Zweiter Teil

1842–1850


Die Reise von Paris nach Dresden dauerte damals noch fünf Tage mit den dazwischenliegenden Nächten. An der deutschen Grenze bei Forbach gerieten wir in Schnee und rauhes Wetter, was uns nach dem bereits genossenen Pariser Frühling sehr unfreundlich anwehte. Wirklich wollte uns beim Weiterfahren durch die wiedergewonnene deutsche Heimat vieles gar nicht recht anmuten, und mir fiel ein, daß die französischen Reisenden, welche, wenn sie aus Deutschland zurückkehrten, beim Betreten des französischen Bodens leichter atmend sich die Röcke aufknöpften, als ob sie nun aus dem Winter in den Sommer kämen, doch nicht so ganz unrecht gehabt hätten, da wir im Gegenteil jetzt genötigt waren, uns mit künstlichster Benützung unsrer Kleidungsmittel gegen einen empfindlich auffallenden Temperaturwechsel zu schützen. Zur vollständigen Marter ward diese Ungunst der Witterung, als wir auf der Reise von Frankfurt nach Leipzig in den Strom der Meßreisenden gerieten, welche die Post um jene Zeit der Leipziger Ostermesse so stark in Anspruch nahmen, daß wir zwei Tage und eine Nacht über, bei unausgesetztem Sturm, Schnee und Regen, unaufhörlich die schlimmsten Beiwagen wechseln mußten, was diese Reise uns zu einem Abenteuer von fast ähnlicher Gattung wie unsre frühere Seereise gestaltete. Einen wirklichen Lichtblick gewährte mir die Begegnung der Wartburg, an welcher wir in der einzigen sonnenhellen Stunde dieser Reise vorbeifuhren. Der Anblick des Bergschlosses, welches sich, wenn man von Fulda herkommt, längere Zeit bereits sehr vorteilhaft darstellt, regte mich ungemein warm an. Einen seitab von ihr gelegenen ferneren Bergrücken stempelte ich sogleich zum »Hörselberg« und konstruierte mir so, in dem Tal dahinfahrend, die Szene zum dritten Akte meines »Tannhäuser«, wie ich sie seitdem als Bild in mir festhielt und später dem Pariser Dekorationsmaler Despléchin mit genauer Angabe meines Planes zur Ausführung anwies. Hatte es mich bereits sehr bedeutungsvoll gemahnt, daß ich jetzt erst, auf der Heimreise von Paris, den sagenhaften deutschen Rhein überschritt, so dünkte es mich eine[231] weissagungsvolle Beziehung, daß ich die so geschicht- und mythenreiche Wartburg eben jetzt zum ersten Male leibhaftig vor mir sah, und war von diesem Eindruck gegen Wind und Wetter, Juden und Leipziger Messe so innig erwärmt, daß ich endlich mit meiner armen zerschlagenen und erfrorenen Frau glücklich und wohlbehalten wieder in demselben Dresden ankam (12. April 1842), von welchem ich zuletzt in so trauriger Trennung von Minna in mein nordisches Exil ausgezogen war.

Wir stiegen im Gasthof »Zur Stadt Gotha« ab. – Die Stadt, in welcher ich so bedeutungsvolle Kinder- und Knabenjahre verlebt, machte unter dem Eindrucke trüber, rauher Witterung einen kalten, toten Eindruck auf mich; wirklich schien mir alles, was an meine Jugend mich erinnern konnte, dort erstorben; kein gastliches Haus empfing uns; die Eltern meiner Frau trafen wir in ärmlicher, enger Wohnung und kümmerlichen Verhältnissen und mußten uns sofort nach einer kleinen Wohnung für uns selbst umsehen, welche wir denn in der Töpfergasse, für sieben Taler monatlich, fanden. – Nachdem ich wegen des »Rienzi« die nötigen Höflichkeitsbesuche gemacht und Minna für meine kurze Abwesenheit versorgt hatte, reiste ich am 15. April sofort nach Leipzig, wo ich seit sechs Jahren zum ersten Male meine Mutter und Geschwister wiedersah. In dieser für mich so verhängnisvollen Zeit hatte die Mutter durch Rosaliens Tod eine große Veränderung ihrer häuslichen Lage erfahren; sie lebte in einer freundlichen und geräumigen Wohnung nahe der Familie Brockhaus in behaglicher Sorglosigkeit ohne eigentlichen Hausstand, welchem sie früher bei starker Familie so rüstige Sorge jahrelang gewidmet hatte. Die Rührigkeit, ja Heftigkeit ihres Wesens war gänzlich der ihr eigenen Heiterkeit, mit welcher sie sich der Teilnahme an dem Gedeihen der Familien ihrer verheirateten Töchter hingab, gewichen. Das Glück eines so ruhigen und freundlichen Alters verdankte sie größtenteils der herzlich gewogenen Fürsorge ihres Schwiegersohnes Friedrich Brockhaus, welchem auch ich hierdurch zu gerührtem Dank mich verpflichtet bekannte. Sie hatte einen großen freudigen Schreck, als sie mich unvermutet ins Zimmer treten sah; jede Bitterkeit war vollkommen zwischen uns gewichen, und sie beklagte sich nur, daß sie mich nicht bei sich haben könnte, statt des verunglückten Goldschmieds, meines Bruders Julius, von dem sie gar nichts Rechtes für den Umgang habe. Sie hatte guten Glauben an den Erfolg meiner Unternehmung und fühlte sich in ihren Hoffnungen durch die letzten Voraussagungen der guten Rosalie gestärkt, mit welchen diese noch kurz vor ihrem Tode sich für mich ausgesprochen hatte.

Für jetzt weilte ich jedoch nur wenige Tage in Leipzig, um zunächst nach Berlin zu reisen, wo ich mit dem Grafen von Redern wegen der Aufführung des »Fliegenden Holländers« mich in ein bestimmtes Vernehmen zu setzen hatte. Wie schon angedeutet, hatte ich hier sogleich zu erfahren, daß der Graf von der Intendanz abzutreten im Begriffe stehe, und wurde daher von diesem für alle weiteren Bestimmungen an den neuen Intendanten, Herrn [232] von Küstner, welcher aber noch nicht in Berlin eingetroffen war, gewiesen. Ich verstand nun plötzlich, was dieser seltsame Umstand zu bedeuten habe, und fand, daß ich der Berliner Angelegenheit wegen getrost hätte in Paris bleiben können. Dieser Eindruck bestätigte sich im wesentlichen auch durch meinen Besuch bei Meyerbeer; ich fand, daß ich diesem mit meiner Reise nach Berlin mich offenbar zu feurig erwiesen hatte. Immerhin zeigte er sich mir freundlich und geneigt, nur bedauerte er, soeben »auf der Abreise« begriffen zu sein – ein Zustand, in welchem ich ihn später stets antraf, sooft ich ihn in Berlin wieder besuchte. – Auch Mendelssohn hielt sich um diese Zeit in Berlin, wohin er durch den König von Preußen als einer der Generalmusikdirektoren berufen war, auf. Ich suchte ihn, dem ich mich bereits früher in Leipzig vorgestellt hatte, ebenfalls auf; von ihm erfuhr ich, daß er an ein Gedeihen seiner Wirksamkeit in Berlin nicht glaube und sich lieber wieder nach Leipzig zurückwenden möchte. Nach dem Schicksal der Partitur meiner großen, in früher Zeit schon in Leipzig aufgeführten Symphonie, welche ich ihm vor so viel Jahren einigermaßen aufdringlich zugestellt hatte, frug ich ihn nicht; wogegen auch er in keiner Weise mir verriet, daß er sich dieses sonderbaren Geschenkes erinnere. In seiner reichlichen häuslichen Umgebung machte er einen kalten Eindruck auf mich, jedoch stieß er mich weniger ab, als ich vielmehr von ihm abglitt. – Nun besuchte ich auch Rellstab, an welchen ich einen Brief von seinem treuen Verleger, meinem Schwager Brockhaus, mit mir führte. Hier traf ich weniger auf Glätte, fühlte mich aber abgestoßen, worauf es ihm gewiß auch ankam, da er keinerlei Miene machte, als könne es ihm beikommen, sich für mich zu interessieren. – Mir wurde in Berlin sehr wehe zumute; fast hätte ich mir den Commissionsrat Cerf wieder herbeigewünscht. Eine so widerwärtige Zeit ich auch vor Jahren hier verlebt hatte, so war ich damals doch auf einen Menschen gestoßen, der bei aller Schroffheit seines Äußeren mit wahrer freundschaftlicher Sorge sich mir zugewandt hatte; ich suchte vergebens mir das Berlin zurückzurufen, durch welches ich damals mit Laube, jugendlich erregt, spazierenging. Nachdem ich London und namentlich Paris kennengelernt, machte die Stadt mit ihrer dürftigen Länge, die sie für Größe ausgibt, einen wahrhaft herabstimmenden Eindruck, und ich sagte mir, wenn ich es in meinem Leben durchaus zu nichts bringen sollte, so möchte ich dies doch lieber in Paris als in Berlin erfahren.

Von diesem gänzlich vergeblichen Ausfluge zurückkehrend, wendete ich mich zunächst noch auf einige Tage nach Leipzig, wo ich diesmal bei meinem Schwager Hermann Brockhaus, welcher jetzt als Professor der orientalischen Sprachen der Leipziger Universität angehörte, einkehrte. Seine Familie hatte sich noch um zwei Mädchen vermehrt, und der Inbegriff des ungetrübten Behagens, verklärt durch geistige Regsamkeit und gemächlich belebte Teilnahme an allem, was auch den höheren Lebensrichtungen angehört, wirkte auf mich Heimatlosen, unruhig Umhergejagten ergreifend. Als meine[233] Schwester eines Abends die artigen Kinder versorgt und mit freundlicher Ermahnung zur Ruhe gebracht hatte, und nun in dem geräumigen, reichlich versehenen Bibliothekzimmer das Nachtmahl uns zu langem traulichem Gespräch vereinigen sollte, brach ich in heftiges Weinen aus und schien von meiner guten Schwester, welche vor fünf Jahren in Dresden mich in der höchsten Bedrängnis meiner jugendlichen Ehe kennengelernt hatte, verstanden zu werden. Andrerseits kam, namentlich auf Anregung meines Schwagers Hermann, meine Familie mir mit dem Anerbieten eines Darlehens entgegen, welches mir die Zeit des Abwartens der Aufführung meines »Rienzi« in Dresden zu überstehen helfen sollte. Es geschah dies mit dem Beteuern, daß man dies einfach für Pflicht halte und ich gegen die Annahme keinerlei Bedenken zu hegen hätte. Es waren 200 Taler, welche mir in monatlichen Raten während eines halben Jahres ausgezahlt werden sollten. Da ich auf irgendwelche andre Einnahme in keiner Weise zu rechnen hatte, lag es zwar nah, daß für unser Auskommen an das Wirtschaftlichkeits-Talent Minnas stark berufen werden mußte; dennoch war es möglich zu machen, und ich durfte mit dem Gefühle großer Genugtuung nach Dresden zurückkehren. – Bei meinen Verwandten hatte ich auch zum ersten Male den »Fliegenden Holländer« zusammenhängend vorgespielt und gesungen; mir schien, als ob ich damit ziemliches Interesse erregt hätte, und als meine Schwester Luise späterhin der Aufführung dieser Oper in Dresden beiwohnte, beklagte sie sich, dabei von vielem die Wirkung nicht wiedergewonnen zu haben, wie sie ihr zuvor durch meinen Vortrag beigekommen war. – Auch meinen alten Freund Apel suchte ich wieder auf; der Arme war gänzlich erblindet, überraschte mich aber durch seine Heiterkeit und Zufriedenheit mit seinem Zustande, wodurch er mir alle Veranlassung, ihn zu beklagen, für allemal abschnitt; da er behauptete, er kenne den blauen Rock recht gut, den ich anhabe, trotzdem ich einen braunen trug, fand ich sogar für gut, auch hierüber mich mit ihm in keinen Streit einzulassen, und schied aus Leipzig mit der Verwunderung darüber, hier alles so glücklich und zufrieden anzutreffen.

Veranlassung zu tätigerem Eingreifen in mein Schicksal erhielt ich nun aber in Dresden, wohin ich am 26. April wieder zurückkehrte. Hier belebte mich nun der angelegentlichere Verkehr mit den Personen, welche ich für die Aufführung des »Rienzi« in Anspruch zu nehmen hatte, in hoffnungerweckender Weise. Kalt und ungläubig ließen mich zwar noch die Ergebnisse meines Vernehmens mit dem Generaldirektor von Lüttichau, dem Kapellmeister Reissiger, welche beide über meine Ankunft in Dresden aufrichtig verwundert waren, und selbst mit meinem so häufig be-korrespondierten Gönner Hofrat Winkler, welcher mich ebenfalls lieber noch in Paris gewußt hätte. Wie ich aber bis dahin und seitdem stets erfuhr, kam die warm fördernde Teilnahme mir immer aus den unteren Schichten, nie aus den höheren Regionen zu; und so erwärmte mich auch hier zuerst der[234] überwältigend herzliche Empfang des alten Chordirektors Wilhelm Fischer, den ich nie zuvor gekannt hatte, der aber der einzige gewesen, welcher genau mit meiner Partitur sich bekannt gemacht, für den Erfolg meiner Oper ernstliche Hoffnung geschöpft und für die Aufnahme des Studiums derselben sich energisch verwandt hatte. Als ich zuerst zu ihm in das Zimmer trat und meinen Namen nannte, stürzte er mir mit einem lauten Rufe zur Umarmung entgegen, und mit einem Schlage war ich nun mitten in eine hoffnungsvolle Atmosphäre versetzt. Außer ihm traf ich in dem Schauspieler Ferdinand Heine und dessen Familie den nächsten Anhalt herzlich gewogener, ja innigst besorgter Freundschaft. Dieser war mir allerdings aus meinen Kinderjahren her bereits bekannt; er hatte damals zu den einigen jungen Leuten gehört, welche mein Stiefvater Geyer gern zu sich heranzog. Neben einem wohl unbedeutenden Zeichentalent war es hauptsächlich seine angenehme gesellschaftliche Begabung, welche ihm den Zutritt zu unserem engeren Familienkreise verschafft hatte. Sehr klein und schmächtig, hatte er sich von meinem Vater den vertrauten Spitznamen Davidchen erworben und gehörte als solcher zu den weiteren Vereinigungen, an welchen, wie ich seinerzeit erwähnte, selbst Carl Maria von Weber, namentlich bei geselligen Ausflügen in die Umgegend, gemütlich heiter teilnahm. Der älteren »guten« Schule angehörend, war er zwar ein nützliches, nicht aber hervorragendes Mitglied des Dresdner Schauspiels geworden; er besaß alle Kenntnisse und Fähigkeiten zu einem tüchtigen Regisseur, wußte jedoch nie die Gunst der Direktion für seine Belehnung mit dieser Charge zu gewinnen. Nur als Kostümzeichner hatten seine Fähigkeiten noch außerdem Verwendung gefunden; als solcher war er auch zu den Beratungen wegen der Aufführung des »Rienzi« mit hinzugezogen und hatte somit Veranlassung erhalten, mit diesem Werke eines nun herangewachsenen Gliedes der Familie, in welcher er in jungen Jahren angenehme Tage verlebt hatte, sich zu befassen. Von ihm wurde ich sofort als Kind vom Hause aufgenommen, und wir Heimatlosen fanden in der uns gänzlich entfremdeten Heimat dort wieder den ersten heimischen Boden. Mit Papa Fischer bei Heines verbrachten wir meist unsre Abende und erfreuten unter hoffnungsvollen Gesprächen uns der Kartoffeln und des Herings, aus welchem meistens die Mahlzeit bestand. – Die Schröder-Devrient war auf Urlaub abwesend; Tichatschek, welcher ebenfalls im Begriff war auf Urlaub zu gehen, konnte ich eben nur begrüßen, um mit ihm flüchtig einiges aus seiner Partie des »Rienzi« durchzugehen. Sein frisches, lebhaftes Wesen, seine herrliche Stimme, seine große musikalische Befähigung gaben seiner Versicherung, daß er sich auf die Rolle des »Rienzi« freue, einen für mich besonders erfreulichen Nachdruck. Heine versicherte mir außerdem, daß schon die Aussicht zu vielen neuen Kostümen und namentlich einer neuen silbernen Rüstung Tichatschek auf das lebhafteste für meine Rolle einnehme und ich seiner unter allen Umständen sicher sein könnte. So durfte ich mich denn[235] nun bereits näher mit den Vorbereitungen des Studiums, dessen Beginn für den Spätsommer nach der Rückkehr der Hauptsänger aus ihrem Urlaub angesetzt war, beschäftigen. – Namentlich mußte ich Freund Fischer durch meine Bereitwilligkeit zu Kürzungen der übermäßig starken Partitur zu beruhigen suchen. Er meinte es hierin so ehrlich, daß ich gern mit ihm über die beschwerliche Arbeit gemeinsam mich hermachte. Auf einem alten Flügel im Probezimmer des Hoftheaters spielte und sang ich nun dem erstaunten Manne meine Partitur mit so tobender Energie vor, daß er, der das Klavier gern verlorengab, nur noch um meine Brust besorgt blieb und unter herzlichem Lachen jeden Streit über zu kürzende Stellen bald gänzlich aufgab, da gerade dort, wo er eine Auslassung für möglich hielt, ich ihm mit hinreißender Beredsamkeit bewies, daß es sich eben dabei um die Hauptsache handle. Kopfüber tauchte er mit mir unter in den ungeheuren tönenden Wust, gegen dessen Berechtigung er nichts andres aufbringen konnte als das Zeugnis seiner Taschenuhr, dessen Richtigkeit ich ihm endlich auch abstritt. Leichten Herzens warf ich ihm als Beute die große Pantomime und das meiste Ballett des zweiten Aktes hin, wobei ich anzunehmen glaubte, daß wir eine ganze halbe Stunde ersparten. So wurde denn in Gottes Namen das ganze Ungeheuer den Kopisten zum Ausschreiben übergeben; das übrige sollte sich alles finden. –

Wir sahen uns nun darnach um, was wir mit diesem Sommer anfangen sollten; und ich beschloß einen mehrmonatigen Aufenthalt in Teplitz, dem Orte meiner berauschenden ersten Jugendausflüge, dessen gute Luft und Bäder zugleich der angegriffenen Gesundheit Minnas meiner Meinung nach von Vorteil sein sollten. Ehe wir unsren Vorsatz ausführten, kostete mich die Sicherstellung des Schicksals meines »Fliegenden Holländers« noch einen mehrmaligen Besuch Leipzigs. Am 5. Mai wandte ich mich dorthin, um Herrn von Küstner, den neuen Berliner Intendanten, dessen kürzlich erfolgte Ankunft in Leipzig man mir gemeldet hatte, zu sprechen. Dieser befand sich in der eigentümlichen Lage, dieselbe Oper, welche er zuvor von München aus abgewiesen hatte, nun in Berlin aufführen zu sollen, weil sie dort von seinem abtretenden Vorgänger angenommen war. Er versprach mir zu überlegen, wozu er sich in diesem merkwürdigen Falle zu entscheiden habe. Um das Resultat dieser Überlegung kennenzulernen, beschloß ich, am 2. Juni Küstner, diesmal in Berlin selbst, aufzusuchen, fand jedoch bereits in Leipzig einen Brief von demselben vor, worin ich gebeten wurde, im Betreff einer genaueren Entschließung mich noch einige Zeit zu gedulden. Ich benutzte nun die Nähe zu einem Ausflug nach Halle, um dort meinen ältesten Bruder Albert zu besuchen. Es war für mich bedauerlich und sehr herabdrückend, den Ärmsten, dem ich das Zeugnis höheren Strebens und selbst bedeutender Begabung für den dramatischen Gesang geben mußte, in so höchst unwürdigen, kleinlichen Verhältnissen, wie das Hallesche Theater sie bot, mit seiner Familie anzutreffen. Die Kenntnisnahme solcher[236] Zustände, denen ich einst selbst so nahe gewesen war, wirkte jetzt unbeschreiblich abschreckend auf mich. Noch bekümmernder war es mir aber, von diesen Zuständen meinen Bruder in einer Weise sprechen zu hören, die mir leider nur zu sehr verriet, mit welch trostloser Ergebung er sich bereits dareingefügt hatte. Nur eines berührte mich ermutigend, nämlich die Erscheinung, das kindliche Wesen und die bereits überraschend schöne Stimme der damals fünfzehnjährigen Stieftochter meines Bruders, Johanna, welche mir das Lied Spohrs: »Rose, wie bist du so schön«, in rührender Weise vorsang.

Von hier kehrte ich nun nach Dresden zurück, um endlich mit Minna und einer ihrer Schwestern bei wundervollem Wetter die angenehme Reise nach Teplitz auszuführen, wo wir am 9. Juni eintrafen und in dem Hause »Zur Eiche« in Schönau notdürftiges Quartier nahmen. Hier trafen wir bald mit meiner Mutter zusammen, welche ihren altgewohnten jährlichen Besuch der Teplitzer warmen Bäder diesmal um so lieber ausführte, als sie mich dort anzutreffen wußte. Hatte sie von früher her gegen Minna, meiner gar zu jugendlichen Verheiratung mit ihr wegen, ein widerwilliges Vorurteil gehabt, so erhielt sie nun durch Bekanntwerden mit ihren häuslichen Eigenschaften vollen Grund, die Genossin meiner trübseligen Pariser Leiden zu achten und liebzugewinnen. Mich erfreute im Umgang mit der Mutter, welche andrerseits bei ihrer Launenhaftigkeit manche Rücksichten in Anspruch nahm, besonders die große Regsamkeit der fast kindlichen Phantasie, welche ihr jetzt in so starkem Grade verblieben war, daß sie sich eines Morgens beklagte, ich hätte sie durch Erzählung der Tannhäuser-Sage am vergangenen Abend die ganze Nacht über in zwar angenehme aber doch sehr aufregende Schlaflosigkeit versetzt.

Kaum hatte ich nun durch briefliche Vermittelung bei dem reichen Kunstmäzen Schletter in Leipzig für den im Misère in Paris zurückgebliebenen Kietz einiges ausgewirkt, für ärztliche Behandlung Minnas und für die Ordnung meiner eigenen kümmerlichen finanziellen Lage zur Not gesorgt, als ich mich in frühgewohnter Weise zu einer mehrtägigen Fußwanderung in das böhmische Gebirg aufmachte, um meinen Plan zum »Venusberg« unter den angenehmen Eindrücken eines solchen Ausfluges in mir auszuarbeiten. Hierzu reizte es mich, auf dem so romantisch gelegenen Schrekkenstein bei Aussig für mehrere Tage in dem kleinen Gastzimmer, in welchem des Nachts mir eine Streu aufgemacht wurde, mein Quartier zu nehmen. Tägliche Besteigung der »Wostrai«, der höchsten Bergspitze der Umgebung, erfrischten mich, und die phantastische Einsamkeit regte meinen Jugendmut in der Art wieder auf, daß ich eine volle Mondnacht, in das bloße Bett-Tuch gewickelt, auf den Ruinen des Schreckensteins herumkletterte, um mir so selbst zur fehlenden Gespenstererscheinung zu werden, wobei mich der Gedanke ergötzte, von irgend jemand mit Grausen wahrgenommen zu werden. Hier setzte ich denn nun in mein Taschenbuch den[237] ausführlichen Plan zu einer dreiaktigen Oper »Der Venusberg« auf, welchem vollkommen getreu ich später die Dichtung ausführte. Bei einer Ersteigung der »Wostrai« überraschte mich beim Umbiegen um eine Talecke die lustige Tanzweise, welche ein Hirte, auf eine Anhöhe gelagert, pfiff. Ich befand mich sogleich im Chor der Pilger, welche an dem Hirten vorbei durch das Tal ziehen, vermochte es aber in keiner Art, später die Weise des Hirten mir zurückzurufen, weshalb ich mir dafür auf die bekannte Art selbst zu helfen hatte. – Mit dieser Ausbeute bereichert, kehrte ich in wundervoller Stimmung und schöner Gesundheit nach Teplitz zurück, von wo mich nun bald eintreffende Nachrichten über die bevorstehende Zurückkunft Tichatscheks und der Schröder-Devrient nach Dresden zurückzugehen bestimmten, weniger, um beim beginnenden Studium des »Rienzi« nichts zu versäumen, als vielmehr zu verhüten, daß die Direktion nicht etwa statt dessen etwas andres beginnen lassen möchte. Minna ließ ich für einige Zeit noch in der Gesellschaft der Mutter zurück und traf am 18. Juli in Dresden ein.

Nachdem ich mir in einem sonderbaren, jetzt niedergerissenen Hause eine auf die Maximiliansallee blickende kleine Wohnung gemietet, setzte ich mich nun eifriger mit den zurückgekehrten Hauptsängern der Oper in Beziehung. – Mein alter Enthusiasmus für die Schröder-Devrient lebte neu auf, als ich sie jetzt häufiger wieder in der Oper auftreten sah. Es machte auf mich einen eigentümlichen Eindruck, sie zuerst in Grétrys »Blaubart« wiederzuhören, da ich mich entsinnen mußte, daß diese Oper das erste Stück war, welches ich – eben in Dresden – als fünfjähriger Knabe sah und wovon ich noch die wunderlichen ersten Eindrücke bewahrte. Meine frühesten Kindererinnerungen lebten dadurch auf und ich gedachte dessen, daß es die Arie des Ritters Blaubart »Ha! Du Falsche! Die Türe offen!« gewesen war, welche ich, einen selbst verfertigten Papierhelm auf dem Kopfe, zur Belustigung des ganzen Hauses oft mit großer Emphase vorgetragen hatte. Freund Heine wußte noch davon. – Im übrigen wollten die Opern-Vorstellungen keinen besonders günstigen Eindruck auf mich machen; namentlich vermißte ich den sonoren Klang des vollbesetzten Pariser Streichinstrument-Orchesters sehr. Ich bemerkte, daß man bei der Eröffnung des schönen neuen Theatergebäudes gänzlich außer acht gelassen hatte, die Vermehrung der Saiteninstrumente im Verhältnis zu dem größeren Raume vorzunehmen. Hieran wie an der in vielen wesentlichen Punkten stets dürftigen Ausstattung der Szene prägte sich mir der Eindruck einer gewissen Armseligkeit des deutschen Theaterwesens ein, welcher da am auffallendsten war, wo das Repertoire der Pariser Oper, noch dazu in elenden Übersetzungen des Textes, reproduziert wurde. Hatte ich nun in Paris bereits eine tiefe Unbefriedigung von diesem Opernwesen empfunden, so kehrte mir jetzt das Gefühl, welches mich einst von den deutschen Theatern nach Paris getrieben hatte, neu und verstärkt zurück, so daß ich mir von neuem wie degradiert vorkam und im tiefsten Innern eine Verachtung[238] nährte, welche für jetzt bereits so stark war, daß ich an ein dauerndes Befassen, selbst mit einem der besten deutschen Operntheater, gar nicht mehr denken mochte, sondern mich sehnsüchtig frug, was ich denn nur eigentlich ergreifen sollte, um mich zwischen Ekel und Wunsch in dieser sonderbaren Welt zu behaupten.

Da waren es denn die begabten außerordentlichen Naturen einzelner Persönlichkeiten, welche mir so viel Teilnahme einflößten, daß ich durch sie über meine Skrupel hinweggeleitet werden konnte. Vor allem gilt dies eben von meiner großen Meisterin Schröder-Devrient, mit welcher gemeinsam wirken zu können ja einst mein brennendster Ehrgeiz gewesen war. Allerdings war seit meinen ersten Jugendeindrücken von ihr eine ziemliche Reihe von Jahren vergangen. Im Betreff ihrer äußeren Erscheinung durfte sich im folgenden Winter Berlioz, welcher damals nach Dresden kam, in einem Pariser Bericht bereits ungünstig dahin äußern, daß ihr etwas »materneller« Embonpoint ihr für jugendliche Rollen, namentlich aber im Männerkostüm, wie es im »Rienzi« der Fall war, störend auf die Imagination wirke. Ihre Stimme, welche an und für sich nie von der materiellen Bedeutung außerordentlicher Gesangsorgane gewesen war, fühlte sich oft gehindert, und namentlich war die Sängerin genötigt, das Tempo durchweg etwas zu trainieren. Mehr als von diesen materiellen Nachteilen wurden ihre Leistungen jetzt jedoch durch den Umstand beeinträchtigt, daß ihr Repertoire aus einer beschränkten Anzahl von Glanzrollen bestand, welche sie nun bereits so außerordentlich oft durchgeführt hatte, daß eine gewisse Stabilität in der bewußten Berechnung der Effekte oft im Sinne einer Manier erschien, welche, durch Neigung zur Übertreibung, zu Zeiten bis an das Peinliche zu streifen vermochte. Konnte mir dies nicht entgehen, so war doch aber auch ich gerade ganz besonders befähigt, über diese entstehenden Schwächen hinweg das Große und Unvergleichliche ihrer Leistungen immer noch mit entzükkendster Deutlichkeit zu erfassen; und wirklich bedurfte es auch nur besonders erregter Zustände der Künstlerin, wie ihr sonderbar bewegtes Leben solche ihr immer noch zuführte, um ihr die vollste schöpferische Kraft ihrer Blütezeit wiedererstehen zu lassen; und hiervon sollte ich noch die erhebendsten Erfahrungen machen. Eigentlich bedenklich und erkältend wirkte nur meine Wahrnehmung des zersetzenden Einflusses des Theaterwesens auf den ursprünglich gewiß groß und edel angelegten Charakter der Künstlerin. Ich mußte aus demselben Munde, aus welchem ich die begeistertste Tonsprache der großen Dramatikerin vernahm, andrerseits ziemlich die gleiche Sprache vernehmen, welche mit wenigem Unterschied von allen Theaterheldinnen gesprochen wird. Daß die bloße Naturgabe einer schönen Stimme, ja wohl selbst nur rein körperliche Vorzüge imstande waren, Rivalinnen neben ihr in die Gunst des Publikums zu setzen, vermochte sie nicht zu ertragen; und hierüber gelangte sie so wenig zu der einer großen Künstlerin würdigen Resignation, daß ihr Eifer vielmehr mit[239] den Jahren in peinlicher Weise zunahm. Für jetzt bemerkte ich dies mehr, als daß ich darunter zu leiden hatte. Größere Beschwerde verursachte es mir, daß sie nicht eigentlich leicht Musik erfaßte und das Studium einer neuen Partie für sie von Schwierigkeiten begleitet war, welche namentlich dem Komponisten, der ihr sein Werk einzustudieren hatte, ziemlich peinvolle Stunden bereiteten. Daß sie sich nur langsam mit neuen Aufgaben bekannt machte, führte namentlich in betreff der Partie des Adriano im »Rienzi« späterhin zu Enttäuschungen ihrerseits, welche mir große Not bereiteten.

War hier eine schwierige große Natur sorgfältig zu behandeln, so hatte ich dagegen mit dem kindlich beschränkten und oberflächlichen aber außerordentlich glänzend begabten Tichatschek es ungemein leicht. Er lernte seine Partien nicht gut auswendig, weil er so musikalisch war, daß er die schwierigsten Noten vom Blatt sang und somit jedes Studium von vornherein für erledigt hielt, während bei den meisten andren Sängern eben das Treffen der Noten das Studium ausmachte. Hatte er nun die Partie in genügenden Proben oft genug durchgesungen, um sie seinem Gedächtnis nach Bedürfnis einzuprägen, so mußte es sich des weiteren von selbst finden, in welcher Weise er den Anforderungen der Gesangkunst und des dramatischen Vortrages zu entsprechen habe. Schreibfehler des Textes in seiner Stimme lernte er unverbesserlich auf diese Weise mit auswendig und sprach das falsche Wort mit derselben deutlichen Energie wie das richtige aus. Bemerkungen hierüber, überhaupt Vorschläge in betreff der Auffassung, wies er mit liebenswürdigem Eifer von sich, indem er behauptete, »das würde sich schon finden«. Und in der Tat ergab auch ich mich sehr bald einer vollkommenen Enthaltung von jedem Versuch, die Geisteskräfte des Sängers für die Erfassung der Aufgabe meiner Heldenrolle in Anspruch zu nehmen, wofür ich durch den liebenswürdigsten Enthusiasmus, mit dem er sich auf seine dankbare Partie warf, und die hinreißende Wirkung seines glänzenden Stimmorgans sehr erwünscht entschädigt wurde.

Außer diesen beiden Darstellern der Hauptrollen hatte ich nur über sehr mittelmäßige Kräfte zu verfügen. Guter Wille war aber überall vorhanden, und um selbst den Kapellmeister Reissiger zum fleißigen Abhalten der Klavierproben zu veranlassen, griff ich zu einem ingeniösen Mittel. Er klagte mir seine Not, einen guten Operntext zu bekommen, und hielt es für sehr vernünftig von mir, daß ich mich daran zu gewöhnen scheine, mir meine Texte selbst zu schreiben. Ein gleiches für sich zu tun, habe er leider in der Jugend vernachlässigt, und doch fehle ihm nichts weiter zu glücklichen Erfolgen als dramatischer Komponist, da ich doch gewiß selbst gestehen müßte, daß er »sehr viel Melodie« habe; aber es scheine, daß dies nicht genügend sei, die Sänger in den rechten Enthusiasmus zu bringen, weshalb er denn zu erleben hätte, daß zum Beispiel die Schröder-Devrient dieselbe Final-Stelle, mit welcher sie in Bellinis »Romeo und Julie« das Publikum[240] stets in Ekstase versetze, in seiner »Adèle de Foix« ganz gleichgültig hersänge. Es liege demnach doch wohl an den Sujets. Und nun versprach ich ihm sofort, ihm einen Operntext zu liefern, in welchem er diese und ähnliche Melodien mit höchstem Effekt solle anbringen können. Hierauf ging er mit größter Freude ein; und ich bestimmte nun meinen älteren Entwurf der »Hohen Braut« nach dem Königschen Romane, welchen ich einst Scribe übersandt hatte, zur Versifikation als gültigen Operntext für Reissiger. In jede Klavierprobe versprach ich ihm eine Seite Verse mitzubringen; und dies führte ich redlich aus, bis das ganze Buch fertig war. Sehr erstaunt war ich nach einiger Zeit zu erfahren, daß Reissiger sich von einem Schauspieler Kriethe wiederum einen neuen Operntext anfertigen ließ, welcher »Der Schiffbruch der Medusa« getauft wurde. Ich erfuhr nun, daß die argwöhnische Frau Kapellmeisterin meine Bereitwilligkeit, ihrem Gatten einen Operntext abzutreten, mit höchstem Bedenken erfüllt hatte. Beide fanden zwar, daß das Buch gut und wirkungsreich sei; nur vermuteten sie irgendeine bedenkliche Falle dahinter, welcher zu entgehen jedenfalls die nötigste Vorsicht erheische. So kam es, daß ich wieder die Verfügung über meinen Operntext erhielt und hiermit späterhin meinem alten Freund Kittl in Prag aushelfen konnte, welcher ihn unter dem Titel »Die Franzosen vor Nizza« in seiner Weise komponierte und, wie mir versichert wurde (da ich sein Werk nie hörte), in Prag häufig mit Beifall zur Aufführung brachte; bei welcher Gelegenheit ich sogar von einem Prager Kritiker belehrt wurde, daß dieser Text Zeugnis für meine eigentliche Befähigung zum Librettisten ablege und es nur eine Verirrung sei, wenn ich auch mit dem Komponieren mich abgäbe; wogegen Laube nach meinem »Tannhäuser« behauptete, es sei mein Unglück, daß ich mir nicht von einem geschickten Theaterstückschreiber einen ordentlichen Operntext für meine Musik machen ließe.

Für jetzt brachte mir diese Arbeit den erwünschten Erfolg ein: Reissiger hielt beim Studium des »Rienzi« gebührend aus. Mehr als meine Opernverse ihn im Zuge erhielten, wirkte hierauf jedoch die wachsende Teilnahme der Sänger, vor allem Tichatscheks wahre Begeisterung dafür. Für ihn, der so gern um einer Jagdpartie willen den Unterhaltungen am Klavier des Theaterfoyers entsagte, waren die Proben des »Rienzi« bald wahre Feste, zu welchen er immer mit strahlenden Augen und ausgelassener guter Laune erschien. Ich befand mich hierbei bald wie in einem fortgesetzten Rausche; besondre Lieblingsstellen wurden von den Sängern bei jeder Probe mit Akklamation begrüßt, und ein Ensemblestück des dritten Finales, welches später leider gänzlich aus allen Aufführungen (der Länge wegen) ausgelassen werden mußte, wurde bei diesen Gelegenheiten sogar für mich zu einer Erwerbsquelle. Tichatschek behauptete nämlich, dieses H-moll sei so schön, daß man nur jedesmal etwas dafür zahlen müsse, und legte einen blanken Silbergroschen auf, die übrigen Sänger zur Nachahmung auffordernd; in bester Laune ward von allen redlich beigesteuert; wenn wir so[241] weit kamen, hieß es in jeder Probe: »Jetzt kommt die Neugroschenstelle«, und Frau Schröder-Devrient, als auch sie ihre Börse ziehen mußte, erklärte, dieses Studium würde sie noch völlig arm machen. Ich erhielt jedesmal gewissenhaft diese sonderbare Tantieme überliefert, und keiner ahnte, daß dieses scherzhafte Honorar mir und meiner Frau oft höchst erwünscht zur Bestreitung der Tagesmahlzeit kam.

Anfang August war nämlich auch Minna, für einige Zeit von meiner Mutter begleitet, aus Teplitz nach Dresden zurückgekommen. Wir lebten in einer kalten Wohnung kümmerlich aber hoffnungsvoll der leider sich sehr verzögernden Erlösung entgegen. Unter häufigen Störungen durch das schwankende und so bedürfnisvolle Repertoire eines deutschen Operntheaters vergingen über den Vorbereitungen meines Werkes die Monate August und September, und erst im Oktober nahmen die kombinierten Proben den Charakter an, welcher die Sicherheit einer baldigen Aufführung ankündigt. Mit dem Beginn der Ensemble- und Orchesterproben trat der unfehlbare Glaube an einen großen Erfolg bei jedem Beteiligten ein. Die großen Theaterproben wirkten endlich vollends berauschend. Als wir die erste Szene des zweiten Aktes mit dem Auftritt der Friedensboten zuerst in szenischer Vollständigkeit uns vorführten, brach eine allgemeine Rührung aus, und selbst die Schröder-Devrient, welche bereits gegen ihre Rolle, da sie darin nicht zur Heldin des Dramas sich machen konnte, ärgerlich befangen war, konnte nur mit von Tränen erstickter Stimme auf meine an sie gerichteten Fragen antworten. Ich glaube, daß das gesamte Theaterpersonal bis auf die untergeordnetsten Angestellten mich wie ein wahres Wunder liebten, und irre wohl nicht, wenn hierzu die Teilnahme und das gerührte Mitgefühl für einen jungen Mann, von dessen ungemeinen Lebensnöten wohl alle eine Vorstellung haben mochten und der nun aus völliger Unbekanntheit plötzlich in Glanz heraustrat, viel beitrug. Als in der Erholungspause der Generalprobe die Mitglieder sich nach verschiedenen Seiten zerstreuten, um durch ein Frühstück die ermüdeten Nerven zu erfrischen, blieb ich still auf einem Brettergerüst der Bühne sitzen, um niemand die Verlegenheit merken zu lassen, in welcher ich mich befand, gleich ihnen mich bedienen zu lassen. Ein invalider italienischer Sänger, welcher eine kleine Rolle im »Rienzi« sang, schien dies zu bemerken und brachte mir gutmütig ein Glas Wein und ein Stück Brot herbei. Es tat mir leid, im Verlauf der Jahre ihm diese kleine Rolle wieder abnehmen zu müssen, was ihm die üble Behandlung seiner Frau in dem Grade zuzog, daß er von da ab, ehelich gezwungenerweise, sich zu meinen Feinden zählen mußte. Als ich nach meiner Flucht von Dresden im Jahre 1849 erfuhr, daß ich von demselben Sänger wegen vermeintlicher Teilnahme am Dresdener Aufstand polizeilich denunziert worden war, fiel mir das Frühstück in der Generalprobe des »Rienzi« ein, und ich glaubte eine Strafe für meinen Undank hiergegen erkennen zu müssen, da ich mich schuldig fühlte, ihn später in eheliche Not gebracht zu haben.[242]

Die Stimmung, in welcher ich so der ersten Aufführung meines Werkes entgegensah, kann ich mit nichts vergleichen, was je vorher und nachher von mir in dieser Weise erfahren worden ist. Sie wurde von meiner guten Schwester Klara geteilt, welche um diese Zeit aus Chemnitz, wo sie ein kümmerliches bürgerliches Leben führte, zu uns nach Dresden kam, um an meinem Schicksal teilzunehmen. Die Arme, deren unleugbar große künstlerische Anlagen so früh verkümmert waren und die dagegen nun in trivialen bürgerlichen Verhältnissen mühsam als Gattin und Mutter sich dahinschleppte, atmete unter dem Einflusse meines wachsenden Erfolges mit inniger Rührung auf. Mit ihr und dem trefflichen Chordirektor Fischer brachten wir unsre Abende in der Heineschen Familie, immer bei Kartoffeln und Hering, in oft wunderbar schöner Stimmung zu. Am Abende vor der ersten Aufführung half denn endlich selbst noch ein Punsch, unser Glück vollständig zu machen. Unter Weinen und Lachen taumelten wir wie glückliche Kinder auseinander, um dem Tage entgegenzuschlafen, der eine sicher vorausgesehene große Entscheidung bringen sollte. – Am Morgen des 20. Oktober 1842, an welchem ich mir vorgenommen hatte, keinen meiner Sänger mehr durch einen Besuch zu stören, begegnete ich dennoch dem etwas langweiligen aber ehrenwerten Sänger einer der kleineren Baßpartien meiner Oper, dem steifen und philisterhaften Herrn Risse. Es war ein etwas kühler, wunderheller Sonnentag, welcher nach vorausgegangener trüber Witterung auf uns herabblickte, als der sonderbare Mensch wie festgebannt zur Begrüßung vor mir stehenblieb, kein Wort hervorbrachte und mir nur staunend und verklärt in das Gesicht sah, um, wie er mir endlich in sonderbarer Ergriffenheit hervorbrachte, sich zu vergewissern, wie ein Mensch aussähe, der eben mit diesem Tage einem so ungewöhnlichen Schicksale entgegenginge. Ich lächelte und dachte, nun müsse es doch wohl seine Bewandtnis mit mir haben, und versprach Risse, nächster Tage in der »Stadt Hamburg« mit ihm ein Glas von dem vorzüglichen Wein zu trinken, den er mir stammelnd angepriesen hatte.

Mit ähnlichen Empfindungen, als ich der ersten Aufführung des »Rienzi« an diesem Tag beiwohnte, habe ich seitdem nie auch nur vergleichsweise wieder ein ähnliches Ereignis erleben dürfen. Die nur zu begründende Sorge für das Gelingen hat bei allen späteren ersten Aufführungen meiner Arbeiten von mir mich stets so vorherrschend erfüllt, daß ich zu irgendeinem Genuß oder auch nur zu einer eigentlichen Beachtung der Aufnahme von seiten des Publikums nie wieder gelangen konnte. Was ich in späteren Jahren bei der Generalprobe von »Tristan und Isolde« unter außerordentlichen Umständen empfand, stand dagegen von dem Eindrucke der ersten Rienzi-Aufführung auf mich so grundverschieden ab, daß es, in einem andren Sinne, durchaus außer allem Vergleich damit steht. – Im Begriff ihres ersten Erfolges stand fest, daß dieser im voraus unzweifelhaft gesichert war. Daß sich das Publikum mit so großer Bestimmtheit, wie es der Fall war, für mich[243] erklärte, war insofern außerordentlich, als sich das Publikum ähnlicher Städte wie Dresden nie in der Lage befindet, über ein Werk von irgendwelcher Bedeutung nach seiner ersten Aufführung gültig zu entscheiden, und daher auch gegen die Arbeiten unbekannter Autoren sich in einer erkältenden Befangenheit befindet. In diesem Falle war es nun aber zu einer Ausnahme gedrängt worden, da sich durch das zahlreiche Theater- und Musikerpersonal lange vorher so überaus günstige Berichte über meine Oper in der Stadt verbreitet hatten, daß die ganze Bevölkerung mit fieberhafter Spannung dem verkündeten Wunder entgegensah. Ich befand mich mit Minna, meiner Schwester Klara und der Familie Heine in einer Parterreloge, und wenn ich mir meinen Zustand während dieses Abends zurückrufen will, kann ich mir ihn nicht anders als mit allen Eigenschaften eines Traumes behaftet vergegenwärtigen. Eigentliche Freude oder Ergriffenheit empfand ich gar nicht; meinem Werke fühlte ich mich ganz fremd gegenüber; wogegen die dichtgefüllten Zuschauerräume mich wahrhaft ängstigten, so daß ich nicht einen Blick auf die Masse des Publikums zu werfen vermochte und die Nähe desselben nur wie ein elementarisches Ereignis – ungefähr wie einen anhaltenden Gewitterregen – empfand, gegen welches ich mich im verborgensten Winkel meiner Loge wie unter einem Wetterdach schützte. Den Applaus bemerkte ich nie; und als nach den Aktschlüssen auch ich stürmisch hervorgerufen wurde, mußte ich jedesmal von Freund Heine erst gewaltsam darauf aufmerksam gemacht und auf die Bühne gedrängt werden. Dagegen beschäftigte mich eine Hauptsorge mit wachsender Angst: ich bemerkte nämlich, daß bereits nach dem zweiten Akte es so spät geworden war, wie wenn z.B. der ganze »Freischütz« aufgeführt wird; da nun der dritte Akt wegen der vorkommenden kriegerischen Tumulte sich besonders betäubend anließ und am Schlusse dieses Aktes es unleugbar 10 Uhr geworden war, somit die Aufführung bereits vier volle Stunden gedauert hatte, verfiel ich nun in eine vollständige Verzweiflung; daß ich auch nach diesem Akte nochmals lebhaft hervorgerufen worden war, hielt ich für eine letzte Artigkeit des Publikums, welches hiermit ganz sicher für diesen Abend genug zu haben erklären und nun massenweise das Theater verlassen würde. Da wir nun noch zwei Akte vor uns hatten, nahm ich für bestimmt an, wir würden nicht zu Ende spielen können, und erklärte meine Zerknirschung darüber, im Betreff gewünschter Kürzungen zur rechten Zeit nicht mehr Einsicht gezeigt zu haben, wofür ich mich nun dem unerhörten Fall ausgesetzt sähe, eine Oper, die an und für sich außerordentlich gefalle, nicht zu Ende bringen zu können, bloß aus dem Grund, weil sie von lächerlicher Länge wäre. Daß die Sänger guten Mutes blieben und namentlich Tichatschek, je länger es dauerte, desto rüstiger und wohlgemuter sich fühlte, erklärte ich für gutmütiges Gaukelspiel, mit welchem man mich über den unabwendbaren Skandal täuschen wollte. Mein Staunen, selbst im letzten Akte – gegen Mitternacht – immer noch das Publikum vollzählig anzutreffen,[244] führte zu meiner vollständigen Perplexität; ich glaubte meinen Ohren und Augen nicht mehr und hielt den ganzen Vorgang dieses Abends für einen Spuk. Mitternacht war vorüber, als ich endlich zum letzten Male dem donnernden Rufe des Publikums an der Seite meiner getreuen Sänger zu folgen hatte.

Was meine verzweiflungsvolle Stimmung im Betreff der Wirkung der unerhörten Länge meiner Oper bestärkte, war die Stimmung meiner eigenen Verwandten, mit denen ich noch für kurze Zeit nach der Vorstellung zusammentraf. Die Familie des Friedrich Brockhaus war mit einigen Bekannten von Leipzig herübergekommen und hatte uns zu sich in den Gasthof eingeladen, in der Meinung, einen angenehmen Erfolg beim gemütlichen Nachtmahle feiern und etwa auf mein Wohl anstoßen zu können. Dort trafen wir aber bereits Küche und Keller geschlossen, und alles befand sich so in höchstem Grade abgespannt, daß ich nur Ausrufe über das Unerhörte des Erlebnisses einer Opernvorstellung, welche von 6 Uhr bis nach Mitternacht dauerte, vernahm. Etwas andres äußerte sich nicht, und in völliger Betäubung schlichen wir auseinander. – Früh um acht Uhr des andren Tages fand ich mich bereits auf der Notisten-Expedition ein, um, falls es noch zu einer zweiten Aufführung kommen sollte, die nun mir nötig dünkenden Kürzungen in den Stimmen anzuordnen. Hatte ich im Sommer zuvor dem treuen Chordirektor Fischer jeden Takt bestritten und seine Unerläßlichkeit zu beweisen gewußt, so verzehrte mich nun eine blinde Streichwut. Nichts schien mir in meiner Partitur mehr nötig zu sein; was das Publikum am vorangehenden Abend zu verschlingen gehabt hatte, erschien mir nur als ein Wust von lauter Unmöglichkeiten, von denen alles und jedes ausgelassen werden konnte, ohne im mindesten etwas zu stören oder etwas unverständlich zu machen, da es mir auf nichts mehr anzukommen deuchte, als mein Konvolut von Monstruositäten eben nur in irgendeinem anständigen Rahmen unterzubringen. Durch die größte Rücksichtslosigkeit in den von mir den Kopisten aufgegebenen Kürzungen hoffte ich zugleich auch einer Katastrophe entgegenzutreten, da ich nicht anders vermutete, als daß der Generaldirektor, in Übereinkunft mit Stadt und Theater, mich noch an diesem Tage bedeuten würde, daß man so etwas wie die Aufführung meines »letzten Tribunen« der Sonderbarkeit wegen wohl einmal, aber nicht mehrere Male geschehen lassen könnte. Ich wich deshalb auch den Tag über sorgfältig jeder Berührung mit dem Theater aus, um erst der wohltätigen Wirkung meiner heroischen Kürzungen, davon die Nachrichten während dem sich verbreiten sollten, Zeit zu lassen. Nur sah ich am Nachmittag bei den Kopisten wieder nach, um mich zu überzeugen, ob alles gehörig nach meinen Anordnungen ausgeführt würde; hier erfuhr ich denn, daß Tichatschek ebenfalls dagewesen sei, die von mir angeordneten Kürzungen sich habe zeigen lassen und dagegen verboten habe, sie auszuführen. Auch Chordirektor Fischer wollte mich wegen der Kürzungen sprechen; die Arbeiten waren[245] suspendiert: mir schien eine große Konfusion im Anzuge; ich begriff nicht, was das alles zu sagen haben sollte, und befürchtete Unheil, wenn die mühsamen Arbeiten verzögert würden. Endlich suchte ich am Abend Tichatschek im Theater auf: ich ließ ihn nicht zu Worte kommen, sondern befrug ihn nur ärgerlich, warum er die Arbeiten der Kopisten unterbrochen habe. Mit halb erstickter Stimme entgegnete er kurz und trotzig: »Ich lasse mir nichts streichen – es ist zu himmlisch!« Nun starrte ich ihn an und befand mich plötzlich wie verzaubert: ein so unerhörtes Zeugnis für meinen Erfolg mußte mich aus meiner sonderbaren Besorgnis reißen. Andere kamen hinzu; Fischer strahlte vor Freude und lachte mich aus; alles sprach mir nur von der enthusiastischen Bewegung, in welcher sich die ganze Stadt befinde; vom Intendanten kam mir ein Brief des Dankes für mein schönes Werk zu. Mir blieb nichts übrig, als Tichatschek und Fischer zu umarmen und meiner Wege zu gehen, um Minna und Klara zu berichten, wie es stünde.

Nach einigen Ruhetagen für die Sänger fand am 26. Oktober die zweite Aufführung mit verschiedenen Kürzungen, die ich mit Mühe bei Tichatschek durchgesetzt, statt. Ich hörte keine besonderen Klagen über die immer noch sehr bedeutende Länge und endlich ward ich der Ansicht Tichatscheks, daß, wenn er es aushalte, das Publikum es wohl auch aushalten könne. Somit ließ ich nun für sechs Vorstellungen, welche sich stets auf der vollsten Höhe des Beifalls erhielten, der Sache ihren Lauf. – Meine Oper hatte aber auch die Teilnahme der älteren Prinzessinnen des königlichen Hofes erhalten, welche sich über die angreifende Länge des Werkes, von dem sie auf der andren Seite doch auch nichts verlieren wollten, nicht so leicht hinwegsetzen konnten. Herr von Lüttichau sah sich daher bestimmt, mir den Vorschlag zu machen, die Oper ganz vollständig, aber in zwei Hälften an zwei Abenden zu geben. Mir war dies recht, und nach einer mehrwöchigen Pause kündigten wir für den ersten Aufführungstag »Rienzis Größe«, für den zweiten »Rienzis Fall« an. Der erste Abend gab die zwei ersten, der zweite die drei letzten Akte, zu welchen ich ein besonders einleitendes Vorspiel komponiert hatte. Dies entsprach nun vollkommen den Wünschen der Allerhöchsten Herrschaften und namentlich der zwei ältesten Damen der königlichen Familie, den Prinzessinnen Amalie und Augusta. Das Publikum rechnete aber einfach heraus, daß es für dieselbe Oper, um sie ganz zu hören, jetzt zweimal Entree zahlen sollte, und erklärte die neue Einrichtung ganz bestimmt für eine Prellerei; der Mißmut hierüber drohte wirklich dem Besuch des »Rienzi« verderblich zu werden, und nach drei Aufführungen des geteilten Werkes fand sich die Direktion veranlaßt, wieder zur früheren Einheit zurückzukehren, was ich durch die Wiederaufnahme der Kürzungen willig ermöglichte.

Von nun an füllte »Rienzi«, sooft man ihn nur geben konnte, zum Erdrücken das Haus, und die Nachhaltigkeit seines Erfolges wurde mir bald vollständig einleuchtend, als ich bereits den Neid gewahren mußte, den er[246] mir von mancher Seite herzuzog. – Eine erste recht peinliche Erfahrung in diesem Betreff hatte ich schon am Tage nach der ersten Aufführung an dem Dichter Julius Mosen gemacht. Ich hatte diesen bereits nach meiner ersten Ankunft in Dresden im Sommer aufgesucht; da ich sein Talent wirklich hochschätzte, gelangte ich bald mit ihm zu einem näheren Umgang, welcher manches Angenehme und Belehrende für mich hatte. Er teilte mir einen Band seiner Dramen mit, welche mich durchgängig außerordentlich ansprachen; unter ihnen befand sich auch eine Tragödie »Cola Rienzi«, welche den Stoff in teils mir neuer und, wie es mich dünkte, ergreifender Weise behandelte. Diesem Gedichte gegenüber bat ich ihn, von meinem Opernbuch gar keine Notiz zu nehmen, da es als Dichtung ganz außer aller Möglichkeit eines Vergleiches mit der seinigen stehe; es kostete ihm wenige Überwindung, diese Bitte mir zu gewähren. Nun ließ er aber kurz vor meinem »Rienzi« eines seiner unglücklichsten Stücke, »Bernhard von Weimar«, in Dresden aufführen und erlebte an dem Erfolge wenig Freude, da die dramatisch leblose, nur auf politische Harangue gerichtete Tendenz desselben das notwendige Schicksal solcher Verirrungen teilte. Mit einiger Verdrießlichkeit sah er nun der Aufführung meines »Rienzi« entgegen und bekannte mir das bittre Gefühl, sein Trauerspiel gleichen Namens in Dresden nicht zur Annahme habe bringen zu können – vermutlich um der etwas starken politischen Tendenz wegen, welche allerdings bei gleichem Stoffe im rezitierten Schauspiel bemerklicher würde als in der Oper, wo man eben von vornherein nichts auf die Worte gäbe. Ich hatte ihn gutmütig in dieser Geringschätzung des Operngenres bestärkt; desto befremdlicher betraf es mich nun, als ich ihn am Tage nach der ersten Aufführung meines Werkes bei meiner Schwester Luise antraf und von ihm geradesweges mit einem Ausbruch von Ärger und höhnischer Verachtung meines Erfolges überschüttet wurde. Er traf jedoch dabei in mir auf ein seltsames Gefühl von der wirklichen Nichtigkeit des von mir im »Rienzi« im übrigen mit so gutem Erfolge vertretenen Operngenres, so daß ich seinen unverhohlenen giftigen Auslassungen mit geheimer Beschämung nichts Ernstliches entgegenstellte. Das, was ich ihm ungefähr zu meinen Gunsten hätte erwidern können, war in mir noch nicht zu so klarer Fassung gelangt, stützte sich auch noch nicht auf ein so deutlich nachweisbares Produkt meiner besonderen Richtung, daß ich es auszusprechen vermocht hätte, und ich empfand zunächst hierbei eigentlich nur ein Bedauern mit dem unglücklichen Dichter, welches zu bezeigen ich mich um so eher gedrängt fühlte, als gerade sein Wutausbruch mir die innere Genugtuung gewährte, von ihm mir einen großen Erfolg, über welchen ich selbst noch nicht genau aufgeklärt war, zuerkannt zu wissen.

Des weiteren legte ich auch bereits beim Anlaß der ersten Aufführung des »Rienzi« den Grund zu einem später immer sich erweiternden Zerwürfnisse mit den Zeitungsrezensenten. Herr Carl Bank, seither angesessener Hauptrezensent für Musik in Dresden, war mir bereits von Magdeburg[247] her bekannt, wo er mich einmal besucht und größere Stücke aus meinem »Liebesverbot« zu seinem wirklichen Gefallen von mir sich hatte vorspielen lassen. Dieser Mann konnte mir, da wir in Dresden wieder zusammengetroffen waren, nicht vergeben, daß es mir unmöglich gewesen war, ihm Eintrittskarten zur ersten Aufführung des »Rienzi« zu besorgen. Ähnlich erging es mir mit einem Herrn Julius Schladebach, welcher sich um jene Zeit ebenfalls in Dresden als Rezensent niederließ. So zuvorkommend ich gern mich gegen jedermann benahm, empfand ich doch zu jeder Zeit eine unüberwindliche Abneigung dagegen, irgendeinem Menschen aus dem Grunde besondere Rücksicht schenken zu sollen, weil er Rezensent sei, und ich ging hierin mit der Zeit bis zur fast grundsätzlich sich gestaltenden Schroffheit, welche mir mein ganzes Leben über die unerhörtesten Verfolgungen der Journalistik zum großen Teil mit zuzog. Noch trat diese Widerwärtigkeit für jetzt jedoch nicht besonders stark hervor, da sich in Dresden damals die Journalistik durchaus noch nicht breitmachte und von Dresden aus in fremde Blätter so wenig geschrieben wurde, daß andrerseits die dortigen Kunstvorgänge überhaupt nur sehr wenig Beachtung fanden, was allerdings wiederum nicht ohne Nachteil für mich blieb. Somit berührten mich die unangenehmen Seiten meines Erfolges für jetzt so viel wie gar nicht, und eine kurze Zeitlang fühlte ich mich, zum ersten und einzigsten Male in meinem Leben, vom allgemeinen Wohlwollen so angenehm getragen, daß ich alle ausgestandenen Lebensnöte mir reichlich vergolten wähnte.

Denn auch die weiteren und bisher gänzlich unberechneten Ergebnisse meines Erfolges stellten sich nun überraschend schnell heraus; allerdings weniger im Betreff des materiellen Gewinnes, denn dieser führte sich für diesmal auf dreihundert Taler zurück, welche mir die Generaldirektion statt der sonst nur üblichen zwanzig Louisdor ausnahmsweise als Honorar zahlte. Auch meine Oper an einen Verleger gut verkaufen zu können, durfte ich, ehe sie nicht noch an einigen andren bedeutenden Orten gegeben war, nicht verhoffen. Doch fügte es das Schicksal, daß durch den gänzlich unerwarteten Tod des Königlichen Musikdirektors Rastrelli, kurz nach den ersten Aufführungen des »Rienzi«, plötzlich eine Anstellung erledigt wurde, für welche sich sogleich aller Augen auf mich richteten.

Während die Unterhandlungen hierüber sich einige Zeit hinzogen, gab die Generaldirektion andrerseits mir Zeugnis von einer fast leidenschaftlichen Teilnahme für mein Talent. Die erste Aufführung des »Fliegenden Holländers« sollte durchaus dem Berliner Theater nicht gegönnt werden, sondern diese Ehre Dresden zugesichert sein. Da ich von seiten der Berliner Intendanz keineswegs hierin gehindert wurde, übergab ich sehr gern meine letzte Arbeit ebenfalls dem Dresdener Theater, und hatte ich, da sich keine sogenannte Heldentenorpartie darin befand, auch auf Tichatscheks Mithilfe dabei zu verzichten, so konnte ich doch um so mehr auf die fördernde Mitwirkung der Schröder-Devrient rechnen, weil dieser mit der weiblichen[248] Hauptrolle eine entsprechendere Aufgabe als mit ihrer Rolle im »Rienzi« zugewiesen war. Es war mir lieb, hierbei mich so ganz nur auf sie, welche in der Tat wegen des ihr ungenügenden Anteils am Erfolg des »Rienzi« in eine eigentümliche Verstimmung gegen mich geraten war, verlassen zu können, und wie sehr ich dies tat, bewies ich ihr mit einer meinem Werk andrerseits sehr nachteiligen Übertreibung, indem ich die männliche Hauptrolle dem ehemals tüchtigen, nun aber bereits etwas invaliden und für meine Aufgabe in jeder Hinsicht ungeeigneten Baritonisten Wächter, gegen seine eignen aufrichtigen Bedenken dagegen, geradeswegs aufzwang. In der Tat sprach die von mir so hoch verehrte Künstlerin zu meiner großen Befriedigung schon die Dichtung, als ich sie ihr mitteilte, ganz besonders an; und die Zeit des Studiums der Rolle der »Senta«, für welches ich nun sehr häufig mit ihr verkehrte, wurde durch die ernstliche persönliche Teilnahme, in welche ich für den Charakter und das Schicksal dieser ungewöhnlichen Frau unter ganz besondren Umständen geriet, zu einer der aufregendsten und, in wichtiger Beziehung, belehrendsten meines Lebens.

Trotzdem die große Künstlerin, namentlich durch ihre damals zum Besuch bei ihr weilende berühmte Mutter Sophie Schröder darin bestärkt und aufgeregt, sich mir völlig ungehalten zeigte, daß ich für Dresden ein so glänzendes Werk wie den »Rienzi« geschrieben hätte, ohne gerade darin die eigentliche Hauptrolle für sie zu bestimmen, so siegte doch ihre großherzige Natur über diese partikularistische Tendenz; sie er kannte mich laut als »Genie« an und erwies mir das besondre Vertrauen, welches, wie sie meinte, nur einem Genie zu schenken sei. Sollte dies Vertrauen gar bald seine bedenklichen Seiten für mich äußern, da sie mich zum Mitwisser und Berater bei wirklich fatalen Vorgängen in ihrem Herzen machte, so fanden sich doch zunächst auch die Gelegenheiten, bei welchen sie sich offen vor aller Welt mit schmeichelhaftester Auszeichnung als meine Freundin zu erkennen gab.

Zunächst hatte ich sie auf einem Ausflug nach Leipzig zu begleiten, wo sie für ihre Mutter ein großes Konzert gab, welches sie auch dadurch besonders anziehend zu machen glaubte, daß sie zwei Stücke aus dem »Rienzi«, die Arie des »Adriano« und das Gebet des »Rienzi« (letzteres von Tichatschek vorgetragen), unter meiner persönlichen Leitung ausgeführt, dem Programm einreihte. Auch Mendelssohn, der ihr sehr befreundet war, war von ihr zu diesem Konzert herbeigezogen worden; er führte seine damals neue Ouvertüre zu »Ruy-Blas« darin auf. Mit diesem kam ich während der zwei anregungsvollen Tage, welche ich bei diesem Anlaß in Leipzig verbrachte, zum ersten Male in nähere Berührung, da zuvor mein Verkehr mit ihm sich nur auf einige seltene und gänzlich unergiebige Besuche beschränkt hatte. Im Hause meines Schwagers Fritz Brockhaus wurde von Mendelssohn und der Schröder-Devrient, welcher dieser eine reiche Auswahl Schubertscher Lieder akkompagnierte, lebhaft musiziert. Ich beobachtete hierbei eine eigentümliche[249] Unruhe und Aufgeregtheit, mit welcher dieser, damals auf der Sonnenhöhe seines Ruhmes und Wirkens stehende, noch immer junge Meister mich betrachtete oder vielmehr ausspähte. Mir war ersichtlich, daß er auf einen Opernerfolg überhaupt, und somit gewiß auch in Dresden nicht sonderlich viel gab, und zweifellos zählte ich bei ihm hierdurch unter eine Gattung von Musikern, von denen er nichts hielt und mit denen er nichts zu tun zu haben glaubte. Dennoch hatte gerade dieser Erfolg charakteristische Merkmale, welche ihm etwas Erschreckendes gaben. Mendelssohn selbst verlangte seit lange nach nichts sehnlicher als nach einer glücklichen Oper; es konnte ihn vielleicht verdrießen, daß, ehe er so weit kam, in plumper Weise durch eine Art von Musik, welche nicht gut zu finden er sich vollkommen berechtigt halten durfte, gerade ein solcher Erfolg ganz unerwartet ihm in den Weg kam. Nicht minder mochte es ihn verstimmen, daß die von ihm für genial erkannte und so lebhaft ihm zugetane Schröder-Devrient so offen und laut nun auch für mich eintrat. Alles dieses dämmerte in meinem Bewußtsein auf, als Mendelssohn durch eine sehr merkwürdige Äußerung mich geradeswegs gewaltsam auf eine solche Deutung hinwies. Als ich ihn nämlich nach der gemeinschaftlichen Konzertprobe nach Hause begleitete und mit großer Wärme soeben über Musik gesprochen hatte, unterbrach der durchaus nicht Redselige in eigentümlich erregter Hast mich mit der Äußerung, die Musik habe nur das Schlimme, daß sie nicht nur die guten, sondern auch die üblen Eigenschaften, wie gerade auch die Eifersucht, stärker als alle andren Künste anrege. Mich überflog es nur mit Schamröte, diese Äußerung auf seine Empfindung gegen mich beziehen zu sollen, da ich mir in tiefster Unschuld bewußt war, daß ich nie auch nur im entferntesten an einen Vergleich meiner Fähigkeiten und Leistungen als Musiker mit denen Mendelssohns zu denken mir beikommen lassen könnte. Seltsamerweise produzierte er sich aber gerade bei diesem Konzerte nicht in dem Lichte, in welchem er sich außer allem nur denklichen Vergleich mit mir gezeigt haben würde; eine Aufführung seiner »Hebriden-Ouvertüre« würde ihn zu meinen beiden Opern-Arien so gestellt haben, daß jede Beschämung, an seiner Seite zu stehen, mir erspart gewesen wäre, da der Abstand unsrer Leistungen zu unvergleichlich fern war; es schien aber, daß ihn zur Wahl der »Ruy-Blas«-Ouvertüre die Absicht bestimmt hatte, dem Genre der Opernmusik bei dieser Gelegenheit sich so nahe zu stellen, daß er das Effektvolle desselben auch auf sein Werk mit hinüberspielen ließe. Die Ouvertüre schien offenbar für das Pariser Publikum berechnet zu sein; und wie überraschend darin Mendelssohn erschien, bezeugte mit naiver Unbeholfenheit Robert Schumann, welcher nach dem Stück auf das Orchester zu Mendelssohn kam und ihm gutmütig lächelnd seine Verwunderung über das »flotte Orchesterstück« ausdrückte. Zur Ehre der Wahrheit sei aber hiermit erwähnt, daß weder er noch ich an diesem Abend den eigentlichen Erfolg erstritten; wir verschwanden gänzlich vor dem ungeheuren Eindruck, welchen die greise Sophie[250] Schröder mit der Rezitation der Bürgerschen »Lenore« hervorbrachte. Hatte man zuvor in den Journalen ihrer Tochter vorgeworfen, daß sie durch allerhand Musik-Ausstellungen ihrer Mutter, welche nie etwas mit Musik zu tun gehabt habe, auf ungeeignete Weise dem musikalischen Publikum Leipzigs ein Benefiz habe entlocken wollen, so standen wir musikalische Helfershelfer um dieses von der fast zahnlosen hochbetagten Frau mit wahrhaft erschreckender Schönheit und Erhabenheit gesprochene Bürgersche Gedicht wie wahre müßige Gaukler da. Und mir gab dies wie so manches, was ich in diesen wenigen Tagen erlebt, viel zu denken und zu sinnen. –

Ein zweiter mit der Schröder-Devrient gemeinschaftlich unternommener Ausflug führte mich noch im Dezember desselben Jahres nach Berlin, wohin die Künstlerin zur Mitwirkung bei einem großen Hofkonzert eingeladen war und wo ich für mein Teil mit dem Intendanten Küstner wegen des »Fliegenden Holländers« Rücksprache halten wollte. Während ich für meine persönliche Angelegenheit zu keinem bestimmten Ergebnis gelangte, erhielt der diesmalige kurze Besuch in Berlin für mich ein besondres Interesse durch mein für die Folge so unvergleichlich bedeutungsvolles Zusammentreffen mit Franz Liszt. Es geschah dies unter besondren Umständen, welche ihn wie mich in eine eigentümliche Verlegenheit setzten und welche in übermütigster Weise durch die herausfordernde Laune der Schröder-Devrient in das Spiel gebracht wurden.

Ich hatte meiner Gönnerin bereits vorher gelegentlich von einem früheren Zusammentreffen von mir mit Liszt erzählt. In jenem verhängnisvollen zweiten Winter meines Pariser Aufenthaltes, in welchem ich schließlich durch die Schlesingersche Lohnarbeit mein Leben fristen zu können mich glücklich zu schätzen hatte, wurde ich eines Tages durch eine Mitteilung des stets für mich besorgten Laube davon benachrichtigt, daß F. Liszt, welchem er in Deutschland von mir gesprochen und mich empfohlen habe, nach Paris kommen werde; ich möge daher nicht versäumen, ihn aufzusuchen, denn Liszt sei »generös« und würde mir gewiß zu helfen wissen. Da ich nun von dessen Ankunft wirklich erfuhr, meldete ich mich bei ihm in seinem Hotel zum Empfang. Es war am frühen Vormittag; ich wurde angenommen und traf zunächst einige fremde Herren im Salon, zu welchen nach einiger Zeit auch Liszt, freundlich und gesprächig, im Hauskleid herzutrat. Unfähig, an der französischen Konversation, welche sich um die Erlebnisse Liszts während seiner letzten Kunstreise in Ungarn bewegte, teilzunehmen, hörte ich eine Zeitlang aufrichtig gelangweilt zu, bis ich endlich von Liszt freundlich gefragt wurde, womit er mir dienen könne. Auf die Empfehlung Laubes schien er sich nicht besinnen zu können; alles, was ich auf seine Frage ihm antworten konnte, war, daß ich den Wunsch hege, seine Bekanntschaft zu machen, wogegen er nichts zu haben schien und mir anzeigte, daß er nicht vergessen werde, zunächst mir ein Billett für seine bevorstehende große Matinee zustellen zu lassen. Mein ganzer Versuch, ein künstlerisches Gespräch[251] einzuleiten, bestand in der Frage, ob Liszt neben dem Schubertschen Erlkönig nicht auch den von Löwe kenne; mit der Verneinung dieser Frage war dieser ziemlich befangene Versuch beseitigt, und mein Besuch endigte mit der Abgabe meiner Adresse, an welche alsbald auch von seinem Sekretär Belloni, von artigen Zeilen begleitet, eine Eintrittskarte zu einem in der Salle Erard vom Meister persönlich allein gegebenen Konzert gelangte. Ich fand mich in dem überfüllten Salon ein, sah die Tribüne, auf welcher der Flügel stand, von der Crême der Pariser Damenwelt im engsten Zirkel belagert, wohnte den enthusiastischen Ovationen bei, welche dem von aller Welt angestaunten Virtuosen gespendet wurden, hörte mehrere seiner glänzendsten Stücke, wie die »Fantaisie sur Robert le Diable« an und trug eigentlich keinen andren Eindruck als den der Betäubung davon. Es war die Zeit meiner völligen Umkehr von einem Wege, der mich gegen meine innere Natur irregeleitet hatte und von welchem ich mich nun in schweigsamer Bitterkeit still emphatisch abwandte. Zu nichts war ich somit weniger aufgelegt als zu einer gerechten Würdigung derjenigen Erscheinung, welche gerade in dieser Zeit im vollsten Sonnenschein des Tages glänzte, von dem ab ich mich der Nacht zugekehrt hatte. Ich suchte Liszt nicht wieder auf. –

Wie gesagt, hatte ich gelegentlich der Schröder-Devrient hiervon einfach erzählt; diese hatte aber mit besondrer Lebhaftigkeit Kenntnis davon genommen, denn ich traf bei ihr auf den schwachen Punkt der Künstler-Eifersucht. Da nun Liszt gleichfalls vom König von Preußen zu dem großen Hofkonzert nach Berlin geladen war, hatte es sich ereignet, daß bei einem ersten Zusammentreffen mit ihm sie von Liszt mit großer Teilnahme nach dem Erfolg des »Rienzi« befragt worden war. Da sie hierbei bemerkt hatte, daß der Komponist dieses »Rienzi« Liszt eine gänzlich unbekannte Person sei, hatte sie ihm sogleich mit sonderbarer Schadenfreude seinen vermeintlichen Mangel an Scharfblick vorgeworfen, da dieser Komponist, welchem er jetzt mit so lebhaftem Interesse nachfrage, derselbe arme Musiker sei, welchen er kürzlich in Paris so »hochmütig abgewiesen habe«. Sie erzählte mir dies jubelnd, zu meiner größten Beklemmung, da ich sofort ihren von meiner früheren Erzählung gewonnenen Eindruck gebührend berichtigen mußte. Als wir in ihrem Zimmer eben diesen Punkt verhandelten, wurden wir plötzlich im Nebengemach durch die berühmte Passage des Basses in der Rache-Arie der »Donna-Anna«, in Oktaven rapid auf dem Klavier ausgeführt, unterbrochen. – »Da ist er ja selbst«, rief sie. Liszt trat herein, um die Sängerin zur Konzertprobe abzuholen. Zu meiner großen Pein stellte sie mich ihm mit boshafter Freude als den Komponisten des »Rienzi« vor, den er ja nun kennenzulernen wünsche, nachdem er ihm zuvor in seinem herrlichen Paris die Tür gewiesen habe. Meine ernstlichsten Beteuerungen, daß meine Gönnerin – jedenfalls nur zum Scherz – eine ihr von mir gemachte Mitteilung über meinen früheren Besuch bei Liszt absichtlich entstelle,[252] beruhigten Liszt augenscheinlich über mich, da er andrerseits über die leidenschaftliche Künstlerin wohl bereits mit sich im reinen war. Er bekannte allerdings, daß er sich meines Besuches in Paris nicht erinnere, daß es ihn demungeachtet schmerzlich berührt und erschreckt habe zu erfahren, daß irgend jemand über eine so üble Behandlung seinerseits in Wahrheit sich zu beklagen haben sollte. Der überaus herzliche Ton der einfachen Sprache, in welcher Liszt über dieses Mißverständnis sich gegen mich äußerte, machten den sonderbar aufgeregten Neckereien der ausgelassenen Frau gegenüber einen ungemein wohltuenden und gewinnenden Eindruck auf mich. Seine ganze Haltung, durch welche er ihre schonungslosesten spöttischen Angriffe zu entwaffnen suchte, war mir neu und gab mir einen innigen Begriff von der Eigentümlichkeit des seiner Liebenswürdigkeit und unvergleichlichen Humanität sicheren Menschen. Sie zog ihn endlich mit seinem kürzlich von der Königsberger Universität erhaltenen Doktortitel auf, indem sie ihn mit einem »Apotheker« zu verwechseln vorgab; Liszt streckte sich endlich platt auf dem Boden aus, gleichsam um, vollständig hilflos gegen das Unwetter ihrer Spöttereien sich erklärend, um Gnade zu flehen. Nachdem er sich an mich noch mit der herzlichen Versicherung gewandt, daß er es sich angelegen sein lassen werde, den »Rienzi« zu hören und jedenfalls mir eine bessere Meinung über sich zu verschaffen, als sein Unstern bis jetzt ihm es ermöglicht habe, schieden wir für diesmal. – Der Eindruck, namentlich der großen, fast naiven Einfachheit und Schlichtheit jeder Äußerung und jedes Wortes, besonders auch des Ausdruckes, welchen er ihr gab, hinterließen auf mich mit großer Bestimmtheit den Eindruck, welchen gewiß jeder von den hier bezeichneten Eigenschaften Liszts gewonnen und durch welchen ich mir zum ersten Male den Zustand von Bezauberung erklären konnte, in welchen Liszt alle, die ihm nähergekommen, versetzt hatte und über deren Ursachen ich bisher eine falsche Meinung gehegt zu haben mir nun wohl innigst klarwurde. –

Diese beiden Ausflüge nach Leipzig und nach Berlin waren nur kurze Unterbrechungen der Studienzeit, welche wir daheim auf den »Fliegenden Holländer« verwandten. In diesem Betreff lag mir alles daran, die Schröder-Devrient bei warmem Interesse für ihre Aufgabe zu erhalten, da ich wohl fühlte, daß ich bei der Schwäche der übrigen Besetzung der Partien nur von ihrer Seite eine dem Geiste meines Werkes entsprechende Wiedergabe erwarten konnte. – Außerdem daß sie die Rolle der »Senta« wirklich ansprach, wirkten zu derselben Zeit besondre Umstände auf eine ungemeine Erregung der leidenschaftlichen Frau. Sie stand nämlich, wie ich als betroffener Vertrauter erfuhr, im Begriff, ein bis dahin gepflegtes mehrjähriges Liebesverhältnis zu einem ernsten, ihr herzlich geneigten, sehr jugendlichen Manne, dem Sohn des ehemaligen Kultusministers Müller, damals Leutnant in der Königlichen Garde, zu brechen, um dafür ein andres, bei weitem weniger sich empfehlendes, mit leidenschaftlicher Hast anzuknüpfen. Der[253] Neuerwählte war ein, wie es schien, zuletzt in Berlin ihr bekannt gewordener Herr v. Münchhausen, ebenfalls jung, groß und schlank, wie sich dies nach dem im Verlauf mir klarwerdenden Charakter der Neigungen meiner Freundin von selbst verstand. Das leidenschaftliche Vertrauen, welches sie bei dieser Gelegenheit mir schenkte, schien mir aus der Angst ihres sehr gequälten Gewissens herzurühren: sie wußte, daß Müller, der seiner guten Eigenschaften wegen auch mir befreundet worden war, sie mit dem Ernste der ersten Neigung geliebt hatte und daß sie jetzt ihn unter nichtigen Vorwänden auf das treuloseste verriet. Sie schien sich auch auf das bestimmteste sagen zu müssen, daß der Neuerwählte ihrer völlig unwert war und nur durch frivole und eigennützige Absichten sich zu ihr gezogen fühlte. Somit wußte sie auch, daß niemand und namentlich nicht ihre älteren, durch häufige Erfahrung um sie besorgten Freunde ihr Benehmen billigen würden, und erklärte mir nun aufrichtig, daß sie mit ihrem Vertrauen zu mir sich gedränge fühle, weil sie mich für ein Genie halte und ich die Nötigung ihrer Natur begreifen würde. Gewiß war mir hierbei sehr sonderbar zumute. Von ihrer Neigung wie von dem Gegenstande derselben fühlte ich mich heftig abgestoßen, durfte aber doch zu meinem Erstaunen nicht verkennen, daß diese mich höchst anwidernde Leidenschaft die seltsame Frau mit einer solch heftigen Gewalt erfaßte, daß ich ihr ein gewisses Mitleiden und selbst eine ernste Teilnahme nicht versagen konnte. Sie war bleich und verstört, lebte fast ohne jede Nahrung und befand sich in einer so übermäßigen Spannung aller Lebenskräfte, daß ich nicht anders glaubte, als sie einer schweren, ja tödlichen Krankheit entgegengehen zu sehen. Seit lange floh sie jeder Schlaf, und sooft ich mit meinem unglücklichen »Fliegenden Holländer« zu ihr kam, erschrak ich über sie dermaßen, daß ich an alles weniger als an die Vornahme des beabsichtigten Studiums dachte. Gerade aber hielt sie mich da fest, nötigte mich zum Klavier und stürzte sich nun wie zu Tod und Verderben auf ihre Rolle. Da ihr an und für sich die Erlernung der Musik schwerfiel, konnte sie nur durch sehr häufiges und anhaltendes Probieren sich ihre musikalische Aufgabe aneignen. Nun sang sie stundenlang mit solcher Leidenschaftlichkeit, daß ich oft bang aufsprang und sie um Selbstschonung bat; da wies sie denn lächelnd wieder auf ihre Brust und dehnte die Muskeln ihres wohl immer noch schönen Körpers, um mir zu versichern, daß sie nichts umbringen könne. Wirklich erhielt auch ihre Stimme um diese Zeit eine jugendliche Frische und ausdauernde Kraft, die mich oft in Erstaunen setzten, und sonderbarerweise mußte ich mir bekennen, daß diese absurde Leidenschaft zu einem faden, nichtswürdigen Menschen meiner »Senta« merkwürdig zugute kam. Die ausdauernde Kraft der übermäßig angespannten Frau war so groß, daß sie, weil andrerseits die Zeit hierzu drängte und eine mir nachteilige Verzögerung dadurch vermieden wurde, sogar ohne sich zu schaden dareinwilligte, die Generalprobe am gleichen Tage der ersten Aufführung abzuhalten.[254]

Diese Aufführung fand nun am 2. Januar des neuen Jahres (1843) statt. Der Erfolg derselben war für mich äußerst lehrreich und leitete die entscheidende Wendung meiner späteren Schicksale ein. Zunächst hatte ich aus der im ganzen mißglückten Aufführung mir die Lehre zu entnehmen, welcher besonnenen Sorgfalt es bedürfe, um mich des entsprechenden Ausfalles der dramatischen Darstellung meiner neueren Arbeiten zu versichern. Ich erkannte, daß ich mehr oder weniger der Meinung gewesen war, meine Partitur müsse sich ganz von selbst verständlich machen und meine Sänger müßten ganz von selbst dazu kommen, es mir recht zu machen. Mein braver alter Freund Wächter, zur Zeit der ersten Blüte der Henriette Sontatg ein beliebter »Barbier von Sevilla«, war, wie ich bereits erwähnte, allerdings von vornherein bescheidenerweise einer andern Ansicht gewesen. Seine gänzliche Unfähigkeit zu der schwierigen Rolle meines energisch leidenden grauenhaften Seefahrers ging leider selbst der Schröder-Devrient zu spät erst in den Theaterproben auf. Der bedenkliche Embonpoint Wächters, namentlich sein rundes breites Gesicht und die sonderbaren Bewegungen seiner Arme und Beine, welche unter seiner Handhabung nur körperliche Stümpfe zu sein schienen, brachten meine leidenschaftliche »Senta« zur Verzweiflung. In einer Probe brach sie an der Stelle der großen Szene im 2. Akt, wo sie zu dem erhabenen Trost der Heilsverkündigung in der Stellung eines Schutzengels zu ihm trat, plötzlich ab und raunte mir leidenschaftlich in das Ohr: »Wie kann ich's herausbringen, wenn ich in diese kleinen Rosinenaugen blicke? Gott, Wagner, was haben Sie da wieder gemacht?« Ich tröstete sie so gut ich konnte und verließ mich heimlich auf den Herrn von Münchhausen, der mir denn auch wirklich versprach, des Abends sich im Parkett so aufzustellen, daß die Devrient ihn erblicken müsse. Wirklich gelang es auch der durchaus genialen Leistung meiner großen Künstlerin trotz der grauenhaften Öde, in der sie sich auf der Bühne befand, mit dem zweiten Akte alles zu enthusiastischer Wärme hinzureißen. Der erste Akt, welcher dem Publikum nichts als eine langweilige Unterhaltung des Herrn Wächter mit jenem Herrn Risse, der mich am Tage der ersten Aufführung des Rienzi zu einem guten Glas Wein eingeladen hatte, bot, und dann der dritte Akt, in welchem das höchste Toben des Orchesters das Meer nicht aus seinem zahmsten Behagen und das Gespensterschiff nicht aus seiner vorsichtigsten Aufstellung bringen konnte, versetzten das Publikum in Staunen darüber, wie ich nach dem »Rienzi«, wo doch in jedem Akte so sehr viel vorging und Tichatschek in immer neuen Anzügen glänzte, nun dieses so gänzlich schmucklose, dürftige und düstre Werk hätte bieten können.

Da die Schröder-Devrient bald für längere Zeit gänzlich von Dresden fortging, erlebte der »Fliegende Holländer« nur vier Vorstellungen, bei denen der sich vermindernde Andrang des Publikums genügend zu erkennen gab, daß ich es hiermit den Dresdnern nicht recht gemacht hatte. Die Direktion sah sich genötigt, um meinen Glanz aufrechtzuerhalten, alsbald[255] wieder zum »Rienzi« zurückzugreifen; und über den Erfolg dieser Oper wie den Mißerfolg des »Holländers« hatte ich nun nachzudenken. Mit einem seltsamen Grauen mußte ich mir sagen, daß, waren auch die großen Mängel in der Darstellung des »Fliegenden Holländers« mir offenbar geworden, ich den Erfolg des »Rienzi« in Wirklichkeit doch nicht der durchweg richtigen und entsprechenden Darstellung desselben zu verdanken hatte. War Wächter keinesfalls meiner Aufgabe für den »Fliegenden Holländer« nachgekommen, so konnte ich mir doch auch nicht verbergen, daß in fast nicht mindrem Grade Tichatschek hinter der charakteristischen Aufgabe seiner Rolle als »Rienzi« zurückgeblieben war. Die unerhörtesten Fehler und Mängel in der Darstellung dieser Rolle waren mir nie entgangen; von dem finstren, dämonischen Grunde in der Natur des Rienzi, welchen ich an den entscheidenden Punkten des Sujets unverkennbar stark hervorgehoben, hatte sich Tichatschek nicht einen Augenblick für die Behauptung des jubelnd strahlenden Heldentenor-Charakters seiner Leistung irremachen lassen, um desto wehmütiger im vierten Akte nach dem Bannspruch auf die Knie zusammenzuknicken und in lyrischer Bedauernswürdigkeit sein Schicksal über sich ergehen zu lassen; darwider er meiner Vorstellung, daß Rienzi zwar geistig in sich versenkt, aber fest wie eine Statue zu erblicken sein müsse, den großen Erfolg grade dieses Aktschlusses »nach seiner Auffassung« entgegenhielt mit der Ermahnung, doch ja hieran nichts ändern zu wollen. Überlegte ich mir somit, was eigentlich den Erfolg meines »Rienzi« herbeigeführt habe, so beruhte dies einerseits auf dem glänzenden, ungemein erquicklichen Organe des stets freudig aufschmetternden Sängers, in der erfrischenden Wirkung des Chorensembles und der bunten Bewegtheit der szenischen Vorgänge. Einen ganz besondren Fingerzeig erhielt ich aber noch, als wir die Oper in zwei Teilen gaben und der dramatisch wie musikalisch offenbar bedeutendere zweite Teil stets auffallend weniger besucht war als der erste, und zwar aus dem allerseits mir offen bekannten Grunde, weil das Ballett in den ersten Teil falle. Einen noch naiveren Nachweis für das eigentlich hinreißende Moment dieser Oper gewann ich durch meinen guten Bruder Julius, welcher zu einer der Vorstellungen des »Rienzi« aus Leipzig gekommen war. Da ich mit ihm mich in einer offenen Loge dem ganzen Publikum ersichtlich befand, verbat ich mir von ihm jede Beifallsbezeigung, selbst wenn sie auch nur den Sängern gelte; er vermochte sich während des ganzen Abends vom Applaudieren zu enthalten; nur bei einer gewissen Evolution des Balletts übermannte ihn der Enthusiasmus dermaßen, daß er zu dem Jubel des Publikums wütend in die Hände schlug und mir bedeutete, jetzt könne er sich nicht mehr halten. Merkwürdigerweise verdankte später in Berlin mein im übrigen dort gleichgültig aufgenommener »Rienzi« ebenfalls diesem Ballette die anhaltende Vorliebe des jetzigen Königs von Preußen, welcher noch nach langen Jahren die Wiederaufführung dieser Oper wünschte, trotzdem sie in keiner Weise durch ihren[256] dramatischen Gehalt das Publikum zu erwärmen vermocht hatte. Als ich in späterer Zeit in Darmstadt einer Aufführung derselben Oper wieder beiwohnen mußte, fand ich, daß, während die besten Teile derselben auf das unerhörteste zusammengestrichen waren, im Ballett sogar Wiederholungen und Ausdehnungen hatten vorgenommen werden müssen. Nun war aber gerade diese Ballettmusik, welche ich einst in Riga ohne alle Anregung für dergleichen mit absichtlicher Flüchtigkeit verächtlich in wenigen Tagen zusammengeschrieben hatte, von so auffallender Schwäche, daß ich mich, zumal da ich den besten Teil derselben, die tragische Pantomime, von vornherein zu unterdrücken genötigt gewesen war, bereits zu jener Zeit in Dresden ihrer aufrichtig schämte. Da nun außerdem in Dresden gar keine choreographischen Mittel vorhanden waren, um selbst für das Übriggebliebene meinen Anordnungen antiker Kampfspiele und bedeutungsvoller ernster Reigentänze, wie sie später in Berlin sehr gut ausgeführt wurden, nachzukommen, hatte ich mich schmählicherweise damit zu begnügen, daß zwei kleine Tänzerinnen eine Zeitlang alberne »Pas« ausführten, endlich aber eine Kompanie Soldaten aufmarschierte, die Schilde über ihren Köpfen zu einem Dache zusammenfügte, um an die altrömische »Testudo« zu erinnern, und der Ballettmeister mit seinem Gehilfen in bloßen fleischfarbenen Trikots auf dieses Schilddach sprangen, um sich hier einige Male gegenseitig auf den Kopf zu stellen, was ihrer Meinung nach das altrömische Gladiatorenspiel versinnlichen mußte. Dieses war der Moment, welcher das Haus stets zu erdröhnendem Beifall hinriß, und ich hatte mir zu sagen, daß, wenn dieser Augenblick eintrat, ich die Krone meines Erfolgs erreicht hatte. –

Während ich auf diese Weise mir der eigentümlichen Divergenz zwischen meinem inneren Streben und meinem äußeren Erfolge immer ahnungsvoller bewußt wurde, sah ich auf der andren Seite durch die sonderbare Begünstigung der Umstände mich gedrängt, meinem Schicksale in fast ähnlich beängstigender Weise, als es bei meiner Verheiratung geschehen war, durch Annahme der Dresdener Kapellmeisterstelle eine verhängnisvolle Richtung zu geben. Den hierauf bezüglichen Unterhandlungen hatte ich von Anfang herein eine zögernde Lauheit entgegengesetzt, welche in keiner Weise affektiert war. Meine Verachtung des Theaterwesens war bereits vollkommen; sie konnte durch die nun mir gewordene genauere Bekanntschaft mit dem scheinbar so vornehmen Hoftheater-Intendanz-Wesen, welches mit dünkelhafter Ignoranz das Schmachvolle der modernen Theatertendenz prunkend zu verdecken berufen scheint, nicht eben vermindert werden. Seit einem Vierteljahrhundert stand an der Spitze des Dresdener Hoftheaters und seiner Kapelle ein Mann, dessen Ungebildetheit und Roheit aller Welt offenlag. Über beide dieser seiner Eigenschaften liefen zahlreiche Anekdoten umher, und der mindeste geschäftliche oder gesellige Verkehr mit ihm genügte, um mit Staunen darüber zu erfüllen, wie ein gebildeter Monarch[257] durch den Vortrag eines solchen Mannes sich in Berührung mit einem offenbar der Kunst angehören sollenden Institut erhalten konnte. Erklärlich war dies letztere fast nur dadurch, daß man dem Monarchen selbst keine wahre Bildung zusprechen konnte und namentlich Geringschätzung der Interessen der Kunst bei ihm voraussetzen mußte. Somit erfuhr man auch, daß vorkommendenfalls ein Appell an das schützende Urteil des Monarchen gegen die Unwissenheit und Roheit seines Intendanten nicht denkbar war, daher gerade hier, wo es um Feinheit und Zartheit in der Behandlung der empfindlichen Interessen der Kunst sich handelte, eine Willkür herrschen mußte, welche dem brutalsten russischen Despotismus nichts nachgab. Wie nun unter solcher Pflege alle höhere Regung bei jedem am Theater Beteiligten in der Weise ertötet wurde, daß schließlich nur ein Komplex der eitelsten und frivolsten Interessen durch einen lächerlich steifen bürokratischen Apparat zusammengehalten wurde, so erkannte ich jetzt mit größter Sicherheit in einer Nötigung zum Befassen mit dem Theater das Widerwärtigste, was ich mir vorstellen konnte; und als mir durch den erwähnten Todesfall Rastrellis gerade jetzt und hier in Dresden die Versuchung, meiner inneren Stimme untreu zu werden, herantrat, erklärte ich sofort meinen vertrauten älteren Freunden, daß ich nicht daran dächte, die freigewordene Stelle annehmen zu wollen.

Gegen diesen Entschluß vereinigte sich nun aber alles, was irgend menschliche Entschließungen erschüttern kann. Die Aussicht auf Sicherung meiner Lebenslage durch eine dauernde Versorgung bei festem Gehalte machte sich zunächst mit tyrannischer Anziehungskraft geltend. Ich bekämpfte die Versuchung durch Hinweis auf meine Erfolge als Opernkomponist, die mir, so hoffte ich, wenigstens genug einbringen würden, um in zwei Stuben, bei geringen Lebensansprüchen, ungestört neue Arbeiten fördern zu können. Gerade im Betreff meiner Arbeitsmuße, wendete man mir aber ein, würde ich bei einer festen Anstellung mit nicht übermäßiger Beschäftigung mich besser gefördert sehen als bisher, wo ich seit der Vollendung des »Fliegenden Holländers« über ein volles Jahr ohne Ruhe zur Arbeit mich befunden hatte. Ich blieb dabei, daß ich die dem Kapellmeister untergeordnete Musikdirektorstelle des verstorbenen Rastrelli in jeder Hinsicht für meiner unwürdig hielte, erklärte mit Bestimmtheit auf dieselbe nicht zu reflektieren und veranlaßte dadurch auch die Generaldirektion, sich anderweitig wegen Besetzung derselben umzusehen. Während somit von dieser Stelle nun nicht mehr die Rede war, wurde mir aber eröffnet, daß durch den vor einiger Zeit bereits erfolgten Tod des Kapellmeisters Morlacchi eigentlich ja noch eine Königliche Kapellmeisterstelle unbesetzt geblieben sei, und es stünde zu erwarten, daß der König sich geneigt fühlen dürfte, diese Stelle von neuem durch mich zu besetzen. Die große Wichtigkeit, welche in Deutschland, namentlich in königlichen Residenzen, solchen Angelegenheiten beigelegt wird, und die glänzende »Solidität«, welche solch eine lebenslängliche[258] Königliche Anstellung namentlich deutscher Musiker als das höchste erreichbare irdische Glück vorschweben läßt, fing nun an, meine gute Frau in große Aufregung zu versetzen. Von manchen Seiten eröffneten sich mir freundlich behagliche Anknüpfungen für einen bürgerlichen Verkehr, wie wir ihn bisher noch nicht gekannt hatten; das Gefühl des Wohlgelitten –, ja Angesehenseins breitete sich mit wohltätiger Wärme über die Heimatlosen aus, denen mit einer dauernden Niederlassung unter ehrenvollstem königlichen Schutze das in trostlosen Zeiten oft schmerzlich ersehnte Behagen einer wohlanständigen Sicherheit sich gewonnen zeigte. Einen wichtigen Einfluß auf die Erweichung meiner Stimmung übte endlich die Witwe Carl Maria von Webers, die lebhafte und liebenswürdige Karoline, in deren Haus ich mich jetzt öfter befand und deren Umgang durch unmittelbar auflebende Erinnerungen an den von mir noch immer so innig geliebten Meister für mich besonders anziehend war. Diese beschwor mich nun mit wahrhaft rührender Innigkeit, doch ja dem bedeutungsvollen Zuge des Schicksales nicht widerstreben zu wollen. Sie habe ein Recht, mich zur Einkehr in Dresden aufzufordern, um dort die Stelle einzunehmen, die seit dem Tode ihres Mannes so traurig leer geblieben sei: »Denken Sie sich«, sagte sie mir, »wie ich einst Weber wiedersehen soll, wenn ich ihm davon zu berichten habe, wie bisher das von ihm so aufopferungsvoll gepflegte Werk, da wo er es wirkte, verwahrlost worden; denken Sie sich, wie mir zumute ist, wenn ich dort, wo einst der seelenvolle Weber stand, jetzt nur noch den faulen Reissiger sehen soll – wie mir zumute ist, wenn ich seine Opern mit jedem Jahre geistloser heruntergespielt höre; lieben Sie Weber, so sind Sie es seinem Andenken schuldig, in seine Stelle zu treten, um sein Werk fortzusetzen.« Aber auch die praktische Seite der Angelegenheit wies die lebenserfahrene Frau mit energischer Fürsorge nach, indem sie mir es ans Herz legte, namentlich auch an die Sicherheit meiner Frau zu denken, welcher, wenn ich plötzlich stürbe, durch Annahme der mir gebotenen Stelle genügende Versorgung geboten sei. –

Mehr als alles dies Herzliche, Bedeutende und Vernünftige wirkte in mir selbst der zu keiner Zeit meines Lebens gänzlich vertilgte enthusiastische Glaube an die Möglichkeit, da, wohin mich das Schicksal geführt, also auch jetzt hier in Dresden, doch wohl den Punkt gefunden zu haben, von welchem aus einmal eine Umkehr des Gewohnten in Bewegung zu setzen und das Unerhörte in das Leben zu rufen wäre; am Ende bedurfte es ja doch nur einmal des Aufkommens eines feurig strebenden Menschen, um, wenn das Glück ihn wirklich begünstigte, das Verwahrloste zu regenerieren, wahrhaft veredelnden Einfluß zu gewinnen und die Erlösung der in schmachvollen Banden liegenden Kunst herbeizuführen. Die wunderbar schnelle Wendung, welche mein Schicksal genommen, mußte einen solchen Glauben nur nähren, und wirklich verführerisch wirkte auf mich mein Innewerden der merkwürdigen Veränderung, welche in der ganzen Haltung des Generaldirektors[259] Herrn von Lüttichau gegen mich eingetreten war. Der sonderbare Mensch zeigte mir eine Wärme, deren ihn niemand zuvor für fähig gehalten hatte, und von seinem persönlichen wahrhaften Wohlwollen habe ich mich, selbst während meiner späteren unaufhörlichen Zerwürfnisse mit ihm, unverkennbar überzeugt halten müssen. – Nichtsdestoweniger wurde die Entscheidung doch aber nur durch eine Art von Überrumpelung herbeigeführt: ich wurde am 2. Februar 1843 auf das freundlichste in das Büro des Intendanten eingeladen und traf dort den Generalstab der Königlichen Kapelle an, in dessen Mitte Herr von Lüttichau durch den Theatersekretär, meinen unvergeßlichen Freund Winkler, mir feierlichst ein Königliches Reskript vorlesen ließ, durch welches ich sofort zum Kapellmeister Seiner Majestät mit 1500 Talern lebenslänglichem Gehalt ernannt wurde. Herr von Lüttichau ließ dieser Lektüre eine ziemlich feierliche Rede folgen, in welcher er seine Annahme ausdrückte, daß ich mit Dank die Gnade des Monarchen erkennen würde. Es entging mir bei dieser freundlichen Solemnität nicht, daß hiermit zugleich allen weiteren Verhandlungen über die Höhe des Gehaltes die Möglichkeit abgeschnitten war, wogegen allerdings der Hinwegfall der selbst Weber seinerzeit auferlegten Bedingung, zuerst unter dem bloßen Titel eines königlichen Musikdirektors ein Probejahr zu bestehen, als sehr beschwichtigende Ausnahme mich zum Schweigen zu bringen berechnet war. Meine neuen Kollegen beglückwünschten mich sofort, und Herr von Lüttichau begleitete mich unter den angenehmsten Gesprächen bis an die Tür meines Hauses, wo ich denn wiederum meiner vor Freude taumelnden armen Frau in die Arme fiel, so daß ich nun wohl merkte, daß ich gute Miene zu machen hatte und, ohne unerhörtes Ärgernis zu geben, mich jetzt wohl selbst als Königlichen Kapellmeister zu bekomplimentieren hatte.

