Zweyter Akt.

[94] Ein kleines, nicht kostbar aber reinlich meublirtes Zimmer, in Kutscher Walzens Haus; Fridericke hat einen welken Straus in der Hand, den sie aufmerksam betrachtet; die Arbeit liegt vor ihr; Lenchen strickt.


LENCHEN singt nach dem zweyten Theil des Weissischen Lieds, Schön sind Rosen und Jesmin.

Eben so vergieng auch ich,

Würde man uns trennen,

Denn ich lebe nur durch dich

Um für dich zu brennen.

Sings lieber grad heraus; ich weis ja doch, daß du es denkst; es ist ja dein Leibstückel.

FRIDERICKE. Ich bin heut zu schwermüthig, – laß michs denken, und sing du.

LENCHEN. Also hätt ich doch die Erlaubnis dich zu accompagniren.

FRIDERICKE. Mich nicht, da behüte dich dein guter Gott vor.

LENCHEN. Ins Brautbette nicht, das versteht sich!

FRIDERICKE seufzend. Brautbette!

LENCHEN. Ja, ja! als wenn ich nicht wüßte, daß dich Herr Langen heyrathen will; hieß er dich nicht gestern noch, als er Abschied von uns nahm, sein liebes Weibchen?

FRIDERICKE. Schweig! – Ein paar Handvoll geschnitten Stroh, ein Strohpfülben, ein Leintuch, da drauf wird mirs wohl seyn.[95]

LENCHEN. Darf ich dir nicht wenigstens Blumen unterstreun? – Pfui, Schwester! das klingt ja so finster! – was würde Langen sagen, wenn er so was hörte?

FRIDERICKE. Er solls aber nicht hören! niemand solls hören; die Zeit wirds bringen; o die bringt viel – Ruhe – Tod – –

LENCHEN. Ums Himmels willen, wie kommst du auf die traurigen Gedanken? Gestern warst du noch so munter, Langen so zärtlich –

FRIDERICKE. Das war er – ists noch! ich weiß es: von dieser Seite hab ich nichts zu befürchten.

LENCHEN. Von welcher denn?

FRIDERICKE. Seine Mutter! – niemals will sie in unsre Heyrath willigen, sie hats geschworen, Legt den Straus vor sich. bey allen Heiligen geschworen – heut hab ichs unter der Hand erfahren; sie will ihn enterben, ihm ihren Fluch geben, wenn er mich zur Frau nimmt, und sie so prostituirt. – Gott! sie mag dem guten Langen das Leben sauer genug machen!

LENCHEN. Er ist doch immer aufgeräumt; ich hab ihm noch keinen Kummer angesehn.

FRIDERICKE. Desto stärker nagt er ihm am Herzen; ich kenn ihn schon; eh er mir so was entdecken sollte, würde er lieber daran ersticken. – O es hat mir schon lang geahndet! – In Langens Besitz wär ich zu glücklich gewesen. Weint.[96]

LANGEN kommt und stutzt. Himmel! Sie weinen: mein Rickchen weint! und warum?

FRIDERICKE geht ihm statt aller Antwort entgegen und umarmt ihn; er sie.

LENCHEN. Ey der dumme verwelkte Straus da, hat ihr so melancholische Gedanken gemacht; ich will ihn dafür auch gleich ins Wasser werfen. Nimmt ihn vom Tisch und läuft dem Fenster zu.

FRIDERICKE eilt ihr nach, und reißt ihr ihn aus der Hand. Langen gab mir ihn! Küßt ihn, und steckt ihn in Busen.

LENCHEN. Da sprach sie von geschnittnem Stroh, von einem Strohpfülben, und Leintuch – das sollte ihr Brautbette werden.

FRIDERICKE. Schwätzerin! – soll nicht – Langen dis konnt ich nicht sagen, sagts nicht – es wird, sagt ich.

LANGEN setzt sich neben sie. Es wird! und warum?

FRIDERICKE. Mein Herz sagt mirs.

LANGEN. Ihr Herz kann sich irren, liebes Rickchen.

FRIDERICKE. Glauben Sie? – sehn Sie mir recht in die Augen; jetzt sagen Sie mirs noch einmal, daß meine Ahndungen zu voreilig waren. –

LANGEN. Sie warens, ich hoff es, zu Gott hoff ichs!

FRIDERICKE. Gut; dieser einzige Blick hat mich beruhigt; – wenn Langen hofft, kann – muß[97] ich auch hoffen. – Aber Ihre Mutter – ich weiß alles; – Sie haben mir niemals gesagt, was Sie litten.

