlaf ewig! – bald werd ich auch schlafen – schwerlich so sanft als du einschlafen, aber wenn's einmal geschehn ist, ist's gleichviel. – Man hört jemand. Gott! wer kommt? Sie deckt das Kind zu, setzt sich daneben, und fällt, da sie ihren Vater kommen sieht, mit dem Gesicht aufs Kopfküssen.

HUMBRECHT. Wo? wo ist sie, mein Evchen? – meine Tochter, meine einige Tochter? Erblickt sie auf dem Bett. Ha! bist du da, Hure, bist da? – Hier Alte! dein Geld! Wirft einen Sack hin, FRAU MARTHAN hebt ihn auf, und tut ihn beiseite. – Hängst den Kopf wieder? hast's nicht Ursach, Evchen, 's ist dir alles verziehn, alles! – Schüttelt sie. Komm! sag ich, komm! wir wollen Nachball halten – – ja, da möcht man sich ja kreuzigen und segnen über so ein Aas: wenn der Vater zankt, so lauft's davon; gibt er gute Wort, so ist's taub. – Schüttelt sie noch heftiger. Willst reden? oder ich schlag dir das Hirn ein! –

FRAU MARTHAN reißt ihn zurück. Tut Er doch, als wenn Er einen Ochsen vor sich hätt! – Kein Wunder, wenn sie die Gichter bekäm. – Kann Er nicht ordentlich reden?

HUMBRECHT. Hast recht, Alte! vollkommen recht! wart! wie mach ich's? Knieet nieder vor seiner Tochter. Liebs, guts Evchen! hab doch Mitleiden mit deinem gedemütigten Vater! verstoß ihn nicht ganz; nimm ihn zu Gnaden wieder auf! – sieh, auf den Knieen liegt er vor dir und bittet dich. – Hast deine Mutter vor der Zeit ins Grab gebracht, sei so gut, ich beschwör dich darum, und gib auch mir den letzten Stoß, mir, deinem Vater –

EVCHEN die sich auf die letzt langsam aufrichtete, erblickt neben[1516] ihr das Kind, deutet drauf, und fällt mit dem Gesicht wieder aufs Bett. Da! da ist er!

FRAU MARTHAN bringt eine angesteckte Lampe, stellt sie auf den Tisch, geht ans Bett, und deckt das Kind auf, ebenso geschwind aber wieder halb zu. Du lieber Herrgott! was seh ich! das muß ich gleich gehn anzeigen, sonst bin ich verloren. – In der Seele dauert sie mich – aber Lauft ab.

HUMBRECHT springt auf. Da! was ist da? ein Kind! ha! wie's lächelt! – dein Kind, Evchen? soll auch meins sein! Mein Basten, ganz allein mein, wer sagt, daß er dein ist, liebs Evchen! dem will ich das Genick herumdrehn.

MAGISTER kommt. Bald hätt ich das Haus nicht gefunden. So, Herr Vetter! das ist brav! ich seh, Sie haben meinem Rat gefolgt, und Ihrer Tochter verziehen.

HUMBRECHT. Das hätt ich auch ohn Ihn getan, Vetter! – ein Vater bleibt immer Vater, und ist's da oft am meisten, wo er's am wenigsten scheint.

MAGISTER. Jetzt ist es mir doppelt lieb, Sie so disponiert zu finden; Sie sollen gleich erfahren, warum? Nur muß ich mein Bäschen bitten, auch zuzuhören; es geht sie am meisten an.

EVCHEN. Mich? – auf dieser Welt geht mich nichts mehr an, Herr Magister! ich schwör's.

HUMBRECHT. Für nichts, für nichts geschworen, meine Tochter! – schau! ich schwur auch dir Arm und Bein entzweizuschlagen; und jetzt bin ich, Schwur hin, Schwur her! doch froh, daß ich's nicht getan habe.

MAGISTER. So denk ich auch; ein Umstand kann viel ändern. – Hören Sie nur! – Sie lieben den Gröningseck, Bäschen?

EVCHEN. Ja, wie ich den Satan liebe! hab mich vor beiden gehütet, und von beiden schon anführen lassen.

MAGISTER. Sie liebten ihn doch ehmals; sonst wären Sie nicht –

EVCHEN. Ja, da wußt ich aber nicht, daß er mich zur Hure, zur Muttermörderin – zur –

MAGISTER. Das alles war weder sein Vorsatz, noch weniger seine Schuld –

EVCHEN. So! – Sind Sie auf einmal sein Advokat! Wie lang wohl noch? – Hier Aufs Kind deutend. liegt meiner.

MAGISTER. Ich bin sein Advokat nicht allein; ich mein, ich mein in Ihrem eignen Herzen wird sich noch einer vorfinden. Kurz zu sein, Gröningseck liebt Sie noch ebenso zärtlich, als je; eine tödliche Krankheit hielt ihn ab, auf die bestimmte Zeit einzutreffen[1517] zutreffen – von dem Brief, den ich Ihnen vorgelesen, Herr Vetter! weiß er kein Wort; ich wies ihm den Umschlag, da fand sich's, daß es des Lieutenant Hasenpoths Hand und Siegel ist. Er zeigte mir andre Briefe von dem nämlichen, die voller Unwahrheiten von Evchen waren. Da er selbst Unrat merkte, machte er sich kaum halb wiederhergestellt auf den Weg. Vor einer Stunde stieg er im »Raben« ab, und ließ mich zu sich rufen; – wir sahn Sie in größter Eile vorbeilaufen, mutmaßten die Ursache, und gingen Ihnen von weitem nach. – Wollen Sie ihn selbst sprechen? –

HUMBRECHT. Wenn er sie heiraten, ihr die Ehre wiedergeben will, ja! sonst soll er mir, wenn ihm Nas und Ohren lieb sind, nicht vors Gesicht kom men.