Als ich in feierlicher Sitzung als Königlicher Diener beeidigt und der versammelten musikalischen Kapelle mit einigen feurigen Worten des Königlichen Generaldirektors vorgestellt war, wurde ich nach einigen Tagen auch von Seiner Majestät zur Audienz empfangen. Als ich in die Züge des gutherzigen, freundlichen und schlichten Monarchen blickte, fiel mir unwillkürlich mein jugendlicher Entwurf zu jener politischen Ouvertüre mit dem Thema »Friedrich und Freiheit« ein. Das etwas verlegene Gespräch belebte sich, als der König mir seine Zufriedenheit mit meinen beiden nun in Dresden gegebenen Opern bezeigte. Wenn ihm etwas zu wünschen übrigblieb, so wäre dieses, wie er sich mit freundlichem Zögern ausdrückte, ein etwas deutlicheres Heraustreten der einzelnen Personen meiner musikalischen Dramen; es komme ihm vor, als ob das Elementare darin das Interesse an diesen beeinträchtige: so im »Rienzi« das Volk, im »Fliegenden Holländer« das Meer. Mir schien, als ob ich ihn sehr gut verstünde, und ich freute mich aufrichtig über diesen Beweis sowohl seiner ernsten Teilnahme als seines originellen Urteils. Außerdem entschuldigte er sich im voraus bei mir, wenn er auch meine Opern nicht sehr häufig besuchen sollte, was lediglich damit zusammenhinge,[260] daß er überhaupt einen eignen Widerwillen gegen den Theaterbesuch habe, der ihm leider durch eine Maxime seiner Erziehung beigebracht sei, nach welcher er mit seinem Bruder Johann, dem es nun ebenso ergehe, lange Zeit mit Zwang angehalten worden sei, regelmäßig den Vorstellungen des Theaters beizuwohnen, wogegen er, aufrichtig gesagt, oft vorgezogen haben würde, fern der Etikette einer freiwilligen Beschäftigung überlassen sein zu können. – Als ein charakteristisches Merkmal des Höflingsgeistes erfuhr ich bald nachher, daß Herr von Lüttichau, welcher während dieser Audienz mich im Vorzimmer erwarten mußte, sich sehr ungehalten über die lange Dauer derselben ausgelassen hatte. – In nähere Berührung und zu einer Unterredung mit dem guten König gelangte ich im Laufe der Jahre nur noch zweimal: das eine Mal, als ich ihm das Dedikationsexemplar des Klavierauszuges meines »Rienzi« überreichte; das zweite Mal, als er infolge der von mir mit vielem Glück bewerkstelligten Bearbeitung und Aufführung der »Iphigenia in Aulis« von Gluck, dessen Opern er vorzüglich liebte, auf öffentlicher Promenade höchst freundlich und zutraulich von ihm angehalten und wegen meiner Arbeit beglückwünscht wurde.

Mit jener ersten Audienz beim König war jedenfalls der Höhepunkt meiner so schnell betretenen Dresdner Glückslaufbahn erreicht; von nun an meldete sich in mannigfaltiger Gestalt wieder die Sorge. – Sehr bald eröffnete sich mir der Blick in die Schwierigkeit meiner materiellen Lage, da sich herausstellte, daß die bisher von mir gewonnenen und durch meine Anstellung sich darbietenden Vorteile in keinem Verhältnis zu den bisher, seit angetretener bürgerlicher Selbständigkeit, mein Leben belastenden Opfern und Verpflichtungen stehe. Der seit seinem Fortgang von Riga gänzlich verschollene junge Musikdirektor tauchte plötzlich in der staunenerregenden Wiedergeburt als Königlich Sächsischer Kapellmeister von neuem auf. Die nächsten Folgen dieser allgemeinen Beachtung meines Glückes waren dringende Mahnungen und drohende Verfolgungen, zunächst von seiten derjenigen Königsberger Gläubiger, denen ich in Riga mich durch jene unverhältnismäßig beschwerliche und leidenvolle Flucht entzogen hatte. Außerdem meldete sich, was nur irgendwo und aus den undenklichsten Zeiten her zu irgendwelcher Forderung an mich sich berechtigt wähnte, selbst auch aus meiner Studenten –, ja Gymnasiasten-Zeit, so daß ich gelegentlich verwunderungsvoll ausrief, ich vermutete nun noch eine Rechnung von meiner Amme für meine Säugung zu erhalten. Alles dies belief sich allerdings auf keine große Summe, und ich erwähne ausdrücklich den boshaften Gerüchten gegenüber, welche, wie ich erst in späten Jahren erfahren habe, über meine damalige Verschuldung gelegentlich ausgestreut worden sind, daß ich mit 1000 Talern, welche ich von Frau Schröder-Devrient gegen Zinsen entlieh, nicht nur alle diese Schulden bezahlte, sondern auch die von Kietz während meiner Pariser Nöte ohne alle Annahme der Zurückerstattung[261] mir gebrachten Opfer auf das genaueste vergütete und außerdem diesem Freunde selbst mich behilflich erweisen konnte. Allein, woher selbst dieses Geld nehmen, da ich bis dahin in so äußerst kümmerlicher Lage mich befand, daß ich die Schröder-Devrient zur Beschleunigung der Aufführung des »Fliegenden Holländers« durch den Hinweis auf die grenzenlose Wichtigkeit, von welcher für mich das dafür zu erhaltende Honorar sei, hatte antreiben müssen? Von irgendeiner Vergütung für meine Ansiedlung, die doch jedenfalls dem Range eines Königlichen Kapellmeisters entsprechen mußte, ja selbst für die Anschaffung einer albernen und kostbaren Hofuniform war in keiner Weise an eine Entschädigung gedacht, so daß ohne Aufnahme von Geld gegen Zinsen, da ich nun einmal gänzlich ohne Vermögen war, an keinen Anfang gedacht werden konnte. Wer nun aber den unerhörten Erfolg des »Rienzi« in Dresden wahrgenommen hatte, konnte nicht umhin, an eine baldige und lohnende Verbreitung meiner Opern über die deutschen Theater zu glauben; und meine eigenen Verwandten, namentlich auch die besonnene Ottilie, waren hierfür mit solcher Zuversicht erfüllt, daß sie mir mindestens die Verdoppelung meines Gehaltes durch die Einnahmen von meinen Opern in sichere Aussicht stellen zu dürfen meinten. In der Tat schien es im allerersten Anfang hiermit ein gutes Bewenden nehmen zu wollen; sehr bald bestellten das Kasseler Hoftheater sowie auch das mir altbekannte Theater zu Riga die Partitur meines »Fliegenden Holländers«, weil man dort schnell etwas von mir geben wollte und dem Gerüchte nach diese Oper weniger umfangreich und für die Ausstattung weniger anspruchsvoll als der »Rienzi« war. Von beiden Orten erhielt ich im Mai 1843 auch günstige Nachrichten über den Erfolg der stattgehabten Aufführungen. Hiermit hatte es denn aber für jetzt sein Ende, und das ganze Jahr verging, ohne daß auch nur die mindeste Nachfrage nach einer meiner Partituren an mich gelangt wäre. Ein Versuch, durch die Herausgabe des Klavierauszuges des »Fliegenden Holländers« (da ich den »Rienzi« jedenfalls für günstigere Chancen nach erreichten weiteren Erfolgen als nützliches Kapital mir vorbehalten wollte) mir zu einer Einnahme zu verhelfen, scheiterte an dem Widerwillen der Herren Härtel in Leipzig, welche sich zwar sehr bereit erklärten, meine Oper herauszugeben, jedoch nur in der Voraussetzung, daß ich von jeder Honorarforderung dafür abstünde.

So hatte ich mich denn vorläufig an der phantastischen Eigenschaft meiner Erfolge zu sättigen; meine unverkennbare Beliebtheit beim Dresdener Publikum, manche Ehre und mir erwiesene Aufmerksamkeit gehörten hierzu. Doch auch in diesem Bezug sollte mein arkadischer Traum bald gestört werden. Ich glaube, daß erst mit meinem Auftreten in Dresden dort eine neue Ära für das Journalisten- und Rezensententum begann, welches gleichsam aus seinem Ärger über meine Erfolge Stoff zu einer bis dahin nur noch schwächlich geübten Lebenskraft erhielt. Die beiden von mir bereits genannten Herren C. Bank und J. Schladebach haben nachweislich erst um[262] jene Zeit ihr festes Domizil in Dresden genommen; ich weiß, daß, als in betreff seiner dauernden Ansiedelung gegen Bank Schwierigkeiten erhoben wurden, diese erst durch die Verwendung und Gutsage meines nunmehrigen Kollegen Reissiger beseitigt werden konnten. War diesen Herren, die nun dauernde Engagements für die musikalische Kritik in Dresdener Blättern annahmen, der Erfolg meines »Rienzi« bereits sehr unangenehm gewesen, namentlich da ich auch gar keine Miene machte mir ihre Gunst zu gewinnen, so war es ihnen doch noch schwergefallen, den so allgemein beliebten jungen Musiker, welcher die Teilnahme des hierin gutmütigen Publikums auch durch seine dürftigen und vom Glück bisher so wenig begünstigten Lebensumstände gewonnen hatte, mit der eigentlichen beizenden Lauge ihres Hasses zu übergießen. Durch meine »unerhörte« Ernennung zum Königlichen Kapellmeister war aber plötzlich jede Nötigung zu irgendwelcher humanen Rücksicht geschwunden: jetzt »ging mir's gut«, ja »unmäßig gut«; der Neid fand seine höchst rechtmäßige Nahrung; es war etwas ganz Bestimmtes, allgemein Faßliches, was von ihm anzunagen war; und bald verbreitete sich durch alle Blätter Deutschlands in Berichten aus Dresden eine Stimmung über mich, welche als Grundton bis auf den heutigen Tag sich nie geändert hat, mit einziger Ausnahme einer gewissen Modifikation, welche vorübergehend und natürlich nur in Blättern von hierfür geeigneter Farbe während meiner ersten Niederlassung als politischer Flüchtling in der Schweiz eintrat, jedoch von da ab, wo durch Liszts Bemühungen meine Opern trotz meiner Verbannung über Deutschland verbreitet wurden, sich alsbald in den Blättern jeder Farbe wieder gänzlich verlor. Daß sogleich anfänglich nach den Dresdener Aufführungen zwei Theater eine meiner Partituren bestellt hatten, verdankte ich jedenfalls nur dem Umstande, daß bis dahin die schädliche Tätigkeit meiner journalistischen Beobachter sich noch gehemmt gefühlt hatte; wogegen ich mir das nun eintretende Schweigen jeder Nachfrage gewiß nicht mit Unrecht sehr wesentlich aus dem Grunde der Wirkung der falschen und verleumderischen Berichte in den Zeitungen erkläre. Mein alter Freund Laube war zwar sofort bemüht gewesen, auch als Journalist der Welt mich vorteilhaft vorzuführen: er übernahm mit Neujahr 1843 von neuem die Redaktion der »Zeitung für die elegante Welt« und forderte mich auf, für eine seiner ersten Nummern ihm eine biographische Notiz über mich aufzusetzen. Es machte ihm ersichtlich große Freude, mich auf diese Weise triumphierend auch der literarischen Welt vorzustellen, und um dies recht ersichtlich zu tun, gab er der betreffenden Nummer seines Journales noch eine Lithographie meines von Kietz gezeichneten Porträts bei. Doch selbst er wurde nach einiger Zeit besorgt und befangen in seinem Urteil über meine Leistungen, da er wahrnahm, mit welcher Ausdauer und mit welch zunehmender Sicherheit diese immer mehr verkleinert, herabgesetzt und geschmäht wurden. Er gestand mir später, daß ihm allerdings eine so verwahrloste Stellung wie diejenige,[263] in welche ich gegen die gesamte Journalistik geraten war, noch nicht als erdenklich vorgekommen sei, und da er meine Gesinnung in diesem Punkt kennenlernte, segnete er mich lächelnd als einen rein verlornen Mann. –

Aber auch in meinen nächsten Beziehungen zu meinem unmittelbaren neuen Wirkungskreise traf ich bald auf sehr veränderte Stimmungen, welche ihrerseits wiederum jenen journalistischen Tendenzen eine höchst willkommene Nahrung gaben. – Ich hatte mich durch keine Art von Ehrgeiz verleitet gefühlt, darum anzuhalten, mein Werk selbst im Orchester dirigieren zu dürfen. Da ich jedoch gefunden hatte, daß Kapellmeister Reissiger bei jeder Aufführung des »Rienzi« nachlässiger in der Leitung wurde und das musikalische Ensemble in den wohlbekannten, ausdruckslosen Schlendrian verfiel, hatte ich, da bereits meine Anstellung andrerseits in das Auge gefaßt wurde, mir die persönliche Leitung der sechsten Aufführung meines Werkes ausgebeten. Ich dirigierte, ohne zuvor eine Probe gehalten noch je mich an der Spitze der Dresdener Kapelle befunden zu haben; es ging vortrefflich, Sänger und Orchester waren neu belebt und rissen alles zu dem Zeugnis hin, daß dies die gelungenste Aufführung des »Rienzi« gewesen sei. Das Studium und die Direktion des »Fliegenden Holländers« waren mir schon aus dem Grunde gern überwiesen worden, weil Reissiger infolge des Todes des Musikdirektors Rastrelli sich mit dienstlicher Arbeit überhäuft fand. Außerdem wurde ich ersucht, um für meine Fähigkeit, auch eine fremde Partitur dirigieren zu können, ein unmittelbares Zeugnis abzulegen, die Aufführung von Webers »Euryanthe« zu leiten. Es schien, daß ich alle Welt befriedigte, und eben auf den Geist dieser Aufführung begründete die Witwe Webers ihr so eifriges Anliegen an mich, die Dresdener Kapellmeisterstelle anzunehmen, da sie erklärte, zum ersten Male seit dem Tod ihres Gemahls sein Werk wieder im richtigen Geiste und namentlich auch im richtigen Zeitmaße gehört zu haben. Durch meine hierauf erfolgte Anstellung hatte sich nun zunächst Reissiger, welcher lieber nur einen ihm untergeordneten Musikdirektor gewünscht hätte, statt dessen aber einen gleichberechtigten Kollegen erhielt, gekränkt gefühlt. Wenn auch sein natürlicher Hang zur Trägheit ihn meist zu Ruhe und gutem Einvernehmen mit mir geneigt machte, so sorgte doch seine ehrgeizige Frau dafür, ihn in Angst vor mir zu erhalten. Nie führte dies jedoch zu einem offen feindseligen Benehmen seinerseits; nur bemerkte ich von nun an, daß sich, namentlich in der Presse, gewisse Indiskretionen einstellten, welche mir zeigten, daß die Freundlichkeit meines Kollegen, welcher nie mit mir sprach, ohne mich zuvor geküßt zu haben, nicht vom allerbiedersten Schlage war. – Ganz unerwartet zeigte sich aber plötzlich, daß ich die Eifersucht eines Mannes, von dem ich mir dies in keiner Weise vermutete, mir im leidenschaftlichsten Grade zugezogen hatte. Dies war der als erster Königlicher Konzertmeister seit einer Reihe von Jahren der Dresdener Kapelle angehörige, seinerzeit berühmte Violinvirtuos Karl Lipinsky, ein Mensch von vielem Feuer und origineller Begabung aber von der unglaublichsten[264] Eitelkeit, welche durch den beweglichen, mißtrauischen polnischen Charakter zur bedenklichsten Ausartung verleitet wurde. Ich hatte stets viel Pein mit ihm zu überstehen, da er, so sehr belebend und belehrend er namentlich auf die technischen Leistungen der Violinisten wirkte, dennoch als Konzertmeister eines wohlgegliederten Orchesters offenbar übel am Platze war. Der sonderbare Mann bestrebte sich, das Lob des Generaldirektors von Lüttichau, daß man Lipinskys Ton stets aus dem Orchester hervorhöre, in Wahrheit zu begründen; er fiel nämlich immer etwas früher ein als die andren Violinisten und führte somit das Amt eines Vorspielers im rhythmischen Sinne aus, indem er stets etwas vorwegspielte, auch in den Nuancen insofern willkürlich verfuhr, als er leichte Inflexionen im Piano-Vortrag meist mit fanatischer Schärfe ausführte. Hierüber war es nun ganz unmöglich dem Manne etwas zu sagen, da man nur durch stärkste Schmeichelei etwas über ihn vermochte; dies hatte ich nun zu ertragen und dagegen darauf bedacht zu sein, den Schaden, welchen er den Leistungen des Orchesters zufügte, auf den gewundensten Umwegen enthusiastischer Freundlichkeit einigermaßen zu mildern. Nichtsdestoweniger konnte er es nicht ertragen, daß die Leistungen des Orchesters, sooft ich dirigierte, vorzüglicher beachtet wurden, weil er annahm, ein Orchester, in welchem er vorspiele, leiste immer gleich Vorzügliches, es möge am Dirigentenpulte stehen wer da wolle. Nun fand sich aber, wie es immer der Fall ist, wenn neue Häupter mit frischem Einfluß angestellt werden, daß die Mitglieder der Kapelle mit den mannigfaltigsten, bisher unerledigten Anliegen sich an mich wandten; einen besondren Fall dieser Art benutzte Lipinsky, der auch hierüber ergrimmt war, sofort zu einer eigentümlichen Verräterei. Einer der ältesten Kontrabassisten war gestorben. Lipinsky hatte in mich gedrungen, doch ja mit dafür zu sorgen, daß diese Stelle nicht durch das gewöhnliche Hinaufrücken der unteren Musiker, sondern durch einen von ihm mir genannten bedeutenden Virtuosen auf dem Kontrabaß, den Kammermusiker Müller in Darmstadt, besetzt werde. Als der durch eine solche Maßregel zunächst bedrohte Musiker sich bei mir einfand, um mich für die Wahrung seiner Anciennetätsrechte zu gewinnen, blieb ich meinem Lipinsky gegebenen Versprechen treu, äußerte meine Bedenken über die Schädlichkeit dieses Anciennetätswesens und bestätigte, daß ich in Gemäßheit meines dem Könige geleisteten Eides mich vor allen Dingen für verpflichtet hielte, vorzüglich auf die Wahrung der künstlerischen Interessen des Institutes zu achten. Nun hatte ich zu meinem großen, allerdings aber sehr törichten Erstaunen bald zu erfahren, daß die ganze Kapelle sich wie ein Mann gegen mich kehrte, und als es zwischen Lipinsky und mir zu einer Auseinandersetzung über mehrere von ihm gegen mich erhobene Beschwerden kam, bezichtigte wirklich auch er mich, durch meine in der Kontrabassisten-Angelegenheit getanen Äußerungen die wohlbegründeten Rechte der Orchestermitglieder, für deren Wohl wir doch väterlich zu sorgen hätten, bedroht zu[265] haben. Herr von Lüttichau, welcher soeben auf einige Zeit von Dresden sich entfernen wollte, fand sich, da auch Reissiger beurlaubt war, im höchsten Grade beunruhigt, die musikalischen Angelegenheiten in so bedrohlichem Zerwürfnis zu hinterlassen. Die unerhörte Erfahrung von Falschheit und Schamlosigkeit, welche ich soeben gemacht hatte, erleuchtete mich plötzlich wie ein neues Licht und gab mir sofort die nötige Ruhe, um den bedrängten Generaldirektor durch meine bündigsten Versicherungen, daß ich nun wüßte, mit wem ich zu tun hätte, und danach handeln würde, außer Sorge zu setzen. Ich habe treulich mein Wort gehalten; nie geriet ich mehr, weder mit Lipinsky noch sonst einem Kapellmitgliede, in irgendeinen Konflikt; im Gegenteil wurden bald und für die Dauer sämtliche Musiker mir so sehr geneigt, daß ich mich jederzeit ihrer Ergebenheit rühmen durfte.

Das eine jedoch ward mir seit diesem Tage ebenfalls klar: daß ich nicht als Dresdener Kapellmeister sterben würde. Von nun an ward mir mein Amt und meine ganze Dresdener Wirksamkeit zur Last, die mir durch die einzelnen, zu Zeiten erlangten wirklich schönen Erfolge meiner Tätigkeit nur immer deutlicher fühlbar wurde.

Einen einzigen Freund, dessen inniges Verhältnis zu mir auch die gemeinsame musikalische Wirksamkeit in Dresden weit überdauerte, führte mir jedoch das Schicksal durch eben diese Anstellung zu. Zu den beiden Kapellmeistern mußte noch ein Musikdirektor angestellt werden; es bedurfte hierzu weniger eines Musikers von bedeutendem Rufe, als eines tüchtigen Arbeiters, gefügigen Menschen und vor allem Katholiken, da beide Kapellmeister zum Ärgernis der geistlichen Behörden der katholischen Hofkirche, in welcher die Königliche Kapelle zahllose Dienste zu versehen hatte, Protestanten waren. Der Nachweis der hierfür erforderlichen Eigenschaften verschaffte August Röckel, einem Neffen Hummels, welcher von Weimar aus um unsre Stelle sich bewarb, den ledigen Posten. Er gehörte einer altbayerischen Familie an; sein Vater war Sänger, hatte zur Zeit der ersten Aufführung des »Fidelio« vor Beethoven selbst häufig den »Florestan« gesungen und war mit dem Meister selbst in andauerndem freundschaftlichen Verkehr gewesen, so daß durch ihn mancher sonst unbekannte Zug aus dessen Leben sich erhalten hat. Seine spätere Stellung als Gesangslehrer hatte ihn auch in das Theaterdirektionswesen hineingeleitet; er war es, welcher den Pariser zuerst eine deutsche Oper zuführte, und zwar in so außerordentlich glücklicher Gestalt, daß die großen Wirkungen des »Fidelio« und des »Freischütz« auf das mit diesen Werken noch gänzlich unbekannte französische Publikum seiner trefflichen Unternehmung, durch welche auch die Schröder-Devrient den Parisern bekannt wurde, zu verdanken war. Bereits diesmal und bei ähnlichen Unternehmungen hatte der damals noch sehr junge August behilflich mitgewirkt und so frühzeitig zum praktischen Musiker sich ausgebildet. Da die Unternehmungen des Vaters sich auch längere Zeit auf England erstreckten, hatte August durch mannigfaltigste[266] Berührung mit Menschen und Verhältnissen sich viele praktische Kenntnisse, zu denen auch die der französischen und englischen Sprache gehörten, verschafft; doch blieb seine Neigung zur Musik bestimmend für die von ihm gewählte Lebensrichtung, und eine große und leichte musikalische Befähigung berechtigte ihn auch zu den besten Hoffnungen auf Erfolg hierbei. Er spielte vortrefflich Klavier, überblickte mit großer Schnelligkeit eine Partitur, hatte ein äußerst feines Gehör und war somit zum praktischen Musiker vollständig befähigt. In betreff der Kompositionen leitete ihn weniger ein starker Trieb zur Produktion als die Nötigung, eben zu zeigen, was er auch könne, und zu versuchen, ob er durch glückliche Arbeiten es zu einem Erfolg brächte, bei welchem er es weniger auf Anerkennung als bedeutender Musiker, als vielmehr eben nur als geschickter Opernkomponist absah. Mit dieser bescheidenen Tendenz hatte er eine Oper »Farinelli« verfertigt, zu welcher er sich auch den Text mit nicht höheren Ansprüchen als denen, seinem Schwager Lortzing es gleichzutun, selbst geschrieben hatte. Mit dieser Partitur kam er denn auch zu mir, erbat sich jedoch – es war dies bei seinem ersten Besuche, als er noch keine meiner Opern in Dresden gehört hatte – ihm etwas aus meinem »Rienzi« und »Fliegenden Holländer« vorzuspielen. Sein offenes, freundliches Wesen bestimmte mich, so gut ich dies eben vermochte, seinem Wunsche zu willfahren, und ich überzeugte mich, daß ich schnell auf ihn einen so bedeutenden und unerwartet überwältigenden Eindruck gemacht hatte, daß er von da ab beschloß, mit der Partitur seiner Oper mich nicht weiter zu belästigen. Erst nachdem wir befreundeter geworden waren und unsere persönlichen Interessen sich auch gegenseitig berührten, erlaubte er sich, von der Nötigung, seine Arbeit zu verwerten, getrieben, mich eben nur in dem Sinne eines praktischen Freundschaftsdienstes um eine Beschäftigung mit seiner Partitur anzugehen. Ich gab ihm mancherlei Ratschläge für die Umarbeitung derselben; bald aber ekelte ihn sein eigenes Werk so hoffnungslos an, daß er nicht nur dieses gänzlich beiseite legte, sondern überhaupt nicht mehr zu bewegen war, sich ernstlich mit einer ähnlichen Aufgabe zu befassen. Nachdem er meine eigenen fertigen Opern und Entwürfe zu neuen Arbeiten genauer kennengelernt hatte, erklärte er mir geradeheraus, daß er sich berufen fühle, mir zuzusehen, treulich zu helfen, das Verständnis meiner neuen Konzeptionen zu vermitteln, alles Widerwärtige in meinem amtlichen Beruf und sonstigen Verkehr mit der Welt nach Kräften mir abzunehmen oder gänzlich von mir abzuhalten, sich selbst aber die Lächerlichkeit zu ersparen, als mein Freund und an meiner Seite selbst auch Opern komponieren zu wollen. Ich suchte ihn zwar zu nötigen, dem unerachtet auch seine eignen Fähigkeiten produktiv zu verwerten, und brachte ihn hierfür selbst auf mehrere Sujets, die ich von ihm ausgeführt wissen wollte – so den Stoff eines kleineren französischen Dramas: »Die Tochter Cromwells«, später das Sujet einer gefühlvollen Dorfgeschichte, welche ich in einem Taschenbuche gefunden hatte und für deren[267] Bearbeitung ich ihm den ausführlichen Plan angab. Alle meine Bemühungen blieben schließlich fruchtlos, und es stellte sich wohl heraus, daß der produktive Trieb in ihm schwach war, wozu dann anderseits eine bald äußerst kümmerlich und sorgenvoll sich gestaltende Familienlage kam, so daß der arme Mensch, der für die Erhaltung einer Frau und stets zahlreich sich mehrenden Familie mühsam sich abquälte, bald in ganz andrer Weise meine Teilnahme und mein Mitgefühl in Anspruch zu nehmen hatte, als es durch mein Interesse an seiner künstlerischen Entwickelung der Fall sein konnte. Mit einem ungemein offenen Kopfe und einer sehr glücklichen Anlage zu autodidaktischer Selbstentwickelung nach jeder Seite des Wissens und der Erfahrung hin, war er bei unerschütterlicher Treue und Güte des Herzens mir bald ein unentbehrlicher Freund und Genosse. Er war und blieb auch der einzige, der das Eigentümliche meiner Stellung zu der mich umgebenden Welt innig erkannte, mit dem ich somit einzig auch über alle hieraus für mich sich ergebenden Sorgen und Leiden mich ganz und aufrichtig mitteilen und verständigen konnte. Welchen schrecklichen Prüfungen und Erfahrungen, welchen peinvollen Sorgen nun unser gegenseitiges Schicksal uns auf diese Weise entgegenführen sollte, wird sich bald zeigen. –

Noch einen ergebenen und für alle Lebenszeit getreuen, wenn auch seiner Natur nach weniger entscheidend auf meine fernere Lebensentwickelung einwirkenden Freund führte mir die erste Zeit meiner Dresdener Niederlassung zu. Ein junger Arzt, Anton Pusinelli, wohnte mir zur Seite; er wußte sich durch die Berührung, in welche sich die Dresdener Liedertafel mit mir setzte, bei Gelegenheit eines von dieser zu meinem 30. Geburtstage mir gebrachten Ständchens mir persönlich bekannt zu machen und seine ernste, ungewöhnlich innige Ergebenheit zu erkennen zu geben. Er trat mit mir bald in einen ruhig wohltätigen Freundes-Verkehr, wurde mein sorgsamer Hausarzt und hatte im Verlauf meiner von zunehmenden Schwierigkeiten bedrängten Dresdener Lebenszeit genügende Veranlassung, durch große Opferwilligkeit, welche ihm bei seinem glücklichen Vermögensstande mir besonders nützlich zu machen erlaubt war, mir auf das kräftigste behilflich zu sein und mich zur Anerkennung seiner wertvollsten Freundesdienste zu verpflichten. –

Einen weiteren Ansatz zur Ausdehnung meiner persönlichen Beziehungen zu Dresdener Gesellschaftskreisen eröffnete mir das Entgegenkommen der Familie des Kammerherren von Könneritz, dessen Frau, Maria von Könneritz, geborne Fink, eine Freundin der Gräfin Ida Hahn-Hahn, mit besonders lebhafter Anerkennung, ja mit fast schwärmerischer Ergebenheit sich für meine Erfolge als Komponist erklärte. Durch diese Familie, welche mich oft in ihr Haus zog, schien ich auch in weitere Berührung mit den höheren Kreisen der Dresdener Aristokratie treten zu sollen; doch blieb es hier nur bei einem ganz äußerlichen Betasten; wirkliche gegenseitige Anziehungspunkte stellten sich in keiner Weise ein. Zwar lernte ich hier auch[268] die Gräfin Rossi, die berühmte Sontag, kennen, von welcher ich zu meiner wahrhaften Verwunderung mit sehr einnehmender Wärme begrüßt wurde und hierdurch Gelegenheit erhielt, späterhin dieser Dame in Berlin mit einiger Auszeichnung mich nähern zu können. Die sonderbare Enttäuschung, welche ich über sie bei dieser späteren Gelegenheit erhielt, werde ich seinerzeit noch näher bezeichnen, und es sei hier eben nur noch erwähnt, daß, wie in diesen Kreisen ich bereits durch meine früheren Lebenserfahrungen der Täuschung ziemlich unzugänglich geworden war, sehr bald auch meine Neigung, ihnen mich zu nähern, einer vollständigen Hoffnungslosigkeit und gänzlichen Verzichtleistung auf Erquickung aus diesen Sphären wich. Blieb mir auch das Könneritzsche Ehepaar noch für den längeren Verlauf meiner in Dresden verlebten Jahre immer freundschaftlich zugetan, so gewann doch dieses Verhältnis nicht den mindesten Einfluß weder auf meine Entwickelung, noch auf meine Stellung. Nur Herr von Lüttichau behauptete, zur Zeit einer zwischen uns beiden eintretenden Krisis, Frau von Könneritz habe mir durch ihre übertriebenen Lobeserhebungen den Kopf verdreht und mich namentlich zur Überhebung in meiner Stellung zu ihm verleitet. Er übersah hierbei, daß, wenn jemand aus der höheren Dresdener Frauenwelt einen wirklichen, meinen inneren Stolz kräftigenden Einfluß geübt hatte, dies seine eigene Frau, Ida von Lüttichau, geb. von Knobelsdorf, war. – Der Eindruck dieser feingebildeten, zarten, edlen Frau, der erste dieser Art, der mich in meinem Leben berührte, hätte für mich eine große Bedeutung gewinnen können, wenn ein häufigerer und innigerer Umgang mit ihr möglich gewesen wäre. Es war weniger die Stellung der Gemahlin des Herrn Generaldirektors zu mir, als vor allem die stete Kränklichkeit der Dame und mein sonderbarer Widerwille, mir gerade in solchen Verhältnissen den Anschein von Aufdringlichkeit zuzuziehen, was mich nur in selten wiederkehrenden Perioden zu eingehender Berührung mit ihr gelangen ließ. In meiner Erinnerung fließt das Andenken an sie einigermaßen mit dem an meine Schwester Rosalie zusammen; denn ich entsinne mich des Anspornes eines zarten Ehrgeizes, in dieser feinfühlenden, unter der rohesten Umgebung leidenvoll dahinsiechenden Frau eine erfreuende Teilnahme für mich zu erwecken. Meine erste Hoffnung für die Befriedigung dieses Ehrgeizes gewann ich an der Aufmerksamkeit, welche sie meinem »Fliegenden Holländer«, trotzdem er das Dresdener Publikum nach dem »Rienzi« so befremdet hatte, zuwandte. Sie war somit die erste, welche gegen den Strom schwimmend auf meinem neuen Weg mir begegnete. Mich erfreute dieser Gewinn so tief, daß ich diese Oper, als ich sie später veröffentlichte, ihr widmete. Welche warme Teilnehmerin an meiner neuen Entwickelung und meinen innigsten künstlerischen Anliegen ich mir durch sie gewann, werde ich bei einigen besondren Vorgängen der späteren Jahre meiner Dresdener Periode besonders zu berichten haben. Ein eigentlicher Umgang mit ihr gestaltete sich jedoch, wie ich bereits erwähnte, nicht, und[269] die Form meines Dresdener Lebens ward somit auch durch diese an sich so bedeutungsvolle Bekanntschaft nicht berührt.

Hiergegen drängten sich die Theaterbekanntschaften mit unwiderstehlicher Zudringlichkeit in den breiten Vordergrund meines Lebens, und genau genommen blieb ich auch seit meinen großen Erfolgen auf dieselbe gemütlich-familiäre Sphäre angewiesen, in welcher ich auf diese Erfolge mich vorbereitet hatte. Zu meinen alten Freunden Heine und Papa Fischer war eigentlich nur noch Tichatschek mit seinem sonderbaren hausfreundlichen Anhange hinzugetreten. Wer in jener Zeit in Dresden lebte und zufällig den Hoflithographen Fürstenau kennengelernt hat, wird staunen, wenn er erfährt, daß ich mit diesem intimen Freunde Tichatscheks, ohne dessen mich recht zu versehen, in einen dauernden Familienverkehr trat, und welche Bedeutung dieser sonderbare Umgang hatte, kann man daraus entnehmen, daß mein späteres gänzliches Zurückziehen von ihm genau mit dem Verfall meiner bürgerlichen Lage in Dresden zusammentraf. – Eine Erweiterung oberflächlicher persönlicher Bekanntschaften führte meine gutmütige Annahme der Wahl zum musikalischen Vorstand der Dresdener Liedertafel herbei. Diese bestand aus einer mäßigen Anzahl junger Kaufleute und Beamter, welche zu jeder Art geselliger Unterhaltung mehr Lust hatten als zur Musik, jedoch von einem wunderlichen ehrgeizigen Manne, dem Professor Löwe, zu besonderen Zwecken angelegentlich zusammengehalten wurden, zu deren Erreichung diesem eine Autorität, wie die meinige es damals in Dresden war, nötig schien. Unter diesen Zwecken beschäftigte ihn am hauptsächlichsten die Übersiedelung der Asche Carl Maria von Webers von London nach Dresden; da auch mich dies Vorhaben innig anregte, bot ich dem hierin wohl nur der Stimme des Ehrgeizes folgenden Professor gern meine Hand. Zunächst galt es aber, an der Spitze der musikalisch gänzlich nichtigen Liedertafel, sämtliche sächsischen Männergesangvereine zu großen Festaufführungen nach Dresden zu berufen. Zur Durchführung dieses Planes ward ein Komitee niedergesetzt, welches Löwe, da es bald scharf herging, zu einem vollständigen Revolutionstribunal ausbildete, darin er, als die große Zeit der Erfüllung herannahte, Tag und Nacht in Permanenz präsidierte und durch seinen rasenden Eifer sich meinerseits die Benennung »Robespierre« erwarb. Ich konnte mich glücklicherweise, trotzdem auch ich an die Spitze dieser Unternehmung gestellt war, seinem Terrorismus entziehen, da ich genügend durch Anfertigung einer großen Komposition, welche ich für die Festaufführung zugesagt hatte, in Anspruch genommen war. Mir war nämlich die Aufgabe zugeteilt worden, ein größeres Stück für reinen Männergesang, welches möglichst die Zeit einer halben Stunde ausfüllen sollte, zu schreiben. Ich erwog, daß die ermüdende Monotonie des Männergesangs, welche selbst das Orchester nur wenig erfrischen sollte, einzig durch Anwendung dramatischer Motive erträglich zu machen war, und entwarf daher eine größere Chorszene, zu welcher ich das Pfingstmahl der Apostel mit[270] der Ausgießung des Heiligen Geistes in der Weise ausführte, daß das Ganze, mit völliger Umgehung wirklicher Solopartien, einzig nur von verschieden gegliederten Chormassen, wie der Zweck es erforderte, auszuführen war. Es entstand hieraus mein in neuerer Zeit hie und da zur Verbreitung gelangtes »Liebesmahl der Apostel«, welches ich, da ich es in einer gegebenen Zeit unter allen Umständen zu liefern hatte, gern unter die Rubrik der Gelegenheitskompositionen zu reihen erlaube. Nicht unerfreut blieb ich jedoch durch den Erfolg dieser Arbeit namentlich in den Proben, welche die Dresdener Sängerchöre allein unter meiner Leitung davon hielten. Als sich dann in der Frauenkirche, wo die Aufführung stattfand, aus ganz Sachsen 1200 nominelle Sänger zum Zwecke des Vortrages meiner Komposition um mich scharten, überraschte mich dagegen die unverhältnismäßig geringe Wirkung, welche aus diesem unermeßlichen menschlichen Körpergewirr an mein Ohr schlug, und die hierbei gemachten Wahrnehmungen von dem Törigen solcher massenhaften Gesangsunternehmungen erweckten in mir für alle Zukunft einen entschiedenen Widerwillen gegen ein Befassen mit ähnlichem. –

Die Dresdener Liedertafel gelang es mir nur mit großer Mühe mir wieder vom Hals zu schaffen, was mir erst glückte, als ich dem Professor Löwe einen neuen Ehrgeizigen in der Person des Herrn Ferdinand Hiller zuführen konnte. Die glorreichste Tat, die ich im Verein mit dieser Gesellschaft vollbrachte, die endlich bewerkstelligte Übersiedelung der Asche Webers, welche allerdings noch zuvor erfolgte, werde ich später berühren. Jetzt sei nur noch einer andren Gelegenheitskomposition gedacht, zu welcher ich offiziell als Königlicher Kapellmeister veranlaßt wurde. Am 7. Juni dieses Jahres (1843) wurde nämlich mit entsprechender Festlichkeit das von Rietschel ausgeführte Monument für den König Friedrich August im Dresdener Zwinger enthüllt, und mir war, neben Mendelssohn, die Auszeichnung des Auftrags der Komposition eines Festgesanges sowie die Leitung der musikalischen Festaufführung zuteil geworden. Ich hatte einen einfachen Männergesang mit bescheidener Tendenz zustande gebracht, während Mendelssohn die kompliziertere Aufgabe zugefallen war, in dem von ihm zu komponierenden Männerchor noch das God save the King, auf sächsisch: »Heil Dir im Rautenkranz«, einzuweben. Er hatte dies durch ein kontrapunktisches Kunststück in der Weise bewerkstelligt, daß von den ersten acht Takten seiner Original-Melodie ab eine Blechmusik gleichzeitig das angelsächsische Volkslied blies. Mein einfacher Gesang scheint sich aus der Ferne ganz artig ausgenommen zu haben, wogegen ich erfuhr, daß der Effekt der gewagten Mendelssohnschen Kombination gänzlich verfehlt war, da niemand verstanden hatte, warum die Sänger nicht dasselbe gesungen hätten, was die Blechmusik blies. Mendelssohn, der selbst zugegen gewesen war, hinterließ mir jedoch schriftlich die Bezeigung seines Dankes für die sorgfältig von mir angeordnete Ausführung seiner Komposition; auch erhielt ich seitens des hohen Komitees der Festlichkeit eine dem Werte meines[271] Männergesangsstückes vermutlich entsprechende goldene Tabatiere, auf welcher sich zu meiner Überraschung ein Jagdstück so unvorsichtig graviert fand, daß an mehreren Stellen das Metall davon durchbrochen war.

Unter allen diesen Zerstreuungen einer neuen und stark veränderten Lebenslage beschäftigte es mich, gegen diese Eindrücke, meiner innersten Erfahrung vom Wesen meiner Erfolge gemäß, mich zu sammeln und festzustellen. Schon im Mai, an meinem 30. Geburtstage, hatte ich die Dichtung des »Venusberges«, wie ich damals den »Tannhäuser« noch betitelte, vollendet. Zu wirklichen Studien über mittelalterliche Poesie war ich um jene Zeit allerdings noch nicht gelangt: die klassische Seite der mittelalterlichen Dichtungsart war mir nur noch aus meinen Jugenderinnerungen sowie aus der flüchtig anregenden Bekanntschaft damit, welche ich zuletzt durch Lehrs' Mitteilungen in Paris gewonnen hatte, unklar aufgegangen. Die Gründung eines dauernden häuslichen Herdes, welche unter dem Schutze der lebenslänglichen königlichen Anstellung nun vor sich gehen sollte, gewann für mich namentlich große Bedeutung durch die Hoffnung, daß es mir nun möglich werden würde, die bisher durch das Theaterleben und das Elend meiner Pariser Jahre fast gänzlich unterbrochenen ernsteren Studien nach einem sicheren und fruchtbringenden Plane aufnehmen zu können. In dieser Annahme wurde ich auch durch den Charakter meiner offiziellen Beschäftigungen bestärkt, da wirkliche Überhäufung von dieser Seite her nie eintrat und ich von der Generaldirektion in diesem Betreff ausnahmsweise rücksichtsvoll behandelt wurde. Nur seit wenigen Monaten erst angestellt, ward mir bereits in diesem ersten Sommer ein Erholungsurlaub zugestanden, welchen ich zu einem abermaligen Aufenthalte in dem liebgewonnenen Teplitz, wohin ich meine Frau bereits vorausgeschickt hatte, verwendete.

Mit vollem Behagen empfand ich die seit dem vergangenen Jahre stattgefundene günstige Veränderung meiner Lage, indem ich in demselben Hause, in welchem ich damals bereits mich eng beholfen hatte, in der »Eiche« zu Schönau, diesmal vier geräumige Zimmer mit möglichster Bequemlichkeit bezog. Meine Schwester Klara stellte sich, von uns eingeladen, dort zum Besuche ein; auch meine gute Mutter, die ihrer gichtischen Affektionen wegen alljährlich die Bäder von Teplitz anwendete, fand sich wiederum mit uns zusammen. Ich selbst benutzte diese Zeit zum Genuß eines Mineralwassers, durch welches ich auf meine seit dem Pariser Leben oft mich störenden Unterleibsbeschwerden günstig zu wirken hoffte. Leider verspürte ich von dieser Kur das Gegenteil; und als ich über die entstandene, peinigende Aufgeregtheit mich beklagte, erfuhr ich allerdings, daß ich nicht zum Gebrauch einer Brunnenkur gemacht war: man hatte mich nämlich auf meinen Morgenpromenaden, während ich mein Wasser trank, im ungestümsten Gang durch die Laubwege des nahe gelegenen Thurnischen Gartens dahinjagend beobachtet und gab mir zu verstehen, daß solch eine Kur nur bei gemächlichster Ruhe und behaglichstem Schlendern gedeihlich wirken[272] könnte. Außerdem bemerkte man, daß ich immer ein ziemlich starkes Buch mit mir herumtrug, mit welchem ich an einsamen Orten neben der Mineralwasserflasche ausruhte. Dies war J. Grimms »Deutsche Mythologie«. Wer dieses Werk kennt, kann begreifen, wie sein ungemein reicher, von jeder Seite her angehäufter und fast nur für den Forscher berechneter Inhalt auf mich, der ich überall nach bestimmten, deutlich sich ausdrückenden Gestalten verlangte, zunächst aufregend wirkte. Aus den dürftigsten Bruchstücken einer untergegangenen Welt, von welcher fast gar keine plastisch erkennbaren Denkmale übrigblieben, fand ich hier einen wirren Bau ausgeführt, der auf den ersten Anblick durchaus nur einem rauhen, von ärmlichem Gestrüpp durchflochtenen Geklüfte glich. Nach keiner Seite hin etwas Fertiges, nur irgendwie einer architektonischen Linie Gleichendes antreffend, fühlte ich mich oft versucht, die trostlose Mühe, hieraus mir etwas aufzubauen, aufzugeben. Und doch war ich durch wunderbaren Zauber festgebannt: die dürftigste Überlieferung sprach urheimatlich zu mir, und bald war mein ganzes Empfindungswesen von Vorstellungen eingenommen, welche sich immer deutlicher in mir zur Ahnung des Wiedergewinnes eines längst verlorenen und stets wieder gesuchten Bewußtseins gestalteten. Vor meiner Seele baute sich bald eine Welt von Gestalten auf, welche sich wiederum so unerwartet plastisch und urverwandt kenntlich zeigten, daß ich, als ich sie deutlich vor mir sah und ihre Sprache in mir hörte, endlich nicht begreifen konnte, woher gerade diese fast greifbare Vertrautheit und Sicherheit ihres Gebarens kam. Ich kann den Erfolg hiervon auf meine innere Seelenstimmung nicht anders als mit einer vollständigen Neugeburt bezeichnen, und wie wir an den Kindern die berauschende Freude am jugendlich ersten, neuen, blitzschnellen Erkennen mit Rührung bewundern, so strahlte mein eigener Blick vom Entzücken über ein ähnliches, wie durch Wunder mir ankommendes Erkennen einer Welt, in welcher ich bisher nur ahnungsvoll blind wie das Kind im Mutterschoße mich gefühlt hatte.

Die Wirkung hiervon kam zunächst meiner Absicht, schon etwas von der Musik des »Tannhäusers« zu entwerfen, nicht sonderlich zustatten; ich hatte mir ein Klavier in die »Eiche« stellen lassen, zerschlug alle Saiten darauf, dennoch wollte nichts Rechtes herauskommen. Mit Mühe und Not entwarf ich die erste Musik des »Venusberges«, da ich glücklicherweise schon früher die Hauptmotive davon im Kopfe herumgetragen. Dagegen beklagte ich mich viel über Aufgeregtheit und Blutandrang nach dem Gehirn, bildete mir mitunter ein, ich sei krank, und blieb tagelang im Bett, las die deutschen Sagen von Grimm, nahm immer wieder die unbequeme Mythologie vor und war froh, als ich endlich auf den Gedanken kam, durch einen Ausflug nach Prag von allen Plagen meines Zustandes mich freizumachen. Im offenen Wagen legte ich mit meiner Frau, mit welcher ich schon einmal den Milischauer Berg bestiegen hatte, diese angenehme Reise zurück, war wieder im beliebten »Schwarzen Roß«, traf meinen Freund Kittl gehörig dick geworden[273] an, machte Ausflüge, freute mich der alten phantastischen Stadt, erfuhr auch zu meiner Freude, daß meine schönen Jugendgenossinnen, Jenny und Auguste Pachta, wirklich glückliche Heiraten in die allerhöchste Aristokratie gemacht hatten, fand, daß alles vortrefflich war, und wandte mich nun zum Wiederantritt meiner Königlich Sächsischen Kapellmeisterfunktionen nach Dresden zurück.

Hier ging es nun an die Niederlassung, an die Herrichtung und Einrichtung einer geräumigen, hübsch gelegenen Wohnung an der Ostra-Allee mit der Aussicht auf den Zwinger. Alles wurde gründlich und gut angeschafft, wie es sich gehörte, wenn ein dreißigjähriger Mensch sich für sein ganzes Leben endlich dauernd ansiedelt. Da ich von keiner Seite her irgendwelche Entschädigung hierfür erhielt, hatte ich natürlich die nötigen Fonds nur gegen Zinsen aufzunehmen; noch stand ja eigentlich die wahre Ausbeute meines Dresdener Opernerfolges in Aussicht: was war natürlicher, als daß ich alles bald reichlich einbringen würde? Drei Hauptstücke machten mir meine schmucke Kapellmeisterwohnung vor allem wert: ein Breitkopf- und Härtelscher Konzertflügel, den ich mit Stolz mir als Eigentum zu gewinnen verstand; dann über einem stattlichen Schreibpult, welches jetzt im Besitz des Kammermusikers Otto Kummer ist, das Corneliussche Titelblatt zu den Nibelungen in einem schönen gotischen Rahmen – das einzige Stück, welches sich bis auf den heutigen Tag treu mir erhalten hat; vor allem aber ward mein Haus mir innig heimisch durch eine Bibliothek, welche ich sofort, nach dem Plane der mir vorgesetzten Studien durchaus systematisch verfahrend, auf einmal mir anschaffte. Diese Bibliothek ging bei dem Zusammensturz meiner Dresdener Existenz auf sonderbare Weise in den Besitz des Herrn Heinrich Brockhaus über, welchem ich um jene Zeit 500 Taler schuldete und der sie für diese Forderung, von welcher meine Frau keine Ahnung hatte, ohne ihr Wissen pfändete, und nie wurde es mir möglich, diese charakteristische Sammlung von ihm zurückzugewinnen. Am vorzüglichsten war hierin die altdeutsche Literatur vertreten und das ihr zunächst verwandte Mittelalterliche überhaupt, wobei es zur Anschaffung manch kostbaren Werkes, z.B. der seltenen alten Romans des douze pairs kam. Hieran reihten sich die guten Geschichtswerke des Mittelalters sowie des deutschen Volkes überhaupt; zugleich aber sorgte ich für die poetische und klassische Literatur aller Zeiten und Sprachen, worunter ich italienische Dichter und auch den Shakespeare, neben den Franzosen, deren Sprache ich zur Not mächtig war, im Original mir zulegte in der Hoffnung, ich würde Zeit genug finden, die vernachlässigten Sprachen auch noch gründlich zu erlernen. Das griechische und römische Altertum mußte ich mir durch unsere klassisch gewordenen Übersetzungen leichtzumachen suchen, da ich schon am Homer, den ich mir im Griechischen beilegte, gewahr wurde, daß ich neben meiner Kapellmeisterei doch auf etwas zuviel Muße rechnen würde, wenn ich auch für den Wiedergewinn meiner früheren Kenntnis der griechischen[274] Sprache Zeit haben wollte; denn außerdem sorgte ich auf das gründlichste für allgemeines Geschichtsstudium überhaupt und unterließ hierfür nicht mit den bändereichsten Werken mich vorzusehen. So ausgerüstet glaubte ich nun den Widerwärtigkeiten, welchen ich für meinen Beruf und meine Stellung unverhohlen entgegensah, genügend Trotz bieten zu können und zog in der Hoffnung auf einen langen und ruhigen Genuß eines endlich gewonnenen Heimwesens mit bester Laune im Oktober dieses Jahres (1843) in meine, wenn auch durchaus nicht prunkende, aber doch stattliche und solide Kapellmeisterwohnung ein.

Die erste Muße, welche ich neben meinen Berufsgeschäften und meinen von nun an mit großer Liebe betriebenen Studien im Genusse meines neuen Hauswesens gewann, verwendete ich jetzt auf die Komposition des »Tannhäuser«, von welchem der erste Akt im Januar des neuen Jahres 1844 beendigt wurde. Dieser Winter, von dem mir in betreff meiner Dresdener Wirksamkeit wenig prägnante Erinnerung geblieben ist, zeichnete sich hauptsächlich durch zwei auswärtige Unternehmungen aus, von welchen die erste sogleich im Beginn des neuen Jahres mich zu der Aufführung meines »Fliegenden Holländers« nach Berlin, die zweite später im März zu der des »Rienzi« nach Hamburg führte.

Am kenntlichsten sind mir die Eindrücke der ersten Unternehmung geblieben. Ich war ganz unversehens durch die Nachricht des Berliner Theaterintendanten, Herrn von Küstner, von einer bevorstehenden ersten Aufführung des »Fliegenden Holländers« überrascht worden: da das vor ungefähr einem Jahre abgebrannte Opernhaus noch nicht wieder zu Vorstellungen benutzt werden konnte, hatte ich, die Zeit der Wiedereröffnung desselben ruhig abwartend, keinerlei Mahnung wegen meiner Oper nach Berlin abgehen lassen. Infolge der üblen szenischen Darstellung meines Werkes in Dresden und da ich wohl erkannte, von welcher Wichtigkeit meinem dramatischen Seegemälde eine sorgsame und schöne Ausführung der schwierigen szenischen Darstellung sei, hatte ich gerade auf die vorzüglichen Übungen und Bereitschaften der mise-en-scène des Berliner Operntheaters gerechnet und war somit höchst ärgerlich über diese von der Berliner Intendanz beliebte Verwendung meiner Oper als Lückenbüßer für die Vorstellungen in dem auch interimistisch für die Oper benutzten Schauspielhause. Eine Remonstration hiergegen half aber nichts, da man mir nicht etwa anzeigte, daß die Oper einstudiert werden solle, sondern daß sie einstudiert sei und nächster Tage in Szene gehen werde. In dieser Verfügung lag allerdings die Verurteilung meiner Oper zu einer bloß vorübergehenden Erscheinung im Berliner Repertoire ausgedrückt, da nicht vorauszusetzen war, daß man sie für das später zu eröffnende Opernhaus neu in Szene setzen würde. Dagegen machte man mir die Sache dadurch plausibel, daß diese Aufführung des »Fliegenden Holländers« mit einem größeren Gastspiele der Schröder-Devrient, welches um diese Zeit in Berlin begann,[275] in Zusammenhang gebracht wurde, indem man annahm, es müsse mir lieb sein, die große Künstlerin darin auftreten zu sehen. Ich konnte mir somit auch sagen, meine Oper sei als vorübergehende Hilfserscheinung für das Gastspiel der Schröder-Devrient hervorgesucht worden, weil man in betreff ihres Repertoires in Verlegenheit war, welches meist nur aus sogenannten großen, für das Opernhaus reservierten Opern – namentlich auch den Meyerbeerschen – sich zusammenstellte, und man diese eben für eine besonders glänzende Zukunft im neuen Hause sich aufbewahrte. Somit erkannte ich von vornherein, daß mein »Fliegender Holländer« von der Intendanz des Berliner Hoftheaters in die Rubrik der Kapellmeister-Opern mit der Vorausbestimmung des gewohnten Schicksals derselben gestellt worden war. Alle mir und meinem Werke zuteil werdende Behandlung entsprach dieser entmutigenden Annahme. In Hinblick auf die zu verhoffende Mitwirkung der Schröder-Devrient bekämpfte ich aber dieses widrige Vorgefühl und reiste nach Berlin, um nach Kräften für das Gelingen der Aufführung zu wirken. Ich erkannte sofort, daß meine Gegenwart sehr nötig war; am Dirigentenpulte traf ich einen Mann, der sich Kapellmeister Henning (oder Henniger) nannte, einen durch redliche Beobachtung des Anciennetätsgesetzes aus den Reihen der gewöhnlichsten Musiker aufgerückten Funktionär, welcher an und für sich vom Orchesterdirigieren wenig, von meiner Oper aber auch nicht die mindeste Vorstellung hatte. Ich stellte mich selbst an das Pult, dirigierte die Generalprobe und zwei Aufführungen, in welchen jedoch die Schröder-Devrient noch nicht mitwirkte, hatte mich zwar über die schwach besetzten Saiten-Instrumente und den daraus erfolgenden gemeinen Klang des Orchesters viel zu kränken, konnte aber nicht umhin, mit den Darstellern, sowohl was ihre Befähigung als was ihren Eifer betraf, wohl zufrieden, von der vortrefflichen mise-en-scène unter der Leitung des wirklich geistvollen Regisseurs Blum und der Mitwirkung sehr geübter und erfindungsreicher Maschinisten auf das freudigste überrascht zu sein.

Ich war nun sehr begierig zu erfahren, wie diese mich so angenehm ermutigenden Dispositionen durch die endliche Aufführung auf das Berliner Publikum wirken würden. Was ich in diesem Betreff erlebte, war sehr sonderbar. Offenbar galt ich dem zahlreich versammelten Auditorium nur als ein Problem für die Art und Weise, in welcher man mich schlecht finden würde: im Verlaufe des ersten Aktes schien sich die Ansicht dahin zu bestimmen, daß ich unter die Rubrik der Langweiligen gehörte; es rührte sich keine Hand, und später versicherte man mir, das sei ein großes Glück gewesen, weil der mindeste Versuch von Beifall sogleich als bezahlte Parteinahme aufgefaßt und auf das energischste bekämpft worden sein würde. Nur Herr von Küstner versicherte mir späterhin, daß er, trotz dieses immerhin glücklichen Ausbleibens alles Beifalls, die Haltung bewundert hätte, mit welcher ich nach diesem ersten Akte das Orchester verließ und auf der[276] Bühne mich zeigte. Allerdings nicht geneigt, durch mangelnden Beifall, sobald ich mit der Aufführung selbst zufrieden war, mich entmutigen zu lassen, wußte ich aber auch, daß die entscheidende Wirkung meiner Oper erst im zweiten Akte lag, und für dessen guten Ausfall eifrig zu sorgen lag mir mehr am Herzen, als über die Gründe der Haltung des Berliner Publikums nachzudenken. Hier brach denn nun wirklich das Eis; auch das Publikum schien sein Erwägen der mir gebührenden Rubrik aufzugeben und ließ sich zu steigendem Beifall, ja zu lautestem Enthusiasmus am Schlusse des zweiten Aktes hinreißen. Ich führte unter stürmischem Hervorruf auf dem Proszenium den üblichen Dankesreigen mit meinen Sängern aus, und da der dritte Akt zu kurz war, um Langeweile aufkommen zu lassen, auch die szenische Wirkung neu und ergreifend sich herausstellte, konnten wir bei dem wiederholten Beifallsausbruche auch am Schlusse des Werkes nicht anders glauben, als daß wir einen wahrhaften Sieg erfochten hätten. Mendelssohn, welcher um jene Zeit in Berlin mit Meyerbeer zugleich generalmusikdirektionshalber sich aufhielt, hatte der Vorstellung in einer Proszeniumsloge beigewohnt, mit bleichem Gesicht den Vorgang verfolgt und nahte sich mir jetzt, um mit akzentloser Bonhommie mir zuzulispeln: »Nun, Sie können ja zufrieden sein!« Ich sah ihn während der Zeit meines kurzen Aufenthaltes in Berlin mehrere Male, brachte auch einen Abend im Genusse verschiedener Kammermusiken bei ihm zu; nie kam ein weiteres Wort über den »Fliegenden Holländer« über seine Lippen, außer Erkundigungen nach der zweiten Vorstellung, ob die Devrient singen würde oder sonst wer; wogegen ich allerdings auch erfuhr, daß er meine mit aufrichtiger Wärme ihm gemachten Erwähnungen seiner Musik zum Sommernachtstraum, welche damals gleichzeitig häufig gegeben und von mir zum ersten Male gehört wurde, ebenso beachtungslos erwiderte und nur über den Schauspieler Gern, welcher den »Zettel« gab und nach seiner Meinung zu stark auftrug, sich etwas eingehend äußerte. –

Nach wenigen Tagen kam mit derselben Besetzung eine zweite noch von mir dirigierte Aufführung zustande. Was ich an diesem Abende erlebte, war nun aber ungleich sonderbarer als das Frühere. Offenbar hatte ich durch die erste Aufführung einige Freunde gewonnen, welche wiederum zugegen waren, denn nach der Ouvertüre begann man zu applaudieren; dagegen aber wurde stark gezischt, und am ganzen Abend wagte sich kein Applaus mehr hervor. Mein alter Freund Heine war aus Dresden angekommen, um im Auftrage der Direktion die szenische Einrichtung des »Sommernachtstraumes« für unser Theater zu studieren, und hatte dieser zweiten Aufführung beigewohnt. Er hatte mich geworben, die Einladung eines seiner Berliner Verwandten zum gemeinschaftlichen Abendessen nach dieser Aufführung in einer Weinstube unter den Linden anzunehmen. Sehr erschöpft folgte ich dorthin in ein garstiges, schlecht erleuchtetes Lokal, trank den eingeschenkten Wein, um mich zu erwärmen, mit hastigem Unmut hinunter,[277] hörte die verlegenen Gespräche meines gutmütigen Freundes und seines Begleiters an und stierte vor mich hin auf die Tageszeitungen, in welchen ich die Rezensionen der ersten Aufführung meines »Fliegenden Holländers«, wie sie an eben diesem Tage erschienen waren, zu lesen volle Muße hatte. Ein häßliches Weh durchschnitt mein Herz, als ich diesen nichtswürdigen Ton und diese beispiellose Unverschämtheit der wütendsten Ignoranz, zum ersten Male mit meinem Namen und meinem Werke sich befassend, kennenlernte. Unser Berliner Gastfreund, ein breiter Philister, sagte: Das habe er gewußt, wie es heute im Theater stehen würde, nachdem er am Morgen diese Rezensionen bereits gelesen; erst warte der Berliner ab, was Rellstab und Genossen sagten, und dann wüßte er, wie er sich zu benehmen hätte. Der sonderbare Mann wollte mich nun durchaus aufheitern und schaffte eine Weinsorte nach der andern herbei; Freund Heine suchte Erinnerungen an die Freuden unsrer Dresdener »Rienzi«zeit hervor; schwankend, mit wüstem Kopfe, ward ich endlich von beiden nach meinem Gasthof heimbegleitet. Es war Mitternacht geworden. Als mir vom Kellner in dunklen Gängen nach meinem Zimmer hingeleuchtet wurde, stellte sich mir ein Herr in schwarzer Kleidung mit blassem, feinem Gesichte entgegen, welcher erklärte, mich zu sprechen zu wünschen. Er versicherte, bereits seit dem Ende der heutigen Vorstellung auf mich gewartet und in dem Entschlusse, jedenfalls mich noch zu sprechen, bis jetzt ausgeharrt zu haben. Ich entschuldigte mich, zu jeder Art von Geschäft untauglich zu sein, da, wie er bemerken könnte, ich, ohne gerade der Heiterkeit mich hinzugeben, unvorsichtigerweise etwas zuviel Wein getrunken hätte. Ich brachte dies mit stammelnder Stimme hervor; um so weniger ließ mein sonderbarer Besuch sich von mir zurückweisen; er begleitete mich auf mein Zimmer und erklärte, gerade jetzt nötiger als je mit mir zu sprechen zu haben. Wir setzten uns in der kalten Stube beim dürftigen Scheine einer Kerze nieder, und er eröffnete mir nun in sehr fließender, eindringlicher Rede, daß auch er der heutigen Aufführung des »Fliegenden Holländers« beigewohnt habe und wohl begreifen könne, in welche Stimmung das heute Erlebte mich versetzt haben müsse; eben deshalb habe er sich durch nichts abhalten lassen, mich heute noch zu sprechen, um mir zu sagen, daß ich mit dem »Fliegenden Holländer« ein unerhörtes Meisterwerk geschrieben hätte, und daß es übel wäre, wenn ich von diesem Abende an, wo er durch die Bekanntschaft mit diesem Werke eine neue und ungeahnte Hoffnung für die Zukunft der deutschen Kunst gefaßt habe, dem mindesten Gefühle der Entmutigung durch die nichtswürdige Aufnahme, welche ich vor dem Berliner Publikum gefunden, nachgeben würde. Mir standen die Haare zu Berge: ein Hoffmannsches Phantasiestück war leibhaftig in mein Leben getreten; ich konnte nichts hervorbringen, als noch nach dem Namen meines Besuchs zu fragen, worüber er verwundert schien, da ich mich tags zuvor doch schon bei Mendelssohn mit ihm unterhalten habe: eben dort sei ihm meine Unterhaltung[278] und mein Benehmen sehr aufgefallen; er habe plötzlich bereut, seinem Widerwillen gegen Opern durch Nichtbesuch der ersten Aufführung des »Fliegenden Holländers« nachgegeben zu haben, und habe sich gelobt, die zweite nicht zu versäumen; er sei Professor Werder. Das galt mir für nichts; er mußte mir seinen Namen aufschreiben. Er suchte Papier und Tinte, erfüllte meinen Wunsch und schied von mir, der ich nun besinnungslos zu einem tiefen kräftigen Schlaf mich ins Bett warf. Am andren Morgen war ich frisch und gesund, empfahl mich noch der Schröder-Devrient, welche mit nächstem dem »Fliegenden Holländer« noch beizukommen versprach, erhielt meine 100 Dukaten Honorar und reiste über Leipzig, wo ich mit meinen Dukaten die während meiner erwartungsvollen ersten Dresdener Periode zum notdürftigsten Unterhalt von meinen Verwandten mir gemachten Vorschüsse zurückerstattete, nach Dresden zurück, um mich bei meinen Büchern wieder wohlzufühlen und dem großen Eindrucke des Werderschen Nachtbesuches nachzusinnen.

Eine wirkliche Einladung erhielt ich noch vor Ende des gleichen Winters nach Hamburg zur Aufführung des »Rienzi« durch den unternehmenden Direktor Cornet, welcher, wie er mir gestand, gegen eine mißliche Wendung seiner Theaterführung anzukämpfen hatte und eines großen Erfolges bedurfte, den er sich vom »Rienzi«, nachdem er ihn in Dresden gehört, erwarten zu dürfen glaubte. So begab ich mich im März dahin auf die Reise, welche um diese Zeit noch ziemlich beschwerlich war, da sie von Hannover aus noch mit Post und vermöge eines nicht gefahrlosen Überganges über die eistreibende Elbe zurückgelegt werden mußte. Die Stadt Hamburg war infolge des großen Brandes in ihrem Wiederaufbau begriffen und zeigte noch große mit Trümmern bedeckte Flächen in ihrer Mitte. Kälte und ein stets bedeckter Himmel machten mir die spätere Erinnerung an meinen etwas längeren Aufenthalt daselbst zu einer fast nur widerwärtigen. Ich quälte mich in den Proben mit schlecht bestellten, nur auf den gemeinsten Theaterflitter berechneten Mitteln in der Weise ab, daß ich, erschöpft und steten Erkältungen ausgesetzt, meine Ruhezeit fast nur im einsamen Gasthofzimmer zubrachte. Meine frühesten Erfahrungen von übel begründetem, seichtem Theaterwesen traten von neuem an mich heran. Besonders niederdrückend war es mir, gewahr zu werden, daß ich in das Interesse der niedrigsten Tendenzen des Direktors Cornet als unbewußter Mitschuldiger gezogen war. Er hatte es durchaus nur auf ein gemeinsames Verblüffen abgesehen, und mir sollte der Erfolg davon seiner Meinung nach gut bekommen, indem er mich, neben einem geringeren Honorar, auf zukünftige Tantiemen verwies. Die Würde der szenischen Ausstattung, wie er sie seinerseits auch gar nicht begriff, wurde vollständig dem lächerlichsten Flitterschein aufgeopfert, und durch vielerlei Aufzüge, zu welchen er die Kostüme von allen vorrätigen Feenballetts verwendete, glaubte er, wenn sie nur recht bunt aussähen und recht viel Menschen dabei über die Szene zögen, das[279] Hauptsächlichste zu meinem Erfolge zu liefern. Das Traurigste war der Sänger der Titelrolle, ein älterer, schwammiger, stimmloser Tenorist, Herr Wurda, welcher den Rienzi mit dem Ausdruck seiner Lieblingspartie, des »Elvino« in der »Somnambula«, sang. Er war so unausstehlich, daß ich auf den Einfall geriet, bereits im zweiten Akte das Kapitol zusammenbrechen zu lassen, um ihn in dessen Trümmern zu begraben, womit allerdings auch verschiedene dem Direktor an das Herz gewachsene Aufzüge verlorengegangen wären. Eine einzige Sängerin machte mir Hoffnung und erfreute mich durch vieles Feuer in der Rolle des »Adriano«; es war dies eine Mme Fehringer, welche später, als sie bereits untergegangen war, von Liszt noch als »Ortrud« für den »Lohengrin« in Weimar verwendet wurde. Nichts Jammervolleres als dieses mein Befassen gerade mit dieser meiner Oper und unter diesen Umständen. Ein äußerer Mißerfolg war jedoch eigentlich nicht bemerklich; der Direktor hoffte jedenfalls den »Rienzi« so lange auf dem Repertoire zu halten, bis Tichatschek kommen und den Hamburgern den richtigen Begriff davon beibringen würde, was auch wirklich im folgenden Sommer vor sich ging.

Herr Cornet bemerkte meine Niedergeschlagenheit und üble Laune, und da er herausbrachte, daß ich meiner Frau einen Papagei zu schenken wünschte, wußte er es zu veranstalten, daß ein sehr liebenswürdiges Exemplar dieser Vogelgattung für mich als Benefiz abfiel. Ich führte ihn in seinem engen Käfig auf der traurigen Rückreise mit mir und war sehr gerührt, als ich bemerkte, daß er meine Sorgfalt für ihn mit schnell erklärter großer Anhänglichkeit an mich erwiderte. Minna empfing mich infolgedessen mit großer Freude, denn an diesem schönen grauen Papagei ward es doch ersichtlich, daß ich es in der Welt zu etwas bringen sollte. Zu einem sehr hübschen Hündchen, welches am Tage der ersten Probe des »Rienzi« in Dresden bei unsrer Hauswirtin zur Welt gekommen war und welches wegen seiner leidenschaftlichen Anhänglichkeit an mich und um sonstiger auffallender Eigenschaften willen von allen, welche in jenen Jahren mich und mein Haus kannten, vorzüglich beachtet worden ist, kam nun noch dieser gemütliche Vogel, welcher keinerlei Unarten besaß und sehr gelehrig war, um unsre Wohnung statt der fehlenden Kinder zu beleben. Meine Frau lehrte ihn bald ein Hauptstückchen aus »Rienzi«, mit welchem der freundliche Vogel mich stets schon aus der Ferne begrüßte, wenn er mich auf der Treppe kommen hörte.

So schien denn mein häuslicher Herd ganz nach Möglichkeit zum gemütlichen Auskommen hergerichtet.

Weitere Ausflüge zu Aufführungen meiner Opern fanden nun aber nicht mehr statt, vor allem aus dem Grunde, weil es von jetzt an nicht mehr zu einer solchen Aufführung kam. Da ich wohl merkte, daß es mit der Verbreitung meiner Werke über die Theater ganz besonders langsam vorwärtsgehe, glaubte ich die Schuld hiervon auch dem beimessen zu müssen, daß[280] noch keine Klavierauszüge von meinen Opern zu ihrer Verbreitung beigetragen hatten. Ich vermeinte daher gut zu tun, wenn ich um jeden Preis die Veröffentlichung derselben jetzt energisch betriebe. Um mir zu gleicher Zeit den notwendig noch verhofften Gewinn hieraus zu versichern, kam ich auf den Gedanken, sie auf meine eignen Kosten herauszugeben. Ich nahm deshalb mit dem Dresdener Hofmusikalienhändler F. Meser, welcher es bis dahin noch nie über die Herausgabe eines Tanzes gebracht hatte, die nötige Verabredung und bedang mit ihm kontraktlich, daß er mit seiner Firma als Scheinverleger meiner Opern eintreten sollte, wogegen er in Wahrheit nur die Verlagskommission davon gegen einen Gewinn von zehn Prozent zu übernehmen und ich die Kapitalien zur Bestreitung der Kosten zu beschaffen hätte. Da es sich um die Herausgabe zweier Opern, unter denen ein so ausnahmsweise umfangreiches Werk wie der »Rienzi« sich befand, handelte und der Vertrieb nur dann rentabel zu werden versprechen konnte, wenn außer der gewöhnlichen Klavierauszüge auch andre Arrangements, wie solche ohne Worte, zu zwei und vier Händen, veröffentlicht würden, so stellte sich heraus, daß es hierzu ziemlich bedeutender Kapitalien bedürfe. Um also zu den Einnahmen zu gelangen, welcher ich zur Wiederherstellung der bereits erwähnten, zur Erledigung älterer Verpflichtungen und zur Bestreitung meiner Niederlassung aufgenommenen Summen bedurfte, mußte ich nun erst nach viel größeren Geldmitteln mich noch umsehen. Der Schröder-Devrient, welche um jene Zeit (zu Ostern 1844) zum Antritt eines neuen Engagements wieder nach Dresden zurückkehrte, teilte ich mein Vorhaben und dessen Motive mit. Sie glaubte an die Zukunft meiner Werke, erkannte das Besondre meiner Lage sowie die Richtigkeit meiner Berechnungen und erklärte, ohne darin irgendein Opfer ersehen zu wollen, ihre Bereitwilligkeit, zur Herausgabe meiner Opern die nötigen Kapitalien von ihrem eignen, in polnischen Staatspapieren angelegten Vermögen gegen die entsprechende Verzinsung zur Verfügung zu stellen. Dies ging so einfach vor sich und schien sich so ganz von selbst zu verstehen, daß ich nun sofort mit einem Leipziger Graveur die nötigen Übereinkünfte treffen und die Herausgabe meiner Opern in Angriff nehmen ließ.

Als die in unsrem Auftrage gelieferten Arbeiten bereits zu bedeutenden Ansprüchen auf Zahlungen geführt hatten, meldete ich mich nun bei meiner Freundin um einen ersten Kapital-Vorschuß. Hier traf ich aber jetzt auf eine neue Lebensphase der berühmten Frau, welche zu einer durchaus unerwarteten und für mich höchst verderblichen Situation führte. Nachdem sie mit jenem unglücklichen Herrn von Münchhausen bereits seit länger gänzlich gebrochen hatte und, wie es schien, mit reumütiger Wärme in ihr früheres Verhältnis zu meinem Freunde Hermann Müller zurück gekehrt war, ergab es sich nun, daß sie für ihr Bedürfnis durch diese neue Anknüpfung keine eigentliche Befriedigung fand. Dagegen ging ihr in einem neuen Gardeleutnant, Herrn von Döring, der eigentlich ersehnte Stern[281] ihres Lebens auf; denn mit einem Ungestüm, in welchem ihr das verräterischeste Benehmen gegen ihren älteren Freund grauenhaft leichtfiel, erwählte sie sich diesen schlanken jungen Mann, dessen moralische und intellektuelle Mißbeschaffenheit aller Welt offenlag, zum beabsichtigten Liebesschlußstein ihres Lebens. Dieser betrachtete das ihm gewordene Glück auch mit solchem Ernst, daß er keinerlei Scherz dabei verstand und vor allen Dingen sich des Vermögens seiner zukünftigen Gattin bemächtigte, da er fand, daß es sehr unvorteilhaft und unsicher angelegt sei und er bei weitem ergiebigere Wege hierfür kenne. Meine Freundin eröffnete mir unter großen Peinen und verlegenen Erklärungen, daß sie über ihre Kapitalien sich der Verfügung begeben habe und außerstande sei, ihr mir gegebenes Versprechen zu erfüllen. – Mit dieser Wendung trat ich in einen Kreis von Verwirrungen und Nöten, welche von da ab unablässig mein Leben beherrschten und mich in Sorgen stürzten, die allen meinen Unternehmungen ein trauriges Merkmal aufdrückten. Es war zunächst ersichtlich, daß ich das Unternehmen nicht mehr rückgängig machen konnte; eine befriedigende Lösung der bereits entstandenen Verwirrung war immer nur noch in der Durchführung des Unternehmens und der Versicherung seines Erfolges zu verhoffen. So mußte ich denn darauf bedacht sein, zunächst von Bekannten, endlich in drängenden Fällen aber auf jede Weise, selbst für kurze Termine und gegen Wucherzinsen, die nötigen Gelder zur Fortsetzung der Herausgabe meiner Opern, zu welchen konsequenterweise bald auch noch der »Tannhäuser« kam, aufzutreiben. Diese Andeutung für jetzt, um auf die Katastrophen vorzubereiten, denen ich so unaufhaltsam entgegenging.

Anfänglich verdeckte sich immerhin noch das Hoffnungslose meiner Lage, da an der endlichen Verbreitung meiner Opern über die deutschen Theater, mit der es ja allen Erfahrungen von dem Zustande des deutschen Theaterwesens nach nur langsam vor sich gehen konnte, doch keineswegs zu verzweifeln war. Neben den widrigen Erfahrungen von Berlin und Hamburg kam auch manches ermutigende Anzeichen auf. Vor allem erhielt sich in Dresden der »Rienzi« stets in vollster Gunst des Publikums, welches namentlich in den Sommermonaten durch die zahlreichen, von aller Welt her Dresden durchreisenden Besucher eine unleugbar größere Bedeutung annahm. Meine Oper, die sonst noch nirgends zu hören war, wurde von den Fremden aller deutschen und außerdeutschen Länder angelegentlich verlangt und stets mit merklich überraschender Befriedigung von ihnen aufgenommen, so daß eine Aufführung des »Rienzi«, namentlich auch eben im Sommer, stets einer berauschenden Festlichkeit glich, deren Wirkung nur ermutigend auf mich sein konnte.

Unter solchen Durchreisenden hatte sich dereinst auch Liszt befunden. Da der »Rienzi« zur Zeit seiner Ankunft nicht auf dem Repertoire stand, hatte er durch seine eindringliche Bitte die Generaldirektion zur Anordnung einer besonderen Aufführung desselben vermocht. Ich traf ihn während der[282] Vorstellung in der Garderobe Tichatscheks und ward durch seine in bestimmtester Fassung kundgegebene, fast verwunderungsvolle Anerkennung auf das herzlichste erwärmt und gerührt. Brachte es auch der eigentümliche Lebenszug, in welchem sich Liszt damals befand und der ihn in steter Umgebung zerstreuender und aufregender Elemente erhielt, mit sich, daß es bei dieser Gelegenheit noch zu keiner ergiebigeren Annäherung zwischen uns kam, so erhielt ich doch von nun an stets sich mehrende Zeugnisse für den nachhaltigen Ernst des Eindruckes, welchen ich auf ihn gemacht hatte, sowie der energischen Teilnahme, mit welcher er diesen festhielt, da bald aus dieser, bald aus jener Weltgegend, wohin seine fortdauernden Triumphzüge ihn führten, meist den höheren Kreisen angehörige Menschen mir zukamen, welche den »Rienzi« in Dresden zu hören verlangten, da sie durch die Mitteilungen Liszts hierüber, auch wohl durch sein Vorspiel einzelner Stücke daraus, in dem Sinne auf mein Werk hingewiesen worden waren, daß sie etwas unerhört Bedeutendes sich davon erwarteten. – Zu diesen Kundgebungen der enthusiastischen Freundesteilnahme Liszts kamen andere innig berührende Annäherungen. Der überraschenden Eröffnung durch den nächtlichen Besuch Werders nach jener zweiten Berliner Aufführung des »Fliegenden Holländers« folgte, in einem schönen Zusammenhange hiermit, nach kurzer Zeit der briefliche Erguß einer ebenfalls vollständig Unbekannten, der seitdem mir zur treuen Freundin gewonnenen Alwine Frommann. Sie hatte nach meinem Fortgang von Berlin noch die Schröder-Devrient zweimal im »Fliegenden Holländer« gehört, und der Brief, in welchem sie sich über den Eindruck meines Werkes auf sie aussprach, teilte mir zum ersten Male die energischen und innigen Empfindungen einer gläubigen und großen Anerkennung mit, wie sie auch dem größten Meister stets nur selten und dann nicht ohne bedeutenden Einfluß auf sein Gemüt und seine des Glaubens an sich selbst bedürftige Seele vorkommen werden.

Von meinen Leistungen in dem mir allmählich gewohnter werdenden Wirkungskreise während dieses verflossenen ersten Jahres meiner Kapellmeisteranstellung ist mir keine besonders anregende Erinnerung verblieben. Zur Feier des Antrittes meiner Funktionen war mir, gewissermaßen als Auszeichnung, die Glucksche »Armida« übergeben worden, welche noch im März 1843, vor dem zeitweiligen Fortgang der Schröder-Devrient, mit ihr zur Darstellung kam. Auf diese Aufführung wurde ein besonderes Gewicht aus dem Grunde gelegt, daß ganz gleichzeitig Meyerbeer seine Funktionen als Generalmusikdirektor in Berlin mit der Aufführung desselben Werkes antrat. Namentlich von Berlin her stammte der ganz besondere Respekt vor einer solchen auf Gluck bezüglichen Unternehmung; man erzählte mir, daß Meyerbeer mit der Partitur der »Armide« zu Rellstab gegangen sei, um von diesem sich die Anleitung zur rechten Auffassung derselben erteilen zu lassen. Da ich bald darauf auch eine sonderbare Geschichte[283] von zwei silbernen Armleuchtern erfuhr, mit welchen der berühmte Komponist seinerseits die Partitur zum »Feldlager in Schlesien« dem nicht minder berühmten Rezensenten beleuchtet haben sollte, geriet ich dahin, auf die für die »Armide« von ihm erhaltene Belehrung keinen auch für mich gültigen Wert zu legen, und half mir ganz für mich selbst durch sorgsames Befühlen der steifen Partitur, welcher ich durch möglichst bewegliche Vortragsnuancierungen einige Weichheit beizubringen suchte. Meiner Auffassung gewann ich später die Genugtuung der auffallend warmen Anerkennung von seiten eines vorzüglichen Gluckkenners, des Herrn Eduard Devrient, welcher, als er die Oper bei uns hörte und sie mit der Aufführung in Berlin verglich, auf das lebhafteste die zarte Beweglichkeit unseres Vortrags von Stücken rühmte, welche dort in rohester Plumpheit zutage gefördert worden waren. Namentlich fiel ihm ein kleiner Chor der männlichen und weiblichen Nymphen des dritten Aktes (in C-dur) auf, welchem ich durch ein gemäßigtes Tempo und ein vorzüglich zartes Piano die antike Grobheit benommen hatte, in welcher Devrient (vermutlich in historischer Treue) ihn in Berlin gehört hatte. Mein unschuldigstes Mittel, welches ich häufig anwandte, um die peinigende Steifheit der Orchesterbewegung des Originals zu brechen, war eine sorgsame Modifikation des in unaufhörlicher Viertelbewegung sich ergehenden »Bassocontinuo«, wo dann teils legato-, teils pizzicato-Spiel am meisten aushelfen mußte. Die Direktion hatte viel auf das Äußere, namentlich die Dekorationen verwandt, und das Werk machte als Spektakeloper ziemlich gute Häuser, was mir, da die ungleich edlere »Iphigenia in Tauris« trotz der bewundernswürdigen Leistung der Schröder-Devrient in dieser Rolle nur leere Häuser erzielt hatte, den Ruf eines besonders für Gluck organisierten und gar ihm nahestehenden Dirigenten einbrachte.

Von diesem Ruhme hatte ich längere Zeit zu zehren, da nun sehr häufig gemeine Repertoire-Aufführungen auch Mozartscher Opern unter meiner notgedrungenen Direktion zum Vorschein kamen, deren gewöhnlichere Tendenz denjenigen besonders unangenehm auffiel, welche, eben nach meiner Leistung in der »Armide«, auch zu diesen Aufführungen unter meiner Leitung sich jetzt mit besonderer Hoffnung wandten und daher übel davon betroffen wurden. Selbst mir befreundete Zuhörer brachte dies auf die Vermutung, ich mache mir nichts aus Mozart und verstünde ihn nicht, da sie nicht beachteten, wie es mir ganz unmöglich war, auf solche gelegentlich eingestreute Aufführungen, zu welchen ich als Dirigent eben nur aushilfsweise, oft ohne Probe eintrat, keinen Einfluß üben konnte. Allerdings fand auch ich hierbei mich oft in einer schiefen Stellung, welche, da ich ihrer Berichtigung eben in keiner Weise beikommen konnte, nicht wenig dazu beitrug, mein neues Amt und meine Abhängigkeit von den gemeinsten Rücksichten einer trivialen Theaterroutine bei überhäufter Geschäftsführung mir unerträglicher zu machen, als ich es trotz der bereits im voraus[284] mir eignen klaren Einsicht in das Mißliche meines Wirkungskreises erwartet hatte. Mein Kollege Reissiger, dem ich mitunter meine Klagen darüber mitteilte, daß von seiten der Generaldirektion so wenig Berücksichtigung unserer Forderungen für die Aufrechterhaltung korrekter Leistungen im Gebiete der Oper zu erhalten sei, tröstete mich damit, daß ich mit der Zeit, gleich ihm, diese Grillen fahren lassen und in das unvermeidliche Kapellmeisterschicksal mich ergeben würde. Dabei schlug er stolz auf seinen Bauch und wünschte mir, an Fülle es ihm bald gleichtun zu können. –

Veranlassung, gegen den hiermit bezeichneten Schlendrian immer empfindlicher zu werden, erhielt ich auch an sonstigen Wahrnehmungen von dem Geiste, mit welchem selbst namhafteste Dirigenten in der Reproduktion unsrer Meisterwerke verfuhren. Noch im ersten Jahre führte eine Einladung hierzu Mendelssohn zur Direktion seines »Paulus« in einem der damals berühmten Palmsonntags-Konzerte der Dresdener Kapelle zu uns. Die Bekanntschaft mit diesem Werke, welche ich bei dieser Gelegenheit in recht empfehlender Weise machte, wirkte so angenehm auf mich, daß ich bei dieser Gelegenheit von neuem Mendelssohn mich warm und hingebend zu nähern suchte. Eine eigentümliche Unterhaltung, welche ich noch am gleichen Abend dieser Aufführung mit ihm hatte, drängte diesen Zug in sonderbarer Weise schnell in mir wieder zurück. Nach dem Oratorium führte Reissiger nämlich noch die Achte Symphonie von Beethoven auf. In der vorangehenden Probe hatte ich bemerkt, daß Reissiger in den Fehler aller gewöhnlichen Dirigenten dieses Werkes verfiel und das »Tempo di minuetto« des dritten Satzes in einem gedankenlosen Walzer-Zeitmaß spielen ließ, wodurch nicht nur das ganze Stück seinen imposanten Charakter durchaus verliert, sondern auch das Trio durch die Unmöglichkeit, die Violoncellfigur in solcher Schnelligkeit zu bewältigen, einen vollständig lächerlichen Charakter erhält. Ich hatte mich Reissiger hierüber mitgeteilt; er billigte meine Ansicht und versprach mir, in der Aufführung das von mir ihm bezeichnete wirkliche Menuett-Tempo zu nehmen. Diesen Vorgang erzählte ich Mendelssohn, welcher, von der Direktion seines »Paulus« ausruhend, in der Loge neben mir Platz genommen hatte, um die Symphonie mit anzuhören; er gab mir recht und fand, daß es so sein müßte, wie ich sagte. Nun begann der dritte Satz, und Reissiger, der allerdings nicht die Fähigkeit besaß, eine so einflußreiche Tempoveränderung dem Orchester sofort erfolgreich zu imprimieren, folgte seiner Gewohnheit und nahm das »Tempo di minuetto« vollkommen wieder in der gewohnten Walzer-Bewegung. Eben wollte ich meinen Unmut hierüber bezeigen, als Mendelssohn mir freundlich zunickte in der Meinung, so sei es mir recht und das habe ich verstanden. Ich war über diese vollkommene Gefühllosigkeit von seiten des berühmten Musikers so tief erstaunt, daß ich sprachlos blieb und von nun an meine besondere Meinung über ihn mir ausbildete, eine Meinung, die auch R. Schumann später bestätigte, indem er mir seine wahre Befriedigung[285] über mein Tempo des ersten Satzes der Neunten Symphonie bezeigte, welches er zuvor unter Mendelssohn in Leipzig alljährlich, mit entstellender Übereilung vorgetragen, habe anhören müssen.

Während ich mich so nach den so selten nur sich darbietenden Gelegenheiten, Einfluß auf den Geist der Aufführungen unsrer edlen Meisterwerke zu gewinnen, mich sehnte, hatte ich, wie gesagt, meistens in der tiefen Unbefriedigung mich dahinzuschleppen, welche das Befassen mit dem gewöhnlichen Theaterrepertoire mir verursachte. Erst am Palmsonntag der Ostern 1844, soeben von meiner widerwärtigen Hamburger Expedition zurückgekehrt, gelangte ich dazu, meinem Verlangen durch die Aufführung der Pastoral-Symphonie, welche bei diesem Konzert mir zugeteilt war, zu entsprechen. Noch blieben zwar große Übelstände unerledigt, deren Beseitigung ich mir nun auf schwierigen Umwegen vornehmen mußte. Namentlich war die Aufstellung des Orchesters bei diesen berühmten Konzert-Aufführungen, wo das Orchester in langer dünner Reihe halbkreisförmig den Sängerchor umschloß, so unbegreiflich fehlerhaft, daß es allerdings der von Reissiger hiefür mir angegebenen Gründe bedurfte, um einen solchen Unsinn mir zu er klären. Dieser sagte mir nämlich, daß alle diese Einrichtungen von dem verstorbenen Kapellmeister Morlacchi herrührten, welcher als italienischer Opernkomponist, wie von der Bedeutung, so auch von den Bedürfnissen des Orchesters eben nichts verstanden hätte. Wenn ich nun frug, warum man diesem demnach Verfügungen zu treffen gestattet hätte in Dingen, von denen er nichts verstand, so erfuhr ich, daß von jeher und namentlich auch Carl Maria v. Weber gegenüber die Bevorzugung dieses Italieners von seiten des Hofes und der Generaldirektion unbedingt und gegen sie kein Widerspruch gestattet gewesen sei, und daß wir noch jetzt große Schwierigkeiten haben würden, gegen die hieraus vererbten Fehler uns zu erheben, da höhern Orts fortwährend die Annahme herrsche, jener müßte es am besten verstanden haben. Mir spukte meine Kindererinnerung an den Kastraten Sassaroli wieder durch die Seele und ich gedachte der Ermahnung der Witwe Webers in betreff der Bedeutung meiner Nachfolge Webers im Dresdener Kapellmeisteramt. Trotzdem gelang die Aufführung der Pastoral-Symphonie bereits über alles Erwarten, und der unvergleichliche, wunderbar nährende Genuß, der aus solcher Beschäftigung gerade mit Beethovenschen Werken im Verlaufe mir zuteil werden sollte, ließ mich hier zuerst seine neugebärende Kraft empfinden. Mit mir machte Röckel tief sympathisch dieses Genusses sich teilhaftig; er unterstützte mich bei allen Proben mit Aug und Ohr, immer mir zur Seite, mit mir hörend, mit mir wollend. –

War hier es bereits zu einem erquicklichen Gelingen gekommen, so sollte noch in diesem Sommer mich ein anderes Unternehmen vorzüglich befriedigen, welches zwar keine sehr große musikalische, wohl aber soziale Bedeutung hatte. Der König von Sachsen, für welchen ich schon als »Prinz[286] Friedrich«, wie ich seinerzeit berichtete, eine besondere Zuneigung empfand, wurde von einer größern Reise, die er nach England unternommen, zurückerwartet. Die Berichte über seinen dortigen Aufenthalt hatten mein patriotisches Gefühl besonderlich erfreut. Dem allem Prunk und jeder prahlenden Demonstration gänzlich abholden schlichten Fürsten war es begegnet, daß während der Zeit seines englischen Besuches ganz unerwartet auch der Kaiser Nikolaus in England eintraf, dem zu Ehren große Festlichkeiten und militärische Revuen abgehalten wurden, an welchen unser König sich gegen seine Neigung genötigt fand teilzunehmen und nun es dahinnehmen mußte, mit ersichtlich demonstrativer Tendenz vom Volke durch besonders enthusiastische Akklamationen vor dem den Engländern unsympathischen russischen Zaren ausgezeichnet zu werden. Auch die öffentlichen Blätter hielten diese Tendenz fest, und so wehte dem kleinen Sachsen aus England eine schmeichelnd erwärmende Luft herüber, welche uns mit besonders innig stolzer Freude an unserm König erfüllte. In dieser Stimmung, die auch mich ganz und gar einnahm, erfuhr ich, daß man dem zurückkehrenden Fürsten in Leipzig einen besondern, durch Mendelssohns musikalische Mitwirkung zu verherrlichenden Empfang bereite. Ich frug nach, was man in Dresden zu tun gedenke, und erfuhr, daß der König bei seiner Heimkehr Dresden gar nicht berühren und sogleich auf seinen Sommersitz nach Pillnitz sich wenden werde. Nach schneller Überlegung mußte mir dieser Umstand für meinen Wunsch, dem König eine herzliche Empfangsfreude zu bereiten, günstig erscheinen, da ich als Königlicher Diener einer in Dresden vorgebrachten Huldigung den Anschein einer offiziellen Parade zugezogen hätte, welche wohl unstatthaft dünken mußte. Ich faßte den Gedanken, alles, was blasen und singen konnte, schnell zusammenzuwerben, um mit allen am Morgen nach der Ankunft ein eiligst von mir zu verfertigendes Empfangslied vorzutragen. Nun traf ich auf die besondern Schwierigkeiten, daß mein Generaldirektor Lüttichau auf einem seiner Landgüter abwesend war; mit meinem Kollegen Reissiger mich zu verständigen, hätte außerdem Verzögerung herbeigeführt und das Unternehmen in das eben zu vermeidende Geleis einer offiziellen Ovation geführt. Da keine Zeit zu verlieren war, wenn irgend etwas zustande kommen sollte – denn die Ankunft stand an einem der nächsten Tage bevor –, so nahm ich meine Qualität als Dirigent der Liedertafel zu Hilfe, forderte an ihrer Spitze Sänger und Musiker auf, und lud auch die Mitglieder des Theaters sowie der Kapelle vertraulich ein, sich anzuschließen. Schnell fuhr ich nach Pillnitz, um mit dem fungierenden Hofmarschall, der mein Unternehmen sehr freundlich begünstigte, die nötige Verabredung zu treffen. Während dieser kurzen Hin- und Herfahrt fand ich allein die Zeit, meine Verse zu dichten und in Musik zu setzen, denn nach Haus gekommen mußte ich sogleich schon alles dem Kopisten und Lithographen übergeben können. Die angenehme Hast in der sommerlichen Luft, in der lieblichen Gegend,[287] mit der herzlichen Liebe zu einem deutschen Fürsten, die mir dieses dringende Vorhaben eingab, brachte mich in die erregte Stimmung, in welcher ich die melismischen Formen des Tannhäuser-Marsches fand, welche in diesem Königsgruße sich kenntlich machten, um dann bald die breitere Ausbildung zu gewinnen, durch welche sie mir in jenem Marsche zu meinem bisher populärsten Stücke verhalfen. Bereits andern Tags mußte alles mit 120 Musikern und 300 Sängern probiert werden: ich hatte mir erlaubt, diese ganze Masse auf die Bühne des Hoftheaters zu bestellen; dort ging alles sogleich vortrefflich; alle hatten ihre Freude daran, und ich nicht minder, als ein Bote des Generaldirektors erschien, der plötzlich in die Stadt gekommen war und mich zu einer Besprechung verlangte. Herr v. Lüttichau war über mein eigenmächtiges Verfahren in dieser Angelegenheit, von welcher er noch rechtzeitig durch Freund Reissiger benachrichtigt worden war, über alle Maßen aufgebracht; hätte er seine Freiherrnkrone auf dem Haupte getragen, sie würde ihm bei dieser Gelegenheit heruntergefallen sein. Namentlich daß ich direkt mit einer Hofbehörde unterhandelt hatte und ihm auch berichten mußte, daß meine Unterhandlungen außerordentlich schnell zu einem günstigen Ziel geführt hätten, versetzte ihn in größten Zorn, da seine Wichtigkeit ja darin bestand, alles auf solchen Wegen zu Erreichende als grenzenlos schwierig und umständlich darzustellen. Ich war erbötig, sofort alles abzubestellen: das erschreckte ihn nun wieder; ich fragte, was dann sein Wille sei, wenn es denn doch vor sich gehen sollte: darüber schien er sich nicht klar zu sein, nur fand er es sehr unkollegialisch von mir, daß ich nicht nur ihn, sondern auch Reissiger bei diesem Vorhaben übergangen habe. Ich erklärte mich sogleich bereit, meine Komposition wie die Direktion des Stückes an Reissiger abzutreten: das war ihm nun auch wieder zuviel, denn im ganzen, das wußte ich wohl, machte er sich aus Reissiger nichts. Das unangenehmste war ihm, daß ich die Angelegenheit gerade durch den Hofmarschall von Reitzenstein zustande gebracht hatte, welcher sein persönlicher Feind war: ich wisse gar nicht, was er von diesem oft für Schikanen auszustehen habe. Diese gemütlichen Ergüsse erleichterten es mir, dem bedrängten Hofmann eine fast ungeheuchelte Rührung zu bezeigen, welche denn seinerseits mit einem achselzuckenden Gehenlassen der unangenehmen Geschichte erwidert wurde.

Schlimmer als durch dieses Hofintendanten-Ungewitter sah ich für meine Unternehmung mich aber durch die eingetretene üble Witterung des Himmels selbst bedroht; es regnete den ganzen Tag in Strömen; dauerte dies so fort, zu welcher Befürchtung Grund vorhanden war, so war es fast unmöglich, des andern Morgens um fünf Uhr, wie beabsichtigt war, auf dem besonders von mir gemieteten Dampfschiffe mit meinen Hunderten von Gehilfen zu einer Morgenmusik in dem zwei Stunden entlegenen Pillnitz mich aufzumachen. Mit wahrer Verzweiflung sah ich diesem Unstern entgegen; nur Röckel tröstete mich: ich könne mich darauf verlassen, wir würden[288] morgen den schönsten Tag haben, denn – ich hätte Glück. Diese Versicherung ist mir noch in fernen Zeiten in Erinnerung geblieben, als ich bei dem großen Mißgeschick, welches sich häufig allen meinen Unternehmungen entgegensetzte, jener Behauptung als eines üblen Frevels gedenken mußte. Für diesmal hatte der Freund aber recht: der 12. August 1844 war vom Sonnenaufgang an bis in die späte Nacht der schönste Sommertag, dessen ich mich in meinem Leben erinnern kann. Das Gefühl von wonnigem Behagen, mit welchem ich durch die glückverheißenden Morgennebel meine wohlgemute Legion lustig gestimmter Musiker und Sänger auf dem Dampfschiff sich versammelnd fand, schwellte mir die Brust zu einem innigen Glauben an meinen guten Stern. Meinem freundlichen Ungestüme war es gelungen, Reissigers Schmollen zu überwältigen und ihn zu bestimmen, die Ehre des Unternehmens dadurch mit mir zu teilen, daß er die Aufführung meiner Komposition dirigiere. An Ort und Stelle gelang nun alles vortrefflich; der König und die königliche Familie waren sichtlich sehr gerührt, und in schlimmen späteren Zeiten hat die Königin von Sachsen, wie mir berichtet wurde, dieses Tages und dieses Morgens noch mit besonderer Rührung als der schönsten Zeit ihres Lebens gedacht. Nachdem Reissiger mit großer Würde Takt geschlagen und ich als Tenorist im Chor mitfungiert hatte, wurden wir beiden Kapellmeister in die Nähe der königlichen Familie beschieden, wo der König uns seinen herzlichsten Dank ausdrückte, während die Königin uns die besondere Anerkennung zollte, daß ich sehr gut komponiert und Reissiger sehr gut dirigiert hätte. Der König bat um die Wiederholung der letzten drei Verse, da er andrerseits durch eine schmerzhafte Zahngeschwulst genötigt sei, sich nicht lange mehr im Freien aufzuhalten. Schnell wurde von mir eine kombinierte Evolution entworfen, deren ungemein glückliche Ausführung ich mir noch zum besondern Ruhme anrechne. Ich ließ nämlich das ganze Lied wiederholen, dem Wunsche des Königs gemäß ließ ich aber nur einen Vers in der beibehaltenen halbkreisförmigen Aufstellung ausführen; mit dem zweiten Verse ließ ich meine 400 Mann undisziplinierter Musiker und Sänger abschwenken, so daß sie die zwei letzten Verse, im Marsch durch den Garten immer weiter sich entfernend, in der Weise ausführten, daß die letzten Töne nur noch wie ein verhallender Klangestraum an das königliche Ohr treffen konnten. Dieser Abzug ging, dank meiner unerhörten, tätigen, überall gegenwärtigen Hilfsleitung, mit solcher Sicherheit vor sich, daß nicht das mindeste Schwanken im Takt und Vortrag aufkam und das Ganze für ein kunstvoll eingeübtes Theatermanöver gelten konnte. Im Schloßhofe angelangt, fanden wir nun durch die freundliche Sorgfalt der Königin auf dem grünen Rasen für alle Gäste zu einem reichlichen Frühstück die Tafeln gedeckt. Die herzlich erregte königliche Hausfrau sahen wir selbst öfter geschäftig zur Überwachung der Bewirtung an den Fenstern und auf den Gängen des umgebenden Schlosses sich bemühend. Aller Augen strahlten mir wie einem glücklich Beglückenden[289] zu, wenig hätte gefehlt, und in der Wonne des Tages wäre das Paradies proklamiert worden. Nachdem die liebliche Umgegend, namentlich der aus meiner frühesten Jugendzeit her mir lieb und traut gewordene Keppgrund massenweis durchschwärmt worden war, kehrten wir in später Nacht in herrlichster Stimmung nach Dresden zurück. Des andern Tags ward ich abermals auf die Generaldirektion beschieden. Da war denn nun aber etwas mit Herrn v. Lüttichau vorgegangen. Als ich mich nochmals bei ihm herzlich wegen der ihm bereiteten Beunruhigung entschuldigen wollte, nahm mich der lange Mann mit dem trocknen, harten Gesicht bei der Hand und sagte mir mit einer Verklärung seiner Mienen, wie sie wohl nie je ein anderer an ihm gewahrt haben mag: von dieser Beunruhigung könne jetzt nicht mehr die Rede sein; ich sei ein großer Mensch; von ihm werde lange keine Seele mehr etwas wissen, während ich noch bewundert und geliebt sein würde. In höchstem Grade erschüttert, wollte ich nur meine Beschämung über diesen so unerwarteten Erguß kundgeben, als er mich nun freundlich unterbrach und in wohlwollender Zutraulichkeit eine Ableitung der eigenen Aufregung zu finden suchte. Er erging sich namentlich lächelnd über meine Selbstverleugnung, mit der ich bei einer so außerordentlichen Gelegenheit den mir gebührenden Ehrenplatz an den hierbei so ganz verdienstlosen Reissiger abgetreten habe; als ich ihm versicherte, daß mir erst dieses wahre Genugtuung gegeben hätte, daß ich meinen Kollegen zur Übernahme der Direktion vermocht, bekannte er, daß er mich nun allerdings wohl begriffe, destoweniger aber von Reissiger verstehe, wie sich dieser von mir habe dorthin stellen lassen können, wohin er so wenig gehört habe. – Längere Zeit blieb die hiermit begründete Stimmung Lüttichaus gegen mich in der Weise vorherrschend, daß wir in Geschäftsangelegenheiten einen fast zutraulichen Ton unter uns gewannen; so schlimm sich mit der Zeit hierin auch manches ändern mußte, so daß unsre Beziehungen wohl bis zu offenbarer Feindseligkeit ausarteten, so blieb bei dem seltsamen Manne eine eigentümliche Zärtlichkeit für mich doch immer unverkennbar zurück, und manche seiner spätern harten Ergüsse klangen eigentlich wie die etwas sonderbar ausartenden Klagen verschmähter Liebe. –

Den Genuß meines diesjährigen Erholungsurlaubes trat ich anfangs September mit dem Bezug einer etwas verspäteten Sommerwohnung auf dem Fischerschen Weinberg unweit Loschwitz in der Nähe des berühmten Findlaterschen Weinbergs an. Hier, freundlich angeregt und gestärkt durch einen sechswöchigen Aufenthalt im Freien, verfaßte ich bis zum 15. Oktober die Musik des zweiten Aktes vom »Tannhäuser«. In die gleiche Zeit fiel eine Aufführung des »Rienzi«, zu deren Leitung ich in die Stadt kam, vor einem Publikum von nicht gemeiner Bedeutung. Es traf sich nämlich, daß auf der Tribüne des Amphitheaters Spontini und Meyerbeer, zu ihnen auch der Verfasser der russischen Nationalhymne, der General Lwow, sich zusammenfanden. Ich suchte keine Gelegenheit auf, von der Wirkung meiner[290] Oper auf diese zu einem Urteil so berechtigten musikalischen Größen Kenntnis zu erlangen; mir genügte das eigentümliche Behagen, ihnen eine bereits sehr häufig wiederholte Aufführung meines Werkes vor überfülltem Hause und mit überreichem Beifall vorgeführt zu haben, freute mich am Schlusse, mein Hündchen Peps, welches den weiten Weg vom Lande mir nachgelaufen war, im Theater teilnahmsvoll mir zugeführt zu erhalten, und fuhr mit ihm sofort, ohne die europäischen Zelebritäten begrüßt zu haben, nach meinem stillen Weinberg hinaus, wo Minna mich, besonders über die Wiederkehr des verloren geglaubten Peps hocherfreut, empfing. Hier erhielt ich auch einen Besuch meines auf so ergreifende Weise in Berlin zuerst mir gewonnenen Freundes Werder, diesmal ganz menschlich am hellen Tage unter freundlichem Himmel, wo ich mit ihm angenehm über den Wert des »Fliegenden Holländers« disputieren konnte, gegen den ich, mit dem »Tannhäuser« im Kopfe, mich etwas eingenommen bezeigte. Es nahm sich artig aus, von meinem Freunde mich in diesem Punkte bekämpfen und über die Bedeutung meines Werkes belehren zu lassen.

Als wieder die Winterquartiere bezogen waren, suchte ich zwischen der Komposition des zweiten und dritten Aktes keine so lange Unterbrechung, wie ich sie zwischen den beiden ersten zu überstehen gehabt hatte, aufkommen zu lassen, und es gelang mir trotz aufregender Beschäftigung, namentlich unter Begünstigung des guten Einflusses sorgsam gepflegter einsamer Spaziergänge, die Musik auch des dritten Aktes am 29. Dezember noch vor Jahresschluß zu beendigen.

Was mich in der Zwischenzeit namentlich lebhaft nach außen in Anspruch genommen hatte, war ein längerer Aufenthalt Spontinis bei uns, welcher sich an eine neu ins Werk gesetzte Aufführung seiner »Vestalin« knüpfte. Die Erinnerungen an die sonderbaren Vorgänge und charakteristischen Züge des hierbei entsponnenen Verkehrs mit dem berühmten greisen Meister sind mir so lebhaft verblieben, daß sie auch jetzt noch der Aufzeichnung wert dünken.

Da wir unter der Mitwirkung der Schröder-Devrient einer zum großen Teil vorzüglichen Aufführung dieser Oper uns versichert halten durften, hatte ich Herrn v. Lüttichau auf den Gedanken gebracht, Spontini, welcher soeben in Berlin große Demütigungen erlitten hatte und sich für immer von dort fortwandte, die unter solchen Umständen wohlgesinnt demonstrative Aufmerksamkeit zu erweisen, ihn zur persönlichen Direktion seines mit Recht so berühmten Werkes einzuladen. Dies geschah, und ich, der ich mit der Leitung der Oper betraut war, erhielt den besondern Auftrag, mich hierüber mit dem Meister ins Vernehmen zu setzen. Es schien, daß mein Brief, trotzdem er von mir selbst im Französischen geschrieben war, ihn mit einer vorzüglich guten Meinung über meinen Eifer für das Unternehmen erfüllt hatte, denn in einem sehr majestätischen Antwortschreiben drückte er mir seine besondern Wünsche für die Veranstaltungen zur Feier seiner[291] Mitwirkung aus. In betreff der Sänger, da er eine Schröder-Devrient unter ihnen zählte, erklärte er sich unumwunden beruhigt; von Chören und Balletten setzte er voraus, daß man nichts an einer würdigen Ausstattung fehlen lassen würde; auch nahm er an, daß das Orchester ihn vollkommen befriedigen würde, in welchem er die nötige Anzahl vorzüglicher Instrumente voraussetzte, um, wie er sich ausdrückte, das Ganze von »12 guten Kontrabässen garniert« zu sehen (»le tout garni de douze bonnes contrebasses«). Diese Phrase brach mir das Herz, denn dieses eine in Zahlen ausgeführte Verhältnis gab mir folgerichtig einen Begriff von der Gediegenheit seiner übrigen Annahmen, und ich eilte nun zum Intendanten, um ihn darauf vorzubereiten, daß die eingeleitete Sache nicht so leicht abgehen würde. Sein Schreck war groß und aufrichtig; sofort mußte ein Mittel ausfindig gemacht werden, die Einladung rückgängig zu machen. Frau Schröder-Devrient erfuhr von unsrer Not: sie, die Spontini kannte, lachte wie ein Kobold über unsre naive Unvorsichtigkeit, die wir mit dieser Einladung begangen, und fand in einem leichtern Unwohlsein, von dem sie befallen war, das Hilfsmittel, welches sie uns als Vorwand einer scheinbar bedeutenden Verzögerung zur Verfügung stellte. Spontini hatte nämlich auf energische Beschleunigung der Ausführung unsres Vorhabens gedrungen, da ihm, auf das ungeduldigste in Paris erwartet, nur wenig Zeit für die Befriedigung unsrer Wünsche freistünde. Hieran anknüpfend, mußte ich nun das unschuldige Truggewebe spinnen, mit welchem ich den Meister von der definitiven Annahme der an ihn gerichteten Einladung abbringen sollte. Wir atmeten auf, hielten unsre Proben und befanden uns am Vorabende der gemütlich beabsichtigten Generalprobe, als gegen Mittag ein Wagen vor meinem Hause hielt und in einem langen blauen Flauschrocke der stolze, sonst nur mit spanischer Grandenwürde sich bewegende Meister, leidenschaftlich bewegt, ohne alle Begleitung zu mir in das Zimmer trat, mir meine Briefe vorzeigte und aus unsrer Korrespondenz mir nachwies, daß er keinesweges unsre Einladung abgelehnt habe, sondern, richtig verstanden, sehr deutlich auf alle unsre Wünsche eingegangen sei. Ich vergaß alle möglichen vorauszusehenden Verlegenheiten über der wirklich herzlichen Freude, den wunderbaren Herrn bei mir zu sehen, unter seiner Leitung sein Werk zu hören und nahm mir sofort vor, alles nur Erdenkliche zustand zu bringen, um ihn zu befriedigen. Dies erklärte ich ihm mit dem aufrichtigsten Eifer: er lächelte fast kindlich freundlich, als er diesen wahrnahm; nur als ich, um ihn kurz über alle Bedenken gegen meine Aufrichtigkeit hinwegzuführen, einfach bat, die morgen stattfindende Probe sogleich selbst zu dirigieren, ward er plötzlich sehr bedenklich und schien mancherlei dem entgegenstehende Schwierigkeiten zu erwägen. In großer Aufregung drückte er sich aber über nichts klar aus, so daß es mir schwerhielt, ihm zu entfragen, durch welche Disposition es mir möglich sein würde, ihn zur Übernahme der Direktion dieser Probe zu bewegen. Nach einigem Nachsinnen frug er[292] mich, mit was für einer Art von Taktstock wir dirigierten: ich bezeichnete ihm mit der Hand ungefähr die Größe und Stärke eines mäßigen Stäbchens von gewöhnlichem Holz, welches, mit weißem Papier überzogen, uns immer frisch vom Kapelldiener serviert wurde. Er seufzte und frug mich, ob ich es wohl für möglich hielte, ihm bis morgen einen Taktstock von schwarzem Ebenholz, von höchst ansehnlicher Länge und Stärke, die er mir an seinem Arm und mit der hohlen Hand bezeichnete und an dessen beiden Enden ein ziemlich bedeutender weißer Knopf von Elfenbein angebracht werden sollte, verfertigen zu lassen. Ich versprach ihm jedenfalls ein ganz ähnlich aussehendes Instrument schon für die nächste Probe, ein vollständig auch dem verlangten Material entsprechendes aber für die Aufführung zu besorgen. Auffallend beruhigt strich er sich jetzt über die Stirn, erlaubte mir, seine Übernahme der Direktion für morgen anzukündigen, und fuhr nun in sein Hotel, nachdem er mir noch einmal genau seine Anforderungen in betreff des Taktstockes eingeschärft hatte.

Ich glaubte halb zu träumen und verbreitete im Sturm die Kunde des Vorgefallenen und Bevorstehenden; wir waren ertappt. Die Schröder-Devrient erbot sich zum Sündenbock, und ich setzte mich mit dem Theatertischler wegen des Taktstockes in das genaueste Einvernehmen. Dieser geriet so weit gut, daß er die gehörige Länge und Stärke hatte, schwarz aussah und große weiße Knöpfe trug. So kam es denn wirklich zur Probe. Spontini befand sich an seinem Platz im Orchester augenfällig geniert und wünschte vor allen Dingen die Oboen in seinem Rücken placiert; da diese vereinzelte Umstellung für jetzt in der Gliederung des Orchesters große Verwirrung hervorgerufen haben würde, versprach ich ihm dies nach der Probe zu veranstalten. Er schwieg und ergriff nun den Taktstock. Augenblicklich verstand ich, warum er auf die Form desselben eine so große Bedeutung legte: er faßte diesen nämlich nicht, wie wir andern Dirigenten, bei dem Ende an, sondern ergriff ihn ziemlich in der Mitte mit der vollen Faust und bewegte ihn derart, daß man deutlich sah, er fasse den Taktstock als Marschallstab auf und gebrauche ihn nicht zum Taktieren, sondern zum Kommandieren. Nun entspann sich bald im Verlaufe der ersten Szenen eine Verwirrung, die um so unheilvoller sich gestaltete, als für des Meisters Mitteilungen an das Orchester wie an die Sänger sein konfuser Gebrauch der deutschen Sprache von größter Behinderung für die Verständigung war. So viel merkten wir aber bald, daß es ihm vor allem daran gelegen war, uns von dem Gedanken abzubringen, daß dies die Generalprobe sein sollte, wogegen er ein ganz neu zu beginnendes Studium der Oper ins Auge gefaßt hatte. Die Verzweiflung namentlich meines guten alten Chordirektors und Regisseurs Fischer, welcher mit großem Enthusiasmus zuvor die Berufung Spontinis mitbetrieben hatte, war groß, als er dieser nun unvermeidlichen Störung des Repertoires inneward; sie ging endlich in offene Wut über, in deren Blindheit er in allem, was Spontini vorbrachte, nur neue Schikanen zu[293] verstehen glaubte und dagegen im gröbsten Deutsch unverhohlen replizierte. Einmal winkte mich Spontini nahe zu sich, um in betreff eines soeben beendeten Chors mir zuzuflüstern: »Mais savez-vous, vos chœurs ne chantent pas mal.« Mißtrauisch hatte Fischer dem zugesehen und frug mich wütend: »Was hat der alte Schweinehund wieder?« Es gelang mir kaum, den so schnell umgeschlagenen Enthusiasten nur einigermaßen zu beruhigen. – Den größten Aufenthalt verursachte im ersten Akt die Evolution des Triumphmarsches; vor allem äußerte der Meister mit lautestem Eifer seine höchste Unzufriedenheit über das gleichgültige Benehmen des Volkes beim Aufzuge der Vestalinnen; er hatte nämlich nicht bemerkt, daß auch nach den Anordnungen unsrer Regie sich beim Erscheinen der Priesterinnen alles auf das Knie senkte, denn nichts dem Auge nur Erkennbares war für den äußerst kurzsichtigen Meister vorhanden; was er verlangte, war, daß der heilige Respekt der römischen Armee durch ein mit einem Schlage vor sich gehendes Niederstürzen, namentlich aber krachendes Aufschlagen der Speere auf den Boden mit äußerster Drastik sich kundgeben solle. Das mußte nun unzählige Male probiert werden; immer aber klapperten einige Spieße zu früh oder zu spät; er selbst machte das Manöver einige Male mit dem Taktstock auf dem Pult; es half nichts, der Krach war nicht dezidiert und energisch genug. Nun entsann ich mich allerdings der merkwürdigen Präzision und fast erschreckenden Wirkung, mit welcher ähnliche Evolutionen in der Aufführung des »Ferdinand Cortez«, welche in früheren Jahren in Berlin so vielen Eindruck auf mich gemacht hatte, ausgeführt wurden und begriff, daß die bei uns übliche Weichheit in solchen Manövern einer sehr angelegentlichen und zeitraubenden Schärfung bedürfen würde, um den für seine Forderungen hierfür sehr verwöhnten Meister zufriedenzustellen. Nach dem ersten Akte beschritt nun wirklich Spontini die Bühne, um den von ihm in seiner Nähe vermuteten Künstlern des Dresdener Hoftheaters in einer ausführlichen Darlegung die Gründe dafür klarzumachen, daß er auf einer bedeutenden Aufschiebung der Oper bestehen müsse, um Zeit zu gewinnen, durch die verschiedenartigsten Proben die Aufführung seinem Sinne entsprechend vorbereiten zu können. Alles war aber bereits in vollster Auflösung begriffen; die Sänger, der Regisseur waren wie im Sturm nach allen Seiten hin zerstreut, um über das Elend der Situation sich in ihrer Weise Luft zu machen: nur die Theaterarbeiter, Lampenputzer und einige Choristen hielten in einem Halbkreise um Spontini stand, um dem merkwürdigen Manne zuzusehen, wie er mit wunderlichem Affekt von den Erfordernissen der wahren theatralischen Kunst perorierte. Ich wandte mich der grauenhaften Szene zu, bedeutete Spontini freundlich und unterwürfig das Unnötige seiner Ereiferung, versicherte, daß alles geschehen würde, was er wünsche, namentlich auch, daß man Herrn Eduard Devrient, welcher die Vorstellung der »Vestalin« in seinem Geiste von Berlin her genau innehabe, zur Abrichtung des Chores und der Statisten zu der gebührenden Empfangsfeierlichkeit[294] der Vestalinnen herbeiziehen würde, und entführte ihn so der unwürdigen Situation, in welcher ich ihn zu meinem Entsetzen betroffen fand. Dies beruhigte ihn; wir entwarfen einen Plan für die Ausführung der Proben nach seinem Wunsche, und in Wahrheit war ich der einzige, der diese Wendung der Dinge trotz allem nicht unwillkommen hieß, da die meist fast burlesken Züge im Gebaren Spontinis mich doch die ungemeine Energie durchblicken ließen, mit welcher hier, wenn auch in seltsamer, mir aber allmählich erklärlicher Entstellung, ein unsrer Zeit fast unkenntlich gewordenes Ziel der theatralischen Kunst verfolgt und festgehalten wurde.

Wir begannen nun zunächst noch mit einer Klavierprobe, in welcher der Meister seine Wünsche besonders an die Sänger mitteilen sollte. Wir erfuhren durch ihn hierbei im Grunde wenig Neues; er gab uns weniger Bemerkungen über Einzelheiten des Vortrages als Auslassungen über das Allgemeine der Auffassung, wobei ich bemerkte, daß er sich bereits an eine entschiedenen Rücksichtnahme gegen die renommierten Sänger, wie die Schröder-Devrient und Tichatschek es waren, gewöhnt hatte. Letzterem verbot er nur das Wort »Braut«, mit welchem Licinius in der deutschen Übersetzung »Julia« anzureden hatte; dies klang seinem Ohr entsetzlich, und er begriff nicht, wie man etwas so Gemeines wie die Laute dieses Wortes für die Musik verwenden könnte. Dem weniger begabten und ziemlich rohen Sänger des Oberpriesters gab er jedoch eine etwas umständliche Lektion über die Auffassung seines Charakters, welchen er aus dem rezitativischen Dialoge mit dem Haruspex zu entnehmen habe; hier sehe er nämlich, daß das Ganze nur auf Priesterbetrug beruhe und auf Benutzung des Aberglaubens berechnet sei. Der Pontifex gebe zu verstehen, daß er seinen Gegner selbst an der Spitze der römischen Kriegsmacht nicht fürchte, weil er für den schlimmsten Fall seine Maschinen bereithalte, welche, sobald es nicht anders ginge, durch ein Wunder das verloschene Feuer der Vesta wieder entzünden sollten, wodurch, selbst wenn Julia somit dem Opfertode entgehen sollte, die Macht des Priestertums dennoch unangetastet erhalten bleiben würde. – Gelegentlich einer Besprechung des Orchesters hatte ich Spontini um Belehrung darüber gebeten, warum er, der sonst durchgehends die Posaunen sehr energisch angewandt, gerade bei dem prachtvollen Triumphmarsche des ersten Aktes sie schweigen ließ; ganz verwundert frug er dagegen: »Est-ce que je n'y ai pas de trombonnes?« Ich zeigte ihm die gestochene Partitur, und nun bat er mich, zu diesem Marsche Posaunen zu setzen, damit sie möglichst in der nächsten Probe schon ausgeführt werden könnten. Auch sagte er mir: »J'ai entendu dans votre Rienzi un instrument, que vous appelez Bass-tuba; je ne veut pas bannir cet instrument de l'orchestre: faites m'en une partie pour la Vestale.« Es machte mir Freude, mit Auswahl und Diskretion seinem Wunsche nachzukommen. Als er in der Probe zum ersten Male die Wirkung hiervon gewahr wurde, warf er mir einen wirklich zärtlichen Blick des Dankes zu, und der Eindruck dieser[295] unschwierigen Bereicherung seiner Partitur war auf ihn so andauernd, daß er später aus Paris in einem sehr freundschaftlichen Briefe mich um die Zusendung eines Particelles dieser von mir hinzugefügten Instrumente bat; nur erlaubte es sein Stolz nicht, in dem Ausdruck, mit dem er das Gewünschte bezeichnete, zuzugestehen, daß er etwas von mir Verfaßtes verlangte, sondern er schrieb: »Envoyez-moi une partition des trombonnes pour la marche triomphale et de la Basse-tuba, telle qu'elle a été exécutée sous ma direction à Dresde.« – Meine besondere Ergebenheit bezeigte ich ihm außerdem durch den Eifer, mit welchem ich eine vollkommene Umstellung der Instrumente des Orchesters nach seinem Wunsche herrichtete. Dieser Wunsch bezog sich weniger auf ein System als auf seine Gewöhnung, und von welcher Wichtigkeit es für ihn war, in dem Gewohnten nicht die mindeste Änderung eingetreten zu wissen, erhellte mir, als er mir den Charakter seiner Direktionsweise erläuterte; er dirigiere – so sagte er – nämlich das Orchester nur durch den Blick seines Auges: »Mein linkes Auge ist erste Violin, mein rechtes zweite Violin; um mit dem Blick zu wirken, muß man daher keine Brille tragen, wie schlechte Dirigenten es tun, selbst wenn man kurzsichtig ist. Ich« – so gestand er zutraulich-»sehe nicht einen Schritt weit, und doch bewirke ich durch meine Augen, daß alles nach meinem Willen geht.« Einzelheiten in der von ihm zufällig gewohnten Orchesteraufstellung waren allerdings sehr irrational; jedenfalls von einem frühesten Pariser Orchester her, wo sich dies durch irgendeine Nötigung gerade so ergeben hatte, rührte die Gewohnheit, die beiden Oboe-Bläser unmittelbar hinter sich zu haben: diese mußten daher die Mündung ihrer Instrumente dem Ohre des Publikums abwenden, und unser vorzüglicher Oboist war so empört über diese Zumutung, daß es mir nur durch besonders scherzhafte Behandlung dieser Angelegenheit gelang, ihn für diesmal zu beschwichtigen. Außerdem beruhte die Gewöhnung Spontinis in diesem Betreff allerdings auf einem sehr richtigen und leider bei den meisten deutschen Orchestern noch gänzlich verkannten Systeme, wonach das Quartett der Saiteninstrumente gleichmäßig über das ganze Orchester sich ausbreitet, die durch Kulmination auf einem Punkt erdrückenden Blech- und Schlaginstrumente getrennt, auf beide Flanken verteilt, und die zarteren Blasinstrumente in geeigneter Annäherung als Kette zwischen den Violinen sich dahinziehen; wogegen die selbst jetzt noch bei den größten und berühmtesten Orchestern übliche Zerteilung des Instrumentalkomplexes in zwei Hälften, die der Saiten- und die der Blasinstrumente, eine wirkliche Roheit und Gefühllosigkeit für die Schönheit eines sich innig verschmelzenden, überall gleichhin wirkenden Orchesterklanges bekundet. Ich war sehr froh, bei dieser Veranlassung die glückliche Neuerung in Dresden durchsetzen zu können, da es, durch die Forderung Spontinis angeregt, nun leicht war, den Befehl zur Beibehaltung der Änderung beim König zu erlangen. Es blieb mir nach Spontinis Fortgang nur übrig, einige Zufälligkeiten und[296] Sonderbarkeiten in seinen Anordnungen auszugleichen und zu korrigieren, um von nun an zu einer befriedigenden und sehr wirksamen Aufstellung des Orchesters zu gelangen.

Bei allen Sonderbarkeiten, welche Spontinis Direktion der Proben begleiteten, faszinierte der seltene Mann doch Musiker und Sänger in der Art, daß der Aufführung eine ganz ungewöhnliche Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Charakteristisch war durchgehends die Energie, mit welcher er auf eine oft ausschweifend scharfe Hervorhebung der rhythmischen Akzente drang; er hatte hierfür im Verkehr mit dem Berliner Orchester es sich angewöhnt, die hervorzuhebende Note mit dem anfangs mir unverständlichen Ausdruck »diese« zu bezeichnen, was zumal Tichatschek, ein wirkliches rhythmisches Gesangsgenie, besonders erfreute, da er ebenfalls die Gewohnheit hatte, bei wichtigen Eintritten die Choristen dadurch zu besondrer Präzision anzufeuern, daß er behauptete, es gelte nur die erste Note ordentlich hervorzuheben, das übrige fände sich ganz von selbst. Im ganzen stellte sich somit allmählich ein guter und dem Meister gewogener Geist ein; nur die Bratschisten trugen ihm einen Schreck, den er ihnen gemacht, noch lange nach; in der Begleitung der lugubren Kantilene der Julia im Finale des zweiten Aktes entsprach die Ausführung der schaurig weichen Begleitungsfigur in den Bratschen seinem Wunsche nicht; er wendete sich daher plötzlich zu diesen und rief ihnen mit einer hohlen Grabesstimme zu: »Ist der Tod in den Bratschen?« Die zwei bleichen, an unheilbarer Hypochondrie leidenden Greise, welche am ersten Pulte dieses Instrumentes zu meinem Leidwesen trotz ihrer Anwartschaft auf Pensionierung sich immer noch festgeklammert hielten, starrten mit wahrem Entsetzen zu Spontini hinauf und glaubten eine Drohung zu hören: ich mußte ihnen nun den Wunsch Spontinis ohne theatralische Drastik zu erläutern suchen, um sie allmählich wieder ins Leben zu rufen. – Auf der Szene wirkte Herr Eduard Devrient sehr förderlich zur Herstellung eines scharf sich ausdrückenden Ensembles, auch wußte er Rat zu schaffen, um einer Forderung Spontinis gerecht zu werden, die uns alle in große Verlegenheit setzte. Nach der auf allen deutschen Theatern angenommenen Kürzung beschlossen auch wir nämlich die Oper mit dem feurigen, vom Chor akkompagnierten Duettsatze des Licinius und der Julia nach deren Rettung; allein der Meister bestand darauf, die der französischen Opera seria ureigentümliche Schluß-Szene mit heiterem Chor und Ballett noch angefügt zu wissen. Es widerstand ihm durchaus, auf dem traurigen Begräbnisplatze sein glänzendes Werk elend ausgehen zu sehen; die Dekoration mußte verwandelt werden, im heitersten Lichte den Rosenhain der Venus sich zeigen und an deren Altar unter heiteren Tänzen und Gesängen das geprüfte Liebespaar von mit Rosen geschmückten Priestern und Priesterinnen der Venus anmutig getraut werden. So geschah es denn auch – leider aber nicht zugunsten des von allen so sehr gewünschten Erfolges.[297]

In der Aufführung, welche mit großer Präzision und schönem Feuer vor sich ging, stellte sich in betreff der Besetzung der Hauptpartie ein Übelstand heraus, der von keinem von uns zuvor beachtet worden war. Offenbar war unsere große Schröder-Devrient nicht mehr in dem Alter, und namentlich war ihr etwas mütterlich gewordenes Äußere nicht glücklich geeignet, um als jüngste der Vestalinnen, wie sie angesprochen wird, namentlich neben einer Oberpriesterin günstig zu wirken, welche, wie es hier der Fall war, durch ganz ausnehmend mädchenhaft jugendliche Schönheit, die durch nichts zu verbergen war, sich hervorhob. Dies war meine damals siebenzehnjährige Nichte Johanna Wagner, welche außerdem mit ihrer gerade um jene Zeit hinreißend schönen Stimme und glücklichen Begabung für theatralischen Akzent ganz unwillkürlich in jedem Zuhörer den Wunsch anregte, die Rollen zwischen ihr und der großen Meisterin vertauscht zu sehen. Der scharfblickenden Devrient entging dieser für sie ungünstige Umstand nicht, und sie schien sich hierdurch veranlaßt zu fühlen, durch besondere Aufbietung jedes ihr zu Gebote stehenden dramatischen Effektmittels in ihrer schwierigen Stellung sich siegreich zu behaupten zu suchen, was sie nicht selten zu einiger Übertreibung, in einem Hauptmomente aber zu einem wahrhaft unschönen Exzeß hinriß. Als ihr nach dem großen Terzett des zweiten Aktes, von dem durch die Flucht geretteten Geliebten nach dem Vordergrund zurückschreitend, in furchtbarer Erschöpfung das »Er ist frei!« aus dem gepreßten Herzen hervorbricht, ließ sie sich verleiten, diese Worte völlig zu sprechen, statt zu singen. Welche Wirkung ein im übermäßigen Affekt mit Annäherung an den reinen Sprach-Akzent ausgestoßenes entscheidendes Wort hervorzubringen vermag, hatte sich bereits im »Fidelio« zur höchsten Hingerissenheit des Publikums oft bewährt, wenn sie bei der Stelle »Noch einen Schritt und du bist tot!« das tot fast mehr sprach als sang. Diese ungeheuere Wirkung, die gerade auch ich empfunden, beruhte auf dem wunderbaren Schreck, der sich meiner bemächtigte, aus der idealen Sphäre, in welche die Musik selbst die grauenhaftesten Situationen erhebt, plötzlich auf den nackten Boden der schrecklichsten Realität wie durch einen Beilschlag des Henkers mich geschleudert zu sehen. Hierin gab sich die unmittelbare Erkenntnis der äußersten Spitze des Erhabenen kund, welche ich, mit der Erinnerung an diesen Eindruck, als den blitzartigen Moment bezeichne, welcher zwei ganz verschiedene Welten, da wo sie sich berühren und doch vollständig trennen, in der Weise erleuchtet, daß wir eben für diesen Moment den Blick wirklich in beide Welten zugleich werfen. Welch ungeheuere Bewandtnis es aber mit diesem Momente hat, und daß mit ihm, dem furchtbaren, kein eigennütziges Spiel zu treiben ist, erfuhr ich heute an dem vollständigen Verunglücken der Absicht der großen Künstlerin. Das tonlose, mit heiserem Klange herausgepreßte Wort übergoß mich und das ganze Publikum wie mit kaltem Wasser, so daß wir alle in ihm nichts ersahen, als einen manquierten Theatereffekt.[298] – Waren nun die Erwartungen des Publikums, welches außerdem mit doppelten Preisen das Kuriosum, Spontini dirigieren zu sehen, zu bezahlen hatte, zu hoch gespannt gewesen; mochte der ganze Stil des Werkes mit seinem französisierten antiken Sujet, trotz der Pracht und Schönheit der Musik, unwillkürlich etwas veraltet vorkommen, oder mochte endlich auch der unglücklich matte Schluß, fast ähnlich wie der verfehlte dramatische Effekt der Devrient, ernüchternd wirken-kurz, es wollte zu keinem rechten Enthusiasmus kommen, und der Erfolg des Abends erklärte sich als eine etwas matte Ehrenbezeigung für den weltberühmten Meister, welcher mit seiner ungeheuren Rüstung von Orden eine mich peinlich berührende Erscheinung abgab, als er dem kurzatmigen Hervorrufe des Publikums durch dankenden Hervortritt auf der Bühne entsprach.

Niemandem war dieser nicht sonderlich erquickliche Erfolg weniger entgangen als Spontini selbst. Er beschloß einen bessern Anschein zu ertrotzen und bestand hierzu auf der Ergreifung des Mittels, welches er in Berlin fortgesetzt anzuwenden gewohnt war, um seine Opern stets vor vollem Hause und belebtem Publikum zu geben. Er wählte nämlich immer die Sonntage hierfür, weil ihm die Erfahrung gezeigt hatte, daß sonntags stets das Haus voll und das Publikum belebt war. Da nun der nächste Dresdener Sonntag, an welchem er seine »Vestalin« nochmals zu dirigieren sich erbot, noch etwas fern lag, verschaffte uns diese neue Verlängerung seines Aufenthaltes den wiederholten Genuß des besonderen Interesses, mit Spontini öfter in geselligem Verkehr zusammen zu sein. An die teils bei Frau Devrient, teils auch bei mir in der Unterhaltung mit Spontini verlebten Stunden habe ich eine so genaue Erinnerung bewahrt, daß ich davon gern einiges mitteile.

Unvergeßlich bleibt mir ein Gastmahl bei der Schröder-Devrient, infolge dessen wir mit Spontini und seiner Frau (einer Schwester des berühmten Pianofortefabrikanten Erard) lange unter sehr anregenden Gesprächen zusammen waren. Seine gewöhnliche Teilnahme an der Unterhaltung war ein vornehm ruhiges Anhören der Gespräche anderer, welches die Erwartung, um seine Meinung ersucht zu werden, auszudrücken schien. Sobald er dann sprach, geschah es mit rhetorischer Feierlichkeit, in scharf präzisierten Sätzen von kategorischer Tendenz und mit dem Akzent, der jeden Widerspruch als eine Beleidigung erklärte. Herr Ferdinand Hiller befand sich unter den miteingeladenen Gästen; er brachte das Gespräch auf Liszt; nachdem dieses länger hin und her geführt war, gab Spontini in der bezeichneten Weise sein Urteil ab, welches mir bewies, daß er von seinem Berliner Throne aus die Erscheinungen der Welt gerade nicht mit Unbefangenheit und Milde beurteilt habe. Wenn er dann in solchen Orakelsprüchen begriffen war, litt er keine Störung durch irgendwelches Geräusch; als beim Dessert der Ton erregter geworden war, traf es sich, daß Frau Devrient während einer ziemlich anhaltenden Rede Spontinis zur Seite ein wenig über etwas lachte. [299] Spontini schoß einen wütenden Blick auf seine Frau; Madame Devrient entschuldigte diese sofort, sie selbst sei es gewesen, welche über die Verse einer Bonbon-Devise unwillkürlich gelacht habe, worauf Spontini erwiderte: »Pourtant je suis sûr que c'est ma femme qui a suscité ce rire; je ne veux pas qu'on rie devant moi, je ne rie jamais moi, j'aime le sérieux.« Dennoch gelangte auch er bis zu einer gewissen Gemütlichkeit. So freute es ihn zum Beispiel, uns durch die Vortrefflichkeit seiner Zähne, mit welchen er laut große Stücke Zucker knackte, in Staunen zu versetzen. In steigende Aufregung geriet er jedoch, als wir nach dem Diner näher zusammenrückten. Soweit ihm dies möglich war, schien er mir wirklich seine besondere Zuneigung geschenkt zu haben; er erklärte offen, daß er mich liebhabe und dies mir nun dadurch bezeigen wolle, daß er mich vor dem Unglück bewahre, in meiner Karriere als dramatischer Komponist fortzufahren. Er glaube wohl, daß es ihm schwerfallen würde, mich von dem Werte eines solchen Freundschaftsdienstes zu überzeugen; da er es aber für wichtig halte, auf diese Weise für mein Glück zu sorgen, werde es ihn nicht verdrießen, zu diesem Zweck ein halbes Jahr in Dresden zu verweilen, welche Gelegenheit wir ja zugleich dazu benützen könnten, seine übrigen Opern, namentlich auch »Agnes von Hohenstaufen«, unter seiner Leitung zur Aufführung zu bringen.

Um seine Ansicht des Verderblichen der Karriere eines dramatischen Komponisten als Nachfolger Spontinis zu bezeichnen, begann er mit einem seltsamen Lob für mich; er sagte: »Quand j'ai entendu votre Rienzi, j'ai dit, c'est un homme de génie, mais déja il a plus fait qu'il ne peut faire.« Um nun zu zeigen, was er unter diesem Paradoxon verstehe, holte er folgendermaßen aus: »Après Gluck c'est moi qui ai fait la grande révolution avec la Vestale; j'ai introduit le ›Vorhalt? de la sexte‹ dans l'harmonie et la grosse caisse dans l'orchestre; avec Cortez j'ai fait un pas plus avant; puis j'ai fait trois pas avec Olympie. Nourmahal, Alcidor et tout ce que j'ai fait dans les premiers temps de Berlin, je vous les livre, c'etait des œuvres occasionnelles; mais puis j'ai fait cent pas en avant avec Agnès de Hohenstaufen, où j'ai imaginé un emploi de l'orchestre remplaçant parfaitement l'orgue.« Seit dieser Zeit habe er sich abermals mit einem Sujet »Les Athéniennes« zu beschäftigen gesucht; er sei sogar dringend vom Kronprinzen, dem jetzigen König von Preußen, zur Vollendung dieser Arbeit aufgefordert worden – und zugleich zog er aus seinem Portefeuille zum Zeugnis der Wahrheit einige Briefe dieses Monarchen hervor, welche er uns zu lesen gab. Erst nachdem dieses sorgfältig unsererseits geschehen war, fuhr er fort, daß er trotz dieser schmeichelhaften Aufforderung die musikalische Bearbeitung des übrigens sehr guten Sujets aufgegeben habe, weil es ihm zu Sinnen gekommen sei, daß er unmöglicherweise seine »Agnes von Hohenstaufen« übertreffen und etwas Neues erfinden können würde. Die Konklusion lautete nun: »Or, comment voulez-vous que quiconque puisse inventer quelque chose de nouveau, moi Spontini[300] déclarant ne pouvoir en aucune façon surpasser mes œuvres précédentes, d'autre part étant avisé que depuis la Vestale il n'a point été écrit une note qui ne fut volée de mes partitions.« Daß diese Behauptung nicht etwa nur eine Phrase sei, sondern auf der genauesten wissenschaftlichen Untersuchung beruhe, dafür führte er das Zeugnis seiner Frau an, welche mit ihm eine voluminöse Abhandlung eines berühmten Mitgliedes der französischen Akademie, dessen Schrift aber aus gewissen Gründen durch den Druck nicht veröffentlicht worden sei, gelesen habe. In dieser sehr eingänglichen Abhandlung von dem größten wissenschaftlichen Werte sei nachgewiesen, daß ohne den von Spontini in der Vestalin erfundenen Vorhalt der Sexte die ganze moderne Melodie nicht existieren würde und daß jede melodische Form, deren man sich seitdem bedient hätte, lediglich seinen Werken entnommen sei. Ich war starr, hoffte aber doch den unerbittlichen Meister mindestens über die ihm selbst vorbehaltenen Möglichkeiten zu einer besseren Meinung zu bringen. Ich gab zu, daß dem gewiß ganz so sei wie jener Akademiker es bewiesen; dennoch frug ich ihn, ob er nicht glaube, daß, wenn ihm ein dramatisches Gedicht von neuer, ihm noch unbekannt gebliebener poetischer Tendenz vorgelegt würde, er aus dieser auch Anregung zu neuer musikalischer Erfindung gewinnen würde. Mitleidig lächelnd erklärte er, daß meine Frage eben einen Irrtum enthalte: worin sollte dieses Neue bestehen? »Dans la Vestale j'ai composé un sujet romain, dans Fernand Cortez un sujet espagnol-mexicain, dans Olympie un sujet grec-macédonien, enfin dans Agnès de Hohenstaufen un sujet allemand: tout le reste ne vaut rien.« Er hoffe doch nicht, daß ich etwa den sogenannten romantischen Genre à la Freischütz im Sinne habe? Mit solchen Kindereien gebe sich kein ernster Mann ab; denn die Kunst sei etwas Ernstes, und allen Ernst habe er erschöpft. Aus welcher Nation endlich sollte auch der Komponist kommen, der ihn überbieten könnte? Doch nicht etwa von den Italienern, welche er einfach als cochons traktierte, von den Franzosen, welche es nur diesen nachgemacht hätten, oder von den Deutschen, welche nie aus ihren Kindereien herauskommen würden und bei denen, wenn jemals gute Anlagen unter ihnen gewesen seien, jetzt durch die Juden bereits alles verdorben sei? »Oh croyez-moi, il y avait de l'espoir pour l'Allemagne lorsque j'étais empereur de la musique à Berlin; mais depuis que le roi de Prusse a livré sa musique au désordre occasionné par les deux juifs errants qu'il a attirés, tout espoir est perdu.«

Unsere liebenswürdige Wirtin glaubte nun zu bemerken, daß es gut sei, den sehr aufgeregten Meister etwas zu zerstreuen. Das Theater lag nur wenige Schritte von ihrer Wohnung entfernt; sie lud ihn ein, sich von unserm Freund Heine, der sich unter den Gästen befand, hinübergeleiten zu lassen, um von einer Aufführung der »Antigone«, welche soeben dort vor sich ging und die ihn gewiß wegen der antiken Einrichtung der Bühne nach Sempers vorzüglichem Arrangement interessieren würde, sich etwas[301] anzusehen. Er wollte dies abschlagen, da er behauptete, dies alles schon besser von seiner »Olympia« her zu kennen. Dennoch gelang es, ihn dazu zu bewegen; nur kehrte er nach kürzester Zeit wieder zurück und erklärte verächtlich lächelnd, genug gesehen und gehört zu haben, um in seiner Meinung bestärkt zu sein. Heine erzählte uns, daß, kurz nachdem er mit Spontini auf die fast ganz leere Tribüne des Amphitheaters getreten, dieser beim Beginn des Bacchus-Chores sich zu ihm umgewendet habe: »C'est de la Berliner Sing-Academie, allons nous en.« Durch die geöffnete Türe sei ein Streiflicht auf eine zuvor unbemerkte einsame Gestalt hinter einer Säule gefallen; Heine habe Mendelssohn erkannt und sofort geschlossen, daß dieser Spontinis Äußerung vernommen habe.

Aus den sehr erregten Äußerungen des Meisters ging uns in der Folge noch deutlich hervor, daß er es darauf abgesehen habe, von uns veranlaßt zu werden, längere Zeit in Dresden zu verweilen und seine sämtlichen Opern zur Aufführung zu bringen. Bereits glaubte aber Frau Schröder-Devrient weise daran zu tun, in Spontinis eigenem Interesse, da sie ihm einen ärgerlichen Mißerfolg seiner leidenschaftlich genährten Erwartungen betreffs der Aufnahme einer zweiten Aufführung der Vestalin ersparen wollte, eben diese Aufführung während seiner Anwesenheit zu verhindern. Sie schützte wiederum ein Unwohlsein vor, und ich erhielt von der Direktion den Auftrag, Spontini von der voraussichtlich längeren Verzögerung in Kenntnis zu setzen. Dieser Besuch war mir so peinlich, daß es mir lieb war, mich von Röckel, welchen Spontini ebenfalls liebgewonnen hatte und welchem das Französische weit geläufiger war als mir, begleiten zu lassen. Mit wahrer Bangigkeit traten wir ein und vermuteten, einen bösen Auftritt erleben zu müssen: wie erstaunt waren wir dagegen, als wir den Meister, welcher durch ein Billett der Devrient bereits freundlich unterrichtet war, in heiter verklärter Miene antrafen. Er eröffnete uns, daß er auf das schnellste nach Paris reisen müsse, um von dort so bald wie möglich nach Rom zu gelangen, wohin er vom Heiligen Vater berufen sei, von dem ihm soeben die Ernennung zum »Grafen von San Andrea« zugekommen sei. Zugleich zeigte er uns noch ein zweites Dokument, durch welches ihm der König von Dänemark »den dänischen Adel verliehen habe«; es war dies nämlich die Ernennung zum Ritter vom Elephanten-Orden, welcher allerdings Adelswürde verleiht; er erwähnte aber nur dieses Adels, nicht des Ordens, weil ihm dies schon zu gemein war. Seine stolze Genugtuung hierüber äußerte sich mit fast kindischer Freude; aus dem engen Kreise der Dresdener Vestalinoperation war er wie durch Zauber befreit und in ein Reich der Glorie versetzt, aus welchem er auf die Opernnöte dieser Welt mit engelhaftem Behagen herabblickte. Von mir und Röckel wurden der Heilige Vater und der König von Dänemark innig gepriesen. Wir schieden mit Rührung von dem seltsamen Meister, und, um ihn ganz glücklich zu machen, gab ich ihm das Versprechen, seinen Freundesrat in betreff des Opernkomponierens recht angelegentlich zu überdenken.[302]

Ich erfuhr später, daß Spontini sich noch einmal über mich geäußert habe, nämlich als er erfuhr, daß ich Dresden als politischer Flüchtling verlassen und in der Schweiz Asyl gesucht hatte; er war der Meinung, daß dies infolge meiner Beteiligung an einem hochverräterischen Unternehmen gegen den König von Sachsen, welchen er, da er mich als Kapellmeister bei sich anstellte, als meinen Wohltäter betrachtete, geschehen sei, und rief schmerzlich verwundert aus: »Quelle ingratitude!« – Über seinen endlich erfolgten Tod teilte mir Berlioz, der sein Sterbelager nicht verließ, mit, daß der Meister sich auf das äußerste gegen sein Sterben gesträubt habe; wiederholt rief er: »Je ne veux pas mourir, je ne veux pas mourir!« Als ihn Berlioz tröstete: »Comment pouvez-vous penser mourir, vous, mon maître, qui êtes immortel!«, verwies ihm dies Spontini ärgerlich: »Ne faites pas de mauvaises plaisanteries!« – Die Nachricht von seinem Tode, welche ich in Zürich erhielt, berührte mich trotz aller wunderlichen Erfahrungen und Erinnerungen doch sehr bedeutsam: ich gab meiner Stimmung und meinem Urteil über ihn einen gedrängten Ausdruck in der »Eidgenössischen Zeitung«, wobei ich besonders das an ihm hervorhob, daß er, im Gegensatz zu dem jetzt herrschenden Meyerbeer und selbst zu dem noch lebenden greisen Rossini, sich durch einen wahrhaften Glauben an sich und seine Kunst ausgezeichnet habe. Daß dieser Glaube, wie ich es fast zu meinem Entsetzen erleben mußte, in einen gespenstischen Aberglauben ausgeartet war, verschwieg ich.

Ich entsinne mich nicht, in meiner damaligen Stimmung in Dresden Veranlassung gefunden zu haben, über die höchst sonderbaren Eindrücke, welche ich von der merkwürdigen Begegnung mit Spontini erhielt, gründlich nachzudenken, um sie mit meiner eben hierbei nichtsdestoweniger gesteigerten Hochachtung für den großen Meister in Übereinstimmung zu bringen. Offenbar hatte ich nur seine Karikatur kennengelernt; die Anlagen zu einer so auffallenden Übertreibung des Selbstbewußtseins mögen allerdings schon aus dem in seinen rüstigen Jahren von ihm bewährten Charakter nachweislich sein. Nicht minder nachweisbar dünkte mich jedoch auch der Einfluß des ganz wesenhaften Verfalls der musikalisch-dramatischen Kunsttendenz der Periode, welche Spontini in einem so unklaren und nichtigen Verhältnisse, wie seine Berliner Stellung es enthielt, altern sah. Daß er sein Hauptverdienst ganz überraschenderweise in Nebendinge setzte, zeigte an, daß sein Urteil kindisch geworden war; dies konnte jedoch in meinen Augen den ungemeinen Wert seiner Werke, mochte er selbst ihn auch in monströser Übertreibung begreifen, deshalb nicht herabsetzen. Was ihn dagegen zu so maßloser Selbstschätzung getrieben hatte, sein Vergleich mit denjenigen Kunstgrößen, welche jetzt ihn verdrängten, konnte, wenn ich ihn meinerseits ebenfalls anstellte, nicht minder zu seiner Rechtfertigung dienen; denn in seiner Verachtung dieser Größen fühlte ich in meinem tiefsten Innern mich ihm verwandter, als ich damals noch laut gestehen mochte. So kam es, daß sonderbarerweise diese Begegnung in Dresden, so durchweg[303] lächerliche Züge sie fast einzig auch darbot, mich im Grunde mit einer fast grauenvollen Sympathie für diesen Mann erfüllte, dessengleichen ich nie wieder begegnen sollte. –

Dagegen brachte die nächste Zeit andere Erfahrungen von bedeutenden künstlerischen Persönlichkeiten unserer Epoche in mein Leben. Diese nahmen sich auffallend anders aus, und von einer der vorzüglichsten derselben, Heinrich Marschner, habe ich jetzt zu berichten.

Marschner war sehr jung als Musikdirektor der Dresdener Kapelle von Weber berufen worden. Nach Webers Tode scheint er sich geschmeichelt zu haben, in dessen leer gewordene Stelle nachzurücken; weniger seinem bis dahin minder bekundeten Verdienste als seinem persönlichen, etwas abstoßenden Benehmen scheint er es zuzuschreiben gehabt zu haben, daß er in seinen Erwartungen getäuscht wurde. Dagegen überraschte ihn eines Tages seine Frau durch eine unvermutete Erbschaft, welche es ihm ermöglichte, ohne Anstellung seine Laufbahn als Opernkomponist mit Energie anzutreten. In meiner wilden Jugendzeit, als sich die Musik meiner bemächtigt hatte, lebte Marschner in Leipzig, und dort wurden seine namhaften Opern »Der Vampyr« und »Templer und Jüdin« zuerst aufgeführt. Meine Schwester Rosalie hatte mich einmal zu ihm gebracht, um von ihm ein Urteil über mich zu erhalten. Er benahm sich nicht unfreundlich; das Ergebnis blieb aber ohne bestimmten Einfluß. Noch erlebte ich eine erste Aufführung seiner Oper »Des Falkners Braut«, deren Erfolg jedoch nicht günstig ausfiel. Dann kam er nach Hannover; seine Oper »Hans Heiling«, welche er in Berlin zuerst aufführte, lernte ich seinerzeit in Würzburg zuerst kennen; sie zeigte mir Schwanken in der Tendenz und Abnahme der Gestaltungskraft. Seitdem erschienen mehrere Opern wie: »Das Schloß am Aetna« und »Der Bäbu«, welche sich nie verbreiteten. Von der Dresdener Direktion war er immer wie aus alter Ranküne vernachlässigt worden; nur sein »Templer« wurde öfter gegeben. Die Direktion dieser Oper blieb meinem Kollegen Reissiger zugeteilt; in dessen Abwesenheit hatte doch auch ich einmal sie zu dirigieren; es war die Zeit, in welcher ich am »Tannhäuser« arbeitete. Ich entsinne mich, daß, obwohl ich die gleiche Oper früher schon in Magdeburg häufig aufgeführt hatte, diesmal die wüste, unmeisterliche Instrumentation mich so peinlich affizierte, daß ich wirklich darunter litt und Reissiger nach dessen Rückkehr auf das ernstlichste bat, die Direktion dieser Oper unter allen Umständen zu behalten. Dagegen hatte ich sogleich nach dem Antritt meiner Stelle die Aufführung des »Hans Heiling« betrieben, lediglich von dem hierbei betroffenen künstlerischen Ehrenpunkte ausgehend. Die ungenügende Besetzung der Partien, wie sie zur Zeit nicht anders möglich war, ließ zuerst einen durchgreifenden Erfolg nicht aufkommen; unter allen Umständen schien aber die Tendenz des Werkes merklich veraltet. Nun erfuhr ich aber, daß Marschner eine neue Oper, »Adolph von Nassau«, fertig habe; in einer mir zukommenden Reklame, deren Wahrhaftigkeit ich[304] nicht zu beurteilen vermochte, war die »patriotische, edle deutsche Tendenz« dieser neuesten Schöpfung Marschners mit besondrem Nachdruck hervorgehoben; es lag mir daran, das Dresdener Theater an die Initiative zu gewöhnen, und ich bestimmte Herrn v. Lüttichau, die Oper, noch ehe sie sonstwo aufgeführt sei, sofort für Dresden zu verlangen. Marschner, welcher von den hannöverischen Theaterbehörden nicht mit besonderer Vorliebe behandelt zu werden schien, nahm die Einladung mit großer Wärme auf, sandte seine Partitur und erklärte sich bereit, zur Aufführung selbst nach Dresden zu kommen. Herrn v. Lüttichau war es nicht recht, ihn selbst an der Spitze der Kapelle wiederzusehen; auch ich fand, daß eine zu häufige Berufung fremder Dirigenten zur persönlichen Leitung ihrer Werke unter Umständen zu Verwirrungen führen könnte, die nicht immer so unterhaltend und lehrreich wie beim Spontinischen Besuch ausfallen könnten. Es blieb dabei, daß die Oper meiner persönlichen Leitung übergeben war. – Wie bereute ich das! Die Partitur kam an: ein elendes Buch von Karl Golmick war vom Komponisten des »Templer« in so seichter Weise komponiert worden, daß schließlich der Haupteffekt in ein vierstimmiges Trinklied verlegt war, worin der »Deutsche Rhein« und »Deutsche Wein« in der bekannten Männerquartett-Weise gefeiert wurde. Mir entsank sofort der Mut; doch war die Sache nicht mehr rückgängig zu machen, und ich mußte nun suchen, durch eine ernste Miene die Sänger in der Ausdauer zu erhalten. Dies war schwer. Tichatschek und Mitterwurzer hatten die männlichen Hauptrollen; beide, eminent musikalisch, sangen sofort alles vom Blatte und blickten nach jeder Nummer auf mich, was ich dazu meinte? Ich behauptete, es wäre gute deutsche Musik; sie sollten sich nur nicht irremachen lassen; sie sahen sich verwundert an und wußten nicht, was sie von mir halten sollten. Endlich wurde es ihnen zu arg, und als ich noch bei meiner ernsten Miene verblieb, brachen sie in lautes Lachen aus, in welches ich denn nun unwillkürlich mit einstimmen mußte. Ich hatte sie zu Mitwissern meiner Not zu machen und sie zu beschwören, da es nun nicht mehr zu ändern sei, meine notgedrungene ernste Miene gleichfalls anzunehmen. Eine Wiener Koloratur-Sängerin vom neuesten Stil, Frau Spatzer Gentiluomo, welche uns von Hannover zugekommen war und auf deren Mitwirkung Marschner großen Wert legte, blieb nicht ungünstig für ihre Partie gestimmt, da sie fand, daß darin mancherlei Rücksicht auf die Erfordernisse der »Brillanz« genommen sei. Wirklich fand sich ein Finale vor, in welchem mein »deutscher Meister« Donizetti den Rang abzulaufen versucht hatte: die Prinzessin war durch eine goldene Rose – das Geschenk des bösen Bischofs von Mainz – vergiftet worden und geriet darüber in Delirium; Adolph von Nassau mit den Rittern des deutschen Reiches schwört Rache und ergießt sich in eine vom Chor akkompagnierte Stretta von unglaublicher Gemeinheit und Unbeholfenheit, so daß Donizetti sie jedenfalls seinem geringsten Schüler vor die Füße geworfen haben würde. – Zu den Hauptproben kam[305] nun Marschner an, war durchaus befriedigt und bot mir genügende Veramassung, mich in der Kunst, ohne zu lügen doch meine Meinung zurückzuhalten, solcherweise zu üben, daß unser Gast sich rücksichtsvoll und eifrig von mir behandelt annehmen durfte. Bei der Aufführung aber ging es dem Publikum nicht viel anders, als es meinen Sängern in der Probe ergangen war: wir brachten ein totgebornes Kind zur Welt; doch tröstete es Marschner vollständig, daß sein Trinkquartett, welches noch etwas in das Beckersche Lied »Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein« hinüberspielte, da capo gerufen wurde. Nach der Aufführung bewirtete ich den Komponisten mit einigen Freunden bei mir mit einem Nachtessen, von welchem leider meine Sänger, welche genug hatten, ausblieben. Herr Ferdinand Hiller hatte die Geistesgegenwart, bei einem auf Marschner ausgebrachten Toast sich dahin auszusprechen, daß, man möge ungefähr sagen was man wolle, hier der Akzent auf den deutschen Meister und das deutsche Werk zu legen sei. Er wurde drolligerweise hierin von Marschner desavouiert, welcher uns im Gegenteil belehrte, daß es mit der deutschen Opernkomponiererei einen Haken habe und man denn doch auch auf die Bedürfnisse der Sänger und ihre Fähigkeiten zum brillanten Gesang mehr Rücksicht nehmen müsse, als dies leider von ihm selber bisher geschehen sei.

Der ungeheure Verfall des wahrhaft hochbegabten deutschen Musikers beruhte demnach zum großen Teil auf einer wirklichen Tendenz, welche in dem alternden Meister eine wichtige und, wie er glaubte, sehr erfolgreiche Änderung hervorgerufen hatte. In späteren Jahren traf ich auf ihn nochmals in Paris, in der Zeit meiner dortigen abenteuerlichen »Tannhäuser«-Aufführung. Ich fand keine Neigung, mich ihm diesmal zu nähern, da ich es mir, aufrichtig gemeint, ersparen wollte, Zeuge der letzten Konsequenz seiner damals in Dresden uns dokumentierten Sinnes-Änderung zu werden. Ich erfuhr, daß er, in ziemlich unbehilflichem kindischem Zustand angelangt, von einer ehrgeizigen jüngeren Frau gegängelt werde, welche die Absicht hatte, für ihn eine letzte Pariser Glorie zu erwerben. Bei dieser Gelegenheit las ich mitunter in Reklamen für den Marschnerschen Ruhm, das Pariser Publikum solle doch nicht etwa glauben, daß ich den deutschen Geist in der Musik gegegenwärtig repräsentiere; denn dieser Geist sei, wie man sich überzeugen werde, wenn man nur Marschner zu Worte kommen lassen wolle, bei weitem gefügiger und für die Franzosen genießbarer, als man es an meinen Werken erfahren würde. Marschner starb, ehe seine Frau mit dem Beweis hierfür zu Ende kam. –

Sehr hübsch und zutraulich nahm sich dagegen, namentlich um jene Zeit, in Dresden Ferdinand Hiller aus. Zwar hatte sich auch Meyerbeer zuweilen in Dresden eingefunden, man wußte nicht recht weshalb: einmal hatte er am »Pirnaischen Schlage« eine kleine Sommerwohnung gemietet, unter einem hübschen Baum im Garten ein kleines Klavier aufstellen lassen und arbeitete dort in idyllischer Zurückgezogenheit an einem »Feldlager in[306] Schlesien«. Doch machte er sich auffallend wenig bemerklich, und ich machte so gut wie keine Erfahrung von ihm. Ungleich breiter und gediegener nahm jedoch Ferdinand Hiller das musikalische Terrain Dresdens, soweit es nicht offiziell durch die Königliche Kapelle und ihre Meister besetzt war, in Beschlag, um es eine Reihe von Jahren hindurch nach Kräften tätig zu bearbeiten. Mit einigem Vermögen ausgestattet, richtete er sich eine behagliche Niederlassung bei uns ein und machte, wie man bald allgemein rühmte, ein »angenehmes Haus«, welches namentlich von der zahlreichen polnischen Kolonie durch Vermittelung der Frau Hiller, einer außerordentlich polnischen Jüdin, die sich mit ihrem Mann zugleich und noch dazu in Italien protestantisch hatte taufen lassen, zu einem beliebten Vereinigungspunkte erwählt wurde. Sein Auftreten begann in Dresden ebenfalls mit einer von uns gegebenen Oper seiner Komposition, »Der Traum in der Christnacht«. Seit dem unerhörten Vorgange, daß mit meinem »Rienzi« zum ersten Male das Dresdener Publikum sich durch Kreierung eines wenigstens dort andauernden Erfolges emanzipierte, lenkte sich der Blick manches Opernkomponisten für einige Zeit nach unserem gemütlichen »Elb-Florenz«, von welchem Laube einmal behauptete, es geschähe einem, als ob man ihm, sobald man es beträte, immer etwas abzubitten habe, da man so manches Gute dort fände, welches man vollständig vergäße, wenn man wieder fort sei. Auch »Der Traum in der Christnacht« wurde von dessen Schöpfer für ein besonders »deutsches Werk« gehalten: ein grauenhaftes Raupachsches Stück, »Der Müller und sein Kind«, in welchem Vater und Tochter kurze Zeit aufeinander an der Schwindsucht sterben, war für Hiller in, wie er meinte, recht populärer Weise zu einem Opernsujet mit Dialog und Musik hergerichtet worden. Er hatte damit dasselbe Schicksal, von dem mir Liszt einmal mitteilte, daß es merkwürdigerweise Hiller immer verfolgte. Bei seinen anerkannten und namentlich auch von Rossini gewürdigten musikalischen Verdiensten habe er doch immer erleben müssen, daß, sowie er eine Oper von sich aufführte, sei es französisch in Paris oder italienisch in Italien, sie immer durchfiel. Auf deutschem Boden hatte er es nun auf »Mendelssohnisch« versucht und wirklich ein Oratorium »Die Zerstörung Jerusalems« zustande gebracht, welches sich des Vorteils, von dem launenhaften Theaterpublikum nicht beachtet zu werden, erfreuen und seinem Schöpfer den unverwüstlichen Ruf eines gediegenen deutschen Komponisten eintragen durfte. Auch war er für Mendelssohn, als dieser zur Generaldirektion nach Berlin berufen war, für die Leitung der Leipziger »Gewandhauskonzerte« eingetreten. Dort war ihm aber sein altes Unglück wiedergekommen: er konnte sich nicht halten, wie es hieß, seiner Frau wegen, welche man nicht als Konzert-Primadonna gelten lassen wollte. Mendelssohn kehrte zurück und verjagte ihn; Hiller rühmte sich, mit ihm sich überworfen zu haben. Dresden und der Erfolg meines »Rienzi« lagen ihm nun so nahe, daß der Versuch einer Wiederaufnahme der Chancen als Opernkomponist sich ganz von[307] selbst darbot. Er wußte es durch seine imponierende Geschäftigkeit und den eigentümlichen Reiz, welchen der Sohn einer reichen Bankier-Familie selbst in den Augen eines Hoftheaterintendanten ausübt, dahin zu bringen, daß mein armer Freund Röckel, dem jetzt eigentlich die Aufführung seines »Farinelli« zugesagt war, seines »Christnachts-Traumes« wegen beiseite geschoben wurde. Er fand überhaupt, daß neben Reissiger und mir doch ein Mensch von größerem musikalischen Rufe, als gerade Röckel es sei, plaziert sein sollte. Herr v. Lüttichau fand jedoch, daß er an uns beiden Berühmtheiten gerade genug hatte, da wir uns namentlich so friedlich vertrügen, und behielt für Hillers Verlockungen ein taubes Ohr. Mir persönlich machte der »Traum in der Christnacht« einige Not; ich hatte davon eine Wiederholung zu dirigieren, welche vor sehr leerem Hause vor sich ging. Hiller fand nun, daß er Unrecht getan, meinem früher erteilten Rate, die Oper um einen Akt zu kürzen und den Schluß zu ändern, nicht nachgekommen zu sein, und glaubte mich jetzt mit der Nachricht erfreuen zu müssen, daß er meinen Wünschen vollständig nachkommen werde, sobald er sich einer abermaligen Wiederholung seiner Oper dadurch versichert halten dürfte. Ich brachte es wirklich dahin, daß diese zustande kam. Das Werk konnte sich aber nicht wieder erholen, und Hiller, der mein Gedicht zum »Tannhäuser« kennenlernte, fand, daß ich allerdings einen großen Vorteil hätte, indem ich mir meine Operntexte selbst machte und diese so gut ausfielen. Ich mußte ihm versprechen, bei der Wahl und Ausarbeitung eines nächsten von ihm zu komponierenden neuen Sujets als Freund an die Hand zu gehen. Nicht lange hierauf wohnte Hiller einer Aufführung meines »Rienzi« bei, welche wiederum vor überfülltem Hause und sehr erregtem Publikum stattfand. Den Augenblick, in welchem ich nach dem zweiten Akte, um dem ungestümen Herausrufe des Publikums nachzukommen, mit der entsprechenden aufgeregten Eile mich aus dem Orchester entfernte, benutzte der auf dem Korridor harrende Hiller, um seinem flüchtigen Glückwunsche zu meinem Erfolge die hastig dringende Bitte beizufügen: »Geben Sie doch auch meinen ›Traum‹ noch einmal«, was ich ihm, soweit an mir es läge, lachend versprach. Ob es jedoch dazu kam, ist mir nicht erinnerlich. In der Erwartung der glücklichen Geburt des rechten neuen Opernsujets, ergab sich Hiller zunächst der eifrigen Pflege der Kammermusik, wofür ihm ein schön eingerichteter Salon von besonderem Vorteil war.

Ein schönes und ernstes Ereignis wirkte auf die Stimmung, in welcher ich schon am Ende des abgelaufenen Jahres die Komposition des »Tannhäuser« beendigte, in der Art ein, daß es die aus dem soeben geschilderten äußeren Verkehr mir erwachsenden Zerstreuungen vorteilhaft neutralisierte. Es war die im Dezember 1844 glücklich ausgeführte Übersiedelung der sterblichen Überreste Carl Maria v. Webers aus London nach Dresden. Wie ich bereits erwähnte, hatte sich seit Jahren ein Komitee gebildet, welches für diese Übersiedelung agitierte. Durch einen Reisenden war es bekannt geworden,[308] daß der unscheinbare Sarg, welcher Webers Asche verwahrte, in einem entlegenen Raum der Londoner Pauls-Kirche so rücksichtslos untergebracht sei, daß zu fürchten stünde, in nicht langer Zeit werde er gar nicht mehr zu finden sein. Mein genannter energischer Freund Professor Löwe hatte diese Kunde benutzt, um die Liedertafel, sein Steckenpferd, zum Angriff der Unternehmung der Übersiedelung der Weberschen Überreste zu treiben. Das Männergesangskonzert, zum Zweck der Aufbringung der Kosten veranstaltet, hatte einen verhältnismäßig bedeutenden Erfolg gehabt; man wollte nun die Theaterintendanz auffordern, in gleichem Sinne sich zu bewähren, als man hiergegen an Ort und Stelle auf einen ersten zähen Widerstand stieß. Von seiten der Dresdener Generaldirektion war dem Komitee bedeutet worden, der König fände religiöse Bedenken gegen die beabsichtigte Störung der Ruhe eines Toten. Man mochte diesem angegebenen Motive nicht recht trauen, konnte aber doch nichts ausrichten, und nun ward meine neue hoffnungsreiche Stellung benutzt, um mich für das Vorhaben eintreten zu lassen. Mit großer Wärme ging ich hierauf ein; ich ließ mich zum Vorstand wählen; man zog eine künstlerische Autorität, den Direktor des Antiken-Kabinetts, Herrn Hofrat Schulz, außerdem noch einen christlichen Bankier hinzu; die Agitation ward von neuem lebhaft betrieben; Aufforderungen ergingen nach allen Seiten; ausführliche Pläne wurden entworfen, und vor allem fanden zahllose Sitzungen statt. Hier trat ich denn abermals in einen Antagonismus mit meinem Chef, Herrn v. Lüttichau: er hätte mir, mit Bezug auf den vorgegebenen königlichen Willen, gewiß gern alles einfach verboten, wenn es gegangen wäre und wenn er nicht, nach der Erfahrung von der im Sommer vorausgegangenen Empfangs-Musik für den König, wie man (auch nach der Gewohnheit des Herrn v, Lüttichau) sich populär ausdrückte, »ein Haar darin gefunden hätte«, mit mir in solchen Dingen anzubinden. Da es mit dem königlichen Widerwillen gegen die Unternehmung jedenfalls nicht so bestimmt gemeint war, er auch schließlich einsehen mußte, daß dieser königliche Wille die Ausführung des Unternehmens auf reinem Privatwege nicht hätte verhindern können, dagegen es dem Hofe Gehässigkeit zuziehen mußte, wenn das Königliche Hoftheater, dem einst Weber angehört hatte, sich feindselig davon ausschloß, so suchte mich Herr v. Lüttichau mehr durch gemütliche Vorstellungen von meiner Teilnahme, ohne welche, wie er meinte, die Sache doch nicht zustande kommen würde, abzubringen. Er stellte mir nämlich vor, wie er doch unmöglich zugeben könnte, daß gerade dem Andenken Webers eine solche übertriebene Ehre erwiesen würde, während doch der verstorbene Morlacchi viel längere Zeit um die Königliche Kapelle sich verdient gemacht habe und niemand daran denke, dessen Asche aus Italien herzuholen. Zu welchen Konsequenzen sollte das führen? Er setze den Fall, Reissiger stürbe nächstens auf einer Badereise; seine Frau könne mit Recht dann ebensogut wie jetzt Frau v. Weber (welche ihm außerdem Ärger genug[309] gemacht habe) verlangen, daß man die Leiche ihres Mannes mit Sang und Klang kommen ließe. Ich suchte ihn hierüber zu beruhigen; gelang es mir nicht, ihm die Unterschiede klarzumachen, über welche er in Verwirrung geriet, so vermochte ich ihn doch davon zu überzeugen, daß jetzt die Sache ihren Lauf nehmen müsse, namentlich da schon das Berliner Hoftheater zur Unterstützung unseres Zweckes eine Benefiz-Vorstellung angekündigt habe. Diese, durch Meyerbeer, an welchen mein Komitee sich gewandt hatte, veranlaßt, fand mit einer Vorstellung der »Euryanthe« wirklich statt und lieferte das schöne Ergebnis eines Beitrags von vollen 2000 Talern. Einige geringere Theater folgten; so konnte nun auch das Dresdener Hoftheater nicht länger zurückstehen, und es fand sich, daß wir unserem Bankier für jetzt ein genügendes Kapital überweisen konnten, um dadurch die Übersiedelungskosten sowie die Bestellung einer geeigneten Gruft mit entsprechendem Grabmal zu bestreiten, und auch noch einen Grundstock übrigbehielten für die dereinst zu erschwingende Statue Webers. Der ältere der beiden hinterlassenen Söhne des verewigten Meisters reiste selbst nach London, um die Asche seines Vaters zurückzuführen. Dies geschah zu Schiff auf der Elbe, wo sie schließlich am Dresdener Landungsplatz anlegte, um hier zuerst auf deutsche Erde übergeführt zu werden. Diese Überführung sollte am Abend bei Fackelschein in feierlichem Zuge vor sich gehen; ich hatte es übernommen, für die dabei auszuführende Trauermusik zu sorgen. Ich stellte diese aus zwei Motiven der »Euryanthe« zusammen; durch die Musik, welche die Geistervision in der Ouvertüre bezeichnet, leitete ich die ebenfalls ganz unveränderte, nur nach B-dur transponierte Kavatine der Euryanthe »Hier dicht am Quell« ein, um hieran die verklärte Wiederaufnahme des ersten Motives, wie es sich am Ende der Oper wieder vorfindet, als Schluß anzureihen. Dieses somit sehr gut sich fügende symphonische Stück hatte ich für 80 ausgewählte Blasinstrumente besonders orchestriert und bei aller Fülle hierbei namentlich auf die Benützung der weichsten Lagen derselben studiert; das schaurige Tremolo der Bratschen in dem der Ouvertüre entlehnten Teile ließ ich durch zwanzig gedämpfte Trommeln im leisesten piano ersetzen und erreichte durch das Ganze, schon als wir es im Theater probierten, eine so überaus ergreifende und namentlich gerade unser Andenken an Weber innig berührende Wirkung, daß, wie die hierbei gegenwärtige Frau Schröder-Devrient, welche allerdings noch Weber persönlich befreundet gewesen war, zu der erhabensten Rührung hingerissen wurde, auch ich mir sagen konnte, noch nie etwas seinem Zwecke so vollkommen Entsprechendes ausgeführt zu haben. Nicht minder glückte die Ausführung der Musik auf offener Straße beim feierlichen Zuge selbst: da das sehr langsame Tempo, welches sich durch keinerlei rhythmische Merkmale deutlich zeichnete, hierfür besondere Schwierigkeiten machen mußte, hatte ich bei der Probe die Bühne gänzlich entleeren lassen, um so den geeigneten Raum zu gewinnen, auf welchem ich die Musiker, nachdem sie das[310] Stück gehörig eingeübt hatten, nun auch während des Vortrags im Kreise um mich her gehen ließ. Mir wurde von Zeugen, welche an den Fenstern den Zug kommen und vorübergehen sahen, versichert, daß der Eindruck der Feierlichkeit unbeschreiblich erhaben gewesen sei.

Nachdem wir den Sarg in der kleinen Totenkapelle des katholischen Friedhofs in Friedrichstadt, in welcher er still und bescheiden von Frau Devrient mit einem Kranz bewillkommt worden war, beigesetzt hatten, ward nun am andern Vormittag die feierliche Versenkung desselben in die von uns bereitgehaltene Gruft ausgeführt. Mir nebst dem andern Vorsitzenden des Komitees, Herrn Hofrat Schulz, war die Ehre zugeteilt worden, eine Grabrede zu halten. Was mir zu ihrer Abfassung einen besonders rührenden Stoff ganz frisch zugeführt hatte, war der kurz vor dieser Übersiedelung erfolgte Tod des zweiten Sohnes des seligen Meisters, Alexander von Weber. Seine Mutter war durch diesen unerwarteten Todesfall des blühenden Jünglings so furchtbar erschüttert, daß wir, wäre unser Unternehmen nicht bereits zu weit gediehen gewesen, uns beinahe veranlaßt gesehen hätten, es aufzugeben, da die Witwe in diesem so schrecklichen neuen Verluste ein Urteil des Himmels zu erkennen geneigt schien, welches hiermit den Wunsch der Übersiedelung der Asche des längst Dahingeschiedenen als einen Frevel der Eitelkeit bezeichne. Da das Publikum in seiner besondern Gemütlichkeit ähnliche Vorstellungen ebenfalls unter sich aufkommen ließ, hielt ich mir die Aufgabe zuerteilt, auch hiergegen unser Unternehmen in das rechte Licht zu stellen; und es gelang mir so, daß von allen Seiten mir bezeugt wurde, daß gegen meine gelungene Rechtfertigung nicht das mindeste mehr aufkäme. Eine besondere Erfahrung machte ich hierbei an mir selbst, da ich zum ersten Male in meinem Leben in feierlicher Rede mich öffentlich vorzustellen hatte. Ich habe seitdem bei vorkommender Veranlassung, Reden zu halten, stets nur ex tempore gesprochen; dieses erste Mal hatte ich mir jedoch meine Rede, schon um ihr die nötige Gedrängtheit zu geben, zuvor schriftlich ausgearbeitet und sie genau memoriert. Da der Gegenstand und meine Fassung desselben mich vollständig erfüllten, war ich meines Gedächtnisses so gewiß, daß ich an keinerlei Vorkehrung zur Nachhilfe dachte; hierdurch setzte ich meinen Bruder Albert, welcher bei der Feierlichkeit in meiner Nähe stand, für einen Moment in große Verlegenheit, so daß er gestand, bei aller Ergriffenheit mich verwünscht zu haben, daß ich ihm das Manuskript nicht zum Soufflieren zugestellt hätte. Es begegnete mir nämlich, daß, als ich meine Rede deutlich und volltönend begonnen, ich von der fast erschreckenden Wirkung, welche meine eigene Sprache, ihr Klang und ihr Akzent auf mich selbst machten, für einen Augenblick so stark affiziert wurde, daß ich in völliger Entrücktheit, wie ich mich hörte, so auch der atemlos lauschenden Menge gegenüber mich zu sehen glaubte und, indem ich mich mir so objektivierte, völlig in eine gespannte Erwartung des fesselnden Vorganges geriet, welcher sich vor mir[311] zutragen sollte, als ob ich gar nicht derselbe wäre, der anderseits hier stehe und zu sprechen habe. Nicht die mindeste Bangigkeit oder auch nur Zerstreutheit kam mir hierbei an; nur entstand nach einem geeigneten Absatz eine so unverhältnismäßig lange Pause, daß, wer mich mit sinnend entrücktem Blicke dastehen sah, nicht wußte, was er von mir denken sollte. Erst mein eigenes längeres Schweigen und die lautlose Stille um mich herum erinnerten mich daran, daß ich hier nicht zu hören, sondern zu sprechen hätte; sofort trat ich wie der ein und sprach meine Rede mit so fließendem Ausdruck bis an das Ende, daß mir hierauf der berühmte Schauspieler Emil Devrient versicherte, wie er nicht nur als Teilnehmer der ergreifendsten Leichenfeier, sondern namentlich auch als dramatischer Redner von dem Vorgange auf das erstaunlichste imprimiert worden sei. Die Feier fand ihren Abschluß durch den Vortrag eines von mir verfaßten und komponierten Gedichtes, welches, sehr schwierig für Männergesang, aber unter der Anführung unserer besten Theater-Sänger sehr schön ausgeführt wurde. Herr von Lüttichau, welcher dieser Feier beigewohnt hatte, erklärte sich mir gleichfalls nun für überzeugt und für die Gerechtigkeit des Unternehmens eingenommen.

Es war ein schöner, meinem tiefsten Innern wohltuender Erfolg, dessen ich mich zu erfreuen hatte; und hätte ihm noch etwas gefehlt, so trug nun Webers Witwe, welcher ich vom Kirchhof aus meinen Besuch machte, durch die innigsten Ergießungen dazu bei, mir jede Wolke zu verscheuchen. Für mich hatte es eine tiefe Bedeutung, daß ich, durch Webers lebensvolle Erscheinung in meinen frühesten Knabenjahren so schwärmerisch für die Musik gewonnen, dereinst so schmerzlich von der Kunde seines Todes betroffen, nun im Mannesalter durch dieses letzte zweite Begräbnis noch einmal mit ihm wie in persönlich unmittelbare Berührung getreten war. Nach meinen voranstehenden Berichten über meinen Verkehr mit lebenden Meistern der Tonkunst und den Erfahrungen, die ich von ihnen machte, kann man ermessen, aus welchem Quell meine Sehnsucht nach innigem Meisterumgang sich zu stärken hatte. Es war nicht tröstlich, vom Grabe Webers nach seinen lebenden Nachfolgern auszusehen; doch sollte mir das Hoffnungslose dieses Ausblickes mit der Zeit erst noch zum recht klaren Bewußtsein kommen. –

Unter diesen teils nach außen lenkenden Zerstreuungen, teils nach innen wirkenden Erlebnissen verbrachte ich den Winter 1844–45; es gelang mir durch äußersten Fleiß und durch Benutzung der frühesten Morgenstunden selbst im Winter, die bereits am Ende des vergangenen Jahres beendigte Komposition des »Tannhäuser« bis im April auch schon in der Partitur auszuführen. Für die Niederschrift der Instrumentation hatte ich mir eine besondere Schwierigkeit dadurch bereitet, daß ich diese zum Zwecke der Autographierung sogleich auf das hierzu nötige besonders präparierte Papier mit all der hierzu erforderlichen Umständlichkeit ausführte. Ich ließ[312] jede Seite sofort auf Stein abdrucken und in 100 Exemplaren abziehen in der Hoffnung, von diesen Exemplaren einen zweckmäßigen Gebrauch für die schnelle Verbreitung meines Werkes machen zu können. Mochte diese Hoffnung nun in Erfüllung gehen oder nicht, jedenfalls war ich jetzt um 500 Taler, welche die Herstellung dieser Exemplare kostete, ärmer. Welches das Schicksal dieser mühseligen, mit solchen Opfern hergestellten Arbeit war, wird in meiner Biographie wohl auch noch vorkommen; genug, ich begrüßte den Mai mit 100 wohlgefalzten, sauberen Exemplaren meines endlich seit dem »Fliegenden Holländer« nun wieder fertig gewordenen ersten neuen Werkes, von welchem selbst Hiller, als ich ihm einiges daraus zeigte, eine ganz erträgliche Meinung zu fassen sich bereit erwies.

Diese Vorkehrungen für eine schnelle Verbreitung des »Tannhäuser« zielten auf einen Erfolg, der durch die Nötigungen meiner Lage mir immer erstrebenswerter erscheinen mußte. Im Verlauf eines Jahres seit dem Beginn des Unternehmens der Selbstherausgabe meiner Opern war hierfür bereits viel geschehen; den vollständigen Klavierauszug des »Rienzi« hatte ich schon im September des verflossenen Jahres 1844 in einem kostbar ausgestatteten Widmungs-Exemplar dem Könige von Sachsen überreicht; auch der »Fliegende Holländer« war fertig geworden; zweihändige und vierhändige Klavierauszüge von »Rienzi« sowie die einzelnen Gesangsnummern aus beiden Opern waren ebenfalls erschienen oder in der Veröffentlichung begriffen; hierzu hatte ich nun noch die Partituren dieser beiden Opern durch sogenannten autographischen Umdruck (jedoch nach der Handschrift eines Kopisten) in je 25 Exemplaren vervielfältigen lassen. Vermehrte diese neue starke Ausgabe meine Kosten auch in sehr bedeutendem Maße, so schien mir doch der Versuch, durch Zusendung meiner Partituren die Theater zur Aufführung meiner Opern anzuregen, jetzt unerläßlich, da die kostbare Herausgabe der Klavierauszüge sich nur rentieren konnte, wenn endlich die gewünschte Verbreitung auf den Theatern durchgesetzt würde. Ich versandte nun an die bedeutendsten Theater zunächst die Partitur des »Rienzi«: von einem jeden erhielt ich sie zurückgeschickt, von dem Münchener Hoftheater sogar unausgepackt. Ich wußte genug und ersparte mir nun die Kosten des Versuchs mit einer Versendung des »Holländers«. Geschäftlich spekulativ betrachtet stand die Sache demnach so, daß der verhoffte Erfolg des »Tannhäuser« auch jene früheren Opern mit nach sich ziehen sollte; auch der würdige Hofmusikalienhändler Meser, mein wunderlicher, bereits ziemlich bedenklich gewordener Kommissionär, mußte notgedrungen auf diese Ansicht verfallen. Die Herausgabe des Klavierauszuges des »Tannhäusers«, den ich diesmal selbst verfertigte, während mir Röckel den des »Fliegenden Holländers«, ein gewisser Klink den des »Rienzi« verfaßt hatte, ward demnach sofort in Angriff genommen. Nur gegen den Titel, welcher damals noch »Der Venus berg« lautete, war Meser so vollständig eingenommen, daß er mir ihn auch wirklich ausredete: er[313] behauptete, ich käme nicht unter das Publikum und hörte nicht, wie man über diesen Titel die abscheulichsten Witze machte, welche namentlich von den Lehrern und Schülern der medizinischen Klinik in Dresden, wie er meinte, ausgehen müßten, da sie sich auf eine nur in diesem Bereich geläufigere Obszönität bezögen. Es genügte, eine so widrige Trivialität mir bezeichnet zu hören, um mich zu der gewünschten Änderung zu bewegen: ich fügte dem Namen meines Helden Tannhäuser die Benennung desjenigen Sagenstoffes hinzu, welchen ich, ursprünglich der Tannhäuser-Mythe fremd, mit dieser in Verbindung gebracht hatte, woran leider später der so sehr von mir geschätzte Sagen-Forscher und Erneuerer Simrock Ärger nahm.

»Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg« sollte aber dem Publikum bereits in einer seiner mittelalterlichen Tendenz entsprechenden Gestalt auch durch die Ausstattung des Klavierauszuges vorgeführt werden, und ich ließ deshalb durch unsre Leipziger Offizin besondre Typen für gotische Alphabete zur Wiedergabe des Textes anfertigen, eine nicht geringe Vermehrung der Kosten, mit welcher ich Meser meine große Zuversicht auf den Erfolg dieses Werkes recht eindringlich bekundete. Wir staken bereits so tief darin, und die Herbeischaffung der nötigen Kapitalien für mein Unternehmen war bereits mit so großen Opfern verbunden, daß uns auch gar nichts übrigblieb, als auf eine höchst bedeutende günstige Wendung meiner Angelegenheiten zu rechnen. Andrerseits ward meine Hoffnung auf den »Tannhäuser« von der Generaldirektion des Theaters vollständig geteilt. Mehrere vorzügliche Dekorationen, welche die besten Maler der Großen Oper in Paris für Dresden geliefert hatten und welche, zu dem damals noch üblichen Stil der deutschen Dekorationsmalerei gehalten, den Eindruck wirklicher Kunstwerke edelster Gattung machten, hatten mich veranlaßt, Herrn v. Lüttichau zu bestimmen, den »Tannhäuser« von denselben Künstlern ausstatten zu lassen. Die Bestellungen hierfür sowie die Besprechungen mit dem Pariser Maler Despléchin hatten schon im vergangenen Herbst stattgefunden. Alle meine Wünsche wurden genehmigt, namentlich auch die Anfertigung schöner und charakteristischer mittelalterlicher Kostüme nach den Zeichnungen meines Freundes Heine in Auftrag gegeben; nur die Bestellung der Sängerhalle auf der Wartburg verzögerte Herr v. Lüttichau immer von neuem, weil er behauptete, der vor kurzem von den französischen Malern für »Oberon« gelieferte Saal Kaiser Karls des Großen könne mir recht gut auch für meinen Zweck genügen. Es kostete mich übermenschliche Anstrengung, meinem Chef zu beweisen, daß es hier nicht um einen glänzenden Kaisersaal zu tun sei, sondern um ein szenisches Bild von genau von mir ins Auge gefaßter Eigentümlichkeit, welches nur nach meinen Angaben ins Leben zu rufen sei. Da ich endlich sehr gereizt und unmutig mich erwies, beruhigte er mich und sagte, er habe gewiß nichts gegen die Anfertigung auch dieser Halle und wolle sie sofort bestellen, nur hätte er geglaubt, meine Freude auch hierüber zu vergrößern, wenn er es mir etwas[314] schwerer mache, weil, was man sogleich gewährt erhielt, für nichts geachtet würde. Diese Sängerhalle sollte mir noch große Nöten machen. Immerhin war nun alles vortrefflich im Gange; alle Gunst der vorhandenen Umstände vereinigte sich in einem Brennpunkte, welcher auf die für die Eröffnung der Herbstsaison vorbereitete Aufführung meines neuen Werkes ein hoffnungerweckendes Licht warf. Auch war die Spannung darauf nicht gering; zum ersten Male las ich in einer Korrespondenz der »Allgemeinen Zeitung« mit bedeutungsvoller Geneigtheit mich erwähnt, als von der Erwartung gesprochen wurde, mit welcher man meinem neuen Werke entgegensah, dessen Dichtung »mit unverkennbarem poetischem Verstand« verfaßt sei. So den besten Hoffnungen mich hingebend, trat ich im Juli meinen diesjährigen Sommerurlaub mit einer Reise nach Marienbad in Böhmen an, um dort wegen einer mir und meiner Frau gleichmäßig angeratenen Brunnenkur unseren Erholungsaufenthalt zu nehmen.

Wieder war ich auf dem vulkanischen Boden dieses merkwürdigen und für mich immer anregenden Böhmen; ein wundervoller, fast nur zu heißer Sommer diente zur Nahrung meiner inneren Heiterkeit. Ich hatte mir vorgenommen, mich der gemächlichsten Lebensweise, wie sie andrerseits für die sehr aufregende Kur unerläßlich ist, hinzugeben. Sorgsam hatte ich mir die Lektüre hierzu mitgenommen: die Gedichte Wolfram von Eschenbachs in den Bearbeitungen von Simrock und San Marte, damit im Zusammenhange das anonyme Epos vom »Lohengrin« mit der großen Einleitung von Görres. Mit dem Buche unter dem Arm vergrub ich mich in die nahen Waldungen, um am Bache gelagert mit Titurel und Parzival in dem fremdartigen und doch so innig traulichen Gedichte Wolframs mich zu unterhalten. Bald regte aber die Sehnsucht nach eigener Gestaltung des von mir Erschauten sich so stark, daß ich, vor jeder aufregenden Arbeit während des Genusses des Marienbader Brunnens gewarnt, Mühe hatte, meinen Drang zu bekämpfen. Hieraus erwuchs mir eine bald beängstigend sich steigernde Aufregung: der »Lohengrin«, dessen allererste Konzeption schon in meine letzte Pariser Zeit fällt, stand plötzlich vollkommen gerüstet mit größter Ausführlichkeit der dramatischen Gestaltung des ganzen Stoffes vor mir. Namentlich gewann die an ihm so bedeutungsvoll haftende Schwanensage durch alle um jene Zeit vermöge meiner Studien mir bekannt gewordenen Züge dieses Mythenkomplexes einen übermäßigen Reiz für meine Phantasie. Eingedenk der ärztlichen Warnung, wehrte ich gewaltsam die Versuchung zum Niederschreiben des entstandenen Planes von mir und wendete dagegen ein energisches Mittel der sonderbarsten Art an. Aus wenigen Notizen in Gervinus' »Geschichte der deutschen Literatur« hatten die Meistersinger von Nürnberg, mit Hans Sachs, für mich ein besondres Leben gewonnen. Namentlich ergötzte mich schon der Name des »Merkers« sowie seine Funktion beim Meistersingen ungemein. Ohne irgend Näheres von Sachs und den ihm zeitgenössischen Poeten noch zu kennen, kam mir auf[315] einem Spaziergange die Erfindung einer drolligen Szene an, in welcher der Schuster, mit dem Hammer auf den Leisten, dem zum Singen genötigten Merker zur Revanche für von diesem verübte pedantische Untaten als populär handwerklicher Dichter eine Lektion gibt. Alles konzentrierte sich vor mir in den zwei Pointen des Vorzeigens der mit Kreidestrichen bedeckten Tafel von seiten des Merkers und des die mit Merkerzeichen gefertigten Schuhe in die Luft haltenden Hans Sachs, womit beide sich anzeigten, daß »versungen« worden sei. Hierzu konstruierte ich mir schnell eine enge, krumm abbiegende Nürnberger Gasse mit Nachbarn, Alarm und Straßenprügelei als Schluß eines zweiten Aktes – und plötzlich stand meine ganze Meistersingerkomödie mit so großer Lebhaftigkeit vor mir, daß ich, weil dies ein besonders heitres Sujet war, es für erlaubt hielt, diesen weniger aufregenden Gegenstand trotz des ärztlichen Verbotes zu Papier zu bringen. Dies geschah, und namentlich hoffte ich damit mich vom Befassen mit dem »Lohengrin« befreit zu haben. Doch hatte ich mich getäuscht: kaum war ich um die Mittagszeit in mein Bad gestiegen, als ich von solcher Sehnsucht, den »Lohengrin« aufzuschreiben, ergriffen ward, daß ich, unfähig, die für das Bad nötige Stunde abzuwarten, nach wenigen Minuten bereits ungeduldig heraussprang, kaum die Zeit zum ordentlichen Wiederankleiden mir gönnte und wie ein Rasender in meine Wohnung lief, um das mich Bedrängende zu Papier zu bringen. Dies wiederholte sich mehrere Tage, bis der ausführliche szenische Plan des »Lohengrin« ebenfalls niedergeschrieben war.

Nun fand der Badearzt aber, daß es besser sei, ich gäbe Brunnen und Wanne auf und ließe mir ein für allemal gesagt sein, daß ich zu solchen Kuren nicht tauge. Meine Aufregung hatte so zugenommen, daß der Versuch des nächtlichen Schlafes in der Regel zu einer Folge von Abenteuern führte. Wir machten einige zerstreuende Ausflüge, unter andrem nach Eger, welches mich durch seine Erinnerungen an Wallenstein sowie durch die originelle Tracht seiner Bewohner höchlich ansprach. Mitte August reisten wir zurück nach Dresden; meine Freunde freuten sich meiner übermütig heitern Laune: mir war, als ob ich Flügel hätte.

So begann denn nun, als mit September unsere Sänger alle wieder eingetroffen waren, das Studium des »Tannhäuser«, welches mich bald wieder ernst und immer ernster stimmte. Die Proben gediehen bald bis dahin, daß die Aufführung, soweit sie durch musikalische Studien vorzubereiten war, in nahe Aussicht gerückt wurde. Von den besonderen Schwierigkeiten, welche der Darstellung gerade dieses Werkes entgegenstanden, gewann zuerst Frau Schröder-Devrient einen Begriff, und zwar wurden sie ihrem Gefühle und ihrer Einsicht so deutlich, daß sie hierüber sich zu meinem Unbehagen und meiner Beschämung mir mitzuteilen wußte. Vor allem schon das Gedicht gab ihr hierzu die Anleitung: sie las mir bei einem Besuche sehr schön und ergreifend die Hauptstellen des letzten Aktes vor und frug mich, wo ich denn den Kopf hätte zu glauben, daß ein so kindischer Mensch wie [316] Tichatschek die Akzente für diesen Tannhäuser finden könnte. Ich suchte sie und mich auf die Eigenschaft meiner Musik hinzulenken, welche so genau und bestimmt den nötigen Akzent zum Ausdruck bringe, daß ich vermeinen müßte, die Musik spräche für den Darsteller, selbst wenn dieser eben nur ein musikalischer Sänger sei. Sie schüttelte den Kopf und meinte, das möchte sich hören lassen, wenn ich von einem Oratorium spräche. Nun aber sang sie mir nach dem Klavierauszug das Gebet der Elisabeth vor und frug mich, ob ich wohl glaubte, daß diese Noten durch eine junge hübsche Stimme ohne eigene Seele und alle die Schärfe der unerläßlichen Herzenserfahrungen sich so von selbst singen würden, daß es meiner Absicht entspräche. Ich seufzte und meinte, das Fehlende müßte eben durch die Kindlichkeit und Jugendlichkeit dieser Stimme und Darstellerin sich diesmal ersetzen. Doch bat ich sie sehr, mit meiner Nichte Johanna, welcher die Rolle der Elisabeth zugeteilt war, sich hierüber in ein belehrendes Einvernehmen zu setzen. Leider war aber in dieser wie in keiner Weise für die Lösung der Aufgabe des Tannhäuser zu sorgen, da mein rüstiger Freund Tichatschek durch jeden Versuch einer Belehrung nur irregemacht werden konnte. So mußte ich mich denn ganz allein auf die Energie der Stimme und des diesem Sänger besonders eigenen scharfen Sprachtones verlassen.

