Zweite Szene


[462] Walter tritt unter der Kammertür ein. Er bleibt einen Augenblick dort stehen und blickt auf Sachs. Dieser wendet sich und läßt den Folianten auf den Boden gleiten.


SACHS.

Grüß Gott, mein Junker! Ruhet Ihr noch?

Ihr wachtet lang, nun schlieft Ihr doch?[462]

WALTHER sehr ruhig.

Ein wenig, aber fest und gut.

SACHS.

So ist Euch nun wohl baß zumut?

WALTHER immer sehr ruhig.

Ich hatt einen wunderschönen Traum.

SACHS.

Das deutet Gut's: erzählt mir den!

WALTHER.

Ihn selbst zu denken wag ich kaum:

ich fürcht ihn mir vergehn zu sehn. –

SACHS.

Mein Freund! Das grad ist Dichters Werk

daß er sein Träumen deut und merk.

Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn

wird ihm im Traume aufgetan:

all Dichtkunst und Poeterei

ist nichts als Wahrtraumdeuterei.

Was gilt's, es gab der Traum Euch ein,

wie heut Ihr sollet Meister sein?

WALTHER sehr ruhig.

Nein, von der Zunft und ihren Meistern

wollt sich mein Traumbild nicht begeistern.

SACHS.

Doch lehrt es wohl den Zauberspruch,

mit dem Ihr sie gewännet?

WALTHER etwas lebhafter.

Wie wähnt Ihr doch nach solchem Bruch,

wenn Ihr noch Hoffnung kennet!

SACHS.

Die Hoffnung laß ich mir nicht mindern,

nichts stieß sie noch übern Haufen;

wär's nicht, glaubt, statt Eure Flucht zu hindern,

wär ich selbst mit Euch fortgelaufen!

Drum bitt ich, laßt den Groll jetzt ruhn!

Ihr habt's mit Ehrenmännern zu tun;

die irren sich, und sind bequem,

daß man auf ihre Weise sie nähm. –

Wer Preise erkennt und Preise stellt,

der will am End auch, daß man ihm gefällt.

Eu'r Lied, das hat ihnen bang gemacht;

und das mit Recht: denn wohlbedacht,

mit solchem Dicht- und Liebesfeuer

verführt man wohl Töchter zum Abenteuer;

doch für liebseligen Ehestand

man andre Wort' und Weisen fand.

WALTHER lächelnd.

Die kenn ich nun auch seit dieser Nacht:

es hat viel Lärm auf der Gasse gemacht.

SACHS lachend.

Ja, ja! Schon gut! Den Takt dazu

hörtet Ihr auch! – Doch laßt dem Ruh,[463]

und folgt meinem Rate, kurz und gut:

faßt zu einem Meisterliede Mut!

WALTHER.

Ein schönes Lied – ein Meisterlied:

wie faß ich da den Unterschied?

SACHS zart.

Mein Freund, in holder Jugendzeit,

wenn uns von mächt'gen Trieben

zum sel'gen ersten Lieben

die Brust sich schwellet hoch und weit,

ein schönes Lied zu singen

mocht vielen da gelingen:

der Lenz, der sang für sie.

Kam Sommer, Herbst und Winterszeit

viel Not und Sorg im Leben,

manch ehlich Glück daneben:

Kindtauf, Geschäfte, Zwist und Streit: –

denen 's dann noch will gelingen

ein schönes Lied zu singen,

seht: Meister nennt man die!

WALTHER zart und begeistert anschwellend.

Ich lieb ein Weib, und will es frein,

mein dauernd Ehgemahl zu sein. –

SACHS.

Die Meisterregeln lernt beizeiten,

daß sie getreulich Euch geleiten

und helfen wohl bewahren,

was in der Jugend Jahren

mit holdem Triebe

Lenz und Liebe

Euch unbewußt ins Herz gelegt,

daß Ihr das unverloren hegt!

WALTHER.

Stehn sie nun in so hohem Ruf,

wer war es, der die Regeln schuf?

SACHS.

Das waren hochbedürft'ge Meister,

von Lebensmüh bedrängte Geister:

in ihrer Nöten Wildnis

sie schufen sich ein Bildnis,

daß ihnen bliebe

der Jugendliebe

ein Angedenken, klar und fest,

dran sich der Lenz erkennen läßt.

WALTHER.

Doch, wem der Lenz schon lang entschwunden

wie wird er dem im Bild gewonnen?

SACHS.

Er frischt es an, so gut er kann:

drum möcht ich, als bedürft'ger Mann,[464]

will ich die Regeln Euch lehren,

sollt Ihr sie mir neu erklären. –

Seht, hier ist Tinte, Feder, Papier:

ich schreib's Euch auf, diktiert Ihr mir!

WALTHER.

Wie ich begänne, wüßt ich kaum.

SACHS.

Erzählt mir Euren Morgentraum.

WALTHER.

Durch Eurer Regeln gute Lehr

ist mir's, als ob verwischt er wär.

SACHS.

Grad nehmt die Dichtkunst jetzt zur Hand:

mancher durch sie das Verlor'ne fand.

WALTHER.

So wär's nicht Traum, doch Dichterei?

SACHS.

's sind Freunde beid, stehn gern sich bei.

WALTHER.

Wie fang ich nach der Regel an?

SACHS.

Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann.

Gedenkt des schönen Traums am Morgen:

fürs Andre laßt Hans Sachs nur sorgen.


Walther hat sich zu Hans Sachs am Werktisch gesetzt, wo dieser das Gedicht Walthers nachschreibt.


»Morgenlich leuchtend in rosigem Schein,

von Blüt und Duft

geschwellt die Luft,

voll aller Wonnen

nie ersonnen,

ein Garten lud mich ein,

Gast ihm zu sein.«

SACHS.

Das war ein »Stollen«; nun achtet wohl,

daß ganz ein gleicher ihm folgen soll.

WALTHER.

Warum ganz gleich?

SACHS.

Damit man seh,

Ihr wähltet Euch gleich ein Weib zur Eh'! –

WALTHER.

»Wonnig entragend dem seligen Raum,

bot goldner Frucht

heilsaft'ge Wucht,

mit holdem Prangen

dem Verlangen,

an duft'ger Zweige Saum,

herrlich ein Baum.« –

SACHS.

Ihr schlosset nicht im gleichen Ton:

das macht den Meistern Pein;

doch nimmt Hans Sachs die Lehr davon,[465]

im Lenz wohl müss es so sein. –

Nun stellt mir einen »Abgesang«.

WALTHER.

Was soll nun der?

SACHS.

Ob Euch gelang,

ein rechtes Paar zu finden,

das zeigt sich an den Kinden;

den Stollen ähnlich, doch nicht gleich,

an eignen Reim und Tönen reich;

daß man's recht schlank und selbstig find,

das freut die Eltern an dem Kind;

und Euren Stollen gibt's den Schluß,

daß nichts davon abfallen muß. –

WALTHER.

»Sei euch vertraut,

welch hehres Wunder mir geschehn:

an meiner Seite stand ein Weib,

so hold und schön ich nie gesehn:

gleich einer Braut

umfaßte sie sanft meinen Leib;

mit Augen winkend,

die Hand wies blinkend,

was ich verlangend begehrt,

die Frucht so hold und wert

vom Lebensbaum.«

SACHS gerührt.

Das nenn ich mir einen Abgesang!

Seht, wie der ganze Bar gelang!

Nur mit der Melodei

seid Ihr ein wenig frei:

doch sag ich nicht, daß das ein Fehler sei;

nur ist's nicht leicht zu behalten, –

und das ärgert unsre Alten.

Jetzt richtet mir noch einen zweiten Bar,

damit man merk, welch der erste war.

Auch weiß ich noch nicht, so gut Ihr's gereimt,

was Ihr gedichtet, was Ihr geträumt.

WALTHER.

»Abendlich glühend in himmlischer Glut

verschied der Tag,

wie dort ich lag:

aus ihren Augen

Wonne saugen,

Verlangen einz'ger Macht

in mir nur wacht.

Nächtlich umdämmert der Blick mir sich bricht:

wie weit so nah,[466]

beschienen da

zwei lichte Sterne

aus der Ferne,

durch schlanker Zweige Licht,

hehr mein Gesicht.

Lieblich ein Quell

auf stiller Höhe dort mir rauscht;

jetzt schwellt er an sein hold Getön,

so stark und süß ich's nie erlauscht:

leuchtend und hell,

wie strahlten die Sterne da schön!

Zu Tanz und Reigen

in Laub und Zweigen

der goldnen sammeln sich mehr,

statt Frucht ein Sternenheer

im Lorbeerbaum.«

SACHS sehr gerührt.

Freund, Euer Traumbild wies Euch wahr:

gelungen ist auch der zweite Bar.

Wolltet Ihr noch einen dritten dichten,

des Traumes Deutung würd' er berichten. –

WALTHER steht schnell auf.

Wo fänd' ich die? Genug der Wort!

SACHS erhebt sich ebenfalls und tritt mit freundlicher Entschiedenheit zu Walther.

Dann Tat und Wort

am rechten Ort! –

Drum bitt ich, merkt mir wohl die Weise:

gar lieblich drin sich's dichten läßt.

Und singt Ihr sie in weitrem Kreise,

so haltet mir auch das Traumbild fest.

WALTHER.

Was habt Ihr vor?

SACHS.

Eu'r treuer Knecht

fand sich mit Sack und Tasch zurecht:

die Kleider, drin am Hochzeitsfest

daheim Ihr wolltet prangen,

die ließ er her zu mir gelangen:

ein Täubchen zeigt ihm wohl das Nest,

darin sein Junker träumt.

Drum folgt mir jetzt ins Kämmerlein:

mit Kleiden, wohl gesäumt,

sollen beide wir gezieret sein,

wenn's Stattliches zu wagen gilt.

Drum kommt, seid Ihr gleich mir gesinnt.


[467] Walther schlägt in Sachsens Hand ein; so geleitet ihn dieser ruhig festen Schrittes zur Kammer, deren Türe er ihm ehrerbietig öffnet und dann ihm folgt. – Man gewahrt Beckmesser, welcher draußen vor dem Laden erscheint, in großer Aufgeregtheit hereinlugt und, da er die Werkstatt leer findet, hastig hereintritt.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 462-468.
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