Fünfte Szene


[481] Die Vorhänge sind nach der Höhe aufgezogen worden; die Bühne ist verwandelt. Diese stellt einen freien Wiesenplan dar, im ferneren Hintergrunde die Stadt Nürnberg. Die Pegnitz schlängelt sich durch den Plan: der schmale Fluß ist an den nächsten Punkten praktikabel gehalten. Buntbeflaggte Kähne setzen unablässig die ankommenden, festlich gekleideten Bürger der Zünfte, mit Frauen und Kindern, an das Ufer der Festwiese über. Eine erhöhte Bühne, mit Bänken und Sitzen darauf, ist rechts zur Seite aufgeschlagen; bereits ist sie mit den Fahnen der angekommenen Zünfte ausgeschmückt; im Verlaufe stecken die Fahnenträger der noch ankommenden Zünfte ihre Fahnen ebenfalls um die Sängerbühne auf, so daß diese schließlich nach drei Seiten hin ganz davon eingefaßt ist. – Zelte mit Getränken und Erfrischungen aller Art begrenzen im Übrigen die Seiten des vorderen Hauptraumes.

Vor den Zelten geht es bereits lustig her: Bürger, mit Frauen, Kindern und Gesellen, sitzen und lagern daselbst. – Die Lehrbuben der Meistersinger, festlich gekleidet, mit Blumen und Bändern reich und anmutig geschmückt, üben mit schlanken

Stäben, die ebenfalls mit Blumen und Bändern geziert sind, in lustiger Weise das Amt von Herolden und Marschällen aus. Sie empfangen die am Ufer Aussteigenden, ordnen die Züge der Zünfte und geleiten diese nach der Singerbühne, von wo aus, nachdem der Bannerträger die Fahne aufgepflanzt, die Zunftbürger und Gesellen nach Belieben sich unter den Zelten zerstreuen. – Soeben, nach der Verwandlung, werden in der angegebenen Weise die Schuster am Ufer empfangen und nach dem Vordergrund geleitet.


DIE SCHUSTER mit fliegender Fahne aufziehend.

Sankt Krispin,

lobet ihn!

War gar ein heilig Mann,

zeigt, was ein Schuster kann.

Die Armen hatten gute Zeit,

macht ihnen warme Schuh;

und wenn ihm keiner's Leder leiht,

so stahl er sich's dazu.

Der Schuster hat ein weit Gewissen,

macht Schuhe selbst mit Hindernissen;[481]

und ist vom Gerber das Fell erst weg,

dann streck, streck, streck!

Leder taugt nur am rechten Fleck.


Die Stadtwächter ziehen mit Trompeten und

Trommeln den Stadtpfeifern, Lautenmachern usw. voraus.


DIE SCHNEIDER mit fliegender Fahne aufziehend.

Als Nürenberg belagert war

und Hungersnot sich fand,

wär Stadt und Land verdorben gar,

war nicht ein Schneider zur Hand,

der viel Mut hatt und Verstand.

Hat sich in ein Bocksfell eingenäht,

auf dem Stadtwall da spazieren geht,

und macht wohl seine Sprünge

gar lustig guter Dinge.

Der Feind, der sieht's und zieht vom Fleck:

der Teufel hol die Stadt sich weg,

hat's drin noch so lustige Meck-meck-meck!

Meck! Meck! Meck!

Wer glaubt's, daß ein Schneider im Bocke steck!

DIE BÄCKER mit fliegender Fahne aufziehend.

Hungersnot! Hungersnot!

Das ist ein greulich Leiden:

gäb euch der Bäcker nicht täglich Brot,

müßt alle Welt verscheiden.

Beck! Beck! Beck!

Täglich auf dem Fleck,

nimm uns den Hunger weg!

DIE SCHUSTER welche ihre Fahne aufgesteckt, begegnen beim Herabschreiten von der Sängerbühne den Bäckern.

Streck! Streck! Streck!

Leder taugt nur am rechten Fleck!

DIE SCHNEIDER nachdem sie die Fahne aufgesteckt, herabschreitend.

Meck! Meck! Meck!

Wer meint, daß ein Schneider im Bocke steck!


Ein bunter Kahn mit jungen Mädchen in reicher bäuerischer Tracht kommt an. Die Lehrbuben laufen nach dem Gestade.


LEHRBUBEN.

Herrje! Herrje! Mädel von Fürth!

Stadtpfeifer, spielt! Daß 's lustig wird!


Sie heben währenddem die Mädchen aus dem Kahn. – Das Charakteristische des folgenden Tanzes, mit welchem die Lehrbuben und Mädchen zunächst nach dem Vordergrund kommen, besteht darin, daß die Lehrbuben die Mädchen[482] scheinbar nur an den Platz bringen wollen; sowie die Gesellen zugreifen wollen, ziehen die Buben die Mädchen aber immer wieder zurück, als ob sie sie anderswo unterbringen wollten, wobei sie meistens den ganzen Kreis, wie wählend, ausmessen und somit die scheinbare Absicht auszuführen anmutig und lustig verzögern.


