Fünfter Akt

[1495] Das Zimmer vom zweiten Akt; Morgendämmerung. Evchen steht vor dem Spiegel, und setzt ein bonnet rond auf. Lissel, ihre Magd, kommt herein.


LISSEL. Ei, Herrjemer! wo will Sie denn schon so früh hin, Jungfer? in dem Nebel, er stinkt nach lauter Schwefel.

EVCHEN. Das tut nichts, um Michaelstag herum kann's nicht wohl anders sein. – Ich will nur geschwind wohin springen. – Lissel! o lauf doch, und hol mir deinen baumwollnen Mantel – geschwind – lauf!

LISSEL. Was will Sie denn mit dem?

EVCHEN. Was, was? anziehn! du kriegst ihn gleich wieder – sieh, da hast du derweilen meinen taftenen – heb dir ihn auf, bis ich wiederkomm. – So geh doch, ich muß fort, eh unsre Leute aufstehn.

LISSEL. Wohin denn? – hat Sie etwa was Bestelltes? –

EVCHEN. Freilich! – halt mich nur nicht auf, geh! Lissel ab. Wohin? – das weiß ich selbst nicht – so weit mich die Füße tragen.[1495] – – Gröningseck! Gröningseck! es soll dir schwer werden wider den Stachel zu lecken! – Den Brief mir zu schreiben! ich hab ihn doch bei mir? Sucht in der Tasche, und zieht ihn heraus. Ja! – Guckt ihn noch einmal durch. – Mir den Hasenpoth vorzuschlagen, mich zur Allerweltshure machen zu wollen! – Die Spöttereien über den Ort, wo wir uns näher kennenlernten, versteh ich nicht einmal; mag sie nicht verstehn! – Steckt ihn wieder ein. Das aber alles zusammengenommen – oh! das kann einem schon Füße machen – Erblickt die Porträte ihrer Eltern. Ha! ihr Lieben! seid ihr auch da? – hier auf den Knieen dank ich euren Bildern für alles Liebs und Guts, das ihr mir erwiesen. Weinend. Ich lohn's euch schlecht – nur flucht, flucht mir nicht.–

LISSEL kommt zurück, Evchen springt auf. Ich hör den Herrn schon im Zimmer herumschlappen.

EVCHEN. Geschwind denn! um Gotts willen geschwind! wirf ihn mir um; so kennt man mich doch nicht so leicht; – Den Capuchon hinauf! – Im Fortgehn dreht sie sich noch einmal um. Den Mantel, Lissel! heb dir auf, bis ich wiederkomm! hörst du's? – Unter der Tür. Gib ihn ja nicht her, bis ich wiederkomm.


Ab.


LISSEL räumt das Zimmer auf. Bis! Bis! – Unser lieber Herrgott weiß, was mit der Jungfer umgeht! – ganz richtig ist's nicht; so ängstlich hab ich sie noch nie tun sehn. – Wenn ihr was Leids geschehn wär! – so eine gute, verständige Jungfer! sie tät mir in der Seele leid. – Will mit dem Mantel abgehn, indem kommt der Magister hastig herein.

MAGISTER. Ist mein Vetter schon ausgegangen, Jungferchen?

LISSEL. Ausgangen? ja guten Morgen! er ist kaum aufgestanden.

MAGISTER. Desto besser! so verfehl ich ihn nicht, sag Sie ihm, ich hätte notwendig mit ihm zu reden; er möchte gleich herkommen.

LISSEL. Schon recht, Herr Magister!


Ab.


MAGISTER. Ich gäb noch was drum, wenn ich wieder zum Haus drauß wäre – ich wage viel – indessen, ein größeres Unglück zu verhüten; – wenn's ist, wie ich zu mutmaßen berechtigt bin, so ist's besser, ich bring's meinem Vetter nach und nach bei, als daß er's von Fremden erfährt, oder wohl gar selbst entdeckt. – Er würde seiner ersten Wut keinen Einhalt zu tun wissen. –

HUMBRECHT im Nachtkamisölchen, Schlafmütz, und niedergetretnen[1496] Schuhen. Guten Morgen, Vetter! wo Henkers kommt Er schon so früh her?

MAGISTER. Von Haus! ich ging lieber etwas früher, um Sie nicht zu verfehlen.

HUMBRECHT. Er muß also doch was Großes auf dem Herzen haben.

MAGISTER. Ich wünschte, es wäre nicht so – Sie sind ein Mann? –

HUMBRECHT. Meiner Frau wenigstens hab ich's bewiesen.