Die Sorge der großen Künstlerin hatte, indem sie sich auf die Leistungen der eigentlichen Hauptrollen bezog, aber auch noch einen besonderen persönlichen Grund: sie wußte nämlich selbst nicht, was mit der Partie der Venus anzufangen, welche sie, trotz ihres sehr geringen Umfanges, dennoch gerade der Schwierigkeit und Bedeutung der ideellen Aufgabe wegen und um zum Gelingen des Ganzen beizutragen, übernommen hatte. Von dem nur allzu skizzenhaften Ausfall dieser Partie überzeugte ich mich später so bestimmt, daß ich, als durch die Pariser Aufführung die Bearbeitung meines Werkes mir nochmals nahegerückt wurde, in sehr ausführlicher Weise das Versäumte und von mir innig Vermißte durch eine vollständige Neugestaltung der Partie nachholte. Für jetzt blieb es dabei, daß diese Skizze durch keine Kunst der Darstellerin zu einer der Idee entsprechenden Ausführung gelangen konnte. Höchstens wäre durch eine Berufung an die rein sinnliche Teilnahme des Publikums, durch eine besonders jugendlich schöne Erscheinung, durch das persönliche Vertrauen der Darstellerin auf die Wirkung dieses physischen Hilfsmittels zu irgendwelchem Eindruck zu gelangen gewesen. Das Gefühl davon, daß dieses Wirkungsmittel ihr jetzt nicht mehr zu Gebot stand, lähmte die bereits in das Matronenhafte sich zeichnende große Künstlerin und erhielt sie in der Befangenheit, welche ihr die Anwendung der gewöhnlichen Mittel des Gefallens verwehrte. Mit einem verzweiflungsvollen Lächeln äußerte sie sich einmal über die Schwierigkeit, die Venus darzustellen, welche einfach nur aus der einen Unmöglichkeit entspringe, sie im richtigen Kostüm zu geben: »Um Gottes willen, was soll ich denn als Venus anziehen? Mit einem bloßen Gürtel geht es doch nicht! Nun wird eine Redouten-Puppe daraus; Sie werden Ihre Freude haben!« –[317]

Im ganzen vertraute ich für alles jedoch immer noch auf die Wirkung des reinen musikalischen Ensembles, welches sich auch in den Orchesterproben sehr ermutigend herausstellte. Schon Hiller hatte beim Durchblick der Partitur mit völliger Verwunderung mir den Lobspruch erteilt, daß mäßiger zu instrumentieren gewiß nicht möglich sei. Die charakteristische und zarte Sonorität des Orchesters erfreute mich selbst sehr und bestärkte mich in dem Vorsatz, von der äußersten Sparsamkeit in der Anwendung der Orchestermittel auszugehen und so die Möglichkeit der Fülle von Kombinationen zu gewinnen, deren ich zu meinen späteren Werken bedurfte. Nur meine Frau vermißte in den Orchesterproben bereits die Trompeten und Posaunen, die im »Rienzi« immer eine so glänzende Frische unterhalten hätten. Konnte ich hierzu lächeln, so mußte ich doch ihrem ängstlichen Schreckgefühle, welches sie bei einer der Theaterproben durch die Wahrnehmung der matten Wirkung des »Sängerkrieges« erhalten hatte, eine ernstere Beachtung geben. Sie hatte, vom Standpunkt des Publikums ausgehend, welches in irgendwelcher Weise immer unterhalten oder angeregt sein will, sehr richtig eine höchst bedenkliche Seite der sich vorbereitenden Darstellung berührt. Nur mußte ich sogleich deutlich erkennen, woran es lag, und daß mir weniger der Fehler einer irrigen Konzeption als der einer leichtsinnigen Überwachung der Ausführung vorzuwerfen war. Ich befand mich bei der Konzeption dieser Szene unbewußt nämlich vor dem wesentlichen Dilemma, in welchem ich mich für alle Zukunft zu entscheiden hatte. Sollte dieser Sängerkrieg ein Arienkonzert sein oder ein poetisch-dramatischer Wettstreit? Der Charakter des eigentlichen Operngenres erforderte (und dieser Meinung ist noch heutzutage ein jeder, der durch eine vollkommen glückliche Ausführung meiner Szene nicht den richtigen Eindruck von der Sache gewonnen hat), daß hier eine Nebeneinander- und Gegenüberstellung von Gesangsevolutionen stattgefunden hätte, und zwar daß die verschiedenen Gesangsstücke, rein musikalisch, durch Anwendung merklich abwechselnder Rhythmen und Taktarten in dem Sinne sich unterhaltend ausnähmen, wie z.B. in der Zusammenstellung eines Konzertprogramms darauf gesehen werden muß, daß durch mannigfaltigsten Wechsel ganz von selbst eine gewissermaßen schon durch stete Überraschung herbeigeführte Unterhaltung entsteht. Dies war nun ganz und gar nicht meine Absicht; und meine wirkliche Absicht war nur zu erreichen, wenn es mir möglich wurde, diesmal – zum allerersten Male in der Oper – den Zuhörer zur Teilnahme an einem dichterischen Gedanken durch Verfolgung aller seiner nötigen Entwickelungsphasen zu zwingen; denn nur aus dieser Teilnahme sollte die Ermöglichung des Verständnisses der Katastrophe herbeigeführt werden, welche diesmal durch keinerlei äußeren Anlaß, sondern lediglich aus der Entwickelung von Seelenvorgängen herbeigeführt werden mußte. Deshalb die musikalisch äußerst mäßige, breite, dem Verständnis der poetischen Rede nicht nur nicht hinderliche, sondern nach meinem Dafürhalten besonders[318] förderliche Anlage und der erst mit der Erhitzung der Leidenschaft sich steigernde rhythmische Aufbau der Melodie, in keiner Weise willkürlich unterbrochen durch unnötige modulatorische und rhythmische Wendungen; deshalb die sparsamste Benutzung der Orchesterinstrumente für die Begleitung und die absichtliche Versagung aller der rein musikalischen Wirkungsmittel, welche erst allmählich da, wo die Situation sich so steigert, daß nur noch das Gefühl, fast kaum mehr aber der Gedanke zum Erfassen des Vorganges nötig ist, in das Spiel gesetzt wurden. Niemand konnte mir leugnen, daß ich die richtige Wirkung hiervon erzielte, sobald ich selbst am Klavier den ganzen Sängerkrieg vortrug. Hier aber lag nun gerade die für alle meine zukünftigen Erfolge so entscheidende Schwierigkeit, nämlich auch von unsern Opernsängern dies ganz in der von mir gewollten Weise ausgeführt zu sehen. Die auf Mangel an Erfahrung hiervon beruhende Vernachlässigung, die ich mir schon beim »Fliegenden Holländer« hatte zuschulden kommen lassen, kam mir nun diesmal in ihrer ganzen Schädlichkeit zum Bewußtsein; und mit größtem Eifer sann ich jetzt darauf, wie es anzufangen sei, die richtige Vortragsweise meinen Sängern beizubringen. Leider war es unmöglich, auf Tichatschek zu wirken, weil, wie ich schon sagte, vollends alles zu fürchten war, wenn er durch Einreden von Dingen, die ihm durchaus unfaßlich waren, befangen und verwirrt gemacht wurde. Er war sich der großen Vorzüge bewußt, mit metallischer Stimme musikalisch und rhythmisch gut und richtig zu singen und zugleich mit vernehmbarster Deutlichkeit auszusprechen. Daß dies eben alles jedoch nicht genügte, hatte ich nun aber zu meinem eigenen Erstaunen erst zu erfahren; und als ich gar in der ersten Aufführung mit Schrecken gewahrte, daß, was mir unbegreiflicherweise in den Proben entgangen war, Tannhäuser am Schlusse des Sängerkrieges seinen mit wahnsinniger Ekstase und Vergessen aller Gegenwart an die Venus gerichteten Lobgesang zärtlich schwelgend unmittelbar an Elisabeth richtete, vor welche er damit hintrat, gedachte ich allerdings der Mahnung der Schröder-Devrient ungefähr in der Weise wie Krösus, als er auf dem Scheiterhaufen »O Solon! Solon!« rief.

Während mir nun von dem an sich durch größere Lebhaftigkeit und melodischen Reiz sich auszeichnenden Elemente des Tannhäuser in diesem Sängerkrieg, trotz der musikalischen Vorzüglichkeit meines Sängers, alles verunglückte, gelang es mir dagegen von der andern Seite her ein neues, ich glaube fast sagen zu können, bisher in der Oper noch nie so deutlich hervorgetretenes Element in das Leben zu rufen. Ich hatte den noch jungen Baritonisten Mitterwurzer – einen sonderbar verschlossenen, unumgänglichen Menschen – in einigen seiner Rollen mit Aufmerksamkeit beobachtet und bei seiner weichen, anmutigen Stimme die schöne Fähigkeit, den innern Ton der Seele erbeben zu machen, wahrgenommen. Ihm hatte ich den Wolfram anvertraut und hatte allen Grund, bisher mit seinem Eifer und dem guten Erfolge seines Studiums zufrieden zu sein. An ihn mußte ich mich[319] daher halten, um meine bisher unausgesprochenen Anforderungen bis in ihre letzten Konsequenzen zur Geltung zu bringen, wenn ich, namentlich für diesen so problematischen Sängerkrieg, die Richtigkeit meiner Absicht und meines Verfahrens zur Erkenntnis bringen wollte. Ich nahm mit ihm nun vor allem den Eröffnungsgesang dieser Szene vor und war, nachdem ich ihm diesen in meiner Weise auf das eindringlichste vorgetragen hatte, zunächst allerdings erstaunt darüber, wie neu und schwierig dieser Vortrag ihm erschien. Er fühlte sich ganz außerstand, es mir nachzumachen, verfiel bei jedem Versuche sogleich wieder in das banale Heruntersingen, welches mir deutlich zeigte, daß er bisher auch an diesem Stücke noch nichts weiter erkannt hatte als die anscheinend rezitativische Phrase mit gewissen beliebigen Inflexionen, welche je nach dem Bedarf der Stimmgebung nach reinem Operngesangsbelieben so oder auch anders gegeben werden konnten. Auch er war über seine Unfähigkeit, es mir nachzumachen, erstaunt, zugleich aber von der Neuheit und Richtigkeit meines Verfahrens und der hierauf begründeten Anforderungen so ergriffen, daß er mich bat, für jetzt mit ihm keine weitern Versuche mehr anstellen zu wollen, dagegen es ihm zu überlassen, sich in der ihm erschlossenen neuen Welt auf seine Weise zurechtzufinden. In mehreren Proben deutete er jetzt seinen Gesang mit halber Stimme, wie um darüber hinwegzukommen, nur an; dagegen erlebte ich nun in der letzten Hauptprobe an seiner jetzt mit voller Hingebung gelösten Aufgabe einen so bedeutsamen Erfolg, daß dieser mir bis auf den heutigen Tag als ein Anker der Hoffnung für die Möglichkeit des Gewinnes und der richtigen Ausbildung der mir nötigen Darsteller, trotz aller Verderbtheit unseres Opernwesens, für alle Zukunft wirkungsvoll geblieben ist. Der Eindruck dieses Gesanges, für dessen richtige Wiedergabe der ganze Mensch in Haltung, Blick und Miene sich vollkommen umgewandelt und neu geschaffen hatte, wurde in sehr merkwürdiger Weise auch zum Ausgangspunkt des endlich erzielten Verständnisses meines ganzen Werkes von seiten des Publikums; wie überhaupt die ganze Rolle des Wolfram, welche Mitterwurzer, durch die Lösung dieser einen Aufgabe zum vollen Künstler umgeschaffen, durchweg gleichmäßig schön und ergreifend durchführte, zum eigentlichen Rettungsanker für mein durch den ungenügenden Erfolg der ersten Aufführung höchst bedrohtes Werk wurde.

Neben ihm trat die Gestalt der Elisabeth einzig als wirklich sympathisch hervor. Die jugendliche Erscheinung meiner Nichte, die schlanke hohe Gestalt, der entschieden deutsche Stempel ihrer Physiognomie, die damals noch unvergleichlich schöne Stimme, der oft kindlich rührende Ausdruck halfen ihr, bei gut geleiteter Verwertung ihres unverkennbaren theatralischen, wenn auch nicht dramatischen Talentes die Herzen des Publikums entscheidend zu gewinnen. Sie wurde durch diese Leistung schnell berühmt; und noch in späteren Jahren wurde mir, sobald von einer Aufführung des »Tannhäuser« mir gemeldet wurde, in welcher sie mitgewirkt, stets berichtet,[320] daß der Erfolg desselben fast einzig nur ihr zu verdanken gewesen wäre. Wunderlicherweise hörte ich bei solchen Gelegenheiten fast immer nur ihr mannigfaltiges und höchst einnehmendes Spiel beim Empfang der Gäste auf der Wartburg rühmen; ich erkannte darin den andauernden Erfolg unglaublicher Bemühungen, welche ich und mein hierin sehr erfahrener Bruder uns in betreff dieses Spieles gegeben hatten. Leider ist aber für alle Zeiten es unmöglich geblieben, ihr den richtigen Vortrag des Gebetes im 3. Akte beizubringen; ich kam hierfür ganz in den Fall wie mit Tichatschek und hatte wieder »O Solon, Solon!« zu rufen, als ich nach der ersten Aufführung diesem Tonstücke eine große Kürzung beibringen mußte, wodurch es seiner Bedeutung nach meinem Sinne für immer verlustig ging. Wie ich höre, hat die eine Zeitlang für eine wahrhaft große Künstlerin geltende Johanna es wirklich auch nie so weit gebracht, sich dieses Gebetes vollständig zu bemächtigen, was andrerseits einer französischen Sängerin, Frl. Marie Sax in Paris, zu meiner größten Befriedigung vollständig gelang.

Wir waren im Anfang des Oktober bereits so weit in unserm Studium vorgerückt, daß einer sehr baldigen Aufführung nichts mehr entgegenstand als die Beschaffung des theatralisch-dekorativen Teiles derselben. Sehr spät trafen erst einige der in Paris bestellten Dekorationen ein. Von vorzüglicher Wirkung und vollständig gelungen war das Wartburg-Tal. Das Innere des Venusberges machte mir dagegen viel zu schaffen: der Maler hatte mich nicht verstanden, Bosketts mit Statuen, wie sie selbst an Versailles erinnerten, in einer wilden Berghöhle angebracht und jedenfalls nicht gewußt, wie er den Charakter des Grauenhaften mit dem Verlockenden in Einklang bringen sollte. Ich mußte auf große Änderungen dringen, namentlich auf das Übermalen der Bosketts und Statuen, was Zeit kostete. Die Verhüllung dieser Grotte in den rosigen Nebel, aus welchem schließlich das Wartburg-Tal hervorbricht, mußte ganz neu nach einer besondren Erfindung, welche ich hierfür anzugeben hatte, zur Ausführung gebracht werden. Die Hauptkalamität ergab sich aber aus der Verzögerung in der Ankunft der Dekoration der Sängerhalle; auf das leichtfertigste von Paris aus hingehalten, verging Tag auf Tag, während im übrigen alles bis zur Generalprobe in fast ermüdender Weise durchprobiert war. Täglich wanderte ich nach dem Eisenbahnhof, durchstöberte alle Ballen und Kisten: keine Sängerhalle kam. Endlich ließ ich mich bestimmen, um die längst angekündigte erste Aufführung nicht weiter zu verzögern, den von Lüttichau anfänglich mir bestimmten Saal Karls des Großen aus »Oberon« für die Sängerhalle zu substituieren, was mich, der ich in allem auf bestimmte poetische Wirkung ausging, ein empfindliches Opfer kostete. Wirklich trug die Wiedererscheinung dieses bereits in vielen Aufführungen des »Oberon« zur Genüge produzierten Kaisersaales beim Aufrollen des Vorhanges im zweiten Akt nicht wenig zu den Enttäuschungen des Publikums bei, welches von dieser Oper in jedem Betreff die erstaunlichsten Überraschungen erwartete.[321]

Am 19. Oktober ging die erste Aufführung vor sich. Am Morgen dieses Tages ließ sich eine vornehme, schöne junge Dame durch den Konzertmeister Lipinsky bei mir einführen: es war dies Frau Kalergis, eine Nichte des russischen Staatskanzlers Grafen v. Nesselrode, welche durch Liszt in enthusiastisch anregender Weise für mich gewonnen worden und jetzt in Dresden angekommen war, um dem Wunder der Kreierung meines neuesten Werkes beizuwohnen. Diese schmeichelhafte Erscheinung durfte ich mit Recht für ein gutes Anzeichen halten. Wenn sie für diesmal mit dem Eindruck, den sie durch eine sehr unklare Aufführung und Aufnahme erhielt, gewiß mit einiger Betroffenheit wie enttäuscht sich wieder von mir wandte, so hatte ich doch im Verlaufe meines Lebens genügend mich dessen zu erfreuen, was dieser erste Eindruck in der energischen, bedeutenden Frau gepflanzt und genährt hatte. – Ein wunderliches Gegenstück zu diesem Besuch bildete die mit einigen Opfern seinerseits erkaufte Ankunft eines sonderbaren Menschen, C. Gaillard, des Herausgebers einer vor kurzem begonnenen Berliner musikalischen Zeitung, in welcher ich mit Staunen die erste und einzige durchaus günstige und bedeutend eingehende Besprechung meines »Fliegenden Holländers« gelesen hatte. Zu so großem Gleichmute gegen das Verhalten der Rezensentenwelt ich mich notgedrungen bereits auch gewöhnt hatte, wirkte doch jener Aufsatz sehr eindrucksvoll auf mich, und ich forderte den mir persönlich ganz unbekannten Menschen auf, nach Dresden zu kommen und der ersten Aufführung des »Tannhäuser« beizuwohnen. Wirklich kam er, und zu meiner Rührung lernte ich in ihm einen in dürftigen Verhältnissen mühsam sich abquälenden, von verzehrender Kränklichkeit bedrohten jungen Mann kennen, welcher, ohne Anspruch auf jede Entschädigung, ja nur gastliche Bewirtung zu machen, rein seiner Ehrenpflicht gefolgt zu haben glaubte, als er meinem Rufe nachkam. Seinen Kenntnissen und Fähigkeiten merkte ich wohl an, daß er zu keinem großen Einfluß berufen sein würde, wogegen sein redliches Gemüt und sein empfänglicher Verstand mich mit wahrer Achtung für den armen Menschen erfüllten, der, ohne es eben weit gebracht zu haben, nach einigen Jahren zu meinem Bedauern seiner Kränklichkeit erlag, nachdem er von seiner Treue und Sorgsamkeit für mich auch unter den schwierigsten Umständen nie gewichen war. – Außerdem hatte sich bereits aber seit etwas länger meine bis dahin mir ebenfalls unbekannt gebliebene, durch die Aufführung des »Fliegenden Holländer« in Berlin mir gewonnene Freundin Alwine Frommann eingefunden. Ich machte ihre persönliche Bekanntschaft bei Frau Schröder-Devrient, mit der sie bereits befreundet war und welche sie mir lächelnd als eine von mir gemachte feurige Eroberung ankündigte. Bereits in nicht mehr jugendlichem Alter und ohne allen Anspruch auf physiognomische Bevorzugung, stand ihr nichts als ein vorzüglich scharfblickendes, beredtes Auge zur Verfügung, um ihre bedeutende Seelenbegabung schon durch ihr Äußeres mitzuteilen. Sie war Schwester des Buchhändlers [322] Frommann in Jena und wußte viel Intimes von Goethe zu erzählen, welcher im Hause dieses Bruders wohnte, wenn er sich in Jena aufhielt. Unter dem Titel einer Vorleserin war sie aber besonders der damaligen Prinzessin Augusta von Preußen nahegetreten und durfte von denjenigen, die ihr Verhältnis zu der hohen Frau näher kennenlernten, fast wohl als ihre Freundin und Vertraute angesehen werden. Nichtsdestoweniger lebte sie in äußerst dürftiger Lage und schien stolz darauf, durch ihr bescheidenes Talent als Arabesken-Malerin sich eine Art von Unabhängigkeit zu sichern. Mit großer Treue ist sie mir stets zugetan geblieben, wie sie jetzt bereits zu den wenigen gehörte, welche unbeirrt durch den mißlichen Eindruck der ersten Aufführung des »Tannhäuser« sich schnell, bestimmt und mit großer Innigkeit für diese meine neueste Arbeit erklärten.

Was diese Aufführung nun selbst betraf, so stelle ich die von mir dabei gemachten sehr lehrreichen Erfahrungen in folgenden Zusammenhang: der wirkliche Fehler meiner Arbeit, dessen ich bereits gelegentlich Erwähnung tat, lag in der nur skizzenhaften und unbeholfenen Ausführung der Rolle der Venus, somit der ganzen großen Einleitungsszene des ersten Aktes. Auf die theatralische Darstellung hatte dieser Fehler den Einfluß, daß es in ihr zu keiner eigentlichen Wärme, zumal nicht zu der hocherregten Spannung der Leidenschaft kam, welche der dichterischen Konzeption nach von hier aus die Empfindung des Zuschauers so stark imprimieren muß, daß das Gedenken der Katastrophe, auf welche diese Szene ausgeht, mit tragischer Beklemmung auf den Erfolg der weiteren Entwickelung des Dramas vorbereiten soll. Diese große Szene mißlang vollständig, trotzdem eine so wahrhaft große Künstlerin wie Frau Schröder-Devrient und ein so ungemein begabter Sänger wie Tichatschek einzig sie auszuführen hatten. Vielleicht hätte das Genie der Devrient ganz aus sich noch den richtigen Akzent für die Leidenschaftlichkeit dieser Szene gewonnen, wenn sie nicht gerade mit einem Sänger zu tun gehabt hätte, welcher, an sich für jeden dramatischen Ernst unbefähigt, auch in seiner natürlichen Begabung nur für freudige oder deklamatorisch energische Akzente organisiert, für den Ausdruck des Schmerzes und des Leidens aber ganz und gar ohne Anlage war. Das Publikum erwärmte sich erst einigermaßen bei dem rührenden Gesange des Wolfram und der Schlußszene dieses Aktes. Auch Tichatschek wirkte dann durch den Jubel seiner Stimme in dem Finalsatze so hinreißend, daß man mir nachher versicherte, nach diesem ersten Akte habe eine vortrefflich erregte Stimmung im Publikum geherrscht. Diese unterhielt und steigerte sich im Verlaufe des zweiten Aktes, in welchem Elisabeth und Wolfram höchst sympathisch wirkten; nur verschwand der Held des Dramas, Tannhäuser, immer mehr und verlor sich so gänzlich aus der Sphäre dieser Sympathie, daß er in der Schlußszene, gleich als ob dieser Verfall auf ihn selbst drücke, in wehmütig gebeugter Haltung spurlos sich verlor. Das entscheidende Gebrechen seiner Darstellung lag darin, daß es ihm unmöglich war, den richtigen[323] Ausdruck für die Stelle des großen Adagio-Satzes des Finales, welche mit den Worten beginnt: »Zum Heil den Sündigen zu führen, die Gottgesandte nahte mir«, zu finden. Über die Wichtigkeit dieser Stelle habe ich mich in meiner später geschriebenen Anleitung zu einer Aufführung des »Tannhäuser« ausführlich mitgeteilt; ich mußte sie, da sie bei der ausdruckslosen Wiedergabe durch Tichatschek nur als lähmende Länge wirkte, von der zweiten Aufführung an gänzlich auslassen. Weil ich den mir so ergebenen und in seiner Art wirklich so verdienstvollen Tichatschek nicht kränken wollte, gab ich an, mich überzeugt zu haben, daß diese Stelle verfehlt sei; da nun außerdem Tichatschek als der selbst von mir bevorzugte Repräsentant der Helden meiner Opern galt, ging von hier die Auslassung dieser mir so grenzenlos wichtigen Stelle, als von mir gutgeheißen und verlangt, in alle späteren Aufführungen des »Tannhäuser« über, und ich habe schon aus diesem Grunde mir über die Bedeutung des späteren allgemeinen Erfolges dieser Oper auf den deutschen Theatern keine Illusion gemacht. Mein Held, der in der Wonne wie im Weh stets mit äußerster Energie sich kundgeben sollte, schlich am Schlusse des zweiten Aktes in sanft ergebener Haltung als armer Sünder sich davon, um im dritten Akte mit weicher Resignation und in einer auf die Erregung eines freundlichen Bedauerns berechneten Haltung wieder zu erscheinen. Nur der von ihm wiedergegebene Bannspruch des Papstes ward von dem Sänger mit seiner gewohnten rhetorischen Tonfülle so energisch zum Anhören gebracht, daß man sich freute, die begleitenden Posaunen von ihm vollkommen beherrscht zu hören. War nun durch den hier angedeuteten Grundfehler in der Darstellung der Hauptfigur das Publikum durchaus in unklarer und unbefriedigter Spannung über die Bedeutung des Ganzen erhalten worden, so trug mein eigener, aus Unerfahrenheit auf diesem neuen Felde der dramatischen Konzeption entsprungener Fehler in der Ausführung der Schlußszene vollends dazu bei, auch über die reale Bedeutung der szenischen Vorgänge in höchst schädliche Ungewißheit zu versetzen. In der hier noch ausgeführten ersten Bearbeitung hatte ich die neue Versuchung der Venus, den treulosen Geliebten wieder an sich zu ziehen, nur als einen visionären Vorgang des in Wahnsinn ausbrechenden Tannhäuser dargestellt; nur ein rötliches Erdämmern des in der Ferne sichtbaren Hörselberges sollte äußerlich die grauenhafte Situation verdeutlichen. Auch die entscheidende Verkündigung des Todes der Elisabeth ging nur als ein Akt der divinatorischen Begeisterung des Wolfram vor sich; einzig durch das ebenfalls von sehr ferne her vernehmbare Läuten des Totenglöckchens und durch den kaum bemerkbaren Schein von Fackeln, welche den Blick auf die entlegene Wartburg ziehen sollten, ward die Veranlassung hierzu auch dem zuschauenden Publikum anzudeuten versucht. Der ganz schließlich auftretende Chor der jüngeren Pilger, welchen ich damals den ergrünenden Stab selbst noch nicht zu tragen gab und welche das Wunder somit nur durch Worte, nicht aber durch ein äußeres Zeichen[324] verkündeten, wirkte, da ich ihnen auch rein musikalisch durch eine zu lang andauernde, ungebrochene Monotonie in der Begleitung schadete, unentscheidend und unklar.

Als endlich der Vorhang fiel, hatte ich weniger aus der Haltung des immerhin sich freundlich und beifällig bezeigenden Publikums als aus meiner eigenen inneren Erfahrung die Überzeugung des durch Unreife und Ungeeignetheit der Darstellungsmittel herbeigeführten Mißglückens dieser Aufführung meines Werkes gewonnen. Mir lag es wie Blei in den Gliedern, und einigen Freunden, welche nach der Vorstellung sich einfanden und zu denen wiederum meine gute Schwester Klara mit ihrem Manne gehörte, teilte sich die gleiche drückende Stimmung unabweislich mit. Ich faßte noch über Nacht die nötigen Entschlüsse zur Abhilfe der irgendwie zu verbessernden Gebrechen unserer Aufführung für die am zweiten Tag angesetzte Wiederholung. Wo der Hauptfehler stak, fühlte ich, durfte es aber kaum aussprechen; bei dem mindesten Versuche, Tichatschek einen anregenden Aufschluß über das Charakteristische seiner Aufgabe zu verschaffen, mußte ich sogleich vor der Erkenntnis der Unmöglichkeit hiervon zurückscheuen: leicht hätte ich ihn so befangen und verstimmt machen können, daß er unter irgendwelchem Vorwande den Tannhäuser gar nicht wieder gesungen hätte. Ich geriet daher auf den einzig mir offenstehenden Ausweg zur Versicherung nötiger Wiederholungen meiner Oper, die Schuld der Unwirksamkeit seiner Partie auf mich zu nehmen, um so dazu zu gelangen, wenigstens entscheidende Kürzungen darin vornehmen zu können, durch welche ich zwar die Hauptrolle in ihrer dramatischen Bedeutung tief herabsetzte, dennoch es aber möglich machte, daß die unvollkommene Ausführung derselben nicht noch behindernd auf das Gefallen der andern, ansprechenderen Partien der Oper einwirke. Ich hoffte somit, wenn auch tief innerlichst gedemütigt, meinem Werke durch die zweite Aufführung von entscheidendem Nutzen zu sein, und an nichts lag mir mehr, als daß diese Aufführung so bald als möglich vor sich ginge. Allein Tichatschek war heiser geworden, und ich mußte volle acht Tage mich gedulden.

Ich kann kaum beschreiben, was ich in diesen acht Tagen gelitten habe. Es schien fast, als sollte diese Verzögerung gänzlich verderblich für mein Werk werden. Jeder Tag, welcher zwischen der ersten und zweiten Aufführung verstrich, ließ den Erfolg jener ersten immer problematischer erscheinen, bis er endlich geradeswegs als ein anerkannter Mißerfolg dargestellt wurde. Während das große Publikum seiner ärgerlichen Verwunderung darüber Luft machte, daß ich dem deutlich mir kundgegebenen Gefallen desselben an der Richtung meines »Rienzi« mit der Konzeption dieses neuen Werkes keine Beachtung geschenkt hatte, waren selbst gewogene und sinnige Freunde meiner Kunst in wahrer Perplexität über das Unwirksame meiner Arbeit, die ihnen, in den Hauptteilen unverständlich geblieben, an und für sich fehlerhaft entworfen und ausgeführt dünkte. Die Rezensenten[325] stürzten sich mit unverhohlener Freude wie Raben auf ein bereits ihnen hingeworfenes Aas. Selbst die Leidenschaften und Befangenheiten des Tages wurden von ihnen hereingezogen, um nach Möglichkeit über mich zu verwirren und mir zu schaden. Es war die Zeit, wo die Czerskysche und Rongesche deutsch-katholische Agitation als höchst verdienstlich und liberal alles in Bewegung setzte. Man fand nun heraus, daß ich eine reaktionäre Tendenz mit dem »Tannhäuser« herausfordernd eingeschlagen habe, da es ersichtlich sei, daß, wie Meyerbeers »Hugenotten« den Protestantismus, so mein »Tannhäuser« den Katholizismus verherrlichen sollte. Das Gerücht, von der katholischen Partei für den »Tannhäuser« bestochen worden zu sein, blieb mir alles Ernstes längere Zeit anhaften; während man mich dadurch um meine Popularität zu bringen suchte, hatte ich die sonderbare Ehre, von einem Herrn Rousseau, bis dahin Redakteur der preußischen Staatszeitung und mir bekannt durch eine herunterreißende Kritik meines »Fliegenden Holländers«, brieflich und endlich persönlich um meine Freundschaft und Allianz angegangen zu werden. Er meldete mir nämlich, daß er von Berlin, wohin er von Österreich aus beordert gewesen, um die katholischen Tendenzen zu befördern, nachdem er über die Fruchtlosigkeit dieser Bemühungen betrübende Erfahrungen gesammelt hatte, sich nun wieder nach Wien zurückwende, um ungestört in demjenigen Elemente fortan sich bewegen zu können, dem auch ich mit meinem »Tannhäuser« so innig angehörend mich bekundet hätte. – Der in seiner Art merkwürdige Dresdener Anzeiger, das Lokal-Abhilfsorgan für Verleumdungs- und Klatschbedürfnis, lieferte täglich Neues in dem bezeichneten, auf meinen Schaden tendierenden Sinne. Endlich bemerkte ich, daß auch kurze witzige und sehr energische Abfertigungen solcher Angriffe und Aufmunterungen für mich erschienen, worüber ich längere Zeit sehr verwundert war, da ich wohl wußte, daß nur Feinde, nie aber die Freunde in solchen Fällen sich bemühen, bis ich unter Lachen von Röckel herausbekam, daß er und Freund Heine diesen ganzen Ermunterungs-Feldzug für mich allein durchgeführt hatten.

Das Üble, was ich von dieser Seite her erfuhr, war mir nur lästig, weil ich eben in diesen Unglückstagen verhindert war, mich durch mein Werk selbst wiederum vernehmen zu lassen. Tichatschek blieb heiser: es hieß, er wolle gar nicht wieder in meiner Oper singen. Von Herrn v. Lüttichau hörte ich, daß er, über den geringen Erfolg des »Tannhäuser« erschrocken, sogleich zu dem Befehl bereit gewesen sei, die immer noch erwartete Dekoration der Sängerhalle abzubestellen oder zurückzuweisen. Über die hiermit bekundete Mutlosigkeit erschrak ich so sehr, daß ich nun wirklich selbst den »Tannhäuser« fast schon für tot hielt. Welcher Einblick von dieser Stimmung aus in meine ganze Lage sich mir eröffnete, läßt sich nach meinen Mitteilungen, namentlich über meine Verlagsunternehmungen, leicht ermessen.

Diese furchtbaren acht Tage dehnten sich mir zu einer endlosen Ewigkeit aus. Ich scheute mich, jemanden zu sehen, und doch mußte ich mich eines[326] Tages in die Mesersche Musikhandlung begeben; dort traf ich Gottfried Semper an, welcher sich eben ein Textbuch des »Tannhäuser« kaufte. Mit ihm hatte ich mich kurz zuvor bei einer Besprechung dieses Stoffes auf das heftigste ereifert; er wollte nämlich von dem minnesängerlichen und pilgerfahrtbereiten Mittelalter für die Kunst durchaus nichts wissen und gab mir zu verstehen, daß er mich um der Wahl eines solchen Stoffes willen geradeswegs verachte. Während mir nun Meser bezeugte, daß nicht die mindeste Nachfrage nach den erschienenen Nummern meines »Tannhäuser« stattgefunden habe, war sonderbarerweise mein leidenschaftlicher Antagonist der einzige, der wirklich davon etwas kaufte und bezahlte. Mit einem eigentümlich befangenen Ernste sagte er mir, man müsse doch die Sache ordentlich und genau kennenlernen, wenn man sich einen richtigen Begriff davon machen wolle, und ihm stehe dazu leider nichts anderes als das Textbuch offen. Diese Begegnung gerade mit Semper, sowenig sie dem Anschein nach sagen mochte, ist mir als ein erstes, ernstlich ermutigendes Anzeichen in der Erinnerung geblieben.

Von größtem Trost war mir aber Röckel, welcher in diesen für mich so aufregungsvollen Leidenstagen in eine für das ganze Leben entscheidende innige Beziehung zu mir kam. Er hatte, ohne daß ich etwas davon wußte, unermüdlich für mich disputiert, erklärt, gestritten und geworben und hatte sich dadurch zu einer wahren Begeisterung für den »Tannhäuser« erhitzt. Am Vorabende der endlich bevorstehenden zweiten Aufführung trafen wir uns bei einem Glase Bier zusammen; seine wahrhaft verklärte Miene wirkte auch erheiternd auf mich; der Humor stellte sich ein: nachdem er lange meinen Kopf betrachtet, schwor er, ich sei nicht umzubringen, ich habe etwas an mir, was in meinem Blute liegen müsse, weil es sich selbst an meinem im übrigen so sehr mir unähnlichen Bruder Albert wiederzeige. Um sich verständlich zu machen, nannte er es die eigentümliche Hitze meiner Natur; er glaubte, daß diese Hitze verzehrend für andere sein könne, ich aber bei ihrem heißesten Erglühen mich jedenfalls erst recht wohl fühlen müßte, denn er habe mich mehrmals vollständig leuchten gesehen. Ich lachte und wußte nicht, was der Unsinn sollte. Nun, meinte er, für diesmal würde ich es ja an dem »Tannhäuser« sehen; denn daß ich mir einbilde, dieser werde nicht bestehen, sei eine reine Absurdität; er wäre des Erfolges über alles gewiß. Ich überlegte mir beim Nachhausegehen sehr wohl, daß, wenn der »Tannhäuser« sich wirklich noch feststellen und zu wahrhafter Popularität gelangen sollte, damit allerdings etwas unermeßlich Folgenreiches erreicht sein müßte.

So kam es denn endlich zu dieser zweiten Aufführung, welche ich durch Fallenlassen der Bedeutung der Hauptrolle und Herabstimmung meiner ursprünglichen idealeren Anforderungen an wichtige Teile der Darstellung in der Weise vorbereitet zu haben glaubte, daß durch Hervortreten der unbedingt gefälligen Partien ein wirkliches Gefallen am Ganzen sich einstellen[327] müßte. Sehr erfreute mich die endlich angekommene und bereits für diese Aufführung verwandte Dekoration der Sängerhalle im zweiten Akte. Die schöne und edle Wirkung derselben belebte uns alle wie ein gutes Anzeichen. Leider hatte ich die Demütigung zu ertragen, das Theater sehr schwach besetzt zu sehen: dieser Anblick genügte, um mehr als alles andere mit überzeugender Bestimmtheit mir zu sagen, wie es mit dem Urteil des Publikums über mein Werk stand. Hatten wir wenig Besucher, so bestand die größte Anzahl derselben jedenfalls aber aus den ernsteren Freunden meiner Kunst. Die Aufnahme war sehr warm, namentlich riß Mitterwurzer alles zu wahrem Enthusiasmus hin. In betreff Tichatscheks hatten meine besorgten Freunde Röckel und Heine es für nötig erachtet, zu künstlichen Mitteln zu greifen, um ihn in guter Laune für seine Rolle zu erhalten. Um namentlich auch dem Verständnisse der allerdings unklar ausgeführten und doch so äußerst wichtigen Entscheidung der letzten Szene eine drastische Beihilfe zu geben, hatten jene mehreren jungen Leuten, namentlich Malern, einige Applaus-Explosionen an Stellen anempfohlen, welche gewöhnlich von einem Opernpublikum als nicht applausprovozierend angesehen werden. Es fand sich nun merkwürdigerweise, daß ein auf diese Weise eingegebener starker Beifallserguß nach den Worten Wolframs: »Ein Engel fleht für dich an Gottes Thron; er wird erhört: Heinrich, du bist erlöst!« – mit einem Male dem gesamten Publikum die bedeutsame Situation klarzumachen schien. Für alle Aufführungen blieb dieser in der ersten Vorstellung gänzlich unbeachtete Moment eine Hauptstelle für die Kundgebung der Sympathie des Publikums. – Nach wenigen Tagen fand eine dritte Aufführung und diesmal vor vollem Hause statt. Die Schröder-Devrient, niedergeschlagen über den geringen Anteil, den sie am Gelingen meines Werkes nehmen konnte, wohnte in der kleinen Theaterloge dem Verlaufe der Vorstellung bei; sie erzählte mir, daß Lüttichau mit strahlender Miene zu ihr getreten sei und geäußert habe, er glaube nun doch, daß wir den »Tannhäuser« glücklich durchgebracht hätten.

So bewährte es sich allerdings: wir wiederholten ihn im Laufe des Winters noch öfter; doch machten wir die Wahrnehmung, daß bei zwei schnell aufeinanderfolgenden Aufführungen zu der zweiten jedesmal ein minderer Zudrang des Publikums stattfand, was wir uns daraus zu erklären hatten, daß ich noch nicht das eigentliche große Opernpublikum, sondern nur den gebildeteren Teil des allgemeinen Publikums für mein Werk gewonnen hatte. Unter diesen wahrhaften Freunden meines »Tannhäuser« befanden sich, wie ich dies allmählich immer mehr erfuhr, Leute, welche für gewöhnlich das Theater gar nicht, am allerwenigsten aber die Oper besuchten. Der Anteil des auf diese Weise ganz neu sich bildenden Publikums gewann fortwährend an Intensität und äußerte sich in bisher ungekannter Weise vorzüglich in einer energischen Teilnahme für den Autor. Es war mir namentlich um Tichatscheks willen peinlich, dem bei jeder Aufführung fast nach[328] allen Akten stets nur nach mir verlangenden Rufe des Publikums zu entsprechen; ich mußte mich aber endlich fügen, da meine Weigerung meinem Sänger zu neuer Demütigung Veranlassung gab, indem, wenn er mit seinen Kollegen allein auf der Bühne erschien, ihm stets der energische Ruf meines Namens fast verletzend entgegentönte. Mit welch aufrichtigem Eifer wünschte ich, es möchte umgekehrt der Fall sein und über der Vortrefflichkeit der Darstellung der Autor vergessen werden! Daß ich dies in Dresden mit dem »Tannhäuser« nie erreichen konnte, begründete in mir eine charakteristische Erfahrung, welche mich in Zukunft für alle meine Unternehmungen geleitet hat. Jedenfalls war ich mit der Dresdener Aufführung des »Tannhäuser« nur erst so weit gelangt, dem gebildeten Teil des Publikums durch Reflexion und Abstraktion von der Realität der Darstellung mit meinen über das Gewöhnliche hinausgehenden Tendenzen mich bekannt zu machen. Nicht aber war es mir gelungen, diese Tendenzen in so unwillkürlich ergreifender und überzeugender Weise in einer theatralischen Darstellung deutlich zu machen, daß auch das ungebildetere Gefühl des eigentlichen Publikums durch direkte Erfahrung der Wirkung damit vertraut geworden wäre.

Über das hiermit Berührte mich belehrend und anregend aufzuklären, gewann ich jetzt in diesem Winter durch erweiterte Beziehungen und interessante Bekanntschaften ermutigende Veranlassung.

Sehr bildend und ernst anregend wurde um diese Zeit für mich die Bekanntschaft und der nähere Umgang mit Dr. Hermann Franck aus Breslau, welcher seit einiger Zeit privatisierend in Dresden sich niedergelassen hatte. Mit genügendem Vermögen ausgestattet, gehörte er zu denjenigen, welche durch große Kenntnisse und feines Urteil sowie mit entsprechender schriftstellerischer Begabung wohl in ausgewählten weitverzweigten persönlichen Bekanntschaftskreisen zu großem Rufe gelangten, ohne deshalb vor der Öffentlichkeit einen bedeutenden Namen zu gewinnen. Er hatte es versucht, seine Kenntnisse und Fähigkeiten auch dem Publikum nutzbar zu machen und von Brockhaus sich überreden lassen, die vor einigen Jahren von diesem begründete »Deutsche Allgemeine Zeitung« bei ihrem Beginn zu redigieren. Nach einem Jahre kündigte er dem Verleger mit größter Entschiedenheit und war seitdem nur in äußerst seltenen Fällen zu bewegen, mit einer Zeitung irgendwie sich zu berühren. Seine kurzen geistvollen Andeutungen über seine bei jenem Versuche mit der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« gemachten Erfahrungen rechtfertigten mir seinen Ekel vor dem Befassen mit unsern öffentlichen Presse-Angelegenheiten. Desto höher hatte ich es ihm anzurechnen, daß er, ohne jede Aufforderung hierzu meinerseits, über den »Tannhäuser« einen eingehenden Bericht für die »Augsburger[329] Allgemeine Zeitung« verfaßte, welcher im Oktober oder November 1845 in der Beilage dieses Blattes erschien und den ich, obwohl er das erste über ein seitdem so häufig besprochenes Werk verkündete Wort enthielt, für das bei aller maßvollen Besonnenheit Weitreichendste und Erschöpfendste halte, was je hierüber gesagt wurde. So wurde ich in jenes große europäisch-politische Blatt eingeführt, welches infolge einer sonderbaren Wendung der Redaktionsinteressen seitdem zur Unterkunft für jeden bereitgehalten wird, welcher über mich und mein Werk sich lustig machen will.

Vor allem fesselte mich an Franck das Feine und Taktvolle in seiner Art des Beurteilens und überhaupt des Besprechens der Dinge. Es lag etwas Vornehmes darin, welches weniger als aus den Eigentümlichkeiten eines Standes gebildet, sondern als das Ergebnis einer wirklichen Weltbildung selbst sich kenntlich machte. Die hierbei sich zeigende feine Kälte und Zurückhaltung reizte mich mehr als sie mich abstieß, denn sie war ein neues Element, dem ich bisher noch ferngeblieben war. Wo ich auf eine gewisse Bequemlichkeit im Urteil über große Renommees, die mir jedoch nicht vollständig echt galten, stieß, freute es mich, im Verlauf des Umgangs mit Franck gewahr zu werden, daß auch ich in mancher Beziehung anregend und entscheidend auf ihn wirkte. So hatte ich bereits damals die Neigung, es nicht gelten zu lassen, wenn man mit dem vornehmen Lob der »Liebenswürdigkeit« dieses oder jenes berühmten Mannes die nähere Untersuchung von dessen Wert abgeschnitten zu haben glaubte. Ich trieb hiermit selbst meinen welterfahrenen Freund in die Enge, und sehr erheiterte es mich, nach einigen Jahren von ihm selbst einen sehr drastischen Aufschluß über die von ihm früher proklamierte »Liebenswürdigkeit« Meyerbeers zu erhalten, wo er sich dann lächelnd der sonderbaren Fragen erinnerte, mit welchen ich früher seine Assertion durchkreuzt hatte. Sehr erschrak er aber schon damals, als ich ihm einen wohlbelehrenden Aufschluß über Mendelssohns soeben von ihm gerühmte Uneigennützigkeit und vornehme Opferbereitwilligkeit im Dienste der Kunstinteressen gab. Er hatte nämlich in einem Gespräch über Mendelssohn schließlich das eine als erquicklich festgestellt, daß es doch wohltue, jetzt in diesem wenigstens noch einen Mann zu gewahren, welcher wahrhafte Opfer zu bringen vermöge, um sich aus einer falschen und der Kunst unförderlichen Stellung zu befreien; denn daß er sein doch immerhin schönes Gehalt von 3000 Talern als Generalmusikdirektor in Berlin aufgegeben, um als einfacher Gewandhaus-Musikdirektor sich nach Leipzig zurückzuziehen, sei doch schön und fordere respektvolle Anerkennung. Ich war nun gerade in den Stand gesetzt, genauesten Aufschluß darüber zu geben, wie es sich mit diesem scheinbaren Opfer Mendelssohns verhalte; denn als ich bei unserer Generaldirektion auf eine Verbesserung der Gehälter verschiedener armer Mitglieder der Königlichen Kapelle ernstlich angetragen hatte, war vor kurzem Herr von Lüttichau genötigt gewesen, mir mitzuteilen, daß der Kapell-Etat durch die neuesten[330] Entschließungen des Königs so stark in Beschlag genommen sei, daß fürs erste an die ärmeren Kammermusiker nicht gedacht werden könnte. Der Direktor der Leipziger Kreis-Regierung, Herr von Falkenstein, ein leidenschaftlicher Verehrer Mendelssohns, hatte es nämlich dahin gebracht, den König zu bewegen, Mendelssohn zum geheimen Kapellmeister mit dem geheimen Gehalt von 2000 Talern zu bestellen, wodurch dieser mit dem von der Leipziger Gewandhausdirektion öffentlich ihm ausgesetzten Gehalte von 1000 Talern zu dem vollen Ersatz seines in Berlin aufgegebenen Gehaltes gelangte und dadurch zur Übersiedelung nach Leipzig bewogen worden war. Da nun innerhalb der Verwaltung des Kapellfonds diese starke Dotation, weil sie den Interessen des Institutes großen Abbruch tat, aus wirklicher Scham geheimgehalten werden mußte, auch außerdem durch offenkundige Ernennung eines Kapellmeisters ohne Funktion die wirklich fungierenden und geringer bezahlten Kapellmeister nicht beleidigt werden sollten, so schöpfte Mendelssohn aus diesem Verhältnisse den recht beruhigenden Grund, diese Dotation nicht nur ebenfalls gänzlich zu verschweigen, sondern er mußte es sich auch notgedrungen gefallen lassen, von seinen Freunden bei Gelegenheit seiner Übersiedelung nach Leipzig noch als ein Muster von Aufopferung persönlicher Interessen gepriesen zu werden, was diesen, selbst in Anbetracht der sonstigen reichen Vermögensverhältnisse Mendelssohns, nicht schwerfiel. Franck, welchem ich diesen Aufschluß gab, war hiervon aber sehr betroffen, und er gestand, daß diese eine der seltsamsten Erfahrungen in betreff falschen Ruhmes sei, die ihm noch vorgekommen.

Bald gerieten wir zu ähnlichen gegenseitigen Berichtigungen unserer Ansicht über manche andere wohl berufene künstlerische Persönlichkeiten, mit denen wir uns damals in Dresden berührten. Über Ferdinand Hiller, einen der »Haupt-Liebenswürdigen«, fiel uns dies nicht schwer. Über die namhafteren Maler der sogenannten Düsseldorfer Schule, mit denen ich nun auch durch den »Tannhäuser« in häufigeren Verkehr trat, lag es fern mir selbst ein Urteil zu bilden, während ich mich vorzüglich nur von dem Ruf ihrer bedeutenden Namen bestimmen ließ. Hier erschreckte mich nun wiederum Franck mit gelegentlich sehr bestimmt veranlaßten Enttäuschungen. Wenn von Bendemann und Hübner die Rede war, schien es, als ob man Hübner leicht Bendemann aufopfern könnte, und dieser letztere, welcher soeben die Fresken eines Saales im königlichen Schlosse beendigt und dafür von seinen Freunden mit einem feierlichen Festessen belohnt worden war, dünkte mich mit Recht als großer Meister verehrungswürdig. Wie sehr erschrak ich, als Franck mit größter Ruhe den König von Sachsen darum beklagte, daß man ihm seinen Saal von Bendemann habe »beschmieren« lassen! – Immerhin konnte man nicht leugnen, daß diese Leute »liebenswürdig« seien; der Umgang mit ihnen, zu dem ich nun immer mehr hinzugezogen wurde, bot im Gegensatz zu den sonst von mir gepflegten theatralischen[331] jedenfalls die Tendenz nach feinerer allgemeinerer, künstlerischer Unterhaltung. Nur konnte es ebensowenig zu wirklicher Wärme und befruchtender Anregung kommen. Auf die letztere namentlich schien es aber Hiller ganz besonders abgesehen zu haben, und in diesem Winter brachte er es zur Vereinigung zu einem sogenannten »Kränzchen«, welches allwöchentlich abwechselnd in der Wohnung des einen oder des andern Teilnehmers abgehalten wurde. Zu Hübner und Bendemann gesellte sich als Maler der zugleich auch dichtende Reinecke, welcher das Unglück hatte, für Hiller in jener Zeit einen neuen Operntext zu dichten, über dessen Schicksal ich später noch berichten werde.

Zu Hiller und mir trat als Musiker aber Robert Schumann, welcher damals sich auch ganz nach Dresden gewandt hatte und ebenfalls mit Opernentwürfen umging, welche schließlich zu seiner »Genoveva« führten. Schumann kannte ich bereits von Leipzig her: wir hatten ungefähr gleichzeitig unsere musikalische Laufbahn begonnen; für die früher von ihm redigierte »Neue Zeitschrift für Musik« hatte ich zu verschiedenen Zeiten kleine Aufsätze, zuletzt einen größeren über das »Stabat Mater« von Rossini aus Paris geliefert. Zu einer Konzertaufführung im Theater war er mit seinem »Paradies und Peri« berufen worden; sein ganz eigentümliches Ungeschick im Dirigieren hatte bei dieser Gelegenheit meine Teilnahme für den tiefsinnigen, energischen Musiker, dessen Werk mich sehr ansprach, in besonderer Weise tätig gemacht. Entschiedenes Wohlwollen, freundschaftliche Zutraulichkeit herrschten zwischen uns. Nach einer Aufführung des »Tannhäuser«, welcher er beigewohnt, machte er mir seinen Morgenbesuch und erklärte sich voll und bestimmt für mein Werk, an welchem er nur eine Überstürzung der Stretta des zweiten Finals auszusetzen hatte, was mir von seinem Feingefühl zeugte, da ich ihm aus der Partitur nachweisen konnte, wie ich durch eine mir selbst höchst peinvolle Kürzung zu dem von ihm bemerkten Übelstand genötigt worden war. Wir trafen uns zuweilen auf Spaziergängen, und so gut es mit dem sonderbar wortkargen Menschen möglich war, tauschten wir über mancherlei musikalische Interessen unsere Ansichten aus. Er freute sich, nächstens unter meiner Leitung die 9. Symphonie von Beethoven zu hören, nachdem er bisher bei den Leipziger Aufführungen derselben, namentlich durch das von Mendelssohn gänzlich vergriffene Tempo des ersten Satzes, sehr zu leiden gehabt hatte. Im übrigen bot mir sein Umgang keine eigentliche Anregung, und daß auch er zu verschlossen war, um ernsten Anregungen meinerseits Erfolg zu geben, zeigte sich bald und namentlich bei seiner Konzeption des Gedichtes der »Genoveva«. Hierbei stellte es sich heraus, daß mein Beispiel nur sehr äußerlich auf ihn gewirkt hatte und im Grunde sich nur darauf bezog, daß er es gut fand, sich nun auch selbst einen Operntext zu schreiben. Zwar lud er mich in der Folge einmal ein, um mir seinen nach Hebbel und Tieck kombinierten Text vorzulesen; als ich jedoch, mit wahrer Besorgtheit und von dem[332] innigen Wunsche des Gelingens seiner Arbeit beseelt, ihn auf die großen Fehler derselben aufmerksam machte und die nötigen Änderungen ihm vorschlug, erfuhr ich, wie es mit dem sonderbaren Menschen stand. Er gönnte mir durchaus nur, mich von ihm hinreißen zu lassen; einen Eingriff in das Werk seiner Begeisterung wies er aber mit empfindlichem Trotze zurück. So ließen wir es denn dabei bewenden.

Im darauffolgenden Winter erweiterte sich der von Hiller mit großer Emsigkeit in geselligem Verkehr erhaltene Kreis: jetzt wurde aus dem »Kränzchen« eine Art von geschlossener Gesellschaft, welche sich allwöchentlich in einem besonderen Gastzimmer des Restaurateurs Engel am Postplatz zwanglos vereinigen sollte. Jetzt war der berühmte Julius Schnorr aus München als Galeriedirektor nach Dresden berufen und ebenfalls durch Festessen von uns gefeiert worden. Von diesem hatte ich zuvor gewaltig sich ausnehmende Kartons gesehen, die mir sowohl durch ihre Dimensionen als durch die damals mir sehr naheliegenden Gegenstände der altdeutschen Geschichte, welche sie darstellten, sehr imponierten; jetzt hörte ich von der »Münchner Schule«, von Schnorr als deren Meister: mir ging das Herz ganz über, wenn ich daran dachte, zu was es alles in Dresden kommen sollte, wenn solche Riesen der deutschen Kunst sich dort die Hand reichten. Auffallend war mir nun Schnorrs Erscheinung und Rede, deren weinerlichen Schulmeisterton ich mit den furchtbaren Kartons in gar keinen Einklang bringen konnte; dennoch hielt ich es für ein großes Glück, daß auch er sonnabends mit in die Engelsche Restauration kam. Er war in altdeutschen Sagen gut bewandert, und mir war es schon lieb, wenn nur die Namen derselben öfters aufs Tapet gebracht werden konnten. – Hier fand sich nun auch der berühmte Bildhauer Hänel ein, vor dessen großem Talent mir gewaltige Achtung beigebracht worden war, wiewohl ich in der Beurteilung seiner Arbeiten mich mehr an die Autorität als an mein eigenes Gefühl noch halten konnte. Seine Haltung und sein Benehmen mußte ich bald als affektiert erkennen; er sprach gern Kunstansichten und Urteile aus, von denen ich mir nicht recht sagen konnte, ob eigentlich etwas dahinter sei. Mich dünkte es oft, einen philiströsen Bramarbas zu hören: nur als mein »langjähriger« Freund Pecht, der sich endlich auch für einige Zeit in Dresden niederließ, mir Hänels Bedeutung als Künstler mit großer Schärfe und Bestimmtheit vordemonstrierte, überwand ich alle heimlichen Bedenken und suchte mir Freude an seinen Werken zu gewinnen. – Als sein Gegensatz erschien Rietschel unter uns: der krankhafte bleiche Mann mit seiner oft weinerlich ängstlichen Ausdrucksweise konnte von mir eigentlich nur schwer als Bildhauer begriffen werden; doch da nicht unähnliche Eigenschaften mich schon bei Schnorr nicht abgehalten hatten, diesen als gewaltigen Maler aufzufassen, so gelang mir die Befreundung mit Rietschel um so mehr, als ich an diesem keinerlei Affektation wahrnahm und eine seelenvolle, zärtliche Wärme mich immer geneigter zu ihm hinzog. Von ihm entsinne ich mich[333] auch zuerst sehr warme, ja begeisternde Anerkennung meines Wesens, namentlich auch als Dirigent gehört zu haben. Trotz aller Kollegialität unseres reichen Künstlerkreises kam es sonst nämlich niemals zu dem, was ich hier meine, und es war im Grunde genommen eigentlich immer, als ob keiner etwas von dem andern hielte. So hatte zum Beispiel Hiller Orchesterkonzerte arrangiert und für diese von seinen Freunden das gebührende Festessen empfangen, bei welchem seinen Verdiensten mit vollstem rhetorischem Pathos ganz außerordentliche Anerkennung gezollt worden war. Nichtsdestoweniger gewahrte ich sonst im Privatverkehr mit Hillers Freunden doch nie die mindeste Wärme für dessen Leistungen, und im Gegenteil stieß ich nur auf Äußerungen des Bedenkens, der achselzuckenden Besorgtheit. Auch gingen die gefeierten Konzerte bald ein. Über die verschiedenen Werke der versammelten Meister hörte ich an unsern geselligen Abenden auch nie die mindeste Besprechung, ja nur Erwähnung, und bald zeigte es sich überhaupt, daß sämtliche Teilnehmer nicht wußten, was sie miteinander sprechen sollten.

Da war es denn nun Semper, welcher in seiner sonderbaren Weise oft solches Leben in unsere Unterhaltung brachte, daß Rietschel, innig teilnehmend, aber auch auf das peinlichste erschreckt, oft in wirklich herzliche Klagen über eine Unbändigkeit ausbrach, zu welcher es nicht selten in leidenschaftlichen Erörterungen zwischen Semper und mir kam. Sonderbarerweise schienen wir beide immer noch von der Annahme auszugehen, daß wir Antagonisten wären: er hielt mich beständig für den Repräsentanten einer mittelalterlich katholizisierenden Richtung, die er oft mit wahrer Wut bekämpfte. Sehr mühselig gelang es mir, ihn endlich dahin zu belehren, daß meine Studien und Neigungen eigentlich auf das deutsche Altertum und die Auffindung des Ideales des urgermanischen Mythus ausgingen. So wie wir nun in das Heidentum gerieten und ich ihm meinen Enthusiasmus für die eigentliche Heldensage kundgab, ward er ein ganz anderer Mensch, und ein offenbares großes und ernstes Interesse begann uns jetzt in der Weise zu vereinigen, daß es uns zugleich von der übrigen Gesellschaft gänzlich isolierte. Unmöglich ging es jedoch je ohne lebhaften Streit ab, und hieran mochte nicht nur Sempers wunderliche und krampfhafte Neigung zum absoluten Widerspruch, sondern auch dies der Grund sein, daß er sich von der ganzen Gesellschaft gänzlich verschieden erkannte. Seine paradoxesten Behauptungen, die offenbar nur auf Streiterregung abgesehen waren, ließen mich jedoch bald mit Bestimmtheit erkennen, daß er mit mir unter allen Anwesenden der einzige war, der es mit dem, was er sagte, bis zur Leidenschaftlichkeit ernst nahm, während allen andern es gern recht war, zur gelegenen Zeit die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Zu dieser letzten Tendenz stimmte auch der öfter zu uns sich gesellende Gutzkow. Dieser war von der Generaldirektion unseres Hoftheaters in der Eigenschaft eines Dramaturgen nach Dresden berufen worden. Mehrere[334] seiner Theaterstücke hatten in letzter Zeit großes Glück gemacht; »Zopf und Schwert«, »Das Urbild des Tartuffe« und »Uriel Acosta« verbreiteten über das neuere Repertoire des Schauspiels einen unerwarteten Glanz, und durch die Berufung Gutzkows schien dem Dresdener Theater, von welchem andrerseits meine Opern ausgingen, eine bedeutungsvolle Ära eröffnet werden zu sollen. Der gute Wille der Intendanz war hierbei gewiß nicht zu verkennen. Es tat mir nur leid, bei dieser Gelegenheit die Hoffnung, meinen alten Freund Laube für die gleiche Stellung nach Dresden gezogen zu sehen, getäuscht zu erkennen. Auch Laube hatte sich mit Energie auf die theatralische Literatur geworfen; schon in Paris bemerkte ich, wie eifrig er namentlich Scribe studierte, um dessen theatralisches Geschick sich anzueignen, ohne welches, wie er fand, alle deutsche dramatische Dichtkunst vergeblich sei. Mit seinem Lustspiel »Rokoko« behauptete er, sich vollkommen zum Herrn dieser Geschicklichkeit gemacht zu haben, und vermaß sich nun, jeden irgend erdenklichen Stoff zu einem effektvollen Theaterstück bearbeiten zu können. Dennoch war er sehr sorgfältig zugleich darauf bedacht, in der Wahl seiner Stoffe eine gleiche Geschicklichkeit zu zeigen, und zu einer von mir empfundenen Beschämung seiner vorgeblichen Theorie machten nur diejenigen seiner Stücke Glück, in welchen das Zeitinteresse für die Besonderheit des Stoffes durch die nötigen Schlagwörter angeregt wurde. Dieses Interesse stand mehr oder weniger immer mit der Tagespolitik in Bezug; es mußte dabei immer etwas wie die »deutsche Einheit« und der »deutsche Liberalismus« in irgendwelcher handgreiflichen Weise einmal harangiert werden; da diese wichtigen Anregungen für das deutsche Publikum, zunächst aber auf die Abonnenten unserer Residenz-Theater ausgeübt wurden, so mußte, wie gesagt, dies alles auch mit dem sorglichen Geschick ausgeführt werden, wie man dies nur von den neueren französischen Vaudevillisten erlernen zu können glaubte. Was auf diese Weise zustande kam, wie die Laubeschen Stücke, wurde von mir recht gern gesehen, namentlich weil Laube, der uns bei Gelegenheit der Aufführung derselben öfter in Dresden besuchte, mit fast bescheidener Aufrichtigkeit seine Tendenzen offen bekannte und fern davon war, sich für einen wahren Dichter ausgeben zu wollen. Außerdem zeigte er nicht nur für die Anfertigung seiner Stücke, sondern auch bei der Anleitung zu der Aufführung derselben großes Geschick und einen fast feurigen Eifer, so daß seine Berufung nach Dresden, auf welche man ihm Hoffnung gemacht hatte, im praktischen Sinn für das Theater jedenfalls recht ersprießlich geworden wäre. Schließlich entschied man sich jedoch für den mit ihm rivalisierenden Gutzkow, trotz seiner leicht zu erkennenden Unfähigkeit zu der praktischen Ausübung der Funktion eines Dramaturgen. Hieran zeigte es sich, daß er auch zu seinen glücklichen Theaterstücken nur als geschickter Literat gekommen war, denn unmittelbar neben jenen effektvollen Stücken kamen wiederum die größten theatralischen Langweiligkeiten zum Vorschein, so daß wir verwunderungsvoll[335] finden mußten, er habe selbst von seinem bewiesenen Geschick kein Bewußtsein. Gerade diese abstrakteren Eigenschaften des bloßen Literaten gaben ihm aber in manchen Augen den Nimbus einer bedeutenderen schriftstellerischen Größe, und indem Herr von Lüttichau bestimmt wurde, Gutzkow den Vorzug vor Laube zu geben, glaubte er, mehr für die Äußerlichkeit des Rufes als für den praktischen Nutzen seines Theaters besorgt, den höheren Kulturinteressen einen besondern Vorschub zu leisten. Mir war namentlich aus dem Grunde der bald gewonnenen Überzeugung von seiner Unfähigkeit zu der Führung der dramaturgischen Leitung des Theaters Gutzkows Berufung aufrichtig unangenehm, und ich teilte mich hierüber Herrn von Lüttichau so unumwunden mit, daß daraus sehr wahrscheinlich der erste Anstoß zu unserem späteren Zerwürfnis entstand. Ich hatte mich hier nämlich über die Urteilslosigkeit und den Leichtsinn derjenigen, welche in absoluter Weise über die Leitung und Verwendung so kostbarer Kunstanstalten, wie die deutschen Hoftheater es sind, verfügen, bitter zu beklagen. Um der voraussichtlichen Verwirrung, die aus dieser verfehlten Anstellung erfolgen mußte, vorzubeugen, verbat ich mir wenigstens sehr bestimmt Gutzkows Einmischung in die Führung der Oper, worin mir gern nachgegeben und Gutzkow selbst jedenfalls reiche Beschämung erspart wurde. Immerhin resultierte hieraus ein mißtrauenvolles Verhältnis zwischen ihm und mir; dieses nach Möglichkeit zu beseitigen war ich wiederum gern bereit, als durch die persönliche Berührung mit Gutzkow an den Abenden der geschilderten Künstler-Zusammenkünfte hierzu sich Gelegenheit zu bieten schien. Gern hätte ich den sonderbaren Mann, dessen Kopf so ängstlich tief auf seinem Brustbein saß, in der Unterhaltung etwas locker und ergiebig zu machen gesucht; doch wollte dies bei seiner stets gleich scheuen Vorsichtigkeit nicht gelingen: er blieb immer in sich stecken. Eine Veranlassung zu einer Diskussion mit ihm bot mir sein durchgesetztes Verlangen, in einer gewissen Szene seines »Uriel Acosta«, wo dieser sein Held die Abschwörungsformel seiner vorgeblichen Ketzereien auszusprechen hatte, das Orchester in melodramatischer Weise sich beteiligen zu lassen. Dieses mußte nämlich eine Zeitlang auf gewissen geeignet dünkenden Akkorden das bewußte leise Tremolando ausführen, was mir bei der Anhörung der Aufführung absurd und für die Musik wie das Drama gleich entwürdigend erschien. Hierüber so wie überhaupt über die Verwendung der Musik zur melodramatischen Beihilfe im Schauspiel suchte ich mich an einem jener Abende mit Gutzkow in das Vernehmen zu setzen und erörterte meine Ansicht in diesem Betreff nach den höheren mir begreiflichen Grundsätzen. Allen meinen prinzipiellen Erörterungen setzte er nichts als ein verlegenes, mißtrauisches Schweigen entgegen, erklärte endlich aber, daß ich doch wohl in meinen Forderungen für die Bedeutsamkeit der Musik zu weit ginge und er nicht begriffe, wie die Musik entwürdigt werden sollte, wenn sie in geringer Dosis beim Schauspiel verwendet würde, während die Poesie doch[336] mit viel größerer Vernachlässigung ihrer Interessen zur Beihilfe der Musik in der Oper herbeigezogen würde. Praktisch gefaßt sei es für den Theaterdichter doch von großem Nutzen, hierin nicht zu wählerisch zu sein: man könne doch dem Schauspieler nicht immer brillante Abgänge geben; nichts sei andrerseits aber wiederum peinlicher, als wenn ein Hauptdarsteller ohne Applaus sich von der Szene entferne: in solchen Fällen träte dann ein zerstreuendes Geräusch im Orchester als eine sehr glückliche Diversion ein. Dies hörte ich wirklich von Gutzkow aussprechen und sah, daß er das ganz ernst meinte. Ich hatte nun nichts mehr mit ihm zu tun.

Bald hatte ich mit all den Malern, Musikern und sonstigen Kunstbeflissenen unseres Vereins ebensowenig mehr zu tun. Doch geriet ich um die gleiche Zeit noch in etwas nähere Beziehung zu Berthold Auerbach. – Schon Alwine Frommann hatte mich mit vieler Erregung auf Auerbachs Dorfgeschichten aufmerksam gemacht; es hatte mir ganz artig geklungen, als sie darüber äußerte, daß diese bescheidenen Arbeiten, für welche sie sie hielt, auf die ihr bekannten Berliner Kreise die erfrischende Wirkung hervorgebracht hätten, wie wenn in ein parfümiertes Boudoir, mit welchem die bis dahin gepflegte Literatur verglichen wurde, durch das geöffnete Fenster frische Waldluft hereingelassen würde. Ich las nun diese so schnell berühmt gewordenen »Schwarzwälder Dorfgeschichten« und fühlte auch mich durch den bis dahin mir neuen Gehalt und Ton dieser drastischen Anekdoten aus dem Volksleben eines sehr kenntlich bezeichneten Lokals lebhaft angesprochen. Wie Dresden um diese Zeit immer mehr zum Sammelpunkt unserer literarischen und künstlerischen Berühmtheiten gewählt zu werden schien, fand auch Auerbach sich ein, um längere Zeit bei seinem Freunde Hiller, der nun wieder eine ihm affiliierte Notabilität neben sich zu stellen hatte, Quartier zu nehmen. Der kurze, stämmige jüdische Bauernbursch, als den er sich selbst mit großer Vorliebe zu erkennen gab, machte einen durchaus zutraulichen Eindruck; seine grüne Joppe und besonders seine grüne Jagdmütze, welche ihm das ganz richtige Ansehen des Verfassers der schwäbischen Dorfgeschichten gaben, lernte ich späterhin in ihrer nichts weniger als naiven Bedeutung verstehen. Der schweizerische Dichter Gottfried Keller erzählte mir nämlich seinerzeit in Zürich, daß Auerbach, als er sich seiner anzunehmen beschlossen und ihn auf die Wege aufmerksam gemacht, auf welchen man seine literarischen Elaborate am besten ans Publikum bringe und zu Geld mache, vor allem auch ihm angeraten habe, sich eine ähnliche Joppe und Kappe anzuschaffen, denn da er einmal, gleich ihm, nicht schön und hochgewachsen sei, so sei es am besten, sich gleich ein derbes und drolliges Ansehen zu geben; er rückte ihm dabei auch die Kappe auf dem Kopfe zurecht, damit sie ihm etwas verwogen stehe. Für jetzt gewahrte ich nichts von eigentlicher Affektiertheit an Auerbach: er hatte vom Volkston und Volkswesen so viel und glücklich sich angeeignet, daß man sich allerdings nur frug, warum er mit diesen glücklichen Eigenschaften sich doch wiederum in ganz entgegengesetzten[337] Sphären mit großem Behagen bewegte. Jedenfalls befand er sich im Verkehr mit den seinem stets geltend gemachten Naturell eigentlich widerwärtigen Kreisen wie in seinem rechten Element: derb und gefühlvoll, naturwüchsig, stand er mit seiner Joppe in der ihm schmeichelnden vornehmen Gesellschaft, liebte es, Briefe des Erbherzogs von Weimar und seine Antworten an denselben vorzuzeigen und dabei alles immer doch aus dem Gesichtspunkt des schwäbischen Bauernnaturells zu betrachten, was ihm immerhin recht gut stand.

Was mich besonders anzog, war, daß ich in ihm den ersten Juden antraf, mit welchem ich eben über dieses Judentum in herzlicher Unbefangenheit sprechen konnte. Es schien ihm sogar daran gelegen, gegen diese Eigenschaft alles Vorurteil auf gemütliche Weise zu brechen, und rührend war es, wenn er von seiner Knabenzeit erzählte, in welcher er sich als der vielleicht einzige Deutsche bewährte, der den Klopstockschen »Messias« vollkommen gelesen. Über dieser Lektüre, welche er heimlich in seiner Dorfhütte betrieb, hatte er sich eines Tages für die Schule versäumt, und als er nun zu spät in dieselbe eintrat, ward er vom Lehrer mit den Worten angelassen: »Du verdammter Judenbub, wo hast du wieder herumgeschachert?« Solche Erfahrungen hatten ihn nur wehmütig und nachdenklich gestimmt, nicht aber verbittert, und er habe es vermocht, das rechte Mitleiden auch für die Roheit seiner Peiniger zu gewinnen. Dies waren nun Züge, die mich sehr herzlich für ihn einnahmen; nur wurde es mir mit der Zeit bedenklich, daß er aus dem Kreise ähnlicher Vorstellungen und Beziehungen auch gar nicht mehr herauskam, so daß es mir schien, die ganze Welt und ihre Geschichte enthalte für ihn bloß das Problem der Verklärung des Judentums. Hiergegen lehnte ich mich denn eines Tages mit gutherziger Zutraulichkeit auf und riet ihm, doch die ganze Judenfrage einfach fahren zu lassen; es wären denn doch noch andere Gesichtspunkte für die Beurteilung der Welt zu gewinnen. Sonderbarerweise verlor er da alle Naivität und geriet in einen, wie mich dünkte, nicht ganz wahrhaftigen, weinerlich ekstatischen Ton, indem er versicherte, das könne er nicht, in dem Judentum läge noch zu vieles, was seiner ganzen Teilnahme bedürfe. – Ich konnte später doch nicht umhin, mich dieser überraschenden Beklemmung, wie ich sie hierbei an Auerbach wahrnahm, zu entsinnen, als ich erfuhr, daß er im Laufe der Zeit wiederholt jüdische Heiraten geschlossen hatte, von deren glücklichem Ausfall ich nichts Besonderes weiter hörte, als daß er dabei zu Vermögen gekommen sei. Als ich ihn nach längeren Jahren in Zürich einmal wiedersah, traf ich leider auch sein physiognomisches Aussehen in bedenklicher Weise verändert an: er sah wirklich außerordentlich gemein und schmutzig aus; die frühere frische Lebhaftigkeit war zur gewöhnlichen jüdischen Unruhe geworden, alles, was er sprach, kam so heraus, daß man sah, es verdrieße ihn, das Gesagte nicht lieber für die Zeitung verwendet zu haben.

In jener Dresdener Zeit tat mir jedoch noch Auerbachs warmes Eingehen[338] auf meine künstlerischen Intentionen, wenn dies auch vom jüdisch-schwäbischen Standpunkte aus geschah, aufrichtig wohl, und hierbei mochte jedenfalls auch das eben um jene Zeit erst mir begegnende Neue der Erfahrung mitwirken, daß ich als Künstler eben bei Leuten von Ruf, zugestandener Bedeutung und auffallender Bildung eingehendere Beachtung und Anerkennung fand. Wenn ich mit dem Erfolge des »Rienzi« immer nur im eigentlichen Kreise der Theaterwelt verblieben war, brachte der schwierigere Erfolg des »Tannhäuser« mich nun auch mit den eben bezeichneten Elementen in eine Berührung, welche meinen Gesichtskreis allerdings bedeutend erweiterte, zugleich aber auch über das Mißliche und Nichtige gerade auch dieser anscheinend höchsten geistigen Sphäre der literarischen und künstlerischen Gegenwart bedenkliche Eindrücke hervorrief. Jedenfalls fühlte ich mich von solchen Berührungen, wie sie mir zunächst dieser Winter der ersten Aufführung meines »Tannhäuser« brachte, weder eigentlich belohnt, noch glücklicherweise auch zerstreut, sondern mitten aus diesem etwas bunten Treiben, welches sich in sonderbarer Weise auf Anregung des von mir bald als durchaus nichtig erkannten Hillers auftat, trieb es mich mit Macht auf mich selbst zurück, um schnell etwas zu schaffen, worüber ich einzig die beunruhigenden und peinigenden Aufregungen, die mir der »Tannhäuser« verursachte, loswerden konnte.

Schon wenige Wochen nach den ersten Aufführungen desselben führte ich das vollständige Gedicht des »Lohengrin« aus. Bereits im November las ich dieses Gedicht meinen Hausfreunden, bald auch dem Hillerschen Kränzchen vor. Es wurde gelobt und »effektvoll« gefunden, auch Schumann war ganz damit einverstanden; nur begriff er die musikalische Form nicht, in welcher ich es ausführen wollte, da er keinerlei Anhalt zu eigentlichen Musiknummern ersah. Ich machte mir den Spaß, ihm verschiedenes aus meinem Gedicht in der Form von Arien und Kavatinen vorzulesen, worüber er sich lächelnd befriedigt erklärte.

Ernsteres Nachsinnen erweckten die tiefer gehenden Bedenken gegen die Tragik des Stoffes selbst, welche auf sinnige und zarte Weise von Franck mir angeregt wurden. Er fand die Bestrafung Elsas durch Lohengrins Scheiden verletzend: er begriff zwar sehr wohl, daß eben das Charakteristische der Sage in diesem hochpoetischen Zuge ausgedrückt sei, blieb aber in dem Zweifel, ob dieser Zug den Anforderungen des tragischen Gefühles mit Berücksichtigung der dramatischen Wirklichkeit entsprechen könne. Er hätte lieber den Lohengrin durch Elsas liebevollen Verrat vor unseren Augen umkommen sehen. Jedenfalls, da dies nicht statthaft erschien, wünschte er ihn durch irgendein gewaltiges Motiv festgebannt und am Fortgehen verhindert zu sehen. Da ich natürlich von all dem nichts wissen wollte, kam ich doch darauf, mir zu überlegen, ob die grausame Trennung nicht erspart, das unerläßliche Fortziehen in die Ferne aber doch erhalten werden könnte. Ich suchte ein Mittel auf, Elsa mit Lohengrin fortziehen zu lassen, zu irgendwelcher[339] Buße, welche sie ebenfalls der Welt entrückte; das schien meinem geistvollen Freunde schon hoffnungsreich. – Während ich hierüber in Unsicherheit versetzt war, gab ich mein Gedicht auch Frau v. Lüttichau zur Durchsicht und Prüfung des von Franck angeregten Dilemmas. In einem kleinen Briefchen, worin sie mir ihre Freude an meinem Gedichte ausdrückte, äußerte sie sich über den schwierigen Punkt mit größter Bestimmtheit kurz dahin, daß Franck ja aller Poesie bar sein müsse, wenn er nicht begriffe, daß der »Lohengrin« gerade so und auf gar keine andere Weise ausgehen könne. Mir war ein Stein vom Herzen; ich zeigte Franck triumphierend den Brief; dieser, mit äußerster Beschämung, setzte zu seiner Entschuldigung sich sofort mit Frau v. Lüttichau in einen gewiß nicht uninteressanten Briefwechsel, den ich selber nicht zur Einsicht bekam, dessen Ergebnis es jedoch war, daß es im Betreff des Lohengrin beim alten verblieb. – Sonderbarerweise vermochte später eine ähnliche Erfahrung im Betreff desselben Gegenstandes mich noch einmal in eine vorübergehende Unsicherheit zu bringen. Als nämlich Adolph Stahr mit großer Prägnanz den gleichen Einwurf gegen die Lösung des »Lohengrin« erhob, war ich wirklich betroffen über diese Gleichmäßigkeit des Urteils, und da ich außerdem, eben in jener spätern Zeit, von der Stimmung, in welcher ich den »Lohengrin« schrieb, ziemlich aufregend mich entfernt hatte, kam mir der Leichtsinn an, in einem schnell konzipierten Brief an Stahr diesem fast unverhohlen recht zu geben. Ich wußte nicht, daß ich hierdurch Liszt, welcher Stahr gegenüber die frühere Stellung der Frau v. Lüttichau gegen Franck eingenommen hatte, einen wahrhaften Kummer bereitete. Glücklicherweise durfte aber diese Verstimmung meines großen Freundes gegen mich über meinen vermeintlichen Verrat an mir selbst nicht lange andauern; denn ohne noch Kenntnis von dieser ihm verursachten Beunruhigung erhalten zu haben, kam ich in wenigen Tagen durch die hierüber selbst empfundene Peinigung zur rechten Bestimmung, und sonnenklar ging mir meine Torheit auf, so daß ich Liszt mit dem aus meinem Schweizer Asyl ihm zugesandten lakonischen Protest erfreuen konnte: »Stahr hat unrecht, Lohengrin hat recht.«

Für jetzt verblieb es bei dieser poetisch-kritischen Beschäftigung mit meinem Gedicht; an die Entwerfung der Musik zu demselben konnte ich zunächst noch nicht denken. Die Gunst der harmonischen Gemütsruhe, wie ich sie zum Komponieren stets bedurfte und stets unter großen Drangsalen mir zu gewinnen suchen mußte, hatte ich auch jetzt erst noch meinem Schicksale unter höchsten Beschwerden abzuringen. Hatten alle mit der Aufführung des »Tannhäuser« zusammenhängenden Erfahrungen mich wahrhaftig mit großer Trostlosigkeit für alle Zukunft meines Kunstwirkens erfüllt, so war durch die ersichtliche Gewißheit, daß ich mein Werk für lange Zeit eben höchstens nur auf dem Dresdener Repertoire würde behaupten können, an eine Verbreitung desselben auf anderen deutschen Bühnen,[340] die mir selbst mit dem so unbedingt erfolgreichen »Rienzi« nicht geglückt war, gar nicht zu denken sein durfte, meine bereits genauer bezeichnete bürgerliche Lage in das höchst bedenkliche Stadium getreten, welches eine Katastrophe unvermeidlich herbeiführen mußte. Indem ich mich darauf vorbereitete, wie ich diese bestehen würde, suchte ich mich einerseits durch Versenken in die mir immer teurer gewordenen Studien der Geschichte, Sage und Literatur, andererseits durch rastlose Betätigung für künstlerische Unternehmungen zu betäuben. Was die ersteren betrifft, so war es jetzt vorzüglich das deutsche Mittelalter, in welchem ich mich nach jeder Seite hin heimisch machte. Ich verfuhr hierin, so wenig ich auch mit philologischer Genauigkeit zu Werke gehen konnte, doch so ernstlich, daß ich z.B. die von Grimm herausgegebenen deutschen Weistümer mit höchstem Interesse studierte. Da ich die Ergebnisse solcher Studien allerdings nicht unmittelbar in Szene setzen konnte, begriff wohl mancher nicht, warum ich als »Opernkomponist« mich in solche Kruditäten verlor; mancher merkte wohl später dem »Lohengrin« an, daß es mit der Physiognomie desselben eine besondere Bewandtnis habe; doch wurde dies immer nur auf die »glückliche Wahl des Stoffes« bezogen, und man sprach mir besonderes Geschick für diese Wahl zu. Mittelalterliche deutsche Stoffe, auch späterhin wohl Sujets des skandinavischen Altertums, wurden daher von manchem gern hervorgesucht, und am Ende war man nur verwundert, daß es dabei doch wiederum zu nichts Rechtem kam. Vielleicht hilft es jetzt, wenn ich ihnen sage, sie sollen auch die Weistümer und ähnliche Sachen mit zu Hilfe nehmen. Ferdinand Hiller, der nun auch mit Stolz zu einem Hohenstaufenschen Stoffe griff, vergaß ich damals auf meine Hilfsquellen aufmerksam zu machen; da es ihm mit seinem Werke nicht glückte, hält er mich vielleicht für tückisch, wenn er jetzt erfährt, daß ich ihm die Weistümer verschwieg.

Nach der andern Seite hin bestand für diesen Winter mein Hauptunternehmen in einer äußerst sorgfältig vorbereiteten, im Frühjahr am Palmsonntag zustand gebrachten Aufführung der Neunten Symphonie von Beethoven. Diese Aufführung brachte mir sonderbare Kämpfe und für meine ganze weitere Entwickelung sehr einflußreiche Erfahrungen ein. Der äußere Hergang war dieser: Die Königliche Kapelle hatte jedes Jahr nur eine Gelegenheit, außer der Oper und Kirche sich selbständig in einer großen Musikaufführung zu zeigen; zum Besten des Pensionsfonds für ihre Witwen und Waisen war das alte sogenannte Opernhaus am Palmsonntag zu einer großen, ursprünglich nur für Oratorien berechneten Aufführung eingeräumt. Um sie anziehender zu machen, wurde dem Oratorium schließlich immer eine Symphonie beigegeben; wie schon erwähnt, hatte ich bei solcher Gelegenheit einmal die Pastoralsymphonie, später die »Schöpfung« von Haydn, und zwar auch diese letztere mit großer Freude an dem Werke, welches ich eben bei dieser Gelegenheit erst eigentlich kennenlernte, aufgeführt. Da wir beiden Kapellmeister uns die Abwechselung vorbehalten[341] hatten, fiel für den Palmsonntag des Jahres 1846 mir die Symphonie zu. Eine große Sehn sucht erfaßte mich zur Neunten Symphonie; für die Wahl derselben unterstützte mich der äußerliche Umstand, daß dies Werk in Dresden so gut wie unbekannt war. Als die Orchestervorsteher, welche die Konservierung und Mehrung des Pensionsfonds zu überwachen hatten, hiervon erfuhren, ergriff sie ein solcher Schreck, daß sie in einer Audienz an unseren Generaldirektor v. Lüttichau sich wandten, um diesen zu ersuchen, daß er mich kraft seiner höchsten Autorität von meinem Vorhaben abbringen möge. Als Gründe zu diesem Gesuch führten sie an, daß unter der Wahl dieser Symphonie der Pensionsfonds Schaden leiden würde, da dieses Werk hierorts in Verruf stehe und jedenfalls das Publikum vom Besuch des Konzertes abhalten würde. Vor längeren Jahren war nämlich auch die Neunte Symphonie in einem Armen-Konzert von Reissiger aufgeführt worden und mit aufrichtiger Zustimmung des Dirigenten vollkommen durchgefallen. In der Tat bedurfte es nun meines ganzen Feuers und aller erdenklichen Beredsamkeit, um zunächst die Bedenken unseres Chefs zu überwinden. Mit den Orchestervorstehern konnte ich aber nicht anders als mich vorläufig vollständig zu überwerfen, da ich hörte, daß sie die Stadt mit ihren Wehklagen über meinen Leichtsinn erfüllten. Um sie auch zugleich in ihrer Sorge zu beschämen, nahm ich mir vor, das Publikum auf die von mir durchgesetzte Aufführung und das Werk selbst in einer Weise vorzubereiten, daß wenigstens das erregte Aufsehen einen besonders starken Besuch herbeiführen und somit den bedroht geglaubten Kassenerfolg in günstiger Weise sichern sollte. Die Neunte Symphonie ward somit für mich in jeder erdenklichen Hinsicht zu einer Ehrensache, deren Gelingen alle meine Kräfte anspannte. Das Komitee trug Bedenken gegen die Geldauslage für die Anschaffung der Orchesterstimmen; ich lieh sie somit von der Leipziger Konzert-Gesellschaft aus. – Wie ward mir nun aber, als ich seit meinen frühesten Jünglingsjahren, wo ich meine Nächte über der Abschrift dieser Partitur durchwachte, jetzt zum ersten Male die geheimnisvollen Seiten derselben, deren Anblick mich einst in so mystische Schwärmerei versetzt hatte, mir wieder zu Gesicht brachte und nun sorgfältig durchstudierte! Wie in jener unklaren Pariser Zeit die Anhörung einer Probe der drei ersten Sätze, durch das unvergleichliche Orchester des Conservatoires ausgeführt, mich plötzlich über Jahre der entfremdenden Verirrungen hinweg mit jenen ersten Jugendzeiten in eine wunderbare Berührung gesetzt und befruchtend für die neue Wendung meines inneren Strebens wie mit magischer Kraft auf mich gewirkt hatte, so ward nun diese letzte Klangerinnerung geheimnisvoll mächtig in mir wieder lebendig, als ich zum ersten Male wieder mit den Augen vor mir sah, was in jener allerersten Zeit ebenfalls nur mystisches Augenwerk für mich geblieben war. Nun hatte ich manches erlebt, was in meinem tiefsten Innern unausgesprochen zu einer ernsten Sammlung, zu einer fast verzweiflungsvollen Frage an mein Schicksal[342] und meine Bestimmung mich trieb. Was ich mir nicht auszusprechen wagte, war die Erkenntnis der vollständigen Bodenlosigkeit meiner künstlerischen und bürgerlichen Existenz in einer Lebens- und Berufs-Richtung, in welcher ich mich als Fremdling und durchaus aussichtslos ersehen mußte. Diese Verzweiflung, über die ich meine Freunde zu täuschen suchte, schlug nun dieser wunderbaren Neunten Symphonie gegenüber in helle Begeisterung aus. Es ist nicht möglich, daß je das Werk eines Meisters mit solch verzückender Gewalt das Herz des Schülers einnahm, als das meinige vom ersten Satze dieser Symphonie erfaßt wurde. Wer mich vor der aufgeschlagenen Partitur, als ich sie durchging, um die Mittel der Ausführung derselben zu überlegen, überrascht, mein tobendes Schluchzen und Weinen wahrgenommen hätte, würde allerdings verwunderungsvoll haben fragen können, ob dies das Benehmen eines Königlich Sächsischen Kapellmeisters sei. Glücklicherweise blieb ich bei solcher Gelegenheit von Besuchern unserer Orchestervorsteher und ihres würdevollen Kapellmeisters Reissiger sowie selbst des in klassischer Musik so bewanderten Ferdinand Hiller verschont.

Zuerst entwarf ich nun in Form eines Programms, wozu mir das nach Gewohnheit zu bestellende Textbuch zum Gesang der Chöre einen schicklichen Anlaß gab, eine Anleitung zum gemütlichen Verständnis des Werkes, um damit – nicht auf die kritische Beurteilung – sondern rein auf das Gefühl der Zuhörer zu wirken. Dieses Programm, für welches mir Hauptstellen des Goethischen »Faust« eine über alles wirksame Hilfe leisteten, fand nicht nur zu jener Zeit in Dresden, sondern auch späterhin an andern Orten erfreuliche Beachtung. Außerdem benutzte ich in anonymer Weise den »Dresdener Anzeiger«, um durch allerhand kurzbündige und enthusiastische Ergüsse das Publikum auf das, wie man mir ja versichert hatte, bis dahin in Dresden »verrufene« Werk anregend hinzuweisen. Meine Bemühungen schon nach dieser äußerlichen Seite hin gelangen so vollständig, daß die Einnahme nicht nur in diesem Jahre alle je zuvor gewonnenen übertraf, sondern auch die Orchestervorsteher die darauffolgenden Jahre meines Verbleibens in Dresden regelmäßig dazu benutzten, durch Wieder-Vorführung dieser Symphonie sich der gleichen hohen Einkünfte zu versichern. Was nun den künstlerischen Teil der Aufführung betraf, so arbeitete ich einer ausdrucksvollen Wiedergabe von seiten des Orchesters dadurch vor, daß ich alles, was zur drastischen Deutlichkeit der Vortragsnuancen mir nötig dünkte, in die Orchesterstimmen selbst aufzeichnete. Namentlich veranlaßte mich die hier übliche doppelte Besetzung der Blasinstrumente zu einem sorgfältig überlegten Gebrauch dieses Vorteils, dessen man sich bei großen Musikaufführungen gewöhnlich nur in dem rohen Sinne bedient, daß die mit piano bezeichneten Stellen einfach, die Forte-Stellen dagegen doppelt besetzt vorgetragen werden. In welcher Weise ich auf diese Art für Deutlichkeit der Ausführung sorgte, sei z.B. durch eine Stelle des zweiten Satzes der Symphonie bezeichnet, in welcher, zum ersten Male in C-dur, die[343] sämtlichen Streichinstrumente in verdreifachter Oktave die rhythmische Hauptfigur, unausgesetzt im Unisono, gewissermaßen als Begleitung zu dem zweiten Thema, welches nur die schwachen Holzblasinstrumente vortragen, spielen; da im ganzen Orchester hier gleichmäßig »Fortissimo« vorgezeichnet ist, so ergibt sich hieraus bei jeder erdenklichen Aufführung, daß die Melodie der Holzblasinstrumente vollständig gegen die immerhin nur begleitenden Streichinstrumente verschwindet und so gut wie gar nicht gehört wird. Da mich nun keinerlei Buchstaben-Pietät vermögen konnte, die vom Meister in Wahrheit beabsichtigte Wirkung der gegebenen irrigen Bezeichnung aufzuopfern, so ließ ich hier die Streichinstrumente bis dahin, wo sie wieder abwechselnd mit den Blasinstrumenten die Fortführung des neuen Themas aufnehmen, statt im wirklichen Fortissimo, mit nur angedeuteter Stärke spielen: das von den verdoppelten Blasinstrumenten dagegen mit möglichster Kraft vorgetragene Motiv war nun, wie ich glaube – zum ersten Male seit dem Vorhandensein dieser Symphonie –, mit bestimmender Deutlichkeit zu hören. In ähnlicher Weise verfuhr ich durchgehends, um mich der größten Bestimmtheit der dynamischen Wirkung des Orchesters zu versichern. Nichts anscheinend schwer Verständliche durfte so zum Vortrag kommen, daß es nicht in bestimmender Weise das Gefühl erfaßte. Viel Kopfzerbrechen gab von je z.B. das Fugato in 6/8-Takt nach dem Chorverse »Froh wie seine Sonnen fliegen«, in dem »alla Marcia« bezeichneten Satze des Finales: indem ich mich auf die vorangehenden ermutigenden, wie auf Kampf und Sieg vorbereitenden Strophen bezog, faßte ich dieses Fugato wirklich als ein ernst-freudiges Kampfspiel auf und ließ es anhaltend in äußerst feurigem Tempo und mit angespanntester Kraft spielen. Ich hatte am Tag nach der ersten Aufführung die Genugtuung, den Musikdirektor Anacker aus Freiberg bei mir zu empfangen, welcher kam, um mir reuig zu melden, daß er bisher einer meiner Antagonisten gewesen sei, seit dieser Aufführung aber zu meinen unbedingten Freunden sich zähle: was ihn – wie er sagte – gänzlich überwältigt habe, sei eben diese Auffassung und Wiedergabe jenes Fugato gewesen. – Eine große Aufmerksamkeit widmete ich ferner der so ungewöhnlichen rezitativartigen Stelle der Violoncelli und Kontrabässe im Beginn des letzten Satzes, welche einst in Leipzig meinem alten Freunde Pohlenz so große Demütigungen eintrug. Bei der Vorzüglichkeit namentlich unserer Kontrabassisten konnte ich mich dazu bestimmt fühlen, auf die äußerste Vollendung hierbei auszugehen. Es gelang mir in zwölf Spezialproben, welche ich nur mit den betreffenden Instrumenten hielt, zu einem fast ganz wie frei sich ausnehmenden Vortrag derselben zu gelangen und sowohl die gefühlvollste Zartheit als die größte Energie zum ergreifendsten Ausdruck zu bringen. – Vom Beginn meines Unternehmens an hatte ich sogleich erkannt, daß die Möglichkeit einer hinreißend populären Wirkung dieser Symphonie darauf beruhe, daß die Überwindung der außerordentlichen Schwierigkeiten des Vortrages der [344] Chöre in idealem Sinne gelingen müsse. Ich erkannte, daß hier Anforderungen gestellt waren, welche nur durch eine große und enthusiasmierte Masse von Sängern erfüllt werden konnten. Zunächst galt es daher, mich eines vorzüglich starken Chores zu versichern; außer der gewöhnlichen Verstärkung unseres Theaterchors durch die etwas weichliche Dreißigsche Singakademie zog ich mit Überwindung umständlicher Schwierigkeiten den Sängerchor der Kreuzschule mit seinen tüchtigen Knabenstimmen sowie den ebenfalls für kirchlichen Gesang gutgeübten Chor des Dresdener Seminariums herbei. Diese zu zahlreichen Übungen oft vereinigten dreihundert Sänger suchte ich nun auf die mir besonders eigentümliche Weise in wahre Ekstase zu versetzen; es gelang mir z.B. den Bassisten zu beweisen, daß die berühmte Stelle »Seid umschlungen, Millionen« und namentlich das »Brüder, überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen« auf gewöhnliche Weise gar nicht zu singen sei, sondern nur in höchster Entzückung gleichsam ausgerufen werden könne. Ich ging hierfür mit solcher Ekstase voran, daß ich wirklich alles in einen durchaus ungewohnten Zustand versetzt zu haben glaube, und ließ nicht eher ab, als bis ich selbst, den man zuvor durch alle Stimmen hindurch gehört hatte, mich nun nicht mehr vernahm, sondern wie in dem warmen Tonmeer mich ertränkt fühlte. – Große Freude machte es mir, das Rezitativ des Baritonisten »O Freunde, nicht diese Töne«, welches seiner seltsamen Schwierigkeiten wegen wohl fast unmöglich vorzutragen zu nennen ist, durch Mitterwurzer auf dem uns bereits innig bekannt gewordenen Wege der gegenseitigen Mitteilung zu hinreißendem Ausdruck zu bringen. – Ich trug aber auch Sorge, durch einen gänzlichen Umbau des Lokales mir eine gute Klangwirkung des jetzt nach einem ganz neuen System von mir aufgestellten Orchesters zu versichern. Die Kosten hierzu waren, wie man sich denken kann, unter besondern Schwierigkeiten zu erwirken; doch ließ ich nicht ab und erreichte durch eine vollständig neue Konstruktion des Podiums, daß wir das Orchester ganz nach der Mitte zu konzentrieren konnten und es dagegen amphitheatralisch auf stark erhöhten Sitzen von dem zahlreichen Sängerchor umschließen ließen, was der mächtigen Wirkung der Chöre von außerordentlichem Vorteil war, während es in den rein symphonischen Sätzen dem fein gegliederten Orchester große Präzision und Energie verlieh.

Schon zur Generalprobe war der Saal überfüllt. Reissiger beging hierbei die unglaubliche Torheit, beim Publikum völlig gegen die Symphonie zu intrigieren und auf das Bedauerliche der Verirrung Beethovens aufmerksam zu machen; wogegen Gade, welcher aus Leipzig, wo er damals die Gewandhauskonzerte dirigierte, uns besuchte, mir nach der Generalprobe unter anderem versicherte, er hätte gern den doppelten Eintrittspreis bezahlt, um das Rezitativ der Bässe noch einmal zu hören. Hiller fand, daß ich in den Modifikationen des Tempos zu weit gegangen sei; wie er dies verstand, erfuhr ich später durch seine eigene Leitung geistvoller Orchesterwerke, über[345] welche ich noch Gelegenheit haben werde zu berichten. Ganz unbestreitbar war aber der allgemeine Erfolg über jede Erwartung groß, und dieses namentlich auch bei Nichtmusikern; unter solchen entsinne ich mich des Philologen Dr. Köchly, welcher bei dieser Gelegenheit sich mir näherte, um mir zu bekennen, daß er jetzt zum ersten Male einem symphonischen Werke vom Anfang bis zum Ende mit verständnisvoller Teilnahme habe folgen können. In mir bestärkte sich bei dieser Gelegenheit das wohltuende Gefühl der Fähigkeit und Kraft, das, was ich ernstlich wollte, mit unwiderleglich glücklichem Gelingen durchzuführen. Nur hatte ich darüber nachzudenken, welche Schwierigkeiten es seien, die mir bisher noch die gleich glückliche Ausführung meiner eigenen neuen Konzeptionen verwehrten. Die so vielen noch problematische, jedenfalls noch nie zur populären Wirkung gebrachte Neunte Symphonie Beethovens war mir vollständig gelungen; mein »Tannhäuser«, sooft er über die Dresdener Bühne ging, belehrte mich, daß die Möglichkeit seines Gelingens erst noch zu entdecken sei. Wie dahin gelangen? Das war und blieb die geheime Frage, an welcher sich mein ferneres Leben entwickelte. –

Über die ideale Bedeutung dieser Frage durfte ich jetzt jedoch noch zu keinem ergiebigen Nachdenken gelangen; denn ganz nackt stand nun die reale Bedeutung meines innerlich gefühlten Mißerfolges mit erschreckender Mahnung vor mir. Ich konnte es länger nicht aufhalten, die widerwärtigsten Schritte zur Bekämpfung der mich bedrohenden Katastrophe meiner bürgerlichen Lage zu tun.

Unter dem Einfluß eines lächerlichen Omens war ich hierzu getrieben. Mein Kommissionär, der Schein-Verleger meiner nun veröffentlichten drei Opern »Rienzi«, »Fliegender Holländer« und »Tannhäuser«, der sehr sonderbare Hofmusikalienhändler C.F. Meser, lud mich eines Tages zur Besprechung unserer Comptoir-Angelegenheiten in die Weinstube von »Verderber«; mit großer Bangigkeit besprachen wir die Möglichkeiten eines erträglichen oder auch ganz schlechten Ausfalls der bevorstehenden Ostermesse. Ich machte ihm Mut und verlangte eine Flasche des besten Haut-Sauterne; ein ehrwürdiger Flakon erschien, ich schenkte die Gläser voll, wir stießen auf den guten Ausfall der Messe an, tranken und – schrien plötzlich wie wahnsinnig auf, indem wir den stärksten Estragon-Essig, den man uns aus Versehen serviert, mit Entsetzen von uns zu sprudeln suchten. »Herr Gott!« rief Meser, »das konnte nicht schlimmer kommen.« – »Allerdings«, sagte ich, »ich glaube, es wird uns manches zu Essig werden.« Mein guter Humor zeigte mir nun mit Blitzesschnelle an, daß ich auf anderm Wege als dem der Meßgeschäfte mich zu retten versuchen müßte.

Nicht nur die mit stets sich anhäufenden Opfern herbeigeschafften Kapitalien für die kostbare Herausgabe meiner Opern mußten endlich wiedererstattet werden, sondern das Gerücht von meiner Verschuldung hatte sich, weil ich genötigt war, endlich zur Hilfe von Wucherern zu greifen, so stark[346] verbreitet, daß selbst Befreundete, die mir schon bei meiner Dresdener Niederlassung behilflich gewesen waren, von großer Ängstlichkeit in meinem Bezug ergriffen wurden. – Eine wirklich traurige Erfahrung machte ich jetzt an Frau Schröder-Devrient, welche durch ihr unbegreiflich rücksichtsloses Benehmen die Katastrophe über mich herbeiführte. Wie ich erwähnt, hatte sie im ersten Beginn meiner Dresdener Ansiedelung zur Erledigung meiner früheren Schulden, namentlich auch zur Versorgung meines alten Freundes Kietz in Paris, mir 1000 Taler geliehen. Die Eifersucht auf meine Nichte Johanna, der Argwohn, ich hätte diese nach Dresden gezogen, um der Generaldirektion die Entlassung der großen Künstlerin zu erleichtern, hatte diese sonst so großherzige Frau in die ganz gewöhnliche feindselige Stimmung gegen mich versetzt, welche man beim Theater so oft erfährt. Sie hatte jetzt ihr Engagement verlassen, erklärte offen, ich hätte sie daraus mit vertreiben helfen, und alle freundschaftlichen Rücksichten gegen mich, dem sie in jeder Hinsicht das vollständigste Unrecht tat, beiseite setzend, hinterließ sie den von mir ihr zugestellten Schuldschein einem energischen Advokaten, welcher ohne weiteres die Forderung gegen mich einklagte. Somit war ich nun genötigt, mich Herrn von Lüttichau zu entdecken und seine Vermittelung eines königlichen Vorschusses zur Bereinigung meiner kompromittierten Lage anzugehen.

Mein Chef erklärte sich bereit, eine von mir in dieser Angelegenheit an den König gerichtete Eingabe zu unterstützen. Ich hatte deshalb den Betrag meiner Verpflichtungen aufzuzeichnen; da mir sogleich eröffnet wurde, daß die mir nötige Summe nur als ein Darlehen aus dem Theaterpensionsfonds gegen Verzinsung mit fünf Prozent mir zugewiesen werden könne und ich außerdem den Pensionsfonds für sein Kapital durch eine Lebensversicherungs-Police, welche ebenfalls jährlich drei Prozent des aufgenommenen Kapitals mich zu kosten hatte, sicherzustellen haben würde, ward ich durch sehr natürliche Rücksichten verführt, diejenigen meiner Schulden, welche keinen feindseligen Charakter hatten und für deren Tilgung ich demnach auf die endlich doch zu erwartenden Einnahmen von meinem Verlagsunternehmen rechnen zu dürfen glaubte, in meiner Eingabe unerwähnt zu lassen. Dennoch stiegen die Opfer, mit welchen ich die mir dargebotene Hilfeleistung zu bezahlen hatte, so hoch, daß dadurch mein an und für sich geringes Kapellmeistergehalt dauernd in sehr empfindlicher Weise geschmälert wurde. Die widerwärtigsten Bemühungen entstanden mir noch aus der Nötigung zur Herbeischaffung der verlangten Lebensversicherungs-Police; ich mußte mich deshalb wiederholt nach Leipzig[347] wenden und hatte auf mich in fast erschreckende Weise gegen besondere Zweifel in betreff meiner Gesundheit und Lebensdauer anzukämpfen, über welche sich bei denjenigen, die mich in meinem damals leidenvollen Zustande flüchtig beobachteten, wie ich verschiedentlich zu bemerken glaubte, sogar schadenfrohe Besorgnisse ausgesprochen hatten. Es gelang endlich meinem Freunde Pusinelli als mit mir wohlvertrautem Arzte, so weit genügende Auskunft über meinen Gesundheitszustand zu geben, daß ich endlich gegen drei Prozent mein Leben versichert erhielt.

Der letzte dieser peinlichen Ausflüge nach Leipzig wurde jedoch in angenehmer Weise auch andrerseits durch eine freundliche Einladung des alten Meisters Louis Spohr veranlaßt, welche mich namentlich mit aus dem Grunde erfreute, weil durch sie zugleich ein Akt der Versöhnung sich kundgab. Spohr hatte nämlich, wie er mir seinerzeit geschrieben, durch den Erfolg meines »Fliegenden Holländers« in Kassel und sein eigenes Gefallen daran angeregt, sich noch einmal entschlossen, die zuletzt wiederholt gänzlich erfolglos von ihm beschrittene Laufbahn als dramatischer Komponist zu betreten. Sein neuestes Werk war eine Oper »Die Kreuzfahrer«, welche er im Laufe des vergangenen Jahres dem Dresdener Theater zugesandt hatte, und zwar, wie er mir selbst bedeutete, in der Meinung, daß ich mit großem Eifer deren Aufführung betreiben würde. Er machte mich bei dieser Anempfehlung darauf aufmerksam, daß er mit dieser Arbeit einen von seinen früheren Opern gänzlich abgehenden Weg eingeschlagen und sich nur an die genaueste dramatische Deklamation gehalten habe, wobei ihm allerdings »das vortreffliche Sujet« ganz besonders zustatten gekommen sei. Dagegen war nun mein nicht eigentlich verwunderungsvoller Schreck groß, als ich sowohl dieses Sujet als die Partitur mir bekannt machte; denn offenbar war der alte Meister bei seinen mir in ihrem Bezug gegebenen Versicherungen vollständig im Irrtum gewesen. Meiner großen Verzagtheit, mit Energie für die Aufführung dieses Werkes mich zu erklären, half allerdings das bestehende Herkommen, daß die Entscheidung über aufzuführende Werke ordnungsmäßig nicht einem der Kapellmeister allein zukam und daß außerdem an Reissiger, einem, wie er sich selbst früher gerühmt hatte, älteren Freunde Spohrs, die Reihe war, ein neues Werk zu begutachten und zur Aufführung zu bringen. Unglücklicherweise hatte ich nach einiger Zeit zu erfahren, daß die Generaldirektion mit verletzend kurzer Fassung an Spohr seine Oper zurückgeschickt habe, worüber dieser sich bitter bei mir beklagte. Daß es mir im aufrichtigen Schreck hierüber gelungen war, ihn zu beruhigen und zu versöhnen, bewies er mir nun eben durch die erwähnte Einladung; es war ihm, wie er mir hierbei schrieb, auf einer angetretenen Badereise peinlich, Dresden zu berühren; da er aber ein herzliches Verlangen trüge, mich persönlich kennenzulernen, ersuchte er mich in Leipzig, wo er sich einige Tage aufhalten würde, mit ihm zusammenzutreffen.

Diese Begegnung mit ihm blieb auf mich nicht eindruckslos. Ein großer,[348] stattlicher Mann mit vornehmem Ausdruck, von ernstem gemäßigtem Temperament, welcher den Kern seiner Bildung sowohl wie seiner Entfremdung gegen die neuere Tendenz der Musik mir in rührender, fast entschuldigender Weise darin zu erkennen gab, daß er seinen ersten, für sein ganzes Leben entscheidenden Eindruck im zartesten Jünglingsalter durch die damals eben neue »Zauberflöte« Mozarts bekommen habe. Über mein Gedicht des »Lohengrin«, welches ich ihm zur Durchlesung zurückließ, sowie überhaupt den Eindruck, welchen meine persönliche Bekanntschaft auf ihn gemacht habe, hat er sich gegen meinen Schwager Hermann Brockhaus, in dessen Hause wir bei lebhaftester Unterhaltung zu einem Mittagsmahl vereinigt gewesen, mit fast überraschender Wärme ausgesprochen. Wir waren außerdem beim Musikdirektor Hauptmann sowie bei Mendelssohn zu wirklichen Musikabenden zusammengekommen, bei welchen Gelegenheiten ich auch den Meister in einem seiner Quartette auf der Violine zu hören bekam. Seine ganze ruhige Erscheinung machte gerade in diesen Kreisen auf mich den Eindruck einer fast rührenden Ehrwürdigkeit. – Ich habe später durch allerdings nicht genau von mir zu beurteilende Zeugen vernommen, daß ihn der »Tannhäuser«, als er auch in Kassel zur Aufführung kam, in Verlegenheit und Pein versetzt haben solle, so daß er erklärt habe: weiter könne er mir denn doch nicht folgen und müsse fürchten, mich auf Abwegen zu sehen.

Zu meiner Erholung von allen überstandenen Mühseligkeiten und Bekümmerungen hatte ich mir nun als höchste Gunstbezeigung von meiner Direktion einen dreimonatigen Urlaub ausgewirkt, um in ländlicher Zurückgezogenheit sowohl mich erholen als reinen Atem zum Beginn einer neuen Arbeit schöpfen zu können. Ich hatte hierzu ein Bauernhaus in dem auf halbem Wege zwischen Pillnitz und dem Eintritt in die Sächsische Schweiz gelegenen Dorfe Groß-Graupe ausgesucht. Häufige Ausflüge auf den Porsberg, nach dem nahen Liebethaler Grunde, auch nach der entfernteren Bastei trugen bald zur Stärkung meiner angegriffenen Nerven bei. Als ich an den ersten Entwurf der Musik zu »Lohengrin« gehen wollte, störte mich zu meiner höchsten Pein unaufhörlich das Nachklingen Rossinischer Melodien aus »Wilhelm Tell«, der letzten Oper, welche ich zu dirigieren gehabt hatte; in wahrer Verzweiflung verfiel ich endlich auf ein wirksames Gegenmittel gegen diese lästige Zudringlichkeit, indem ich mir auf einem einsamen Spaziergange mit energischster Betonung das erste Thema der Neunten Symphonie aus der ebenfalls ziemlich neu angefrischten Erinnerung vorführte. – Dies half. In dem Flußbade bei Pirna, wohin ich fast täglich gegen Abend zu meiner Erfrischung mich aufmachte, überraschte es mich eines Mals, von einem mir unsichtbaren Badenden die Melodie des Pilgerchors aus »Tannhäuser« gepfiffen zu hören: dies erste Anzeichen einer möglichen Popularisierung des zunächst nur mit so großer Mühe in Dresden durchgesetzten Werkes machte auf mich einen Eindruck, den keine ähnliche[349] spätere Erfahrung je hat überbieten können. Zuweilen erhielt ich Freundesbesuche aus Dresden, unter denen sich eines Tages der damals sechzehnjährige Hans von Bülow in der Begleitung Lipinskys zu meiner Freude, da ich schon früher auf seine große Teilnahme für mich aufmerksam geworden war, meldete. Im ganzen verblieb ich aber meistens nur auf den Umgang mit meiner Frau, auf meinen weiten Spaziergängen sogar nur auf den mit meinem Hündchen Peps angewiesen. Während dieses Sommerurlaubes, von welchem eine bedeutende Zeit anfänglich noch der Besorgung meiner widerlichen Geschäfte und der Stärkung meiner Gesundheit allein gewidmet werden mußte, gelang es mir doch, die Musik sämtlicher drei Akte des »Lohengrin« wenn auch nur in sehr flüchtigen Umrissen zu skizzieren.

Mit dieser Ausbeute kehrte ich im August nach Dresden zu meinen bereits immer lästiger mir werdenden Kapellmeisterfunktionen zurück. Außerdem aber geriet ich sogleich auch wieder in das Geleise der kaum einigermaßen beschwichtigten Sorgen. Der Betrieb des Verlages meiner Opern, in dessen endlichem Erfolge ich doch immer nur noch die einzige Möglichkeit einer gründlichen Befreiung von jenem Drucke zu ersehen hatte, erforderte, um eben hierzu tauglich zu werden, stets wieder neue Opfer. Da nun selbst die geringsten Anstrengungen hierfür bei meinem nun sehr geschmälerten Einkommen mich notwendig neuen und immer peinlicheren Verwirrungen zuführen mußten, so sank mir bald von neuem aller Lebensmut.

Dagegen suchte ich mich einzig durch energische Aufnahme der Arbeit am »Lohengrin« zu erkräftigen. Hierbei geriet ich auf ein sonst nie wieder von mir befolgtes Verfahren: ich führte nämlich den dritten Akt zuerst aus, wozu mich die zuvor besprochene Kritik des dramatischen Charakters dieses Aktes und seines Schlusses in der Weise bestimmte, daß ich ihn, selbst wohl auch der in der Erzählung vom Gral erscheinenden musikalischen Motive wegen, von vornherein als den Kern des Ganzen mir vollkommen befriedigend festzusetzen suchen wollte. Es gelang mir jedoch nicht, ohne eine große und bedeutungsvolle Unterbrechung diesen Akt zu beendigen.

Auf eine frühere Anregung von mir sollte in diesem Winter nämlich Glucks »Iphigenia in Aulis« zur Aufführung gelangen. Ich fühlte mich verpflichtet, diesem Werke, welches namentlich seines Sujets wegen mich sehr ansprach, eine größere Aufmerksamkeit und Fürsorge zuzuwenden, als dies früher beim Einstudieren der »Armide« der Fall gewesen war. Zunächst erschrak ich über die Übersetzung, in welcher uns die Oper mit der Berliner Partitur vorgelegt wurde. Um mich überhaupt durch einige Instrumentationsbereicherungen, wie ich sie in dieser Partitur sehr roh angebracht vorfand, nicht beirren zu lassen, ließ ich die alte Pariser Originalausgabe verschreiben und ward, nachdem ich mich an eine gründliche, nur eben auf die Richtigkeit der Deklamation bedachte Umarbeitung der Übersetzung gemacht hatte, von wachsender Teilnahme angetrieben, endlich auch zu einer weiteren Bearbeitung der Partitur selbst bestimmt. Das Gedicht selbst[350] suchte ich durch Fernhaltung alles dessen, was dem französischen Geschmacke gemäß das Verhältnis des Achilles zu Iphigenia zu einer süßlichen Liebschaft stempelte, namentlich aber durch die vollständige Umänderung des Schlusses mit der unerläßlichen »Mariage« soweit als möglich mit dem gleichnamigen Stück des Euripides in Übereinstimmung zu setzen. Die meist ganz unvermittelt nebeneinanderstehenden Arien und Chöre suchte ich der dramatischen Lebendigkeit zulieb durch Übergänge, Nach- und Vorspiele zu verbinden, wobei ich es mir hauptsächlich angelegen sein ließ, durch Benutzung der Gluckschen Motive selbst die Einmischung des fremden Musikers so unmerklich wie möglich zu machen. Nur im dritten Akte mußte ich der Iphigenia sowie der von mir eingeführten Artemis ariose Rezitative von meiner eigenen Komposition geben. Außerdem aber bearbeitete ich die ganze Instrumentation, jedoch immer nur in der Absicht, das Vorhandene zur rechten Wirkung zu bringen, mehr oder weniger ausführlich von neuem. Erst am Schlusse des Jahres konnte ich diese zeitraubende Arbeit beendigen und mußte dagegen die Ausführung des begonnenen dritten Aktes von »Lohengrin« auf das neue Jahr verschieben.

Zunächst nahm im neuen Jahre (1847) mich nach außen die Aufführung der »Iphigenia« in Anspruch, wobei ich mich nun namentlich auch als Regisseur zu bewähren hatte; ja sogar dem Dekorateur und Maschinisten hatte ich auf das angelegentlichste zu Hilfe zu kommen. Die Belebung der szenischen Darstellung zu einer wirklich lebenvoll dramatischen Handlung war bei dem meist spröde und unvermittelt nebeneinandergestellten Komplex der Szenen oft ganz neu zu erfinden, da mir das meiste in dieser Beziehung nur durch eine zu Glucks Zeiten in der Pariser Oper noch herrschende bloß konventionelle Behandlung der Szene erklärlich schien. Von allen Darstellenden erfreute mich durch vollkommenes Erfassen und richtige Wiedergebung meiner Vorschriften und Andeutungen einzig Mitterwurzer als Agamemnon, welcher auch wirklich in jeder Hinsicht etwas Vorzügliches und Ergreifendes leistete. Die Wirkung des Ganzen war über alle Erwartung günstig, und selbst die Direktion war von diesem ausnahmsweise populären Erfolg einer Gluckschen Oper so verwundert, daß sie sich von selbst veranlaßt fand, von der zweiten Aufführung an auf dem Theaterzettel mich als Bearbeiter derselben zu nennen. Dies machte denn nun auch sofort die Kritik auf diese Arbeit aufmerksam, und wirklich ließ sie mir diesmal fast durchaus Gerechtigkeit widerfahren: nur meine Behandlung der Ouvertüre, des einzigen Stückes, welches in der gewöhnlichen trivialen Aufführungsweise zuvor diesen Herren von diesem Werke Glucks bekannt geworden war, erregte großen Anstoß. Ich habe das hierauf Bezügliche in einer besondern Abhandlung »Über Glucks Ouvertüre zur Iphigenia in Aulis« genau mitgeteilt und erörtert und füge jener Besprechung hier nur die Notiz hinzu, daß der Musiker, von welchem ich bei dieser Gelegenheit so sonderbare Dinge vernahm, Ferdinand Hiller war. –[351]

Auch diesen Winter, wie früher, setzten sich die namentlich durch Hiller betriebenen Zusammenkünfte der disparaten künstlerischen Elemente Dresdens fort; nur nahmen sie jetzt mehr den Charakter von eigentlichen Salon-Abenden im Hillerschen Hause selbst an: mir schien, es sollte da durchaus zur Herrichtung eines Bodens für die Anerkennung der Hillerschen Kunstgröße kommen. Wirklich hatte er bereits aus vermögenderen Kunstfreunden, an deren Spitze der Bankier Kaskel stand, eine Gesellschaft zur Pflege von Abonnement-Konzerten gegründet. Da ihm die Königl. Kapelle hierzu unmöglich zur Verfügung gestellt werden konnte, hatte er sich mit sonstigen Stadt- und Militär-Musikern für das Orchester zu begnügen gehabt, und wirklich war unleugbar, daß er durch vielen Fleiß hier Anerkennenswertes erreichte. Er wußte durch die Vorführung mancher in Dresden noch unbekannten Kompositionen, namentlich aus dem Gebiete der neueren Musik, mich selbst öfter zum Besuche seiner Konzerte zu veranlassen. Das eigentliche Publikum schien er jedoch mehr durch Herbeiziehung fremder Sängerinnen (von denen ihm aber leider Jenny Lind ausblieb) sowie Virtuosen (unter denen mir namentlich der damals noch sehr jugendliche Joachim bekannt wurde) anlockend zu machen. Über seine wahre musikalische Bedeutung gab mir jedoch sein Befassen mit damals bereits meinem Urteile sehr vertrauten Musikwerken Aufschluß. Ein Triple-Konzert von Sebastian Bach setzte mich durch das unter seiner Mitwirkung geleitete gleichgültige Herunterspielen desselben in wahrhaftes Erstaunen. Mit dem »Tempo di Minuetto« der Achten Symphonie Beethovens begegnete mir bei Hiller etwas noch Sonderbareres als früher bei Reissiger und Mendelssohn. Ich versprach ihm nämlich zur Aufführung dieser Symphonie mich einzufinden, wenn ich mich darauf verlassen könnte, daß er das gewöhnlich so schmachvoll entstellte Tempo des dritten Satzes richtig geben würde; er versicherte mir auf das genaueste, hierin mit mir übereinzustimmen; desto mehr erschrak ich nun, bei der Aufführung richtig wieder das bekannte Walzer-Zeitmaß angewandt zu finden. Als ich ihn hierüber zur Rede stellte, entschuldigte er sich lächelnd durch eine augenblickliche Zerstreutheit, die ihn gerade beim Beginn des betreffenden Satzes erfaßt und seines Versprechens vergessen gemacht hätte. – Für die Errichtung dieser Konzerte, welche allerdings mit dem zweiten Jahre eingingen, erhielt Hiller ein Festessen, welchem auch ich mit vielem Vergnügen beiwohnte.

In diesen Kreisen war man um jene Zeit verwundert, mich oft zwar sehr lebhaft, aber nie über Musik, sondern namentlich über die griechische Literatur und Geschichte sprechen zu hören. Bei den von mir immer eifriger gepflogenen und von meiner Berufstätigkeit mich in immer stillere Einsamkeit zurückleitenden Studien war ich damals, um die empfindliche Kluft zwischen meinem ersten jugendlichen Erfassen der ewigen humanistischen Bildungselemente und der durch mein ableitendes Leben entstandenen Verwahrlosung auf diesem Gebiete auszufüllen, zu einem meinem geistigen[352] Bedürfnisse entsprechenden systematischen Neubefassen mit dieser allerwichtigsten Bildungsquelle hingetrieben worden. Um mich mit dem rechten Sinne den mir zum Ziel gesetzten alt- und mittelhochdeutschen Studien zu nähern, begann ich von neuem mit dem griechischen Altertum und war nun von diesem allerdings mit solch überwältigender Begeisterung erfüllt, daß ich, wenn ich überhaupt zum Reden gebracht wurde, mit Wärme nur sprechen konnte, sobald ich gewaltsam nach jener Sphäre hinlenkte. Zuweilen traf ich einen Menschen, der mich gern zu hören schien; im ganzen aber verkehrte man mit mir doch am liebsten nur über das Theater, weil man, namentlich nach meiner Aufführung der Gluckschen »Iphigenia«, mich hierin wirklich für sach- und fachverständig halten zu dürfen glaubte. Besondere Anerkennung fand ich hierfür von einem Manne, dem ich selbst, gewiß mit Recht, zum mindesten gleiche Sachkenntnis zuzutrauen hatte. Dies war Eduard Devrient, welcher um jene Zeit durch eine von seinem eigenen Bruder Emil angezettelte Schauspieler-Intrige aus seiner Stellung als Oberregisseur des rezitierenden Dramas sich zurückzuziehen veranlaßt sah. Er wurde mir sowohl durch die sich hieran knüpfenden gemeinschaftlichen Erörterungen über das Nichtige und in tiefstem Grunde Hoffnungslose unseres ganzen Theaterwesens, namentlich unter dem schließlich doch nie zu bewältigenden verderblichen Einflusse der Leitung durch kenntnislose Hofintendanten, als auch durch seine vollständige Anerkennung meiner Leistung in der Aufführung der »Iphigenia«, welche er mit der von ihm gänzlich verworfenen Berliner zusammenhielt, näher vertraut. Er war lange Zeit der einzige, mit welchem ich ernsthaft und eingehend über die wahren Bedürfnisse des Theaters und über die Mittel, seiner Verwahrlosung abzuhelfen, mich besprechen konnte. Vieles gab es, worüber er nach längerer und speziellerer Erfahrung mir Aufschluß und Belehrung geben konnte; namentlich half er mir sehr erfolgreich die Ansicht zu bekämpfen, daß dem Theater durch Einmischung der bloßen literarischen Intelligenzen zu nützen sei, und befestigte mich dagegen in der Überzeugung davon, daß dem Theater nur durch seine eigensten Kräfte, durch die dramatischen Darsteller selbst der Weg zu wahrhaftem Gedeihen gewonnen werden könne. Ich blieb mit Eduard Devrient, dessen trockenes Naturell und offenbar sehr beschränktes Talent als Schauspieler selbst mich bis dahin wenig angezogen hatten, von nun an bis zu meinem Fortgange von Dresden in ununterbrochen zunehmendem freundschaftlichem Verkehr. Sein höchst verdienstliches Werk »Die Geschichte der deutschen Schauspielkunst«, welches er damals ausarbeitete und nach und nach veröffentlichte, gab mir manchen neuen und lehrreichen Aufschluß über Dinge, die mich selbst lebhaft angingen und in welche er mir nun eine gründliche Einsicht verschaffte. –

Endlich war ich doch dazu gelangt, die mitten in der Braut-Szene unterbrochene Ausführung der Komposition des dritten Aktes von »Lohengrin« wieder aufzunehmen und mit dem Schlusse des Winters zu vollenden. Nachdem[353] im Konzert am Palmsonntag mich die allgemein verlangte Wiederholung der Neunten Symphonie erquickt hatte, suchte ich für die weitere Ausführung meiner neuen Arbeit, diesmal ohne Urlaub zu nehmen, durch die Veränderung meiner Wohnung mir Erleichterung und Erfrischung zu verschaffen. In einem ziemlich entfernten und wenig bewohnten Stadtteile Dresdens war das ehemalige Marcolinische Palais mit sehr großem, zum Teil in altfranzösischem Stil angelegtem Garten, durch Verkauf an eine städtische Behörde zur teilweisen Vermietung frei geworden. Der Bildhauer Hänel, den ich bereits seit längerer Zeit zu meinen guten Bekannten zählte und von dem ich sogar als Zeichen seiner anerkennungsvollen Teilnahme einen vollständigen Gipsabdruck eines zum Beethoven-Monument gehörigen Bas-Reliefs, die Symphonie darstellend, als Zimmerschmuck erhalten, hatte die unteren, weitgedehnten Räume eines Seiten-Flügels dieses Palais für Wohnung und Atelier in Beschlag genommen. Gegen sehr billigen Mietzins bezog ich nun zu Ostern die darüber gelegene geräumige Wohnung und verbesserte somit bei der mir freistehenden Benutzung des von herrlichen Bäumen bepflanzten großen Gartens und der angenehmen Stille des ganzen Aufenthaltes nicht nur die hierauf bezüglichen geistig-diätetischen Lebensfördernisse des erholungsbedürftigen Künstlers, sondern half zu gleicher Zeit auch durch Verminderung meiner Ausgaben meiner finanziell so äußerst gedrückten Lage etwas auf. Bald hatten wir, da Minna sehr zweckmäßig die neue Einrichtung besorgte, uns ohne empfindliche Kosten in der ziemlich ausgedehnten Reihe freundlicher Zimmer ganz behaglich angesiedelt, und nur eine Unbequemlichkeit hatte ich im Laufe der Zeit schmerzlich zu empfinden, nämlich die sehr weite Entfernung vom Theater, welche mir nach anstrengenden Proben und ermüdenden Aufführungen, da mich oft die Ausgabe für einen Fiaker genierte, sehr lästig fiel. Jede Unbequemlichkeit half aber die glückliche Stimmung, welche unter der Begünstigung eines ausnahmsweise schönen Sommers mich einnahm, bald zu überwinden.

Von aller näheren Beteiligung an der Direktion des Theaters zog ich mich um diese Zeit mit immer unumwundener erklärter Bestimmtheit zurück, und hierzu hatte ich die triftigsten Gründe anzuführen. – Jeder meiner Versuche, dem willkürlichen Chaos in der Verwendung so kostbarer künstlerischer Kräfte, wie sie diese königliche Anstalt vereinigte, eine förderliche Richtung zu geben, war, gerade weil ich sie prinzipiell zu begründen mich bemühte, wiederholt vereitelt worden. In einer sorgsamen Arbeit, welche ich ebenfalls im Verlaufe des vergangenen Winters neben meinen übrigen Beschäftigungen verfaßt, hatte ich zunächst einen Plan zur Reorganisation der musikalischen Kapelle ausgearbeitet und nachgewiesen, wie durch eine zweckmäßigere Verwendung der zur Erhaltung derselben bestimmten königlichen Fonds zugleich mit größerer Gerechtigkeit in betreff der Besoldungen auch eine bedeutendere Produktivität der künstlerischen Kräfte bezweckt[354] werden könnte. Dieser Überschuß von Produktivität sollte wiederum in gleichem Maße zur Hebung des künstlerischen Geistes wie zur Verbesserung der ökonomischen Verhältnisse der Kapellmusiker dienen, indem ich sie zugleich zu einer freien Konzertgesellschaft konstituiert wissen wollte. Wie, als solche, es ihre Aufgabe sein sollte, das Dresdener Publikum in vorzüglichster Weise mit einer Musikgattung bekannt zu machen, welche bis jetzt dort so gut wie noch gar nicht gepflegt worden war, sollte es diesem Vereine unter Begünstigung vieler von mir nachgewiesenen äußeren Umstände zugleich ermöglicht werden, Dresden mit dem, wie ich erfahre, heute ihm noch fehlenden angemessenen Konzertgebäude zu versehen. Ich hatte mich hierzu mit Architekten und Bauunternehmern in das ausführlichste Vernehmen gesetzt; die Pläne waren vollständig ausgearbeitet, nach welchen das skandalöse vis-à-vis des der Ostra-Allee zugekehrten Teiles des berühmten Zwingergebäudes, bestehend aus dem Theaterdekorationsmaler-Schuppen und dem Königl. Hofwaschhause, verschwinden und dafür ein schönes Gebäude, welches außer einem unseren Zwecken dienlichen großen Konzertsaale zugleich andere, für einträgliche Vermietung geeignete Gesellschaftslokale enthalten hätte, errichtet werden sollte. Diese Entwürfe, deren praktische Ausführbarkeit von keiner Seite her bestritten wurde, da selbst die Verwalter des Kapellwitwenfonds hierin eine Gelegenheit zu sicherer und vorteilhafter Kapitalanlage ersahen, gelangten nach längerer Erwägung seitens der Generaldirektion unter Verdankung und Anerkennung meiner sorgfältigen Arbeit mit dem summarischen Bescheide an mich zurück, daß man es für besser fände, wenn alles beim alten verbliebe. – Ähnlich erging es mir mit jedem Vorschlage, der nutzlos ermüdenden Verwendung unserer künstlerischen Kräfte durch zweckmäßigere Anordnung in jedem von mir nachgewiesenen Betreff entgegenzutreten. Da ich außerdem durch jahrelange Erfahrung zu der Einsicht gekommen war, daß alles in den ermüdendsten Direktionskonferenzen z.B. im Betreff des aufzustellenden Repertoires Besprochene und zum Beschluß Gebrachte jeden Augenblick durch die Laune eines Sängers oder den Einwurf eines untergeordneten Ökonomie-Inspektors umgestoßen und nachteilig verändert wurde, so begab ich mich endlich, nach zahllosen Erörterungen und Ereiferungen hierüber, der hierbei vergeudeten Mühe und entzog mich mit bestimmt ausgesprochener Tendenz selbst meiner Pflicht der Beteiligung an jedem Zweige der Direktionsführung, indem ich mich lediglich auf die Abhaltung der Proben und Leitung der Aufführungen der mir zugewiesenen Opern beschränkte. Geriet ich hierdurch nun auch in eine zunehmende Spannung mit Herrn v. Lüttichau, so mußte er für jetzt sich doch meine Renitenz wohl oder übel gefallen lassen, da ich namentlich andrerseits durch den stets andauernden Erfolg der Aufführungen des »Tannhäuser« und des »Rienzi«, welche namentlich vor dem bedeutenden Fremdenpublikum im Laufe des Sommers als stets bevorzugte Festvorstellungen vor überfüllten Häusern gegeben wurden, in Rücksicht gebietender Stellung erhalten wurde.[355]

Unter solchen Entsagungen und Förderungen gelangte ich dazu, diesen Sommer unter dem Genuß einer fast vollständigen Zurückgezogenheit und der großen Annehmlichkeit, die mir meine neue Niederlassung gewährte, in einer der Vollendung meines »Lohengrin« höchst günstigen Stimmung mich zu erhalten. Was dieser Stimmung eine bisher von mir noch nie mit so großer Intensivität genossene Heiterkeit gab, waren meine neben der Arbeit an meinem Werke eifrigst betriebenen, zuvor bereits angedeuteten Studien. Ich hatte nun zum ersten Male bei gereiftem Gefühle und Verstande mich des Aischylos bemächtigt. Namentlich die beredten Didaskalien Droysens halfen mir, das berauschende Bild der athenischen Tragödienaufführungen so deutlich meiner Einbildungskraft vorzuführen, daß ich die »Oresteia« vorzüglich unter der Form einer solchen Aufführung mit einer bisher unerhört eindringlichen Gewalt auf mich wirken fühlen konnte. Nichts glich der erhabenen Erschütterung, welche der »Agamemnon« auf mich hervorbrachte: bis zum Schluß der »Eumeniden« verweilte ich in einem Zustande der Entrücktheit, aus welchem ich eigentlich nie wieder gänzlich zur Versöhnung mit der modernen Literatur zurückgekehrt bin. Meine Ideen über die Bedeutung des Dramas und namentlich auch des Theaters haben sich entscheidend aus diesen Eindrücken gestaltet. Durch die übrigen Tragiker drang ich bis zu Aristophanes vor. Wenn ich des Vormittags eifrig an der Ausführung der Musik des »Lohengrin« gearbeitet hatte, verkroch ich mich gegen die immer üppiger hereindringende Sommerhitze tief in ein dichtes Gebüsch des mir zugewiesenen Gartenanteiles; unbeschreiblich war der launige Übermut, mit welchem dort die Lektüre der Aristophanischen Stücke mich erfüllte, nachdem die »Vögel« des Dichters mich in die ganze Tiefe und Fülle dieses ausgelassenen Lieblings der Charitinnen, wie er sich selbst mit sicher bewußter Kühnheit nannte, versenkt hatten. An seiner Seite las ich die vorzüglichsten Platonischen Gespräche und gewann namentlich aus dem Eindrucke des »Symposion« einen so innig vertrauten Einblick in die wunderbare Schönheit des griechischen Lebens, daß ich wie mit fühlbarer Wirklichkeit in Athen mich heimischer empfand als in irgendeinem Lebensverhältnisse der modernen Welt.

Da ich meinem ganz bestimmten Bildungszwecke nachging, fiel es mir nicht ein, am Leitfaden irgendeiner Literaturgeschichte meinen weiteren Weg zu verfolgen, sondern ich lenkte durch die mir geeignet dünkenden historischen Studien, in welchen mich namentlich Droysens Geschichte Alexanders und des Hellenismus sowie Niebuhr und Gibbon förderten, zu den deutschen Altertümern über, in welchen mir nun Jakob Grimm als ein immer vertrauter gewordener Führer wiederkehrte. Indem ich mich nun namentlich der deutschen Heldensage gründlicher zu bemächtigen suchte, als dies früher nur durch die Lektüre der Nibelungen und des Heldenbuches möglich gewesen war, fesselten mich endlich ganz vorzüglich die ungemein reichen, obwohl ihrer Kühnheit wegen von strengeren Fachgelehrten mit[356] Bedenken angesehenen »Untersuchungen« Mones über diese Heldensage. Unwiderstehlich hierdurch auf die nordischen Zeugnisse für dieselbe hingewiesen, suchte ich nun auch, soweit mir dies ohne fließende Kenntnis der nordischen Sprachen möglich war, die »Edda« sowie die prosaischen Aufzeichnungen der großen Bestandteile der Heldensage mir vertraut zu machen. Von entscheidendem Einfluß auf die bald in mir sich gestaltende Behandlung dieses Stoffes war an der Hand der Moneschen »Untersuchungen« die Lektüre der Wälsungasaga. Das bereits seit längerer Zeit in mir sich bildende Bewußtsein von der urheimischen Innigkeit dieser alten Sagenwelt gewann so allmählich die Kraft zu der plastischen Gestaltung, welche meine späteren Arbeiten leitete.

Dies alles drängte und reifte in mir, während ich mit wahrhaft verklärter Freude die Komposition der beiden ersten, nun zuletzt ausgeführten Akte des »Lohengrin« vollendete. Indem ich so nach rückwärts abschloß und nach vorwärts eine neue Welt mir aufbaute, welche meinem hierüber immer klarer sich werdenden Bewußtsein mit wachsender Deutlichkeit als diejenige Zuflucht sich erschloß, in welche ich mich von allen Elendigkeiten des modernen Oper- und Theaterwesens zu retten hatte, befestigten sich meine Gesundheit und meine Laune zu einer fast untrübbar heitern Stimmung, in der ich für längere Zeit alle Nöte meiner Lage vergessen konnte. Tägliche Ausflüge in die nächste Umgegend der vom Elbufer nach dem Plauenschen Grund sich hinziehenden Höhen, welche ich meistens einsam nur von Peps begleitet antrat, führten stets zu angenehm produktiver Sammlung. Zugleich aber gewann ich wie fast sonst nie die Befähigung zu gutgelauntem Umgang mit Freunden und Bekannten, welche zu Zeiten gern im Marcolinischen Garten sich einfanden, mein einfaches Abendmahl mit mir zu teilen. Oft fanden mich die Besuche dann auf den höchsten Zweigen eines Baumes oder auf dem Nacken des Neptun, welcher als Mittelpunkt einer kolossalen Statuengruppe in einem leider stets trocknen Bassin aus der alten Glorienzeit dieses Marcolinischen Grundstückes figurierte. Es machte mir dann Vergnügen, mit meinen Bekannten auf dem breiten Trottoir des nach dem eigentlichen Palais zuführenden Hauptganges auf- und abzuschreiten, welches im verhängnisvollen Jahre 1813 besonders für Napoleon, als er dort sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, gelegt worden war.

Mit dem letzten Sommermonat August, in welchem ich die vollständige Komposition des »Lohengrin« vollendete, mußte ich aber auch empfinden, daß es damit eben Zeit war, da andrerseits die Bedürfnisse meiner Lebenslage mich jetzt gebieterisch nötigten, auf ernstliche Schritte zu ihrer Verbesserung bedacht zu sein. Es war mir nahegelegt, von neuem an die Verbreitung meiner Opern auf deutschen Theatern zu denken.

Auch der nun immer bestimmter sich herausstellende Erfolg des »Tannhäuser« in Dresden setzte auswärts nicht das mindeste in Bewegung. Als[357] einziger Ort, von welchem aus entscheidender auf die deutschen Theater gewirkt werden könnte, hatte ich unerläßlich bereits Berlin in das Auge fassen müssen. Was ich von dem besonderen Geschmacke des Königs Friedrich Wilhelm IV. vernommen hatte, schien mich durchaus zu der Annahme berechtigen zu dürfen, daß er, wenn es nur gelänge, ihm diese im rechten Lichte zu zeigen, er Neigung und Interesse für meine neueren Arbeiten und Tendenzen fassen müßte. In dieser Annahme hatte ich bereits daran gedacht, den »Tannhäuser« ihm zu dedizieren; um die Erlaubnis hierfür einzuholen, hatte ich mich an den Intendanten der Königlichen Hofmusik, Grafen Redern, zu wenden gehabt. Von diesem erhielt ich den Bescheid, daß der König nur die Dedikation solcher Werke annehmen könne, welche ihm zuvor durch eine Aufführung zur Kenntnis gebracht seien; da nun mein »Tannhäuser«, weil er von dieser für »zu episch« gefunden worden, von der Intendanz des Hoftheaters zurückgewiesen war, so schiene dem Grafen, wenn ich auf meinem Wunsche beharre, nur der Ausweg übrigzubleiben, meine Oper, soweit als möglich für Militärmusik arrangiert, dem König etwa bei einer Parade zu Gehör zu bringen. Dies genügte nun, mich zu einem andern Angriffsplan auf Berlin zu bestimmen. Ich mußte, namentlich nach der soeben erwähnten Erfahrung, für geeignet halten, es dort zunächst mit derjenigen meiner Opern, welche mir auch in Dresden den entscheidendsten Erfolg gewonnen, zu beginnen. Ich wandte mich deshalb in einer mir gewährten Audienz an die Königin von Sachsen, der Schwester der Königin von Preußen, um von dieser durch ihre Empfehlung einen königlichen Befehl an die Berliner Intendanz zur Aufführung meines auch vom Sächsischen Hof bevorzugten »Rienzi« zu erwirken. Dies gelang; bald erhielt ich die Anzeige meines alten Freundes Küstner, daß meine Oper »Rienzi« zur baldigsten Aufführung auf dem Berliner Hoftheater bestimmt sei, und zugleich den Ausdruck des Wunsches, daß ich persönlich die Aufführung meines Werkes leiten möge. Da nun in Berlin von Herrn Küstner zugunsten seines alten Münchner Freundes Lachner und dessen Oper »Catarina Cornaro« die sehr einträgliche Tantieme eingeführt worden war, glaubte ich in dem Erfolg des »Rienzi« in Berlin, wenn er nur einigermaßen dem in Dresden ähnlich zu ermöglichen war, allein schon eine ergiebige Hilfe für meine üble Lage ersehen zu dürfen. Vor allem aber leitete mich der Wunsch, dem Könige von Preußen mich selbst bekannt machen zu können, um ihn namentlich durch eine Vorlesung der Dichtung meines »Lohengrin«, wie ich mir nach mancherlei Anzeichen schmeicheln zu dürfen glaubte, für meine Richtung günstig zu stimmen, für welchen Fall ich im Sinne hatte, mir von ihm den Auftrag zu einer ersten Aufführung des »Lohengrin« an seinem Hoftheater zu erbitten. Es schien mir nach den seltsamen Erfahrungen, welche ich über die Geheimhaltung meiner in Dresden erkämpften Erfolge vor dem übrigen Deutschland gemacht hatte, unerläßlich, den zukünftigen Ausgangspunkt meiner künstlerischen Unternehmungen nach dem einzigen, einigermaßen[358] Einfluß übenden Zentrum, für welches ich Berlin ansehen mußte, zu verlegen. Durch meine bereits so erfolgreiche Empfehlung an die Königin von Preußen glaubte ich wenigstens bis zu dieser von mir so wichtig angesehenen Vorstellung an den König selbst ebenfalls durchdringen zu können, und in dieser Hoffnung machte ich mich im September, gutes Mutes einer günstigen Wendung meines Schicksales vertrauend, fürs erste zu den Proben meines »Rienzi«, an welchem selbst mir bereits nicht mehr sonderlich gelegen war, nach Berlin auf.

In Berlin befiel mich zunächst ein ähnlicher Eindruck wie damals, als ich auf meiner Wiederkehr von Paris es nach längerer Entfernung davon abermals betrat. Professor Werder, mein Freund vom »Fliegenden Holländer« her, hatte mir zuvor an dem berühmten Gendarmenmarkt eine Wohnung besorgt, doch konnte ich selbst bei meinem täglichen Ausblick auf denselben mich nicht überreden, in einem Teil des Zentrums Deutschlands mich zu befinden. Bald nahmen mich jedoch die Sorgen meines nächsten Anliegens in Beschlag. An offiziellen Vorkehrungen zur Befriedigung meiner Wünsche hatte es zwar nicht gefehlt, doch merkte ich bald, daß mein »Rienzi« eben nur auch als Kapellmeisteroper angesehen und bedacht wurde, d.h. daß die disponiblen Kräfte mir eben nur pflichtgemäß zu Gebot gestellt wurden, ohne daß man in irgend etwas über das Vermögen derselben hinauszugehen gesonnen war. Alle Anordnungen für die Proben wurden aber sofort umgeworfen, als Jenny Lind zu einem Gastspiel sich bereit meldete und dafür auf längere Zeit die Königliche Oper ausschließlich in Anspruch behielt.

Während der hieraus entstehenden Verzögerung bemühte ich mich nun, der Erreichung meines Hauptzweckes, einem persönlichen Bekanntwerden mit dem König näherzukommen. Ich bediente mich hierzu meiner älteren Verbindungen mit dem Intendanten der Hofmusik, des Grafen Redern. Dieser Herr nahm mich sogleich mit größter Herablassung auf, lud mich zu Diner und Abendgesellschaft und unterhielt sich mit mir auf das herzlichste über die nötigen Schritte zur Erreichung meines Vorhabens, in welchem er mich auf das eifrigste zu unterstützen versprach. Außerdem wandte ich mich selbst wiederholt nach Sanssouci, um mich zunächst der Königin, schon um ihr meinen Dank auszudrücken, vorzustellen. Über einen Verkehr mit Kammerfrauen kam ich jedoch nie hinaus. Man riet mir, mich mit dem Chef des Königlichen Geheimen Kabinetts, Herrn Illaire, in Verbindung zu setzen. Dieser Herr schien mein Anliegen sehr ernstlich aufzunehmen und versprach mir, zu tun, was er könne, um meinem Wunsche einer persönlichen Vorstellung an den König Vorschub zu leisten. Er erkundigte sich nach meinem eigentlichen Zwecke; ich sagte ihm, dieser sei, vom Könige die Erlaubnis zu erhalten, ihm das Gedicht meines »Lohengrin« vorzulesen. Bei einem der häufig von Berlin aus bei ihm wiederholten Besuche frug er mich endlich, ob ich es nicht für ratsam hatte, von Tieck eine Empfehlung für meine Arbeit herbeizubringen. Ich konnte ihm melden, daß ich bereits[359] mit dem alten Dichter, welcher als königlicher Pensionär sich ebenfalls in der Nähe von Potsdam aufhielt, hierüber in erfreuliche Annäherung getreten sei.

Ich hatte mich nämlich sehr wohl entsonnen, daß Frau v. Lüttichau ihrem berühmten Freunde vor einigen Jahren, als das Lohengrin-Thema zwischen uns angeregt war, sowohl dieses Gedicht wie das meines »Tannhäusers« zugeschickt hatte. Als ich daraufhin bei Tieck mich anmeldete, ward ich wirklich wie ein nicht eigentlich fernstehender älterer Bekannter von diesem aufgenommen. Meine längeren Unterhaltungen mit ihm blieben für mich sehr wertvoll. Mag Tieck sich auch immerhin durch eine gewisse Bequemlichkeit in der Erteilung von Empfehlungen, um welche man bei ihm für dramatische Arbeiten nachsuchte, in einigermaßen zweifelhaftes Ansehen gesetzt haben, so erfreute mich doch in meinem Falle die besondere Wärme, mit welcher er sich mir gegen unsere neueste, unter Nachahmung der modernen französischen Theatergeschicklichkeit sich bildende dramatische Literatur äußerte: seine Klage über den Verlust jeder wahrhaften poetischen Tendenz derselben sprach sich in wirklich stark tönenden elegischen Akzenten aus. Dem Gedicht meines »Lohengrin« erklärte er sich durchaus und vollständig geneigt; nur begriff er nicht, wie dies alles ohne eine gänzliche Umwandelung der bisherigen Basis der Oper in Musik zu setzen sein sollte, und äußerte in diesem Bezuge namentlich seine Bedenken gegen Szenen wie die zwischen Ortrud und Friedrich zu Anfang des zweiten Aktes. Mich dünkte, daß ich ihn zu wirklicher Lebhaftigkeit erregte, als ich über die Lösung dieser scheinbaren Schwierigkeiten sowie überhaupt im Betreff meiner Ideen über das Ideal des musikalischen Dramas mich in meiner Weise ihm mitteilte. Je weiter ich mich hierbei verstieg, desto trauriger ward er jedoch, wenn ich ihm meine Hoffnung zu erkennen gab, für die gleichen Gedanken und die Verwirklichung meiner idealen Pläne die Teilnahme des Königs von Preußen zu gewinnen. Er bezweifelte zwar nicht, daß der König mich mit vieler Aufmerksamkeit anhören und sogar mit Wärme meine Idee erfassen werde, nur müßte ich, wenn ich mich nicht den übelsten Enttäuschungen aussetzen wollte, nicht im mindesten auf einen praktischen Erfolg hiervon rechnen. »Was wollen Sie von einem Herrn sich erwarten, der heute für Glucks ›Iphigenia in Tauris‹ und morgen ganz ebenso für Donizettis ›Lucretia Borgia‹ sich erwärmt?« Zunächst unterhielt mich mit diesem und ähnlichem Tieck viel zu einnehmend, als daß ich dem Bitteren seiner Ansichten ernstlicher nachgedacht hätte. Seine eindringlichste Empfehlung meines Gedichtes an Kabinettsrat Illaire versprach er mir gern und freudig und entließ mich mit großem Wohlwollen unter herzlichen, doch bangen Segenswünschen.

Der Erfolg aller meiner Bemühungen war, daß die verhoffte Einladung zum König immer und immer ausblieb. Da nun die Proben zum »Rienzi« nach überstandener Jenny Lind wieder ihren ernstlichen Verlauf nahmen,[360] faßte ich den Entschluß, mit jenen anderweitigen Bemühungen bis zur Aufführung meiner Oper einzuhalten, weil ich doch jedenfalls auf die Gegenwart des Monarchen bei der ersten Vorstellung, welche ja auf seinen Befehl angeordnet war, und somit auf eine der Erfüllung meines hauptsächlichsten Wunsches günstige Anregung rechnen zu dürfen glaubte. Je mehr wir uns dieser Aufführung näherten, desto tiefer sank allerdings auch meine Erwartung von der Beschaffenheit derselben. Für die Hauptrolle des »Rienzi« hatte ich mich mit einem tief unter aller Mittelmäßigkeit stehenden Tenorsänger von unbedingter Talentlosigkeit begnügen müssen. Es war ein guter, williger Mensch, der mir außerdem durch meinen besonders freundlichen Mittagsgastwirt, den nicht unberühmten Meinhard, auf das angelegentlichste empfohlen war. Nachdem ich mich viel mit ihm geplagt und infolgedessen, wie es mir öfter ging, zu einiger Illusion über seine zu erwartende Leistung mich angeregt hatte, mußte endlich, als in den Hauptproben die Entscheidung herankam, die wahre Einsicht bei mir sich ergeben. Ich ersah, daß Szenerie, Chor, Ballett und Nebenpartien zum größten Teil sogar vortrefflich ausfielen, daß aber die Hauptfigur, um die sich gerade in dieser Oper alles dieses eben nur gruppiert, zu einem wesenlosen Schatten sich verflüchtigte. Dem entsprach, als es Ende Oktober zur Aufführung kam, in ziemlich richtigem Verhältnisse auch der Erfolg beim Publikum. Infolge der ziemlich guten Wirkung mancher glänzenden Ensemblestücke, namentlich auch der sehr glänzenden Aufnahme der Leistung einer Frau Köster als Adriano, konnte zwar dieser Erfolg allen äußeren Anzeichen nach als ein nicht ungünstiger angesehen werden; dennoch fühlte ich selbst am besten, daß er keinen wirklichen Kern haben könne, weil nur das Unwesentliche meiner Arbeit in die Augen und Ohren, nicht aber das Wesentliche in die Empfindung hatte fallen können. Auch eröffneten sofort die Berliner Rezensenten in der mir bereits bekannten Weise ihre auf Vernichtung jeden Erfolges meiner Oper ausgehenden Angriffe, so daß ich nach der zweiten Aufführung, welche ich ebenfalls noch persönlich dirigierte, mich nun nach dem Ergebnis meiner verzweiflungsvollen Bemühungen zu fragen hatte.

Diese Frage, wenn ich sie an meine wenigen vertrauten Freunde richtete, führte zu mancherlei Belehrung. Unter diesen Freunden erwähne ich zunächst den zu meiner wahrhaften Erquickung in Berlin als dort neu Angesiedelten wiedergefundenen Albert Franck. Meine besten Stunden während der traurigen zwei Monate hatte ich in seinem, im ganzen doch nur spärlich zu genießenden Umgange verlebt. Gewöhnlich berührte unsere Unterhaltung bereits seit früherer Zeit schon vom Theater weit abliegende Gegenstände, so daß ich mich fast zu schämen hatte, mit meinen Klagen aus diesem Gebiete her ihn zu behelligen, namentlich da sie meine Bemühungen für ein Werk betrafen, für welches ich eben nur noch ein wirklich recht praktisches theatralisches Interesse hegen konnte. Er seinerseits gelangte bald so weit, mich wiederum darüber zu beklagen, daß ich eben diesen »Rienzi«, mit[361] welchem ich doch nur an das eigentliche und gewöhnliche Theaterpublikum mich wendete, und nicht vielmehr den »Tannhäuser« zu einem Versuch, in Berlin eine meinen höheren Zwecken förderliche Partei zu bilden, gewählt hätte. Er behauptete nämlich, daß ich durch den Charakter gerade dieser Arbeit Leute zu erneutem Interesse für das Theater bestimmt haben würde, welche gleich ihm nicht mehr zum eigentlichen Theaterpublikum zu zählen seien, eben weil sie alle Hoffnung auf das Erfassen einer edleren Tendenz von seiten desselben aufgegeben hätten.

Ganz entmutigend lauteten andererseits die sonderbaren Mitteilungen über den Charakter des Berliner Kunstwesens, welche Werder mir gelegentlich machte. In betreff des Publikums sagte er mir einmal, ich solle mir nur nichts anderes erwarten, als daß vom ersten bis zum letzten Range bei der Aufführung eines unbekannten Werkes irgendein Mensch in einer andern Stimmung seinen Platz einnehme, als indem er sich frage, in welcher Weise er das Erwartete nun eigentlich schlecht zu finden habe. Trotzdem Werder von keiner meiner Bestrebungen mich abzubringen wünschte, glaubte er doch unausgesetzt mich davor warnen zu müssen, irgend etwas, namentlich aus den höheren Sphären Berlins, zu erwarten. Als ich ihn, der den bedeutenden Eigenschaften des Königs durchaus Anerkennung gezollt wissen wollte, frug, wie er wohl meine, daß dieser es aufnehmen würde, wenn ich ihm meine Ideen über die Veredelung der Oper vortrüge, antwortete er mir, nachdem er länger meiner feurigen Rede zugehört: »Darauf würde Ihnen der König sagen: ›Sprechen Sie mit Stawinsky!‹« Dieser war nämlich der Opernregisseur, dick, bequem und in der gemeinsten Routine verfault.

In ähnlicher Weise war alles, was ich sonst erfuhr, geeignet, mich zu entmutigen. Ich hatte Bernhard Marx, welcher bereits vor Jahren infolge des »Fliegenden Holländers« eine günstige Stellung zu mir genommen hatte, besucht und war von ihm in auszeichnender Weise aufgenommen worden. Die auffallende Erschlaffung, in welcher ich diesen Mann, der durch seine früheren Schriften und musikalischen Kritiken mir als von energischem Feuereifer beseelt erschienen war, antraf, fiel mir, namentlich als ich ihn jetzt an der Seite einer in wahrhaft hinreißender Schönheit strahlenden sehr jungen Gattin kennenlernte, besonders auf. Aus seinen Unterhaltungen ging mir bald hervor, daß auch er die entfernteste Hoffnung auf jeden Erfolg irgendwelcher ernstlichen Bemühung auf dem uns beiden vertrauten Gebiete, durch langjährige Erfahrung von der unglaublichen Hohlheit aller der Machtsphäre verwandten Autoritäten, aufgegeben hatte. So erzählte er mir die allerdings sehr sonderbaren Schicksale einer Eingabe, welche er an den König zur Gründung einer Musikschule gemacht hatte. Auf diese war in einer besondern Audienz der König mit allergrößtem, bis auf das kleinste Detail beachtendem Interesse eingegangen, so daß Marx im vollsten Glauben des glücklichen Erfolgs sich bestärkt fühlte. Seitdem blieben jedoch alle seine Bemühungen und weiteren Verhandlungen über[362] die Angelegenheit, in welcher er von einem zum andern gewiesen wurde, voll ständig fruchtlos, bis er endlich zu einem General zur Audienz befohlen ward, welcher diesmal, ganz wie zuerst der König selbst, Marxens Vorschläge bis in das geringste Detail sich erörtern ließ und dem Unternehmen mit großer Wärme beistimmte. »Und nun«, so schloß Marx seine sehr reichhaltige Erzählung, »war es zu Ende; ich erfuhr nie wieder etwas.«

Eines Tages erfuhr ich, daß Gräfin Rossi, die berühmte Henriette Sontag, welche damals bereits in die mißlichen Verhältnisse gelangt war, die sie abermals in die Künstlerlaufbahn zurückwarfen, sich in Berlin sehr zurückgezogen aufhielt, meiner von Dresden her freundlich eingedenk war und meinen Besuch wünschte. Auch sie hatte mir vorzüglich über das allgemeine Unvermögen, in den Berliner maßgebenden Kreisen für irgendwelche künstlerischen Zwecke zur Einwirkung zu gelangen, Klage zu führen. Namentlich, so meinte sie, schiene der König wirklich eine Art von Befriedigung darin zu finden, das Theater schlecht verwaltet zu wissen, denn nie bekämpfe er die in diesem Betreff an ihn gelangenden Ausstellungen, nie aber auch stimme er irgendeinem Vorschlage zur Verbesserung bei. Sie begehrte etwas von meiner neuesten Arbeit kennenzulernen; ich übergab ihr zunächst das Gedicht des »Lohengrin« zur Durchlesung. Bei meinem nächsten Morgenbesuche, an welchem sie die Einladung zu einer musikalischen Abendunterhaltung, die sie dem Großherzog von Mecklenburg-Strelitz, ihrem väterlichen Beschützer, zuliebe bei sich veranstaltete, mir vorläufig kundgab, stellte sie mir auch mein Manuskript des »Lohengrin«-Gedichtes zurück mit der Versicherung, es habe sie sehr angesprochen, und oft habe sie bei der Lektüre »die kleinen Feen und Elfen vor sich tanzen sehen«. Da ich sonst an dem warmen, freundlichen Ausdruck der recht natürlich gebildeten Frau mich herzlich erwärmt hatte, fühlte ich mich nun plötzlich wie mit kaltem Wasser übergossen, entfernte mich bald und sah die Gräfin Rossi nie wieder, wozu ich auch außerdem bei dem Ausbleiben der angekündigten Einladung keine besondere Veranlassung mehr erhielt.

Herr E. Kossak suchte meine Bekanntschaft; ohne in weitere, namentlich ergiebige Beziehungen zu ihm zu geraten, erhielt ich doch von ihm einen hinreichend freundlichen Eindruck, um auch ihm das Gedicht meines »Lohengrin« zur Lektüre zu überlassen. Ich traf ihn eines Tages in seinem soeben mit heißem Wasser gescheuerten Zimmer bei einer unerträglichen Ausdünstung, welche ihm bereits Kopfschmerzen zugezogen hatte und mir nicht minder lästig fiel, an. Mit einem fast weichlichen Blicke maß er mich, als er mir das Manuskript meines Gedichtes zurückgab und mir mit einem recht wahrhaftigen Akzent versicherte, er habe es »so gemütlich« gefunden. – Etwas mehr Unterhaltung gewann ich aus einem gelegentlichen Umgang mit H. Truhn, welcher sich bei einem guten Glase Wein, das ich ihm bei Lutter und Wegener, wo ich mich der Hoffmannschen Reminiszenzen wegen dann und wann einfand, mit scheinbar wachsendem Anteil meine Ideen[363] über die mögliche Bestimmung und zu erstrebende Erweiterung des Operngenres erörtern ließ. Mancherlei Witziges und gut Beobachtetes vernahm ich von ihm; namentlich machte sein lebhaftes, bewegliches Wesen oft günstigen Eindruck auf mich. Als Rezensent trat er jedoch nach der »Rienzi«-Aufführung ebenfalls auf die allgemein betretene Seite der Bespötter und Herunterreißer. – Nur mein armer älterer Freund Gaillard stand mir bei mancher Widerwärtigkeit rüstig aber durchaus machtlos zur Seite. Mit seinem kleinen Musikgeschäft wollte es nicht gehen, seine musikalische Zeitschrift war bereits eingegangen: so konnte er mir nur in sehr kleinen Angelegenheiten behilflich sein. Leider entdeckte ich, daß er nicht nur Verfasser vieler höchst bedenklicher dramatischer Arbeiten, für welche er mich zu gewinnen suchte, sondern auch durch ausgesprochene hektische Anlage einem vermutlich sehr baldigen Tode verfallen war, so daß selbst der wenige Umgang, den ich mit ihm pflog, bei all seiner Treue und Ergebenheit nur einen wehmütigen und meine Stimmung neu bedrückenden Einfluß auf mich ausübte.

Da ich nun doch aber andrerseits von dem einzigen Verlangen, es zu einem meiner Lage so höchst nötigen Erfolg zu bringen, die ganze Berliner Unternehmung gegen jede innere Neigung angetreten hatte, so überwand ich mich auch, selbst bei Rellstab mich einzufinden. Da er beim »Fliegenden Holländer« sich besonders an »Nebelhaftigkeit« und »Gestaltungslosigkeit« gestoßen hatte, glaubte ich ihn nun mit einigem Vorteil auf den helleren und deutlicheren Zuschnitt meines »Rienzi« hinweisen zu dürfen. Er schien es wohlgefällig hinzunehmen, daß ich etwas auf ihn zu geben den Anschein nahm; doch kündigte er mir im voraus die ihm in seiner Art wiederum anhaftende Überzeugung von der Hoffnungslosigkeit des neueren Kunstproduzierens seit Gluck an und meinte, im glücklichsten Falle würde man beim besten Streben doch nur »Bombast« zutage bringen. – Ich sah, alles gab sich in Berlin der Verzweiflung hin, eine Stimmung, welche, wie ich erfahren, nur Meyerbeer teilweise zu verklären verstanden hatte.

Auch diesen ehemaligen und eigentlich immerfort noch sich als solchen ausgebenden Gönner traf ich diesmal in Berlin an. Sogleich nach meiner Ankunft hatte ich ihn aufgesucht: ich traf im Vorzimmer seinen Diener mit Herrichtung der Reisekoffer beschäftigt und erfuhr, daß Meyerbeer in baldiger Abreise begriffen sei, was dieser mir selbst mit dem Bedauern, in nichts mir dienlich sein zu können, bestätigte. Ich hatte somit sogleich beim Empfang Abschied von ihm zu nehmen. Längst glaubte ich ihn bereits weit entfernt, als ich nach einigen Wochen zu meiner Verwunderung erfuhr, Herr Meyerbeer, ohne sich weiter sehen zu lassen, verweile immer noch in Berlin; sogar in einer der Theaterproben des »Rienzi« wurde er endlich noch gesehen. Was dies zu bedeuten habe, ist mir erst später und namentlich durch eine unter Eingeweihten ziemlich verbreitete Ansicht hierüber, welche mir seinerzeit Eduard von Bülow, der Vater meines jungen Freundes, berichtete, klargeworden. Ohne daß ich eine Ahnung davon hatte, woher dies[364] komme, erfuhr ich ungefähr gegen die Mitte meines Aufenthaltes in Berlin durch Kapellmeister Taubert, daß es ihm von vielen sehr unterrichteten Seiten zu Ohren gekommen sei, ich bewürbe mich um eine Dirigentenstelle am dortigen Hoftheater und solle sogar große Aussichten haben, diese mit besonderen Befugnissen ausgestattet zu erhalten. Es bedurfte meinerseits, um namentlich mit Taubert in einem mir nötigen guten Vernehmen mich zu erhalten, der allerbestimmtesten Versicherungen, daß ich in gar keiner Weise weder an eine solche Bewerbung noch an die Annahme einer Anstellung, wenn sie mir selbst angeboten würde, denke. Andrerseits wurden alle meine Bemühungen, an den König zu gelangen, unabänderlich vereitelt. Der Hauptvermittler hierfür, an den ich mich immer wieder wandte, blieb Graf Redern, auf dessen bedenkliche Solidarität mit Meyerbeer ich zwar aufmerksam gemacht wurde, dessen unglaublich freimütiges und gewogenes Benehmen mich aber immer wieder in der Annahme seiner Redlichkeit bestärkte. Ich hatte endlich alle meine Hoffnung nur noch darauf gesetzt, daß der König doch unmöglich der Aufführung des auf seinen Befehl gegebenen »Rienzi« fernbleiben könnte; an diese Annahme knüpfte ich meine weitere Hoffnung auf eine Annäherung an ihn. Nun meldete mir aber Graf Redern mit wahrem Ausdruck der Verzweifelung, daß der König gerade am Tage der ersten Aufführung auf einer Jagd begriffen sein werde. Von neuem bat ich ihn, alles aufzubieten, um mich der Anwesenheit des Königs wenigstens bei der zweiten Aufführung zu versichern. Da meldete mir endlich mein unermüdlicher Gönner, es sei unbegreiflich, aber es scheine, daß S.M. eine völlige Abneigung dagegen, meinem Wunsche nachzukommen, gefaßt habe; er habe aus höchst eigenem Munde die harten Worte hören müssen: »Ach, kommen Sie mir wieder mit Ihrem ›Rienzi‹!«

In dieser zweiten Aufführung nun begegnete mir ein freundliches Abenteuer. Nach dem effektvollen zweiten Akte schien das Publikum auch mich mit einem Hervorrufe bedenken zu wollen; als ich, um nötigenfalls dem zu entsprechen, aus dem Orchester in das Vestibül trat, glitt mein Fuß auf dem glatten Parkett aus, und ich war im Begriff, einen vielleicht nicht unempfindlichen Fall zu tun, als ich mich mit kräftiger Hand am Arm festgehalten fühlte: ich erkannte den Prinzen von Preußen, welcher aus seiner Loge getreten war und sofort die Gelegenheit meiner Habhaftwerdung ergriff, um mich einzuladen, ihm zu seiner Gemahlin zu folgen, welche meine Bekanntschaft zu machen wünsche. Diese, soeben erst in Berlin angekommen, erklärte mir, meine Oper, über welche sie sich sehr freudig äußerte, zwar an diesem Abend zum ersten Male zu hören, jedoch von mir und meinem künstlerischen Charakter bereits seit längerer Zeit auf das empfehlendste unterrichtet zu sein, und zwar durch die Mitteilungen einer gegenseitigen Freundin, Alwine Frommann. Der ganze Eindruck dieser Begegnung, bei welcher der Prinz teilnahmsvoll anwesend blieb, hatte einen ungewöhnlich freundlichen und wohltätigen Charakter.[365]

In der Tat war es auch meine alte Freundin Alwine, welche in Berlin gewiß nicht nur mit dem teilnehmendsten Herzen allen meinen dortigen Schicksalen folgte, sondern auch, was nur in ihren Kräften stand, aufwendete, um mir Trost und Mut zur Ausdauer zu geben. Fast regelmäßig besuchte ich sie des Abends, um in edlerem Gespräche, als der Tagesverkehr es mir ermöglicht hatte, während einer Erholungsstunde zum Kampfe gegen die Widerwärtigkeiten des folgenden Tages mich zu stärken. Besonders erfreute mich die warme und verständnisvolle Teilnahme, welche von ihr und unserem beiderseitigen Freunde Werder dem eigentlich mich beherrschenden Gegenstande aller jetzigen Bemühungen, meinem »Lohengrin«, gewidmet wurde. Seit der bisher verzögerten Ankunft ihrer vertrauten Gönnerin, der Prinzessin von Preußen, glaubte sie auch etwas Näheres über den Stand meiner Angelegenheit beim König erfahren zu können, wiewohl sie mich zu bedeuten hatte, daß eben diese hohe Frau dort in höchster Ungunst stehe und ihr Einfluß auf den Monarchen sich nur unter der Beobachtung einer eisigen Konvention kundgeben könne. Auch blieb von dieser Seite her bis zu meiner endlich nicht mehr zu verschiebenden Abreise jede Mitteilung aus.

Da ich andrerseits veranlaßt wurde, noch eine dritte Aufführung des »Rienzi« zu dirigieren, und während doch immer noch die Möglichkeit verblieb, eine plötzliche Bescheidung nach Sanssouci zu empfangen, setzte ich nun einen bestimmten Tag fest, bis zu welchem ich dem Schicksal in betreff meiner wichtigsten Pläne die Türe offenlassen wollte. Auch dieser Termin verstrich, und es blieb nun dabei, daß ich meine Berliner Hoffnungen für durchaus gescheitert anzuerkennen hatte.

Es war eine üble Stimmung, in welcher ich zu diesem Schlusse mich entschied. Ich entsinne mich, selten von dem Einfluß kalter und nasser Witterung und eines ewig grauen Himmels so armselig bedrückt gewesen zu sein als in diesen letzten schlimmen Berliner Wochen, wo alles, was ich außerhalb meiner unmittelbaren Leidenssphäre erfuhr, mit bleierner Entmutigung auf mich drückte. So meine Unterhaltungen mit Hermann Franck über die sozialen und politischen Zustände, welche damals durch den verunglückten Versuch des vom König von Preußen berufenen vereinigten Landtages eine besonders düstre Färbung erhalten hatten. Ich hatte zu denjenigen gehört, welche anfänglich dieser Unternehmung eine hoffnungsvolle Bedeutung beizumessen gestimmt waren; von einem so kenntnisvollen Mann wie Franck alles hierauf bezügliche Persönliche und Tatsächliche näher beleuchtet zu erhalten, war mir nun wahrhaft erschreckend. Aus allen seinen ohne jede Leidenschaftlichkeit mitgeteilten Ansichten hierüber sowie über den preußischen Staat selbst, die von ihm vermeintlich vertretene deutsche Intelligenz sowie die ihm allgemein zugesprochene große Sicherheit und Geordnetheit der Verwaltung des öffentlichen Wesens mußten so vollständig jede bisher in diesem Bezug gefaßte günstige und hoffnungsvolle[366] Meinung zerstören, daß ich mich wie im Chaos angelangt sah, wenn ich von hieraus auf eine gedeihliche Gestaltung Deutschlands noch zu blicken versuchte. Hatte ich von meiner Dresdener Misere aus auf die Möglichkeit, welche mir der Gewinn der Teilnahme des Königs von Preußen für meine Ideen zu bieten schien, mit Hoffnung ausgesehen, so konnte ich nun der furchtbaren Hohlheit, welche nach jeder Seite hin mir das Wesen der Dinge aufdeckte, in keiner Weise mehr meine Erkenntnis verschließen.

In dieser tief verzweifelten Stimmung machte es auf mich einen fast nur sonderbaren Eindruck, als bei meinem Abschiedsbesuch Graf Redern mit höchst niedergeschlagener Miene die soeben erhaltene Nachricht von Mendelssohns Tode mir meldete. Ich blieb entschieden ohne Verständnis dieses Schicksalszuges, von welchem mich zunächst nur die augenfällig kummervolle Wirkung auf Redern betroffen machte. Jedenfalls blieb ihm bei diesem immerhin peinlichen Abschiede von mir hierdurch die Unannehmlichkeit einer ausführlicheren und herzlichen Explikation über meine eigene, seinem Mitgefühl so nahegebrachte Lage erspart.

So blieb mir denn für Berlin nur noch die Nötigung der Berichtigung des Verhältnisses meiner materiellen Erfolge zu meinen materiellen Opfern übrig. Für einen Aufenthalt von zwei Monaten, an welchem schließlich meine Frau und selbst meine Schwester Klara, beide durch den verhofften ungemeinen Sukzeß der Berliner Aufführung des »Rienzi« angezogen, teilgenommen hatten, fand es sich, daß mein alter Freund, der Intendant Küstner, durchaus zu keiner Entschädigung sich veranlaßt fühlte. Aus seiner mit mir gepflogenen Korrespondenz konnte er mir mit unwiderleglicher juristischer Präzision nachweisen, daß seinerseits nur der »Wunsch« meiner Mitwirkung bei dem Einstudieren des »Rienzi«, keineswegs aber eine »Einladung« hierzu ausgesprochen worden war. Da mir nun durch des Grafen Redern heftige Trauer über Mendelssohns Tod es abgeschnitten war, diesen um Vermittlung für so gemeine persönliche Interessen anzugehen, blieb mir nichts übrig, als die Wohltat Küstners dankbar anzunehmen, welcher mir die Tantieme für die drei stattgehabten Aufführungen vorschußweise auszahlen ließ. In Dresden war man verwundert, daß ich mir von dorther einigen Gehaltvorschuß zu meiner Auslösung aus dieser glänzenden Berliner Unternehmung erbitten mußte. – Als ich mit meiner Frau in abscheulichster Witterung durch die öden Marken auf meinem Heimweg dahinfuhr, glaubte ich diejenige tief verzweiflungsvolle Lebensstimmung zu empfinden, in welche ich wohl nur einmal und nie wieder versinken können würde. Doch ergötzte es mich, schweigend in den grauen Nebel aus dem Waggon hinausblickend, meine Frau in einen Disput mit einem reisenden Handlungsbeflissenen geraten zu hören, welcher zu gefälliger Unterhaltung sich sehr wegwerfend über die »neue Oper ›Rienzi‹« ausgelassen hatte. Mit großer Wärme, ja Leidenschaftlichkeit berichtigte meine Frau verschiedene Irrtümer des feindseligen Mannes und brachte zu ihrer großen Befriedigung von ihm[367] das Bekenntnis heraus, daß er selbst die Oper gar nicht gehört habe, sondern nur nach dem Hörensagen und den Rezensionen zu seiner Ansicht gelangt sei, was ihm denn meine Frau auf das ernstlichste verwies, »weil man nicht wissen könne, wen man mit so etwas in Zukunft verletze«.

Mit diesem einzigen erheiternd tröstlichen Eindrucke gelangte ich nach Dresden zurück, wo nun die besonderen Folgen der ausgestandenen Berliner Widerwärtigkeiten sogleich in den bedauernden Bezeigungen meiner Bekannten mir entgegentraten. Die Zeitungen hatten von einem entschiedenen Durchfalle meiner Oper berichtet. Zu meiner besonderen Pein hatte ich diesen Widerwärtigkeiten durch heitere Miene und die Versicherungen, daß es keineswegs so schlimm stehe, im Gegenteil mir vieles Erfreuliche widerfahren sei, zu begegnen.

Diese mir ungewohnte Bemühung setzte mich in ein sonderbares Parallelverhältnis zu der bei meiner Rückkunft in Dresden vorgefundenen Situation, in welcher ich Ferdinand Hiller antraf. Dieser hatte ungefähr gleichzeitig hier seine neue Oper »Konradin von Hohenstaufen« zur Aufführung gebracht. Mit diesem während seiner Ausarbeitung vor mir verheimlichten Werke, in welchem Dichter und Komponist die Tendenzen und Effekte meines »Rienzi« mit denen meines »Tannhäuser« auf eine für Dresden besonders glückliche Weise kombiniert zu haben vermeinten, glaubte Hiller nach den in meiner Abwesenheit stattgefundenen drei Aufführungen eines durchgreifenden Erfolges sich versichert zu haben. Da er sich auf der Abreise nach Düsseldorf, wohin er als Konzertdirektor berufen worden war, befand, empfahl er mir sein Werk mit ungemeiner Zuversicht zur weiteren Pflege, wobei er bedauerte, mir nicht die Direktion desselben zuweisen gekonnt zu haben. Er gab zu, daß er den großen Erfolg zum Teil wohl der wunderbar glücklichen Darstellung, namentlich der Männerrolle des »Konradin« durch meine Nichte Johanna, zu verdanken habe; diese ließ sich mir mit gleicher Zuversicht wiederum dahin vernehmen, daß Hillers Oper ohne sie allerdings wohl nicht so außerordentlich durchgeschlagen haben würde. Ich war nun wirklich gespannt, dieses glückliche Werk und seine so erfolgreiche Darstellung selbst kennenzulernen, was, nachdem Hiller nebst Familie Dresden gänzlich verlassen hatte, durch eine angekündigte vierte Vorstellung mir ermöglicht werden sollte. Als ich beim Beginn der Ouvertüre den Saal betrat, um meinen Sitz im Parkett einzunehmen, befiel mich ein seltsames Erstaunen, bis auf einige kaum bemerkbare Ausnahmen sämtliche Zuschauerplätze vollkommen leer zu finden. Auf dem entgegengesetzten Ende der von mir eingenommenen Bank bemerkte ich den Dichter des Sujets, den sanften Maler Reinicke. Wir rückten ungeniert gegen die Mitte des Raumes zusammen und unterhielten uns über den wunderlichen Zustand, in welchem wir uns befanden. Ich vernahm[368] von ihm wehmütige Klagen über Hillers musikalische Ausführung seiner Dichtung; das Geheimnis des Irrtums, in welchen Hiller über den Erfolg seines Werkes geraten, ließ er offenbar in großer Bestürzung über den unwiderleglichen Fall der Oper mir selbst unaufgeklärt. Ich erfuhr nun von anderwärts her, wie es Hiller möglich geworden war, sich in so große Selbsttäuschung zu versetzen. Frau Hiller, selbst aus Polen stammend, hatte es verstanden, ihre zahlreichen in Dresden sich aufhaltenden Landsleute, gemeiniglich eifrige Theaterbesucher, in ihren sehr häufigen Reunions für die Oper ihres Mannes zu werben. Diese Freunde hatten in der ersten Vorstellung mit gewohntem Feuer das Publikum zu Beifallskundgebungen angeführt, selbst aber so wenig Gefallen an dem Werke gefunden, daß sie in der zweiten, an und für sich schwach besetzten Aufführung ausgeblieben waren, wodurch der Erfolg der Oper so gut als ungünstig entschieden galt. Jetzt wurde allem aufgeboten, um an einem Sonntage, an welchem das Theater von selbst sich zu füllen pflegte, mit dem Aufruf an alle nur erdenklichen polnischen Hilfskräfte für den Beifall, eine dritte Aufführung zustande zu bringen. Dies geschah: die polnische Theateraristokratie erfüllte mit gewohnter Ritterlichkeit ihre Pflicht gegen das hilfsbedürftige Paar, in dessen Salon man so oft angenehmen Soireen beigewohnt hatte. Wiederum ward der Komponist gerufen, alles ging glücklich, und nun hielt sich Hiller an die Erfahrung von dem Charakter der dritten Aufführung eines neuen Werkes, nach welchem feststand, daß der Erfolg dieser der ausschlaggebende sei, gerade wie es sich beim »Tannhäuser« ebenfalls erwiesen hatte. Das Künstliche dieses Vorganges stellte sich nun aber eben mit dieser vierten von mir erlebten Vorstellung, zu deren Besuch niemand mehr dem abgereisten Komponisten verpflichtet war, heraus. Auch meine Nichte war beschämt und fand, daß doch selbst die vortrefflichste Leistung einer Sängerin eine solche langweilige Oper nicht zu halten vermöchte. Während wir so dem Elend zusahen, gelang es mir, einige schon im Sujet begründete auffallende Schwächen und Fehler dem Dichter nachzuweisen; dieser berichtete darüber an Hiller, worauf ich aus Düsseldorf ein warmes Freundschaftsschreiben erhielt mit der Anerkennung des begangenen Unrechts, seinerzeit meinen Rat für das Sujet von sich gewiesen zu haben. Nicht undeutlich ward mir zugleich zu verstehen gegeben, daß es wohl noch Zeit sei, nach meinen Angaben die Oper zu verändern, bei welcher Gelegenheit ich mir das große Verdienst erwerben könnte, ein doch offenbar gut intentioniertes und in seiner Art bedeutendes Werk dem Repertoire zu erhalten – wozu es jedoch nicht kam.

Hiergegen erfuhr ich die kleine Genugtuung, daß mir noch von zwei Aufführungen meines »Rienzi« in Berlin berichtet wurde, um deren guten Erfolg, wie er selbst mir meldete, sich Kapellmeister Taubert durch äußerst effektvolle Zusammenstreichungen sich verdient gemacht zu haben glaubte. Immerhin mußte meiner eigenen Überzeugung nach auf einen dauernden[369] und gewinnbringenden Erfolg meiner Berliner Unternehmung durchaus verzichtet werden, und so konnte ich Herrn v. Lüttichau länger nicht verbergen, daß, wenn ich mit nötigem guten Mute ferner aushalten sollte, ich auf einer Verbesserung meines Gehaltes bestehen müßte, da ich auf auswärtige bedeutende und meinem unglücklichen Opernverlagsgeschäft günstige Erfolge nicht rechnen, bei der Beschränkung meines an und für sich so dürftigen Gehaltes aber unmöglich bestehen könnte. Ich verlangte nichts weiter als Gleichstellung mit meinem Kollegen Reissiger, was mir auch von Anfang an in nächste Aussicht gestellt worden war.

Bei dieser Lage der Dinge schien nun Herrn v. Lüttichau die Zeit gekommen, wo er mir meine Abhängigkeit von seinem nur durch gehörige Fügsamkeit mir zuzusichernden guten Willen fühlen zu lassen habe. Nachdem ich mich um die Gunst der gewünschten mäßigen Gehaltserhöhung in persönlicher Audienz der Gnade des Königs empfohlen hatte, versprach mir zwar Herr v. Lüttichau, den seinerseits unerläßlichen Bericht über meine Angelegenheit im empfehlendsten Sinne auszufertigen. Wie groß war aber meine Bestürzung und Beschämung, als er mir eines Tages diesen seinen vom König wieder zurückgelangten Bericht zur Eröffnung des Bescheides mitteilte. In ihm war ausgeführt, daß ich durch Überschätzung meines Talentes, leider auch durch törichte Verwöhnung seitens verschiedener exaltierter Freunde (unter welche er Frau v. Könneritz zählte) zu der Meinung veranlaßt worden wäre, mindestens gleiche Berechtigung zu Erfolgen, wie sie Meyerbeer gewonnen, mir erworben zu haben; hierdurch wäre ich in eine so bedeutende Verschuldung geraten, daß es allerdings in Betracht zu ziehen sein dürfte, ob meine Entlassung nicht rätlich erschiene, wenn nicht andrerseits mein Fleiß und meine anerkennungswerten Leistungen, wie sie namentlich in meiner Bearbeitung der Gluckschen »Iphigenie« zur Kenntnis der Direktion gelangt seien, den ferneren Versuch mit meiner Beibehaltung anempfehlen möchten, für welchen Fall dann allerdings an eine Begünstigung meiner materiellen Verhältnisse gedacht werden müßte. Hier konnte ich nicht weiterlesen und gab starr vor Erstaunen meinem Gönner sein Papier zurück; dem von ihm wahrgenommenen üblen Eindruck auf mich suchte er augenblicklich dadurch vorzubeugen, daß er mir sagte, mein Wunsch sei ja erreicht, die sofort mir zufallenden 300 Taler könnte ich zur Stunde an der Kasse erheben. Ich entfernte mich schweigend und überlegte mir, was ich der mir angetanen Schmach gegenüber zu tun habe. Es war mir unmöglich, die 300 Taler zu erheben.

Während nun aber die allerwiderwärtigsten Verlegenheiten mich bedrängten, ward eines Tages im November der Besuch des Königs von Preußen in Dresden gemeldet und zugleich auf dessen besondern Wunsch eine Aufführung des »Tannhäuser« angesetzt. Wirklich erschien er zu dieser[370] Aufführung mit der Sächsischen Königsfamilie im Theater und wohnte ihr mit augenscheinlichem Interesse von Anfang bis zu Ende bei. Eine sonderbare Erklärung für sein Ausbleiben von den Berliner Aufführungen des »Rienzi«, welche der König von Preußen bei dieser Gelegenheit gab, ward mir berichtet: er habe es sich nämlich versagt, eine meiner Opern in Berlin zu hören, weil ihm an einem guten Eindruck davon gelegen sei und er wisse, daß sie an seinem Theater nur schlecht gegeben werden könnten. – Immerhin gab mir dieses seltsame Ereignis wenigstens so viel heiteres Selbstvertrauen zurück, als ich bedurfte, um die bewußten 300 Taler, welche ich so peinlich nötig hatte, in Empfang zu nehmen.

Auch Herr v. Lüttichau schien es sich angelegen sein zu lassen, einigermaßen wieder mein Zutrauen zu gewinnen; ich glaubte mir aus seiner ungestörten Freundlichkeit entnehmen zu müssen, daß der gänzlich ungebildete Mensch gar kein Bewußtsein seiner mir angetanen Schmach hätte. Er kam auf die in meinem zurückgewiesenen Orchestermemoire vorgeschlagenen Orchester-Konzerte zurück, um mich zu bestimmen, solche Musikaufführungen als von der Direktion, nicht aber vom Orchester selbst ausgehend, im Theater einzurichten. Nachdem ich zunächst ausgewirkt, daß die Einnahmen davon dem Orchester zufallen sollten, ging ich gern an die Ausführung des Projektes. Nach meinem besondern Plane ward die Bühne des Theaters vermöge eines das ganze Orchester einschließenden, äußerst vorteilhaft sich bewährenden Schall-Gehäuses zu einem seither als ausgezeichnet geltenden Konzertsaale hergerichtet. Von den Aufführungen sollten in Zukunft im Winterhalbjahre sechs stattfinden; da wir diesmal am Schlusse des Jahres nur die zweite Hälfte des Winters noch in Aussicht hatten, wurde für drei Konzerte ein Abonnement eröffnet, durch welches sofort die ganzen Räume des Theaters vom Publikum in Beschlag genommen wurden. Die Vorbereitungen hierfür beschäftigten mich einigermaßen günstig zerstreuend, so daß ich mit einer etwas versöhnten, freundlicheren Stimmung mich dem verhängnisvollen Jahre 1848 zuwandte.

Im folgenden Januar ging das erste dieser Kapellkonzerte vor sich, welches schon durch sein sehr ungewöhnliches Programm mir große Anerkennung verschaffte. Ich hatte nämlich gefunden, daß, wenn solchen Aufführungen eine wirkliche Bedeutung gegenüber dem von allem ernsten Kunstgenuß abwendenden bunten Nebeneinander der den verschiedenartigsten Genres angehörenden Musikproduktionen verliehen werden sollte, nur zweien wohltätig mit sich abwechselnden Gattungen der eigentlichen Musik hier Raum gegeben werden durfte. Zwischen zwei Symphonien stellte ich ein oder zwei größere, sonst nicht zu hörende Vokalstücke auf und ließ hierin das ganze Konzert bestehen. Nach einer Mozartschen Symphonie (in D-dur) ließ ich sämtliche Musiker von ihren Plätzen sich zurückziehen, um dafür ein imposantes Gesangpersonal aufzustellen, welches Palestrinas »Stabat mater« nach einer von mir sorgsam bearbeiteten Angabe des Vortrags[371] und Bachs achtstimmige Motette »Singet dem Herrn ein neues Lied« auszuführen hatte; hierauf ließ ich das Orchester wieder seine Plätze einnehmen, um die »Sinfonia Eroica« Beethovens vorzutragen und damit zu schließen.

Der Erfolg war ein sehr erhebender, und namentlich eröffnete sich mir bei meinem immer größeren Ekel vor dem Befassen mit unserem Opernrepertoire, auf welches ich gegenüber den selbst von Tichatschek unterstützten Gelüsten meiner primadonnasüchtigen Nichte immer mehr an Einfluß verlor, eine etwas tröstliche Aussicht auf eine fernere Wirksamkeit als musikalischer Dirigent. Da ich zugleich nach meiner Wiederkehr von Berlin die Instrumentation des »Lohengrin« begonnen und im übrigen nach jeder Seite hin einer immer größeren Resignation in meiner Stimmung Raum gegeben hatte, glaubte ich ruhig den Bestimmungen meines Schicksals entgegensehen zu können, als mich plötzlich eine tief erschütternde Nachricht traf.

Anfang Februar ward mir der Tod meiner Mutter gemeldet. Ich eilte sofort zu ihrem Begräbnis nach Leipzig und erfreute mich noch mit tiefer Rührung des wunderbar ruhigen und lieblichen Gesichtsausdruckes der Verstorbenen. Sie hatte die langen letzten Jahre ihres früher so tätigen und unruhevollen Lebens in heiterer Behaglichkeit und endlich fast kindlich gelaunter friedlicher Zerstreutheit zugebracht. Beim Sterben hatte sie mit lächelnd verklärtem Gesicht wie mit demütiger Bescheidenheit ausgerufen: »Ach! Wie schön, wie lieblich, wie göttlich! Wie verdiene ich denn solche Gnade?« Es war ein schneidend kalter Morgen, als wir den Sarg auf dem Kirchhof in die Gruft senkten; die festgefrornen Erdschollen, welche wir statt der Handvoll leichter Erde dem Gebrauch nach auf dessen Deckel hinabzustreuen hatten, erschreckten mich durch ihr wildes Gepolter. Auf dem Heimweg zum Hause meines Schwagers Hermann Brockhaus, wo die Familie auf eine Stunde sich vereinigte, begleitete mich allein Heinrich Laube, welcher meine Mutter sehr liebgehabt hatte. Er äußerte seine Besorgnis über mein ganz ungewöhnlich angegriffenes Aussehen. Dann begleitete er mich noch zum Bahnhof, und hier fanden wir Worte für den ungemeinen Druck, der uns auf jeder edlen Bestrebung gegenüber einer gänzlich in das Nichtswürdige versinkenden Zeittendenz zu liegen schien. Auf meiner kurzen Zurückreise nach Dresden kam zum ersten Male mit deutlichem Bewußtsein das Gefühl meiner vollkommenen Vereinsamung über mich, da ich nicht umhin konnte, mit dem Verluste der Mutter auch jedes natürliche Band des Zusammenhanges mit meinen in eigenen und besonderen Familieninteressen befangenen Geschwistern als gelöst zu erkennen. So machte ich mich dumpf und kalt an das einzige, was mich er leuchten und wärmen konnte: die Ausarbeitung meines »Lohengrin« und meine altdeutschen Studien.

So kamen die letzten Tage des Februar heran, welche Europa eine neue Revolution bringen sollten. Unter meinen Bekannten gehörte ich zu denjenigen,[372] welche am wenigsten an einen bevorstehenden oder überhaupt nur möglichen Umsturz der politischen Welt geglaubt hatten. Meine erste Empfindung von diesen Dingen war mir im Jünglingsalter aus der Julirevolution und der ihr folgenden lang andauernden systematischen Reaktion gekommen. Seitdem hatte ich auch Paris kennengelernt und hatte aus allen dort mir offenliegenden Symptomen des öffentlichen Lebens alles mehr als eine Anlage zu einer großen revolutionären Bewegung entnommen. Ich hatte die Errichtung der von Louis Philipp durchgesetzten, Paris umgebenden Forts détachés erlebt, dazu mich über die strategische Anlegung zahlreich durch ganz Paris verteilter befestigter Wachtposten unterrichten lassen und stimmte denjenigen bei, welche fortan alles für vorbereitet hielten, um selbst nur den Versuch einer Erhebung der Pariser Bevölkerung unmöglich zu machen. Als daher am Schlusse des vorangehenden Jahres der schweizerische Sonderbundskrieg sowie die im Anfange dieses Jahres geglückte sizilianische Revolution aller Augen voll Spannung auf die Wirkung dieser Anregung auf Paris richtete, blieb ich ohne Teilnahme an allen Erwartungen oder Befürchtungen, welche man hieran knüpfte. Zwar drangen die Nachrichten von wachsend unruhigen Auftritten in der französischen Hauptstadt zu uns; doch bestritt ich namentlich gegen Röckel, daß hierin etwas Bedeutendes vorliege. Ich saß in einer Probe von »Martha« am Dirigentenpult, als mir Röckel in einer Pause, mit der sonderbaren Freude des Rechthabens gegen mich, die neueste Nachricht von der Flucht Louis Philipps und der Proklamation der Republik in Paris meldete: dies machte allerdings einen mehr als sonderbaren, ja erstaunlichen Eindruck auf mich, wenngleich der Zweifel an der Bedeutung von dem allem mir noch ein leises Lächeln ermöglichte. Endlich aber wuchs die Aufregung, wie außen auf allen Seiten, so auch in mir. Die deutschen Märztage kamen heran, von überall langten immer erstaunlichere Nachrichten an; auch im engeren Vaterlande regte es sich von Deputationen und Sturmpetitionen, welchen der König, in von ihm selbst bald anzuerkennender Weise über die Bedeutung dieser Bewegung und der im Lande herrschenden Stimmung getäuscht, längere Tage widerstand. Am Abend eines dieser wirklich bangen und wie von schwüler Gewitterluft erfüllten Tage gaben wir unser drittes großes Kapellkonzert, welchem, wie den beiden früheren, auch der König mit dem Hofe beiwohnte. Ich hatte zum Beginn desselben diesmal eine Symphonie von Mendelssohn in A-moll, gleichsam zu dessen Todesfeier, gewählt; seltsam entsprach die selbst in gewollten freudigen Ausbrüchen immer weichlich gedrückt bleibende Stimmung dieses Tonstückes der namentlich im Anblick der königlichen Familie herrschenden bangen Beklemmung des gesamten Publikums. Ich verbarg dem Konzertmeister Lipinsky nicht meine Reue über den Mißgriff der Bestellung des heutigen Programms, da dieser Symphonie in Moll nun wieder die Fünfte Symphonie Beethovens, ebenfalls in Molltonart folgen sollte; mit wunderlich frivolem Augenstrahlen tröstete mich aber der[373] zuweilen geistvoll exzentrische Pole durch den Zuruf: »Oh, lassen Sie uns nur die zwei ersten Takte der C-moll-Symphonie gespielt haben, dann weiß niemand mehr etwas davon, ob wir Mendelssohn in Dur oder Moll gespielt haben.« Dem Eintritte dieser zwei Takte ging glücklicherweise außerdem noch der zu unserer Überraschung mit energischer Stimme erhobene Aufruf eines Patrioten aus der Mitte des Publikums zu einem Lebehoch auf den König voraus, welchem mit ungemeiner Wärme von allen Seiten kräftigst entsprochen wurde. Nun behielt Lipinsky vollends recht: die Symphonie, mit aller leidenschaftlich stürmischen Erregtheit des ersten Satzes, brauste wie ein Jubel-Orkan dahin und hat wohl selten auf ein Auditorium so gewirkt wie an diesem Abende. – Es war das letzte die ser von mir vor kurzem erst eingerichteten Konzerte, welches ich in Dresden zu dirigieren hatte.

Kurz hierauf trat auch die unerläßliche politische Wendung ein. Der König entließ sein Ministerium und erwählte dafür ein neues, aus lauter zum Teil als liberal, zum Teil sogar als wirklich energische Volksfreunde berufenen Männern, welche sofort bei ihrem Antritt alle die bekannten, überall sich gleichen Maßregeln zur Begründung einer durchaus volkstümlichen Staatsverfassung proklamierten. Ich war von diesem Ausgang und namentlich von der herzlichen Freude, welche sich in der ganzen Bevölkerung darüber kundzugeben schien, wahrhaft gerührt: ich hätte viel darum gegeben, dem König auf irgendeine Weise mich nähern und von seinem mir so wünschenswert erscheinenden herzlichen Vertrauen in die aufrichtige Liebe des Volkes zu ihm mich persönlich überzeugen zu können. Abends war die Stadt festlich erleuchtet; der König durchfuhr die Straßen im offenen Wagen: in größter Aufregung folgte ich seinen Begegnungen mit größeren Volksmassen, oft sogar im hastigsten Laufe, um zur rechten Zeit da einzutreffen, wo es mich nötig dünkte, daß ein besonders lebhafter Zuruf das Herz des Fürsten erfreuen und versöhnen sollte. Meine Frau war ganz erschrocken, als sie mich furchtbar ermüdet und mit völlig heisergeschriener Stimme spät wiederkehren sah.

Die Wiener und Berliner Ereignisse mit ihren anscheinend ungeheuren Resultaten berührten mich eben nur wie interessante Zeitungsberichte; die Ausschreibung eines Frankfurter Parlamentes an der Stelle des aufgelösten Bundestages klang mir befremdlich angenehm. Doch vermochten alle diese noch so bedeutenden Eindrücke mich keinen Tag in meiner genau eingehaltenen Arbeitszeit zu unterbrechen; mit großer, ja fast stolzer Genugtuung beendigte ich gerade in den letzten Tagen dieses so ungeheuerlich sich gebärdenden Monates März die Partitur des »Lohengrin« durch die Instrumentation der Musik zu dem Verschwinden des Gralsritters in weite mystische Fernen.

Um diese Zeit meldete sich eines Tages eine junge, in Bordeaux verheiratete Engländerin, Mme Jessie Laussot, in Begleitung des kaum achtzehnjährigen[374] Karl Ritter zu einem Besuche bei mir an. Der junge Mann, von deutschen Eltern in Rußland geboren, gehörte mit seiner Familie den nordischen Ansiedlerkreisen an, welche in Dresden der dort so angenehm sich bietenden künstlerischen Genüsse wegen sich dauernd niederließen. Ich entsann mich, ihn schon nicht lange nach den ersten Aufführungen des »Tannhäuser« einmal empfangen zu haben, als er mich um meine Namensschrift in ein dem Musikhändler entnommenes Exemplar der Partitur jener Oper gebeten hatte. Von diesem Exemplar erfuhr ich jetzt, daß es eben dieser Frau Laussot, welche sich neuerdings bei mir einführen ließ und welche damals bei den Aufführungen zugegen gewesen war, angehört hatte. Mit großer Schüchternheit drückte die junge Dame in von mir bis dahin noch nicht erfahrener Weise ihre Verehrung aus und zugleich ihr großes Bedauern, durch Familienrücksichten von ihrem Lieblingsaufenthalt in Dresden im Schoße der Familie Ritter, deren große, gleich warme Ergebenheit an mich sie mir zu erkennen gab, abgerufen zu sein. Es war ein seltsames und in seiner Art ganz neues Gefühl, mit welchem ich diese jungen Freunde entließ; nach Alwine Frommann und Werder, aus der Zeit des »Fliegenden Holländers«, traf ich hier zum ersten Male wieder auf diesen wie aus längst vertrauter Ferne zu mir dringenden sympathischen Ton, welcher sonst nie aus der Nähe selbst sich mir vernehmen ließ. Den jungen Ritter lud ich ein, mich nach Belieben zu besuchen und zu Zeiten mich auf meinen Spaziergängen zu begleiten. Seine außerordentliche Schüchternheit schien ihn jedoch so weit hiervon abzuhalten, daß ich nur höchst selten ihn bei mir gesehen zu haben mich erinnere. Mehrmals erschien er jedoch sodann mit Hans von Bülow, mit dem er genauer befreundet worden war und welcher bereits die Leipziger Universität als Studiosus juris bezogen hatte. Bei diesem weit gesprächiger und fließender sich mitteilenden jungen Manne gab eine gleich warme und innige Ergebenheit an mich sich deutlicher und zur Erwiderung veranlassender zu erkennen. An dem letzteren gewahrte ich zuerst die laut sprechenden Abzeichen des nun eingetretenen politischen Enthusiasmus. An seinem wie an seines Vaters Hute prangte mir die schwarzrot-goldene Kokarde entgegen.

Hatte ich überhaupt nach der letzten Vollendung des »Lohengrin« nun Muße, mich etwas nach der Strömung der Ereignisse umzusehen, so konnte ich die lebhafte Gärung, in welche die deutsche Idee und die an ihre Verwirklichung geknüpften Hoffnungen alles versetzt hatten, nicht länger mehr meiner eigenen teilnehmenden Empfindung fernhalten. Wohl war ich namentlich durch meinen älteren Freund Franck für politisches Urteil bereits genügend geschult, um mit so manchem eine ersprießliche Wirksamkeit des nun sich versammelnden deutschen Parlamentes zu bezweifeln; dennoch übte endlich die wenn auch unklare, doch zuversichtliche allgemeine Stimmung, der überall sich kundgebende Glaube an die Unmöglichkeit einer Rückkehr in die alten Zustände auf mich ihren unvermeidlichen Einfluß[375] aus. Nur wollte ich statt Reden Taten, und zwar solche Taten, durch welche unsere Fürsten unwiderruflich mit ihren alten, dem deutschen Gemeinwesen so hinderlichen Tendenzen brechen sollten. In diesem Sinne begeisterte ich mich sogar zu einem populär-poetischen Aufruf an die deutschen Fürsten und Völker zu einem großen kriegerischen Unternehmen gegen Rußland, da von dorther zuletzt der Druck auf die deutsche Politik ausgeübt schien, welcher namentlich die Fürsten ihren Völkern so verhängnisvoll entfremdet hatte. Eine Strophe lautete:


»Der alte Kampf ist's gegen Osten,

Der heute wiederkehrt:

Dem Volke soll das Schwert nicht rosten,

Das Freiheit sich begehrt.«


Da ich gar keine Verbindung mit politischen Zeitschriften hatte und ich zufällig erfuhr, daß Berthold Auerbach in Mannheim, wo damals die Wogen ziemlich hoch gingen, auf einer derselben sich hatte blicken lassen, so schickte ich an diesen mein Gedicht mit der Bitte, damit zu tun, was er für gut hielt. Ich habe nie etwas davon gehört noch gesehen.

Während nun das Frankfurter Parlamentieren losging und man nicht wohl ersah, wozu dieses gewaltige Reden der allermachtlosesten Menschen führen sollte, machte es einen großen Eindruck auf mich, von der Haltung der Wiener Bevölkerung unter der Anführung der dort so unerwartet mächtig sich gebarenden Akademischen Legion zu vernehmen, als eben da, im Monat Mai dieses Jahres, ein erster Reaktionsversuch, wie er bereits in Neapel geglückt war und in Paris unentschieden blieb, mit siegreicher Energie zurückgewiesen wurde. Da ich soweit war, in Volkssachen wenig auf Vernunft und Weisheit, dagegen einzig etwas auf die wirkliche Aktionskraft, wie sie nur die Begeisterung oder das unabweisbarste Bedürfnis gebären kann, zu geben, so erfaßte ich diese Wiener Auftritte, da ich namentlich die gebildetere Jugend mit dem eigentlichen Arbeiterstande gleichmäßig dabei beteiligt sah, mit besonderer Wärme und verwehrte es mir nicht, dieser in einem ebenfalls populär-poetischen Anruf einen Ausdruck zu geben. Diesen sandte ich an die Redaktion der »Österreichischen Zeitung«, welche auch wirklich mit meiner vollen Namensunterschrift es in ihren Spalten abdrucken ließ.

Nun hatten sich denn auch in Dresden infolge des großen Umschwunges der Dinge zwei politische Vereine gebildet: der erste nannte sich »Deutscher Verein«; in seinem Programm vertrat er die »konstitutionelle Monarchie auf breitester demokratischer Grundlage«. Von der Ungefährlichkeit seiner Tendenz zeugten alsbald die Namen seiner hauptsächlichsten Begründer, unter welchen sich, bei aller breiten demokratischen Grundlage, Freund Eduard Devrient und Professor Rietschel laut und mannhaft befanden.[376] Dieser Verein, in welchen sich alles unterzubringen versuchte, was von der Furcht vor der wirklichen Revolution sich getrieben fühlte, rief als seinen Gegensatz einen zweiten, sich »Vaterlands-Verein« nennenden hervor. In diesem schien nun die »demokratische Grundlage« die Hauptrolle und die »konstitutionelle Monarchie« nur den nötigen Deckmantel abgeben zu sollen.

Röckel warb leidenschaftlich für diesen letzteren, da er alles Vertrauen in die »Monarchie« verloren zu haben schien. Es ging dem armen Menschen schlecht genug. Schon längst hatte er jede Hoffnung aufgegeben, in seiner musikalischen Laufbahn sich zu einigem Wohlergehen aufzuschwingen; seine Musikdirektorei war für ihn zum reinen Frondienst geworden, welcher leider sich so gering lohnte, daß er mit seiner alljährlich anwachsenden Familie unmöglich sich vom Ertrag seiner Stelle erhalten konnte: gegen das Unterrichtgeben, welches in Dresden bei den vielen vermögenden Fremden sich ziemlich lohnte, behielt er in alle Zeiten eine unüberwindliche Abneigung. So schleppte er sich elendiglich im Schuldenmachen dahin und ersah seit längerer Zeit keine Hilfe für seine Lage als Familienvater als durch eine Auswanderung nach Amerika, wo er, als Farmer selbst vom Naturzustande beginnend, durch seiner Hände Arbeit und seinen erfindungsreichen Kopf wenn auch mühsam, doch sicher sich und den Seinigen eine bürgerliche Zukunft gründen zu können vermeinte. Auf unseren Spaziergängen unterhielt er mich seit den letzten Jahren bereits fast einzig mit der Ausbeute seiner Lektüre von volkswirtschaftlichen Büchern, deren Lehren er mit Eifer auf die Verbesserung seiner verschuldeten Lage anwendete. So traf ihn die Bewegung des Jahres 1848, in welcher er sich sogleich zu der äußersten, von Paris aus sich drohend bemerklich machenden sozialistischen Seite wendete. Jeder, der ihn kannte, war nun im höchsten Grade über die scheinbar große Veränderung verwundert, welche so plötzlich mit ihm vorgegangen, da er erklärte, er habe nun seinen eigentlichen Beruf erkennen gelernt, nämlich den des »Wühlers«. Seine Suada, mit der er sich allerdings nie auf die Rednerbühne getraute, entwickelte sich im Privatumgang zu einer betäubenden Energie. Ihm war mit keiner Einwendung beizukommen, und wen er nicht hinzureißen vermochte, den stieß er auf das unwiederbringlichste ab. Unter der großen Aufregung durch die Probleme, welche ihn Tag und Nacht beschäftigten, schärfte sich sein Verstand zu der schneidendsten Fähigkeit zur Widerlegung für jeden banalen Einwand, so daß er plötzlich wie der Prediger in der Wüste dastand. Auf jedem Gebiete war er sogleich zu Hause. Der Vaterlands-Verein hatte einen Ausschuß zur Ausarbeitung eines Entwurfes einer Vorlage über Volksbewaffnung erwählt; zu diesem wurden außer Röckel und einigen Vollblutdemokraten auch militärische Sachverständige hinzugezogen, unter welchen sich mein älterer Freund, der ehemalige Bräutigam der Schröder-Devrient und Gardeleutnant Hermann Müller befand. Er und ein zweiter Offizier namens Zichlinsky waren die einzigen der sächsischen Armee Angehörigen,[377] welche sich der politischen Bewegung anschlossen. An den Sitzungen dieses Ausschusses beteiligte ich mich selbst, wie bei allen diesen Dingen, als Kunstfreund. Soviel ich mich entsinne, enthielt die Ausarbeitung dieses endlich zum Druck beförderten Entwurfes wirklich eine sehr gesunde, wenn auch unter den stets fortbestehenden politischen Verhältnissen gewiß unausführbare Grundlage einer wahrhaften Volkswehrverfassung.

Ich selbst fand immer mehr Anregung, über die alle Welt beschäftigenden politischen und endlich sozialen Fragen mich ebenfalls und allmählich mit wachsendem Eifer vernehmen zu lassen, als ich der schrecklichen Seichtigkeit und aus den abgedroschensten Phrasen zusammengesetzten Beredsamkeit der Wortführer dieser Zeit bei Versammlungen und überhaupt im persönlichen Umgange inneward. Durfte ich annehmen, daß sehr unterrichtete Kenner dieser Dinge, solange eben dieses sinnlose Durcheinander an der Tagesordnung war, sich von jeder Kundgebung zurückhielten (wie ich dies zu meinem offen ihm aus gesprochenen Leidwesen an Hermann Franck wahrnahm), so fühlte ich mich, sobald eben die Gelegenheit dazu lebhaft an mich herantrat, im Gegenteil nun getrieben, nach meinem Ermessen davon den wesentlichen Inhalt jener Fragen und Probleme zu diskutieren. Natürlich spielten hierbei die Tagesblätter eine schrecklich aufregende Hauptrolle. Der Vaterlands-Verein, den ich nur gelegentlich, wie um ein Schauspiel zu beobachten, als er in einem öffentlichen Garten tagte, besuchte, hatte als Thema der Vorträge seiner Redner die Untersuchung der Frage: Ob Republik oder Monarchie? auf die Tagesordnung gebracht. Mich erstaunte es nun, zu hören und zu lesen, mit welcher unglaublichen Trivialität es dabei herging und bei allem es nur darauf hinauslief zu erklären, daß allerdings die Republik das Beste sei, man sich indessen aber die Monarchie, wenn sie sich gut aufführe, zur Not noch gefallen lassen könne. Dies veranlaßte mich, infolge mancherlei hitziger Besprechungen hierüber, meine eigene Ansicht über diesen Punkt in einem Aufsatz niederzulegen, welchen ich im »Dresdener Anzeiger«, jedoch ohne meine Namensunterschrift, veröffentlichte. Es lag mir hierbei daran, die Aufmerksamkeit der wenigen, welche es hiermit ernst meinen konnten, von der äußerlichen Form der Staatseinrichtungen auf den Gehalt derselben hinzulenken. Nachdem ich alle meinem Bedünken sich darstellende Bedürfnisse und Nötigungen zur Vervollkommnung der staatlichen und sozialen Verhältnisse bis in die idealsten Konsequenzen verfolgt und bezeichnet hatte, frug ich, ob dies nicht alles mit einem Könige an der Spitze des Staates auszuführen sei, und verlor mich nun so weit, diesen gedachten König selbst in dem Sinne vorzuführen, daß eben ihm am allermeisten für die Erreichung seiner eigenen höchsten Zwecke daran gelegen sein müsse, ein wirklich republikanisch geordnetes Staatswesen zu verwalten zu haben. Allerdings glaubte ich diesem Könige anempfehlen zu müssen, zu seinem Volke in eine vertraulichere Stellung zu treten, als dies ihm durch den Dunst seiner Hofatmosphäre und die[378] einzig ihm nahe adelige Umgebung möglich sei. Den König von Sachsen bezeichnete ich schließlich als vom Schicksal auserkoren, in dem von mir gedachten Sinne den übrigen Fürsten Deutschlands mit dem richtigen Beispiele voranzugehen. – Röckel hielt diesen Artikel für eine wahre Inspiration des Engels der Versöhnung, und da er befürchtete, er werde an seinem Orte viel zuwenig beachtet und beherzigt werden, drang er in mich, in der nächsten Versammlung des Vaterlands-Vereins, da er namentlich auf meinen mündlichen Vortrag große Stücke hielt, denselben öffentlich vorzulesen. Durchaus ungewiß, ob ich mich hierzu entscheiden können würde, besuchte ich doch jene Versammlung; und nun war es allerdings das unausstehliche Gesalbader der Reden eines Advokaten Blöde und eines Kürschnermeisters Klette, welche damals Dresden als seinen Demosthenes und Kleon zugleich verehrte, was mir den leidenschaftlichen Entschluß eingab, mich auf der wunderlichen Tribüne mit meinem Blatte einzufinden und es ungefähr 3000 Menschen mit energischer Betonung vorzulesen.

Der Erfolg hiervon war ganz erschrecklich. Von der Rede des Königl. Kapellmeisters schien in dem Gedächtnis der erstaunten Zuhörerschaft nichts zu haften als meine gelegentliche Auslassung gegen die Schranzen des Königl. Hofes. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von diesem unglaublichen Vorfall. Andern Tages hielt ich eine Probe von »Rienzi«, welcher am folgenden Abend gegeben werden sollte; ich wurde von manchen Seiten beglückwünscht über meine aufopferungsvolle Kühnheit; der Orchesterdiener Eisolt meldete mir jedoch am Tage der projektierten Aufführung, daß diese abgeändert sei, und gab mir zu verstehen, es habe eine Bewandtnis. Wirklich war das schreckliche Aufsehen, welches ich erregt, so groß geworden, daß von seiten der Direktion bei einer Aufführung des »Rienzi« die unerhörtesten Demonstrationen befürchtet wurden. Jetzt brach denn auch in den Tageblättern ein wahrer Hagel von Verwünschung und Verspottung los, mit welchem man von allen Seiten über mich herfiel, so daß an eine Abwehr gar nicht zu denken war. Sogar die Sächsische Kommunal-Garde hatte ich beleidigt und ward von dem Kommandanten derselben zu einer Ehren-Erklärung aufgefordert. Die unerbittlichsten Feinde, deren Verfolgungen ich bis heutigen Tages ausgesetzt geblieben bin, hatte ich mir aber an den Beamten des Hofes und namentlich der niederen Regionen derselben zugezogen. Ich erfuhr, daß sie unausgesetzt, soweit sie dahin gelangen konnten, den König und schließlich den Intendanten bestürmten, mich sofort aus dem Dienste zu jagen. Ich hielt es deshalb für nötig, an den Monarchen selbst mit einem Schreiben mich zu wenden, um ihm meine Handlungsweise zwar in dem Licht der begangenen Unbesonnenheit, nicht aber in dem einer sträflichen Handlung zu zeigen. Diesen Brief übersandte ich an Herrn v. Lüttichau mit der Bitte, ihn an den König gelangen zu lassen, zugleich auch mir einen kurzen Urlaub zu erwirken, um durch einige Entfernung von Dresden der ärgerlichen Aufregung Zeit zur[379] Beruhigung zu lassen. Das auffallende, wahrhaft freundlich besorgte Wohlwollen, welches Herr v. Lüttichau mir bei dieser Gelegenheit zeigte, machte auf mich einen nicht unbedeutenden Eindruck, den ich vor ihm keineswegs zu verbergen mich bemühte. Da nun aber im späteren Verlaufe doch einmal die jetzt eben nur verhaltene Wut über manches, noch dazu in meinem Aufsatze gänzlich von ihm Mißverstandene aus ihm losbrach, erkannte ich hieran wohl, daß es nicht die Humanität dieses Mannes gewesen war, welche damals so versöhnlich zu mir sprach, sondern vielmehr der Wille des Königs selbst, über welchen ich genau dahin berichtet wurde, daß er, als jene Bestürmungen und selbst von Herrn v. Lüttichau befürworteten Zumutungen, mich zu bestrafen, an ihn gelangten, mit größter Bestimmtheit geboten hatte, kein Wort mehr in dieser Angelegenheit an ihn zu richten. Ich glaubte mir nach dieser sehr erhebenden Erfahrung damit schmeicheln zu dürfen, daß der König sowohl meinen Brief als selbst auch jenen Aufsatz besser als so sehr viel andere verstanden hatte.

Für jetzt (es war im Beginn des Monats Juli) beschloß ich, den mir gewährten kleinen Urlaub, um mich zu zerstreuen, zu einem Ausflug nach Wien zu benützen. Ich reiste dazu über Breslau, wo ich den Musikdirektor Mosewius, einen alten Freund meiner Familie, aufsuchte, um in seinem Hause einen Abend in lebhafter Unterhaltung, die leider von der politischen Aufregung des Tages nicht freiblieb, zu verbringen. Am meisten interessierte mich seine ungemein reiche, wenn ich nicht irre sogar vollständige Sammlung der Sebastian Bachschen Kantaten in vorzüglichen Abschriften. Auch viele drollige und kräftige Musiker-Anekdoten, welche er mit einem ihm besonders eigentümlichen Humor mitteilte, blieben mir lange Zeit erheiternd in der Erinnerung. Als Mosewius im Verlaufe des Sommers mir in Dresden einen Gegenbesuch machte und ich ihm einen Teil des ersten Aktes von »Lohengrin« am Klavier vorführte, äußerte er ein wahrhaftes, mir wohltätiges Erstaunen über diese Konzeption. In späteren Jahren vernahm ich wieder, er habe sich auch nachteilig und spöttisch über mich ausgelassen, ohne dadurch zu weiterem Nachsinnen weder über die Wahrheit dieser Berichte noch über den wahren Charakter dieses Mannes veranlaßt zu werden, da ich überhaupt an manches Unbegreifliche mich immer mehr zu gewöhnen hatte. – In Wien suchte ich zunächst den Professor Fischhof auf, von welchem ich wußte, daß er ebenfalls bedeutende Handschriften, namentlich auch von Beethoven verwahre: von diesen letzteren fesselte mich besonders das Original der Sonate in C-moll, opus 111. Von meinem etwas trocken gefundenen neuen Freunde gelangte ich noch zur Bekanntschaft mit Herrn Vesque von Püttlingen, welcher sich, als Komponist einer von uns auch in Dresden aufgeführten Oper (»Jeanne d'Arc«) von großer Trivialität, mit vorsichtigem Geschmack von Beethovens Namen nur den »Hoven« zugelegt hatte. Wir waren eines Tags bei ihm zum Diner, und ich lernte in ihm einen ehemaligen vertrauten Beamten des Fürsten Metternich kennen,[380] welcher jetzt mit dem schwarz-rot-goldenen Bande, vollkommen überzeugt, wie es schien, der Strömung der Zeit folgte. – Eine interessante Bekanntschaft knüpfte ich mit dem Russischen Staatsrat und Attaché der Russischen Gesandtschaft in Wien, Herrn v. Fonton, an. In Fischhofs Gesellschaft traf ich wiederholt, auch zu Ausflügen in die Umgegend, mit diesem Manne zusammen: es war mir interessant, hier zum ersten Male auf einen hartgeschulten Bekenner derjenigen pessimistischen Weltansicht zu stoßen, welche schließlich im konsequenten Despotismus die Gewährleistung für eine einzig erträgliche Ordnung der Dinge findet. Nicht ohne Interesse und gewiß auch nicht ohne Geist (er rühmte sich, in den aufgeklärtesten Schulen der Schweiz seine Bildung genossen zu haben) hörte er meinen enthusiastischen Darstellungen des mir vorschwebenden, zu großem und entscheidendem Einfluß auf die menschliche Gesellschaft bestimmten Kunstideales an. Da er zugeben mußte, daß die Verwirklichung desselben der Kraft des Despotismus nicht beschieden sein könnte und er somit für meine Bestrebungen keinen Lohn vorauszusehen vermochte, taute er doch schließlich beim Champagner zu der humanen Gemütlichkeit auf, mir die besten Erfolge zu wünschen. – Ich erfuhr späterhin, daß dieser Mann, von dessen Talent und energischem Charakter ich mir da mals eine nicht unbedeutende Vorstellung machte, in ziemlich mißlicher Lage verschollen ist.

Wie ich nun aber nie ganz ohne ein ernstlicheres Vorhaben irgend etwas unternahm, so hatte ich auch mit meinem Ausfluge nach Wien sogleich den Versuch in das Auge gefaßt, meinen Ideen für Reform des Theaters wirksamen Eingang zu verschaffen. Wien, welches damals fünf Theater von genau unterschiedenem Charakter besaß, die um jene Zeit sich elend dahinschleppten, schien mir einen besonders günstigen Boden zu bieten. Ich hatte schnell einen Entwurf ausgearbeitet, nach welchem diese verschiedenen Theater eine Art von Föderativ-Verfassung erhalten und unter eine sowohl von den aktiven Mitgliedern derselben, als den für sie tätigen literarischen Kräften gebildete Verwaltung gestellt werden sollten. Ich erkundigte mich nun nach denjenigen diesem Felde einigermaßen nahestehenden Kapazitäten, welchen ich diesen Plan vorlegen könnte. Außer Herrn Theodor Uhl, mit welchem ich vom Anfang herein durch Fischhof bekannt geworden war und welcher mir recht tätig zur Seite ging, nannte man mir noch einen Herrn Franck (ich vermute, es war derselbe, welcher später ein größeres episches Gedicht »Tannhäuser« veröffentlichte) und einen Herrn Dr. Pacher, einen mir mit der Zeit nicht eben sehr rühmlich bekannt gewordenen Rabulisten und Agenten Meyerbeers. Der anziehendste und jedenfalls bedeutendste der von mir Auserwählten, welche ich eines Tages zu einer Konferenz in Fischhofs Wohnung versammelte, war jedenfalls Dr. Becher, ein leidenschaftlicher, vielseitig gebildeter Mann, welcher auf meinen vorgelesenen Entwurf einzig auch mit wahrem Ernste, wenn auch nicht mit glaubenvoller Zustimmung einging. Ich nahm an ihm eine gewisse Zerrissenheit[381] und Heftigkeit wahr, davon der Eindruck mir nach wenigen Monaten bedeutungsvoll zurückkehrte, als ich von seinem Tode durch Erschießung als rebellischer Teilnehmer des Wiener Oktober-Aufstandes erfuhr. Jedenfalls hatte ich für jetzt eben nur die Genugtuung, meinen Theaterreform-Plan einigen aufmerksamen Zuhörern vorgelesen zu haben. Es schien allen im Bewußtsein zu liegen, daß zur Erfassung so friedlicher Reform-Tendenzen jetzt nicht die Zeit sei. – Dagegen glaubte mir Uhl einen Begriff von dem, was gegenwärtig die Köpfe der Wiener errege, geben zu müssen, als er mich eines Abends in einen politischen Klub von vorgerücktester Tendenz führte. Ich hörte da einen Herrn Sigismund Engländer sprechen, welcher einige Zeit darauf sich auch in politischen Monatsschriften auffallend vernehmen ließ: die Ungeniertheit, mit welcher er und andere über die gefürchtetsten Personen der öffentlichen Macht in Österreich sich an diesem Abend vernehmen ließen, setzte mich fast ebenso in Erstaunen wie die Seichtigkeit der dabei zutage tretenden politischen Meinungen. – Einen sehr sanften Eindruck machte mir dagegen Herr Grillparzer, dessen Name mir aus meinen frühesten Knabenjahren von der »Ahnfrau« her wie eine Fabel in der Erinnerung war und welchen ich ebenfalls in Theaterreform-Angelegenheiten aufsuchte. Es schien ihn nicht unfreundlich zu berühren, von dem, was ich ihm vorbrachte, zu hören; nur suchte er auch das Befremden nicht zu verbergen, welches ihm meine unmittelbaren Bestrebungen und sogar an ihn gerichteten Zumutungen einflößten. Er war der erste Theaterdichter, welchen ich in einer Beamtenuniform gesehen habe.

Nachdem ich auch Herrn Bauernfeld in ähnlicher Angelegenheit einen vergeblichen Besuch abgestattet, hielt ich für diesmal Wien für abgetan und gab mich schließlich nur noch dem seltsam anregenden Eindrucke des um diese Zeit so sehr in seiner Kundgebung umgestimmten öffentlichen Lebens der bunten Bevölkerung desselben hin. Hatte mich schon die stets die Straßen geschäftig erfüllende »Akademische Legion« durch die ungemeine Prägnanz, in welcher an ihr die deutschen Farben zum Vorschein kamen, anregend unterhalten, so ward ich von der gleichen Wirkung endlich sogar belustigt, als ich in den Theatern selbst das Gefrorne von gänzlich in Schwarz-rot-gold gekleideter Bedienung servieren sah. Im »Karltheater« der Leopoldstadt sah ich eine neue Posse Nestroys, in welcher sogar der Fürst Metternich vorkam und auf die an ihn gerichtete Frage, ob er den Herzog von Reichstadt vergiftet hätte, als entlarvter Sünder hinter die Kulissen floh. Im ganzen erweckte die Physiognomie der sonst nur vergnügungssüchtigen Kaiserstadt den Eindruck einer jugendlich kräftigen Zuversicht auf mich, welcher Eindruck mir kurze Zeit darauf zurückkehrte, als ich in den verhängnisvollen Oktobertagen von der energischen Teilnahme der jugendlichen Bevölkerung an der Verteidigung gegen die Truppen des Fürsten Windischgrätz vernahm.

Auf der Rückreise von dort berührte ich Prag, wo ich meinen alten[382] Freund Kittl bei außerordentlich zugenommener Korpulenz noch im krampfhaftesten Schrecken über die dort erlebten tumultuarischen Ereignisse antraf. Er schien der Meinung zu sein, daß die Auflehnung der tschechischen Partei gegen die österreichische Herrschaft ihm ganz persönlich gegolten habe, und namentlich glaubte er sich den Vorwurf machen zu müssen, daß er andrerseits durch seine Komposition jenes Operntextes der »Franzosen vor Nizza« von mir, aus welcher eine Art von revolutionärem Chor sehr populär geworden sein sollte, die schreckliche Bewegung jener Zeit besonders angefeuert hätte. – Zu meinem Vergnügen traf ich auf der Rückreise mit dem Dampfschiff den Bildhauer Hänel als Gefährten an. Er hatte soeben mit dem Grafen Albert Nostitz, welcher ebenfalls mit uns fuhr, seine Geschäfte in betreff der von ihm gelieferten Statue des Kaisers Karl IV. beendigt und war in der heitersten Laune, da ihm, wie er mir bekannte, der höchst mißliche Stand des österreichischen Papiergeldes einen ungemein gewinnreichen Umsatz seines dem Vertrag gemäß in Silber empfangenen Honorars gestattete. Es freute mich, ihn dadurch bis zu der Vorurteilslosigkeit zuversichtlich gestimmt zu sehen, daß er nach unserer Ankunft in Dresden den ziemlich weiten Weg vom Landungsplatze des Dampfschiffes bis in unsere Wohnung im offenen Fiaker in meiner Gesellschaft zurücklegte, trotzdem er sehr gut wußte, welch schreckliches und bedenkliches Aufsehen ich wenige Wochen zuvor am Orte erregt hatte.

Hier schien in der Öffentlichkeit der Sturm bereits gänzlich sich gelegt zu haben; ich trat in meine gewohnte Funktion und Lebensweise ohne weitere Störung wieder ein. Leider lebten aber auch meine alten Sorgen und Beklemmungen wieder auf: ich hatte Geld zu schaffen und wußte nicht woher. So sah ich mir denn nun den im vergangenen Winter mir schriftlich mitgeteilten Bescheid auf meine Eingabe um Gehaltserhöhung, welchen ich, bereits durch die Modifikationen desselben so heftig angewidert, ungelesen gelassen hatte, zu gründlicherer Kenntnisnahme genauer an. War ich nun bisher der Meinung gewesen, es sei mir von Herrn von Lüttichau die erbetene Gehaltszulage in der immerhin demütigenden Form einer alljährlich auszuzahlenden Gratifikation erwirkt worden, so ersah ich jetzt zu wahrhaft entsetzlicher Beschämung, daß damals eben nur von dieser einmaligen Gratifikation, keineswegs aber von einer alljährlichen Wiederholung derselben die Rede gewesen war. Ich befand mich bei dieser Erkenntnis nun in dem unverbesserlichen Nachteile, mit einer Remonstration, wenn ich sie jetzt vornahm, viel zu spät zu kommen, so daß mir nichts anderes übrigblieb, als schweigend mich der so beispiellos schlecht bezahlten Schmach zu fügen. Wandelte sich jedoch hierdurch meine Stimmung gegen Herrn von Lüttichau, welche kurz zuvor in Betracht seines vermeintlich guten Benehmens während des letzten Sturmes sich etwas aufgehellt hatte, in bedenklicher Weise um, so erhielt ich bald noch neuen Grund, selbst in dieser letzten Angelegenheit meine günstigen Annahmen in einer Weise zu[383] berichtigen, welche mich schließlich unveränderlich gegen jenen erbitterte. Er hatte mir nämlich berichtet, die Mitglieder der Königlichen Kapelle hätten sich durch eine Deputation an ihn um meine Entlassung gewendet, da sie es für ehrenrührig hielten, unter einem politisch so arg kompromittierten Kapellmeister ferner zu dienen, worauf er sie gehörig verweisen und zur Ruhe habe bringen müssen. Alles dies hatte mir Lüttichau in eben dem günstigen Lichte gezeigt, welches mich ihm neuerdings gewogen gemacht hatte. Nun erfuhr ich aber gelegentlich durch die Kapellmitglieder, da es hierüber zu einer Auseinandersetzung kam, daß es hiermit eine fast vollkommen entgegengesetzte Bewandtnis gehabt hatte. Von verschiedenen Seiten des Hofbeamtenstandes nämlich waren die Mitglieder der Königlichen Kapelle auf das eifrigste zu einem ähnlichen Akte aufgefordert und ihnen mit der Ungnade des Königs und dem Verdachte gleicher übler Gesinnung gedroht worden. Gegen diese Machinationen nun und um vor möglichen schlimmen Folgen derselben sich zu sichern, wenn man eben den geforderten Schritt nicht täte, hatten die Musiker durch eine Deputation sich an ihren Chef gewendet, um ihm zugleich die Erklärung abzugeben, daß sie als künstlerische Korporation sich keineswegs berufen fühlten, sich in Dinge zu mischen, die sie nichts angingen. So schwand mir denn der letzte Heiligenschein, mit dem meine alte Anhänglichkeit an ihn Herrn von Lüttichau umgeben hatte, und namentlich war es das Gefühl der Beschämung, seinem hinterhältigen Benehmen gegenüber mich herzlich erregt zu haben, welches mich nun wirklich für immer feindselig gegen diesen Mann einnahm. Mehr als die erlittenen Beleidigungen bestimmte mich hierbei aber die Erkenntnis meiner vollständigen Unfähigkeit, je noch auf diesen Mann in einer meinen Wünschen für das Emporkommen des Theaters dienlichen Weise einen Einfluß ausüben zu können. Die bloße Unterhaltung meiner Anstellung als Kapellmeister, noch dazu bei so außerordentlich dürftiger und geschmälerter Besoldung, mußte mir daher natürlicherweise immer weniger als berücksichtigenswert erscheinen. Von jetzt an folgte ich in meiner Beibehaltung dieser Kapellmeisterstelle nur noch den gemeinsten Nötigungen einer zufälligen unglücklichen Lage. Ich tat nichts, um dieselbe zu verschlimmern, aber auch nicht das mindeste, was ihr eine Dauer hätte versichern können.

Zuallernächst hatte ich meinen so übel getäuschten Hoffnungen auf eine Verbesserung meines Einkommens in jeder erdenklichen Weise nachzuhelfen. Ich geriet auf den Gedanken, mit Liszt hierüber mich zu besprechen und von ihm Vorschläge zur Abhilfe meiner bedrängten Lage mir zu erbitten. – Kurz nach den verhängnisvollen Märztagen und wenige Zeit vor der Vollendung meiner »Lohengrin«-Partitur war er zu meiner freudigsten Überraschung eines Tages in mein Zimmer getreten. Er kam damals von Wien, wo er den Barrikaden-Tagen beigewohnt hatte, und begab sich nach Weimar zur dauernden Niederlassung. Wir hatten damals gemeinschaftlich[384] einen Abend bei Schumann zugebracht; dort war musiziert und schließlich disputiert worden, was bei einer stark prononcierten Meinungsverschiedenheit Liszts und Schumanns über Mendelssohn und Meyerbeer zu einer völligen Erbosung Schumanns geführt hatte, bei welcher Gelegenheit wir gegenüber dem Wirte, welcher sich für längere Zeit wütend in seine Schlafkammer zurückzog, in eine sonderbare, in der Unterhaltung auf dem Heimwege uns aber sehr belustigende Verlegenheit geraten waren. Ich habe selten Liszt so ausgelassen aufgeräumt gesehen als in dieser Nacht, wo er mich und den Konzertmeister Schubert, bei empfindlicher Kälte nur im dünnen Frack gekleidet, abwechselnd von einem zum andern nach Hause begleitete. Ich benutzte jetzt einige freie Tage des August zu einem Ausfluge nach Weimar, wo ich Liszt unter den bekannten außerordentlichen Verhältnissen und Beziehungen zum Großherzog für dauernd angesiedelt fand. Vermochte er mir auch in meiner Angelegenheit nicht anders als durch eine schließlich als erfolglos sich erweisende Empfehlung zur Hilfe zu kommen, so blieb doch die ganze, ebenso herzliche als großartig anregende Begegnung bei diesem flüchtigen Zusammensein nicht ohne wohltätigen und ermutigenden Eindruck auf mich. – Nach Dresden zurückgekehrt, streckte ich mich so gut es ging nach meiner Decke und griff, da jedes andere Mittel mir zu helfen versagte, zu der Auskunft, meinen noch übrigen, in Wahrheit befreundeten Gläubigern in einem gemeinschaftlich an sie gerichteten Schreiben meine Lage aufrichtig mitzuteilen und sie zu bedeuten, auf unbestimmte Zeit von ihren Forderungen abzustehen, bis einmal die Wendung einträte, ohne welche ich allerdings nie in den Stand gelangen könnte, sie zu befriedigen. Jedenfalls würden sie durch eine solche Erklärung den von mir nicht ohne Grund vermuteten feindseligen Absichten meines Generaldirektors entgegentreten, welcher aus einem gegenteiligen Benehmen meiner Gläubiger begierig den Vorwand zu den übelsten Schritten gegen mich entnehmen würde. Ohne Zögern wurde diese Erklärung mir gegeben; mein Freund Pusineili und meine alte mütterliche Bekannte Frau Klepperbein erkannten sich sogar bereit, vollständig auf die Wiedererstattung ihrer Darlehen zu verzichten. So einigermaßen beruhigt und gegen Herrn von Lüttichau betreffs meiner Stellung in der Weise versichert, daß ich es meinem Belieben überlassen konnte, ob und wann ich sie gänzlich aufgeben würde, fuhr ich nun in der strikten Ausübung meiner Kapellmeisterbesorgungen gelassen fort und nahm vor allem mit großem Eifer meine nun immer weiter mich tragenden Studien auf.

Von diesem Standpunkte aus sah ich nun der wunderlichen Entwickelung meines Freundes Röckel zu. Da jeder Tag ein neues Gerücht über bevorstehende reaktionäre Staatsstreiche und ähnliche Gewaltsamkeiten brachte, glaubte Röckel dem vorbeugen zu müssen und arbeitete zu diesem Zweck einen ausführlich motivierten Aufruf an die Soldaten der sächsischen Armee aus, ließ denselben drucken und in zahllosen Exemplaren verbreiten.[385] Dieser Akt erschien der Staatsanwaltschaft zu flagrant; Röckel wurde eingezogen und verbrachte drei Tage, bis durch den Advokaten Minkwitz die erforderliche Kaution von 10000 Talern für ihn gestellt wurde, in der Fronfeste, während der Prozeß auf Hochverrat gegen ihn eingeleitet wurde. Seine Rückkehr in seine Wohnung zu seiner höchst beängstigten Frau und Familie wurde durch eine kleine Straßenfestlichkeit, welche der Vorstand des Vaterlands-Vereines veranlaßt hatte und bei welcher der Befreite in offener Rede als Kämpfer für die Sache des Volkes begrüßt wurde, gefeiert. Von seiten der Generaldirektion des Hoftheaters erhielt er dagegen, nach einer bereits provisorischen Suspension, seine definitive Entlassung angezeigt. Nun ließ sich Röckel sogleich von allen Seiten einen langen Bart wachsen, begann die Herausgabe eines nur von ihm redigierten Volksblattes, dessen Erfolg, wie er voraussetzen mußte, ihn zugleich für das ausfallende Musikdirektor-Gehalt entschädigen sollte, und bestellte sich zunächst sogleich ein Expeditions-Lokal für seine Unternehmung in der Brüdergasse. Dieses Blatt lenkte wirklich vielseitig die Blicke auf seinen Verfasser und zeigte dessen Begabung in einem ganz neuen Lichte. Er verlor sich nie in Dunst und Wortmacherei, sondern beschränkte sich stets auf unmittelbar vorliegende, das gemeine Interesse berührende Fragen, von deren wirklich ruhiger und nüchterner Besprechung er erst zu weiteren Folgerungen auf die mit ihnen zusammenhängenden höheren Interessen hinleitete. Die einzelnen Artikel selbst waren kurz und enthielten nie etwas Unnötiges; dabei waren sie so klar gefaßt, daß sie dem ungebildetsten Verstande sich belehrend und überzeugend mitteilten. Indem er hierbei immer auf das Wesentliche der Dinge und nie auf die formelle Umschreibung derselben, durch welche in der Politik so große Verwirrung bei der ungebildeten Masse hervorgebracht wird, ausging, gewann er sich bald unter Gebildeten wie Ungebildeten eine nicht geringe Leser-Anzahl. Nur war der Preis des wöchentlich einmal erscheinenden kleinen Blättchens zu gering, um ihm einen entsprechenden Gewinn abzuwerfen. Andrerseits mußte man ihm voraussagen, daß die Reaktion, käme sie je wieder auf, ihm unmöglich diese Volksblätter verzeihen werde. Sein jüngerer Bruder Eduard, welcher um diese Zeit zum Besuch in Dresden war, erklärte sich bestimmt, eine ihm zwar widerwärtige, aber ziemlich einträgliche Klavierlehrerstelle in England anzunehmen, um so in den Stand gesetzt zu werden, Röckels Familie erhalten zu können, wenn er wie voraussichtlich im Zuchthaus oder gar am Galgen seinen Lohn gefunden haben würde. Da ihn seine übrigen Verbindungen mit allerhand Vereinen außerordentlich in Beschlag nahmen, beschränkte sich auch mein Umgang mit ihm immer mehr nur auf seltene Spaziergänge. Mit dem wunderlich aufgeregten Menschen, dessen Kopf doch eigentlich immer klar und besonnen blieb, verlor ich mich bei diesen Gelegenheiten oft in die weitesten spekulativen Disputationen. Namentlich hatte er die Umgestaltung aller bürgerlichen Verhältnisse, wie sie uns nach der gewohnten Wahrnehmung[386] vor Augen stehen, durch seine Folgerungen aus einer vollständigen Veränderung ihrer sozialen Grundlage bereits zu einer sehr zusammenhängenden Darstellung davon ausgebildet. Auf die Proudhonschen und anderer Sozialisten Lehren von der Vernichtung der Macht des Kapitales durch die unmittelbar produktive Arbeit baute er eine ganz neue moralische Weltordnung auf, für welche er mich allmählich durch einige sehr anziehende Behauptungen darüber selbst insoweit gewann, daß ich nun wieder meinerseits darauf die Realisierung meines Kunstideals aufzubauen begann. So waren es zwei Äußerungen, die mich in dieser Hinsicht sehr stark betrafen: er wollte in der Zukunft von der Ehe, wie wir sie kannten, nichts mehr wissen. Ich frug da gegen, wie er sich nun vorstelle, daß wir uns bei dem stets wechselnden Umgange mit jedenfalls sehr bedenklich sich ausnehmenden Frauenzimmern befinden würden? Mit wohlwollender Entrüstung ließ er sich da vernehmen, daß wir uns ja gar keinen Begriff von der Reinheit der Sitten im allgemeinen wie namentlich auch der Beziehung der Geschlechter zueinander eine Vorstellung machen könnten, sobald wir nicht die vollkommene Befreiung von dem Druck des Gewerbs-, Zunft- und sonstigen Zwangs-Wesens uns zu verdeutlichen vermöchten. Ich sollte nur bedenken, was ein Weib einzig in seiner Hingebung an einen Mann noch würde bestimmen können, wenn sowohl die Rücksichten auf Geld, Vermögen, Stand und Familienvorurteile sowie die hieraus entstehenden Nötigungen gänzlich verschwunden seien. – Als ich nun ein anderes Mal frug, woher er denn noch mit freiem Geiste und gar künstlerisch tätige Menschen hernehmen wollte, wenn alles in den gleichen Arbeiterstand aufzugehen habe, so hielt er mir dagegen, daß ja eben dadurch, daß alles an der nötigen Arbeit nach seinen Kräften und Befähigungen teilnehme, die Last und der Begriff der Arbeit gänzlich aufgehoben würde und nur noch eine Beschäftigung übrigbleiben könnte, die endlich durchaus einen künstlerischen Charakter annehmen müßte, wie es denn schon jetzt erwiesen sei, daß ein Feld, von einem einzigen Bauer mühsam mit dem Pfluge bearbeitet, unendlich weniger ergiebig sei, als wenn es von mehreren im Sinne des Gartenbaues gepflegt würde. Diese und ähnliche mit wirklich schöner Emphase von Röckel mir eröffneten Andeutungen leiteten mich selbst zu weiterem Nachdenken und meinem Sinne genehmer Ausbildung von Vorstellungen einer möglichen, meinen höchsten Kunst-Idealen gänzlich, ja einzig entsprechenden Gestaltung der menschlichen Gesellschaft an.

Zunächst richtete ich meine Gedanken in diesem Bezug sogleich wieder auf das Naheliegende, indem ich das Theater in das Auge faßte. Die Veranlassung hierzu kam von innen und außen. Nach dem neuesten, gänzlich demokratischen Wahlgesetz stand eine Erneuerung der sächsischen Volksvertretung bevor; die Wahl gänzlich radikaler Abgeordneter, wie sie fast überall vollzogen worden war, ließ, wenn die Bewegung Dauer gewann, die außerordentlichsten Veränderungen auch im Staatshaushalte voraussehen.[387] Allgemein schien man entschlossen, auch die Königliche Zivilliste einer strengen Revision zu unterwerfen: alles überflüssig Dünkende im Hofhaushalt sollte beseitigt werden; das Theater, als eine unnütze Unterhaltungsanstalt für einen verdorbenen Teil des Publikums, war mit der Entziehung der auf der Zivilliste ihm ausgesetzten Subvention bedroht. Ich fühlte mich nun bestimmt, im Interesse der dem Theater von mir zuerkannten Bedeutung, den Herrn Ministern die Belehrung der Abgeordneten darüber an die Hand zu geben, daß das Theater, wenn es wohl in seiner jetzigen Wirksamkeit keiner Opfer des Staats wert wäre, zu noch bedenklicherer und der öffentlichen Gesittung gefährlicherer Tendenz herabsinken würde, wenn man es jeder auf das Ideale gerichteten Aufsicht desselben Staates entziehen wollte, welcher andrerseits den Kultus und die Schule in förderlichen Schutz zu nehmen sich berufen fühlte. Alles kam mir demnach darauf an, die Grundzüge einer Organisation des Theaters festzusetzen, nach welcher diesem die Erfüllung seiner edelsten Tendenzen ermöglicht und gesichert sein sollte. Somit arbeitete ich einen Plan aus, demgemäß dieselbe Summe, welche auf der Königlichen Zivilliste für die Haltung eines Hoftheaters ausgesetzt war, für die Gründung und Unterhaltung eines Nationaltheaters für das Königreich Sachsen verwendet werden sollte. Die sehr kombinierten Einzelheiten meines Entwurfes bezeichnete ich bei der Angabe ihrer praktischen Ausführbarkeit mit so großer Präzision, daß ich meine Arbeit für fähig halten konnte, den Ministern einen tauglichen Leitfaden für die Behandlung dieser Angelegenheit vor den Kammern an die Hand zu geben. Es kam nun darauf an, mit einem der Minister selbst hierfür mich in das Vernehmen zu setzen. Ich war der Meinung, mich dafür an den Kultusminister wenden zu müssen. Als solcher fungierte damals Herr von der Pfordten. War dieser auch bereits im Geruch einer bedenklichen politischen Geschmeidigkeit und des Strebens nach Verwischung des Ursprunges seiner politischen Erhebung durch eine bewegungsvolle Zeit, so galt er doch als ehemaliger Professor für einen Mann, mit dem über einen Gegenstand, wie er mir am Herzen lag, wohl zu reden war. Ich erfuhr aber, daß die eigentlichen Kunstanstalten des Königreiches, wie die Akademie der bildenden Künste, denen ich mit besonderem Eifer das Theater zugezählt wissen wollte, unter das Ressort des Ministers des Innern gestellt waren. Diesem, dem biederen aber wohl nicht sehr gebildeten und kunstempfänglichen Oberländer, stellte ich daher meinen Entwurf zu, nachdem ich jedoch auch bei Herrn von der Pfordten mich gemeldet hatte, um diesem aus den angedeuteten Rücksichten mein Anliegen zugleich zu empfehlen. Der, wie es schien, sehr beschäftigte Mann empfing mich höflich und allgemeinhin versicherungsvoll, benahm mir aber durch sein ganzes Wesen, ja durch den Eindruck seiner Physiognomie jede Hoffnung, bei ihm auf das von mir ihm angemutete Verständnis zu treffen. Bei dem Minister Oberländer beruhigte mich sofort der schlichte Ernst, mit dem er mir genaues[388] Eingehen auf die Sache versprach. Leider hatte er mir aber sogleich mit einfachster Aufrichtigkeit zu Herzen zu führen, wie wenige Hoffnung er hegen könnte, vom König selbst die Autorisation zur außerordentlichen Behandlung einer bisher der Routine überlassenen Frage zu erhalten: es sei nicht zu verkennen, daß der König zu seinen jetzigen Ministern, und namentlich zu ihm, in einem gezwungenen, vertrauenslosen Verhältnis stehe; er gelange nie dazu, mit dem Monarchen in einen andern Verkehr zu treten als den, welchen die strikte Erledigung der laufenden Geschäfte unerläßlich machte. Er glaubte daher, es sei besser, wenn mein Plan von seiten der Kammer in Anregung gebracht würde. – Da ich zunächst eben nur dem vorbeugen wollte, daß die Frage des Fortbestehens des Hoftheaters, falls sie bei der Diskussion der zu erneuernden Königlichen Zivilliste auftauche, in dem befürchteten kenntnis- und verständnislosen radikalen Sinne behandelt würde, ließ ich mich nun auch die Mühe nicht verdrießen, einigen der einflußreichsten neuen Kammermitglieder mich bekannt zu machen. Hiermit geriet ich denn in eine ganz neue, sonderbare Sphäre und hatte Stimmungen und Personen kennenzulernen, die mir bisher gänzlich fremd geblieben waren. Beschwerlich war es mir, diese Herren immer nur im dicksten Tabaksdampf und beim Bier antreffen und über meine ihnen so fremdartige Angelegenheit zu ihrem großen Erstaunen unterhalten zu können. Nachdem mir Herr von Trütschler, ein sehr schöner, energischer, von finsterem Ernste beseelter Mann, der eine Zeitlang ruhig mich angehört, mir eröffnet hatte, daß er vom Staate nichts mehr wisse, sondern nur noch von der Gesellschaft, und daß diese auch ohne ihn und mich wissen werde, wie sie sich zur Kunst und zum Theater zu verhalten habe, gab ich, von sonderbar gemischter Beschämung erfüllt, für jetzt sowohl meine Bemühungen als auch meine Hoffnungen auf. – Ich erfuhr von der ganzen Angelegenheit nichts anderes wieder, als daß sie, wie mir aus einer späteren Begegnung mit demselben es sich kundtat, zur Kenntnis des Herrn v. Lüttichau gelangt war und diesen mit neuer Feindseligkeit gegen mich erfüllte.

Auf meinen nun gänzlich vereinsamten Spaziergängen arbeitete ich dagegen in meinem Kopfe, zu meiner großen Gemütserleichterung, immer mehr die Vorstellungen von einem Zustande der menschlichen Gesellschaft aus, zu welchem die kühnsten Wünsche und Bestrebungen der damals im Aufbau ihrer Systeme so tätigen Sozialisten und Kommunisten mir eben nur die gemeine Unterlage boten, während eben diese Bestrebungen erst von da ab Sinn und Bedeutung für mich gewannen, wo ich sie am Ende der erzielten politischen Umwälzungen und Konstruktionen angelangt sah, um dort nun mit meiner der Kunst zugewandten Neubildung meinerseits zu beginnen.

Zu gleicher Zeit beschäftigte mich der Gedanke eines Dramas, dessen[389] Held der Kaiser Friedrich Barbarossa sein sollte. Der Begriff des Herrschers war hier in seiner kraftvollsten und ungeheuerlichsten Bedeutung aufgefaßt; sein würdiges Weichen vor der Unmöglichkeit der Behauptung seiner idealen Ansprüche sollte, wie es die Teilnahme für den Helden erweckte, zugleich die richtige Erkenntnis der eigentätigen Vielgestaltetheit der Dinge dieser Welt geben. Von diesem Drama, welches ich in populären gereimten Versen im Stile unsrer mittelhochdeutschen epischen Dichter, für welchen mir namentlich das Gedicht »Alexander« vom Pfaffen Lambert vorschwebte, ausführen wollte, habe ich nur mit wenigen Zeilen die alleräußersten Umrisse aufgezeichnet. Die Verteilung der Handlung war folgendermaßen für fünf Akte bestimmt. Erster Akt: Reichstag in den ronkalischen Feldern, Darlegung der Bedeutung der kaiserlichen Gewalt, welche selbst auf die Belehnung mit Wasser und Luft sich erstrecken sollte. Zweiter Akt: Belagerung und Einnahme Mailands. Dritter Akt: Abfall Heinrichs des Löwen und Niederlage bei Lignano. Vierter Akt: Reichstag zu Augsburg, Demütigung und Bestrafung Heinrichs des Löwen. Fünfter Akt: Reichstag und große Hofhaltung zu Mainz, Frieden mit den Lombarden, Versöhnung mit dem Papste, Annahme des Kreuzes und Aufbruch nach dem Morgenlande. Mein Interesse an der Ausführung dieses dramatischen Planes ward jedoch sogleich beim Erfassen durch die mächtigere Anziehungskraft, welche die mythische Behandlung des mir hierbei aufgehenden gleichgearteten Stoffes in der Nibelungen- und Siegfried-Sage auf mich ausübte, verdrängt. Zunächst führte mich noch diese von mir erkannte Gleichartigkeit der hier sich berührenden Geschichte und Sage zu einer Aufzeichnung einer Abhandlung hierüber, wozu einige auf der Königlichen Bibliothek vorgefundene Monographien von Verfassern, deren Namen mir entfallen sind, welche mir aber in anziehender Weise Belehrungen über das Ur-Königtum der Deutschen gaben, mich befähigten und anregten. – Diesen größeren Aufsatz, mit welchem ich schließlich von der Neigung zur Behandlung eines historischen Stoffes für das rezitierende Drama mich gänzlich abwandte, veröffentlichte ich später unter dem Titel »Die Wibelungen«.

Im nächsten Zusammenhange hiermit schritt ich nun dazu, die sehr kombinierte und doch auf ihre Hauptzüge zusammengedrängte Gestalt, zu welcher in mir der eigentliche uralte Nibelungen-Mythos in unmittelbarem Zusammenhange mit dem Götter-Mythos selbst sich ausgebildet hatte, zu deutlicher Übersicht aufzuzeichnen. Aus dieser Arbeit ging mir die Möglichkeit hervor, einen Hauptbestandteil des Stoffes selbst zu einem Drama mit musikalischer Ausführung zu verwenden. Nur langsam jedoch und mit großem Zögern wagte ich mit dieser Möglichkeit mich zu befreunden, da namentlich der praktische Sinn der Verwertung einer solchen Arbeit für unser Theater wahrhaft erschreckend mir entgegentrat. Es bedurfte allerdings des Eintrittes der vollsten Verzweiflung an jeder Möglichkeit, mich ferner mit unserem Theater zu befassen, bis ich den Mut zum Angriff dieser neuesten[390] Arbeit gewann. Bis dahin trieb ich mich noch mit fast gleichgültiger Haltung zwischen den anderseitigen Möglichkeiten eines Bestehens unter den herrschenden Zuständen umher. In betreff des »Lohengrin« war ich soweit, nichts anderes als eine möglichst gute Aufführung auf dem Dresdener Theater zu erwarten und für alle Fälle und alle Zeiten mich damit zu begnügen, wenn ich nur diese erreichte. Herrn v. Lüttichau hatte ich seinerzeit die Vollendung der Partitur angezeigt, in Betracht der Ungunst der damaligen Verhältnisse es ihm aber gänzlich freigestellt, über die Aufführung meines Werkes gelegentlich zu bestimmen.

Unterdessen kam die Zeit heran, wo der Archivar der Königlich musikalischen Kapelle sich erinnerte, daß jetzt vor 300 Jahren der Grund zu diesem fürstlichen Institute gelegt worden sei und man folglich ein Jubiläum zu feiern habe. Hierfür ward ein großes Festkonzert im Theater bestimmt, in welchem Kompositionen der sächsischen Kapellmeister aller Zeiten seit dem Bestehen dieser Anstalt ausgeführt werden sollten. Die sämtlichen Musiker mit ihren beiden Kapellmeistern an der Spitze hatten zuvor dem Könige in Pillnitz ihre dankende Huldigung darzubringen, bei welcher Gelegenheit zum ersten Male ein Musiker zum Ritter des sächsischen Zivilverdienstordens erhoben wurde: dieser Musiker war mein bis dahin vom Hofe und vom Intendanten sehr geringschätzig behandelter Kollege Reissiger, welcher aber durch schreiendste Loyalität in dieser bedenklichen Zeit, namentlich mir gegenüber, sich in äußerst günstiges Licht bei unseren Vorständen gesetzt hatte. Er ward von der nicht minder loyalen Versammlung, welche an dem Festkonzertabende die Theaterräume erfüllte, mit Jubel begrüßt, als er mit dem unerhörten Orden geschmückt vor dem Publikum erschien. Auch seine Ouvertüre zu »Yelva« rief einen nie ihm widerfahrenen enthusiastischen Beifallssturm hervor, wogegen das erste Finale aus »Lohengrin«, welches als Leistung des jüngsten Kapellmeisters vorgeführt wurde, eine wiederum mir von seiten des Dresdener Publikums ungewohnte, laue Aufnahme fand. Nach dem Konzert fand noch Festsouper statt, bei welchem, da nun doch mancherlei geredet wurde, auch ich sehr ungeniert der Kapelle meine Ansichten über das, was zu ihrer Vervollkommnung in der Zukunft noch wünschenswert sei, laut und bestimmt aussprach. Hierbei äußerte Marschner, welcher in seiner Qualität als ehemaliger Dresdener Musikdirektor zur Mitfeier des Jubiläums eingeladen war, daß ich mir durch meine zu gute Meinung von den Musikern viel schaden würde. Ich sollte doch nur bedenken, mit welchen ungebildeten, nur für ihr Instrument abgerichteten Leuten ich hier zu tun hätte, und ob man da, wenn man ihnen von Kunstbestrebungen vorrede, etwas anderes als Verwirrung oder wohl gar böses Blut machen könne. – Von schönerer Erinnerung als diese Festlichkeiten ist die stille Gedenkfeier Webers auf mich geblieben, welche uns am Morgen dieses Jubeltages auf dem Kirchhofe zur Bekränzung des Grabes desselben vereinigt hatte. Da hierbei niemand ein Wort fand und auch [391] Marschner nur einen höchst trockenen, ja fast burschikos klingenden Gruß an den dahingeschiedenen Meister herausbrachte, fühlte ich mich gedrungen, in einigen herzlichen Worten der beabsichtigten Erinnerungsfeier ihren Ausdruck zu geben.

Diese kurze Unterbrechung durch künstlerische Anregung verlor sich schnell wieder vor den neuen Eindrücken, welche aus der politischen Welt auf alles daherdrangen. Die Wiener Oktoberereignisse verbreiteten auch bei uns leidenschaftlichste Teilnahme; rote und schwarze Plakate starrten mit Aufrufen zu Zuzügen nach Wien, mit Verwünschung der »roten Monarchie« im Gegensatz zur verpönten »roten Republik« und ähnlichen aufreizenden Dingen täglich von den Mauern herab. Außer für diejenigen, welche in den Gang dieser Ereignisse genau eingeweiht waren und welche bei uns allerdings nicht auf der Straße herumliefen, verbreiteten diese Vorgänge eine außerordentlich unheimliche Spannung. Als Windischgrätz in Wien eingezogen, Fröbel begnadigt, Blum aber erschossen worden war, hatte es den Anschein, als ob selbst in Dresden alles bersten sollte. Für Blum ward eine große Trauerdemonstration mit unabsehbarem Zug durch die Straßen veranstaltet; das Ministerium schritt an der Spitze dieser Trauerprozession; mit großem Vergnügen ward namentlich der bereits höchst bedenkliche Herr von der Pfordten in kummervollster Beteiligung hierbei wahrgenommen. Von nun an trat eine immer düsterere, auf üble Entscheidung sich vorbereitende Stimmung ziemlich allseitig ein. Man ging so weit, den Tod Blums, welcher durch seine Agitation in Leipzig seinerzeit sich besonders verhaßt und gefürchtet gemacht hatte, als einen Freundschaftsdienst der Erzherzogin Sophie gegen ihre Schwester, die Königin von Sachsen, ziemlich unumwunden zu denunzieren. Scharen von Wiener Flüchtlingen in der Tracht der Akademischen Legion gelangten nach Dresden und vermehrten die dortige Bevölkerung mit den drohenden Gestalten, die von jetzt an dort immer heimischer sich bewegten. Als ich eines Tages mich in das Theater begeben wollte, um eine Aufführung meines »Rienzi« zu dirigieren, meldete mir der Kapelldiener, daß mehrere fremde Herren nach mir gefragt hätten; alsbald stellten sich ein halbes Dutzend solcher Gestalten ein, begrüßten mich als Bruder Demokraten und baten mich um Vermittelung eines freien Eintritts. Nun erkannte ich wirklich gerade in einem kleinen buckligen Menschen mit schrecklich verbogenem Kalabreserhute einen ehemaligen Belletristen, Häfner, welcher mir vor kurzem bei meinem Besuch in jenem Wiener politischen Klub durch Uhl vorgestellt worden war. So groß nun auch meine Verlegenheit bei dieser von unseren Kapellisten mit höchstem Staunen wahrgenommenen Begegnung war, so fühlte ich doch nicht den mindesten Drang, ihr ein beschämendes Zugeständnis zu machen; ich ging ruhig an die Kasse, ließ mir sechs Billette geben und überreichte sie den sonderbaren Gestalten, welche vor aller Welt mit herzlichen Händedrücken von mir schieden. Ob ich seit diesem Abende nach der Meinung unserer Theaterangehörigen und[392] anderer Beteiligten in meiner Dresdener Kapellmeisterstellung mich besonders befestigt hatte, muß ich bezweifeln; gewiß aber ist, daß ich an keinem Abende so rasend nach jedem Akte herausgerufen wurde als bei dieser Aufführung des »Rienzi«.

Überhaupt schien sich jetzt im Theaterpublikum gegenüber derjenigen Zusammensetzung desselben, welche in jenem Kapellfest-Konzerte mir offenbare Kälte bezeigt hatte, eine fast leidenschaftlich mir ergebene Partei gebildet zu haben. Gleichviel, ob im »Tannhäuser« oder »Rienzi«, stets ward ich besonders mit Beifall ausgezeichnet, und wenn auch in der Tendenz dieser Partei manches Abschreckende für unseren Intendanten liegen mochte, so glaubte er doch eine gewisse Scheu vor mir tragen zu müssen. Eines Tages eröffnete mir Herr von Lüttichau das Anerbieten, meinen »Lohengrin« demnächst zur Aufführung zu bringen: ich erklärte ihm die Gründe, weshalb ich ihm mein Werk bisher nicht angeboten habe, sowie daß ich, da das Opernpersonal mir genügend schien, die Aufführung gern betreiben würde. Um diese Zeit war der Sohn meines alten Freundes Ferdinand Heine aus Paris zurückgekommen, wo er bei den Meistern Despléchin und Dieterle im Auftrage der Dresdener Direktion die Dekorationsmalerei erlernt hatte. Dieser sollte nun, um beim Dresdener Hoftheater eine entsprechende Anstellung zu erhalten, hierfür sein Probestück ablegen. Er hatte sich hierzu die Dekorationen zu »Lohengrin« anfertigen zu dürfen ausgebeten, was eben Herrn v. Lüttichau veranlaßt hatte, sein Auge auf mein neuestes Werk zu lenken; da ich nun meine Zustimmung gegeben, wurde auch dem jungen Heine die Zusage der Erfüllung seines Wunsches gemacht.

Ich begrüßte diese Wendung mit großer Befriedigung, da ich in der Beschäftigung mit dem Studium gerade dieses Werkes eine heilsame, wie ich hoffte, entscheidende Ableitung von allen Aufregungen und Verwirrungen der letzten Zeit zu finden glaubte. Desto größer war mein Schrecken, als eines Tages der junge Wilhelm Heine mit der Nachricht bei mir eintrat, die Dekorationen zu »Lohengrin« seien plötzlich bei ihm abbestellt und dagegen die Illustrierung einer andern Oper ihm aufgegeben worden. Ich sagte kein Wort und frug auch dem Grunde dieses auffallenden Benehmens in keiner Weise nach. Spätere Versicherungen des Herrn von Lüttichau an meine Frau müßten, wenn sie durchaus wahrhaftig waren, mich bereuen lassen, die ganze Schuld dieser Kränkung hauptsächlich auf ihn geworfen und dadurch mich nun unwiderbringlich von ihm abgewendet zu haben. Nach längeren Jahren hierüber befragt, hat er nämlich versichert, die Stimmung am Hofe sei damals noch so heftig gegen mich eingenommen gewesen, daß er mit seinem ernstlich gemeinten Antrage, mein Werk aufzuführen, auf unüberwindliche Schwierigkeiten gestoßen sei. – Wie dem nun sei, die Bitterkeit, welche ich jetzt empfand, wirkte entscheidend auf meine Stimmung, und indem ich von meiner letzten Hoffnung auf eine Versöhnung mit dem Theater durch eine schöne Aufführung meines »Lohengrin« mich[393] schweigend abwandte, kehrte ich von nun an dem Theater und jedem Versuche, mich mit ihm zu befassen, überhaupt und grundsätzlich den Rücken, was ich einerseits in meiner gänzlichen Rücksichtslosigkeit in betreff der Forterhaltung meiner Dresdener Kapellmeisterstellung, andrerseits durch künstlerische Entwürfe, welche mich ganz von der Möglichkeit eines Befassens mit unserem modernen Theaterwesen abführten, aussprach.

Jetzt ging ich daran, den lange mit Scheu gehegten Plan von »Siegfrieds Tod« auszuführen. Hierbei dachte ich nun allerdings nicht mehr an das Dresdener noch an irgendein Hoftheater der Welt, sondern einzig daran, etwas zu unternehmen, was mich ein für allemal von diesem unsinnigen Verkehr abbringen sollte. Staunend nahm Eduard Devrient, mit welchem ich, da damals mit Röckel nach dieser Seite hin durchaus nichts mehr anzufangen war, einzig noch über Theater und dramatische Kunst verkehrte, mein nach seiner Vollendung von mir ihm vorgelesenes Gedicht auf. Er erkannte die Tendenz, mich hiermit außer allem hoffnungsvollen Verkehr mit der modernen Theaterwelt zu setzen, und mochte natürlich dies durchaus nicht billigen. Dagegen versuchte er sich mit meiner Arbeit dahin zu befreunden, daß sie am Ende doch immer noch als nicht gar zu befremdlich und wirklich aufführbar zu denken sein sollte. Wie ernstlich er dies meinte, bewies er durch den Nachweis eines Fehlers, der darin bestehe, daß ich dem Publikum doch gar zuviel zumute, wenn es sich aus kurzen epischen Andeutungen so sehr viel, was meinem Stoffe das richtige Verständnis geben sollte, zu ergänzen hätte. Er wies darauf hin, daß, ehe man Siegfried und Brünnhilde in ihrem feindseligen Konflikte vor sich sähe, dieses Paar zuvor in seinem wahren, ungetrübten Verhältnis einmal kennengelernt worden sein müßte. Ich hatte nämlich das Gedicht von »Siegfrieds Tod« gerade nur mit den Szenen, welche auch jetzt noch den ersten Akt der »Götterdämmerung« bilden, begonnen und alles auf das vorangehende Verhältnis Siegfrieds zu Brünnhilde Deutende nur in einem Zwiegespräch der einsam zurückgelassenen Gemahlin des Helden mit dem an ihrem Felsen vorüberziehenden Heere der Walküren in einem lyrisch-epischen Dialog dem Zuhörer erläutert. Der hiermit von Devrient gegebene Wink brachte mich zu meiner Freude sofort auf die Szenen, welche ich im Vorspiel zu diesem Drama ausgeführt habe.

Durch diese und ähnliche ziemlich nahe Berührungen belebte sich um jene Zeit mein Verhältnis zu Eduard Devrient in immer erfreulicherer Weise. Öfters lud er eine gewählte Zuhörerschaft zu dramatischen Vorlesungen in seinem Hause ein, denen ich gern beiwohnte, da hierbei zu meiner Überraschung die Begabung, welche dem Vorleser auf der Bühne selbst abging, wohlerkenntlich hervortrat. Andrerseits war es mir tröstlich, über mein im größten Verfall begriffenes Verhältnis zu unserem Generaldirektor mich wohlverstanden mitteilen zu können. Devrient schien es hierbei viel daran zu liegen, einen vollen Bruch abzuwenden; nur war dafür wenig[394] Hoffnung vorhanden. Nachdem mit dem Herannahen des Winters der königliche Hof wieder in die Stadt zurückgekehrt war, und als dieser nun die Theatervorstellungen von neuem häufig besuchte, wurden mir wiederholt Zeichen hoher Unzufriedenheit mit meiner Wirksamkeit als Kapellmeister insinuiert. Es schien der Königin einmal, daß ich in »Norma« »schlecht dirigiert«, ein anderes Mal in »Robert dem Teufel« »den Takt unrichtig geschlagen« habe; und da mir Herr von Lüttichau diese Reprimanden zu notifizieren hatte, konnten die bei solchen Gelegenheiten gepflogenen Unterhaltungen natürlich nicht zur Wiederherstellung eines ersprießlichen Vernehmens zwischen uns beiden beitragen.

Demungeachtet schien es immer noch nicht zu einem Äußersten kommen zu dürfen, da eben alles gärte und in einer leidenschaftlichen Ungewißheit sich erhielt. Jedenfalls war die nach jeder Seite hin sich vorbereitende Reaktion wenigstens des Zeitpunktes ihres vollkommenen Sieges noch nicht so sicher, daß nicht für jetzt jedes Aufsehen noch zu vermeiden als rätlich angesehen worden wäre. So ließ auch unsere Generaldirektion die Musiker der Königl. Kapelle unbehindert gewähren, welche, dem Geiste der Zeit folgend, sich zu einem Verein zur Beratung und Wahrung ihrer künstlerischen wie bürgerlichen Interessen konstituiert hatten. Hierfür war besonders einer der jüngsten Musiker, Theodor Uhlig, von besonderer Tätigkeit gewesen. Dieser, als Violinist im Orchester angestellt, war ein junger Mensch in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre, von auffallend zarter, intelligenter und edler Gesichtsbildung, der sich durch seinen großen Ernst, seinen ruhigen und doch ungemein festen Charakter vor all seinen Genossen auszeichnete, meine besondere Aufmerksamkeit aber durch wenige Gelegenheiten, in welchen er mir seinen scharfen Blick und seine umfassenden musikalischen Kenntnisse gezeigt hatte, auf sich zog. Bald erwählte ich ihn mir, da ich in jeder Hinsicht Aufgewecktheit und einen ungemeinen Bildungstrieb an ihm wahrnahm, als Begleiter auf den von mir fortgesetzten Spaziergängen, auf welchen sonst Röckel mir zur Seite gewandert war. Er veranlaßte mich nun auch, zur Belebung und Befeuerung der dort sich kundtuenden löblichen Tendenzen mich in einer Versammlung jenes Kapellmitglieder-Vereines zu zeigen und vernehmen zu lassen. Ich teilte den Leuten, welche mich mit großer Spannung anhörten, den Inhalt meiner vor einem Jahre von dem Generaldirektor zurückgewiesenen Arbeit über eine Reform der Kapelle sowie meine damit verfolgten Absichten und Pläne mit. Zugleich mußte ich ihnen bezeugen, daß ich für die Ausführung ähnlicher Entwürfe alle Hoffnung auf die Generaldirektion verloren habe und dagegen es ihnen selbst nun anempfehlen müsse, kräftig die Initiative dafür zu ergreifen. Man nahm dies mit enthusiastischem Beifall auf. Ließ nun, wie ich vorhin sagte, Herr v. Lüttichau diese Musiker in ihrer einigermaßen demokratisch sich gebarenden Vereinigung wohl gewähren, so sorgte er doch dafür durch Spione, namentlich einen zum Abscheu aller Kapellmitglieder[395] von der Intendanz besonderlich protegierten widerwärtigen Hornisten Levy, sich stets über die hochverräterischen Bewegungen des Vereines unterrichten. So hatte er denn auch von meinem Auftreten daselbst genaue, ja wohl übertriebene Kenntnis erhalten und hielt es nun für an der Zeit, mich einmal wieder seine Autorität fühlen zu lassen. Ich wurde offiziell zu ihm zitiert und hatte nun den Ausdruck seines lang verhaltenen Zornes über verschiedenes Vorgefallene zu vernehmen, bei welcher Gelegenheit ich auch von seiner Kenntnisnahme meines den Ministern überreichten Theaterreformplanes erfuhr. Er verriet mir dies mit einer populären Dresdener Redensart, welche ich bis dahin noch nicht vernommen hatte: er wisse nämlich – so sagte er – recht gut, daß ich auch mit einer Eingabe über das Theater mich ihm an den Laden gelegt hätte. Ich hielt denn nun mit meinen Gegenansichten über das zwischen uns bestehende Verhältnis nicht zurück; da er mir drohte, an den König zu berichten und auf meine Entlassung anzutragen, so überließ ich ihm mit großer Ruhe, hierin ganz nach seinem Belieben zu verfahren, da ich von der Gerechtigkeit des Königs wohl jedenfalls mir zu verhoffen habe, daß derselbe auf meine Anklage auch meine Verteidigung hören werde, zu welcher veranlaßt zu werden ich mir nur wünschen könne, da ich sonst keinen andern schicklichen Weg ersähe, mich über das an den König auszusprechen, worüber ich mich nicht nur in meinem, sondern auch im Interesse des Theaters und der Kunst zu beklagen habe. Das hörte nun Herr v. Lüttichau wieder nicht gern und frug mich dagegen, wie denn nur, wenn er mit mir auszukommen suchen wolle, ihm dies meinerseits ermöglicht werden sollte, da ich doch unverhohlen erkläre, daß an ihm (wie er sich ausdrückte) »Hopfen und Malz verloren« seien. Mit gegenseitigem Achselzucken waren wir genötigt, von dieser Konferenz auseinanderzugehen. Dies schien meinen ehemaligen Gönner denn doch in Pein versetzt zu haben; er wandte sich an die Besonnenheit und Mäßigung Eduard Devrients, um mir durch Zureden es anzuempfehlen, ein ferneres Auskommen zwischen uns zu ermöglichen. Trotz seines Ernstes mußte Devrient, nachdem wir seinen Auftrag diskutiert, lächelnd zugestehen, daß hier eben nicht viel zu tun sei, und da ich standhaft erklärte, unter keiner Bedingung mehr mich zu theaterdienstlichen Beratungen bei ihm einzustellen, am Ende der Direktor wohl sehen müßte, wie seine Weisheit die Sache auch allein fortführe.

Die Folge der höfischen und direktorialen Ungnade ließ sich für die Zeit, welche das Schicksal mir noch als Dresdener Kapellmeister auszuhalten bestimmt hatte, in allem gewahren. Die im vorigen Winter von mir eingerichteten Kapellkonzerte wurden für dieses Jahr unter Reissigers Direktion gestellt. Sie nahmen in jeder Beziehung sogleich wieder die altgewohnte Unbedeutendheit gewöhnlicher Konzertaufführungen an; die Teilnahme[396] des Publikums verlor sich schnell, mit Mühe wurde die Unternehmung für einen spätern Fortgang erhalten. In der Oper hatte ich die Wiederaufnahme des »Fliegenden Holländers«, für welchen ich nun in dem gereiften Talent Mitterwurzers einen vorzüglich hoffnungsvollen Darsteller gefunden hatte, nicht durchsetzen können. Meine Nichte Johanna, welche ich für die Rolle der Senta bestimmt hatte, fand die Partie unbequem, zudem wenig Gelegenheit zu glänzendem Kostüme bietend, wogegen sie »Zampa« und »Favorite« ihrem neuen Protektor, meinem ehemaligen »Rienzi«- enthusiastischen Tichatschek zulieb, auch der für jede dieser Rollen von der Direktion ihr zu liefernden drei brillanten Anzüge wegen vorzog. Überhaupt war zwischen diesen beiden damaligen Matadoren der Dresdener Oper es zu einem Widerstandsbündnis gegen meinen Rigorismus im Betreff des Opernrepertoires gekommen, dessen Feindseligkeit sich mit dem Durchsetzen eben jener Donizettischen »Favorite«, deren Arrangements ich einst in Paris für Schlesinger hatte anfertigen müssen, zu meiner Beschämung entschied. Diese Oper, deren Hauptpartie meiner Nichte, auch nach dem Dafürhalten ihres Vaters, sehr bequem in der Stimme lag, hatte ich zwar anfangs mit aller Energie abgewiesen; da man nun aber meiner Zerwürfnisse mit der Direktion und meiner freiwilligen Einflußlosigkeit, endlich meiner offenbaren Ungnade innewurde, hielt man die Umstände für günstig, gerade mich selbst, da die Reihe an mir war, zu zwingen, diese widerwärtige Oper zu dirigieren. Außerdem bestand meine Hauptbeschäftigung im Königl. Theater in der Direktion der Oper »Martha« von Flotow, welche zwar nie das Publikum eigentlich anzog, ihrer Repertoire-Bequemlichkeit wegen aber übermäßig oft zur Aushilfe herbeigezogen wurde. Blickte ich somit auf den Erfolg meiner nun in das siebente Jahr reichenden Dresdener Tätigkeit zurück, so war dies mehr als demütigend in Betracht der vielen und energischen Anregungen, die ich mir nach allen Seiten hin dem Königl. Institut zugewendet zu haben bewußt war. Ich hatte mir deutlich zu sagen, daß, wenn ich jetzt Dresden verließ, nicht die mindeste Spur davon dort zurückbleiben würde. Aus vielen Anzeichen hatte ich auch abzunehmen, daß, wenn es je zu Klage und Verantwortung zwischen mir und dem Generaldirektor vor dem Könige kommen sollte, möge das Urteil des Monarchen auch mir günstig ausfallen, dennoch der Konsequenz wegen dem Hofmann gegen mich recht gegeben werden würde. – Noch einmal am Palmsonntage des neuen Jahres 1849 erlebte ich eine schöne Genugtuung. Die Kapelle hatte, um sich einer großen Einnahme zu versichern, nochmals zur Aufführung der Neunten Symphonie Beethovens gegriffen; alles bot seine besten Kräfte auf, diese zu einer der schönsten zu machen; das Publikum nahm sie mit offenbarer Begeisterung auf. Der Generalprobe hatte heimlich und vor der Polizei verborgen Michael Bakunin beigewohnt; er trat ohne Scheu nach der Beendigung derselben zu mir an das Orchester, um mir laut zuzurufen, daß, wenn alle Musik bei dem erwarteten großen Weltenbrande verlorengehen[397] sollte, wir für die Erhaltung dieser Symphonie mit Gefahr unseres Lebens einzustehen uns verbinden wollten. Wenige Wochen nach dieser letzten Aufführung schien dieser »Weltenbrand« von den Straßen Dresdens aus sich wirklich entzünden zu wollen, und Bakunin, mit welchem ich bis dahin in sonderbarer und ungewöhnlicher Weise in näheren Umgang getreten war, schien dabei wirklich das Amt eines Oberfeuerwerkers übernehmen zu sollen.

Bereits seit längerer Zeit hatte ich die Bekanntschaft dieses sehr ungewöhnlichen Menschen gemacht. Schon vor Jahren war mir sein Name aus den Zeitungen unter außerordentlichen Umständen aufgestoßen. Als Russe war er in einer Pariser Polenversammlung aufgetreten mit der Erklärung, ob Russe oder Pole gelte nichts, aber ob man ein freier Mann sein wolle, gelte alles. In späterer Zeit erfuhr ich durch Georg Herwegh, daß er eben damals in Paris allen seinen Hilfsquellen als Glied einer bedeutenden russischen Familie entsagt hatte und eines Tages, da sein Vermögen nur noch aus zwei Franken bestand, diese auf dem Boulevard einem Bettler abgetreten habe, weil es ihm peinlich war, durch diesen Besitz an irgendeine Vorsicht für das Leben noch gebunden zu sein. Sein Aufenthalt in Dresden wurde mir eines Tages von Röckel, als dieser schon gänzlich in die Wildnis übergetreten war, gemeldet, und zwar mit der Einladung, in Röckels eigener Wohnung, wo jener aufgenommen worden war, seine Bekanntschaft zu machen. Bakunin war nämlich wegen seiner Beteiligung an den Prager Ereignissen im Sommer 1848, als Teilnehmer an dem ihnen vorangehenden Slawenkongreß daselbst, von der österreichischen Regierung verfolgt und hatte sich nun hiergegen zu schützen, indem er zugleich nicht weit von Böhmen sich zu entfernen suchte. Das besondere Aufsehen, welches er auch in Prag erregt, war daher gekommen, daß er den Tschechen, welche besonders in Rußland ihre Stütze gegen die gefürchtete Germanisierung gesucht hatten, zurief, eben gegen diese Russen wie gegen jeden andern Volksstamm sich mit Feuer und Schwert zu verteidigen, sobald sie unter der Führung eines Despotismus wie der des russischen Zaren sich befänden. Diese oberflächliche Kenntnisnahme von der Tendenz Bakunins hatte genügt, die reinen nationalen Vorurteile des Deutschen gegen ihn in anziehender Weise zu zerstreuen. Als ich ihn nun selbst im dürftigen Schutze der Röckelschen Gastfreundschaft antraf, war ich zunächst durch die fremdartige, durchaus imposante Persönlichkeit dieses Mannes, der damals in der Blüte der dreißiger Jahre stand, wahrhaft überrascht. Alles war an ihm kolossal, mit einer auf primitive Frische deutenden Wucht. Ich habe nie den Eindruck von ihm empfangen, als ob er besonders viel auf meine Bekanntschaft gäbe, da ihm im Grunde auf geistig begabte Menschen nicht mehr viel anzukommen schien, wogegen er einzig rücksichtslos tatkräftige Naturen verlangte; wie es mir späterhin aufging, war aber auch hierin die theoretische Forderung in ihm tätiger als das rein persönliche Gefühl, denn[398] er konnte eben hierüber viel sprechen und sich erklären: überhaupt hatte er sich an das Sokratische Element der mündlichen Diskussion gewöhnt, und augenscheinlich war es ihm wohl, wenn er sich, auf dem harten Kanapee seines Gastfreundes ausgestreckt, mit recht viel verschiedenartigen Menschen über die Probleme der Revolution diskursiv vernehmen lassen konnte. Bei diesen Gelegenheiten blieb er stets siegreich; es war unmöglich, gegen seine bis über die äußersten Grenzen des Radikalismus nach jeder Seite hin mit größter Sicherheit ausgedrückten Argumente sich zu behaupten. Er war so mitteilsam, am ersten Abend unserer Zusammenkunft mich über den Gang seiner Entwickelung zu unterrichten. Als russischer Offizier von vornehmer Familie hatte ihn, den unter dem Drucke des borniertesten Militärzwangs Leidenden, die Lektüre Rousseauscher Schriften dahin gebracht, unter dem Vorwand eines Urlaubes nach Deutschland sich zu flüchten; dort in Berlin hatte er sich mit dem Eifer eines zur Kultur erwachenden Barbaren auf die Philosophie geworfen; es war die Hegelsche Philosophie, welche er als herrschende antraf und in welcher er sich schnell so weit schulte, daß er die renommiertesten Jünger des Meisters mit einem in streng Hegelscher Dialektik sich bewegenden Aufsatze aus dem Sattel ihrer eigenen Philosophie warf. Nachdem er so die Philosophie nach seinen Aussprüchen in sich beiseite gebracht, war er nach der Schweiz gegangen, hatte dort den Kommunismus gepredigt und war über Frankreich und Deutschland nun wieder an die Grenzen der slawischen Welt zurückgekehrt, von welcher er, ihrer mindesten Verdorbenheit durch die Zivilisation wegen, das Heil der Regeneration der Menschheit erwartete. Seine Hoffnung in diesem Betreff gründete er in Wirklichkeit auf den im russischen Nationalcharakter am stärksten ausgeprägten Typus der Slawen. Als Grundzug desselben glaubte er naive Brüderlichkeit und den Instinkt des Tieres gegen den verfolgenden Menschen im natürlichen Hasse des russischen Bauers gegen den ihn quälenden Edelmann zu erkennen. Hierfür berief er sich auf die kindisch-dämonische Freude des russischen Volkes am Feuer, auf welche schon Rostopschin sein Stratagem gegen Napoleon beim Brande von Moskau berechnet hatte. Er meinte, dem russischen Bauern, in welchem die natürliche Güte der bedrückten menschlichen Natur sich am kindlichsten erhalten habe, sei nur beizubringen, daß die Verbrennung der Schlösser seiner Herren mit allem, was darin und daran, vollkommen gerecht und Gott wohlgefällig sei, um eine Bewegung über die Welt hervorzurufen, aus welcher mindestens doch eben die Zerstörung alles dessen hervorgehen müsse, was, aus dem tiefsten Grunde beleuchtet, selbst dem philosophischsten Denker des zivilisierten Europas als eigentlicher Quell des Elendes der ganzen modernen Welt erkenntlich sein müßte. Diese zerstörende Kraft in Bewegung zu setzen, dünkte ihm das einzig würdige Ziel der Tätigkeit eines vernünftigen Menschen. (Während Bakunin solche furchtbare Lehren in seiner Weise predigte, unterließ er nicht, da er bemerkte, daß ich an den Augen litt, trotz[399] meiner Abwehr den grellen Schein des Lichtes auf mich durch seine vorgehaltene breite Hand eine volle Stunde lang abzuhalten.) Diese Zerstörung aller Zivilisation war das seinem Enthusiasmus vorschwebende Ziel; hierfür aller Hebel der politischen Bewegung als Hilfsmittel sich zu bedienen, war seine einstweilige, oft zur ironischen Heiterkeit dienende Unterhaltung. Er empfing in seinem Versteck allen Nuancen der Revolution angehörende Persönlichkeiten; am nächsten standen ihm diejenigen der slawischen Nationalität, weil er diese für das erste am erfolgreichsten auf die Zerstörung des russischen Despotismus zu verwenden erachten konnte. Von den Franzosen, trotz ihrer Republik und ihres Proudhonschen Sozialismus, hielt er nicht das mindeste. Über die Deutschen äußerte er sich mir nie. Demokratie, Republik und alles, was ihnen gleicht, war ihm keiner ernstlichen Beachtung wert; jedem Einwurf, der ihm von solchen gemacht wurde, welche an die Rekonstruktion des zu Zerstörenden dachten, wußte er mit vernichtender Kritik entgegenzutreten. Ich entsinne mich, daß ein Pole, von seinen Theorien erschreckt, ihm entgegenhielt, daß denn doch immer eine staatliche Organisation vorhanden sein müsse, welche dem einzelnen die Ausbeute des von ihm bebauten Feldes gewährleiste; diesem erwiderte er: »Du wirst also dein Feld sorgfältig abzäunen und somit der Polizei von neuem zu leben geben müssen.« Der Pole schwieg betroffen. Seine Tröstung bestand dann darin, daß er darauf deutete, wie Konstruktoren der neuen Weltordnung sich ganz von selbst finden würden; daß wir dagegen nach nichts anderem zu fragen hätten, als woher die Kraft der Zerstörung zu nehmen; ob denn einer von uns so wahnsinnig sein könne zu glauben, daß er über das Ziel der Zerstörung hinaus noch bestehen können würde? Man solle sich nur die ganze europäische Welt, mit Petersburg, Paris und London, in einen Schutthaufen verwandelt denken: ob den Brandstiftern über diese ungeheuren Trümmer hinweg noch eine Besinnung zuzutrauen sein könnte? Jeden, der sich bereit zur Aufopferung erklärte, wußte er zu verwirren, wenn er ihn darauf verwies, daß nicht die sogenannten Tyrannen das Furchtbare seien, sondern die behaglichen Philister, unter denen er als Typus den protestantischen Pfarrer aufstellte, an dessen Menschwerdung er nicht eher glauben wollte, als bis er selbst sein Pfarrhaus mit Weib und Kind den Flammen übergeben hätte.

Gegen so furchtbare Behauptungen blieb ich eine Zeitlang um so verlegener, als Bakunin andrerseits sich als wirklich liebenswürdiger, zartfühlender Mensch mir kundtat. Keine meiner tief verzweifelten Besorgnisse für die ewige Gefährdung meiner idealen Wünsche für die Kunst schien ihm unverständlich zu bleiben. Zwar wies er es zurück, über meine Kunstpläne näher unterrichtet zu werden. Meine Nibelungenarbeiten wollte er nicht kennenlernen. Ich hatte damals, von der Lektüre der Evangelien angezogen, einen für die ideale Bühne der Zukunft entworfenen Plan zu einer Tragödie »Jesus von Nazareth« verfaßt; Bakunin bat mich, ihn mit[400] der Bekanntmachung damit zu verschonen; da ich ihn durch einige mündliche Andeutungen meines Planes dafür zu gewinnen schien, wünschte er mir Glück, bat mich aber völlig inständig, Jesus jedenfalls als schwach erscheinen zu lassen. In betreff der Musik riet er mir in allen Variationen die Komposition nur eines Textes an: der Tenor solle singen: »Köpfet ihn!«, der Sopran: »Hängt ihn!« und der Basso continuo: »Feuer, Feuer!« Nun wurde ich mir doch wieder eines seltsam behaglichen Gefühles über diesen ungeheuerlichen Menschen bewußt, als ich ihn eines Tages dazu brachte, die ersten Szenen meines »Fliegenden Holländers« von mir sich vorspielen und vorsingen zu lassen. Als ich eine Pause machte, rief er, nachdem er mir aufmerksamer als irgendein andrer zugehört, zu: »Das ist ungeheuer schön!« und wollte immer mehr davon hören. Da er das traurige Leben eines ewig Versteckten zu führen hatte, lud ich ihn des Abends manchmal zu mir ein; meine Frau setzte ihm zum Abendbrot zierlich geschnittene Wurst und Fleischstückchen vor, welche er, ohne sie nach sächsischer Weise spärlich auf das Brot zu verteilen, sogleich haufenweise verschlang; da ich Minnas Entsetzen hierüber gewahrte, machte ich mich wirklich der Schwäche schuldig, ihn darauf aufmerksam zu machen, wie man bei uns sich dieser Zubereitung bediene, worauf er mir lächelnd beteuerte, er habe ja genug, man solle es ihm nur gönnen, das Vorgesetzte auf seine Weise zu verzehren. In gleicher Weise befremdete mich sein Genuß des Weines in den üblichen kleinen Gläsern; überhaupt war ihm der Wein widerwärtig, welcher das Bedürfnis nach alkoholischer Aufregung in so philisterhaft ausgedehnten und verteilten Dosen zu befriedigen suchte, wogegen ein kräftiger Zug Branntwein mit einemmal und schnell diesen doch immer nur beiläufig zu erzielenden Zweck erreichte. Das Widerwärtigste in allem war ihm das Behagen an der Ausdehnung des Genusses durch berechnete Mäßigung, während einem wahren Menschen doch nur die nötige Stillung des Bedürfnisses hieraus erwachsen dürfe und der einzige Genuß des Lebens menschenwürdig allein in der Liebe bestehen könnte.

Wie an diesen und ähnlichen unscheinbaren Zügen es sich herausstellte, daß in diesem merkwürdigen Menschen eine völlig kulturfeindliche Wildheit mit der Forderung des reinsten Ideales der Menschlichkeit sich berührte, so waren die Eindrücke meines Umganges mit ihm schwankend zwischen unwillkürlichem Schrecken und unwiderstehlicher Angezogenheit. Ich holte ihn öfters zu meinen einsamen Wanderungen ab, auf denen er mir, da er hier seinen Verfolgern nicht zu begegnen fürchten durfte, schon der ihm nötigen Leibesbewegung wegen gern folgte. Meine Versuche, ihn bei den hierbei gepflogenen Besprechungen mit der Bedeutung meiner Kunsttendenzen eindringender bekannt zu machen, blieben, solange wir eben das Feld der bloßen Diskussion nicht verlassen konnten, ohne Erfolg. Alles dies schien ihm zu verfrüht; er wollte durchaus nicht zugeben, daß aus den Bedürfnissen der schlechten Gegenwart die Gesetze für eine Zukunft bestimmt[401] würden, welche aus ganz anderen Voraussetzungen der gesellschaftlichen Bildung sich zu gestalten habe. Während er so schließlich immer nur auf Zerstörung und wieder Zerstörung drang, hatte ich mich endlich zu fragen, wie mein wunderlicher Freund denn eigentlich diese Zerstörung ins Werk zu setzen gedächte; und hier traf es sich denn, daß, wie ich damals schon ahnte und es sich bald sehr klar herausstellte, bei diesem Manne der unbedingten Aktion hier alles auf den bodenlosesten Voraussetzungen beruhte. Mußte ich mit meinen Hoffnungen für eine künftige künstlerische Gestaltung der menschlichen Gesellschaft ihm gänzlich unpraktisch in der Luft schwebend erscheinen, so lag es bald am Tage, daß seine Annahmen in betreff der unerläßlichen Zerstörung aller vorhandenen Kulturinstitutionen zum mindesten nicht weniger unbegründet waren. Dem ersten Anschein nach bedünkte es mich allerdings, als ob Bakunin das Zentrum einer Universalkonspiration sei; am Ende führten sich seine praktischen Pläne jedoch zunächst auf das ungefähre Vorhaben einer neuen Revolutionierung Prags zurück, welche sich auf nichts anderes als eine Verbindung einiger Studenten begründete. Als er glaubte, daß die Zeit des Losbruchs hierfür gekommen sei, bereitete er sich eines Abends auf die für ihn nicht gefahrlose Reise nach Prag unter dem Schutze eines Passes für einen englischen Kaufmann vor. Hierzu mußte er sein ungeheures lockiges Bart- und Haupthaar, der philisterhaftesten Kultur entsprechend, verschneiden und rasieren lassen; da hierzu kein Barbier zu verwenden war, hatte Röckel dessen Amt zu übernehmen; ein kleiner Kreis von Bekannten wohnte dieser Operation bei, welche mit einem stumpfen Rasiermesser unter anhaltenden Schmerzen, gegen die nur der Patient unempfindlich blieb, ausgeführt wurde. Man entließ Bakunin mit der Voraussetzung, ihn lebendig nicht wiederzusehen. Nach acht Tagen war er aber bereits wieder zurück, da er erkannt, wie leichtsinnig er über die Prager Angelegenheiten unterrichtet gewesen war, und er mit nichts als einer Handvoll halb kindischer Studenten zu tun gehabt hatte. Er zog sich durch diese Bekenntnisse Röckels gutmütigen Spott zu und geriet bei uns nun überhaupt in den Ruf eines Revolutionärs, welcher in der theoretischen Konspiration steckenbliebe. Ungefähr wie seine Erwartungen von den Prager Studenten haben sich später alle seine Voraussetzungen in betreff des russischen Volkes als grundlos und auf willkürliche Annahme von der Natur der Dinge beruhend herausgestellt, so daß ich den Ruf der ungeheuren Gefährlichkeit, in welchen dieser Mann nach jeder Seite hin geraten war, nur aus seinen hie und da verlauteten theoretischen Ansichten, nie aber aus einem wirklichen Bekanntwerden mit seiner praktischen Tätigkeit mir zu erklären hatte. Nur sollte ich allerdings auch fast als Augenzeuge erfahren, daß sein ganz persönliches Benehmen nie einen Augenblick durch Rücksichten bestimmt wurde, wie man sie bei denjenigen anzutreffen gewohnt ist, welchen es mit ihren Theorien nicht wahrhafter Ernst ist. Dies sollte sich bald bei dem verhängnisvollen Aufstand im Mai 1849 zeigen. –[402]

Der Winter dieses Jahres bis zum Frühjahr 1849 war mir unter der verschiedenartigen Entwickelung meiner Lage und Stimmung, wie ich sie bezeichnet, in dumpfer Gärung verstrichen. Jener kurz erwähnte Entwurf zu einem fünfaktigen Drama »Jesus von Nazareth«, gegen Neujahr, war meine letzte künstlerische Beschäftigung geblieben. Von nun an dämmerte ich unstet brütend und wunschlos erwartungsvoll dahin. Daß es mit meiner Dresdener Wirksamkeit als Künstler ein Ende hatte, auch meine dortige Stellung mir nur noch eine Last war, für deren Abschüttelung ich bloß der Nötigung der Verhältnisse entgegensah, lag mir klar im Bewußtsein. Auf der andern Seite drängte die ganze politische Situation Deutschlands wie Sachsens auf eine unausbleibliche Katastrophe hin: mit jedem Tage rückte diese näher, und mir behagte es, mein persönliches Schicksal mit dieser allgemeinen Lage verwachsen mir vorzustellen. Letzte entscheidende Kämpfe, wie sie durch die überall nun immer unverhüllter auftretende Reaktion absichtlich hervorgerufen zu werden schienen, standen in nächster Aussicht; ich fühlte in keiner Weise Leidenschaftlichkeit genug, um mir in diesen Kämpfen selbst eine anteilvolle Rolle zugeteilt wissen zu wollen, dagegen nur die Neigung, rücksichtslos dem Strome der Ereignisse mich zu überlassen, möge er auch hinführen, wohin es immer auch sei. Sehr eigentümlich drängte sich nun gerade um diese Zeit ein ganz neuer und zunächst mit zweifelhaftem Lächeln aufgenommener Einfluß in mein Schicksal: Liszt meldete mir im März die unter seiner Leitung bevorstehende Aufführung des »Tannhäuser« in Weimar, der ersten nach der Dresdener. Sehr bescheiden hatte er mir dieses Unternehmen nur als die Erfüllung seines persönlichen Wunsches angekündigt; um ihm einen guten Ausfall zu sichern, hatte er Tichatschek für die beiden ersten Aufführungen als Gast nach Weimar geladen; dieser kehrte nun zurück und berichtete mir von dem wahrhaft guten Erfolge, davon zu hören ich wahrhaft überrascht war. Zu meinem Honorar erhielt ich vom Großherzog eine goldene Tabatiere, welche mir bis zum Jahr 1864 persönlich gedient hat. Das war mir alles neu und seltsam, und ich blieb geneigt, in diesem an sich so erfreulichen Vorgange eben nur eine Episode, der Freundeslaune eines großen Künstlers verdankt, zu sehen. Was soll mir das jetzt, frug ich mich, kommt dies zu früh oder zu spät? Doch bestimmte mich namentlich ein liebenswürdiger Brief Liszts, für den bevorstehenden Mai zur dritten Aufführung des »Tannhäuser«, welche nun, da man die Oper auf dem Repertoire zu erhalten wünschte, ganz nur mit einheimischen Kräften versucht werden sollte, auf einige Tage Weimar zu besuchen. Hierzu nahm ich mir von meiner Direktion für die zweite Woche des Mai Urlaub. Wenige Tage lagen noch vor der Ausführung dieses kleinen Vorhabens; aber diese waren verhängnisvoll. Am ersten Mai löste das neue, vom König bestellte und mit der Durchführung der Reaktion beauftragte Ministerium Beust die Kammern auf. Hieraus erwuchs mir zunächst die Pflicht der Freundessorge für Röckel und dessen Familie. Röckel war bisher[403] durch seine Eigenschaft als Deputierter in Funktion gegen die ihn bedrohende kriminalrechtliche Verfolgung geschützt gewesen. Im Augenblick der Kammer-Auflösung war er dagegen schutzlos und hatte sich sofort durch Flucht einer neuen Verhaftung zu entziehen. Da ich ihm hierbei wenig helfen konnte, versprach ich ihm mindestens für das vorläufige Forterscheinen seines »Volksblattes« schon aus dem Grunde, weil der Ertrag desselben seiner Familie einige Unterstützung bieten sollte, Sorge zu tragen. Kaum war Röckel über die böhmische Grenze entflohen, als, während ich zu meiner Verlegenheit in der Druckerei mich damit abquälte, für eine Nummer des »Volksblattes« Stoff zu schaffen, von allen Seiten die längst erwarteten Gewitter auf Dresden sich entluden. Sturmdeputationen, abendliche Pöbeldemonstrationen, wütende Sitzungen der Vereine und alle die Vorläufer der Straßenentscheidung stellten sich ein. Am 3. Mai verriet das Aussehen der durch die Straßen wogenden Bevölkerung, daß es dahin kommen würde, wohin unstreitig man es gebracht zu sehen wünschte, da allen Landesdeputationen die Anerkennung der deutschen Reichsverfassung, um welche es sich damals handelte, mit einer zuletzt außer Gewöhnung gekommenen Bestimmtheit von der Regierung abgelehnt worden war. Ich befand mich am Nachmittag, eigentlich immer nur im Interesse des Röckelschen »Volksblattes«, für dessen Fortbestehen ich mich aus ökonomisch-humanen Rücksichten verpflichtet fühlte, durchaus nur als Hospitant in einer Vorstandsitzung des Vaterlandsvereines ein. Hier fesselte mich nun plötzlich die Beobachtung des Benehmens und der Fassung solcher Menschen, welche durch die Volksgunst getragen bis dahin an die Spitze solcher Vereinigungen gestellt waren. Offenbar ging diesen Leuten der Vorgang über die Köpfe hinweg, namentlich als der gewisse Terrorismus eintrat, welchen bei solchen Gelegenheiten die Angehörigen der niederen, tatbereiteren Volksklassen auf die Repräsentanten der demokratischen Theorien ausüben. Ich hörte da allerhand wüste Vorschläge und unschlüssige Erwiderungen durcheinander; ein Hauptthema bildete die Notwendigkeit, auf Verteidigung zu sinnen; Bewaffnung und Anschaffung dafür ward diskutiert, aber alles in höchster Konfusion, und als man plötzlich fand, daß man für diesmal auseinanderzugehen habe, blieb mir der Eindruck der höchsten Verwirrung zurück. Ich entfernte mich mit dem Maler Kaufmann, einem jüngeren Künstler, von welchem ich zuvor auf der Dresdener Kunstausstellung eine Reihe von Kartons, die »Geschichte des Geistes« darstellend, gesehen hatte. Vor einem dieser Kartons, welcher die Folterung eines Ketzers im spanischen Inquisitions-Gerichte vorführte, hatte ich den König von Sachsen, welcher die Ausstellung durchwanderte, beobachtet, wie er mit mißbilligendem Kopfschütteln von diesem abstrusen Gegenstande sich abwandte. Mit diesem, welcher bleich und bedenklich dem Kommenden entgegensah, mich unterhaltend, gelangte ich auf dem Postplatz in die Nähe des kürzlich dort nach Sempers Angabe errichteten Brunnens, als plötzlich vom nahen Turme der[404] Annenkirche das Zeichen zum Aufbruche mit der Sturmglocke sich vernehmen ließ. »Gott, da geht's los!« rief erschüttert mein Begleiter und verschwand sofort von meiner Seite. Ich erfuhr später noch einmal von ihm, daß er als politischer Flüchtling in Bern weile, habe ihn aber nie wieder gesehen.

Auch auf mich machte der Klang dieser aus der Nähe sich vernehmen lassenden Glocke einen entscheidenden Eindruck. Es war an einem sehr sonnigen Nachmittage, und sogleich stellte sich bei mir fast dasselbe Phänomen ein, welches Goethe beschreibt, als er die Eindrücke der Kanonade von Valmy auf seine Sinneswahrnehmung zu verdeutlichen sucht. Der ganze Platz vor mir schien von einem dunkelgelben, fast bräunlichen Lichte beleuchtet zu sein, ähnlich wie ich es bei einer Sonnenfinsternis in Magdeburg wahrgenommen. Die dabei sich kundgebende Empfindung war die eines großen, ja ausschweifenden Behagens; ich fühlte plötzlich Lust, mit irgend etwas, sonst für nichtig gehalten, zu spielen; so geriet ich, vermutlich wegen der Nähe des Platzes, zunächst auf den Einfall, in Tichatscheks Wohnung den von ihm als passioniertem Sonntagsjäger gepflegten Schießgewehren nachzufragen; ich traf dort nur seine Frau an, da er selbst auf einer Urlaubsreise begriffen war; ihre Angst vor den bevorstehenden Ereignissen stimmte mich zur ausgelassensten Heiterkeit; ich gab ihr den Rat, die Jagdgewehre ihres Mannes, welche sehr leicht bald von dem Pöbel requiriert werden könnten, dadurch in Sicherheit zu bringen, daß sie dieselben dem Komitee des Vaterlandsvereins gegen Zertifikat zur Disposition stellte. Ich habe später erfahren, daß meine hierbei geäußerte exzentrische Laune in bedenklichster Weise zum Verbrechen angerechnet worden ist. Jetzt begab ich mich wieder in die Straßen, um nachzusehen, was außer Glockengeläute und gelblicher Sonnenverfinsterung denn eigentlich in der Stadt los wäre. Ich gelangte zunächst auf den alten Markt und beachtete dort eine Gruppe, in welcher lebhaft peroriert wurde. Zu meinem fast angenehmen Erstaunen gewahrte ich Mme Schröder-Devrient, welche, soeben aus Berlin anlangend, vor einem Hotel abgestiegen und von den ihr sofort zukommenden Nachrichten, daß man bereits auf das Volk geschossen habe, im höchsten Grade aufgeregt war. Sie hatte soeben in Berlin einem mit der Waffe unterdrückten Aufstandsversuche zugesehen und war nun empört, in ihrem friedlichen Dresden, wie sie meinte, dasselbe wiederfinden zu müssen. Da sie von der höchst stumpfsinnigen Masse, welche ihren leidenschaftlichen Auslassungen mit unsinnigem Behagen zuhörte, zu mir sich abwandte, schien sie befriedigt zu sein, jemanden zu finden, an den sie den Aufruf richten konnte, nach Kräften den widerwärtigen Vorgängen zu wehren. Ich traf sie des andern Tags noch bei meinem alten Freund Heine, in dessen Wohnung sie sich geflüchtet hatte; dort beschwor sie mich, da sie an mir Kaltblütigkeit wahrnahm, von neuem, alles aufzubieten, um dem unsinnigen, volksmörderischen Kampfe mit allem, was mir zu Gebote stehe, zu wehren. Aus ihrem Benehmen[405] bei dieser Gelegenheit, so erfuhr ich später, ist Frau Schröder-Devrient die Anklage auf Hochverrat wegen Volksaufreizung erwachsen; sie hatte auf dem Wege des Prozesses ihre Unschuld darzutun, um ihre durch langjährige Dienste als Dresdener Opernsängerin kontraktlich ihr zugesicherte Pension unangefochten sich zu erhalten.

An jenem dritten Maitage wendete ich mich nun unmittelbar nach derjenigen Stadtgegend, von welcher unheimliche Gerüchte über blutige Konflikte soeben zu mir gelangt waren. Soviel ich nachher erfuhr, war es über eine Ablösung der Bürgerwache vor dem Zeughause zu tatsächlichen Diskussionen zwischen der bürgerlichen und militärischen Gewalt gekommen, welche von einem verwegen angeführten Volkshaufen zur gewaltsamen Besitznahme dieses Waffenplatzes hatte benutzt werden sollen. Gegen diesen war mit großer soldatischer Bravour durch Lösung einiger mit Kartätschen geladener Geschütze verfahren worden. Als ich dem Schauplatze dieser Vorfälle durch die Ramische Gasse mich näherte, begegnete ich einer Kompanie der Dresdener Kommunalgarde, welche, wie es scheint, gänzlich unschuldig der Wirkung jenes Feuers ausgesetzt gewesen war. Mir fiel einer der Bürgergardisten auf, welcher, von seinem Kameraden sorgsam unterm Arm gefaßt, hastig weiterzumarschieren sich bemühte, trotzdem sein rechtes Bein willenlos umherzuschlottern schien. Einige aus dem Volke riefen: »Der blutet ja«, als sie die von ihm nachgelassenen Tropfen auf dem Pflaster gewahrten. Dieser Anblick wirkte höchst aufregend auf mich, ich begriff plötzlich den jetzt von allen Seiten von mir gehörten Ruf: »Zu den Barrikaden, zu den Barrikaden«; mechanisch getrieben folgte ich dem Strome, welcher sich wieder dem Rathaus auf dem Alten Markte zu bewegte. Während der ungeheuren Aufregung auf den Straßen bemerkte ich besonders eine straßenbreit durch die Rosmaringasse dahinschreitende, höchst bedeutungsvolle Gruppe, welche mich, wenn auch diesmal mit einiger Übertreibung, an diejenige Gesellschaft erinnerte, welche mich damals vor dem Theater um freie Entrees zu »Rienzi« gebeten; auch ein Buckeliger war dabei, und diesen, der mich sofort an den Goetheschen Vansen im »Egmont« erinnerte, sah ich, während rings der aufrührerische Ruf ertönte, mit seltsamem Behagen die langgestreckten Hände vor endlich, nach langer Erwartung eintretender revolutionärer Freude sich reiben. Von hier an entsinne ich mich ganz deutlich, durch das Unerhörte des Schauspiels mich angezogen gefühlt zu haben, ohne je das Verlangen zu empfinden, in Reih und Glied unter die von mir beobachteten Streiter mich zu stellen. Die Aufregung der beobachteten Teilnahme steigerte sich aber mit jedem Schritt, zu dem es mich nun trieb: so wußte ich mich, ohne unter dem wilden Haufen beachtet zu werden, bis in die Sitzungssäle des Rates der Stadt selbst zu drängen; es schien, als ob es sich hier um eine übereinstimmende Handlung mit den Stadtverordneten handle; auch in den Sitzungssaal dieser wußte ich mir unbeachtet Eintritt zu verschaffen; was ich da wahrnahm, war allgemeine[406] Auflösung und Ratlosigkeit. Während nun der Abend und die Nacht hereinbrach, wanderte ich durch die jetzt schnell, meistens durch Marktbuden aufgeworfenen Barrikaden langsam nach meiner Wohnung in der entfernten Friedrichstadt zurück, um des andern Morgens mich zur Fortsetzung meiner beobachtenden Teilnahme an den unerhörten Ereignissen wiederum in das Zentrum der Stadt aufzumachen. Es war Donnerstag, der 4. Mai, an welchem ich das Rathaus in der allmählich immer mehr heraustretenden Eigenschaft des Sitzes einer revolutionären Bewegung antraf. Die Nachricht, daß der König mit dem gesamten Hof auf den Rat seines Ministers Beust das Schloß verlassen und zu Schiff auf der Elbe nach der Festung Königstein abgereist sei, erfüllte denjenigen Teil der Bevölkerung, welcher auf ein friedliches Abkommen mit dem Monarchen gerechnet hatte, mit höchstem Schreck. Unter solchen Umständen sah sich der Stadtrat nicht mehr der Situation gewachsen und trug selbst zur Berufung der noch in Dresden anwesenden Mitglieder der sächsischen Kammer bei, welche nun auf dem Rathause sich versammelten, um über die jetzt zum Schutze des aufgelöst dünkenden Staatswesens nötig erscheinenden Maßregeln Beschluß zu fassen. Eine Deputation wurde an das Ministerium abgesandt und kehrte von dort mit dem Bescheid zurück, das Ministerium sei nicht aufzufinden. Zugleich bestätigte sich von allen Seiten die Kunde davon, daß nach einem im voraus abgeschlossenen Vertrage Truppen des Königs von Preußen einrücken würden, um Dresden zu okkupieren. Jetzt herrschte nur ein Ruf nach zweckmäßigen Maßregeln gegen diesen Einmarsch fremder Truppen. Da zu gleicher Zeit die Nachrichten des Erfolges der deutschen Bewegung in Württemberg eintrafen, wo die Truppen selbst durch ihre parlamentsgetreue Erklärung die Absicht der Regierung in der Weise vereitelt hatten, daß diese willenlos der Anerkennung der deutschen Reichsverfassung sich hatte fügen müssen, entstand unter unseren im Rathaus versammelten Politikern die Meinung, auch hier könne die Sache sich noch friedlich gestalten, wenn es möglich sei, die sächsischen Truppen zu einer ähnlichen Haltung zu veranlassen, da hierdurch der König in die heilsame Notwendigkeit versetzt sein würde, mindestens als guter Patriot der preußischen Okkupation seines Landes zu widerstehen. Somit schien alles darauf anzukommen, den noch in Dresden stehenden sächsischen Truppenteilen den Begriff der entscheidenden Wichtigkeit ihrer Haltung beizubringen; da ich hierin die einzige Hoffnung auf einen ehrenvollen Frieden in dem Chaos der sinnlosesten Wirrnisse vor mir sah, gestehe ich, daß ich dieses einzige Mal mich so weit verleiten ließ, eine wenn auch durch den Erfolg sich gänzlich fruchtlos herausgestellte Demonstration zu veranlassen. Ich brachte nämlich den Drucker des Röckelschen »Volksblattes«, um welches es doch nun getan war, dahin, alles, was er von Typen auf die nächste Nummer desselben zu verwenden gehabt haben würde, im allergrößesten Format auf einen einzigen Streifen Papier zusammenzufassen, auf welchem nur die Worte zu lesen sein sollten:[407] »Seid Ihr mit uns gegen fremde Truppen«? Diese Blätter wurden wirklich auf diejenigen Barrikaden, auf welche man zunächst des Angriffes gewärtig sein mußte, geheftet. Sie sollten den sächsischen Truppen, falls sie zuerst zum Angriffe geführt würden, ihr Verhalten vorzeichnen. Natürlich wurden diese Plakate von niemandem beachtet als von späteren Denunzianten. Für diesen Tag verlief im übrigen alles in verwirrten Verhandlungen und wüsten Aufregungen, ohne irgendeine Klarheit in die Lage zu bringen. Die verbarrikadierte Altstadt Dresdens bot für den Beobachter genug des Interessanten, und mir, der ich nur immer verwunderungsvoll der Bewegung zu wirklichem Widerstand folgte, war es einzig zerstreuend, plötzlich Bakunin aus seinem bisherigen sorgsam gewahrten Versteck im schwarzen Frack über diese Hindernisse des Straßenverkehrs daherwandeln zu sehen. Gar sehr irrte ich mich aber, da ich glaubte, das von ihm Wahrgenommene müsse ihn unterhalten; er gewahrte in allen anzutreffenden Verteidigungsmaßregeln bloß die kindische Unvollkommenheit derselben und erklärte, in dem gegenwärtigen Zustande der Dinge in Dresden für sich nur das einzige Angenehme zu erkennen, daß er sich jetzt vor der Polizei nicht mehr zu hüten habe und ungestört an sein Weiterkommen denken könne; denn hier, so vermeinte er, sei unter so schlaffen Verhältnissen jedenfalls keine Verlockung zur Beteiligung für ihn vorhanden. Während er sich mit der Zigarre herumtrieb, um über den naiven Stand der Dresdener Revolution sich lustig zu machen, fesselte mich der Anblick der vor dem Rathaus auf den Appell ihres Kommandanten im Gewehr versammelten Kommunal-Garde. Aus einem besonders begünstigten Korps derselben, der sogenannten Schützenkompanie, trat außer Rietschel, welcher in großer Ängstlichkeit über den Charakter der Bewegung war, auch Semper auf mich zu. Er schien anzunehmen, ich sei näher in die Vorgänge eingeweiht, und beteuerte mir, sich in einer sehr schwierigen Lage zu fühlen. Die Elitekompanie, zu welcher er gehöre, sei von entschiedenem demokratischem Geiste erfüllt; da er nun vermöge seiner Professur bei der Akademie der Künste eine besondre Stellung einnehme, wisse er nicht, wie er den von ihm übrigens geteilten Geiste seiner Kompanie mit seinem Charakter als Staatsbürger in Übereinstimmung bringen sollte. Das Wort »Staatsbürger« wirkte unwiderstehlich komisch auf mich; ich sah nur Semper scharf in die Augen und wiederholte das Wort: »Staatsbürger!« – worauf dieser mit einem sonderbaren Lächeln erwiderte, indem er sich für diesmal ohne weitere Explikation von mir entfernte.

Des anderen Tages (Freitag, den 5. Mai), wo ich mich nun wieder mit meiner sonderbar leidenschaftlichen Teilnahme als Beobachter der Vorgänge auf dem Rathause einstellte, nahmen nun die Dinge eine entscheidende Wendung an. Der Rumpf der hier versammelten Vertreter des sächsischen Volkes fand es geraten, da für Verhandlungen faktisch eine sächsische Regierung nicht mehr anzutreffen war, aus sich selbst eine provisorische Regierung zu konstituieren. Professor Köchly wurde seiner großen rhetorischen[408] Fähigkeiten wegen zum Proklamator dieser Regierung bestellt; vom Balkon des Rathauses herab vollzog er diesen feierlichen Akt gegenüber der auf dem Platze versammelten treugebliebenen Reste der Kommunal-Garde und den nicht übermäßig zahlreichen Scharen des Volkes. Zugleich ward die deutsche Reichsverfassung als zu Recht bestehend proklamiert und die bewaffnete Volksmacht auf dieselbe vereidigt. Ich entsinne mich, daß dies alles durchaus keine erhebende Wirkung auf mich machte; wogegen die von neuem mir geäußerten Bedenken des immer umherschweifenden Bakunin über die Nichtigkeit all dieser Dinge allmählich mir immer verständlicher wurden. Selbst von rein technischer Seite wurden diese Bedenken bestätigt, als zu meinem lächelnden Erstaunen Semper, in voller Uniform als Bürgerschütze mit dem Bannerhute, auf dem Rathause nach mir verlangte und mich von der höchst fehlerhaften Konstruktion der Barrikade an der Wilsdruffer Gasse und der sie flankierenden Brüdergasse in Kenntnis setzte. Um sein artistisches Gewissen als Ingenieur zu beruhigen, wies ich ihn an, in das Kabinett der für die Verteidigung ernannten militärischen Kommission einzutreten. Er folgte meiner Empfehlung wie im Gefühle einer zu erfüllenden Pflicht; vermutlich erhielt er dort die nötige Autorisation zur Anleitung des wichtigen Baues der Verteidigungsarbeiten an jenen schlecht verwahrten Punkten. Ich habe ihn seitdem in Dresden nicht wiedergesehen, muß aber annehmen, daß er mit dem künstlerischen Pflichtgefühl eines Michelangelo oder Leonardo da Vinci den in jenem Komitee ihm aufgetragenen strategischen Arbeiten als gewissenhafter Architekt nachgekommen ist.

Im übrigen verging dieser Tag unter fortgesetzten Verhandlungen über den Waffenstillstand, welcher bis zu dem folgenden Mittag mit dem sächsischen Kommando abgeschlossen worden war; hierbei bemerkte ich die besonders laute Tätigkeit eines ehemaligen Universitätsfreundes, des damaligen Advokaten Marschall von Bieberstein, welcher in seiner Eigenschaft als höherer Offizier der Dresdener Kommunal-Garde sich unter dem Lärm einer starken Schar von Mitrednern durch grenzenlosen Eifer vorteilhaft auszeichnete. Auch wurde an diesem Tage in einem ehemaligen griechischen Obersten Heinz ein Kommandant für die Dresdener Streitkräfte bestellt. Alles dies schien jedoch Bakunin, der sich immer einmal wieder blicken ließ, nicht beruhigend; während von seiten der provisorischen Regierung alles auf die Hoffnung gesetzt war, durch moralischen Druck den Konflikt zur friedlichen Lösung zu bringen, sah er mit klarem Blicke das Gegenteil eines wohlüberlegten militärischen Angriffes von seiten der erwarteten Preußen voraus und meinte, daß dem wiederum nur durch gute strategische Maßregeln zu begegnen sei, weshalb er, da es dem sächsischen Aufstand an allen militärischen Kapazitäten zu mangeln schien, die Akquisition einiger erfahrenen polnischen Offiziere, welche sich in Dresden befanden, eindringlich anriet. Hiervor entsetzte sich alles; dagegen schien man viel von Unterhandlungen mit der in den letzten Zügen liegenden Reichsgewalt in Frankfurt[409] zu erwarten; alles sollte nach dem parlamentarischen Begriff so legal wie möglich vor sich gehen. Im übrigen verstrich die Zeit fast gemütlich; am herrlichen Frühlingsabend promenierten vornehme Damen mit ihren Kavalieren durch die verbarrikadierten Straßen; alles schien nur ein Schauspiel zur Unterhaltung zu sein. Auch mich erfaßte diesem ungewohnten Anblick gegenüber ein völliges Behagen, in welches sich die ironische Vorstellung davon mischte, daß das alles doch wohl nicht rechter Ernst sei und schließlich irgendeine gemütliche Proklamation der Regierung ein Ende machen müßte. So schlenderte ich mit wohlgemutem Zögern durch die zahlreichen Verhaue spät nach meiner fernen Wohnung zurück und arbeitete unterwegs in mir den seit einiger Zeit mich beschäftigenden Stoff zu einem Drama »Achilleus« aus. Zu Haus traf ich meine beiden Nichten Klara und Ottilie Brockhaus, die Töchter meiner Schwester Luise, welche, seit einem Jahre bei einer Erzieherin in Dresden verweilend, durch ihren allwöchentlichen Besuch und die dabei kundgegebene gute Laune mich erfreut hatten. Hier war alles in der behaglichsten Revolutionslaune; man sympathisierte mit den Barrikaden und trug kein Bedenken, den Verteidigern derselben den Sieg zu wünschen. Diese Stimmung hielt unter dem Schutz des Waffenstillstandes den ganzen Freitag (5. Mai) ungetrübt an. Von allen Seiten trafen Nachrichten ein, welche an eine allgemeine Erhebung Deutschlands glauben ließen: Baden, die Pfalz waren in offener Empörung für das Reich begriffen; von einzelnen Städten, wie Breslau, drangen ähnliche Gerüchte her; in Leipzig hatten sich Freikorps von Studenten zum Zuzug nach Dresden gebildet; diese langten unter dem Jubel der Bevölkerung an; auf dem Rathause war ein vollständiges Verteidigungs-Departement organisiert, in welchem sich auch der in seinen Intentionen für die Aufführung des »Lohengrin« gleich mir verunglückte jüngere Heine befand; namentlich aus dem sächsischen Erzgebirge stellten sich lebhafte Zustimmungen und Ankündigungen von wehrhaften Zuzügen ein, und so glaubte man, wenn nur die eigentliche Altstadt tüchtig mit Barrikaden besetzt blieb, dem Schicksal der fremden Okkupation mit gutem Erfolge Trotz bieten zu können. – Am Sonnabend den 6. Mai früh sah man nun ein, daß die Sache ernster werde; die preußischen Truppen waren in der Neustadt eingerückt, und das sächsische Militär, mit welchem man den Angriff zu wagen doch nicht für rätlich gehalten hatte, ward so in strenger Fahnenpflicht erhalten. Am Mittag ging der Waffenstillstand zu Ende, und sogleich eröffneten die Truppen, von mehreren Geschützen unterstützt, den Angriff auf eine der Hauptpositionen der Volkskämpfer am Neumarkt. Noch hatte ich keinen anderen Glauben, als daß, sobald es zum wirklichen Kampfe käme, die Sache in kürzester Frist entschieden sein würde, da weder in meiner Stimmung noch in dem, was ich sonst wahrnahm, jener leidenschaftliche Ernst sich zeigte, ohne welchen so harte Proben nie überstanden worden sind. Mir war nur peinlich, während ich das starke Schießen vernahm, nichts von dem Vorgange[410] selbst wahrnehmen zu können, und geriet auf den Gedanken, hierzu den Kreuzturm zu besteigen. Ohne auch von dieser Höhe herab einen klaren Eindruck gewinnen zu können, vernahm ich doch genug, um nach einer Stunde heftigen Feuerns die bis dahin immer vorgerückten Geschütze der preußischen Truppen wieder zurückgehen zu sehen und endlich gänzlich verstummen zu hören, was mit einem ungeheuren Jubelgeschrei von der Volksseite her begleitet wurde; somit schien der erste Angriff abgeschlagen; und nun begann in mir die Teilnahme an den Vorgängen eine immer leidenschaftlichere Farbe anzunehmen. Um nähere Erkundigung einzuziehen, eilte ich auf das Rathaus zurück, konnte aber zunächst aus der ungeheuren Verwirrung, welche ich vorfand, mir nichts entnehmen, bis ich endlich mitten unter der Hauptgruppe Bakunin antraf, welcher mit ungemeiner Präzision mir folgendes berichtete: – es sei von dem bedrohtesten Punkte einer Barrikade am Neumarkt der Bericht nach dem Hauptquartier gelangt, daß dort vor dem Angriffe der Truppen alles in Auflösung begriffen sei; hierauf hatte mein Freund Marschall von Bieberstein mit Leo von Zichlinsky, einem gleichbeteiligten Chargierten der Bürgerwehr, Freiwillige aufgerufen und diese nach dem bedrohten Punkte hingeführt. Ohne alle Waffen und mit entblößtem Haupte hatte der Freiberger Kreis-Amtmann Heubner als einziges auf dem Flecke gebliebenes Mitglied der provisorischen Regierung, deren beide andere Häupter Todt und Tzschirner im ersten Schreck verschwunden waren, sich zuerst auf die bereits von allen Verteidigern verlassene Barrikade gestellt, um rückwärts gewandt die Freiwilligen mit erhabenen Worten zur Nachfolge anzufeuern. Der Erfolg war vollständig, die Barrikade ward wieder genommen und von da herab ein ebenso unerwartetes als energisches Feuer auf die Truppen gerichtet, wodurch der von mir wahrgenommene Rückzug derselben veranlaßt worden war. Diesem Auftritte hatte Bakunin, welcher den Freiwilligen gefolgt war, in unmittelbarer Nähe beigewohnt; jetzt erklärte er mir, Heubner möge eine noch so bornierte politische Meinung haben (er gehörte der gemäßigten Linken der sächsischen Kammer an), er sei ein edler Mensch, dem er sich sofort mit seinem Kopfe zur Verfügung gestellt habe. Dieses Beispiel habe er nur erleben wollen, um nun zu wissen, was für ihn zu tun sei; er sei entschlossen, seinen Hals daran zu wagen und nach nichts weiter zu fragen. Auch Heubner mochte nun die Notwendigkeit der energischesten Maßregeln erkannt haben und schreckte vor keinem hierauf zielenden Vorschlage Bakunins mehr zurück. Dem Kommandanten, dessen Unfähigkeit sich wohl schnell herausgestellt hatte, wurde der Kriegsrat erfahrener polnischer Offiziere zur Seite gesetzt; Bakunin, der von der eigentlichen Strategie nichts zu verstehen erklärte, verließ das Rathaus und Heubner nicht mehr, um nach jeder Seite hin mit merkwürdiger Kaltblütigkeit Rat und Auskunft zu erteilen. Der Kampf beschränkte sich für den Rest des Tages auf Scharfschützen-Geplänkel aus den verschiedenen Positionen; mich reizte[411] es, wieder den Kreuzturm zu besteigen, um immer den größtmöglichen Überblick über die Gesamtheit der Vorgänge zu haben. Um von dem Rathause dahin zu gelangen, war eine Strecke zu durchschreiten, welche fortgesetzt durch die Flintenkugeln der im königlichen Schloß postierten Truppen bestrichen wurde. Während diese Strecke ganz menschenleer blieb, gab ich dem übermütigen Reize nach, sie auf meinem Weg nach dem Kreuzturm langsamen Schrittes zu durchschreiten, wobei es mir zugleich einfiel, daß es jungen Soldaten geraten wird, bei solchen Gelegenheiten sich nie hastig zu benehmen, weil dies die Kugeln auf sich zöge. Auf meinem erhabenen Posten angelangt, traf ich dort mit mehreren zusammen, welche, teils durch gleiche Teilnahme, teils durch den Auftrag des aufständischen Kommandos zum Rekognoszieren der feindlichen Bewegung veranlaßt, sich dort eingefunden hatten. Unter ihnen machte ich die nähere Bekanntschaft mit einem Lehrer Berthold, einem ruhigen, sanften, aber überzeugungsvollen, entschlossenen Menschen, mit welchem ich mich in ernsthafter philosophischer Diskussion bis in die weitesten Gebiete der Religion verlor. Zugleich war er aber mit völlig häuslicher Sorgfalt darauf bedacht, uns durch geschickte Plazierung und Befestigung einer dem Türmer abgewonnenen Strohmatraze gegen die Spitzkugeln der preußischen Scharfschützen zu bewahren, welche, auf dem entfernteren Turme der Frauenkirche postiert, die von uns okkupierte feindliche Höhe sich zum Zielpunkt erkoren hatten. Es war mir unmöglich, von meinem interessanten Zufluchtsorte beim Einbruche der Nacht mich nach Haus aufzumachen; ich bestimmte daher den Türmer, seinen Gehilfen mit einigen Zeilen an meine Frau nach Friedrichstadt abzuschicken und zugleich mir einigen nötigen Proviant von ihr zu erbitten. So verbrachte ich in der unmittelbaren Nähe der schrecklich dröhnenden Turmglocke und unter beständigem Anprallen der preußischen Kugeln gegen die Mauer des Turmes eine der merkwürdigsten Nächte meines Lebens, abwechselnd mit Berthold Wache und Schlaf teilend. Der Sonntag (7. Mai) war einer der schönsten Tage dieses Jahres; ich wurde durch den Gesang einer Nachtigall geweckt, welcher aus dem unweiten Schützeschen Garten zu uns heraufdrang; eine selige Ruhe und Stille lag über der Stadt und der von meinem Standpunkt aus übersehenen weiten Umgegend Dresdens; nur gegen Sonnenaufgang senkte sich ein Nebel auf diese letztere herab: durch ihn vernahmen wir plötzlich, von der Gegend der Tharandter Straße her, die Musik der Marseillaise klar und deutlich zu uns herdringen; wie sie immer mehr sich näherte, zerstreuten sich die Nebel, und hell beschien die glutrot aufgehende Sonne die blitzenden Gewehre einer langen Kolonne, welche von dorther der Stadt zuzog. Es war unmöglich, dem Eindrucke dieser andauernden Erscheinung zu wehren; dasjenige Element, welches ich so lange im deutschen Volke vermißt und auf dessen Kundgebung verzichten zu müssen nicht wenig zu den bisher mich beherrschenden Stimmungen beigetragen hatte, trat plötzlich sinnfällig in lebensfrischester Farbe an mich[412] heran; es waren dies nicht weniger als einige tausend gut bewaffnete und organisierte Erzgebirgler, meist Bergleute, welche zur Verteidigung Dresdens herangekommen waren. Bald sahen wir sie auf dem Altmarkt, dem Rathaus gegenüber, aufmarschieren und nach jubelnder Bewillkommnung dort zur Erholung vom Marsche sich lagern. Gleiche Zuzüge setzten sich fast den ganzen Tag über fort; und der Lohn der tapferen Tat des vorigen Tages schien sich jetzt in erhebender Weise einstellen zu wollen. Im Angriffsplan der Truppen schien eine Veränderung eingetreten zu sein, was aus den mehrseitigen, aber nicht mehr so konzentrierten Attacken auf verschiedene Punkte zugleich sich erkennen ließ. Die Zugezogenen hatten vier kleine Kanonen mitgebracht, das Eigentum eines Herrn Thade von Burgk, welcher mir früher durch eine sehr wohlwollende, aber bis zur Lächerlichkeit langweilige Rede beim Stiftungsfest der Dresdener Liedertafel bekannt geworden war; woran es mich, da nun sein Geschütz von den Barrikaden gegen die Truppen abgefeuert wurde, sonderbar ironisch gemahnte. Einen ungleich bedeutungsvolleren Eindruck erhielt ich aber, als ich gegen elf Uhr das alte Opernhaus, in welchem ich vor wenigen Wochen noch die letzte Aufführung der Neunten Symphonie dirigiert hatte, in hellem Brand aufgehen sah. Von je, wie ich gelegentlich schon erwähnt, war die Feuergefährlichkeit dieses mit Holz und Leinwand angefüllten, seinerzeit nur provisorisch errichteten Gebäudes der schreckende Gegenstand der Befürchtung von Feuersgefahr gewesen. Man sagte mir, es sei, um einem gefährlichen Angriffe der Truppen von dieser bloßgelegten Seite her zu begegnen und zugleich die berühmte Sempersche Barrikade vor einer übermächtigen Überrumpelung zu schützen, aus strategischen Gründen in Brand gesteckt worden; woraus ich mir entnahm, daß derlei Gründe in der Welt ein für allemal mächtiger als ästhetische Motive bleiben, aus welchen seit langer Zeit vergeblich nach Abtragung dieses häßlichen, den eleganten Zwinger so arg entstellenden Gebäudes verlangt war. Von so ungemein leicht brennbarem Stoff angefüllt, brach dieses in seinen Dimensionen sehr imposante Haus in kürzester Zeit in ein ungeheures Flammenmeer aus. Als dieses auch die Metalldächer der anliegenden Galerie des Zwingers erreichte und diese in wunderbar bläulichen Flammenwellen zu wogen begannen, äußerte sich unter uns Zuschauenden das erste Bedauern über den Vorgang; man glaubte, das Naturalienkabinett sei bedroht; andere dagegen bewiesen, es sei die Rüstkammer, wogegen ein Bürgerschütz äußerte: in diesem Fall sei es nicht schade, wenn dort die »ausgestopften Adeligen« verbrennten. Es schien aber, daß man aus Kunsteifer dem Weitergreifen des Brandes zu wehren wußte, welcher in Wahrheit dort nur geringen Schaden angerichtet hatte. – Endlich füllte sich unser bis dahin verhältnismäßig ziemlich ruhiges Observations-Asyl mit immer größeren Scharen von Bewaffneten, welche hierher kommandiert waren, um von der Kirche aus den Zugang nach dem Alten Markt, dessen Angriff von der Seite der schlecht verwahrten Kreuzgasse[413] her man befürchtete, zu verteidigen. Unbewaffnete hatten nun hier nichts mehr zu suchen; außerdem war mir eine Botschaft meiner Frau zugekommen, welche nach ausgestandener schrecklicher Beängstigung mich nach Hause rief. Nur mit großer Mühe und unter den zeitraubendsten Schwierigkeiten gelang es mir, auf allerhand Umwegen in meine abgelegene Vorstadt, von welcher ich durch die kampferfüllten Teile der Stadt und namentlich durch eine Kanonade vom Zwinger aus abgeschnitten war, zurückzugelangen. Meine Wohnung war ganz erfüllt von aufgeregten Frauenzimmern, welche sich um Minna versammelt hatten, darunter die schreckverstörte Frau Röckels, welche ihren Mann im dicksten Kampfe vermutete, da sie wohl annahm, daß er auf die Nachricht des Dresdener Aufstandes hin zurückgekehrt sein möchte. Wirklich hatte ich auch gehört, daß Röckel an diesem Tage eingetroffen sei, jedoch ihn selbst noch nicht zu sehen bekommen. Außerdem erheiterten mich wieder meine jungen Nichten, welche vor Freude über das Schießen in die übermütigste Laune geraten waren, welche selbst meine Frau, nachdem ich sie über mich persönlich beruhigt hatte, einigermaßen ansteckte. Alle hatten sich über den Bildhauer Hänel geärgert, welcher durchaus das Haus immer gesperrt halten wollte, damit dort keine Revolutionäre eindrängen. Über seine Furcht namentlich vor den Sensenmännern, welche sich auf der Straße gezeigt hatten, machten sich alle Frauenzimmer ausnahmslos lustig. So verging dieser Sonntag wie eine Art von freudigem Familienfest.

Am folgenden Morgen des Montags, 8. Mai, versuchte ich von meiner vom Kampfplatz abgeschnittenen Wohnung aus, um Erkundigungen über den Stand der Dinge willen, nochmals bis zum Rathause vorzudringen. Als ich hierbei über eine Barrikade bei der Annenkirche mich verfügte, rief mir ein Kommunalgardist die Worte zu: »Herr Kapellmeister, der Freude schöner Götterfunken hat gezündet, das morsche Gebäude ist in Grund und Boden verbrannt.« Offenbar war dies ein begeisterter Zuhörer der letzten Aufführung der Neunten Symphonie gewesen. Auf mich wirkte dieses Pathos, welches so unerwartet mich betraf, seltsam kräftigend und befreiend. Ein wenig weiter traf ich in einsamen Gassen der Plauenschen Vorstadt auf den Kammermusikus Hiebendahl, den jetzt noch sehr belobten ersten Oboebläser der Königl. Kapelle; er war in der Uniform der Kommunalgarde, jedoch ohne Gewehr, und plauderte mit einem gleich ausgerüsteten Bürger. Da er meiner ansichtig wurde, glaubte er zunächst meine Intervention gegen Röckel anrufen zu müssen, welcher, von einer revolutionären Ordonnanz begleitet, in diesem Quartier Haussuchung nach Gewehren anstellte. Da er sogleich meine teilnehmende Frage nach Röckel selbst vernahm, schrak er zurück und frug mich in höchster Besorgnis: »Aber, Herr Kapellmeister, denken Sie denn gar nicht an Ihre Stellung und was Sie, wenn Sie sich so aussetzen, verlieren können?« Diese Ermahnung wirkte höchst drastisch auf mich; ich brach in ein lautes Gelächter aus und erklärte, daß es damit[414] nicht viel auf sich habe. In der Tat sprach ich hiermit den Grundton meiner lange verhaltenen und nun fast zu freudigem Ausbruch kommenden Stimmung aus. Da sah ich Röckel mit zwei Männern der Volkswehr, welche einige Gewehre trugen, auf mich zukommen. Er begrüßte mich freundlichst, wandte sich aber sofort an Hiebendahl und dessen Nachbar mit der Vermahnung: warum er denn im Bürgerwehrrock hier so herumlungere und nicht auf seinem Posten stünde? Da Hiebendahl sich damit entschuldigte, daß man von ihm das Gewehr requiriert habe, rief ihm jener zu: »Ihr seid mir schöne Kerle!« und ließ ihn lachend stehen. Er berichtete mir kurz beim Weitergehen, was sich, seit ich ihn nicht gesehen, mit ihm begeben, erließ mir den Bericht über sein »Volksblatt«, und wir beide wurden bald durch eine stattliche Truppe wohlbewaffneter jugendlicher Turner unterbrochen, welche soeben von außen zugezogen kam und den sicheren Weg nach ihrem Sammelplatz geführt zu werden begehrte. Der Anblick dieser wohl mehrere Hunderte zählenden Schar jugendlichster und fest daherschreitender Gestalten konnte den erhebendsten Eindruck auf mich nicht verfehlen; Röckel übernahm es, über die Barrikaden sie sicher zu dem Waffenplatze vor dem Rathause zu begleiten. Er klagte hierbei noch über den Mangel der rechten Energie, den er bisher noch bei den Kommandierenden angetroffen habe. Er habe vorgeschlagen, die gefährdetsten Barrikaden für den äußersten Fall durch Anzündung von Pechkränzen zu verteidigen; vor dem bloßen Worte sei aber die provisorische Regierung in sittlichen Schreck geraten. – Ich ließ ihn seines Weges ziehen, um als einzelner auf kürzerem Pfade zum Rathause zu gelangen, und habe ihn seitdem erst nach 13 Jahren wiedergesehen. Dort erfuhr ich nun von Bakunin, daß die provisorische Regierung auf seinen Rat sich entschlossen habe, die von Anfang herein gänzlich verwahrloste und somit auf die Länge unhaltbare Position in Dresden aufzugeben und einen bewaffneten Rückzug nach dem Erzgebirge anzutreten, wo die von allen Seiten, namentlich auch von Thüringen herbeiströmenden Zuzüge sich in solcher Stärke zu sammeln anließen, daß dort wohl die vorteilhafte Position zu einem ohne Zweifel beginnenden deutschen Volkskrieg einzunehmen sein würde, während das längere Festhalten der einzelnen verbarrikadierten Straßen Dresdens dem so mutig geführten Kampfe doch nur den Charakter einer städtischen Emeute belassen würde. Ich muß gestehen, daß dieser Gedanke mir großartig und bedeutend erschien: war bis hierher durchaus nur die Teilnahme für einen, anfangs mit fast ironischer Ungläubigkeit, dann mit Überraschung aufgenommenen Vorgang angeregt gewesen, so dehnte sich jetzt bald vor meinen Blicken das bisher Unbegreifliche zu einer großen und hoffnungsvollen Bedeutung aus. Ohne in mir den Drang und namentlich den Beruf zu fühlen, in irgendwelcher Weise mir eine Rolle oder Funktion hierbei zugeteilt zu sehen, ließ ich doch nun mit vollem Bewußtsein jede Rücksicht auf meine persönliche Lage fahren und beschloß, mich dem Strome der Ereignisse nach der Richtung zu überlassen,[415] in welche meine Lebensstimmung mit verzweiflungsvollem Behagen mich hingetrieben hatte. Doch wollte ich meine Frau nicht hilflos in Dresden zurücklassen, und schnell erfand ich das Auskunftsmittel, um sie von dort hinweg in die von mir gewählte Richtung zu ziehen, ohne daß sie sogleich von dem Sinne dieses Entschlusses zu unterrichten war. Bei meiner eilig angetretenen Rückkehr nach der Friedrichstadt erkannte ich, daß dieser Stadtteil bereits durch die Aufstellung der preußischen Truppen fast gänzlich von der inneren Stadt abgeschnitten war; ich sah die Okkupation unserer Vorstadt und die Folgen des militärischen Belagerungszustandes in ihrer widerwärtigsten Bedeutung voraus und hatte es leicht, Minna zu bereden, sofort durch die noch freie Tharandter Straße mit mir nach Chemnitz zu meiner dort verheirateten Schwester Klara gleichsam zum Besuch sich aufzumachen. Wirklich bestellte sie im Augenblick das Haus und versprach, in einer Stunde mit dem Papagei nach dem nächsten Dorfe mir nachzukommen, wohin ich mit meinem Hündchen Peps vorausging, um dort einen Wagen zur Weiterreise nach Chemnitz zu mieten. Es war ein lachender Frühlingsvormittag, als ich zum letzten Male die so oft auf einsamen Spaziergängen beschrittenen Pfade mit dem Bewußtsein, nie wieder sie wandeln zu werden, dahinschritt. Während die Lerchen über mir schwirrten und aus den Furchen der Felder sangen, donnerte unablässig das große und kleine Geschütz aus den Dresdener Straßen herüber. Das nun seit mehreren Tagen vernommene unaufhörliche Getöse dieses Schießens hatte sich so stark meinen Gehirnnerven eingeprägt, daß es in ähnlicher Weise lange Zeit mir nachklang, wie damals die Bewegung des Seeschiffes in London lange Zeit mich in wankendem Zustande erhalten hatte. Unter der Begleitung dieser fürchterlichen Musik rief ich der heiter daliegenden Stadt mit ihren Türmen meinen Abschiedsgruß zu, indem ich mir lächelnd sagte, daß, wenn vor sieben Jahren auch mein Einzug recht unscheinbar stattgefunden habe, doch jetzt mein Auszug nicht ohne allerhand feierlichen Pomp vor sich ginge.

Als ich endlich mit Minna vereinigt im Einspänner mich auf dem Wege in das Erzgebirge befand, begegneten wir häufig frischen bewaffneten Zuzügen nach Dresden; ihr Anblick machte uns stets unwillkürliche Freude, und selbst meine Frau konnte sich nicht enthalten, den Leuten ermutigend zuzusprechen: noch keine Barrikade sei verloren. Einen dumpfen Eindruck machte uns dagegen eine Kompanie Linienmilitär, welche schweigsam ihrerseits nach Dresden zog. Einige Angeredete erwiderten der Frage, wohin sie gingen, die offenbar im voraus kommandierte trockene Antwort: ihre Pflicht zu tun. Endlich bei meinen Verwandten in Chemnitz angekommen, setzte ich alle meine Angehörigen in Schrecken, als ich ihnen erklärte, andern Tags mit dem frühesten sofort nach Dresden zurückkehren zu wollen um zu erfahren, wie es dort stehe. Trotz aller Gegenbitten führte ich meinen Entschluß aus, immer in der Vermutung, dem bewaffneten Auszuge der Dresdener Volksstreitkräfte auf der Landstraße zu begegnen. Je näher ich[416] der Hauptstadt kam, desto mehr bestätigten sich jedoch die Gerüchte, daß man in Dresden noch nicht an Übergabe oder Rückzug denke, da im Gegenteil der Kampf sehr vorteilhaft für die Volkspartei stehe. Dies kam mir nun alles wirklich wie Wunder über Wunder vor; mit hochgespannter Erregung drängte ich mich an diesem Dienstag, dem 9. Mai, von neuem durch das nun immer schwieriger gewordene Terrain, auf welchem alle Straßen vermieden werden mußten und mit Sicherheit nur durch die durchbrochenen Häuser vorwärtszukommen war, bis zum Altstädter Rathause vor. Es war bereits voller Abend; was ich sah, bot einen wahrhaft furchtbaren Anblick, da ich diejenigen Stadtteile durchzog, in welchen man sich auf den Kampf von Haus zu Haus vorbereitet hatte. Unaufhörliches Dröhnen des großen und kleinen Gewehrfeuers ließ alles übrige Geräusch der rastlos von Barrikade zu Barrikade, von Durchbruch zu Durchbruch sich zurufenden bewaffneten Menschen nur wie unheimliches Gemurmel erscheinen. Pechfeuer brannten hie und da, übermüdete bleiche Gestalten lagerten auf den Wachtposten umher, strenge Anrufe empfingen den unbewaffneten Durchdringling. Nichts je von mir Erlebtes kann ich aber dem Eindrucke vergleichen, welchen ich mit meinem Eintritt in die Räume des Rathauses empfing. Es war ein dumpfes und doch ziemlich geordnetes, ernsthaftes Gewühle; größte Übermüdung lag auf allen Gesichtern; keine Stimme hatte mehr ihren natürlichen Klang, alles krächzte wie mit höchster Anstrengung heiser durcheinander. Den einzigen gemütlichen Anblick boten die alten Ratsdiener in ihrer seltsamen wohlvertrauten Uniform und dreieckigem Hut; diese sonst so gefürchteten langen Männer traf ich teils Butterbrote schmierend, Schinken und Würste zerschneidend an, während andere in Körben die riesigen Provisionen zur Verpflegung der Barrikadenkämpfer an die von dort abgesandten Deputationen verteilten. Sie waren entschieden zu den Hausmüttern der Revolution geworden. Als ich näher zuschritt, traf ich endlich auf die Glieder der provisorischen Regierung, von denen Todt und Tzschirner nach ihrer ersten Schreckensflucht wieder aufgefunden worden waren und nun trübselig wie Schatten, an ihre schwere Verpflichtung angekettet, hin und her schwankten. Nur Heubner hatte die volle Energie bewahrt; doch war sein Anblick wahrhaft mitleiderregend: ein geisterhaftes Feuer leuchtete aus den Augen des Mannes, über den seit sieben Nächten kein Schlaf gekommen war. Er freute sich, mich wiederzusehen, weil ihm dies ein gutes Zeichen für die von ihm verteidigte Sache zu sein schien, während er andrerseits in Berührung mit Elementen getreten war, über die er im Drängen der Ereignisse zu keiner beruhigenden Klarheit mit sich gekommen war. Ganz ungestörte Sicherheit und feste ruhige Haltung traf ich bei Bakunin, welcher auch in seinem Aussehen nicht die mindeste Veränderung zeigte, trotzdem, wie ich nachher bestätigt hörte, auch er in der ganzen Zeit zu keinem Nachtschlaf gekommen war. Er empfing mich auf einer der Matratzen, welche im Rathaussaale ausgebreitet lagen,[417] mit der Zigarre im Munde, zu seiner Seite ein sehr junger Pole (Galizier) namens Haimberger, ein junger Violinist, welchen er mir vor einiger Zeit zur Empfehlung an Lipinsky für Unterricht auf seinem Instrument übergeben hatte, da er nicht wollte, daß dieser ganz junge, unerfahrene Mensch, welcher mit Leidenschaft sich an ihn angeschlossen hatte, in den unmittelbaren Strudel der Ereignisse hineingezogen werde. Jetzt hatte er ihn doch freudig begrüßt, da er mit dem Gewehr im Arme sich für die Barrikade eingefunden hatte. Er hatte ihn zu sich auf das Lager niedergezogen und gab ihm jedesmal einen starken Schlag, wenn er, von einem heftigen Kanonenschuß erschreckt, aufzuckte. »Hier bist du nicht bei deiner Geige«, rief er ihm zu, »wärst du da geblieben, Musikant!« Von Bakunin erfuhr ich nun in Kürze und mit höchster Präzision, was, seitdem ich ihn am vorigen Morgen verlassen, vorgefallen war. Der damals beschlossene Rückzug habe sich bald als unrätlich herausgestellt, weil er die an jenem Tage noch eingetroffenen zahlreichen Zuzüge entmutigt haben würde; dagegen sei die Kampflust so groß und die Stärke der Verteidiger so bedeutend gewesen, daß man bis jetzt den Truppen überall erfolgreichen Widerstand habe leisten können; bei großer Verstärkung der letzteren sei jedoch neuerdings ein kombinierter Angriff auf die starke Wildruffer Barrikade von Wirkung gewesen; die preußischen Truppen hätten dem Kampf auf den Straßen entsagt und dafür die Kampfweise von Haus zu Haus durch Durchbrüche der Mauern ergriffen; auf diese Weise sei vorauszusehen, daß die bisherigen Vorkehrungen der Barrikaden-Verteidigung unnütz geworden seien und der Feind, wenn auch langsam, doch sicher, dem Sitze der provisorischen Regierung auf dem Rathause sich nähern werde. Er habe nun vorgeschlagen, alle Pulvervorräte in den unteren Räumen des Rathauses zusammenbringen zu lassen und dieses bei der Annäherung der Truppen in die Luft zu sprengen. Der Rat der Stadt, welcher währenddem in einem Hinterstübchen immer noch seinen Berufsgeschäften nachging, habe auf das energischeste hingegen demonstriert; er, Bakunin, habe zwar auf das bestimmteste auf der Ausführung der Maßregel bestanden, sei aber endlich dadurch überlistet worden, daß man alle Pulvervorräte entfernt und außerdem Heubner für sich gewonnen habe, welchem Bakunin nichts abzuschlagen vermöge. So sei denn nun, da übrigens alles in voller Kraft sei, der bereits für gestern beschlossene Rückzug nach dem Erzgebirge für morgen in der Frühe beschlossen, und der junge Zichlinsky habe bereits die Ordre, die Straße nach Plauen zu strategischer Sicherheit zu decken. Ich erkundigte mich nach Röckel; Bakunin erwiderte kurz: man habe ihn seit gestern abend nicht wiedergesehen, er werde sich haben fangen lassen; er sei nervös gewesen. Ich berichtete nun, was ich auf meinem Hin- und Herwege von Chemnitz wahrgenommen, nämlich die starken Massen von Zuzügen, worunter die Chemnitzer Kommunalgarde mit mehreren Tausenden sich befand. In Freiberg sei ich auf einen Zug von 400 Militärreservisten gestoßen, welche in vortrefflichster[418] Haltung den Volkskämpfern zu Hilfe zogen, jedoch vor Übermüdung vom Marschieren nicht weitergekommen seien. Es schien auf der Hand zu liegen, daß es hier an der nötigen Energie zur Requisition von Fuhrwerken fehlte und daß, wenn man hierin die Grenzen der loyalen Rücksichten überschritt, der Vereinigung frischer Streitkräfte sehr förderlich zu helfen sei. Man bat mich, sogleich den Weg wieder zurück zu machen, um den mir bekannt gewordenen Leuten diese Meinung von seiten der provisorischen Regierung zu überbringen. Sogleich meldete sich mein alter Freund Marschall von Bieberstein, mich hierzu zu begleiten, was mir, da er als ein Chargierter der provisorischen Regierung zur Überbringung von Befehlen derselben bei weitem geeigneter war als ich, sehr recht war. Der bis dahin übereifrige Mensch, der ebenfalls von gänzlicher Schlaflosigkeit erschöpft war und kein lautes Wort aus seiner heiseren Kehle mehr hervorbringen konnte, machte sich nun mit mir vom Rathaus aus durch all die bezeichneten schwierigen Wege zu seiner Wohnung in der Plauenschen Vorstadt auf, um dort in der Nacht bei einem ihm bekannten Kutscher noch einen Wagen für unsre Absicht aufzutreiben und zugleich auch von seiner Familie, von der er wohl auf länger sich trennen zu sollen voraussetzen mußte, Abschied zu nehmen. Während wir auf den Kutscher warteten, nahmen wir unter ziemlich ruhiger und gefaßter Unterhaltung mit den Frauen des Hauses unsren Tee mit Abendbrot zu uns. Nach mancherlei Abenteuern gelangten wir am frühen Morgen nach Freiberg, wo ich mich alsbald aufmachte, die zuvor mir bekannt gewordenen Führer des Reservisten-Zuzuges aufzusuchen. Marschall empfahl ihnen, Wagen und Pferde auf den Dörfern zu requirieren, wo sie nur könnten; als alles sich in Marsch nach Dresden gesetzt hatte und ich immer wieder von der leidenschaftlichsten Teilnahme an den dortigen Vorgängen zu einer abermaligen Rückkehr eben dahin gedrängt wurde, begehrte Marschall, seine Aufträge noch weiter in das Land hin auszuführen und sich von mir trennen zu dürfen. In einem Extrapostwagen wendete ich mich nochmals von den Anhöhen des Erzgebirges der Gegend von Tharandt zu, als auch mich die Schlafsucht überwältigte, bis ich von heftigem Schreien und Parlamentieren mit dem Postillon geweckt wurde. Ich fand, da ich die Augen öffnete, zu meiner Überraschung die Straße mit bewaffneten Freischärlern erfüllt, welche aber nicht nach, sondern von Dresden her zogen, und davon einige den Wagen für ihre eigene Ermüdung zur Umkehr zu benutzen suchten. »Was ist?« rief ich. »Wo zieht ihr hin?« – »Nach Haus«, war die Antwort, »in Dresden ist's aus! Dort unten in dem Wagen kommt auch die provisorische Regierung nach.« Wie ein Pfeil schoß ich aus dem Wagen, den ich nun den Ermüdeten nach Belieben überließ, und eilte vorwärts, die steilab sich biegende Straße dahin, um dem verhängnisvollen provisorischen Regierungsgefährte zu begegnen. Wirklich traf ich in diesem langsam bergauf sich bewegenden Fuhrwerke, einer eleganten Dresdner Lohnkutsche, Heubner, Bakunin und den energischen Postsekretär Martin[419] an, beide letztere mit Flinten bewaffnet; auf dem Bock hatte vermutlich das Sekretariat Platz genommen; hintenauf strebte, was von der ermüdeten Volkswehr nur konnte, sich ebenfalls zu setzen. Da ich mich nun eiligst ebenfalls in den Wagen hineinschwang, ward ich vor allem Zeuge einer wunderlichen Unterhaltung des Wagenbesitzers und Lohnkutschers mit der provisorischen Regierung. Der Mann bat flehentlichst, doch nur seinen Wagen, welcher auf ganz zarten Federn ruhe und keineswegs solche Last zu tragen imstande sei, zu schonen und den vielen Menschen zu sagen, daß sie sich nicht hinten und vorne aufsetzen sollten. Bakunin zog dagegen vor, ungestört mir einen kurzen Bericht über den ohne allen Verlust geglückten Rückzug aus Dresden abzustatten. Er habe noch in der Frühe die Bäume der neugepflanzten Maximilians-Allee fällen lassen, um durch diese Verhaue sich gegen einen Flankenangriff der Kavallerie sicherzustellen. Hierbei habe ihn besonders der Jammer der Bewohner dieser Promenade unterhalten, welche laut nur um die »scheenen Beeme« geklagt hätten. Währenddem wurde nun aber der Jammer unsres Fuhrhalters um seinen Wagen immer zudringlicher; er brach in lautes Schluchzen und Weinen aus. Bakunin beobachtete ihn mit wahrer Befriedigung, ohne ihn eines Wortes zu würdigen, und rief nur: »Die Tränen eines Philisters sind Nektar für die Götter.« Nur Heubner und mir selbst wurde die Szene lästig; er frug, ob wir denn nicht wenigstens aussteigen sollten, da er dies den andern nicht zumuten wollte. Wirklich zeigte es sich, daß das Verlassen des Wagens jetzt überhaupt rätlich war, da rings an der Chaussee die von neuem zuziehenden Freischaren sich zur Begrüßung der provisorischen Regierung und zum Empfang ihrer Befehle in Reih und Glied aufgestellt hatten. Heubner schritt nun mit großer Würde die Reihen entlang, teilte den Führern den Stand der Dinge mit und forderte sie auf, der Gerechtigkeit der Sache, für die so viele nun schon ihr Blut vergossen, ferner zu vertrauen; alles möge sich jetzt auf Freiberg zurückziehen, um dort die weiteren Verfügungen zu erfahren. Bei dieser Gelegenheit trat ein gewisser Metzdorff, deutsch-katholischer Prediger, ein ernster jüngerer Mann, den ich bereits in Dresden vorteilhaft kennengelernt und der mich bei einem bedeutenden Gespräch zum ersten Male auf die Lektüre Feuerbachs verwiesen hatte, aus dem Gliede der Freischar hervor, um sich besonders dem Schutze der provisorischen Regierung anzuempfehlen: er sei von dem Kommando der Chemnitzer Kommunalgarde, deren bewaffneten Auszug nach Dresden er durch eine von ihm geleitete Volksdemonstration erzwungen habe, auf diesem jetzt von jenem Bürgerwehrkorps angetretenen Marsche unter schlechtester Behandlung als Gefangener mitgeschleppt worden und verdanke seine Befreiung eben nur dem Zusammentreffen mit anderen, besser gesinnten Freikorps. Diese Chemnitzer Kommunalgarde gewahrten wir nun ebenfalls in weiter Entfernung auf einer Anhöhe aufgestellt. Abgeordnete derselben kamen heran und begehrten von Heubner Aufschluß über den Stand der Dinge; hierüber und über die[420] Vornahme, den Kampf in entscheidender Weise fortzusetzen, unterrichtet, luden sie die provisorische Regierung ein, ihren Sitz in Chemnitz aufzuschlagen. Als sie zu ihrem Truppenkörper zurückgekehrt waren, sahen wir diesen sofort abschwenken und umkehren. Mit allerlei ähnlichen Unterbrechungen gelangte der ziemlich konfuse Zug nach Freiberg, in dessen Straßen Freunde Heubners diesem entgegenkamen, um ihn dringend aufzufordern, über ihre Vaterstadt nicht das Unglück eines verzweiflungsvollen Straßenkampfes durch Festsetzung der provisorischen Regierung daselbst zu bringen; dieser schwieg dazu und bat Bakunin und mich, ihm in seine Wohnung zu einer Beratung zu folgen. Dort wohnten wir zunächst seinem schmerzlichen Wiedersehen mit seiner Frau bei, welche er mit wenigen Worten auf den Ernst und die Bedeutung der ihm zugeteilten Aufgabe hinwies: es gelte Deutschland und seiner edlen Zukunft, für welche er sein Leben eingesetzt habe. Ein Frühstück ward bereitet, und nachdem man sich zunächst in ziemlich guter Laune gestärkt, hielt nun Heubner eine kurze ruhige, aber feste Anrede an Bakunin, welchen er vorher nur so oberflächlich kennengelernt hatte, daß er nicht einmal seinen Namen richtig auszusprechen wußte: »Lieber Bakanin«, sprach er zu ihm, »ehe wir jetzt weiteres beschließen, muß ich von dir eine Erklärung darüber haben, ob dein politisches Ziel wirklich die rote Republik ist, von welcher man mir gesagt hat, daß du ihr Parteigänger seist: erkläre dich mir offen, damit ich weiß, ob ich ferner deiner Freundschaft vertrauen darf?« Unumwunden erklärte ihm Bakunin, daß er kein Schema für irgendwelche politische Regierungsform habe und weder für das eine noch das andre sein Leben daransetze. Was seine weitreichenden Wünsche und Hoffnungen betreffe, so hätten diese mit dem Straßenkampf in Dresden und allem, was sich für Deutschland daranknüpfen könnte, nichts eigentlich zu tun. Er habe den Dresdener Aufstand so lange für eine törige und zu bespöttelnde Bewegung angesehen, bis er die Wirkung des edlen und mutigen Beispiels Heubners wahrgenommen habe. Von da ab sei jede politische Rücksicht und Absicht in ihm gegen die Teilnahme an dieser begeisterten Haltung zurückgetreten, und er habe sofort den Entschluß gefaßt, als ergebener tatkräftiger Freund dem trefflichen Manne zur Seite zu stehen, von dem er wohl gewußt habe, daß er zur sogenannten gemäßigten Partei gehöre, deren politische Zukunft er nicht zu beurteilen vermöge, da er sich über den Stand der politischen Parteien in Deutschland zu unterrichten wenig Gelegenheit genommen habe. – Hierdurch erklärte sich Heubner befriedigt und frug jetzt nur nach Bakunins Meinung über den jetzigen Stand der Dinge: ob es nicht gewissenhaft und redlich sei, die Leute zu entlassen und einen doch wohl hoffnungslosen Kampf aufzugeben. Hiergegen erklärte nun Bakunin mit seiner gewohnten Ruhe und Sicherheit, daß den Kampf aufgeben dürfe wer wolle, nur er, Heubner, nicht. Er, als erstes Mitglied der provisorischen Regierung, habe zu den Waffen gerufen, seinem Rufe sei man gefolgt; Hunderte von Leben[421] seien geopfert: die Leute jetzt wieder auseinanderzuschicken, heiße so viel, als ob man diese Opfer einem eitlen Wahne gebracht habe, und wenn sie beide allein übrigblieben, so hätten sie ihren Platz nicht zu verlassen; ihr Leben hätten sie verwirkt im Falle des Erliegens, ihre Ehre müsse aber unangetastet bleiben, damit in Zukunft nicht alle Welt einem gleichen Aufruf gegenüber in Verzweiflung gerate. – Dies bestimmte Heubner; er verfaßte sofort den Aufruf zu den Wahlen einer konstituierenden Versammlung für Sachsen, welche er nach Chemnitz berief. Er nahm an, daß er dort sowohl durch die Bevölkerung als die von überall her noch angemeldeten zahlreichen Volkskämpferscharen unterstützt, das Zentrum einer provisorischen Regierung bis zur Klärung der allgemeinen Lage Deutschlands aufrechterhalten können würde. – Unter diesen Beratungen trat Stephan Born, ein Typograph, welcher zu Heubners größter Beruhigung während der drei letzten Dresdener Tage das Oberkommando übernommen hatte, in das Zimmer, um anzumelden, daß er den Rückzug der Bewaffneten in guter Ordnung, und ohne irgendwelchen Verlust zu erleiden, wirklich bis Freiberg geleitet habe. Der junge einfache Mann machte, namentlich durch die Wirkung die ser Meldung, einen sehr erhebenden Eindruck auf uns; nur auf die Frage Heubners, ob er es übernehmen werde, Freiberg gegen einen nun baldigst zu erwartenden Angriff der Truppen zu verteidigen, erklärte dieser, er sei nicht Militär und verstehe nichts von Strategie; dies könne nur ein gewiegter Offizier übernehmen. Unter solchen Umständen schien es besser, schon um Zeit zu gewinnen, nach dem volksreicheren Chemnitz sich zurückzuziehen; zunächst aber schien es erforderlich, vor allem für die Verpflegung der nun in großen Haufen zu Freiberg versammelten Freischaren zu sorgen. Born entfernte sich sofort, um die ersten Maßregeln hierfür zu treffen. Heubner verabschiedete sich ebenfalls, um eine Stunde seine müden Geister durch Schlaf zu kräftigen. Ich blieb mit Bakunin allein auf dem Sofa zurück; dieser sank bald, von unabweisbarem Schlaf überwältigt, zur Seite und kam dabei mit der furchtbaren Wucht seines Kopfes auf meine Schulter. Da ich bemerkte, daß es ihn nicht erwecken würde, wenn ich mich von dieser Last befreite, schob ich ihn mit Mühe zur Seite und entfernte mich von dem Schlafenden sofort aus dem Heubnerschen Hause, um, wie ich es nun so viele Tage schon getan hatte, mit Eifer von der Physiognomie der unerhörten Vorgänge mich zu überzeugen. So gelangte ich nach dem Rathaus, vor welchem und in welchem die tobende Masse der leidenschaftlich aufgeregten Freischärler von der Bürgerschaft nach Kräften bewirtet wurde. Zu meinem Erstaunen traf ich auch Heubner, welchen ich noch zu Hause im Schlaf wähnte, bereits in voller Tätigkeit hier wieder an. Es hatte ihn nicht ruhen lassen, die Leute auch nur eine Stunde ohne Rat zu wissen. Sogleich war unter seiner Anleitung eine Art von Kommandantur-Büro organisiert worden, und nun hatte er von neuem wieder auszufertigen und zu signieren, während von allen Seiten ein tobender Lärm ihn umdrängte.[422] Nicht lange dauerte es, so stellte sich auch Bakunin ein: er drang hauptsächlich auf einen guten Offizier; der war aber nicht zu finden; ein leidenschaftlicher älterer Mann, welcher als Kommandant eines bedeutenden Zuzuges aus dem Vogtlande hergekommen war, fiel durch seine energischen Reden Bakunin ermutigend auf: er wünschte, daß dieser sogleich zum Generalkommandanten erwählt würde. Doch schien jetzt in dem leidenschaftlichen Durcheinander jeder ordentliche Entschluß unmöglich; erst in Chemnitz hoffte man dieser wilden Bewegung Herr zu werden, und Heubner befahl daher, sobald alles gestärkt sei, den Weitermarsch nach Chemnitz alsbald in Ausführung zu bringen. Da dies entschieden war und ich selbst aus diesem Chaos mich hinwegsehnte, erklärte ich den Freunden, sofort den Zügen nach Chemnitz, wo ich sie morgen wieder treffen würde, vorauszureisen. Wirklich traf ich den Postwagen, dessen Abfahrt für diese Stunde bestimmt war, noch an und erhielt einen Platz in ihm. Da sich soeben die Freischaren auf der gleichen Straße zum Abmarsch in Bewegung setzten, erklärte man jedoch, erst den Vorüberzug derselben abwarten zu müssen, um mit der Diligence nicht in den Strudel hineingerissen zu werden. Dies verzögerte sich nun sehr. Ich sah lange Zeit der merkwürdigen Haltung der ausziehenden Freischaren zu: namentlich fiel mir eine vogtländische Truppe auf, welche ziemlich pedantisch dahinmarschierte; sie folgte dem Schlage eines Tambours, welcher in kunstvoller Weise die Monotonie seines Instrumentes dadurch zu variieren suchte, daß er abwechselnd auf den Holzrand der Trommel schlug. Der unangenehm klappernde Ton hiervon gemahnte mich in gespenstischer Weise an das Knochengeklapper von Totengerippen beim nächtlichen Tanz um den Rabenstein, wie ihn Berlioz im letzten Satze seiner »Sinfonie fantastique« mit so schrecklicher Realität in Paris meiner Phantasie vorgeführt hatte. – Plötzlich kam mich der Wunsch an, noch einmal nach den hinterlassenen Freunden zu sehen und womöglich mit ihnen gemeinschaftlich nach Chemnitz zu reisen; ich fand sie nicht mehr auf dem Rathause; in Heubners Wohnung angelangt, erfuhr ich, dieser schlafe. Ich kehrte nach der Post zurück; immer noch zögerte die Diligence mit der Abfahrt, noch war die Straße mit Freischaren gefüllt; beklommen ging ich längere Zeit auf und ab; da ich endlich an die Postfahrt meinen Glauben verlor, kehrte ich nochmals nach Heubners Hause zurück, um mich diesem bestimmt als Reisegefährten anzubieten. Heubner wie Bakunin hatten aber bereits Abschied vom Hause genommen und waren von mir nicht zu erfragen. Nun wandte ich mich verzweiflungsvoll nochmals zur Post zurück und fand jetzt allerdings den Wagen zur Abfahrt bereit. Mit diesem gelangte ich nach mancherlei aufhaltenden Abenteuern in später Nacht nach Chemnitz, stieg dort aus und begab mich in den nächstliegenden Gasthof, wo ich wenige Stunden schlief, um des andren Morgens um fünf Uhr mich nach der ungefähr eine Viertelstunde von der Stadt abgelegenen Wohnung meines Schwagers Wolfram zu verfügen. Unterwegs frug ich einen Kommunal-Wachtposten,[423] ob er etwas vom Eintreffen der provisorischen Regierung wisse. »Provisorische Regierung?« war die Antwort. »Na, damit ist es auch aus!« Ich verstand ihn nicht und konnte auch, als ich zu meinen Verwandten gelangte, zunächst nichts weiteres über den Stand der Dinge in Chemnitz erfahren, da mein Schwager selbst als Schutzmann nach der Stadt kommandiert war. Erst als dieser am späteren Vormittag nach Hause zurückkehrte, erfuhr ich, was, während ich im Chemnitzer Gasthofe einige Stunden geruht hatte, in einem andren Hotel daselbst sich zugetragen hatte. Heubner, Bakunin und jener schon erwähnte Martin waren, wie es scheint noch vor mir, in einem Privatwagen an das Tor von Chemnitz gelangt; dort nach ihren Namen befragt, hatte Heubner mit voller Autorität sich genannt und die Behörden des Ortes zu sich in das von ihm angegebene Hotel beschieden. Dort angelangt, waren alle drei von übermäßiger Müdigkeit zusammengebrochen, als plötzlich Gendarmerie in ihre Zimmer trat und sie im Namen der Königl. Kreisregierung verhaftete. Sie baten zunächst nur um einige Stunden ruhigen Schlafes: man möge sich versichert halten, daß in dem Zustand, in welchem sie seien, an keine Flucht gedacht werden könnte. Des weiteren erfuhr ich, daß sie am Morgen unter starker Militäreskorte nach Altenburg abgeführt worden seien; leider, so mußte mein Schwager mir bekennen, habe sich das Kommando der Chemnitzer Kommunalgarde, welches sehr wider Willen zum Abzug nach Dresden gezwungen worden sei und sich bereits mit dem Vorsatz, bei ihrer Ankunft daselbst sofort den Königl. Truppen sich zur Disposition zu stellen, den Marsch angetreten habe, Heubner durch seine Einladung nach Chemnitz getäuscht und in die Falle gebracht habe. Lange vor diesem sei jenes in Chemnitz angelangt gewesen und habe die Wache am Tore wieder in der Absicht besetzt, sofort von Heubners Ankunft zu erfahren, um seine Verhaftung ausführen zu können. Auch für mich war mein Schwager in großer Angst, da er von den Hauptleuten der Kommunalgarde in wütender Weise vernommen, daß man mich mit jenen Revolutionären zusammen und in Gemeinschaft gesehen habe. Jedenfalls sei es ein wunderbares Schicksalszeichen gewesen, daß ich nicht gemeinsam mit jenen auch in Chemnitz angekommen und den gleichen Gasthof bezogen hätte, weil sonst ich unerläßlich nun ihr Schicksal geteilt haben würde. Wie ein Blitz zog es mir durch die Seele, auf welch sonderbare Weise ich schon einmal als Student vor den voraussichtlichen Niederlagen in den mit den erfahrensten Raufdegen engagierten Duellen bewahrt worden ward. Das letzte furchtbare Ereignis machte den Eindruck auf mich, daß ich nun kein Wort mehr über alles, was mit den Vorgängen zusammenhing, über meine Lippen brachte. Auf das Andringen namentlich meiner Frau, welche nun für meine eigene Sicherheit in die größte Sorge geriet, übernahm es mein Schwager, mich des Nachts in seinem Wagen nach Altenburg zu begleiten, von wo ich mit dem Postwagen alsbald die Reise nach Weimar fortsetzte, wohin mein eigentlicher Kapellmeister-Urlaub[424] mich zu führen gehabt hatte und wo ich nun allerdings auf sonderbaren und unvorhergesehenen Abwegen anlangte. –

Den Zustand von träumerischer Entrücktheit, in welchem ich mich damals befand, kann ich nicht besser als dadurch bezeichnen, daß ich bei diesem erneueten Zusammentreffen mit Liszt sogleich auf die ihm in meinem Betreff einzig naheliegend scheinenden Beziehungen, auf die bevorstehende Wiederaufführung des »Tannhäuser« in Weimar einzugehen den Anschein hatte. Es fiel schwer, den Freund damit vertraut zu machen, daß ich in nicht ganz regelmäßiger Weise als königlicher Kapellmeister mich aus Dresden entfernt hatte. In Wahrheit hatte ich über mein Verhältnis zur öffentlichen Gerechtigkeit meines engeren Vaterlandes einen sehr unklaren Begriff. Hatte ich etwas nach den Gesetzen Strafbares begangen oder nicht? Mir war es unmöglich, darüber zu einer festen Ansicht zu gelangen. Unterdessen trafen aber immer neue Schreckensnachrichten über den grauenhaften Zustand der Dresdener Vorgänge auch in Weimar ein; namentlich der Regisseur Genast regte alles durch die von ihm verbreiteten Nachrichten über den mordbrennerischen Charakter der dort bewährten Tätigkeit Röckels, welcher in Weimar sehr bekannt war, auf. Aus meinen unverhohlenen persönlichen Äußerungen durfte Liszt bald ersehen, daß auch ich mit diesen erschreckenden Ereignissen in einem bedenklichen Zusammenhange stand; ihn beirrte jedoch eine Zeitlang meine Haltung in diesem Betreff, da es mir aus ganz andren Gründen, als den Gerichten sie ein leuchtend gewesen sein würden, nicht beikommen konnte, mich für einen Kämpfer in den vorgefallenen Schlachten auszugeben. Mein Freund blieb demnach in einer von mir unabsichtlich aufrechterhaltenen Täuschung. Bei Frau Caroline, Fürstin v. Wittgenstein, welche ich schon im vergangenen Jahre bei ihrem flüchtigen Besuche Dresdens kennengelernt hatte, vermochten wir uns mit Aufregung über allerhand künstlerische Probleme zu unterhalten. So entspann sich eines Nachmittags eine lebhafte Diskussion über meinen mündlich mitgeteilten Entwurf zu einer Tragödie »Jesus von Nazareth«, nach dessen Mitteilung Liszt ein bedenkliches Schweigen beobachtete, die Fürstin v. Wittgenstein jedoch lebhaft gegen das Vorhaben, einen solchen Stoff auf das Theater zu bringen, sich ereiferte. An dem wenigen Ernst, meine in diesem Betreff aufgestellten paradoxen Thesen festzuhalten, merkte ich selbst, wie um diese Zeit es innerlich mit mir stand; ich war und blieb, ohne daß man mir es deutlich anmerkte, von den erlebten Ereignissen bis auf den tiefsten Grund meines Wesens erschüttert. So kam es zu einer Orchesterprobe des »Tannhäuser«, welche mich wiederum künstlerisch mannigfaltig anregte. Liszts Direktion, wenn sie auch mehr dem musikalischen als dem dramatischen Teile galt, erfüllte mich zum ersten Male mit der schmeichelhaften Wärme des Gefühles, von einem anderen begriffen und innig mitgefühlt zu sein. Zugleich machte ich hier, trotz meines träumerischen Zustandes, entscheidende Beobachtungen über den Stand der Befähigung unserer[425] Opernsänger und der sie leitenden Regie. Nach dieser Probe folgte ich mit dem Musikdirektor Stör und dem Sänger Goetze der Einladung Liszts zu einem einfachen Diner in einem andren als in dem von ihm bewohnten Gasthof und hatte infolgedessen über einen bis dahin mir gänzlich unbekannten Zug in Liszts Temperament mich zu erschrecken. Infolge besondrer Anregungen geriet er, der sonst so harmonisch sicher sich Gebende, in eine wahrhaft erschreckende Stimmung, in welcher er gegen dieselbe Welt, gegen die auch ich mich in vollster Empörung befand, mit fast zähneknirschender Wut sich ereiferte. Sehr tief von diesem wunderbaren Kontakt mit dem außerordentlichen Manne ergriffen, doch unfähig, dem eigentlichen Zusammenhange seiner grauenhaften Kundgebungen zu folgen, verblieb ich im tiefsten Erstaunen, während Liszt von einem heftigen Nervenanfall im Laufe der darauffolgenden Nacht sich zu erholen hatte. Sehr erstaunt war ich nun wiederum, als ich des andern Morgens in erster Frühe den Freund vollkommen gerüstet fand, eine in mir unklaren Beziehungen für nötig gehaltene Reise nach Karlsruhe anzutreten, auf welcher ihn bis Eisenach zu begleiten ich mit dem Musikdirektor Stör von ihm eingeladen war. Auf der Fahrt nach Eisenach wurden wir vom Kammerherrn Beaulieu angehalten, welcher wissen wollte, ob ich bereit sei, von der Frau Großherzogin in Weimar, einer Schwester des Kaisers Nikolaus, im Eisenacher Schlosse empfangen zu werden; da meine Einrede wegen unziemlicher Reisebekleidung nicht geltend gelassen wurde, sagte Liszt in meinem Namen zu. Wirklich ward ich am Abend von der Großherzogin, welche sich auf das freundlichste mit mir unterhielt und ihrem Kammerherrn mich zu gebührender Achtung empfahl, in überraschend wohlwollender Weise aufgenommen. Liszt behauptete späterhin, seine hohe Gönnerin habe bereits Nachricht davon gehabt, daß ich in den nächsten Tagen von Dresden aus verfolgt werden würde, und deswegen damit geeilt, eben jetzt noch meine persönliche Bekanntschaft zu machen, weil sie wußte, daß sie in wenig Tagen sich damit stark kompromittiert haben würde. – Liszt, der von Eisenach weitergereist war, überließ mich Stör und dem Eisenacher Musikdirektor Kühmstedt, einem eifrigen und gewiegten Kontrapunktisten, zur weiteren Unterhaltung und Verpflegung. Mit diesen besuchte ich zum ersten Male das damals noch nicht restaurierte Schloß der Wartburg. Seltsame Gedanken über mein Schicksal stiegen mir bei diesem Besuch auf; nun zum ersten Male sollte ich dies mir so innig bedeutungsvolle Gebäude wirklich betreten, wo ich zu gleich mir sagen mußte, daß die Tage meines ferneren Verbleibens in Deutschland gezählt waren. Wirklich trafen, als wir anderen Tages nach Weimar zurückkehrten, die bedenklichsten Nachrichten aus Dresden ein. Da am dritten Tage Liszt wieder zurückkehrte, fand er einen Brief meiner Frau vor, welche nicht mehr direkt an mich zu schreiben gewagt hatte; sie meldete, daß eine polizeiliche Haussuchung in meiner Dresdener Wohnung, wohin Minna seither zurückgekehrt war, stattgefunden hatte und außerdem die Warnung[426] ihr zugekommen war, mich ja nicht etwa zur Rückkehr nach Dresden zu veranlassen, da der Verhaftsbefehl gegen mich erteilt sei und ich alsbald steckbrieflich verfolgt werden würde. Liszt, von jetzt an nur von Sorge für meine Person erfüllt, berief alsbald einen Rat erfahrener Freunde, um zu überlegen, was mit mir zu tun sei, um der mir drohenden Gefahr mich zu entziehen. Der Minister von Watzdorf, welchen ich bereits besucht hatte, war der Meinung gewesen, ich solle mich im Fall einer Requisition ruhig nach Dresden, wohin man mich sehr anständig in einem besondren Wagen bringen werde, abführen lassen. Andrerseits waren aber die zu uns gelangten Gerüchte über das rohe Verfahren, mit welchem die preußischen Truppen in Dresden bei der Ausführung des Belagerungszustandes zu Werke gingen, so beängstigender Natur, daß von Liszt und seinen zu Rat gezogenen Freunden auf meine schnelle Entfernung von Weimar, wo man mich nicht zu schützen vermögen würde, gedrungen wurde. Ich bestand jedoch darauf, bevor ich Deutschland verließe, von meiner so sehr geängstigten Frau noch Abschied zu nehmen und deshalb mich noch einige Zeit wenigstens in der Nähe von Weimar verhalten zu dürfen. Hierauf ward Rücksicht genommen, und Professor Siebert schlug einen gutgesinnten Ökonomen in dem drei Stunden entfernten Magdala zu meiner einstweiligen Beherbergung vor. Dahin fuhr ich nun am nächsten Morgen ab, um, durch einen Brief Sieberts empfohlen, dem schutzfreundlichen Ökonomen mich als Professor Werder vorzustellen, welcher aus Berlin kommend seine kameralistischen Studien durch einen Besuch auf den dort verwalteten Gütern praktisch zu verwerten suchen wollte. Hier in ländlicher Stille verweilte ich drei Tage, genoß auch die sonderbare Unterhaltung einer dort abgehaltenen Volksversammlung, welche von Resten der zum Zuzug nach Dresden ausgezogenen und nun zersprengt zurückkehrenden Freischaren veranstaltet wurde. Ich hörte bei dieser Gelegenheit mit sonderbaren, wohl an das Lächerliche streifenden Gefühlen den allerhand vorkommenden Reden zu. Am zweiten Tage meines dortigen Aufenthaltes kehrte die Frau meines Wirtes vom Markttage in Weimar zurück und berichtete den merkwürdigen Fall, daß der Komponist einer Oper, welche man am selben Tage dort aufführe, plötzlich Weimar habe verlassen müssen, weil die steckbriefliche Verfolgung aus Dresden gegen ihn dort eingetroffen sei. Mein durch Professor Siebert in das Geheimnis gezogener Wirt frug launig, wie er denn heiße? Da die Frau nicht recht Bescheid wußte, half er ihr mit dem in Weimar bekannten Namen des Musikdirektors Röckel nach. »Ja«, sagte sie, »Röckel, so hieß er, ganz richtig.« Nun lachte mein Wirt hell auf und meinte, der werde wohl nicht so dumm sein, trotz seiner Oper sich erwischen zu lassen. – Endlich am 22. Mai, meinem Geburtstage, traf Minna wirklich in Magdala ein. Sie hatte sich auf meinen Brief schleunigst nach Weimar und, von dort angewiesen, weiter zu mir begeben, um eben nur alles anzuwenden, mich zur schnellsten gänzlichen Flucht aus Deutschland zu bewegen. Kein Versuch,[427] sie auf die Höhe meiner Stimmung zu bringen, glückte mir; sie blieb dabei, in mir nur einen übelberatenen, unbesonnenen Menschen zu ersehen, der sich und sie in die schrecklichste Lage gestürzt habe. Es war verabredet worden, daß ich, während sie über Weimar gleichzeitig sich dahin begebe, von Magdala aus auf Fußpfaden anderen Abends in Jena eintreffen sollte, wo ich im Hause des Professor Wolff sie zu einem letzten Abschied wiedertreffen werde. Diese etwa sechsstündige Wanderung trat ich denn an und gelangte über eine Hochebene mit Sonnenuntergang in das jetzt zum ersten Male mir sich freundlich auftuende Universitätsstädtchen. Wirklich traf ich im Hause des mir bereits durch Liszt befreundeten Wolff meine Frau wieder an. Abermals ward, unter besonderer Mitwirkung eines Professors Widmann, dort Rat über mein weiteres Fortkommen gehalten; von Dresden aus war ich wirklich wegen dringenden Verdachtes der Beteiligung am Dresdener Aufstand steckbrieflich verfolgt und durfte somit in keinem der deutschen Bundesstaaten auf sichere Zuflucht mehr rechnen. Liszts Weisung ging durchaus auf Paris, wo ich ein Feld neuer Tätigkeit mir gewinnen könnte; Widmann riet jedoch, hierzu nicht den geraden Weg über Frankfurt und Baden einzuschlagen, weil dort der Aufstand noch im Gange sei und dahin reisende, verdächtig legitimierte Individuen jedenfalls von der Polizei mit vorzüglicher Wachsamkeit in das Auge gefaßt würden; am sichersten sei es durch Bayern, welches jetzt ganz ruhig sei, zunächst die Schweiz zu gewinnen, von wo aus meine Reise nach Paris ohne jede Gefahr zu bewerkstelligen sein würde. Da ich hierzu eines Passes bedurfte, bot mir Professor Widmann seinen eigenen, in Tübingen ausgestellten, bereits aber abgelaufenen an. Ich reiste nun mit dem Postwagen ab, nachdem ich unter dem Abschied von meiner ganz verzweiflungsvollen Frau wahrhaft und schmerzlich gelitten hatte. Ohne weitere Anfechtungen gelangte ich, unter andrem auch an Rudolstadt, dem für mich nicht erinnerungslosen Orte vorbei, an die Grenze Bayerns, von wo ich nun mit dem Postwagen ohne Unterbrechung meine Reise nach Lindau fortsetzte. Dort wurde mir am Tore mit den übrigen Passagieren der Paß abverlangt; unter der seltsamsten fieberischen Aufregung verbrachte ich die Nacht bis zur frühen Abfahrt des Bodensee-Dampfschiffes. Mir war besonders die schwäbische Sprache des Professors Widmann, auf dessen Paß ich reiste, in lebhafter Erinnerung geblieben; ich stellte mir vor, wie ich nun mit der bayerischen Polizei zu verkehren haben würde, wenn ich über die erwähnten Unregelmäßigkeiten des Passes mit ihr mich zu unterhalten haben sollte. Von fieberhafter Unruhe beherrscht, versuchte ich die ganze Nacht über mich im schwäbischen Dialekte zu üben, was aber zu meiner größten Erheiterung wiederum nicht gelingen wollte. Gespannt sah ich am Frühmorgen dem Augenblick entgegen, als der Gendarm zu mir in das Zimmer trat und, unwissend, wem die Pässe gehörten,[428] drei derselben mir zur gefälligen Auswahl übergab. Mit lachendem Herzen ergriff ich den meinigen und entließ den zuvor so gefürchteten Mann in freundlichster Weise. Auf dem Dampfschiff angelangt, erkannte ich mit wahrhaftem Behagen, daß ich mit seiner Besteigung mich bereits auf schweizerischem Boden befände; ein wundervoller Frühlingsmorgen ließ mich auf dem weiten See in die vor mir sich ausbreitende Alpenlandschaft ausblicken; als ich in Rorschach das eidgenössische Land betrat, benutzte ich den ersten Augenblick zu wenigen Zeilen nach heimwärts, womit ich meine glückliche Ankunft in der Schweiz, somit die Befreiung aus jeder Gefahr meldete. Die Fahrt im Postwagen durch das freundliche St. Gallener Ländchen nach Zürich erheiterte mich ungemein: als ich am letzten Mai, abends gegen sechs Uhr, von Oberstraß hinab nach Zürich einfuhr und zum ersten Male in glänzender Sonnenbeleuchtung die den See begrenzenden Glarner Alpen glänzen sah, beschloß ich sofort, ohne dies deutlich im Bewußtsein zu fassen, allem auszuweichen, was mir hier eine Niederlassung verwehren könnte.

Den Vorschlag meiner Freunde, über die Schweiz nach Paris zu reisen, hatte ich besonders aus dem Grunde angenommen, weil ich in Zürich einen alten Bekannten anzutreffen wußte, durch dessen Hilfe ich mir einen Paß nach Frankreich zu erlangen hoffen durfte, da ich es vermeiden wollte, dort als politischer Flüchtling anzukommen. Alexander Müller, mit dem ich in Würzburg seinerzeit in vielem freundschaftlichem Verkehr gestanden, war, wie ich erfahren, seit lange als Musiklehrer in Zürich niedergelassen. Einer seiner Schüler, Wilhelm Baumgartner, hatte mich vor einigen Jahren in Dresden besucht und mir Grüße von meinem alten Freunde überbracht; für diesen übergab ich jenem damals ein Exemplar der Partitur des »Tannhäusers«, um es ihm als Andenken zuzustellen. Mein freundliches Benehmen war auf keinen unfruchtbaren Boden gefallen: Müller und Baumgartner, welche ich alsbald aufsuchte, machten mich sogleich mit den beiden Staatsschreibern Jakob Sulzer und Franz Hagenbuch als denjenigen ihrer guten Freunde, welche meinem Wunsche am unmittelbarsten nachzukommen vermöchten, bekannt. Ich wurde von diesen Menschen, zu denen sich noch einige Vertraute gesellten, sogleich mit so achtungsvoll neugieriger Teilnahme empfangen, daß ich mich in ihrer Gesellschaft augenblicklich wohlfühlte. Die große bescheidene Sicherheit, mit der sie sich von ihrem naiv gewohnten republikanischen Standpunkte aus über die Verfolgungen, die mich betroffen, äußerten, versetzte mich in eine ganz neue Sphäre der bürgerlichen Anschauung des Lebens. Ich kam mir hier so sicher und geborgen vor, während ich dort, durch den sonderbaren Zusammenhang meines Ekels vor den öffentlichen Kunstzuständen mit der allgemeinen politischen Aufregung, ohne genaues Bewußtsein davon in die Lage, als Verbrecher angesehen zu werden, geraten war. Um die beiden Staatsschreiber, von denen namentlich Sulzer eine ausgezeichnet klassische Bildung genossen,[429] mir vollkommen geneigt zu machen, hatten die Freunde eine Abendzusammenkunft veranstaltet, in welcher man mich dahin brachte, meine Dichtung von »Siegfrieds Tod« vorzulesen. Ich kann beschwören, unter Männern nie aufmerksamere Zuhörer hierfür gefunden zu haben als an diesem Abend. Für jetzt verhalf mir mein Erfolg zunächst zur Ausstellung eines vollgültigen eidgenössischen Passes für den in Deutschland steckbrieflich Verfolgten, mit welchem ich nun unbesorgt nach einem nur kurzen Aufenthalte in Zürich meine Weiterreise nach Paris antrat. – Nachdem mich auf dieser Reise in Straßburg das weltberühmte Münster gefesselt und ergriffen hatte, reiste ich mit der damals noch besten Fahrgelegenheit, der sogenannten Malle-poste, nach Paris weiter. Eines sonderbaren Phänomens entsinne ich mich hierbei: bis hierher hatte die Nachwirkung der Kanonen- und Flintenschüsse des Dresdener Kampfes, namentlich im halbwachen Zustande, immer noch fortgewährt; jetzt fesselte mich das Summen der schnellrollenden Räder auf der Landstraße, und auf der ganzen Reise glaubte ich in ihm, wie von tiefen Baßinstrumenten vorgetragen, die Melodie von »Freude schöner Götterfunken« aus der Neunten Symphonie zu vernehmen.

Seit meinem Eintritt in die Schweiz bis zu meiner Ankunft in Paris hatte sich meine vorher zu traumartiger Dumpfheit herabgedrückte Stimmung zu einem noch nie gefühlten, frei behaglichen Wohlgefühl erhoben. Ich kam mir wie der Vogel in der Luft vor, der nicht bestimmt sei, in einem Sumpfe zugrunde zu gehen. Bald nach meiner Ankunft in Paris in der ersten Woche des Juni trat hiergegen jedoch wieder eine sehr fühlbare Reaktion ein. Ich war von Liszt an seinen ehemaligen Sekretär Belloni empfohlen; dieser glaubte, treu den erhaltenen Weisungen mich alsbald mit einem »Auteur« Gustave Vaisse, den ich jedoch nicht persönlich kennenlernte, wegen eines für Paris zu komponierenden Operntextes in Verbindung setzen zu müssen. Davon hörte ich nun nicht gern und fand genügenden Grund zur Abwehr der hierauf zielenden Unterhandlungen in den Mitteilungen, die man sich gegenwärtig über den Stand der damals in Paris wütenden Cholera machte. Ich war, um in Bellonis Nähe zu sein, in der rue Notre-Dame de Lorette abgestiegen; dort kamen fast stündlich, von dumpfem Trommelschlag angekündigt, Leichenkondukte der Nationalgarde vorbei. Bei drückender Hitze war mir der Genuß des Wassers streng verboten und überhaupt in jedem Bezug der Diät auf das strengste Vorsicht anempfohlen. Drückte bereits dieses die Stimmung in unbehaglichster Weise herab, so machte außerdem die ganze damalige äußere Physiognomie von Paris auf mich den niederschlagendsten Eindruck. Noch las man die Devise »Liberté, égalité, fraternité« an allen öffentlichen Gebäuden und sonstigen Etablissements; dagegen erschreckte mich der Anblick der ersten garçons caissiers der Bank, welche, mit ihren langen Geldsäcken über den Schultern und dem großen Portefeuille in der Hand, mir nie so häufig begegneten als gerade damals, wo im siegreichen Kampfe gegen die zuvor so gefürchtete Propaganda[430] des Sozialismus die alte Kapital-Herrschaft mit fast verhöhnendem Pompe das öffentliche Vertrauen wiederzugewinnen auf das eifrigste sich anließ. Wie mechanisch hatte ich einen Besuch in dem Musikladen Schlesingers, für welchen jetzt ein noch bei weitem dezidierterer Jude, Herr Brandus, mit schmutzigster Persönlichkeit als Nachfolger eingetreten war, gemacht. Nur der alte Kommis Mr Henri bewillkommnete mich freundlich, und nachdem ich mit ihm eine Zeitlang in dem anscheinend menschenleeren Magazine mich laut unterhalten hatte, frug er mich endlich mit einiger Verlegenheit, ob ich denn meinen Lehrer (»votre maître«) Meyerbeer noch nicht begrüßt habe. »Ist Herr Meyerbeer hier?« frug ich. »Gewiß«, war die noch verlegenere Antwort, »ganz in der Nähe, dort hinter dem Büro.« Da ich auf dasselbe zuschritt, kam wirklich mit allergrößter Verlegenheit Meyerbeer von dort, wo er sich über zehn Minuten, nachdem er meine Stimme vernommen, still verborgen gehalten hatte, hervor, sich lächelnd mit einer dringenden Korrektur entschuldigend. Ich hatte an dieser Erscheinung und diesem sonderbaren Wiedersehen genug; es kam so vieles im Betreff dieses Mannes bedenklich mir Widerfahrenes, namentlich die Bedeutung seines letzten Benehmens in Berlin gegen mich, in meine Erinnerung; da ich nun aber jetzt gar nichts mehr mit ihm zu tun hatte, begrüßte ich ihn mit einer gewissen heitern Freiheit, welche mir von dem Bedauern eingegeben ward, das ich über die von ihm bei der Kenntnisnahme meiner Ankunft in Paris geäußerte Verlegenheit empfand. Er nahm an, ich würde jetzt neuerdings versuchen, in Paris mein Glück zu machen, und schien sehr verwundert, als ich ihm im Gegenteil versicherte, daß mich der Gedanke, hier etwas zu suchen zu haben, anekele. »Aber Liszt hat doch ein brillantes Feuilleton über Sie im Journal des Débats veröffentlicht.« – »Ah so«, sagte ich, »ja, daran hatte ich nicht gedacht, daß die enthusiastische Ergebenheit eines Freundes sogleich als gemeinsame Spekulation aufgefaßt werden müßte.« – »Der Artikel hat aber viel Aufsehen gemacht. Es ist doch undenklich, daß Sie hieraus keinen Vorteil zu ziehen suchen sollten.« Diese widerliche Vermengung reizte mich zu einiger Heftigkeit, mit welcher ich Meyerbeer nun beteuerte, daß ich namentlich bei dem Laufe der Dinge, welchen jetzt die Welt unter der Herrschaft der Reaktion zu nehmen schien, an alles mögliche, nur nicht an öffentliche Kunstproduktion dächte. »Aber was verhoffen Sie sich denn von der Revolution?« erwiderte er. »Wollen Sie Partituren für die Barrikaden schreiben?« Worauf ich ihm versicherte, daß ich ja überhaupt an Partiturschreiben gar nicht dächte. Wir schieden, offenbar ohne es zu einem gegenseitigen Verständnis gebracht zu haben. Noch begegnete ich Moritz Schlesinger auf der Straße, der mich, ebenfalls unter dem Eindrucke des glänzenden Lisztschen Feuilletons, als eine ihm sehr begreiflich dünkende Erscheinung anhielt. Auch er glaubte, ich müßte es durchaus auf etwas in Paris abgesehen haben, und fand, daß ich dafür jetzt sehr gute Chancen hätte. »Wollen Sie mein Geschäft machen?« frug ich ihn. »Geld habe ich[431] nicht. Glauben Sie aber, daß die Aufführung der Oper eines Unbekannten etwas anderes als eine affaire d'argent sein könne?« – »Da haben Sie recht«, sagte Moritz und ließ mich augenblicklich stehen. – Von diesen widerlichen Berührungen mit der jetzt von voller Pest behafteten Hauptstadt der Welt wandte ich mich zu dem Schicksale meiner Dresdener Genossen zurück, von denen einige der mir Nächststehenden ebenfalls in Paris angelangt waren. Bei dem Maler meiner Dekorationen zu »Tannhäuser«, Despléchins, traf ich den soeben gleich mir hierher versprengten Semper. Die Freude dieses Wiedersehens war nicht gering, trotzdem wir beide nicht umhin konnten, das Groteske unserer Lage zu belächeln. Semper hatte sich, nachdem die berühmte Barrikade, welche er als Architekt fortwährend unter Inspektion gehalten hatte, umgangen worden war (denn daß sie eingenommen worden wäre, hielt er für unmöglich), von dem übrigen Kampfe zurückgezogen. Dennoch glaubte er sich soweit der Denunziation bloßgestellt zu haben, daß er bei Ankündigung des Belagerungszustandes durch die Dresden okkupierenden Preußen sich dort nicht mehr für sicher hielt. Er schätzte sich glücklich, als holsteinischer Landesangehöriger nicht von den deutschen Regierungen, sondern vom dänischen Gouvernement in betreff eines Passes abhängig gewesen zu sein, welcher ihm zur ungestörten Flucht nach Paris verholfen hatte. Als ich ihn aufrichtig und herzlich über diese Wendung der Dinge, welche ihn aus einer soeben begonnenen großen Berufstätigkeit, der Vollendung des Baues des Dresdener Museums, herausgerissen habe, beklagte, wollte er hierauf nicht viel geben und meinte, er habe Ärger genug damit gehabt. Trotz unserer gedrückten Lage verbrachte ich mit Semper die einzigen heiteren Stunden dieses Pariser Aufenthaltes. Bald fand sich auch noch der junge Heine, mein ehemaliger »Lohengrin«-Dekorationsaspirant, ebenfalls als Flüchtling dazu. Ihm war für sein Fortkommen nicht bange, da ihn sein Lehrer Despléchins gern in Beschäftigung zu nehmen sich erbot. Nur ich erkannte mich gänzlich zwecklos nach Paris verschlagen und sehnte mich auf das heftigste aus dessen Choleraatmosphäre hinweg. Hierzu erbot mir Belloni eine Gelegenheit, welche ich sogleich freudig ergriff: er lud mich ein, ihm und seiner Familie nach einem Landaufenthalte bei La Ferté sous Jouarre zu folgen, wo ich in reiner Luft und vollkommener Stille mich erholen und die Wendung der Dinge für mich abwarten könnte. Dort hinaus, nach Rueil, ging nun nach acht Tagen, welche ich in Paris verbracht, die kleine Reise, und bei einem marchand de vin, Monsieur Raphaël, in unmittelbarer Nachbarschaft des Maires des Dorfes, bei welchem die Familie Belloni ihren Aufenthalt nahm, fand ich für jetzt mein dürftiges Unterkommen in einer Stube mit Alkoven, in welcher ich nun meinem weiteren Schicksale entgegensah. Während eine Zeitlang alle Nachrichten aus Deutschland ausblieben, suchte ich so gut wie möglich mit Lektüre mich zu[432] beschäftigen, und nachdem ich mit Proudhons Schriften, namentlich mit seinem »De la Propriété« mich in der Weise beschäftigt hatte, daß ich für meine Lage sonderbar ausschweifende Tröstungen daraus gewann, unterhielt mich längere Zeit die zerstreuend anziehende »Histoire des Girondins« von Lamartine. Eines Tages brachte mir Belloni die Nachricht von dem verunglückten Emeute-Versuch der Republikaner unter Ledru-Rollins Führung, welcher soeben, am 13. Juni, in Paris gegen das bereits in voller Reaktion segelnde provisorische Gouvernement unternommen worden war. Soviel Entrüstung diese Nachricht bei meinem Versorger und dem Maire des Ortes, seinem Verwandten, an dessen Tisch wir täglich unsere bescheidene Mahlzeit einnahmen, hervorbrachte, so machte sie im ganzen doch weniger Eindruck auf mich, da mein Augenmerk immer noch in sehr aufgeregter Stimmung auf die deutschen Vorgänge am Rheine, namentlich auf das einer provisorischen Regierung verfallene Großherzogtum Baden gerichtet war. Als nun aber auch von dort die Nachrichten von der durch die Preußen herbeigeführten Niederlage der anfangs nicht hoffnungslos erscheinenden Bewegung eintrafen, wurde mir sonderbar wehe zumute: die Nüchternheit, mit welcher ich auf meine persönliche Lage zu blicken genötigt war, übermannte mich; das bisher meine Aufregung rechtfertigende Ungemeine derselben verlor sich immer mehr in die gemeine Nötigung der praktischen Sorgen. Zu meiner vollständigsten Ernüchterung hätten die endlich eintreffenden Mitteilungen von seiten meiner weimaranischen Freunde sowie von meiner Frau führen sollen. Ich erfuhr von den ersteren eine ziemlich trockene Beurteilung meines Verhaltens in der letzten Vergangenheit; man fand, daß vorläufig nichts für mich zu tun sei, namentlich nicht in Dresden oder etwa bei dem großherzoglichen Hofe, da man an »eingeschlagenen Türen füglich nicht gut anklopfen könnte«; »on ne frappe pas à des portes enfoncées« – (Fürstin v. Wittgenstein an Belloni.) Ich wußte nicht, was ich hierzu sagen sollte, da es mir keineswegs eingefallen war, durch eine Vermittelung nach jenen Seiten hin etwas für mich zu erwarten, und nahm es dagegen mit unbefangener Genugtuung auf, daß man für das Nächste mir einige Hilfsmittel zukommen ließ. Mit diesen beschloß ich mich nach Zürich aufzumachen, um dort bei Alexander Müller, in dessen Wohnung ich genügenden Raum bemerkt hatte, ein vorläufiges Unterkommen zu suchen. Am traurigsten war mir ein Brief meiner Frau, welche längere Zeit gar nichts von sich hören gelassen hatte. Sie kündigte mir an, unmöglich an eine Wiedervereinigung mit mir denken zu können; denn nachdem ich so gewissenlos eine Anstellung und überhaupt ein Verhältnis, wie sie nie wieder sich mir bieten würden, verscherzt und zertrümmert hätte, wäre einer Frau wohl schwerlich zuzumuten, an meinen etwaigen Unternehmungen für eine zukünftige Versorgung teilzunehmen. Ich fühlte mich zunächst zu einer gerechten Würdigung der üblen Lage meiner Frau gestimmt; indem ich sie vollkommen hilflos meinerseits lassen mußte, konnte ich sie zunächst nur[433] auf den möglichen Erlös aus dem Verkauf unseres Dresdener Mobiliars sowie auf die Teilnahme meiner Leipziger Verwandten anweisen. Die Vorstellung von dem Bedrückenden dieser Lage hatte bisher nur dadurch mir erleichtert werden können, daß ich sie als einigermaßen an der mich beherrschenden Aufregung teilnehmend gedacht hatte, wofür ich während jenen außerordentlichen Vorgängen selbst mancherlei Anzeichen wahrgenommen zu haben glaubte. Dies stellte sie nun aber vollständig in Abrede, wollte in mir durchaus nur das ersehen, was die öffentliche Meinung daheim allgemein sah, welche sie einzig darin milderte, daß sie meinen unerhörten Leichtsinn als Entschuldigung dafür annahm. Nachdem ich nun Liszt herzlich empfohlen hatte, zunächst nach Kräften für meine Frau einige Sorge zu tragen, gelangte ich jetzt aber bald zu einiger Beruhigung über dieses im ganzen so unerwartete Benehmen meiner Frau. Ihrer Erklärung, mir zunächst nun nicht wieder schreiben zu wollen, erwiderte ich durch meine Vornahme, sie gleichfalls durch Mitteilung über mein sehr zweifelhaftes Schicksal nicht in neue Beunruhigung zu versetzen. Es ging mir der Verlauf unseres langjährigen Zusammenlebens seit jenem ersten, so stürmischen und leidenvollen Jahre unserer Verheiratung an meinem prüfenden Bewußtsein vorüber. Unzweifelhaft waren die bedrängnisvollen Jugendjahre unseres ersten Pariser Aufenthaltes wohltätig wirksam gewesen. Die Not, in welcher sie sich so ausdauernd benahm, wie ich mich arbeitsam gegen sie wehrte, hatte die Seele unserer Gemeinsamkeit wie in eisernen Banden gefesselt. Einen schönen Lohn für das Ausgestandene fand dann Minna in meinem Dresdener Erfolge und namentlich der dortigen so beneideten Anstellung. Als Frau Kapellmeisterin war sie offenbar auf der Höhe aller ihrer Erwartungen vom Leben angelangt, und was mir endlich meine Wirksamkeit als Dresdener Kapellmeister verbitterte, empfand sie nur als eine Bedrohung jenes ihres Wohlbehagens. Bereits mit der Richtung, welche ich mit dem »Tannhäuser« einschlug und durch welche sie meine Erfolge auf den Theatern so bedenklich bedroht sah, schwand ihr eigentlich der Mut und das Vertrauen auf unsre Zukunft. Je mehr ich endlich, teils in meinen Konzeptionen, für welche ich mich immer unmitteilsam gegen sie verhielt, teils aber gar in meinem Verhalten zu dem Theater und seinem Chef, immer mehr aus dem ihr einzig ersprießlich dünkenden Geleise mich entfernte, verlor sie nun gar jenen Zusammenhang mit mir, in welchem sie in früheren Jahren, wie sie aus den Erfolgen nachweisen zu dürfen glaubte, mit mir gestanden zu haben vermeinte. Mein Benehmen in der Dresdener Katastrophe sah sie als Folge dieser Abirrungen vom richtigen Wege an und erkannte darin nur den Einfluß gewissenloser Menschen auf mich, namentlich des unglücklichen Röckel, welche meiner Eitelkeit geschmeichelt und mit sich mich in das Verderben gezogen hätten. Tiefer als dieser doch immer nur noch die äußeren Lebensverhältnisse betreffende Zwiespalt hatte aber von jeher, seit unserer Wiedervereinigung, die innere Unübereinstimmung zwischen uns sich meines Bewußtseins[434] bemächtigt. Von je war es zwischen uns zu Auftritten von der allerleidenschaftlichsten Heftigkeit gekommen: nie hatten diese Auftritte sich durch eine Versöhnung oder gar ein Bekenntnis ihres Unrechtes ausgeglichen; sowohl das Bedürfnis schneller Wiederherstellung des häuslichen Friedens als auch die nach jedem Exzeß der Aufregung sogleich mir nahetretende Erkenntnis, daß bei der großen Ungleichheit der Charakteranlagen und namentlich des Bildungsstandes es an mir sei, durch das richtige Benehmen solchen Auftritten vorzubeugen, hatten mich stets vermocht, alle Schuld der vorgefallenen Ereiferungen auf mich zu nehmen und Minna durch das Bekenntnis meiner Reue darüber zu besänftigen. Leider mußte ich endlich gewahren, daß ich dadurch mich aller Macht über ihr Gemüt, namentlich über ihren Charakter begeben hatte; denn trat nun der Fall ein, in welchem ich ganz unmöglich zu dem gleichen Versöhnungsmittel greifen konnte, weil es der ganzen Konsequenz meiner Anschauung und meiner Handlungsweise galt, so traf ich jetzt auf ein durch meine frühere Nachgiebigkeit in dem Grade verhärtetes weibliches Gemüt, daß nie und unter keinen Umständen ein je gegen mich begangenes Unrecht nur als möglich eingeräumt wurde. Genug, was zu dem Verfall meiner Dresdner Lage, meiner großen Rücksichtslosigkeit gegen meine dortige Stellung unbeachtet nicht wenig beigetragen hatte, war der nicht mindere Verfall meines ehelichen Lebens, in welchem ich nicht nur keinen Halt, keine Tröstung und Stärkung fand, sondern sogar auf den unbewußten Mitverschwornen der mich bedrückenden feindseligen Verhältnisse traf. Diese Einsicht stellte sich jetzt, nachdem ich die erste Erschütterung über das offenbar lieblose Benehmen meiner Frau überstanden, deutlich in mir heraus. Ich entsinne mich jedoch, daß ich hierdurch nicht eigentlich von einem Schmerz erfaßt wurde, daß im Gegenteil, da ich denn nun einmal gänzlich hilflos war, die Erkenntnis, bisher mein ganzes Leben auf Sand gebaut zu haben, mit einer fast erhabenen Beruhigung auf mich wirkte. Was diese schnellgewonnene Ruhe mir allerdings einzig ermöglichte, war aber eben das Bewußtsein dieser vollständigen Verlassenheit, für welche ich nun in meiner gänzlichen Armut einen mich stärkenden Trost fand. So ergriff ich die zuletzt aus Weimar mir gebotene Hilfe mit Eifer, um meinem zwecklosen Aufenthalte, in welchem ich nach irrig mir gesteckten Zielen streben sollte, mich zu entziehen und einen Zufluchtsort aufzusuchen, welcher nichts Anziehendes für mich hatte als gerade nur die gänzliche Aussichtslosigkeit, auf den bisher von mir betretenen Lebensbahnen es dort zu etwas zu bringen. Dies war eben das von aller öffentlichen Kunst gänzlich entblößte Zürich, wo zum ersten Male mir einige einfache Menschen begegnet waren, welche von meinen künstlerischen Arbeiten nichts kannten, wie es aber schien, an meiner nackten Person ein freundschaftliches Wohlgefallen gefunden hatten. –

Ich kam im Hause Alexander Müllers an, begehrte irgendwo eine Kammer zu meinem Unterkommen und wies ihm, als den Rest meines ganzen[435] Vermögens, 20 Franken an. Zwar mußte ich bald bemerken, daß mein alter Bekannter durch mein ihm äußerlich bezeigtes Zutrauen in Verlegenheit gesetzt wurde und darüber in Besorgnis geriet, was mit mir anzufangen sein sollte. Ein in der ersten Aufwallung von ihm mir zur Verfügung gestelltes größeres Zimmer, in welchem ein Flügel stand, gab ich alsbald freiwillig auf, um mich in ein bloßes Schlafzimmer zurückzuziehen. Peinlich war es mir nur, an seinen häuslichen Mahlzeiten teilzunehmen, nicht, weil sie meinem Geschmack unangenehm, sondern meinen Verdauungswerkzeugen nachteilig waren. Dagegen fand ich außer dem Hause meines Gastfreundes die entgegengesetzte, vom lokalen Standpunkte betrachtet schwelgerischeste Aufnahme. Dieselben jüngeren Männer, welche bei meiner vorherigen Durchreise durch Zürich so teilnehmend sich zu mir gefunden hatten, zeigten fortwährend große Neigung zu meinem Umgang. Bald trat unter ihnen Jakob Sulzer mit auffallender Bedeutung hervor. Dieser blieb noch längere Jahre in dem Fall, wegen unzureichenden Alters nicht zum Mitglied der Züricher Regierung berufen werden zu können, weil hierzu das dreißigste Jahr nötig war. Trotz seiner Jugendlichkeit übte er jedoch auf alle seine Umgebung den Einfluß der vollsten Mannesreife aus. Wenn man mich in späteren Zeiten frug, ob ich in meinem Leben je dem begegnet sei, was man im moralischen Sinne wirklichen Charakter und eigentliche Rechtschaffenheit nennt, so konnte ich nach genauer Prüfung niemand anders als diesen jetzt neu mir gewonnenen Freund Jakob Sulzer nennen. Er verdankte seine frühe Beförderung zu einer der vorzüglichsten Anstellungen im Kanton Zürich, nämlich als Staatsschreiber, dem Bedürfnisse der vor kurzem zur Regierung gelangten, von Alfred Escher geführten liberalen Partei, welche, da sie die öffentlichen Ämter nicht füglich mit den hierfür geübteren Gliedern der älteren konservativen Partei besetzt lassen konnte, darauf angewiesen war, ihr eifrigstes Augenmerk auf besonders begabte jüngere Leute zu richten. Als ein solcher war Sulzer vor allen in das Auge gefaßt worden. Er war soeben von den Universitäten in Bonn und Berlin zurückgekommen, um als Dozent der Philologie in seiner Heimat sich zu habilitieren, als er von der neuen Regierung zu ihrem Mitgliede geworben wurde. Um dem ihm gestellten Ansinnen zu entsprechen, hatte er nötig gehabt, sich ein halbes Jahr nach Genf zu begeben, um sich im Gebrauch der französischen Sprache, welche er bei seinen ernsten philologischen Studien bisher vernachlässigt hatte, notdürftig zu üben. Sein großer Scharfblick, sein ungemeiner Fleiß sowie die große Selbständigkeit und Unbeugsamkeit seines jedem Parteimanöver unzugänglichen Charakters verschafften ihm in wenigen Jahren eine der wichtigsten Stellungen in der Regierung, welcher er längere Zeit als Direktor der Finanzen und namentlich als Mitglied des eidgenössischen Schulrates zu bedeutender und segensreicher Wirksamkeit nützte. Seine so unerwartete Bekanntschaft mit mir schien ihn in eine eigentümliche Schwankung zu versetzen; von seinen philologischen[436] und humanioren Studien, zu welchen er aus Neigung bestimmt worden, war er durch die unerwartete Berufung in die Regierung in überraschender, fast betäubender Weise abgelenkt worden. Fast schien es, als ob sein Bekanntwerden mit mir ihn in Reue deswegen versetzte. Meine Dichtung von »Siegfrieds Tod« deckte ihm, dem Kenntnisvollen, mein Studium des deutschen Altertums auf, mit welchem auch er, jedoch mit größerer philologischer Genauigkeit, als mir dies möglich geworden war, sich beschäftigt hatte. Namentlich aber durch sein etwas späteres Bekanntwerden mit meiner Art, die Musik zu betreiben, war der so eigentümlich ernste und zurückhaltende Mensch in so warme Teilnahme für eine seinem erwählten Berufe fern abliegende Sphäre versetzt, daß er endlich, wie er deutlich bekannt, ganz bestimmt sich bemühen zu müssen glaubte, gegen diese störenden Einflüsse sich mit einer absichtlichen Schroffheit zu behaupten. In dieser ersten Zeit meines Züricher Aufenthaltes ließ er sich jedoch mit wirklichem, liebenswürdigem Freimut in dieser Richtung gehen. Die altehrbare offizielle Wohnung des ersten Staatsschreibers beherbergte häufiger, als dies dem Ansehen des Staatsbeamten des kleinen Philisterstaates dienlich sein konnte, gastliche Zusammenkünfte einer Gesellschaft, wie sie nur um mich als Mittelpunkt sich bilden konnte. Besonders dem Musiker Baumgartner erschienen bei solchen Gelegenheiten die Produkte von Sulzers Weinbergen in Winterthur, welche dieser mit vieler Liberalität spendete, von großer Anziehungskraft. Wenn auch ich, bei meiner damaligen verzweiflungsvoll heiteren Losgebundenheit, in den äußersten Konsequenzen meiner jetzt sich bildenden Kunst- und Lebenstheorien mich bis zu dithyrambischen Ergüssen hatte hinreißen lassen, wurde mir oft von meinen Zuhörern in einer Laune erwidert, welche ich nicht unrichtig häufiger dem genossenen Weine als der Einwirkung meiner Begeisterung zuschreiben mußte. Als einst der Professor Ettmüller, der Germanist und Edda-Gelehrte, nachdem er auf Sulzers Einladung einer Vorlesung meines »Siegfried« beigewohnt hatte, in schwerfällig begeistertem Zustand auf den Heimweg geleitet worden war, brach unter den zurückbleibenden Genossen ein sonderbarer Übermut aus: ich geriet auf den Gedanken, dem Herrn Staatsschreiber die schweren Türen seiner Wohnung aus den Angeln zu heben; als der Staatsschreiber Hagenbuch die große Anstrengung, die mich dies kostete, gewahrte, stellte er mir seine außerordentliche Körperkraft hilfreich zu Gebote, und mit ziemlicher Leichtigkeit wurden nun gemeinschaftlich wirklich sämtliche Türen ausgehoben und zur Seite gestellt, worüber Sulzer keine Miene anders als zu freundlich wohlwollendem Lächeln verzog. Nur des anderen Tages bekannte er uns auf unsre Erkundigung danach, daß ihn das mühsame Wiedereinheben der Türen, welches er mit seiner geringen Kraft allein hatte bewerkstelligen müssen, die ganze Nacht bis zum Morgen beschäftigt habe, da es ihm natürlich daran gelegen gewesen, dem sehr früh erscheinenden Weibel die wilden Vorgänge der Nacht geheimzuhalten.[437]

Die eigentümliche Vogelfreiheit, in welcher ich mich damals befand, wirkte mit zunehmender Aufregung auf mich. Oft bangte mir selbst vor der übermäßigen Exaltation meines ganzen Wesens, in welcher ich stets und gegen jeden aufgelegt war, in den seltsamsten Paradoxen mich zu ergehen. Alsbald nach meiner Ankunft in Zürich machte ich mich daran, meine Ansichten über das Wesen der Dinge, wie sie unter dem Drange meiner künstlerischen Lebenserfahrungen und dem Einflusse der politischen Aufregung der Zeit sich gebildet hatten, aufzuzeichnen. Da mir überhaupt jetzt nichts übrigzubleiben schien, als mit der schriftstellerischen Feder, so gut es ging, mir etwas zu verdienen zu suchen, war ich auf den Gedanken gekommen, für ein großes französisches Journal, etwa den damals noch bestehenden »National«, eine Reihe von Artikeln zu liefern, in welchen ich mich in meinem revolutionären Sinne über die moderne Kunst und ihr Verhalten zur Gesellschaft aussprechen wollte. Sechs dieser zusammenhängenden Aufsätze sandte ich meinem älteren Bekannten Albert Franck, dem Bruder jenes bedeutenderen Hermann Franck, welcher in Paris die früher durch meinen Schwager Avenarius geleitete deutsch-französische Buchhandlung als Eigentümer übernommen hatte, mit dem Wunsche zu, für ihre Übersetzung in das Französische und geeignete Veröffentlichung sorgen zu wollen. Ich erhielt diese Artikel mit der bald als sehr richtig befundenen Bemerkung, daß sowohl ihr Verständnis wie selbst nur ihre Beachtung seitens des Pariser Publikums, namentlich in dieser Zeit, durchaus unmöglich erschien, zurückgeschickt. Ich versah das Manuskript nur mit der Überschrift »Kunst und Revolution« und sandte es an den Buchhändler Otto Wigand nach Leipzig, welcher auch wirklich seine Herausgabe als Broschüre übernahm und mir fünf Louisdor als Honorar dafür übersandte. Dieser außerordentliche Erfolg bestimmte mich, an eine weitere Ausbeutung meiner schriftstellerischen Anlage zu denken. Ich suchte unter meinen Papieren die Abhandlung hervor, welche ich im vergangenen Jahre als Ausbeute meiner historischen Studien über die Nibelungen-Sage für mich aufgezeichnet hatte, gab ihr den Titel »Die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage« und versuchte damit mein Glück sofort wieder bei Wigand. Der aufregende Titel von »Kunst und Revolution« sowie das ungeheure Aufsehen, welches mein Charakter als zum politischen Flüchtling gewordener Königlicher Kapellmeister machte, hatten den radikalgesinnten Verleger mit der Hoffnung auf ergiebigen Skandal aus der Veröffentlichung meiner Schriften erfüllt. Wirklich erfuhr ich sehr bald, daß er einen zweiten Druck von »Kunst und Revolution«, ohne mir jedoch als von einer zweiten Auflage davon Notiz zu geben, in kürzester Zeit hatte vornehmen lassen. Auch mein neues Manuskript nahm er mir daher gegen fünf Louisdor Honorar ab. Dies war zum ersten Male, daß ich von der Veröffentlichung meiner Arbeiten einen Gewinn zog, und wirklich glaubte ich, nun auf dem rechten Punkte angelangt zu sein, um meinem Schicksale in aktiver Weise beizukommen. Ich ging mit[438] mir zu Rate darüber, nächsten Winter öffentliche Vorlesungen über ähnliche Gegenstände in Zürich zu halten und überhaupt in dieser freien gelegentlichen Weise mich in der Lage zu erhalten, ohne Anstellung und namentlich ohne Musik mir eine wenn auch dürftig lohnende Wirksamkeit für die nächste Zeit einzurichten.

Es schien mir nötig, daß ich auf solche Auskunftsmittel verfiel, da andrerseits die Welt sich ganz wieder in der Weise einrichtete, daß ich ohne etwas Geldverdienst nicht gewußt hätte, wie ich in ihr bestehen sollte. Kurz nach meiner Ankunft in Zürich hatte ich die Reste der auf Schweizer Gebiet versprengten badischen Armee mit den sie begleitenden flüchtigen Freischaren anlangen sehen, was mir einen jammervollen und unheimlichen Eindruck machte. Die Nachricht von der Übergabe bei Villagos durch Görgey lähmte die letzten Hoffnungen für die Behauptung der bis dahin immer noch unentschiedenen Stellung des großen europäischen Freiheitskampfes. Erst jetzt wendete ich, jedoch mit großer und banger Erschütterung, meinen Blick von den äußeren Weltbegebenheiten auf mein Inneres zurück. In dem Café littéraire, wo ich täglich nach meiner beschwerlichen Mahlzeit unter einem Domino und Jast spielenden und qualmenden Männerjux meinen Kaffee zu nehmen pflegte, betrachtete ich träumerisch die ordinären Wandtapeten, welche antike Gegenden darstellten und mir in wunderlicher Weise den in früher Jugend von einem Genellischen Aquarell, die Erziehung des Dionysos durch die Musen darstellend, im Hause meines Schwagers Brockhaus empfangenen Eindruck zurückriefen. Ich konzipierte da die Ideen zu meinem »Kunstwerk der Zukunft«, und wunderbar bedeutungsvoll war es mir, daß ich aus einer solcher Träumerei einmal durch die Anzeige des Aufenthaltes der Schröder-Devrient in Zürich geweckt wurde. Hastig machte ich mich auf, um sie im nahe gegenüberliegenden Gasthofe »Zum Schwerte« aufzusuchen, erfuhr aber zu meinem fast heftigen Schrecken, daß sie soeben mit dem Dampfschiff bereits wieder abgereist sei. Ich habe sie nun nie wieder gesehen, sondern hatte nur nach längeren Jahren durch meine Frau, welche später in Dresden wieder in näheren Umgang mit ihr gelangte, ihren schmerzlichen Tod zu erfahren.

Nachdem ich so zwei merkwürdige Monate des Sommers in dieser wilden, sonderbar losgelösten Lage verbracht, erhielt ich auch wieder tröstliche Lebenszeichen von der in Dresden zurückgebliebenen Minna. Obgleich diese sich so schroff und verletzend von mir abgesondert hatte, brachte ich es doch nicht über mich, von ihr mich als völlig losgebunden anzusehen. Ich erkundigte mich bei einer ihrer Verwandten durch einen Brief, von dem ich anzunehmen hatte, daß er ihr zugesendet würde, teilnehmend nach ihrem Schicksal, für welches ich andrerseits durch wiederholte Anempfehlungen an Liszt, soweit es mir eben einzig möglich war, gesorgt hatte. Hierauf bekam ich nun eine direkte Antwort, welche mir, neben den Beweisen für die Rüstigkeit der tätigen Frau gegenüber ihrer schwierigen Lage, zugleich[439] Zeugnis für ihren ernstlichen Wunsch, sich wieder mit mir zu vereinigen, gab. Sie sprach zwar ihren großen Unglauben an alle die Aussichten, die ich mir für ein Aufkommen in Zürich selbst eröffnet hatte, fast verachtungsvoll aus, meinte aber doch, sie müsse, da sie nun einmal meine Frau sei, es nochmals wagen, und hielt dabei die Annahme fest, ich werde ihr Zürich nur als vorübergehenden Zufluchtsort anbieten und dagegen in Paris meine Geschäfte als Opernkomponist ernstlich zu betreiben suchen. So kündigte sie mir an, einen bestimmten Tag des September dieses Jahres mit dem Hündchen Peps, dem Papagei Papo und ihrer vorgeblichen Schwester Nathalie in Rorschach auf Schweizer Boden ankommen zu wollen. Nachdem ich zu ihrem Empfang und unserer gemeinschaftlichen Beherbergung eine Stube und Kammer gemietet, machte ich mich nun von Rapperswyl zu einer Fußreise durch das berühmte freundliche Toggenburg und Appenzell nach St. Gallen und Rorschach auf und fühlte mich doch sehr gerührt, als ich die sonderbare Familie, welche zur Hälfte aus Haustieren bestand, im Hafen von Rorschach anlanden sah. Besonders freundlich, ich muß dies offen gestehen, wirkten das Hündchen und der Vogel auf mich. Meine Frau erkältete meine Empfindung jedoch sogleich beim Wiedersehen durch die Drohung, jeden Augenblick zur Rückkehr nach Dresden bereit zu sein, wo ihr von vielen befreundeten Seiten für den Fall eines ungeeigneten Benehmens meinerseits Schutz und Zuflucht zugesichert sei. Mir genügte dagegen ein Blick auf die in kurzer Zeit offenbar sehr gealterte Frau, um mich zu dem nötigen Mitleiden zu stimmen, welches alsbald meine Bitterkeit verschlang. Ich suchte ihr vor allem Mut zu machen und das gegenwärtige Mißgeschick nur als vorübergehend darzustellen. Dies gelang nun im Anfang schwer; schon die kleinliche Außenseite der Stadt Zürich beschämte sie in der Erinnerung an das stattlichere Dresden. Auf die Freunde, mit denen ich sie bekannt machte, gab sie gar nichts. Den Staatsschreiber Sulzer hielt sie für einen einfachen »Stadtschreiber, der doch in Deutschland gar nichts zu bedeuten habe«. Völlig empört war sie über die Frau meines bisherigen Gastfreundes Alexander Müller, als diese auf ihre Klagen über die elende Lage, in welche ich mich gebracht, ihr entgegenhielt, das sei ja eben meine Größe, daß ich sie nicht gescheut habe. Wiederum aber schmeichelte sie mir durch die Verkündigung der Ankunft einiger Effekten meines Dresdener Hausstandes, von welchen sie annahm, daß sie für eine zukünftige Niederlassung unentbehrlich seien. Diese bestanden aus meinem gutgemeinten aber schlechten Breitkopf-und-Härtelschen Flügel und dem in gotischem Rahmen eingefaßten Titelblatte der Nibelungen von Cornelius, das ich in Dresden über meinem Schreibtisch aufgehängt hatte. Auf diese Grundlage einer häuslichen Niederlassung hin beschlossen wir, uns nun in einer kleinen Wohnung, in den sogenannten »Hinteren Escherhäusern« am Zeltwege einzurichten. Aus dem mit großem Geschick von ihr vollbrachten, an sich sehr schwierigen und mannigfach angefochtenen Erlös unseres Dresdener Mobiliars[440] waren ihr bei ihrer Ankunft noch etwa 100 Taler für unsre Niederlassung übriggeblieben. Meine kleine, aber sorgfältig ausgewählte Büchersammlung glaubte sie mir vortrefflich bewahrt zu haben, indem sie sie, auf dessen dringendes Anerbieten hierfür, dem Bruder meines Schwagers, dem Buchhändler und sächsischen Abgeordneten Heinrich Brockhaus, übergeben hatte. Sehr bestürzt war sie dagegen, als sie späterhin, da sie nun die Zusendung der Bücher von dem vorsorgenden Verwandten sich erbat, von diesem erfuhr, daß er sie für eine Schuld von 500 Talern, welche ich in der Zeit meiner Dresdener Bedrängnis gegen ihn eingegangen war, bis zur Wiedererstattung dieser Summe in Beschlag genommen zu haben vermeinte. Da ich im Verlaufe vieler Jahre nie dazu gelangte, diese Schuld bar wiedererstatten zu können, blieb auch diese für meine ganz besondren Bedürfnisse geordnete Büchersammlung für immer mir verloren. – Namentlich mit Hilfe des von meiner Frau seines mißverstandenen Titels wegen anfänglich so geringgeschätzten Staatsschreibers Sulzer, welcher, bei seinem im übrigen keineswegs reichen Vermögenszustande, es ganz natürlich fand, in bescheidenster Weise mir über die Schwierigkeiten meiner Lage hinwegzuhelfen, gelang es aber doch, die kleine Wohnung bald so gemütlich herzurichten, daß es meinen einfach gewöhnten Züricher Freunden bei ihrem Besuche ganz behaglich darin erschien. Das unverkennbare Talent meiner Frau zeigte sich hier wieder in vollem Glanze; namentlich entsinne ich mich der ingeniösen Herrichtung eines Nipptisches durch Benützung der Kiste, in welcher meine Musikalien und Manuskripte durch Minnas Fürsorge nach Zürich gelangt waren.

Endlich handelte es sich aber doch darum, wie ich nun Mittel zu unsrer Ernährung herbeischaffen sollte. Der Gedanke an von mir zu haltende öffentliche Vorlesungen empörte den Stolz meiner Frau im höchsten Grade. Sie kannte nur eines, das Festhalten des von Liszt angeregten Planes: Komposition einer Oper für Paris; schon um sie zu beruhigen, und da ich allerdings nichts Ergiebiges in der Nähe ersehen konnte, setzte ich mich auch wirklich hierüber in erneuete Korrespondenz mit meinem großen Freunde und seinem Sekretär Belloni in Paris. Immerhin mußte etwas Nächstes geschehen; ich nahm die Einladung der Züricher Musikgesellschaft, in ihren Konzerten ein klassisches Orchesterwerk zu dirigieren, an und studierte dem dürftigen Orchester derselben die A-dur Symphonie Beethovens ein, womit ich allerdings eine nachhaltige Wirkung auf das Auditorium hervorbrachte, mir auch ganze 5 Napoléons erwarb, meine Frau doch aber sehr traurig stimmte, weil sie der so bedeutenden Kunstmittel und rühmlicheren Umgebung gedachte, welche kurz zuvor in Dresden bei der gleichen Bemühung noch mitgeholfen und gelohnt hatten. Ihr steter Zuruf blieb unter allen Umständen und ohngeachtet aller künstlerischen Skrupel, mich auf die glanzvollere Pariser Karriere zu werfen. Während es immer noch uns beiden unerklärlich bleiben mußte, woher ich denn nur die Mittel zu der[441] Reise und dem nötigen Aufenthalte hierfür in Paris nehmen sollte, versenkte ich mich von neuem in die mir jetzt einzig naheliegende Sphäre der kunstphilosophischen Spekulation. Unter dem härtesten Drucke der Nahrungssorgen und im stets sieglosen Kampfe gegen die Kälte eines sonnenlosen Parterrestübdlens verfaßte ich in den Wintermonaten November und Dezember dieses Jahres meine zusammenhängendere, »Das Kunstwerk der Zukunft« betitelte Schrift. Minna hatte gegen diese Beschäftigung nichts einzuwenden, da ich ihr doch von dem Erfolg meiner ersten Broschüre und von der Hoffnung, diese größere Schrift mit gesteigertem Honorar belohnt zu sehen, sagen konnte.

So genoß ich einer vorübergehenden Ruhe, in welcher mich nur die innere Aufregung beherrschte, die namentlich infolge des Bekanntwerdens mit den Hauptschriften Ludwig Feuerbachs in mir genährt wurde. Von jeher war mir der Hang zu eigen gewesen, in die Tiefen der Philosophie etwa so einzudringen, wie ich durch den mystischen Einfluß der Neunten Symphonie Beethovens den abliegendsten Tiefen der Musik nachzuforschen mich gedrängt gefühlt hatte. Die ersten Versuche, diesen Drang zu befriedigen, waren durchaus fehlgeschlagen. Keiner der Leipziger Professoren hatte mich in den Vorlesungen über Fundamental-Philosophie und Logik festzuhalten vermocht. Ich hatte mir das Buch Schellings über den »transzendentalen Idealismus«, welches mir seinerzeit Gustav Schlesinger, ein Freund Laubes empfahl, verschafft, zerbrach mir aber vergebens den Kopf, bei der Lektüre der ersten Seiten davon etwas zu denken, und kehrte immer wieder zu meiner »Neunten Symphonie« zurück. In der letzten Periode meines Dresdener Aufenthaltes suchte ich jedoch auch diesem älteren, nun neu erwachten Drange wieder gerecht zu werden und knüpfte dafür an meine damals mich so sehr fesselnden tiefergehenden historischen Studien an. Ich wählte nun zu meiner Einführung in die Philosophie Hegels »Philosophie der Geschichte«. Hier imponierte mir vieles, und es schien mir, als müßte ich auf diesem Wege in das Innere des Heiligtumes gelangen. Je unverständlicher viele im spekulativen Sinne resümierende Phrasen des ungeheuer berühmten, als Schlußstein aller philosophischen Erkenntnis mir gepriesenen gewaltigen Geistes erschienen, desto mehr fühlte ich mich angeregt, der Sache von dem »Absolutum« und was damit zusammenhing auf den Grund zu gehen. Die Revolution kam dazwischen; die praktischen Tendenzen für eine neue Gestaltung der Gesellschaft führten mich ab, und, wie ich bereits erwähnt, war es ein ehemaliger Theologe, damals deutsch-katholischer Prediger und politischer Agitator mit einem Kalabreser Hute namens Metzdorf, welcher mich zuerst auf den »rechten und einzigen Philosophen der Neuzeit«, Ludwig Feuerbach, verwies. Jetzt brachte mir mein neuer Züricher Freund, der Klavierlehrer Wilhelm Baumgartner, dessen Buch über »Tod und Unsterblichkeit« in das Haus. Der allerseits anerkannte, sehr anregende lyrische Stil des Verfassers übte auf mich als gänzlich Fachungebildeten[442] einen großen Reiz aus. Die verfänglichen Fragen, die hier, als ob sie zum erstenmal aufgeworfen würden, mit anziehender Umständlichkeit abgehandelt waren, hatten mich seit meinem ersten Umgange mit Lehrs in Paris, ebenso wie jeden phantasievollen ernsten Menschen, fortgesetzt, jedoch nie andauernd beschäftigt, und im ganzen hatte ich mich in diesem Betreff mit den poetischen Andeutungen begnügt, die über dieses bedeutende Thema hier und da bei unsern großen Dichtern vorkommen. Die Unumwundenheit, zu welcher sich Feuerbach in den reiferen Teilen seines Buches endlich über diese tiefinteressierenden Fragen ermutigt, gefielen mir ebenso ihrer tragischen wie sozial-radikalen Tendenz wegen sehr. Es schien mir rühmlich und lohnend, die einzig wahre Unsterblichkeit nur der erhabenen Tat oder dem geistvollen Kunstwerke zugeteilt zu wissen. Etwas schwerer gelang es bereits, mich für »Das Wesen des Christentums« von demselben Verfasser bei dauerndem Interesse zu erhalten, da ich die Breite und unbehilfliche Ausdehnung der Darstellung des einfachen Grundgedankens, die Religion vom rein subjektiven psychologischen Standpunkte aus zu erklären, unter der unwillkürlichen Wirkung der Lektüre nicht unempfunden lassen konnte. Jedoch galt mir Feuerbach nun einmal als Repräsentant der rücksichtslos radikalen Befreiung des Individuums vom Drucke hemmender, dem Autoritätsglauben angehörender Vorstellungen, und dem Eingeweihten wird es recht wohl erklärlich dünken, welches Gefühl mich bestimmte, als ich meine Schrift »Das Kunstwerk der Zukunft« mit einer Dedikation und einem Vorworte an Feuerbach einleitete. Meinen Freund Sulzer, einen wohlgeschulten Hegelianer, verdroß es sehr, mich in dieser zu dem von ihm gar nicht als Philosoph gezählten Feuerbach angenommenen Stellung zu sehen. Das Beste an der Sache wäre, so meinte er, daß mich Feuerbach zu Gedanken angeregt habe, während dieser selbst keine besitze. Was mich dagegen wirklich bestimmt hatte, Feuerbach eine für mich wichtige Bedeutung beizulegen, war dessen Schluß, mit welchem er von seinem ursprünglichen Meister Hegel abfiel: daß nämlich die beste Philosophie sei, gar keine Philosophie zu haben, womit mir das bisher abschreckende Studium derselben ungemein erleichtert wurde; sowie zweitens, daß nur das wirklich sei, was die Sinne wahrnehmen. Daß er in die ästhetische Wahrnehmung unserer Sinnenwelt das, was wir Geist nennen, setzte, dies war es, was mich, neben der Erklärung von der Nichtigkeit der Philosophie, für meine Konzeption eines allumfassenden, für die einfachste rein menschliche Empfindung verständlichen Kunstwerkes, des vollendeten Dramas, im Momente seiner jede künstlerische Intention verwirklichenden Darstellung als »Kunstwerk der Zukunft« so ergiebig unterstützte; und diesen Erfolg scheint mir Sulzer gemeint zu haben, als er geringschätzend über Feuerbachs Einfluß auf mich sich äußerte. Allerdings war es mir nach kurzer Zeit bereits unmöglich geworden, auf dessen Schriften wieder zurückzukommen, und ich entsinne mich, daß sein bald hierauf erscheinendes Buch »Über das[443] Wesen der Religion« mich bereits der Monotonie seines Titels wegen derart abschreckte, daß ich es Herwegh, der es mir aufschlug, vor den Augen zusammenklappte.

Für jetzt arbeitete ich mit großer Begeisterung einen zusammenhängenderen schriftstellerischen Entwurf aus, und freute mich eines Tages, dem in Zürich eingetroffenen Vater meines jungen Freundes Bülow, dem Novellisten und Tieckianer Eduard von Bülow, bei einem Besuche, den er mir in meinem Stübchen abstattete, das Kapitel über die Dichtkunst vorzulesen, wobei ich jedoch zu bemerken hatte, daß ich mit meinen radikalen Ansichten über das Literatur-Drama und den jeder Gegenwart neu zugebärenden Shakespeare eine aufrichtige Bestürzung hervorrief. Desto besser, so hoffte ich, würde der Buchhändler Wigand dieses neue revolutionäre Buch aufnehmen und seinem größeren Volumen angemessen zu honorieren bereit sein. Ich forderte 20 Louisdor und erhielt sie auch fürs erste – zugesagt.

Diese erwartete Einnahme sollte nun mit dazu verhelfen, meinen endlich notgedrungen gefaßten Vorsatz auszuführen, noch einmal nach Paris zu gehen, um dort mein Glück als Opernkomponist zu versuchen. Hiermit hatte es nun seine besondere, höchst bedenkliche Bewandtnis: mir war der Gedanke daran nicht nur höchst verhaßt, sondern ich wußte auch, daß ich mit dem Zugeständnisse seiner Ausführung wirklich eine Unredlichkeit beging, da es meinem Gefühle vollständig deutlich war, daß ich es nie ernst mit diesem Vorhaben würde meinen können. Alles wirkte aber zusammen und darauf hin, wenigstens in den Versuch eines solchen Unternehmens zu willigen; namentlich war es Liszt, welcher mich mit erneueten Ermahnungen und jedenfalls in dem Glauben, dadurch mir den einzig geziemenden ruhmreichen Weg zu zeigen, dahin drängte, die im vergangenen Sommer durch Belloni angeknüpften Verhandlungen wieder aufzunehmen. Wie ernstlich infolgedessen ich mich bemühte, mir die Ausführung des Vorhabens als möglich zu denken, bewies ich dadurch, daß ich selbst den ausführlichen Plan des Sujets entwarf, welches der französische Dichter mir nur versifizieren sollte, da ich an ein wirklich von diesem zu erfindendes und zu verfassendes Sujet, welches ich eben nur zu komponieren gehabt hätte, nie auch nur im entferntesten denken durfte. Ich wählte hierzu die am Schlusse meiner soeben vollendeten Schrift »Das Kunstwerk der Zukunft« so emphatisch berührte Sage von Wieland dem Schmied, welche mir durch die Simrocksche Bearbeitung dieses Gegenstandes aus der Wilkyna-Saga nahegetreten war. Ich arbeitete einen vollständigen szenischen Entwurf mit bereits genauer Dialogisierung für drei Akte aus und glaubte mich nun unter Seufzen entschließen zu können, diesen meinem Pariser Autor zur Bearbeitung zu übergeben. Die Wege zu einigem Bekanntwerden meiner Musik in Paris glaubte Liszt durch sein Einvernehmen mit dem Dirigenten der damals dort bestehenden »Concerts de St. Cécile«, Herrn Seghers, angebahnt zu haben. Im Januar des neuen Jahres sollte von ihm die »Tannhäuser«-Ouvertüre[444] aufgeführt werden, und es schien nun erforderlich, daß ich um diese Zeit dort bereits anwesend sei. Dem meiner Mittellosigkeit wegen an sich so schwierig auszuführenden Unternehmen entstand andrerseits eine sehr unerwartete Förderung. Wohl hatte ich mich nach jeder sonst befreundeten Seite in der Heimat um einige Hilfe für mich gewendet, jedoch vergebens. Namentlich von der Familie meines Bruders Albert, dessen Tochter jetzt in eine glänzende theatralische Karriere eintrat, erfuhr ich die Behandlung, wie man sie einem schadhaften Gliede erweist, vor dessen Ansteckung man sich zu bewahren sucht. Dagegen eröffnete sich mir in rührender Weise die begeisterte Anhänglichkeit der in Dresden zurückgebliebenen Familie Ritter, mit welcher ich bisher nur durch den jungen Karl in eine vorübergehende Berührung getreten war. Durch meinen alten Freund Heine von meiner Lage benachrichtigt, hatte sich Frau Julie Ritter, die ehrwürdige Mutter des Hauses, sofort verpflichtet gefühlt, mir durch einen Geschäftsfreund die Summe von 500 Talern zur Verfügung zu stellen. Um dieselbe Zeit erhielt ich aus Bordeaux einen Brief jener Mme Laussot, welche mich im vergangenen Jahre in Dresden besucht hatte und die nun in wohltätig rührenden Ausdrücken mir ihre fortgesetzte Teilnahme bezeigte. Es waren dies die ersten Symptome einer neuen Phase, in welche von jetzt an mein Leben treten sollte und in welcher ich mich gewöhnte, mein äußeres Schicksal von inneren Bestimmungen abhängig zu wissen, welche mich dem Kreise der bisher empfundenen häuslichen Enge entziehen sollten. Für jetzt hatte diese Hilfe fast etwas Bitteres für mich, da sie mir nun jeden Vorwand benahm, mit welchem ich immer noch geneigt war, gegen die Ausführung des verhaßten Pariser Unternehmens anzukämpfen. Als ich jedoch gerade aus dieser günstigen Wendung den Grund entnahm, meiner Frau vorzustellen, daß wir am Ende doch auch in Zürich auskommen dürften, geriet sie völlig außer sich über meine Schwäche und Verzagtheit; sie erklärte, wenn ich nicht allen Ernstes versuchte, es in Paris zu etwas Ordentlichem zu bringen, sie an mir verzweifeln und nicht zusehen würde, wie ich in Zürich als elender Schriftsteller und Dirigent von Winkelkonzerten jämmerlich verkäme. Wir waren in das Jahr 1850 getreten, und was zunächst die endlich von mir, um nur Ruhe zu haben, beschlossene Abreise nach Paris noch verzögerte, war mein sehr peinliches Unwohlsein. Die Rückwirkung der ungemeinen Aufregung der letzten Zeiten auf meine Nerven war nicht ausgeblieben, der großen und andauernden Überreizung schien die entsprechende Abspannung zu folgen. Beständige Erkältungen in der ungesunden Wohnung, in welcher ich anhaltend über meinen Arbeiten gesessen, führten beunruhigende Symptome herbei. Eine anscheinende Schwäche der Brust stellte sich ein, gegen welche ein politisch flüchtiger Arzt unter andrem mit Pechpflaster verfahren zu müssen glaubte: infolge dessen und der aufreizenden Wirkung davon auf meine Nerven verlor ich längere Zeit die Fähigkeit, laut zu sprechen; dennoch hieß es, ich müsse fort. Als ich ausgehen[445] sollte, um mein Postbillett zur Reise zu lösen, fühlte ich mich so matt, daß ich unter heftigem Schweiße zusammenbrach und noch einmal umkehrte, um meiner Frau vorzustellen, ob es denn nicht doch vernünftiger sei, daß ich unter diesen Umständen die Reise aufgäbe. Sie sah nicht ganz unrichtig, als sie in meinem krankhaften Zustande nichts eigentlich Gefährliches erkannte und meinte, daß dabei viel auf Einbildung beruhe, und wenn ich nur erst am rechten Orte sei, ich mich bald besser fühlen werde. Ein unsäglich bittres Gefühl stimulierte schon jetzt meine Nerven, als ich mit verzweifelt heftigen Schritten aus dem Hause mich nach der Post begab, um das verhängnisvolle Billett zu lösen. In den ersten Tagen des Februar reiste ich wirklich nach Paris ab, jedoch mit sonderbaren Empfindungen, die, wenn in ihnen Hoffnung keimte, diese jedenfalls aus einer ganz andren Sphäre meines Inneren nährten als aus dem äußerlich mir aufgedrungenen Glauben an einen Pariser Erfolg als Opernkomponist.

Meine erste Sorge war, mir eine geräuschlos gelegene Wohnung zu verschaffen, was von jetzt an überhaupt eine der wichtigsten Erfordernisse für jede meiner Niederlassungen wurde. Der Kutscher, der mich von Straße zu Straße durch abgelegene Quartiere fahren mußte, dem ich aber schließlich vorzuwerfen hatte, daß es dort immer noch zu lebhaft sei, um still zu wohnen, entgegnete mir verweisend: dazu komme man nicht nach Paris, um in einem Kloster zu wohnen. Endlich geriet ich auf den Ausweg, in einer der Cités, durch welche keine Wagen fahren, nachzusehen, und bestimmte mich endlich, in der Cité de Provence, rue de Provence, eine Stube mit Kammer zu mieten. Getreu dem mir aufgedrungenen Vorhaben, suchte ich zuerst Herrn Seghers wegen der beabsichtigten Aufführung der »Tannhäuser«-Ouvertüre auf. Da hatte ich denn durch meine verspätete Ankunft durchaus noch gar nichts versäumt, denn man zerbrach sich eben noch den Kopf darüber, wie man die zur Ouvertüre nötigen Orchesterstimmen herbeischaffen sollte. Ich hatte darüber an Liszt zu schreiben, die Kopie zu bestellen und die Zusendung abzuwarten. Belloni war nicht gegenwärtig; nichts konnte vor sich gehen, und ich hatte wieder Zeit, in meiner immerhin von den Leierkästen stark belästigten Cité über den Zweck meines Pariser Aufenthaltes nachzudenken. Es war mir schwer, einem Agenten des Ministeriums des Innern, welcher sich alsbald bei mir einfand, um meiner bedenklichen Eigenschaft als politischer Flüchtling wegen nach diesem Zwecke sich zu erkundigen, die rein künstlerische Bedeutung desselben zu dokumentieren. Zum Glück imponierte ihm meine Partitur, welche ich ihm vorwies, so wie auch Liszts vorjähriger Artikel über die »Tannhäuser«-Ouvertüre im Journal des Débats genügend, um mich schließlich mit der Einladung zu verlassen, mit ruhigem Eifer meinen friedlichen Unternehmungen, in welchen mich die Polizei durchaus nicht stören würde, nachzuhängen.

Doch auch meine älteren Pariser Bekannten suchte ich nun wieder auf. [446] Semper traf ich in der gastfreien Wohnung Despléchins an, wo er mit verschiedenen untergeordneten künstlerischen Arbeiten seine gestörte Lage sich erträglich zu machen suchte. Seine Familie hatte er noch in Dresden zurückgelassen, von woher nur die abschreckendsten Nachrichten zu uns gelangten. Dort begannen sich allmählich die Zuchthäuser mit den unglücklichen Opfern der letzten sächsischen Bewegung zu füllen. Von Röckel, Bakunin und Heubner war nichts andres zu erfahren, als daß sie, um Hochverrat angeklagt, einer Verurteilung zum Tode entgegensahen. Mancherlei Berichte über die Roheiten und Grausamkeiten, welche von seiten des Militärs gegen Gefangene verübt worden waren, ließen uns unsre gegenwärtige Lage immer noch als eine besonders günstige erkennen. Mit Semper, den ich häufig sah, belebte sich der Umgang meist zu einem oft verwogenen Humor; er war entschlossen, sich mit seiner Familie in London, wo ihm Aussichten auf verschiedene Bestellungen eröffnet waren, zu vereinigen. Meine neuesten schriftstellerischen Versuche und die in ihnen ausgesprochenen Gedanken interessierten ihn sehr; es kam darüber zu belebten Unterhaltungen, zu denen sich anfänglich erheiternd, endlich aber Semper sehr belästigend, auch Kietz einfand. Diesen hatte ich buchstäblich in der Lage wieder angetroffen, in welcher ich ihn vor langen Jahren verließ: er fand sich immer mit seinen Pinseln noch nicht zurecht und hätte eigentlich gewünscht, daß die Revolution einen entschiedeneren Ausgang genommen hätte, um unter der Begünstigung eines allgemeinen Zusammenbruches aus seinem peinlichen Verhältnisse zu seinem Hauswirt zu geraten. Doch brachte er ein recht artiges Porträt von mir in seiner allerersten Jugendmanier mit buntem Bleistift zustande; bei dieser Gelegenheit hatte ich ihm leider das Kunstwerk der Zukunft zu erklären und verursachte dadurch eine langjährige Konfusion, welcher er dadurch verfiel, daß er überall, selbst bei einigen Pariser Bourgeois, wo er Freitische hatte, Propaganda für mich machen wollte. Außerdem war er der alte, gute, grundgefällige und treuherzige Mensch geblieben, und selbst Semper mußte ihn lächelnd zu ertragen lernen. Auch meinen bereits sehr gealterten Freund Anders trieb ich wieder auf, was jederzeit ziemlich schwer war, da er außer der Schlafenszeit nur in der Bibliothek, wo er niemand empfangen durfte, eingeschlossen war, dann im Lesekabinett seine Erholungsstunden verdämmerte und sein Diner gewöhnlich bei einigen Bürgerfamilien, in welchen er Klavierunterricht erteilte, einnahm. Doch freute ich mich, ihn verhältnismäßig weit gesünder anzutreffen, als ich bei meinem früheren Fortgange von Paris gehofft hatte, da er mir damals der Auszehrung entgegenzugehen schien. Sonderbarerweise war ihm ein Beinbruch für die Herstellung seiner Gesundheit dienlich geworden; die Behandlung desselben führte ihn nämlich einer Wasserheilanstalt zu, welche dem ganzen Gesundheitszustande äußerst vorteilhaft gewesen war. Alles, was ihm im Sinne lag, war einzig, mich noch zu einem großen Sukzeß in Paris kommen zu sehen, und eifrig versicherte er sich im[447] voraus eines besonders bequemen Platzes zur ersten Aufführung meines in irgendwelcher Weise zu erwartenden Werkes, da, wie er stets wiederholte, es ihm sehr beschwerlich sei, einen Platz einzunehmen, wo er gedrängt werden könnte. Den Nutzen meiner gegenwärtigen schriftstellerischen Arbeiten glaubte er nicht einsehen zu können; dennoch beschäftigten diese mich wieder ausschließlich, da mir bald kund ward, daß es nicht einmal zu der Aufführung der »Tannhäuser«-Ouvertüre kommen könnte. Eifrigst hatte zwar Liszt die Orchesterstimmen besorgt und zugeschickt; doch erklärte mir nun Herr Seghers, er befinde sich bei seinem Orchester in einer demokratischen Republik, wo alles gleich stimmberechtigt sei, und die Stimmen desselben hätten sich dahin vereinigt, für den Rest der ablaufenden Wintersaison sich ohne meine Ouvertüre zu behelfen. Ich entnahm mir aus dieser Wendung genug, um meine elende Lage zu erkennen. – Allerdings machte ich auch an dem Erfolg meiner Schriftstellerei keine ermutigende Erfahrung; ein von gräßlichen Druckfehlern strotzendes Exemplar der Wigandschen Ausgabe meines »Kunstwerk der Zukunft« gelangte zu mir; statt des erwarteten Honorars von 20 Louisdor erklärte mir jedoch mein Verleger, daß er mir für jetzt nur die Hälfte zahlen könnte; er habe sich durch einen anfänglich raschen Absatz der Exemplare von »Kunst und Revolution« verleiten lassen, meinen Schriften einen zu hohen buchhändlerischen Wert beizumessen, worüber ihn alsbald die gänzlich ausbleibende Nachfrage nach meiner zweiten Broschüre, »Die Wibelungen«, belehrt habe. – Dagegen erhielt ich allerdings von Adolph Kolatschek, welcher, ebenfalls im flüchtigen Zustande, eine deutsche Monatsschrift als Organ der Fortschrittspartei herauszugeben im Begriff stand, die Einladung zu gut zu honorierender Mitarbeit. Ich verfaßte, um dieser Einladung zu entsprechen, den größeren Aufsatz über »Kunst und Klima«, womit ich die in meinem »Kunstwerk der Zukunft« gegebenen Anregungen zu vervollständigen glaubte. Außerdem hatte ich nach meiner Ankunft in Paris erst den vollständigen Entwurf zu »Wieland der Schmied« ausgearbeitet. Diese Arbeit war nun allerdings ganz unnütz geworden, und mit Grauen überlegte ich mir, was ich jetzt meiner Frau nach Hause schreiben sollte, nachdem die kostbaren, zuletzt empfangenen Subsidien so gänzlich zwecklos aufgeopfert waren. Mit Grauen dachte ich an eine Rückkehr nach Zürich sowie an einen ferneren Aufenthalt in Paris. Was in betreff des letzteren mein Gefühl noch sonderbar entscheidend bestimmte, war der Eindruck einer Aufführung des damals noch neuen »Propheten« von Meyerbeer, welchen ich noch nicht kannte. Auf den Trümmern aller Hoffnungen für einen neuen und edeln Aufschwung, wie er im vergangenen Jahre alle Besseren belebt hatte, sah ich hier, als einzigen Erfolg einer auf Kunsttendenzen gerichteten Negoziation der provisorischen Regierung der französischen Republik, dieses Werk Meyerbeers gleichsam wie die Morgenröte des nun angebrochenen schmachvollen Tages der Ernüchterung über die Welt dahinleuchten. Mir ward so[448] übel von dieser Aufführung, daß ich, unglücklicherweise in der Mitte des Parketts plaziert, dennoch die stets gern vermiedene Bewegung nicht scheute, welche durch das Fortgehen während eines Aktes seitens eines Zuhörers hervorgerufen wird. Es kam aber in dieser Oper, als die berühmte »Mutter« des Propheten ihren Schmerz in den bekannten albernen Rouladen verarbeitete, darüber, daß ich genötigt sein sollte so etwas anzuhören, zu einem wirklich verzweiflungsvollen Wutausbruch in mir. Nie vermochte ich je wieder diesem Werke die geringste Beachtung zu schenken.

Doch was war nun anzufangen? Hatten während meines ersten drangsalreichen Pariser Aufenthaltes mich die Südamerikanischen Republiken angezogen, so warf sich diesmal meine Sehnsucht auf den Orient, um dort in irgendeiner menschenwürdigen Weise, nichts mehr wissend von dieser ganzen modernen Welt, zu ersterben. In dieser Stimmung hatte ich eine erneuete Anfrage nach meinem Befinden von seiten der Frau Laussot aus Bordeaux zu beantworten. Meine Erwiderung fiel so aus, daß sie die dringende und freundliche Einladung, mindestens für kurze Zeit in ihrem Hause mich zu erholen und die augenblicklichen Widerwärtigkeiten zu vergessen, veranlaßte. Unter allen Umständen zog mich ein Ausflug in mir noch unbekannte südlichere Gegenden, zu ebenso unbekannten und ernstlich gewogenen Menschen wohltätig schmeichelhaft an; ich sagte zu, schloß meine Pariser Rechnung und machte mich in der Diligence auf, um über Orléans, Tours, Angoulême, die Gironde hinab mich nach der fremden Stadt zu wenden, wo ich wirklich im Hause des jungen Weinhändlers Eugène Laussot mit Auszeichnung und großer Freundlichkeit empfangen und meiner jungen mitleidigen Freundin, seiner Frau, zugeführt wurde.

Unsere nähere Bekanntschaft, zu welcher nun auch die Mutter der Frau Laussot, Mme Taylor gehörte, führte zuvörderst zu näheren Aufklärungen über den Charakter der Teilnahme, welche mir auf so freundlich überraschende Weise von bisher ganz entferntstehenden Personen zugewendet worden war. Jessie, bei diesem ihrem Vornamen wurde die junge Frau nur im Hause genannt, hatte sich während ihres vorhergehenden längeren Aufenthaltes in Dresden mit der Familie Ritter sehr nahe befreundet, und den Versicherungen, daß namentlich dem Interesse an meinen Werken und Schicksalen viel Anteil daran zuzusprechen war, hatte ich keinen Grund meinen Glauben zu versagen. Seit meiner Vertreibung aus Dresden und seitdem Nachrichten über meine beschwerliche Lage an die Familie Ritter gelangt waren, hatte man sich zwischen Dresden und Bordeaux zur Beratung darüber in Verbindung gesetzt, wie mir zu helfen sei. Jessie sprach die sehr dringliche Initiative hierfür einzig der Frau Julie Ritter zu, deren Vermögensumstände nicht ergiebig genug waren, um für sich allein mir eine genügende Subvention anzubieten, und die deshalb mit Jessies Mutter, der ziemlich bemittelten Witwe eines englischen Advokaten, aus deren Vermögen einzig auch die Haushaltung des jungen Paares in Bordeaux bestritten[449] wurde, sich in Einvernehmen zu setzen suchte. Dies war neuerdings so weit gediehen, daß bald nach meiner Ankunft in Bordeaux Mme Taylor mir eröffnete, daß die beiden vereinigten Familien sich dahin bestimmt hätten, mich zu bitten, bis zur Wiederherstellung günstigerer Lebensverhältnisse eine Unterstützung von 3000 Francs jährlich von ihnen anzunehmen. Es lag mir nun einzig daran, meine Wohltäter darüber aufzuklären, welche Bewandtnis es damit habe, wenn ich diese Unterstützung annähme. Auf Erfolg als Opernkomponist, weder in Paris noch sonstwo, sei bei mir nicht mehr zu rechnen; was ich dagegen ergreifen würde, wisse ich nicht; jedenfalls aber sei ich entschlossen, mich von der Schmach frei zu erhalten, mit welcher eine Bemühung um solche Erfolge fortan mein Leben beflecken müßte. Gewiß irre ich nicht, wenn ich annehme, daß nur Jessie mich verstand, und obwohl ich von der anderen Seite nur Freundliches erfuhr, stellte sich doch sehr bald die Kluft heraus, die mich wie sie von ihrer Mutter und ihrem Manne trennte. Während der junge schöne Mann den größten Teil des Tages über seinen Geschäften nachging, die Mutter aber durch Schwerhörigkeit von unserer Unterhaltung meistens ausgeschlossen wurde, gedieh unsere Verständigung über vieles und Entscheidendes in lebhafter Mitteilung bald zu großer Vertraulichkeit. Jessie, damals ungefähr 22 Jahre alt, schien, da sie ihrer Mutter in jeder Hinsicht wenig ähnelte, gänzlich dem Vater nachgeschlagen zu sein. Von diesem erfuhr ich viel Einnehmendes. Eine große, sehr mannigfaltige Bibliothek, welche er der Tochter hinterlassen hatte, zeugte von den ungewöhnlichen Neigungen des Mannes, der neben seiner einträglichen Advokatur mit großer Vorliebe einer gewählten Beschäftigung mit Literatur und Gelehrsamkeit sich hingegeben hatte. Von ihm hatte Jessie schon als Kind auch das Deutsche erlernt, welches sie mit größter Fertigkeit sprach. Mit Grimms Kindermärchen war sie auferzogen worden und des weiteren mit der poetischen Literatur der Deutschen vollkommen bekannt, während sie, wie natürlich, mit dem Englischen sowie nicht minder auch mit dem von ihr übrigens geringgeschätzten Französischen nach den vollsten Anforderungen einer sehr entwickelten Bildung vertraut war. Ihre schnelle Rezeptivität war erstaunlich; alles, was ich kaum berührte, war ihr sogleich und wie es schien genau vertraut. So war es auch mit der Musik der Fall; sie las mit der größten Leichtigkeit und spielte mit bedeutender Fertigkeit, so daß sie mich, von dem sie in Dresden erfahren hatte, daß ich noch immer nach einem Klavierspieler suchte, der mir einmal die große B-Dur-Sonate von Beethoven vorspielen sollte, jetzt wirklich durch den vollständigen Vortrag dieses über alles schwierigen Klavierstückes überraschte. Das Gefühl, das mir die Wahrnehmung dieser ungemein leichten Begabung und der Leistung derselben machte, ward mir plötzlich beängstigend, als ich sie auch singen hörte. Ein scharfer, schriller Falsett-Ton, in welchem Heftigkeit, durchaus aber kein eigentliches Gefühl zum Vorschein kam, erschreckte mich so sehr, daß ich nicht umhin konnte, sie zu[450] ersuchen, vom Singen fernerhin abzustehen. Im Vortrag der Sonaten nahm sie willig und eifrig meine Belehrungen über den richtigen Ausdruck an, ohne jedoch in mir das Gefühl zu erwecken, daß sie es dazu bringen würde, dies ganz nach meinem Sinne auszuführen. Ich las ihr meine neuen schriftstellerischen Arbeiten vor, denen sie mit leichtestem Verständnis selbst der gewagtesten Darstellungen zu folgen schien. Meine Dichtung von »Siegfrieds Tod« ergriff sie sehr, der Skizze zu »Wieland dem Schmied« gab sie aber den Vorzug. Sie gestand mir späterhin, daß sie ihr persönliches Schicksal lieber in der Rolle der hilfreichen Schwanenbraut Wielands als in der Stellung und dem Lose Gutrunes zu Siegfried wiedererkennen möchte. Es konnte nicht ausbleiben, daß wir für unsre Unterhaltungen und die darin besprochenen Gegenstände uns bald von unsrer Umgebung belästigt fühlten. War es für uns beängstigend, uns eingestehen zu müssen, daß Mme Taylor offenbar nie imstande sein würde zu begreifen, um was es sich bei meiner Protektion handle, so war es mir besonders erschreckend, mit der Zeit die gänzliche Unübereinstimmung namentlich der intellektualen Eigenschaften des jungen Ehepaars wahrzunehmen. Es deutete offenbar auf eine seit längerer Zeit von seiten Laussots wahrgenommene Abneigung seiner jungen Frau gegen ihn, wenn eines Tages er so weit sich vergaß, laut und heftig sich darüber zu beklagen, daß sie selbst das Kind nicht lieben würde, welches sie von ihm empfangen haben dürfte, weshalb er es für ein Glück zu halten habe, daß sie nicht Mutter geworden sei. Staunend und betrübt sah ich hier plötzlich in einen Abgrund, wie er allerdings so oft, gleich wie hier, sich unter dem Anschein eines ganz erträglichen ehelichen Verhältnisses verbirgt. In dieser Zeit und als mein Aufenthalt sich nach drei Wochen seinem Ende näherte, kam auch ein Brief meiner Frau an, der nicht unglücklicher auf meine Stimmung hätte wirken können; sie war im ganzen damit zufrieden, neue Freunde gefunden zu haben, erklärte aber, daß, wenn ich nicht noch alsbald nach Paris ginge, um dort die Aufführung meiner Ouvertüre und die davon verhofften Erfolge auf das eifrigste zu betreiben, sie nicht wüßte, was sie von mir denken sollte, und jedenfalls mich nicht begreifen würde, wenn ich so unverrichteterdinge nach Zürich zurückkäme. Zugleich erhielt meine Stimmung noch eine sehr pathetiche Steigerung durch eine Zeitungsnotiz, welche mir das gefällte Todesurteil über Röckel, Bakunin und Heubner und dessen nächst bevorstehende Vollstreckung anzeigte. Ich schrieb an die beiden ersteren Freunde einen lakonischen aber ebenso energischen Abschiedsbrief, und da ich keine Möglichkeit ersah, dies Schreiben den auf der Festung Königstein Gefangenen zukommen zu lassen, geriet ich auf den Gedanken, ihn an Frau von Lüttichau zur Besorgung abzuschicken, weil ich sie für die einzige Person hielt, in deren Macht die richtige Bestellung liegen könnte, während sie andrerseits genug Edelmut und selbständigen Sinn besitzen durfte, um trotz aller möglichen Meinungsverschiedenheit meinen Wunsch zu achten und ihm Erfüllung zu verschaffen. Von diesem Brief ist[451] mir später erzählt worden, daß Herr von Lüttichau sich seiner bemächtigt und ihn in den Ofen geworfen habe. Für jetzt half auch dieser schmerzliche Eindruck, um mich zu dem Entschlusse zu bringen, mit allem und jedem hinter mir zu brechen, weder von Kunst noch Leben mehr etwas wissen zu wollen und, sei es auch unter den äußersten Entbehrungen, mich aufs Geratewohl in das Unerreichbare zu verlieren. Von der kleinen, durch meine neuen Freunde mir zugewiesenen Rente wollte ich die Hälfte meiner Frau zuweisen, um mit der anderen mich, wie es gehe, in Griechenland oder Klein-Asien, Gott weiß unter welcher Gestalt, in das Vergessen und Vergessensein zu werfen. Dies teilte ich denn meiner jetzigen einzigen Vertrauten mit, namentlich auch um sie wissen zu lassen, daß sie bei meinen Gönnern es zu vermitteln habe, über die Verwendung der mir angebotenen Subvention Aufklärung zu verschaffen. Sie schien freudig hiervon betroffen zu sein, und der Entschluß, sich in ein gleiches Schicksal zu werfen, schien auch ihr aus empfundenem Widerwillen gegen ihre Lebenslage leicht anzukommen. Dies sprach sich in Andeutungen und in kurz hingeworfenen Worten aus. Ohne deutlich zu wissen, wozu auch dies führen sollte, und ohne irgendwelche Übereinkunft getroffen zu haben, verließ ich, weniger beruhigt als aufgeregt, aber mit Bedauern und Bangigkeit in den letzten Tagen des April Bordeaux, um betäubt, gänzlich ungewiß über das zunächst zu Ergreifende, für das erste nach Paris zurückzureisen.

In sehr leidendem Zustande, durch stete Schlaflosigkeit zugleich ermüdet und aufgeregt, verbrachte ich dort angekommen acht Tage im Hotel Valois, um nach Fassung in meiner exzentrischen Lage zu ringen. Hätte ich selbst die Pläne, welche mich gewaltsam nach Paris geführt hatten, wieder aufnehmen wollen, so überzeugte ich mich bald, daß zunächst gar nichts hierfür zu tun sei. Meine Betrübnis über die Vergeudung meiner Lebenskräfte in einer mir widerwärtigen Richtung, zur bloßen Befriedigung unverständiger Anforderungen an mich, steigerte sich zum Ingrimm. Ich mußte endlich meiner Frau auf ihr letztes Andringen Antwort geben und erklärte ihr nun in einem sehr ausführlichen, wohlwollend aber unumwunden unser ganzes gemeinsames Leben rekapitulierenden Schreiben, daß ich zu dem festen Entschlusse gekommen sei, sie ferner von der unmittelbaren Teilnahme an meinem Schicksale zu entbinden, da ich dieses nach ihrem Gutfinden einzurichten mich für gänzlich unfähig hielt. Von allem, was mir jetzt und je in Zukunft an Mitteln zufließen sollte, werde ihr stets die Hälfte überlassen sein; sie möge sich hierein fügen und annehmen, daß der Fall eingetreten sei, für welchen sie mir beim ersten Wiedersehen in der Schweiz ihre erneuete Trennung von mir angekündigt habe. Ich überwand es, vollständig von ihr Abschied zu nehmen. Hiervon gab ich sogleich Nachricht an Jessie nach Bordeaux, ohne allerdings, da ich in betreff der Mittel noch zu sehr beengt war, einen bestimmten Plan meines Vorhabens für meine gänzliche Flucht aus der Welt, wie ich es nennen mußte, angeben zu können. Ich erhielt[452] als Erwiderung von dieser Seite her die bestimmte Erklärung, zu dem gleichen Schritte entschlossen zu sein, und dabei die Anrufung meines Schutzes, unter den sie sich, wenn sie sich vollkommen befreit haben würde, zu stellen beabsichtige. Sehr erschrocken, ließ ich es an nichts fehlen, um ihr die Vorstellung dessen zu erwecken, daß es ein anderes sei, ob ein in so verzweifelter und widerwärtiger Lage befindlicher Mensch wie ich der Unmöglichkeit gegenüber zum Sich-gehen-lassen sich bestimmt fühle, oder ob eine junge Frau sich aus einem jedenfalls äußerlich durchaus wohlgeordneten Familienverhältnisse aus dem einzigen Grunde, den niemand außer wohl ich zu begreifen imstande sei, wild herauszureißen sich entschließe. Sie beruhigte mich in betreff des Exzentrischen ihres Entschlusses, daß dieser in äußerlich wenig auffallender Art ausgeführt werden solle, da sie zunächst nichts andres als einen Besuch bei der ihr befreundeten Familie Ritter in Dresden durchzusetzen gedächte. Ich fühlte mich von diesem allen so ungemein angegriffen, daß ich zunächst dem Bedürfnis, mich in eine nicht weit abliegende Einsamkeit zurückzuziehen, nachgab. Mitte April begab ich mich nach Montmorency, von dem ich viel Anmutiges gehört hatte, und suchte mir dort ein bescheidenes Versteck auf. Mühselig schlich ich mich durch die noch ganz winterliche Landschaft außerhalb der kleinen Stadt dahin und kehrte in dem kleinen Gärtchen eines marchand de vin, welches sich nur des Sonntags mit Besuchern zu füllen pflegte, ein, um mich bei Brot, Käse und einer Flasche Wein zu erholen. Es versammelte sich eine Schar Hühner um mich, denen ich fleißig von meinem Brote zuwarf; der Hahn rührte mich durch seine aufopfernde Enthaltsamkeit, mit welcher er jede Nahrung, trotzdem ich sie ihm besonders zuwarf, nur den Weibchen zuwies. Diese wurden aber immer kühner, flogen auf meinen Tisch und machten sich ungescheut über meine Provision her; auch der Hahn flog ihnen nach, und da er bemerkte, daß nun doch einmal alles drunter und drüber ging, so warf auch er sich mit langverhaltener Begier geradenwegs über den Käse her. Wie ich dieses flatternde Chaos mich endlich vollständig von dem Tische verdrängen sah, brach seit lange zum ersten Male wieder eine große Heiterkeit in mir aus; ich mußte laut lachen und blickte mich nach dem Wirtshausschilde um. Da sah ich denn auch, daß mein Gastgeber Homo hieß. Das war mir denn nun ein Schicksalswink: um jeden Preis mußte ich hier mein Unterkommen suchen; es fand sich ein merkwürdig kleines und schmales Schlafzimmer, welches ich sofort in Beschlag nahm. Darin stand außer dem Bett ein roher Tisch und zwei Strohsessel. Ich richtete mir den einen davon als Waschtoilette her, und auf dem Tische breitete ich einige Bücher, Schreibmaterialien und die Partitur des »Lohengrin« aus. Fast war ich im Begriffe, bei dieser höchsten Beschränkung behaglich aufzuatmen; trotzdem die Witterung ungünstig blieb und die unbelaubten Wäldchen mir nur noch unerquickliche Promenaden lieferten, fühlte ich mich hier doch in der Möglichkeit, vollständig vergessen zu werden und nicht minder alle Vorstellungen,[453] die mich zuletzt so trostlos beängstigt hatten, ebenfalls zu vergessen. Der alte Kunsttrieb erwachte; ich blätterte in meiner »Lohengrin«-Partitur und entschloß mich schnell, sie an Liszt abzuschicken, um es ihm anheimzustellen, so gut oder übel es ihm gelingen könne, sie ausführen zu lassen. Nun ich auch diese Partitur los war, fühlte ich mich so recht wie vogelfrei, und eine diogenische Unbesorgtheit über das, was mit mir vorgehen sollte, kam über mich. So lud ich selbst Kietz ein, mich in Montmorency zu besuchen, um die Freuden meiner Villegiatur zu teilen. Wirklich kam er noch an wie damals nach Meudon; nur fand er diesmal meine Einrichtung noch bescheidener als damals. Doch machte er Diner und Nachtlager auf einem improvisierten Bett sehr vergnügt mit und versprach sich, als er wieder nach Paris zurückging, die Welt mit mir in Rapport zu erhalten. – Aus diesem Zustande wurde ich plötzlich aufgeschreckt durch die Nachricht, daß meine Frau in Paris angekommen sei, um mich aufzusuchen. Ich hatte eine schmerzliche Stunde lang mit mir zu kämpfen, welchen Entschluß ich zu fassen habe: ich entschied mich dafür, meinen Schritt nicht etwa als eine in gutmütiger Aufwallung andrerseits zu verzeihende Übereilung gelten zu lassen, verließ sofort Montmorency, begab mich nach Paris, zitierte Kietz in mein Hotel und bestimmte ihn, meiner Frau, welche schon den Versuch gemacht hatte, zu ihm zu dringen, zu verschweigen, daß er etwas andres von mir wisse, als daß ich Paris verlassen hätte. Bei dieser Gelegenheit kam der arme Bursch, der andrerseits, wie ich selbst, Minna das herzlichste Mitleiden nicht versagen konnte, in die beschwerlichste Verwirrung, so daß er mir erklärte, »er käme sich wie die Achse vor, um welche sich alles Unglück der Welt drehe«. Doch scheint er im richtigen Gefühle der Bedeutung und Schwere meines Entschlusses, wie es hier nötig war, klug doch gefühlvoll seiner nicht leichten Aufgabe nachgekommen zu sein. Ich verließ noch in der Nacht Paris mit der Eisenbahn, um von Clermont-Tonnerre, wo ich wiederum einige Zeit zubringen mußte, für das erste nach Genf zu reisen, wo ich Nachrichten von Frau Ritter aus Dresden abwarten wollte. – Meine Erschöpfung war so groß, daß ich an den Angriff eines größeren Reiseunternehmens, selbst wenn ich mit den hinreichenden Mitteln dazu versehen gewesen wäre, nicht sofort denken konnte. Um für das nötige Abwarten einige Zeit zu gewinnen, zog ich mich an das andre Ende des Genfer Sees, nach Villeneuve zurück, wo ich in dem um diese Jahreszeit noch gänzlich leerstehenden Hotel Byron ein leichtes Unterkommen fand. Dort erfuhr ich, daß Karl Ritter, wie er schon früher mir angekündigt, in Zürich angekommen sei, um dort bei mir zu verweilen. Ich zitierte ihn mit der Anempfehlung strengster Verschwiegenheit zu mir an den Genfer See, wo wir uns in der zweiten Woche des Mai eben in jenem Hotel Byron vereinigten. Mir gefiel an ihm die unbedingte Ergebenheit, das schnelle Verständnis meiner Lage und der Notwendigkeit meiner Entschlüsse sowie sein leichtes Eingehen, ohne viele Reden, auf alle meine Anordnungen auch in seinem Betreff.[454] Er war von meinen neuesten schriftstellerischen Arbeiten ganz erfüllt, sprach mir von dem lebhaften Eindrucke, den sie auf seine Bekannten hervorgebracht, und veranlaßte mich dadurch, die wenigen Ruhetage, die ich jetzt genoß, zur Herausgabe meiner Dichtung von »Siegfrieds Tod« zu verwenden. Ich schrieb dazu ein kurzes Vorwort, in welchem ich meinen Freunden dieses Gedicht als eine Reliquie aus der Zeit empfahl, wo ich noch mit rein künstlerischen Arbeiten, namentlich mit musikalischen Kompositionen mich beschäftigen zu können verhoffte. Dies Manuskript schickte ich abermals Herrn Wigand nach Leipzig zu, welcher mir es jedoch nach einiger Zeit mit dem Bemerken wieder zustellte, daß, namentlich wenn ich auf dem Druck desselben mit lateinischen Buchstaben bestünde, er kein Exemplar davon verkaufen würde. Später erfuhr ich auch, daß er die für das »Kunstwerk der Zukunft« mir noch gebührenden 10 Louisdor, welche ich ihn meiner Frau zuzustellen angewiesen hatte, hartnäckig auszuzahlen verweigerte.

So unerquicklich alles nach dieser Seite für mich blieb, so durfte ich für jetzt doch noch in keiner Weise an irgendwelches Befassen mit einer Arbeit denken, da, nur wenige Tage nach Karls Ankunft, aus der realen Sphäre des Lebens die allerbedenklichsten Angriffe auf meine Gemütsruhe unerwartet sich kundgaben. Frau Laussot zeigte mir in aufgeregtester Weise an, daß sie nicht umhin gekonnt habe, ihrer Mutter ihre Absichten zu eröffnen, daß sie hierdurch sofort die Annahme erweckt habe, daß Absichten meinerseits hierbei im Spiele seien, welcher zufolge ihre Eröffnung an Herrn Laussot weitergegangen wäre und dieser nun schwöre, mich überall aufzusuchen, um mir eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Ich wußte nun, woran ich war, und beschloß, sofort nach Bordeaux zu reisen, um die Sache mit meinem Gegner bestimmt in Ordnung zu bringen. Sogleich setzte ich mich hin und schrieb einen ausführlichen Brief an Herrn Eugène, um ihm den Stand der Dinge nach ihrem rechten Lichte begreiflich zu machen, wobei ich allerdings die Ansicht nicht zurückhielt, daß ich nicht begriffe, wie es ein Mann über sich bringen könne, eine Frau, die nichts von ihm wissen wolle, mit Gewalt bei sich zurückzuhalten. Schließlich meldete ich ihm, daß ich mit diesem Brief gleichzeitig in Bordeaux selbst eintreffen und sofort nach meiner Ankunft das Hotel anzeigen würde, in welchem er mich aufzufinden habe; außerdem, daß seine Frau von diesem meinem Schritte ausdrücklich unbenachrichtigt bliebe und er somit in voller Unbefangenheit handeln könne. Wie es der Wahrheit gemäß war, verschwieg ich ihm auch nicht, daß ich diese Reise unter großen Erschwerungen unternähme, da ich mir selbst nicht die Zeit gönnen zu dürfen glaubte, meinen Paß durch das gehörige Visum des französischen Gesandten zum Eintritt in Frankreich gültig zu machen. An Frau Laussot schrieb ich gleichzeitig wenige Zeilen, in welchen ich ihr allgemeinhin Ruhe und Fassung zurief, getreu meinem Vorsatze aber selbst die mindeste Andeutung einer Ortsveränderung meinerseits[455] unterließ. (Als ich nach Jahren einmal Liszt diese Geschichte mitteilte, äußerte er, daß ich darin sehr dumm verfahren habe, die Frau nicht gleichzeitig von meinem Vorhaben zu benachrichtigen.) Für jetzt nahm ich von Karl noch am gleichen Tage Abschied, um des andern Morgens von Genf aus meine damals noch sehr beschwerliche Reise mitten durch Frankreich anzutreten. Hier fühlte ich mich so auf das äußerste erschöpft, daß ich den Gedanken an meinen nahen Tod nicht wehren konnte. Ich schrieb in diesem Sinne noch in der Nacht an Frau Ritter nach Dresden, indem ich ihr kurz die unglaubliche Verwirrung, in welche ich geraten, bezeichnete. Wirklich hatte ich an der französischen Grenze wegen meines Passes Schwierigkeiten; ich mußte mein Reiseziel genau angeben, und es bedurfte meiner Versicherung, daß wichtige Familienangelegenheiten mich dahin zögen, um die Behörde zu einer ausnahmsweisen Nachsicht zu bewegen. Über Lyon reiste ich durch die Auvergne in der Diligence während voller dreier Tage und zweier Nächte bis Bordeaux, welches ich, es war in der Mitte des Mai, von einer Höhe herab im allerersten Tagesgrauen durch eine dort ausgebrochene Feuersbrunst beleuchtet, endlich vor mir erblickte. Ich stieg im Gasthof der »Quatre sœurs« ab, schrieb sofort ein Billett an Herrn Laussot und meldete ihm, daß ich den Tag über das Hotel nicht verlassen würde, um ihn zu erwarten. Es war des Morgens um 9 Uhr, als ich ihm diese Zeilen zusendete; ich wartete aber vergebens auf ihren Erfolg, bis ich endlich am späten Nachmittag eine Zitation vom Polizeibüro erhielt, wo ich unmittelbar zu erscheinen hatte. Dort frug man mich zunächst, ob mein Paß in Richtigkeit sei; ich bekannte die Schwierigkeit, in der ich mich deshalb befände, und daß ich um einer dringenden Familienangelegenheit willen mich in dieselbe begeben hätte. Hierauf ward mir eröffnet, daß gerade diese Familienangelegenheit, die mich hierhergeführt haben dürfte, der Grund wäre, weshalb man mir den ferneren Aufenthalt in Bordeaux versagen müßte. Auf meine Nachfrage leugnete man nicht, daß dieses Verfahren gegen mich auf ausdrücklichen Wunsch der beteiligten Familie eingeleitet sei. Diese sonderbare Eröffnung gab mir sofort meine gute und freie Laune zurück; der Polizeikommissar, welchem ich vorstellte, daß man mir nach der beschwerlichen Reise wohl etwa zwei Tage zur Ausruhung vor der Rückreise gönnen werde, gestand mir dies ganz gemütlich zu, da er mir mitteilen konnte, daß ich die Familie, welche heute um Mittag Bordeaux verlassen habe, doch nicht antreffen würde. Wirklich bediente ich mich dieser zweier Tage zu meiner Erholung, setzte aber nun einen längeren Brief an Jessie auf, in welchem ich ihr das Vorgefallene sehr genau mitteilte und auch nicht verschwieg, daß ich das Benehmen ihres Mannes, welcher die Ehre seiner Frau durch eine Denunziation an die Polizei preisgegeben habe, für so nichtswürdig halte, daß ich allerdings von jetzt an in keine Art Verkehr mit ihr wieder treten können würde, ehe sie sich aus diesem schmachvollen Verhältnisse nicht gelöst hätte. Es galt nun, diesen Brief sicher seiner Bestimmung zukommen[456] zu lassen; die Angaben des Polizeibeamten waren nicht genügend, um mich über den Vorfall in der Familie Laussot, ob sie nur für einen Tag oder für längere Zeit ihr Haus verlassen, aufzuklären. Ich entschloß mich einfach, dieses Haus aufzusuchen; dort zog ich an der Klingel, die Türe sprang auf; ohne jemand anzutreffen, schritt ich in die offene erste Etage, ging von Zimmer zu Zimmer bis zu der Wohnstube Jessies, fand dort ihr Arbeitskörbchen und legte dahinein den Brief; darauf ging ich ruhig denselben Weg zurück, ohne auf irgend jemand zu stoßen. Da ich keinerlei Lebenszeichen erhielt, trat ich mit dem mir anberaumten Termin meine Zurückreise auf dem gleichen Wege, welchen ich gekommen, an. Das schöne Maiwetter wirkte erquicklich auf mich; ich freute mich sowohl des klaren Wassers als des anmutigen Namens der Dordogne, an welcher der Postwagen lange Zeit dahinfuhr. Auch unterhielten mich die Gespräche eines Geistlichen und eines Offiziers über die Notwendigkeit, mit der französischen Republik baldigst aufzuräumen, wobei der Geistliche im Grunde sich weit humaner und liberaler äußerte als der Militär, welcher nur einen Refrain kannte: »Il faut en finir.« Jetzt sah ich mir auch Lyon etwas näher an und suchte mir auf einer Promenade durch die Stadt die Szenen zurückzurufen, welche Lamartine in seiner »Histoire des Girondins« von der Belagerung und Einnahme dieser Stadt in der Konventszeit so anschaulich geschildert hat. – Nach Genf und endlich in das Hotel »Byron« zurückgekehrt, ward ich von Karl Ritter mit freundlichen Nachrichten von seiner Familie erwartet. Die Mutter hatte ihn sofort über meinen Gesundheitszustand beruhigt und bedeutet, daß Nervenkranken die scheinbare Nähe des Todes geläufig sei und deshalb keiner Befürchtung für mich nachzugeben wäre. Außerdem kündigte sie ihm an, in wenigen Tagen mit ihrer Tochter Emilie uns selbst in Villeneuve aufsuchen zu wollen. Diese Nachricht wirkte denn wahrhaft herzstärkend auf mich, und jene so hingebend um mich besorgte Familie erschien mir wie vom Himmel gesandt, um mich, wie ich es ersehnte, einem neuen Leben zuzuführen. Wirklich kamen die beiden Frauen nach einigen Tagen bei uns an, um meinen 37. Geburtstag am 22. Mai mit mir zu begehen. Vor allem war es die Mutter, Frau Julie, welche wirklich einen tiefen Eindruck auf mich machte. Ich hatte sie nur einmal in Dresden gesehen, als Karl mich gebeten hatte, der Aufführung eines Quartettes von sich in der Wohnung seiner Mutter zugegen zu sein; es hatte mich freudig erregt, die verehrungsvolle Ergebenheit in jeder Begegnung der Glieder der Familie wahrzunehmen. Die Mutter hatte wenig gesprochen, nur als ich mich zeitig entfernen mußte, sprach sie ihren Dank für meinen Besuch unter hervorbrechenden Tränen aus, welche ich mir damals nicht zu deuten vermochte, von denen sie jetzt aber mit Verwunderung über meine Frage danach erklärte, daß es die Rührung über meine unerwartete Güte gegen ihren Sohn gewesen sei. – Gegen acht Tage hielten sich die Frauen bei uns auf; wir suchten uns durch Ausflüge in das schöne Walliser Tal zu zerstreuen,[457] ohne jedoch die große sorgenvolle Beklemmung der Frau Ritter sowohl über die letzten, ihr nun genau bekannt gewordenen Vorgänge, als namentlich über die Gestaltung meines besondren Schicksales zu verscheuchen. Wie ich später erfuhr, hatte die sehr kränkliche und nervenleidende Frau mit dem Entschlusse zu dieser Reise eine äußerste Anstrengung getan, und als ich darauf drang, daß sie mit der Familie nach der Schweiz übersiedeln sollte, um dort mit mir sich vereinigen zu können, ward mir zuletzt bedeutet, daß ich nach dem einen, für sie fast exzentrischen Unternehmen nicht auf eine Rüstigkeit bei ihr schließen sollte, welche ihr in Wahrheit nicht mehr zu eigen sei. Für jetzt empfahl sie mir ihren Sohn, welchen sie bei mir lassen wollte, und übergab mir zunächst die nötigen Mittel, um für einige Zeit mit ihm bestehen zu können. Über ihre Vermögenszustände teilte sie mir mit, daß diese beschränkt wären und sie nun, da sie unmöglich ferner mit der Familie Laussot gemeinschaftlich zu sorgen haben könnte, in Bangen darüber sei, wie sie genügend für meine Freiheit Hilfe schaffen sollte. Nach acht Tagen nahmen wir sehr ergriffen Abschied von der ehrwürdigen Frau, welche mit ihrer Tochter sich wieder zur Reise nach Dresden aufmachte und seitdem mir nicht wieder persönlich begegnet ist.

Immer darauf bedacht, wie ich es nur anfinge, aus der Welt zu verschwinden, wählte ich mir eine möglichst wilde Gebirgswildnis, in welche ich mich mit Karl zurückzuziehen beschloß. Wir suchten zu diesem Zwecke das einsame Visper-Tal im Kanton Wallis auf; mit ziemlicher Beschwerde drangen wir durch die noch sehr unwegsamen Pfade bis nach Zermatt vor. Dort, am Fuße des ungeheueren und wunderbar schönen Matterhorns, konnten wir uns allerdings als von der ganzen Welt abgeschlossen ansehen. Ich suchte uns in der naiven Wildnis so gut wie möglich einzurichten; aber nur zu bald bemerkte ich, daß Karl in diese Lage sich nicht zu finden vermochte. Er gestand mir bereits am zweiten Tage, daß er es hier doch gräßlich finde, und meinte, daß es sich doch jedenfalls an einem der offenen Seen besser aushalten lassen würde. Wir studierten die Karte der Schweiz und wählten Thun zum Versuch einer neuen Niederlassung. Auch ich befand mich leider wieder in dem beängstigenden Zustande der Abspannung meiner Nerven, in welchem jede körperliche Anstrengung mich sofort zu heftiger und schwächender Transpiration brachte. Nur mit äußerster Überwindung vermochte ich den Rückweg aus dem Tale zu nehmen; doch gelangten wir endlich mit erneuetem Mute nach Thun, wo wir uns ein paar bescheidene aber freundliche Zimmer an der Landstraße mieteten und nun abwarten wollten, ob wir es da aushalten können würden. Die Unterhaltung mit meinem jungen Freunde war trotz seiner großen Schweigsamkeit, welche immer noch den Charakter der früheren Schüchternheit verriet, doch stets anmutig und belebend für mich; besonders seitdem ich bemerkt hatte, zu welch fließender Mitteilung und ergießungsvoller Lebhaftigkeit der junge Mann es zuweilen brachte, wenn er, namentlich vor dem Schlafengehen, vor meinem Bette sich[458] hinkauerte und so in dem angenehmen reinen Dialekte der deutschen Ostseeprovinzen über das, was ihn erregte, sich ausließ. Mich erheiterte in diesen Tagen ganz ausnehmend die seit langem zum ersten Male wiederholte Lektüre der »Odyssee«, welche mir ein Zufall in die Hände geführt hatte. Der heimatsehnsüchtige, unablässig umherirrende, alle Hindernisse stets rüstig besiegende Dulder Homers trat ungemein sympathisch an meine Seele heran. – Plötzlich wurde der kaum betretene Friedenszustand durch einen Brief gestört, welcher Karl von Frau Laussot zukam. Er wußte nicht, ob er ihn mir zeigen sollte, da er glauben mußte, Jessie sei verrückt geworden. Ich entriß ihm das Blatt und fand nun, daß die junge Frau sich verbunden finde, meinem Freunde zu wissen zu tun, daß sie über mich insoweit vollkommen aufgeklärt sei, als ihr nötig wäre, um aus jeder Beziehung zu mir zu treten. Was ich später, namentlich durch Hilfe der Frau Ritter über das Vorgefallene ermittelte, war, daß infolge meines Briefes und meiner Ankunft in Bordeaux Herr Laussot, im Einverständnis mit Frau Taylor, sogleich mit Jessie auf das Land gefahren war, um dort so lange zu verweilen, bis er Nachricht von meiner Abreise, um deren Beschleunigung willen er sich an die Polizei gewandt hatte, erhalten habe. Dort habe man der jungen Frau, mit Verschweigung meines Briefes und meiner Reise, das Versprechen abgewonnen, zunächst ein Jahr ruhig zu verbleiben, ihre Reise nach Dresden aufzugeben und jedenfalls auch mit mir aus aller Korrespondenz zu treten; da man ihr unter dieser Bedingung zusagte, nach dieser Zeit ihr volle Freiheit lassen zu wollen, hatte sie geglaubt, das verlangte Versprechen geben zu müssen. Schon die nächste Zeit ward nun aber von den beiden Verschworenen benutzt, um nach jeder Seite hin und endlich auch bei der jungen Frau mich, den man für den Anstifter einer Art von Entführungsunternehmen ansehen zu müssen glaubte, zweckmäßigst zu verleumden. Frau Taylor hatte sich mit der Klage über den »von mir beabsichtigten Ehebruch« an meine Frau gewandt, dieser ihr Mitleiden gemeldet und ihre Unterstützung angeboten; die arme Minna, die nun plötzlich meinen Entschluß, von ihr fernzubleiben, einem bis dahin von ihr nicht geargwöhnten Grunde beimessen mußte, wendete sich deshalb wieder klagend an Frau Taylor zurück. Hierbei hatte ein merkwürdiges Mißverständnis als absichtlich angewandte Lüge mitgespielt: in einem launigen Gespräche hatte mir nämlich einmal Jessie gesagt, sie gehöre keiner anerkannten Konfession an, da ihr Vater einer besondren Sekte angehört habe, welche weder nach dem protestantischen, noch nach dem katholischen Ritus taufe; worauf ich sie damit tröstete, daß auch ich schon mit wohl weit bedenklicheren Sekten in Berührung gekommen sei, da ich kurz nach meiner Trauung erfahren habe, daß diese in Königsberg von einem Mucker vollzogen worden wäre. Gott weiß, in welchem Sinne dies der würdigen englischen Matrone mitgeteilt worden war, kurz, sie hatte meiner Frau berichtet: ich hätte erklärt, ich sei gar nicht in gültiger Weise mit ihr getraut. Jedenfalls mochten die Rückäußerungen[459] meiner Frau wiederum genügenden Stoff an die Hand gegeben haben, um auch Jessie in dem beabsichtigten Sinne über mich aufzuklären; und der Wirkung hiervon verdankte ich den sonderbaren Brief an meinen jungen Freund. Ich muß gestehen, daß mich nach dieser Einsicht der Dinge zuallernächst nur die Mißhandlung meiner Frau empörte; und während ich nach jener Seite zu gänzlich gleichgültig darüber blieb, was man von mir meine, nahm ich sofort das Anerbieten Karls an, nach Zürich zu gehen und meine Frau aufzusuchen, um ihr die nötigen Aufklärungen zu ihrer eigenen Beruhigung zu geben. – Während ich seine Zurückkunft erwartete, erhielt ich einen Brief Liszts, welcher mir den großen und auf seine ganze Gesinnung über mich und meine Zukunft entscheidenden Eindruck meldete, welchen das genaue Bekanntwerden mit der Partitur meines »Lohengrin« auf ihn hervorgebracht. Er zeigte mir zugleich an, daß er, da ich ihm hierzu die Erlaubnis gegeben habe, mit Anspannung aller Kräfte eine Aufführung meines Werkes, zur Feier des bevorstehenden Herderfestes in Weimar, in Angriff zu nehmen beabsichtige. Fast gleichzeitig schrieb mir Frau Ritter, welche in betreff der von ihr vollkommen verstandenen Vorgänge mich wohl bitten zu müssen glaubte, daß ich diese Angelegenheit mir nicht zu sehr zu Herzen nähme: schon bei unserem Zusammensein in Villeneuve habe es sie sehr bemüht, mir ihre bangen Gefühle zu verschweigen; sie habe die junge Frau ihrer Zeit sehr wohl kennengelernt, und sogleich bei meinen Mitteilungen über meine Bekanntschaft mit ihr sei es ihr aufgegangen, daß, was ich glaubte einem Herzen eingegraben zu haben, ich nur in Sand geschrieben hätte, worin es bald spurlos verwischt sein würde. Nun kam auch Karl von Zürich zurück und sprach mit großer Wärme über das Verhalten meiner Frau. Sie habe sich, nachdem sie mich in Paris nicht angetroffen, mit seltener Energie zu fassen gewußt, nach meinem früheren Wunsche eine geräuschlose Wohnung am Züricher See gemietet und geschickt eingerichtet und sei dort verblieben in der Hoffnung, endlich doch wieder von mir zu hören. Außerdem erzählte er mir einiges Gescheite und Freundschaftliche von Sulzer, welcher mit großer Teilnahme meiner Frau zur Seite gestanden habe. Plötzlich brach Karl aus: »Ach, das wären doch wahre Menschen; mit solch einer verrückten Engländerin sei dagegen nichts anzufangen.« Ich sagte zu alledem kein Wort und frug ihn endlich nur lächelnd, ob er denn etwa gern nach Zürich übersiedeln möchte? Er sprang auf. »Ach ja! Heute lieber als morgen!« – »Du sollst deinen Willen haben«, sagte ich, »laß uns einpacken; ich sehe doch in allem keinen Sinn, möge es dort oder hier sein.« Ohne ein Wort weiter über alle diese Dinge zu sprechen, reisten wir andern Tages nach Zürich ab. –[460]

Quelle:
Wagner, Richard: Mein Leben. München 1963, S. 228-461.
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