DAVID kommt vom Landungsplatz vor und sieht mißbilligend dem Tanze zu.

Ihr tanzt? Was werden die Meister sagen?


Die Lehrbuben drehen ihm Nasen.


Hört nicht? – Laß ich mir's auch behagen.


Er nimmt sich ein junges, schönes Mädchen und gerät im Tanze mit ihr schnell in großes Feuer. Die Zuschauer freuen sich und lachen.


EIN PAAR LEHRBUBEN winken David.

David! David! Die Lene sieht zu!

DAVID erschrocken, läßt das Mädchen schnell fahren, um welches die Lehrbuben sogleich tanzend einen Kreis schließen: da er Lene nirgends gewahrt, merkt David, daß er nur geneckt worden, durchbricht den Kreis, erfaßt sein Mädchen wieder und tanzt nun noch feuriger weiter.

Ach! laßt mich mit euren Possen in Ruh!


Die Buben suchen ihm das Mädchen zu entreißen; er wendet sich mit ihr jedesmal glücklich ab, so daß nun ein ähnliches Spiel entsteht wie zuvor, als die Gesellen nach den Mädchen faßten.


GESELLEN vom Ufer her.

Die Meistersinger!

LEHRBUBEN.

Die Meistersinger!


Sie unterbrechen schnell den Tanz und eilen dem Ufer zu.


DAVID.

Herr Gott! – Ade, ihr hübschen Dinger!


Er gibt dem Mädchen einen feurigen Kuß und reißt sich los. Die Lehrbuben reihen sich zum Empfang der Meister: das Volk macht ihnen willig Platz. – Die Meistersinger ordnen sich am Landungsplatze zum festlichen Aufzuge. Wenn Kothner im Vordergrunde ankommt, wird die geschwungene Fahne, auf welcher König David mit der Harfe abgebildet ist, von allem Volk mit Hutschwenken begrüßt. Der Zug der Meistersinger ist nun auf der Singerbühne, wo Kothner die Fahne aufpflanzt, angelangt. – Pogner, Eva an der Hand führend, diese von festlich geschmückten und reich gekleideten jungen Mädchen, unter denen auch Magdalene, begleitet, voran. Als Eva von den Mädchen umgeben, den mit Blumen geschmückten Ehrenplatz eingenommen und alle Übrigen, die Meister[483] auf den Bänken, die Gesellen hinter ihnen stehend, ebenfalls Platz genommen haben, treten die Lehrbuben dem Volke zugewendet, feierlich vor die Bühne in Reih und Glied.


LEHRBUBEN.

Silentium! Silentium!

Macht kein Reden und kein Gesumm!


Sachs erhebt sich und tritt vor. Bei seinem Anblick stößt sich Alles an; Hüte und Mützen werden abgezogen: Alle deuten auf ihn.


ALLES VOLK.

Ha! Sachs! 's ist Sachs!

Seht, Meister Sachs!

Stimmt an! Stimmt an! Stimmt an!


Alle Sitzenden erheben sich; die Männer bleiben mit entblößtem Haupte. Beckmesser bleibt, mit dem Memorieren des Gedichtes beschäftigt, hinter den anderen Meistern versteckt, so daß er bei dieser Gelegenheit der Beachtung des Publikums entzogen wird. Außer Sachs singen alle Anwesenden die folgende Strophe mit.


»Wach auf, es nahet gen den Tag;

ich hör singen im grünen Hag

ein wonnigliche Nachtigal,

ihr Stimm' durchdringet Berg und Tal;

die Nacht neigt sich zum Okzident,

der Tag geht auf von Orient,

die rotbrünstige Morgenröt

her durch die trüben Wolken geht.«


Das Volk nimmt wieder eine jubelnd bewegte Haltung an. Der Chor des Volkes singt wieder allein; die Meister auf der Bühne sowie die anderen vorigen Teilnehmer am Gesange der Strophe geben sich dem Schauspiele des Volksjubels hin.


Heil! Heil!

Heil dir, Hans Sachs!

Heil Nürnbergs Sachs!

Heil Nürnbergs teurem Sachs!

Heil! Heil!


Sachs, der unbeweglich, wie geistesabwesend, über die Volksmenge hinweg geblickt hatte, richtet endlich seine Blicke vertrauter auf sie, und beginnt mit ergriffener, schnell aber sich festigender Stimme.


SACHS.

Euch macht ihr's leicht, mir macht ihr's schwer,

gebt ihr mir Armen zu viel Ehr.