LANGEN. Meine Mutter! nun ja; es ist wahr, sie ist ein wenig stolz; im Grund aber doch eine ganz gute Frau; die mich sehr liebt; vernünftige Vorstellungen –

FRIDERICKE. Möchten hier schwerlich was nutzen. Ich weiß gewiß, daß sie von Enterbung, Fluch –

LANGEN. Nicht doch: davon kann sie nicht gesprochen haben; wer hat Ihnen so was aufbinden wollen?

FRIDERICKE. Ihre Schwester hat es vorgestern in einem Haus gesagt, wo ich heute was auszurichten hatte. Die hat es doch wohl nicht aus dem Finger gesogen.

LANGEN. Wie unbedachtsam wär es vor Kindern dergleichen Sachen zu sprechen! – Unmöglich! – Enterben! das Bischen, was sie hat reicht bey weitem nicht hin sie selbst zu erhalten; sie braucht mich mehr als ich sie. – Ist Ihr Vater schon zurückgekommen, meine Lieben?

FRIDERICKE. Noch nicht; wir erwarten ihn jeden Augenblick.

LANGEN. Er wird nicht lange mehr ausbleiben: das Frolocken und Jauchzen des Volks, das ich haufenweis, als ich hieher gieng, beysammen[98] fand, läßt mich die glückliche Rückkunft unsers Kaysers vermuthen.

LENCHEN aufspringend. Wie froh bin ich nicht – Da wird uns der Vater gewiß wieder was neues von der Wohlthätigkeit und Großmuth unsers guten Kaysers zu erzählen haben: das rührt mich denn bis zu Thränen.

FRIDERICKE. Gut! recht gut! das ist er – er hats von seiner Frau Mutter. – Seine Schuld ists gewiß nicht, wenn nicht alle seine Unterthanen glücklich sind.

LENCHEN. Ich geh auch niemals in die Kirche, daß ich nicht so ganz aus der Seele heraus für ihn und unsre gütige Landesmutter bete.

LANGEN. Edle Seele! ich muß Sie küssen dafür.

LENCHEN sich sträubend. Küssen Sie nur meine Schwester; bey mir gehts ja doch nicht von Herzen.

LANGEN. Schäckerin! Er küßt sie, hernach Rickchen, zieht alsdann aus seiner Brieftasche zwo kleine Silouetten heraus, und befestigt sie neben einander an der Wand. Kennen Sie dis Pärchen?

FRIDERICKE sieht ihn zärtlich an.

LENCHEN. O das ist meine Schwester, als wie aus den Augen geschnitten – und das sind Sie Herr Langen, das kenn ich am Tupee –

LANGEN. So![99]

LENCHEN. Aber wo ist denn meines? wissen Sie wohl, daß es gar nicht artig von Ihnen ist, mich so lang damit zu vexiren –

LANGEN. Eins nach dem andern – morgen gewiß!

WALZ unter der Thür. Guten Abend, Kinder! guten Abend.

FRIDERICKE UND LENCHEN. Der Vater! Guten Abend, Vater!

WALZ kommt vollends herein. Ihr Diener, Herr Assessor! wie gehts? wie treibt ihrs? das ist ja recht brav Langen auf die Schultern klopfend. daß Sie meinen Mädels da, so dann und wann die Zeit verkürzen.

LANGEN. Umgekehrt, Herr Walz.

LENCHEN. Ist Kayser Joseph wieder glücklich von seiner Reise zurückgekommen?

WALZ. So glücklich, als ers verdient! – 'S ist wahrhaftig eine wahre Herzensfreud mit dem Herrn zu reisen – so gnädig, so gütig! – o das läßt sich nicht sagen – dafür ist er aber auch allenthalben angebetet; – Kinder! wenn ihr die Leut sähet, wenn sie ihn anblicken, ihr meyntet, sie hätten all das Herz in den Augen sitzen. – Unser einer kann das so am besten wissen, denn da reden die Leute so grad weg, wie sies denken; bey den großen Herrn verstellen sie sich schon. – Ich schwör euch, es hat mich mancher mit scheelen Augen angesehn, als ich so[100] auf meinem Bock daherfuhr; ich muß aber auch sagen, ich bin nicht wenig stolz auf die Ehre bey einem so großen, so huldreichen Monarchen in Diensten zu stehn. – Mit Verlaub, ich muß mirs ein wenig commod machen. – Große! hilf mir den Rock ausziehn – – Hast du nichts bey der Hand, Kleine! mich hungert und dürstet. –

LENCHEN. Was will Er, Vater?