MAGISTER. Das will er.

EVCHEN. Und wenn er zehnmal will, so wollt ich doch lieber den Scharfrichter sehn.

MAGISTER. Er ist aber unschuldig! kann's Ihnen beweisen.

EVCHEN. Desto schlimmer! so fällt die Schuld alle auf mich. Steht auf vom Bett. Der Brief hier! Wirft ihn in die Stube. – Der Teufel hat ihn geschrieben – meine eigne Herzensunruh, die Furcht vor Ihm, mein Vater, der Gedanken, meine Mutter gemordet zu haben, – dies, und o was alles noch mehr! brachte mich in Verzweiflung – ich wollte mir aus der Welt helfen, und hatte nicht Entschlossenheit genug selbst Hand an mich zu legen; jetzt mag's der – Henker tun! – Mein Kind ist tot, tot durch mich –

MAGISTER. Gott! ist's möglich? – Das Kind betrachtend. Wahrhaftig! – Gerechter Gott! wie tief kann dein Mensch herabstürzen, wenn er einmal den ersten Fehltritt getan hat! Humbrecht steht mit geschlungnen Ärmen, guckt Evchen, dann das Kind starr an; Evchen scheint weder zu sehn, noch zu hören; von Gröningseck stürzt noch im Reisehabit plötzlich herein.

EVCHEN. Gott! das fehlte mir noch!

VON GRÖNINGSECK. Wie bestürzt alle! wie blaß! – was ist zu tun hier? – was gibt's?

HUMBRECHT. Ein bissel Arbeit für den Stoffel, sonst nichts! – Gott! ich mein, der Münsterturn läg mir auf dem Herzen, so schwer fiel mir das auf. – Jetzt kann ich nur auch Rattenpulver nehmen! – Hier! Den Lieutenant zum Kind führend. hier! wenn Sie ein Vaterherz haben, meins ist geborsten. – Adieu![1518] am Armensünderhäusel seh ich dich wieder, Eve! sag dir das letztemal adieu!

VON GRÖNINGSECK. Wie! Evchen, sanftes Evchen! Sie hätten mit eigner Hand Ihr Kind – mein Kind – nicht möglich! –

EVCHEN. Nur zu möglich, mein Herr! – aber eh Sie mir weitre Vorwürfe machen, lesen Sie den Brief dort – und dann sollen Sie sprechen.

VON GRÖNINGSECK hebt ihn auf. Auch wieder die Hand von Hasenpoth! Sieht nach der Unterschrift. in meinem Namen! – Guckt ihn über. Das andre kann ich mir denken. Wart! Kanaille! mit deinem Blut sollst du es abbüßen, noch eh eine Stunde vergeht. Will ab, stößt unter der Tür auf den Fiskal.


Fausthämmer bleiben an der Tür.


FISKAL. Nicht von der Stelle, mein Herr! eh der Procès verbal aufgesetzt und unterschrieben ist. – Zu den Fausthämmern. Hat einer von euch Portechaise und Wache bestellt?


Ein Fausthammer ab.


VON GRÖNINGSECK stellt sich wieder zum Magister. Der niederträchtige, feige Verräter! – Glauben Sie jetzt bald, Magister, daß es Fälle gibt, wo Selbstrache zur Pflicht wird? – Magister zuckt die Schultern. Wo ist der Staat, in dem solche Ungeheuer, solche Hasenpoths, die unter der Larve der Freundschaft ganze Familien unglücklich machen, nach Verdienst bestraft werden? – Ha! wie will ich mir wohltun! mit welcher Herzenswonne will ich mich in seinem Blut herumwälzen! –

MAGISTER. Es wäre menschlicher, glaub ich wenn Sie darauf bedacht wären, diese arme Betrogne vom Schafott zu retten, als Verbrechen mit Verbrechen zu häufen.

FISKAL. Ja, da rettet sich was! – Das Gesetz, welches die Kindermörderinnen zum Schwert verdammt, ist deutlich, und hat seit vielen Jahren keine Exzeption gelitten; ist nun das Faktum, wie es der Anschein gibt, auch klar, so können Sie die Müh sparen.

VON GRÖNINGSECK. Und Ihnen nebst Ihrer ganzen kriminalischen Unfühlbarkeit zum Trotz, mein Herr! will ich mich heut noch auf den Weg nach Versailles machen, bei der gesetzgebenden Macht selbst Gnade für sie auszuwürken, oder –

EVCHEN. Gnade für mich! Gröningseck! wo denken Sie hin? – soll ich zehntausend Tode sterben! – lieber heut als morgen.

FISKAL. Nur halb so hitzig, Herr Lieutenant! freilich! es kommt[1519] vieles auf die Umstände an! –


Blutschreiber und Geschworne kommen.


EVCHEN. Sagt ich nicht, Gröningseck! mein Schicksal wäre mit Blut geschrieben? –

VON GRÖNINGSECK. Es wär's nicht, wenn du mir getraut, deiner Melancholie dich weniger überlassen, etwas mehr an die Tugend geglaubt hättest – oder ich etwas weniger.

MAGISTER sieht beide wechselsweis mitleidig an. Sich vor mir so zu verbergen! –

HUMBRECHT reißt sich die Westenknöpf alle auf. Die ganze Welt wird mir zu enge! – Tief Atem holend. Puuh; – Klopft dem Lieutnant auf die Schulter. Wenn Sie Geld brauchen, mein Herr! Reisegeld! Sie verstehn mich doch? – tausend, zwei –, dreitausend Gulden auch liegen parat zu Haus! – und zehntausend gäb ich drum, wenn der Ball mit allen seinen Folgen beim Teufel wär! –


Ende.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1508-1520.
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