Soll vor der Ehr ich bestehn,

sei's, mich von euch geliebt zu sehn. –[484]

Schon große Ehr ward mir erkannt,

ward heut ich zum Spruchsprecher ernannt.

Und was mein Spruch euch künden soll,

glaubt, das ist hoher Ehren voll. –

Wenn ihr die Kunst so hoch schon ehrt,

da galt es zu beweisen,

daß, wer ihr selbst gar angehört,

sie schätzt ob allen Preisen.

Ein Meister, reich und hochgemut,

der will heut euch das zeigen:

sein Töchterlein, sein höchstes Gut,

mit allem Hab und Eigen,

dem Singer, der im Kunstgesang

vor allem Volk den Preis errang,

als höchsten Preises Kron

er bietet das zum Lohn. –

Darum, so hört, und stimmt mir bei:

die Werbung steh dem Dichter frei. –

Ihr Meister, die ihr's euch getraut,

euch ruf ich's vor dem Volke laut: –

erwägt der Werbung seltnen Preis,

und wem sie soll gelingen,

daß der sich rein und edel weiß

im Werben wie im Singen,

will er das Reis erringen,

das nie, bei Neuen noch bei Alten,

ward je so herrlich hoch gehalten,

als von der lieblich Reinen,

die niemals soll beweinen,

daß Nürenberg mit höchstem Wert

die Kunst und ihre Meister ehrt!


Große Bewegung unter Allen. – Sachs geht auf Pogner zu, der ihm gerührt die Hand drückt.


POGNER.

O Sachs, mein Freund! Wie dankenswert!

Wie wißt Ihr, was mein Herz beschwert! –

SACHS zu Pogner.

's war viel gewagt; – jetzt habt nur Mut! –


Er wendet sich zu Beckmesser, der schon während des Einzuges und dann fortwährend eifrig das Blatt mit dem Gedicht herausgezogen, memoriert, genau zu lesen versucht und oft verzweiflungsvoll sich den Schweiß getrocknet hat.


Herr Merker! Sagt, wie steht's? Gut?

BECKMESSER.

O! Dieses Lied! ... Werd nicht draus klug,

und hab doch dran studiert genug.[485]

SACHS.

Mein Freund, 's ist Euch nicht aufgezwungen.

BECKMESSER.

Was hilft's? Mit dem meinen ist doch versungen:

's war Eure Schuld! Jetzt seid hübsch für mich:

's wär schändlich, ließt Ihr mich im Stich!

SACHS.

Ich dächt, Ihr gäbt's auf.

BECKMESSER.

Warum nicht gar?

Die Andren sing ich alle zu Paar';

wenn Ihr nur nicht singt.

SACHS.

So seht, wie's geht!

BECKMESSER.

Das Lied, bin's sicher, zwar Niemand versteht;

doch bau ich auf Eure Popularität.

SACHS.

Nun denn, wenn's Meistern und Volk beliebt,

zum Wettgesang man den Anfang gibt.

KOTHNER hervortretend.

Ihr ledig' Meister! Macht euch bereit!

Der Ältest' sich zuerst anläßt!

Herr Beckmesser, Ihr fangt an: 's ist Zeit!


Die Lehrbuben führen Beckmesser zu einem kleinen Rasenhügel vor der Singerbühne, welchen sie zuvor festgerammelt und reich mit Blumen überdeckt haben.


BECKMESSER strauchelt darauf, tritt unsicher und schwankt.

Zum Teufel! Wie wackelig! Macht das hübsch fest!


Die Buben lachen unter sich und stopfen lustig an dem Rasen.


DAS VOLK stößt sich gegenseitig an.

Wie? Der? Der wirbt?

Scheint mir nicht der Rechte!

An der Tochter Stell ich den nicht möchte!

Ach, der kann ja nicht mal stehn!

Wie soll es mit dem gehn?

Seid still! 's ist gar ein tücht'ger Meister!

Stadtschreiber ist er, Beckmesser heißt er. –

Gott, ist der dumm!

Still! Macht keinen Witz!

Er fällt fast um! –

Der hat im Rate Stimm und Sitz.


Viele lachen.


DIE LEHRBUBEN in Aufstellung.

Silentium! Silentium!

Macht kein Reden und kein Gesumm!

KOTHNER.

Fanget an!

BECKMESSER der sich endlich mit Mühe auf dem Rasenhügel festgestellt hat, macht eine erste Verbeugung gegen die Meister, eine zweite gegen das Volk, dann gegen Eva, auf welche er, da sie sich abwendet, nochmals verlegen hinblinzelt;[486] große Beklommenheit erfaßt ihn; er sucht sich durch ein Vorspiel auf der Laute zu ermutigen.