WALZ. Wenn Bier da ist, so mach mir eine Kaltschaale, das stopft die Wurmlöcher und löscht den Durst.

LENCHEN. Gleich, Vater! Geht ab.

WALZ. Sie sagen ja gar nichts, Herr Assessor, hübsch munter! das ists halbe Leben. – Sehn Sie, ich bins noch so von den Preussen her gewohnt; wenn ich da an den heissen Sommertagen, so recht marod und mit leerem Bauch vom Exerciren – das war noch vor dem lezten Krieg – nach Haus kam, so war mein erstes – wenn ich mein Sachen wieder gepuzt und in Stand gesezt hatte – denn der Dienst muß immer vor allem gehn – so war mein erstes, daß ich mir ein halb Maaß Bier und meinen Commißlaib langte. Sapperment! giengs da nicht an ein Einbrocken. Manch liebesmal hab ich meine ganze Ration den ersten Tag aufgefressen, ich war ein junger aufgeschoßner Bengel, der nimmer satt werden konnte – freylich hatt ich hernach wieder drey Tage nichts, war aber doch lustig, fix und alert –[101] I nun! dafür hat mir unser Herr Gott jezt auch zur Ruhe geholfen. Hab aber auch mein Lebtag kein Kind beleidigt. – Apropo! gut, daß es mir einfällt. Geht über einen Schrank und zählt Geld.

LENCHEN die einen Augenblick vorher sich etwas im Zimmer zu thun gemacht, und bemerkt hatte, wie zärtlich sich die beyden ansahn, winkt Langen, sobald der Vater ihnen den Rücken zukehrt, Rickchen zu küssen und sagt halb leise. Jezt! Langen folgt ihrem Wink, da sich der Vater wieder herumdreht, springt Lenchen wieder fort.

WALZ. Hier Große! nimm das Geld; brings dem Reitknecht, dem Philipp; er wird wohl am Abschirren begriffen seyn; sag ihm nur, hier wäre sein Lohn; er könnt sich hinpacken, wo er wollt, und sollte Gott danken, daß ich ihm nicht noch mit einer Prügelsuppe aufwarte.

FRIDERICKE. Warum will Er ihn denn fortschicken, Vater? was wird der arme Jung darnach anfangen?

WALZ. Was? das kümmert mich nichts: warum ist der verdammte Kerl so gafflich? – Da hätt er bey einem Haar aus bloßer Unvorsichtigkeit – wenn er nicht gar besoffen war – ein Kind zu Schanden geritten; – wenn ein Unglück geschehn ist, darnach ists zu spät. – Hat der Junge keine Augen im Kopf, so mag er Schulmeister werden, und eine Brille auf die Nas setzen – zum Kutscher und Vorreuter schickt er sich aber so wenig, als ich zum Geheimdenrath. –[102] Marsch! sag ich; bey mir soll er kein Unglück anstellen; Sapperment! ich bin kein Schwab, daß ich den Stall zumach, wenns Vieh zum Teufel ist. Rickchen geht ab, sieht Langen zärtlich an, er sie.

WALZ. Hm! Das war mir ein Blick! Herr Assessor, Herr Assessor! ich kann nicht klug aus euch Leuten werden; da sitzt Er, und schwätzt kein Wort. Das gafft und gafft. Zum Henker, mit dem Gedrucks! – Wenn Ers mit meinem Mädel ehrlich meynt –

LANGEN. Das thu ich gewiß, Herr Walz!

WALZ. Nu! so mach Er fort; meynt Er denn so ein junges vollblütiges Ding würde vom Gucken allein satt? He!

LANGEN lächelnd. Halb so im Eifer, Herr Walz! das ist eben meine Absicht; ich habe nur seine Zurückkunft erwartet, um Ihn zu fragen, ob Ers zufrieden wäre, wenn ich seine Tochter heyrathete?

WALZ. Ob ichs zufrieden wäre? – Sapperment, da müßt ich ja blinder seyn als mein Reitknecht, wenn ich nicht säh, daß mein Mädel mit Ihm glücklich seyn wird. Er hat einen guten Dienst, Herr Assessor, das weiß ich; Er ist ein braver Mann, der mit der Zeit noch avanziren kann, das weiß ich auch; und was das vornehmste ist, Er liebt mein Mädel; das hab ich schon lang gemerkt, wenn ich mich gleich so dumm anstellte – das war noch so eine Kriegslist in Friedenszeiten[103] – mein Mädel liebt ihn wieder; und Lieb und Gegenlieb macht eine gute Haushaltung: – Topp! ich versprechs Ihm: – soll ich den Kaplan auf morgen bestellen?

