Dritte Szene


[468] Beckmesser ist sehr aufgeputzt, aber in sehr leidendem Zustande. Er blickt sich erst unter der Türe nochmals genau in der Werkstatt um. Dann hinkt er vorwärts, zuckt aber zusammen und streicht sich den Rücken. Er macht wieder einige Schritte, knickt aber mit den Knien und streicht nun diese. Er setzt sich auf den Schusterschemel, fährt aber schnell schmerzhaft wieder auf. Er betrachtet sich den Schemel und gerät dabei in immer aufgeregteres Nachsinnen. Er wird von den verdrießlichsten Erinnerungen und Vorstellungen gepeinigt; immer unruhiger beginnt er sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Er hinkt immer lebhafter umher und starrt dabei vor sich hin. Als ob er von allen Seiten verfolgt wäre, taumelt er fliehend hin und her. Wie um nicht umzusinken, hält er sich an dem Werktisch, zu dem er hingeschwankt war, an und starrt vor sich hin. Matt und verzweiflungsvoll sieht er um sich: – sein Blick fällt endlich durch das Fenster auf Pogners Haus; er hinkt mühsam an dasselbe heran, und, nach dem gegenüberliegenden Fenster ausspähend, versucht er sich in die Brust zu werfen, als ihm sogleich der Ritter Walther einfällt. Ärgerliche Gedanken

entstehen ihm dadurch, gegen die er mit schmeichelndem Selbstgefühle anzukämpfen sucht. Die Eifersucht übermannt ihn; er schlägt sich vor den Kopf. Er glaubt die Verhöhnung der Weiber und Buben auf der Gasse zu vernehmen, wendet sich wütend ab und schmeißt das Fenster zu. Sehr verstört wendet er sich mechanisch wieder dem Werktische zu, indem er, vor sich hin brütend, nach einer neuen Weise zu suchen scheint. Sein Blick fällt auf das von Sachs zuvor beschriebene Papier; er nimmt es neugierig auf, überfliegt es mit wachsender Aufregung und bricht endlich wütend aus.


Ein Werbelied! Von Sachs! – Ist's wahr?

Ha! Jetzt wird mir Alles klar! –


[468] Da er die Kammertüre gehen hört, fährt er zusammen und steckt das Papier eilig in die Tasche.


SACHS im Festgewande, tritt ein, kommt vor und hält an, als er Beckmesser gewahrt.

Sieh da, Herr Schreiber: auch am Morgen?

Euch machen die Schuh doch nicht mehr Sorgen?

BECKMESSER.

Zum Teufel! So dünn war ich noch nie beschuht;

fühl durch die Sohl den kleinsten Kies!

SACHS.

Mein Merkersprüchlein wirkte dies;

trieb sie mit Merkerzeichen so weich.

BECKMESSER.

Schon gut der Witz, und genug der Streich!

Glaubt mir, Freund Sachs: jetzt kenn ich Euch!

Der Spaß von dieser Nacht,

der wird Euch noch gedacht.

Daß ich Euch nur nicht im Wege sei,

schuft Ihr gar Aufruhr und Meuterei!

SACHS.

's war Polterabend, laßt Euch bedeuten;

Eure Hochzeit spukte unter den Leuten:

je toller es da hergeh,

je besser bekommt's der Eh'!

BECKMESSER wütend.

Oh, Schuster voll von Ränken

und pöbelhaften Schwänken!

Du warst mein Feind von je:

nun hör, ob hell ich seh! –

Die ich mir auserkoren,

die ganz für mich geboren,

zu aller Witwer Schmach

der Jungfer stellst du nach.

Daß sich Herr Sachs erwerbe

des Goldschmieds reiches Erbe,

im Meisterrat zur Hand

auf Klauseln er bestand,

ein Mägdlein zu betören,

das nur auf ihn sollt hören,

und Andren abgewandt

zu ihm allein sich fand.

Darum! Darum! –

Wär ich so dumm? –

Mit Schreien und mit Klopfen

wollt er mein Lied zustopfen,

daß nicht dem Kind werd kund,

wie auch ein Andrer bestund.