MAGISTER. Ohne zu spaßen, wenn ich bitten darf – Sie sind ein Mann, der Verstand hat –

HUMBRECHT. Meinen gesunden schlichten Menschenverstand, so viel man in die Haushaltung braucht, den hab ich – ja!

MAGISTER. Gut! so nehmen Sie ihn zusammen, Herr Vetter! und hören, was ich Ihnen zu sagen habe. – Es geht mir sehr nahe – vielleicht bin ich auch irre, aber es ist doch Pflicht –

HUMBRECHT. Nur nicht so viel Gepreambulums, Herr Magister! – Pack Er gleich recht an.

MAGISTER. Erst geben Sie mir aber Ihr Wort als ein ehrlicher Mann, daß Sie mich geduldig ganz aushören, und eh ich fertig bin, mir nicht von der Stelle gehn wollen.

HUMBRECHT. Was zum Henker soll denn das vor eine Predigt geben! – meintwegen, Er soll's haben, da ist die Hand drauf. –

MAGISTER. Jetzt zur Sache. Sind Sie gestern in der Klauskirche gewesen, Herr Vetter?

HUMBRECHT. Nein, ich nicht! aber meine Leute; das leid ich nicht anders.

MAGISTER. Es war Katechismuspredigt.

HUMBRECHT. Das kann sein.

MAGISTER. Die Reihe traf's grad, daß die zehn Gebot in der Amtspredigt zum Text genommen wurden. –

HUMBRECHT. Nu, was weiter? – noch seh ich weder kux noch gax.

MAGISTER. Geduld nur! – Der Herr Pfarrer hielt sich diesmal vorzüglich beim siebenten Gebot auf –

HUMBRECHT. Beim siebenten? – wart Er, wie heißt es doch? – du sollst – du sollst – du sollst nicht unkeusch sein – nicht?

MAGISTER. Ganz recht! – Nach der Predigt, wissen Sie, werden alle Quartal die Verordnungen von der Kanzel gelesen, die unsre Könige wegen den Duellen, dem Hausdiebstahl und dem Kindermord gemacht haben.[1497]

HUMBRECHT. Das wußt ich, da ich kaum noch den Hosenknopf aufmachen konnt, was soll's aber –

MAGISTER. Gleich werden Sie's hören. – Ferner wissen Sie –

HUMBRECHT. Ich weiß! ich weiß! daß ich bald toll werde, und Ihn allein stehn lasse, wenn Er nicht fortmacht.

MAGISTER. Sie haben mir versprochen, nicht eher vom Fleck zu gehn – Sie müssen also Wort halten. – Sie wissen, wollt ich sagen, daß die Weiberstühle grade der Orgel gegenüberstehn, wenigstens zum Teil –

HUMBRECHT. Ja! – und daß ihr andre junge Herrchen euch während dem Gottesdienst bald blind nach den armen Mädels schielt, das weiß ich auch! hab mich auch manch schönes Mal schon drüber geärgert. – Ich sollt einmal auf vierundzwanzig Stund nur Pfarrer sein, ich ließ euch samt euren Guckgläsern durch den Steckelmann zum Tempel hinausjagen!

MAGISTER. Wenn Sie mich nicht hören wollen, Herr Vetter!

HUMBRECHT. Ja doch! ich hör ja!

MAGISTER. Ich stand also auf der Orgel, und konnt mein Bäschen grad ins Gesicht fassen.

HUMBRECHT. Mein Evchen?

MAGISTER. Ja! – von ungefähr sah ich ihr in der Predigt, grade bei der Stelle, von der ich schon vorhin sagte, etwas steif in die Augen. Da wurde sie feuerrot, gleich drauf wieder bleich, wie ein Tuch, schlug die Augen nieder, blieb die ganze Predigt durch so unbeweglich sitzen, und fiel endlich, da die Ordonnanz von den Kindermörderinnen verlesen wurde, gar in Ohnmacht.

HUMBRECHT. Nun, und da führte man sie zur Kirch hinaus an die frische Luft, und da erholte sie sich wieder, und jetzt ist sie wieder so gesund als vorher –

MAGISTER. Es ist aber – es tut mir leid, daß ich es sagen muß – es ist aber doch bedenklich –

HUMBRECHT. Bedenklich! – ich seh gar nichts Bedenkliches: wenn ein junges unschuldiges Ding sich so viel von Unkeuschheit, Hurerei und Unzucht in die Ohren poltern hört, wenn noch obendrauf ein paar abgeschmackte Maulaffen es starr in die Augen darüber anplarren, so seh ich gar nichts Bedenklichs dabei, wenn ihm der Kopf schwindlicht wird, wenn's bald rot bald blaß vor Ärger wird –

MAGISTER. Aber die Ohnmacht! – grad an der Stelle –

HUMBRECHT zieht ehrerbietig seine Schlafmütze ab. Nimm Er[1498] mir's nicht übel, Vetter! man sieht wohl, daß Er gstudiert ist. Ihr wohlweise Herrn wollt immer mehr sehn als ander Leut; 's geht euch aber, wie allen Triefaugen – wenn sie gegen die Sonne stehn, sehn sie alles doppelt, und nichts recht. – Was Tausendelement noch einmal! kann man etwa die Ohnmachten bestellen, wenn sie kommen sollen?