LENCHEN eine Schüssel Kaltschaal auf den Tisch stellend. Hier Vater.

LANGEN. Das geht so schnell nicht – Ihre Erlaubnis hätt ich –

WALZ. Und meinen besten Seegen dazu, Herr Assessor!

LANGEN. Jetzt muß ich auch die Einwilligung meiner Mutter zu erhalten, bedacht seyn.

LENCHEN. Da wirds schon mehr Fickeltäten setzen!

WALZ. Was, Diffikeltäten! woher? warum? ist deine Schwester nit ein brav Mädel beym Sapperment! das jedem unter die Augen treten darf? es ist arbeitsam, still, eingezogen, häuslich, sieht überdas nicht häßlich aus; was braucht ein ehrlicher Mann mehr in die Haushaltung? Ists keine von den Reichen, so ists doch keine Bettlerin, und so ganz blutt und blos werd ich sie doch auch nicht aus dem Haus jagen. – Was solls denn da vor Schwierigkeiten geben? he!

LANGEN. Laß Er das meine Sorge seyn, Herr Walz! Jungfer Lenchen meynts eben gut mit ihrer Schwester und mir; und was sie da gesagt hat, ist nur aus Vorsicht –[104]

WALZ. Hohl der Henker die Vorsicht; hätt sie meinem Reitknecht was davon abgegeben, so hätt ich mir zwey ärgerliche Mumenten erspahren können. Setzt sich und ißt.

FRIDERICKE kommt wieder. Er hat geweint, der arme Tropf, als ichs ihm sagte; – er dauert mich würklich –

WALZ. Ihr Geschöpfe von Löschpapier! seyd gleich durch und durchgeweicht. – Das ist schon der dritte dumme Streich, den er mir gemacht hat; jetzt mag ers haben.

LANGEN. Ich wünschte mir keine Frau, die gefühllos wäre –

WALZ. Ja apropo! bists zufrieden, daß ich dich an den Herrn Assessor versprochen habe?

FRIDERICKE. Er hat nur das bestätigt, Vater, was ich schon lang gethan habe.

WALZ. Das Mädel ist aufrichtig; – ein seltner Fall!

LANGEN. Die liebe unverdorbne Natur! wie sie aus den Händen des Schöpfers kam: – ich bin so glücklich –

FRIDERICKE. Ganz noch nicht, mein lieber Herr Langen! eins fehlt noch, und ich förchte –

WALZ. Zum Henker auch! seit wann sind denn die Mädels so vorsichtig? – aus Paris ist die neue Mode doch nicht gekommen.[105]

LANGEN. Ich verstehe Sie, bestes Rickchen; ich werd in meine Mutter dringen, sie bitten, ersuchen – sie wird, sie muß – und sollt ich –

FRIDERICKE. Nichts übereiltes, Langen!

LANGEN. Seyn Sie ganz ruhig; morgen sollen Sie alles hören; und – wenn Gott will – ganz die Meine seyn. Küßt sie und geht ab.

WALZ. Sapperment! der gieng von Herzen! wie schmeckt der erste Kuß, Mädel?

FRIDERICKE. O es ist nicht der erste, Vater.

LANGEN noch unter der Thür. Liebenswürdige Unschuld! Vollends ab.

WALZ. Und das sagst du mir so ins Gesicht?

FRIDERICKE. Warum denn nicht, Vater? ists denn was Böses den zu küssen, den man lieb hat?

WALZ. Wer hat dir vorher aber Erlaubnis gegeben ihn zu lieben? Steht auf.

FRIDERICKE. O die nimmt man sich von selbst; ich liebte ihn schon, noch eh ich es selbst wußte, daß ich ihn lieben wollte.

WALZ. Immer besser! es ist Zeit, daß ich sie mir vom Hals schaffe; die weiß, beym Sapperment! zu viel und zu wenig. – Kleine, was stehst dort, und maulst; wart, ich will dirs Maulen vertreiben. – Trag die Schüssel weg; das muß sich ein Mädel von zwölf Jahren nicht erst heisen lassen. – Die Silouetten erblickend. Zum Henker, was sind denn das vor Mohrenköpf?[106]

LENCHEN nimmt die Schüssel weg. Ey Vater! sieht Ers denn nicht? es ist der Schatten vom Herrn Assessor und der Schwester.

WALZ. Es mag – was anders seyn; die Schwester steht da, der Schatten dort, wo wär dann die Sonne? Lenchen geht laut lachend ab. Was lacht die Närrin?