Ja, ja! Haha![469]

Hab ich dich da? –

Aus seiner Schusterstuben

hetzt endlich er den Buben

mit Knüppeln auf mich her,

daß meiner los er wär!

Au, au! Au, au!

Wohl grün und blau

zum Spott der allerliebsten Frau,

zerschlagen und zerprügelt,

daß kein Schneider mich aufbügelt!

Gar auf mein Leben

war's angegeben.

Doch kam ich noch so davon,

daß ich die Tat Euch lohn:

zieht heut nur aus dem Singen,

merkt auf, wie's mag gelingen!

Bin ich gezwackt

auch und zerhackt,

Euch bring ich doch sicher aus dem Takt.

SACHS.

Gut Freund, Ihr seid in argem Wahn;

glaubt was Ihr wollt, daß ich getan;

gebt Eure Eifersucht nur hin;

zu werben kommt mir nicht in Sinn.

BECKMESSER.

Lug und Trug! Ich kenn es besser.

SACHS.

Was fällt Euch nur ein, Meister Beckmesser?

Was ich sonst im Sinn, geht Euch nicht an;

doch, glaubt, ob der Werbung seid Ihr im Wahn.

BECKMESSER.

Ihr sängt heut nicht?

SACHS.

Nicht zur Wette.

BECKMESSER.

Kein Werbelied?

SACHS.

Gewißlich, nein!

BECKMESSER.

Wenn ich aber drob ein Zeugnis hätte?


Er greift in die Tasche.


SACHS blickt auf den Werktisch.

Das Gedicht? ... hier ließ ich's. Stecktet Ihr's ein?

BECKMESSER das Blatt hervorziehend.

Ist das Eure Hand?

SACHS.

Ja, war es das?

BECKMESSER.

Ganz frisch noch die Schrift?

SACHS.

Und die Tinte noch naß?

BECKMESSER.

's wär wohl gar ein biblisches Lied?

SACHS.

Der fehlte wohl, wer darauf riet!

BECKMESSER.

Nun denn?

SACHS.

Wie doch?[470]

BECKMESSER.

Ihr fragt?

SACHS.

Was noch?

BECKMESSER.

Daß Ihr mit aller Biederkeit

der ärgste aller Spitzbuben seid.

SACHS.

Mag sein; doch hab ich noch nie entwandt,

was ich auf fremden Tischen fand:

und daß man von Euch auch nicht Übles denkt,

behaltet das Blatt, es sei Euch geschenkt.

BECKMESSER in freudigem Schreck aufspringend.

Herr Gott! – Ein Gedicht? Ein Gedicht von Sachs?

Doch halt – daß kein neuer Schad mir erwachs!

Ihr habt's wohl schon recht gut memoriert?

SACHS.

Seid meinethalb doch nur unbeirrt!

BECKMESSER.

Ihr laßt mir das Blatt?

SACHS.

Damit Ihr kein Dieb.

BECKMESSER.

Und mach ich Gebrauch?

SACHS.

Wie's Euch belieb.

BECKMESSER.

Doch sing ich das Lied?

SACHS.

Wenn's nicht zu schwer.

BECKMESSER.

Und wenn ich gefiel?

SACHS.

Das – wunderte mich sehr.

BECKMESSER ganz zutraulich.

Da seid Ihr nun wieder zu bescheiden;

ein Lied von Sachs,


Gleichsam pfeifend.


das will was bedeuten. –

Und seht nur, wie mir's ergeht,

wie's mit mir Ärmsten steht!

Erseh ich doch mit Schmerzen,

das Lied, das nachts ich sang –

Dank Euren lust'gen Scherzen! –

es machte der Pognerin bang. –

Wie schaff ich mir nun zur Stelle

ein neues Lied herzu?

Ich armer, zerschlagner Geselle,

wie fänd ich heut dazu Ruh.