FRAU HUMBRECHT kommt geloffen. Du schreist ja, Mann, daß die Leut vor der Tür stehnbleiben.

HUMBRECHT. Es wird einem auch darnach gekocht! – Da kommt mir der Siebenkünstler da in aller Früh schon her; und brummelt mir von Rotwerden, von Ohnmachten, die unser Evchen gestern gehabt hat, die Ohren voll; und will, was weiß ich? draus schließen.

FRAU HUMBRECHT rümpft die Nase, und zuckt die Achseln. Da schließt sich wohl was! – Es war ihr nicht wohl, sonst wüßt ich nicht, was man draus schließen könnt.

MAGISTER. Eigentlich kam ich hieher, um mit dem Herrn Vetter allein zu sprechen: – doch, weil Sie da sind, Frau Bas – ich weiß, Sie sind's überzeugt, daß ich Ihrer Jungfer Tochter gut bin – Sie machten mir selbst einst Hoffnung – Stotternd. aber – kurz, weil der Herr Vetter meinem Bemerkungsgeist nichts zutrauen will – so will – so muß ich – Zieht eine Brieftasche heraus, und sucht etwas.

FRAU HUMBRECHT. Du lieber Gott! was sollen denn das für Bemerkungen sein? – Martin!

HUMBRECHT. Weiß ich's? – Wenn's mir recht ist, so hält er uns für Kalbsköpf, die keine Augen haben, und unser Evchen – wenigstens für eine Hure.

MAGISTER betroffen. Herr Vetter!

FRAU HUMBRECHT. Was? mein Evchen? – Herr Magister! weiß Er auch, was Er da sagt? – he! – da kommt Er mir recht; – ich setz mein Leben zum Pfand, meine Tochter ist ehrlich – das sagt ihr kein braver Mann nach, und wenn Er's wär, Herr Magister! – Vetter mag ich Ihn gar nicht mehr heißen. – Setzt die Händ in die Seiten. Ist das der Dank für alles Liebs und Guts, was wir – was mein Mann Ihm erzeigt hat; hat Ihm schon in der Klaß die Singstunde bezahlt – wie Er ins Kloster kam, das Kommod geschenkt, mit dem Er sich noch jetzt so patzig macht, he! – Ist das der Dank, daß Ihm mein Evchen für das bissel Klavier, das Er's gelehrt hat, den Magisterring an den Finger gesteckt hat! – wenn wir nit gewesen wären,[1499] hätt Er ja mitsamt Seinen Stipendien doch nit können prumovieren! wie lang waren sie schon verfressen? he! –

HUMBRECHT hält ihr das Maul zu. Frau! Frau! Du machst ja sechsmal mehr Lärm als ich!

FRAU HUMBRECHT reißt sich los. Hab ich nicht Ursach? – wer meinem Evchen was an der Ehr abschneiden will, der greift mir ins Aug.

MAGISTER. Frau Bas! Um Gotts willen – Ich empfehl mich.


Will fort.


HUMBRECHT. War denn das alles, was Er mir sagen wollt.

MAGISTER. Nein – aber Auf die Frau deutend. solang sie da ist, bin ich stumm.

HUMBRECHT. Liebe! geh ein bißchen hinein. Komm! Kriegt sie beim Arm. nur ein bißchen.

FRAU HUMBRECHT. Keine zehn Pferd bringen mich fort! – Nicht von der Stelle! – ich will mit anhören, was er meinem Evchen nachsagen kann.

MAGISTER. Ich will ihm nichts nachsagen, Frau Bas! ich schwör's Ihnen. Sie wissen ja, daß ich ihr von jeher gut war – und eben deswegen glaubt ich verpflichtet zu sein, Ihnen von einem und dem andern, das Sie noch nicht wissen, vielleicht nicht wissen können, Nachricht zu geben. – Noch glaub ich es selbst nicht; – ich bin's aber Ihnen schuldig, für eben die Gütigkeiten, die Sie mir den Augenblick mit so viel Bitterkeit vorwarfen, bin's ich Ihnen schuldig zu sagen, und Ihre Pflicht ist es, nichts ununtersucht zu lassen. Sehn Sie, dies Briefchen wurde mir gestern abends zugeschickt. – Lesen Sie selbst; ich würde gar keine Notiz davon genommen haben, wär nicht des Morgens in der Kirche schon der andre Vorfall geschehn.


Gibt Humbrechten ein Briefchen, den Umschlag behält er, und steckt ihn endlich in die Tasche.


HUMBRECHT. Die Pfote mag der Teufel lesen, ist's doch als hätten's die Hühner zusammengekratzt!


Gibt's zurück.


MAGISTER. Geben Sie her: ich will's Ihnen Wort für Wort vorlesen; sehn Sie aber ja mit hinein, daß Sie mich nicht hernach wieder beschuldigen –

FRAU HUMBRECHT stampft mit dem Fuß. Nun, so les Er, les Er nur!

MAGISTER liest, und deutet Silbe für Silbe mit dem Finger, Martin Humbrecht und seine Frau sehn auf beiden Seiten hinein.

»Mein Herr!

Sie heißen Humbrecht, und mögen leicht mehr Verstand[1500] haben, als alle in Ihrer Familie, die diesen Namen führen. Fragen Sie doch Evchen Humbrecht, Ihre Base, ob sie dumm genug ist zu glauben, daß ich sie würklich heiraten wollte. Wenn sie zurückdenken, und sich des Orts erinnern will, wo wir unsre Bekanntschaft gemacht, so kann sie mir's nicht zumuten. Wenn ihr Vater die hundert Taler nicht hergeben will, um ihr Kind ins Findlinghaus zu tun, so will ich allenfalls davor Rat schaffen. Es liegt Ihnen selbst daran dieses zu wissen.

von Gröningseck.


N.S. Es bedarf keiner Antwort, sie trifft mich doch nicht ...«


Magister guckt sie wechselsweis, das Papier in der Hand haltend, an.


HUMBRECHT. Gröningseck! so hieß ja der Offizier, der bei uns logiert hat!

MAGISTER. Eben der! der Evchen auf den Ball –

FRAU HUMBRECHT reißt dem Magister den Brief aus der Hand. Ja, der hieß so! – wie aber der heißt, der den infamen Pasquill hier geschmiert hat, daß weiß ich nicht: Reißt ihn, weil sie spricht, in tausend Stücken, und tritt mit Füßen darauf. – wenn ich's wüßte, so kratzt ich ihm die Augen aus.

HUMBRECHT. Frau! weißt du was? ruf das Mädel einmal her; – jetzt ärgert's mich, das wir ihr den Wisch nicht selbst können zu lesen geben – Will die Stücken aufraffen. Du bist verflucht fix, Frau!

FRAU HUMBRECHT. Zu lesen! wofür? daß sie ihren Tod dran holt, sonst wüßt ich nicht warum? Ist's nicht 'ne Schand und Spott, daß so ein alter Esel, wie du bist, auf so Kindergeschwätz gehn kann? – Ja! wenn ich nicht beständig um sie gewesen war! – aber so!

HUMBRECHT gebieterisch. Gehst du, sag ich, oder ich geh. Frau Humbrecht bohrt dem Magister einen Esel, und geht ab. – Vetter! – Ihn an der Schulter packend. unter uns! – vor meiner Frau wollt ich mich's so nicht merken lassen – aber – wenn's wahr ist, wie Er mir's da vorgelesen hat, so kommt mir das Mensch nicht mehr ganz zur Stub hinaus – die Rippen im Leib tret ich ihr entzwei, und ihrem Bastert dazu!

MAGISTER gesetzt. Herr Vetter! wenn Sie nur einen Funken von Religion haben, so fassen Sie sich. Ich kam nicht hieher, um Augenzeuge eines Verbrechens zu sein. – Zudem ist's ja noch nicht ausgemacht. – War Gröningseck mein Freund, wie er sich stellte, so ist der Ton seines Briefs mir ein Rätsel. – Mit[1501] den andern Umständen aber zusammengenommen, verdient die Sache schon Untersuchung. – Doch! wie gesagt, daß Sie sich ja nicht vergreifen! sonst – vielleicht ist auch –

FAUSTHAMMER kommt. Ischt Er der Master Humbrecht, der Metzjer?

HUMBRECHT. Ich mein's.

FAUSTHAMMER. Do schickt mi der Härr Fischkol mit der Duse här, Er soll ämol sehn, ob Er sie kennt?

HUMBRECHT. Dich kenn ich zum wenigsten – bist du nicht der Hans Adam, der Bettelvogt daneben im Bocksgässel?

FAUSTHAMMER. Gar rächt! – wir werden abber Fusthämmer, nit Bettelvögt titliert.

HUMBRECHT. Hol der Teufel die Titel! – ich frag dich, ob du der nämliche bist, der vergangnes Frühjahr, ein armes Kind von fünf Jahren, vor Bäcker Michels Tür unter der großen Gewerbslaub zu Tod geprügelt hat.

FAUSTHAMMER. Ei! worum hätt die Krott au gebettelt! – 's ischt mer halt äi Streich mißlungen –

HUMBRECHT. Wart Racker! ich will dich bekrotten! – wenn du ein Vieh bist, so geh in Wald zu den andern wilden Tieren; Kriegt ein spanisch Rohr, und prügelt ihn tüchtig durch. Jetzt geh, Kanaille! ich hab dir's lang nachgetragen; bist mir auf einmal in die Kluppen gekommen.

FAUSTHAMMER der während dem Prügeln die Dose fallen ließ, im Abgehn. – Schunn guht schunn guht, Er soll's nit umsunst geton han! Reibt sich den Buckel.

HUMBRECHT. Nicht umsonst? – hast du doch das Kind umsonst totgeschlagen, und hat kein Hahn darnach gekräht, du Schindersknecht – Wart, ich will dir den Buckel noch besser reiben, wenn's nicht genug ist –

FAUSTHAMMER lauft fort. Schunn guht! – schunn guht! – wärd's ze melden wissä. Ab.

HUMBRECHT wirft das Rohr in eine Ecke. Der kam mir eben recht! – Der Himmelsakerment! – Ein Kind von fünf Jahren mit seinem spanischen Hengst so lange zu prügeln, bis es die schwere Not kriegt, und krepiert! – und warum? – weil es ein Stück Brot bettelt, das es doch auch nicht stehlen darf – Dich soll das heilige Donnerwetter! – hätt ich dem Hund nur besser gegeben!

MAGISTER. Aber bedenken Sie auch, Herr Vetter, daß Ihnen das Ding kann übel ausgelegt werden?[1502]

HUMBRECHT. Nu! laßt mich's auch ein paar hundert Gulden kosten, die will ich gern geben! hab ich doch an dem Racker mein Mütchen gekühlt. –

MAGISTER. Und die Obrigkeit mit in ihm beleidigt. –

HUMBRECHT. Obrigkeit! Obrigkeit! – ich hab allen möglichen Respekt für meine Obrigkeit – aber den Viehkerls wenigstens sollte sie nicht so viel Gewalt geben; – haben nicht ihrer zween noch erst vor kurzem einen armen Handwerksburschen, der im nämlichen Fall war, aufs erbärmlichste mißhandelt, ihm mit Füßen das Gemäch entzweigetreten, daß er drei Stund drauf den Geist aufgab? – Und das soll Ordnung sein? – he! –

MAGISTER. Die werden ihren Lohn schon kriegen! – Herr Vetter! Herr Vetter! nehmen Sie sich in acht.

HUMBRECHT. Ei was! ich sag, was wahr ist, und da fürcht ich den Teufel nicht.

FRAU HUMBRECHT kommt geloffen, rauft sich die Haare. Martin! Martin! – ach, du lieber Gott! Evchen ist nirgends zu finden.

HUMBRECHT. Was, nicht zu finden? o nun glaub ich alles! – hast du recht nachgesehn – in ihrem Zimmer – in der Küch? –

FRAU HUMBRECHT. Alles! alles durchsucht; in der Metzig sogar bin ich gewesen, hab keinen Odem mehr – Gerechter Gott, was soll das sein.

MAGISTER. Hat sie denn niemand gesehn? war sie gestern –

FRAU HUMBRECHT. Ach! ich saß ja noch ganz spät bei ihr –

MAGISTER. Und den Morgen? –

FRAU HUMBRECHT. Dacht ich, sie schlief noch, wie sonst. – Da ist sie in aller Früh, wie ich von der Magd höre, ganz kunsterniert zum Haus hinausgegangen. – Wenn sie sich nur nicht ins Wasser gestürzt hat! – sie war ein paar Wochen her wieder so melancholisch –

HUMBRECHT. Der Teufel soll die Melancholie holen, die Hand und Füß hat! – Ich bin vor den Kopf geschlagen, wie ein Ochs – Schick den Augenblick bei allen Bekannten herum, ob sie nicht da ist, ich will selbst hinten hinaus zu deiner Schwester springen – Sie will abgehn, er lauft ihr vor, und sagt. bleib nur, ich will's der Magd selbst sagen. Im Augenblick bin ich wieder da, Vetter! Ab.

FRAU HUMBRECHT stolpert im Rückweg über die Dose, guckt darnach, hebt sie auf. Gott! meine Tobaksbüchse, die ich ausrufen ließ, wie kommt die hieher?[1503]

MAGISTER. Ein Fausthammer brachte sie, von Polizei wegen; Ihr Mann, der, wie er sagte, schon längst einen Groll auf ihn hatte, prügelte ihn, da ließ er sie vor Schrecken fallen, und lief fort.

FRAU HUMBRECHT. So kommt denn alles zusammen! Steckt sie ein. Wer hätte so was gedacht, Herr Vetter! Magister zuckt die Achseln. – Aber noch kann ich's nicht glauben, und kann's nicht glauben. Sie war immer so duß, so fromm wie ein Lamm! Er weiß selbst, wieviel hundertmal haben wir nicht gesagt, sie müßte Frau Pfarrerin werden. – Sie ist mir ja nicht aus den Augen gekommen, sie hat den verfluchten Leutenant, Gott sei mir gnädig! ja niemals, ohne mich gesprochen.

MAGISTER. Er spricht aber doch in seinem Brief von einer Zusammenkunft –

FRAU HUMBRECHT. Die hat er aber nicht mit ihr gehabt, und kann sie nicht gehabt haben, so wenig, als mit mir –

HUMBRECHT kommt wieder. 's ist alles aus! sie ist auch da nicht.

FRAU HUMBRECHT. Barmherziger Gott! ich bin des Todes noch.

HUMBRECHT. Jetzt können wir nur dem Vetter zu Fuß fallen, und ihm unsre Beschimpfungen abbitten.

MAGISTER. Darauf war ich vorher gefaßt; ich ließ sie zu einem Ohr hinein, zum andern herausgehn; Sieht auf die Uhr. Jetzt muß ich fort; sobald es meine Geschäfte erlauben, bin ich wieder hier. – Nur keine Exzesse, so kann noch alles gut werden. – Aufs Wiedersehn! Ab.

HUMBRECHT wirft sich auf einen Stuhl. Das heißt mir ein Morgen! Seine Frau ringt die Hände und weint. Der kann einem das Herz schon abstoßen! – Gottlob, daß ich mir keine Vorwürfe machen darf; ich hab euch oft genug von Tugend und Ordnung vorgepredigt! – Hab dir oft den Kablanzen gelesen, Frau! wenn du ihr zuviel Freiheit ließest; – jetzt hast du's!

FRAU HUMBRECHT im flehentlichen Ton. Um's Himmels willen, Martin, lieber Martin! nur jetzt keine Vorwürfe, wenn ich nicht auf der Stelle vergehn soll – ich hab das Meinige getan – so gut wie du immer!

HUMBRECHT. Dann wohl dir! das ist ein großer Trost, und doch keiner für ein Vaterherz!


Schlägt sich wider die Stirne, indem geht die Tür auf, der Fiskal kömmt herein, zween Fausthämmer mit, über dem Geräusch springt Humbrecht auf.


HUMBRECHT. Wer sind Sie, mein Herr? was wollen Sie hier? wen suchen Sie?[1504]

FISKAL. Sachte, mein Freund! Er wird mich doch nicht etwa auch durchprügeln wollen, wie den ehrlichen Mann da?

HUMBRECHT. Der, ein ehrlicher Mann? ein Lumpenhund, ein Schindersknecht mag er sein, aber kein –

FRAU HUMBRECHT. Still Martin! der Herr Fiskal! –

FAUSTHAMMER. Do hören Sie's sälbst, Härr Fischkol! do höre Sie's, und dort leit der Stock noch.

FISKAL. Still nur! Euer Schmerzengeld soll Euch schon werden.

HUMBRECHT. Sie sind also der Herr Fiskal?

FISKAL. Der bin ich; – ich schickte vorher –

HUMBRECHT. O mein Herr Fiskal! Sie verzeihen – Sie können's einem rechtschaffenen Bürgersmann nicht übelnehmen, wenn er die Ehr hat, Sie nicht zu kennen; es ist, dächt ich, immer ein gutes Zeichen, wenn man mit der hochlöblichen Polizei nit viel zu schaffen hat –

FISKAL. Keine Komplimenten, mein Freund! es steht Euch gar nicht –

HUMBRECHT. Ich heiß Martin Humbrecht, Metzger und Burger allhier, und für mein Geld, das ich der Stadt abgeben muß, heißt mich Ihre Gnaden, der Herr Ammeister selbst Er.

