Vierte Szene


[474] Eva, reich geschmückt, in glänzend weißer Kleidung, etwas leidend und blaß, tritt zum Laden herein und schreitet langsam vor.


SACHS.

Grüß Gott, mein Evchen! Ei, wie herrlich

und stolz du's heute meinst!

Du machst wohl Alt und Jung begehrlich,

wenn du so schön erscheinst!

EVA.

Meister, 's ist nicht so gefährlich:

und ist's dem Schneider geglückt,

wer sieht dann, wo's mir beschwerlich,

wo still der Schuh mich drückt?

SACHS.

Der böse Schuh! 's war deine Laun,

daß du ihn gestern nicht probiert.

EVA.

Merkt wohl, ich hatt zu viel Vertraun;

im Meister hatt ich mich geirrt.

SACHS.

Ei, 's tut mir leid! Zeig her, mein Kind,

daß ich dir helfe gleich geschwind.

EVA.

Sobald ich stehe, will es gehn;

doch, will ich gehn, zwingt mich's zu stehn.

SACHS.

Hier auf den Schemel streck den Fuß:

der üblen Not ich wehren muß. –


Sie streckt einen Fuß auf dem Schemel am Werktisch aus.


Was ist mit dem?

EVA.

Ihr seht, zu weit!

SACHS.

Kind, das ist pure Eitelkeit;

der Schuh ist knapp.

EVA.

Das sagt ich ja:

drum drückt er mich an den Zehen da.

SACHS.

Hier links?

EVA.

Nein, rechts.

SACHS.

Wohl mehr am Spann?

EVA.

Hier mehr am Hacken.

SACHS.

Kommt der auch dran?

EVA.

Ach, Meister! Wüßtet Ihr besser als ich,

wo der Schuh mich drückt?

SACHS.

Ei! 's wundert mich,

daß er zu weit, und doch drückt überall!


Walther, in glänzender Rittertracht, tritt unter die Türe der Kammer. Eva stößt einen Schrei aus und bleibt, unverwandt auf Walther blickend, in ihrer Stellung, mit dem Fuße auf[474] dem Schemel. Sachs, der vor ihr niedergebückt steht, bleibt mit dem Rücken der Türe zugekehrt, ohne Walthers Eintritt zu beachten. Walther, durch den Anblick Evas festgebannt, bleibt ebenfalls unbeweglich unter der Türe stehen.


Aha! – hier sitzt's: nun begreif ich den Fall. –

Kind, du hast recht: 's stak in der Naht.

Nun warte, dem Übel schaff ich Rat:

bleib nur so stehn; ich nehm dir den Schuh

eine Weil auf den Leisten, dann läßt er dir Ruh!


Sachs hat Eva sanft den Schuh vom Fuße gezogen; während sie in ihrer Stellung verbleibt, macht er sich am Werktisch mit dem Schuh zu schaffen und tut, als beachte er nichts anderes.


SACHS bei der Arbeit.

Immer schustern, das ist nun mein Los;

des Nachts, des Tags, komm nicht davon los.

Kind, hör zu: ich hab mir's überdacht,

was meinem Schustern ein Ende macht:

am besten, ich werbe doch nun um dich;

da gewänn ich doch was als Poet für mich. –

Du hörst nicht drauf? So sprich doch jetzt;

hast mir's ja selbst in den Kopf gesetzt? –

Schon gut! – ich merk: – »mach deine Schuh!« –

Säng mir nur wenigstens Einer dazu! –

Hörte heut gar ein schönes Lied: –

wem dazu wohl ein dritter Vers geriet? –

WALTHER den begeisterten Blick unverwandt auf Eva.

»Weilten die Sterne im lieblichen Tanz?

So licht und klar

im Lockenhaar,

vor allen Frauen

hehr zu schauen,

lag ihr mit zartem Glanz

ein Sternenkranz.«

SACHS immerfort arbeitend.

Lausch, Kind! Das ist ein Meisterlied.

WALTHER.

»Wunder ob Wunder nun bieten sich dar:

zwiefachen Tag

ich grüßen mag;

denn gleich zwei'n Sonnen

reinster Wonnen,

der hehrsten Augen Paar

nahm ich da wahr.«[475]

SACHS beiseite zu Eva.

Derlei hörst du jetzt bei mir singen.

WALTHER.

»Huldreichstes Bild,

dem ich zu nahen mich erkühnt!

Den Kranz, von zweier Sonnen Strahl

zugleich geblichen und ergrünt,

minnig und mild

sie flocht ihn um das Haupt dem Gemahl:

dort Huld-geboren,

nun Ruhm-erkoren,

gießt paradiesische Lust

sie in des Dichters Brust –

im Liebestraum.«

SACHS hat den Schuh zurückgebracht und ist jetzt darüber her, ihn Eva wieder an den Fuß zu ziehen.

Nun schau, ob dazu mein Schuh geriet?

Mein' endlich doch,

es tät mir gelingen?

Versuch's, – tritt auf! Sag, drückt er dich noch?


Eva, die wie bezaubert, regungslos gestanden, gesehen und gehört hat, bricht jetzt in heftiges Weinen aus, sinkt Sachs an die Brust und drückt ihn

schluchzend an sich. – Walther ist zu ihnen getreten; er drückt begeistert Sachs die Hand. Längeres Schweigen leidenschaftlicher Ergriffenheit. – Sachs tut sich endlich Gewalt an, reißt sich wie unmutig los und läßt dadurch Eva unwillkürlich an Walthers Schulter sich anlehnen.


SACHS.

Hat man mit dem Schuhwerk nicht seine Not!

Wär ich nicht noch Poet dazu,

ich machte länger keine Schuh!

Das ist eine Müh, ein Aufgebot!

Zu weit dem Einen, dem Andern zu eng;

von allen Seiten Lauf und Gedräng:

da klappt's,

da schlappt's;

hier drückt's,

da zwickt's; –

der Schuster soll auch Alles wissen,

flicken, was nur immer zerrissen:

und ist er gar Poet dazu,

da läßt man am End ihm auch da keine Ruh;

und ist er erst noch Witwer gar,

zum Narren hält man ihn fürwahr: –

die jüngsten Mädchen, ist Not am Mann,[476]

begehren, er hielte um sie an;

versteht er sie, versteht er sie nicht, –

all eins, ob ja, ob nein er spricht, –

am End riecht er doch nach Pech,

und gilt für dumm, tückisch und frech. –

Ei! 's ist mir nur um den Lehrbuben leid,

der verliert mir allen Respekt:

die Lene macht ihn schon nicht recht gescheit,

daß aus Töpf und Tellern er leckt.

Wo Teufel er jetzt nur wieder steckt!

EVA indem sie Sachs zurückhält und von Neuem an sich zieht.

O Sachs! Mein Freund! Du teurer Mann!

Wie ich dir Edlem lohnen kann!

Was ohne deine Liebe,

was wär ich ohne dich, –

ob je auch Kind ich bliebe,

erwecktest du mich nicht?

Durch dich gewann ich,

was man preist;

durch dich ersann ich,

was ein Geist;

durch dich erwacht,

durch dich nur dacht

ich edel, frei und kühn;

du ließest mich erblühn!

Ja, lieber Meister, schilt mich nur;

ich war doch auf der rechten Spur.

Denn, hatte ich die Wahl,

nur dich erwählt ich mir;

du warest mein Gemahl,

den Preis reicht ich nur dir. –

Doch nun hat's mich gewählt

zu nie gekannter Qual;

und werd ich heut vermählt,

so war's ohn alle Wahl:

das war ein Müssen, war ein Zwang! –

Euch selbst, mein Meister, wurde bang.

SACHS.

Mein Kind,

von Tristan und Isolde

kenn ich ein traurig Stück:

Hans Sachs war klug, und wollte

nichts von Herrn Markes Glück. –[477]

's war Zeit, daß ich den Rechten fand,

wär sonst am End doch hineingerannt. –

Aha! Da streicht die Lene schon ums Haus:

nur herein! He! David! Kommst nicht heraus?


Magdalene, in festlichem Staate, tritt durch die Ladentüre herein. David, ebenfalls im Festkleid, mit Blumen und Bändern sehr reich und zierlich ausgeputzt, kommt zugleich aus der Kammer heraus.


Die Zeugen sind da, Gevatter zur Hand:

jetzt schnell zur Taufe! Nehmt euren Stand!


Alle blicken ihn verwundert an.


Ein Kind ward hier geboren:

jetzt sei ihm ein Nam' erkoren.

So ist's nach Meisterweis' und Art,

wenn eine Meisterweise geschaffen ward,

daß die einen guten Namen trag,

dran Jeder sie erkennen mag. –

Vernehmt, respektable Gesellschaft,

was euch hier zur Stell schafft. –

Eine Meisterweise ist gelungen,

von Junker Walther gedichtet und gesungen:

der jungen Weise lebender Vater

lud mich und die Pognerin zu Gevatter.

Weil wir die Weise wohl vernommen,

sind wir zur Taufe hieher gekommen;

auch daß wir zur Handlung Zeugen haben,

ruf ich Jungfer Lene und meinen Knaben.

Doch da's zum Zeugen kein Lehrbube tut,

und heut auch den Spruch er gesungen gut,

so mach ich den Burschen gleich zum Gesell.

Knie nieder, David, und nimm diese Schell!


David ist niedergekniet; Sachs gibt ihm eine starke Ohrfeige.


Steh auf, Gesell, und denk an den Streich:

du merkst dir dabei die Taufe zugleich. –

Fehlt sonst noch was, uns keiner schilt;

wer weiß, ob's nicht gar einer Nottaufe gilt.

Daß die Weise Kraft behalte zum Leben,

will ich nur gleich den Namen ihr geben: –

Die »selige Morgentraum-Deutweise«

sei sie genannt zu des Meisters Preise. –

Nun wachse sie groß, ohn Schad' und Bruch.

Die jüngste Gevatterin spricht den Spruch.


[478] Er tritt aus der Mitte des Halbkreises, der von den Übrigen um ihn gebildet worden war, auf die Seite, so daß nun Eva in der Mitte zu stehen kommt.


EVA.

Selig, wie die Sonne

meines Glückes lacht,

Morgen voller Wonne,

selig mir erwacht;

Traum der höchsten Hulden,

himmlisch Morgenglühn:

Deutung euch zu schulden,

selig süß Bemühn! –

Einer Weise, mild und hehr,

sollt es hold gelingen,

meines Herzens süß Beschwer

deutend zu bezwingen.

Ob es nur ein Morgentraum?

Selig deut ich mir es kaum.

Doch die Weise,

was sie leise

mir vertraut,

hell und laut,

in der Meister vollem Kreis,

deute sie auf den höchsten Preis.

SACHS.

Vor dem Kinde, lieblich hold,

mocht ich gern wohl singen:

doch des Herzens süß Beschwer

galt es zu bezwingen:

's war ein schöner Morgentraum;

dran zu deuten wag ich kaum.

Diese Weise,

was sie leise

mir anvertraut,

im stillen Raum,

sagt mir laut:

auch der Jugend ew'ges Reis

grünt nur durch des Dichters Preis.

WALTHER.

Deine Liebe ließ mir es gelingen,

meines Herzens süß Beschwer

deutend zu bezwingen:

ob es noch der Morgentraum?

Selig deut ich mir es kaum!

Doch die Weise,

was sie leise[479]

dir vertraut

im stillen Raum,

hell und laut

in der Meister vollem Kreis,

werbe sie um den höchsten Preis!

DAVID.

Wach oder träum ich schon so früh?

Das zu erklären macht mir Müh:

's ist wohl nur ein Morgentraum?

Was ich seh, begreif ich kaum.

Ward zur Stelle

gleich Geselle?

Lene Braut? –

im Kirchenraum

wir gar getraut?

's geht der Kopf mir wie im Kreis,

daß ich Meister bald heiß!

MAGDALENE.

Wach oder träum ich schon so früh?

Das zu erklären macht mir Müh:

's ist wohl nur ein Morgentraum?

Was ich seh, begreif ich kaum.

Er zur Stelle

gleich Geselle?

Ich die Braut,

im Kirchenraum

wir gar getraut?

Ja, wahrhaftig, 's geht! Wer weiß,

daß ich Meist'rin bald heiß?

SACHS zu den Übrigen sich wendend.

Jetzt alle am Fleck!


Zu Eva.


Den Vater grüß!

Auf, nach der Wies – schnell auf die Füß!


Eva und Magdalene gehen.

Zu Walther.


Nun, Junker, kommt! Habt frohen Mut! –

David, Gesel: schließ den Laden gut!


Als Sachs und Walther ebenfalls auf die Straße gehen und David über das Schließen der Ladentür sich hermacht, wird im Proszenium ein Vorhang von beiden Seiten zusammengezogen, so daß er die Szene gänzlich verschließt.
[480]


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 474-481.
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