Werbung und ehlich Leben,

ob das mir Gott beschied,

muß ich nun grad aufgeben,

hab ich kein neues Lied. –

Ein Lied von Euch, des bin ich gewiß,

mit dem besieg ich jed' Hindernis:

soll ich das heute haben,[471]

vergessen, begraben

sei Zwist, Hader und Streit,

und was uns je entzweit!


Er blickt seitwärts in das Blatt: plötzlich runzelt sich seine Stirne.


Und doch! Wenn's nur eine Falle wär? –

Noch gestern wart Ihr mein Feind: –

wie käm's, daß nach so großer Beschwer

Ihr's freundlich heut mit mir meint?

SACHS.

Ich macht Euch Schuh in später Nacht:

hat man je so einen Feind bedacht?

BECKMESSER.

Ja, ja! Recht gut! Doch Eines schwört:

wo und wie Ihr das Lied auch hört,

daß nie Ihr Euch beikommen laßt,

zu sagen, das Lied sei von Euch verfaßt.

SACHS.

Das schwör ich, und gelob es euch

nie mich zu rühmen, das Lied sei von mir.

BECKMESSER sich vergnügt die Hände reibend.

Was will ich mehr? Ich bin geborgen:

jetzt braucht sich Beckmesser nicht mehr zu sorgen.

SACHS.

Doch, Freund, ich führ's Euch zu Gemüte,

und rat es Euch in aller Güte:

studiert mir recht das Lied;

sein Vortrag ist nicht leicht;

ob Euch die Weise geriet,

und Ihr den Ton erreicht.

BECKMESSER.

Freund Sachs, Ihr seid ein guter Poet;

doch was Ton und Weise betrifft, gesteht,

da tut's mir keiner vor.

Drum spitzt nur fein das Ohr –

und: »Beckmesser!

Keiner besser!« –

darauf macht Euch gefaßt,

wenn Ihr mich ruhig singen laßt. –

Doch nun memorieren,

schnell nach Haus:

ohne Zeit zu verlieren

richt ich das aus. –

Hans Sachs, mein Teurer,

ich hab Euch verkannt;

durch den Abenteurer

war ich verrannt:


Sehr zutraulich.
[472]

(so Einer fehlte uns bloß! –

Den wurden wir Meister doch los!)

Doch mein Besinnen

läuft mir von hinnen!

Bin ich verwirrt

und ganz verirrt? –

Die Silben, die Reime,

die Worte, die Verse!

Ich kleb wie am Leime,

und brennt doch die Ferse.

Ade! Ich muß fort:

an andrem Ort

dank ich Euch inniglich,

weil Ihr so minniglich;

für Euch nun stimme ich,

kauf Eure Werke gleich,

mache zum Merker Euch, –

doch fein mit Kreide weich,

nicht mit dem Hammerstreich! –

Merker! Merker! Merker Hans Sachs!

Daß Nürnberg schusterlich blüh und wachs!


Beckmesser nimmt tanzend von Sachs Abschied, taumelt und poltert der Ladentüre zu; plötzlich glaubt er das Gedicht in seiner Tasche vergessen zu haben; läuft wieder vor, sucht ängstlich auf dem Werktische, bis er es in der eigenen Hand gewahr wird: darüber scherzhaft erfreut, umarmt er Sachs nochmals voll feurigen Dankes und stürzt dann, hinkend und strauchelnd, geräuschvoll durch die Ladentür ab.


SACHS sieht Beckmesser gedankenvoll lächelnd nach.

So ganz boshaft doch Keinen ich fand;

er hält's auf die Länge nicht aus:

vergeudet Mancher oft viel Verstand,

doch hält er auch damit haus;

die schwache Stunde kommt für jeden, –

da wird er dumm und läßt mit sich reden,

Daß hier Herr Beckmesser ward zum Dieb,

ist mir für meinen Plan gar lieb. –


Eva nähert sich auf der Straße der Ladentür. Sachs wendet sich und gewahrt Eva.


Sieh, Evchen! Dacht ich doch, wo sie blieb! –[473]


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 468-474.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Angelus Silesius

Cherubinischer Wandersmann

Cherubinischer Wandersmann

Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«

242 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon