Erster Aufzug

[183] Steiles Felsenufer. Das Meer nimmt den größten Teil der Bühne ein; weite Aussicht auf dasselbe. Die Felsen im Vordergrund bilden auf beiden Seiten Schluchten, aus denen die Echos antworten. – Finsteres Wetter; heftiger Sturm; zwischen den Felsen selbst verliert der Wind, den man in offener See die Wogen peitschen sieht, seine Macht; nur von Zeit zu Zeit scheint das Heulen des Sturms hereinzudringen. – Das Schiff Dalands hat soeben dicht am Ufer Anker geworfen; die Mannschaft ist in geräuschvoller Arbeit beschäftigt, die Segel aufzustreichen, Taue auszuwerfen u.s.w. Daland ist ans Land gegangen; er steigt auf einen Felsen und sucht landeinwärts die Gegend zu erkennen


MATROSEN während der Arbeit.

Johohe! Hallajo! Hohoha! Hallojo!

Ho! Ha! Ha! Ja! Hallajo! Hallaha! Hallahoja!

DALAND kommt vom Felsen herab.

Kein Zweifel! Sieben Meilen fort

trieb uns der Sturm vom sichren Port.

So nah dem Ziel nach langer Fahrt,

war mir der Streich noch aufgespart!


Der Steuermann ruft vom Schiffe her


STEUERMANN durch die hohlen Hände.

Ho! Kapitän!

DALAND.

Am Bord bei euch – wie steht's?

STEUERMANN.

Gut, Kapitän! Wir haben sich'ren Grund.

DALAND.

Sandwike ist's, genau kenn ich die Bucht.

Verwünscht! Schon sah am Ufer ich mein Haus,

Senta, mein Kind, glaubt ich schon zu umarmen: –

da bläst es aus dem Teufelsloch heraus ...

Wer baut auf Wind, baut auf Satans Erbarmen!

Was hilft's? Geduld! Der Sturm läßt nach;

wenn so er tobte, währt's nicht lang.


Er geht am Bord des Schiffes


He, Bursche! Lange wart ihr wach, –

zur Ruhe denn! Mir ist nicht bang.


Die Matrosen steigen in den Schiffsraum hinab


Nun, Steuermann, die Wache nimmst du wohl für mich?

Gefahr ist nicht, doch gut ist's, wenn du wachst.

STEUERMANN.

Seid außer Sorg! Schlaft ruhig, Kapitän!


Daland geht in die Kajüte.


[183] Der Sturm hat sich gelegt; nur in abgesetzten Pausen dringen gemilderte Windstöße in die Schlucht. Auf offener See türmen sich die Wogen. Der Steuermann macht die Schiffsrunde; von Müdigkeit überfallen setzt er sich dann am Steuerruder nieder. Er gähnt. – Er schüttelt sich auf, als ihm der Schlaf kommt


STEUERMANN.

Mit Gewitter und Sturm aus fernem Meer –

mein Mädel, bin dir nah!

Über turmhohe Flut vom Süden her –

mein Mädel, ich bin da!

Mein Mädel, wenn nicht Südwind wär,

ich nimmer wohl käm zu dir;

ach, lieber Südwind, blas noch mehr!

Mein Mädel verlangt nach mir.

Hohoja! Hallohoho! Jollohohoho! Heho!


Eine große Woge naht dem Schiffe und rüttelt es heftig. – Der Steuermann fährt auf; er sieht nach, ob das Schiff Schaden genommen habe. Beruhigt setzt er sich wieder am Steuer nieder. Der Schlaf kommt ihn immer mehr an. – Er gähnt.


Von den Südens Gestad, aus weitem Land –

ich hab an dich gedacht!

Durch Gewitter und Meer vom Mohrenstrand –

hab dir was mitgebracht.

Mein Mädel, preis den Südwind hoch,

ich bring dir ein gülden Band!

Ach, lieber Südwind, blase doch!

Mein Mädel hätt gern den Tand.

Hoho! Ja! Hollaho!


Er schläft völlig ein; das Meer wird von neuem unruhiger. – Das Schiff des Fliegenden Holländers, mit schwarzen Masten und blutroten Segeln, zeigt sich in der Ferne, und naht sich mit großer Schnelle der Küste. Es legt auf der dem norwegischen Schiffe entgegengesetzten Seite an. Mit einem furchtbaren Krach sinkt der Anker an der Kette in den Grund. – Der Steuermann fährt auf und sieht nach dem Steuer; überzeugt, daß nichts geschehen, setzt er sich wieder.


Mein Mädel, wenn nicht Südwind wär ...


Er schläft von neuem ein Stumm und ohne ferneres Geräusch zieht die gespenstische Mannschaft des Holländers die Segel auf u.s.w. Der Holländer geht ans Land, er trägt schwarze spanische Tracht.


HOLLÄNDER.

Die Frist ist um, ... und abermals verstrichen

sind sieben Jahr ... voll Überdruß wirft mich[184]

das Meer ans Land ... Ha! Stolzer Ozean!

In kurzer Frist sollst du mich wieder tragen!

Dein Trotz ist beugsam, doch ewig meine Qual.

Das Heil, das auf dem Land ich suche, nie

werd ich es finden! Euch, des Weltmeers Fluten

bleib ich – bis eure letzte Welle

sich bricht – und euer letztes Naß versiegt!

Wie oft in Meeres tiefsten Schlund

stürzt ich voll Sehnsucht mich hinab:

doch ach! Den Tod, ich fand ihn nicht!

Da, wo der Schiffe furchtbar Grab,

trieb mein Schiff ich zum Klippengrund:

doch ach! mein Grab, es schloß sich nicht!

Verhöhnend droht ich dem Piraten,

im wilden Kampfe hofft ich Tod:

»Hier« – rief ich – »zeige deine Taten!

Von Schätzen voll ist Schiff und Boot!« –

Doch ach! Des Meers barbar'scher Sohn

schlägt bang das Kreuz und flieht davon ...

Wie oft in Meeres tiefsten Grund

stürzt ich voll Sehnsucht mich hinab!

Da, wo der Schiffe furchtbar Grab,

trieb mein Schiff ich zum Klippengrund:

Nirgends ein Grab! Niemals der Tod!

Dies der Verdammnis Schreckgebot.

Dich frage ich, gepries'ner Engel Gottes,

der meines Heils Bedingung mir gewann!

War ich Unsel'ger Spielwerk deines Spottes,

als die Erlösung du mir zeigtest an?

Vergebne Hoffnung! Furchtbar eitler Wahn!

Um ew'ge Treu auf Erden – ist's getan!

Nur eine Hoffnung soll mir bleiben,

nur eine unerschüttert stehn: –

so lang der Erde Keim auch treiben,

so muß sie doch zugrunde gehn.

Tag des Gerichtes! Jüngster Tag!

Wann brichst du an in meine Nacht?

Wann dröhnt er, der Vernichtungs-Schlag,

mit dem die Welt zusammenkracht?

Wann alle Toten auferstehn,

dann werde ich in Nichts vergehn!

Ihr Welten, endet euren Lauf!

Ew'ge Vernichtung, nimm mich auf!


[185] Der Holländer lehnt sich mit verschränkten Armen, dumpf in sich gekehrt, an einer Felsenwand.


CHOR der Mannschaft des Holländers – im Schiffsraum – unsichtbar.

Ew'ge Vernichtung, nimm uns auf!


Daland kommt aus der Kajüte; er sieht sich nach dem Wind um und erblickt das fremde Schiff.


DALAND sich nach dem Steuermann umsehend.

He! Holla! Steuermann!

STEUERMANN sich schlaftrunken halb aufrichtend.

's ist nichts; 's ist nichts!

– Ach, lieber Südwind, blas noch mehr!

– mein Mädel ...

DALAND den Steuermann aufrüttelnd.

Du siehst nichts? Gelt, du wachtest brav, mein Bursch!

Dort liegt ein Schiff ... wie lange schliefst du schon?

STEUERMANN rasch auffahrend.

Zum Teufel auch! Verzeiht mir, Kapitän!


Er setzt schnell das Sprachrohr an und ruft über Bord.


Wer da?


Lange Pause.


Wer da?


Lange Pause.


DALAND.

Es scheint, sie sind gerad

so faul als wir.

STEUERMANN wie vorher.

Gebt Antwort! Schiff und Flagge?

DALAND erblickt den Holländer am Lande.

Laß ab! Mich dünkt, ich seh den Kapitän!


Den Holländer anrufend:


He! Holla! Seemann! Nenne dich! Wes Landes?


Langes Stillschweigen.


HOLLÄNDER ohne seine Stellung zu verlassen.

Weit komm ich her ... Verwehrt bei Sturm und Wetter ihr mir den Ankerplatz?

DALAND.

Behüt es Gott!

Gastfreundschaft kennt der Seemann!


An das Land gehend.


Wer bist du?

HOLLÄNDER.

Holländer.

DALAND.

Gott zum Gruß! So trieb auch dich

der Sturm an diesen nackten Felsenstrand?

Mir ging's nicht besser ... wenig Meilen nur

von hier ist meine Heimat, fast erreicht[186]

mußt ich aufs neu mich von ihr wenden. Sag,

woher kommst du? Hast Schaden du genommen?

HOLLÄNDER.

Mein Schiff ist fest ... es leidet keinen Schaden.


Mit Ausdruck aber ohne Leidenschaft.


Durch Sturm und bösen Wind verschlagen,

irr auf den Wassern ich umher;

wie lange? weiß ich kaum zu sagen,

schon zähl ich nicht die Jahre mehr.

Unmöglich dünkt mich's, daß ich nenne

die Länder alle, die ich fand: –

das Eine nur, nach dem ich brenne,

ich find es nicht – mein Heimatland!

Vergönne mir auf kurze Frist dein Haus,

und deine Freundschaft soll dich nicht gereun!

Mit Schätzen aller Gegenden und Zonen

ist reich mein Schiff beladen; willst du handeln,

so sollst du sicher deines Vorteils sein!

DALAND.

Wie wunderbar! Soll deinem Wort ich glauben?

Ein Unstern, scheint's, hat dich bis jetzt verfolgt: –

um dir zu frommen biet ich, was ich kann ...

Doch darf ich fragen ... was dein Schiff enthält?


Der Holländer gibt der Wache seines Schiffes ein Zeichen, auf welches man von demselben eine Kiste an das Land bringt.


HOLLÄNDER.

Die seltensten der Schätze sollst du sehn;

kostbare Perlen, edelstes Gestein.

Blick hin, und überzeuge dich vom Werte

des Preises, den ich für ein gastlich Dach

dir biete!

DALAND voll Erstaunen den Inhalt der Kiste übersehend.

Wie! Ist's möglich! Diese Schätze!

Wer ist so reich, den Preis dafür zu bieten!

HOLLÄNDER.

Den Preis? Soeben hab ich ihn genannt:

dies für das Obdach einer einz'gen Nacht!

Doch, was du siehst, ist nur der kleinste Teil

von dem, was meines Schiffes Raum verschließt ...

Was frommt der Schatz? Ich habe weder Weib noch Kind –

und meine Heimat find ich nie!

All meinen Reichtum biet ich dir, wenn bei

den Deinen du mir neue Heimat gibst!

DALAND.

Was muß ich hören!

HOLLÄNDER.

Hast du eine Tochter?

DALAND.

Fürwahr, ein treues Kind!

HOLLÄNDER.

Sie sei mein Weib! –[187]

DALAND freudig betroffen.

Wie? Hört ich recht? Meine Tochter sein Weib!

Er selbst spricht aus den Gedanken!

Fast fürcht ich, wenn unentschlossen ich bleib,

er müßt im Vorsatze wanken.

Wüßt ich, ob ich wach oder träume!

Kann ein Eidam willkommener sein?

Ein Thor! – wenn das Glück ich versäume!

Voll Entzücken schlage ich ein.

DALAND.

Wohl, Fremdling! hab ich eine schöne Tochter,

mit treuer Kinderlieb ergeben mir;

sie ist mein Stolz, das Höchste meiner Güter, –

mein Trost im Unglück, meine Freud im Glück!

HOLLÄNDER.

Dem Vater stets bewahr sie ihre Liebe!

Ihm treu – wird sie auch treu dem Gatten sein.

DALAND.

Du gibst Juwelen, unschätzbare Perlen: –

das höchste Kleinod doch, – ein treues Weib ...

HOLLÄNDER.

Du gibst es mir?

DALAND.

Ich gebe dir mein Wort!

Mich rührt dein Los; – freigiebig, wie du bist,

zeigst Edelmut und hohen Sinn du mir ...

den Eidam wünscht ich so, – und wär dein Gut

auch nicht so reich, wählt ich doch keinen Andren!

HOLLÄNDER.

Hab Dank! Werd ich die Tochter heut noch sehn?

DALAND.

Der nächste günst'ge Wind bringt uns nach Haus;

du sollst sie sehn – und wenn sie dir gefällt ...

HOLLÄNDER.

So ist sie mein ... Wird sie mein Engel sein?

Wenn aus der Qualen Schreckgewalten

die Sehnsucht nach dem Heil mich treibt,

ist mir's erlaubt, mich festzuhalten

an einer Hoffnung, die mir bleibt?

Darf ich in jenem Wahn noch schmachten,

daß sich ein Engel mir erweicht?

Der Qualen, die mein Haupt umnachten,

ersehntes Ziel hätt ich erreicht?

Ach! ohne Hoffnung, wie ich bin,

gab ich mich doch der Hoffnung hin!

DALAND.

Gepriesen seid, des Sturms Gewalten,

die ihr an diesen Strand mich triebt!

Fürwahr, bloß brauch ich festzuhalten,

was sich so schön von selbst mir gibt.

Die ihn an diese Küste brachten,[188]

ihr Winde, sollt gesegnet sein!

Ha, wonach alle Väter trachten,

ein reicher Eidam, er ist mein!

Ja! dem Mann mit Gut und hohem Sinn

gab froh ich Haus und Tochter hin.


Das Wetter hat sich völlig aufgeklärt, – der Wind ist umgeschlagen.


STEUERMANN am Bord.

Südwind! Südwind!

Ach! lieber Südwind, blas noch mehr!

MATROSEN die Mütze schwenkend.

Halloho! Hohoho! Halloho! Halloho!

Halloho! Ho! Ho! Ho!

DALAND.

Du siehst, das Glück ist günstig dir,

der Wind ist gut, die See in Ruh.

Sogleich die Anker lichten wir,

und segeln froh der Heimat zu.

HOLLÄNDER.

Darf ich dich bitten, so segelst du voran; –

der Wind ist frisch, doch meine Mannschaft müd;

ich gönn ihr kurze Ruh – und folge dann.

DALAND.

Doch – unser Wind?

HOLLÄNDER.

Er bläst noch lang aus Süd.

Mein Schiff ist schnell, es holt dich sicher ein.

DALAND.

Du glaubst? – Wohlan! Es möge denn so sein.

Leb wohl! Mögst heute du mein Kind noch sehn!

HOLLÄNDER.

Gewiß!

DALAND an Bord seines Schiffes gehend.

Hei! Wie die Segel schon sich blähn!

Hallo! Hallo!


Er gibt ein Signal auf der Schiffspfeife.


Frisch! Jungen, greifet an!


Das Schiff wird losgemacht.


MATROSEN im Absegeln.

Mit Gewitter und Sturm aus fernem Meer –

Mein Mädel, bin dir nah! Hurrah!

Über sturmhohe Flut vom Süden her –

mein Mädel, bin ich da! Hurrah!

Mein Mädel, wenn nicht Südwind wär,

ich nimmer wohl käm zu dir!

Ach! lieber Südwind blas noch mehr!

Mein Mädel verlangt nach mir!

Ho! Ho! Ho! joloho! Hohohohoho!


Der Holländer ist an Bord seines Schiffes gegangen, der Vorhang fällt.
[189]

Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 183-190.
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