FRIDERICKE. Das will ich Ihm erklären, Vater! der Schatten ist nicht von der Sonne, sondern vom Licht gemacht worden; sieht Er, da muß man sich so setzen; ganz stille sitzen, und darnach wird das nachgezeichnet, vorher aber wird ein Bogen Papier angeklebt, da wirds dann groß – so groß wie mein Kopf, hernach nimmt man eine Maschine – doch das kann Ihm Langen morgen deutlicher machen, und allenfalls auch zeigen – es ist gar leicht, aber ich könnts doch nicht. –

WALZ. Wozu nützt denn aber die schwarze Fratze? wenns noch gemahlt wäre –

FRIDERICKE. Ja Vater! da wärs nicht, was es jetzt ist. – Langen sagte mir, aus einer ganzen Sammlung von solchen Bildern könnte man gar viel lernen; ich glaub aber, man muß auch Langens Augen dazu haben.

WALZ. Was man nicht vor Zeug erlebt!

LENCHEN. Vater, da ist ein Mensch, der zu ihm will – er will an Philipps Stelle treten.

WALZ. Wer hat ihn geschickt? wo kommt er her? – Ists wohl so ein Vagabund?[107]

LENCHEN. Nein Vater! er sieht ganz gut aus; hat sehr hochblonde Haar und hübsche rothe Backen.

WALZ. Wenn einer bey euch nur ein hübsch glattes Gesicht hat, so ist schon alles gut; schick ihn her! Lenchen macht die Thür auf und winkt ihm; Karl kommt herein, die beyden Schwestern nehmen ihre Arbeit und gehn auf der andern Seit ab.

WALZ. Wie heist er? wo ist er her? wo hat er gedient? was will er?

KARL. Ich heisse Karl, suche Dienst als Reitknecht, das übrige steht hier. Giebt ihm einen Schein seines Wohlverhaltens.

WALZ nachdem er ihn gelesen. Der Schein ist gut; aber zum Henker! warum ist er nicht geblieben, wo er war: wenn der Herr Kanzler mit ihm zufrieden gewesen, beym Sapperment! was läuft er dann in die Welt hinein? he!

KARL. Man hat mich fortgeschickt.

WALZ. So ist also der Schein falsch?

KARL. Falsch! behüte mich der liebe Gott vor so was!

WALZ. Sapperment! so geh er mit der Sprach heraus, oder pack er sich zum – wenn man mit ihm so wohl zufrieden gewesen ist, wie dies Attestat sagt, warum schickt man ihn denn fort?

KARL. Der Herr Kanzler war halt genöthigt Kutsch und Pferde zu verkaufen, und da konnt er[108] mich nicht mehr brauchen. O ich hab geweint wie ein Kind, als ich aus dem Hause gieng. Es ist der rechtschaffenste, der beste Herr, den je der Erdboden getragen hat. Alle seine Bedienten sind wie seine Kinder gewesen; er hat viel Jahr dem regierenden Grafen und seinem Herrn Vater schon gedient, und das ganze Land glücklich zu machen gesucht. – In Paris hat er dem Grafen ein groß Stück Gelds noch herausgebracht, in einem Geschäft, wo ein andrer nicht einen Heller gekriegt hätte. – Was wars? sein eigen Vermögen ist nach und nach drauf gegangen, kränklich wurd er durchs viele Sitzen – manch liebesmal ist er in seinem Kabinet bis Morgens zwey gesessen, und um sechs Uhr schon wieder auf den Beinen gewesen. Zum Dank davor hat ihn der Graf so lang verfolgt und geketzert, bis ers Bett hat hüten müssen, und jezt, wie der Doktor sagt, nit mehr im Stand ist sein Lebtag wieder zu arbeiten. Man möcht Blut weinen, wenn man den guten Herrn sieht, wie er jezt so von allen verlassen ist; denn seit dem er in Ungnad gefallen, kommt kein Mensch mehr zu ihm, nicht einmal der Pfarrer.

WALZ. Es geht so in der Welt! – an kleinen Höfen ist das nichts neues: ja, wenn das verdammte Versuchsschwänzen nicht wär! – Es ist nicht jeder Landesherr ein Kayser Joseph, nicht jede Regentin eine Theresia, – kanns auch nicht seyn, so wenig als jeder kleine Stern[109] eine Sonne seyn kann. Du gfällst mir, Junge! daß du deinem alten Herrn noch so ergeben bist; bist auch so fleißig und brav in deiner Arbeit? so sollst es gut bey mir haben. Komm! ich will dir deinen Posten anweisen. – Hast aber auch Augen im Kopf? – Sapperment! sonst gehts nit. Gehn ab.

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 94-110.
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