FISKAL. Ich versteh schon, Herr Humbrecht; Er, Sie, mir gilt's gleich – Ich schickte vorher den Mann zu Ihnen – er ist ein Diener der Polizei, wenn Sie es noch nicht wissen, und wer ihn beleidigt, der greift das ganze Amt an, doch davon sollen Sie schon sonstwo Red und Antwort geben. – Jetzt kam ich nur im Vorbeigehn zu hören, ob Sie eine gewisse Dose, die Ihnen der Mann vorzeigte, für die Ihrige agnoszieren? –

HUMBRECHT. Ich weiß kein Wort von Dosen; – hat Er mir eine Dose gewiesen? – da muß ich blind gewesen sein.

FAUSTHAMMER. Jo! vor Zorn; min Buckel hat's empfunden.

FRAU HUMBRECHT. Ja, Martin, da ist sie: – sie lag da auf der Erde.


Will sie ihm hingeben.


HUMBRECHT. Die? das ist ja die deine: – wie käm denn die hochlöbliche Polizei dazu?

FRAU HUMBRECHT. Ich verlor sie –

FISKAL. Unter diesem Schein ließen Sie sie wenigstens ausrufen.

FRAU HUMBRECHT. Und der Mann da hat sie vermutlich gefunden? – das versprochene Trinkgeld –


Sucht in der Tasche.


FISKAL. Nein, er nicht, Frau Humbrecht! ich eher; das Trinkgeld sparen Sie also. Nun wär ich zwar freilich nicht schuldig zu[1505] sagen, wie ich sie ans Tageslicht gebracht; damit Sie mich aber nicht etwa für einen Hexenmeister halten, will ich Ihnen gestehn, wie's zuging. – Mein Amt bringt's mit sich, daß ich Augen und Ohren allerwärts haben muß, da hört ich nun auch eben diese Dose ausrufen; ich notierte mir, wie ich mehr tue, die Kennzeichen, und da wir vor einigen Tagen bei einem schlechten Weibsbild, das sich über den Rhein machen wollte, unter andern Sachen auch die Dose fanden, so schickte ich nach dem Ausschreier, und nahm seine Aussage, wem sie zugehört, ad protocollum; noch war nötig, daß Sie sie agnoszierten, das ist nun geschehn, und jetzt bitt ich mir sie wieder zurück aus. –

FRAU HUMBRECHT. Wieso! ist sie nicht mein?

FISKAL. Gewesen, ja! Jetzt aber gehört sie zum corpus delicti, und muß bis zum Endspruch in den Händen der Gerechtigkeit deponiert bleiben. Wollen Sie denn die Unkosten pro rata bezahlen, so können Sie sie wieder kriegen. – Frau Humbrecht gibt sie ihm wieder. Indessen kann ich Ihnen im Vertrauen sagen, Sie haben sie nicht verloren, sie ist Ihnen gestohlen worden. – Das Mensch hat schon alles bekennt. –

HUMBRECHT. Gestohlen! wo? – von wem?

FISKAL. In einem gewissen Haus, wo die Madam vermutlich nicht gern wollen gewesen sein.

HUMBRECHT. Wieder was Neues! – Frau, willst du reden – sag! wo kam sie dir weg?

FRAU HUMBRECHT. Und wenn ich gerädert sollt werden, so kann ich nichts anders sagen, als daß ich sie auf dem Ball muß verloren haben.

FISKAL. Gehn Sie lieber mit der Sprach heraus, Frau Humbrecht, der Herr Liebste erfährt es doch. – Im »Gelben Kreuz« – wissen Sie –

HUMBRECHT. Was in dem Bordell –

FISKAL. Pfui! da wird Ihre Frau doch nicht frühstücken.

FRAU HUMBRECHT betroffen. Frühstücken! ja wir haben gefrühstückt; – wo, weiß ich nicht; – Der Leutenant versicherte mir aber, wir wären in einem honetten Haus. –

FISKAL. Und gab Ihnen, in aller Honetteté, einen Schlaftrunk.

HUMBRECHT beißt die Zähne übereinander. Der Herr Beelzebub und seine lebendige Großmutter! – Bestie! den Hals dreh ich dir um – Will auf sie los, Fiskal tritt dazwischen. Jetzt gehn mir auf einmal die Augen auf: hat's mir doch immer vom[1506] Teufel geträumt! – der verfluchte Ball! – Bestie, vermaledeite Bestie! hast deine Tochter zur Hure gemacht! –

FRAU HUMBRECHT schluchzend. Ich! der allmächtige Gott weiß, daß ich so unschuldig bin, als das Kind in Mutterleib. –

LISSEL kommt hastig herein. Ich kann sie nirgends – – Da sie den Fiskal erblickt, wird sie ganz bestürzt; will wieder zurück, auf einmal lauft sie hervor, und fällt vor dem Herrn Humbrecht auf die Kniee, weinend. Ach, meine guldne herzallerliebste Herrschaft! ich bitt Sie um Gotts willen, – ich will ja gern alles gestehn, alles sagen – nur lassen Sie mich nit ins Raspelhüs führen –

HUMBRECHT tritt nach ihr. Geh an Galgen!

LISSEL. Ach du lieber Himmel! bedenken Sie doch, so ein junges Blut, wie ich bin –

HUMBRECHT. Was willst du? hat dich deine Mutter ins Hurenhaus geführt?

LISSEL. Ach nein! so gottsvergessen ist sie nicht.

HUMBRECHT. Hörst's, Frau Humbrechtin! hörst's! – Ein schöns Liedchen! – will dir's noch oft vorsingen.

FRAU HUMBRECHT schlägt die Hand über dem Kopf zusammen, will reden, verstummt, und geht ab.

FISKAL der seither mit den Fausthämmern heimlich gesprochen, zu Lissel. Entweder sagt jetzt gleich alles, was Ihr von der Sache wißt, oder die Männer hier bringen Euch an einen Ort, wo man schon Mittel finden wird, Euch schwätzen zu machen.

LISSEL. Ach, mein allergnädigster liebreicher Herr Fiskal! ich weiß nichts, gar nichts: als daß sie heut in aller Früh sich die Zöpf aufmachte, ein Bunne rung aufsetzte und fortging; und da gab sie mir ihren Mantel, ihren taftenen und sagt', ich sollt ihn mir aufheben, bis sie wiederkäm, das sagt' sie mir dreimal mit den nämlichen Worten, und da mußt ich ihr meinen baumwollenen geben; da ging sie fort, und da kehrt' sie sich unter der Tür noch einmal um, und sagte, »Lissel! bis ich wiederkomm.« Ich will des Todes sein, wenn's nit wahr ist! – Jetzt haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein allerliebster Herr Fiskal! sonst weiß ich nichts mehr, als daß ich den Mantel in meine Küst gelegt habe, wie sie mich's geheißen hat; Gott muß mein Zeuge sein, daß ich ihn nit gestohlen habe; – wenn Sie mich foltern, so weiß ich jetzt kein stumpicht Wörtchen mehr.[1507]

FISKAL. Wer ist denn die Sie?

LISSEL. Wer? – ei unsre Jungfer! die Jungfer Ev!

HUMBRECHT. Du Jungfer und der Teufel! – Die Hure, Herr Fiskal, hat Lunden gerochen, und ist heut morgen davongeloffen. – Bewegt. Wenn sie der Teufel nur nicht reitet, daß sie sich gar – Das gäb eine schöne Himmelfahrt!

FISKAL. Dem muß man zuvorkommen! – Männer, ihr wißt eure Schuldigkeit! Fausthämmer wollen abgehn. Halt! noch eins, wie sieht Ihr baumwollner Mantel aus?

LISSEL. Brauner Boden, rot und grün gestrieft, mit gelben Blumen.

FISKAL. Jetzt.


Fausthämmer im Abgehn.


1. FAUSTHAMMER. Gottlob! do gitt's doch widder a paar sechs schilli Bießlä ze verdienä!

2. FAUSTHAMMER. Vergiß jetz widder d'Kunsign, häscht's ghört!

1. FAUSTHAMMER. Dreck uf dien Nas. I waiß gewiß nimmi? – a Bunne rung, unn a Mantel mit brunem Bodä, unn – unn – o 's ist mer z'inn i seh sie schunn.


Ab.


FISKAL mittlerweil zu Humbrecht. Herr Humbrecht! Sie sind ein hitziger wilder Kopf! hüten Sie sich, und machen Sie keine halsbrechende Arbeit: – soviel zur Warnung! Im Abgehn. – Euch junge Magd rat ich ja ehrlich zu bleiben; zur armen Sünderin seid Ihr von Haus aus verdorben. Ab, Lissel mit.


Humbrecht fällt wie betäubt auf einen Stuhl, die Händ auf den Tisch, den Kopf drauf. – Der Vorhang fällt.

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1495-1508.
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Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

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Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

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