»Morgen ich leuchte in rosigem Schein

von Blut und Duft

geht schnell die Luft;

wohl bald gewonnen,

wie zerronnen;

im Garten lud ich ein

garstig und fein.«


Er richtet sich wieder ein, besser auf den Füßen zu stehen.


DIE MEISTER leise unter sich.

Mein! Was ist das? Ist er von Sinnen?

Woher mocht er solche Gedanken gewinnen?

VOLK leise unter sich.

Sonderbar! Hört ihr's? Wen lud er ein?

Verstand man recht?

Wie kann das sein?

BECKMESSER zieht das Blatt verstohlen hervor und lugt eifrig hinein; dann steckt er es ängstlich wieder ein.

»Wohn ich erträglich im selbigen Raum,

hol Geld und Frucht, –

Bleisaft und Wucht.


Er lugt in das Blatt.


Mich holt am Pranger

der Verlanger

auf luft'ger Steige kaum,

häng ich am Baum.«


Er wackelt wieder sehr: sucht im Blatt zu lesen, vermag es nicht; ihm schwindelt. Angstschweiß bricht aus.


DAS VOLK.

Schöner Werber! Der find't wohl seinen Lohn.

Bald hängt er am Galgen! Man sieht ihn schon!

DIE MEISTER.

Was soll das heißen? Ist er nur toll?

Sein Lied ist ganz von Unsinn voll!

BECKMESSER rafft sich verzweiflungsvoll und ingrimmig auf.

»Heimlich mir graut,

weil es hier munter will hergehn:

an meiner Leiter stand ein Weib; –

sie schämt und wollt mich nicht besehn; –

bleich wie ein Kraut

umfasert mir Hanf meinen Leib;

mit Augen zwinkend –

der Hund blies winkend,

was ich vor langem verzehrt,[487]

wie Frucht so Holz und Pferd

vom Leberbaum.«


Alles bricht in ein dröhnendes Gelächter aus.


BECKMESSER verläßt wütend den Hügel und stürzt auf Sachs zu.

Verdammter Schuster, das dank ich dir! –

Das Lied, es ist gar nicht von mir:

vom Sachs, der hier so hoch verehrt,

von eurem Sachs ward mir's beschert.

Mich hat der Schändliche bedrängt,

sein schlechtes Lied mir aufgehängt.


Er stürzt wütend fort und verliert sich unter dem Volke.


Von Sachs das Lied? Das nähm uns doch Wunder!

VOLK.

Mein! Was soll das sein? Jetzt wird's immer bunter!

KOTHNER.

Erklärt doch, Sachs!

NACHTIGALL.

Welch ein Skandal!

VOGELGESANG.

Von Euch das Lied?

ORTEL UND FOLTZ.

Welch eigner Fall!

SACHS hat ruhig das Blatt, welches ihm Beckmesser hingeworfen, aufgenommen.

Das Lied, fürwahr, ist nicht von mir:

Herr Beckmesser irrt, wie dort so hier.

Wie er dazu kam, mag selbst er sagen;

doch möcht ich nie mich zu rühmen wagen,

ein Lied, so schön, wie dies erdacht,

sei von mir, Hans Sachs, gemacht.

MEISTERSINGER.

Wie? Schön? Dieser Unsinnswust?

VOLK.

Hört! Sachs macht Spaß! Er sagt es nur zur Lust.

SACHS.

Ich sag Euch Herrn, das Lied ist schön;

nur ist's auf den ersten Blick zu ersehn,

daß Freund Beckmesser es entstellt.

Doch schwör ich, daß es euch gefällt,

wenn richtig Wort und Weise

hier Einer säng im Kreise;

und wer dies verstünd, zugleich bewies,

daß er des Liedes Dichter,

und gar mit Rechte Meister hieß,

fänd er gerechte Richter. –

Ich bin verklagt, und muß bestehn:

drum laßt mich meinen Zeugen ausersehn. –

Ist Jemand hier, der Recht mir weiß?

Der tret als Zeug in diesen Kreis!


Walther tritt aus dem Volke hervor und begrüßt Sachs, sodann nach den beiden Seiten hin die Meister und das Volk mit ritterlicher Freundlichkeit. Es entsteht sogleich eine angenehme[488] Bewegung; Alles weilt einen Augenblick schweigend in seiner Betrachtung.


So zeuget, das Lied sei nicht von mir;

und zeuget auch, daß, was ich hier

vom Lied hab gesagt,

zuviel nicht sei gewagt.

DIE MEISTER.

Wie fein! Ei, Sachs, Ihr seid gar fein!

Doch mag es heut geschehen sein.

SACHS.

Der Regel Güte daraus man erwägt,

daß sie auch mal 'ne Ausnahm verträgt.

DAS VOLK.

Ein guter Zeuge, stolz und kühn!

Mich dünkt, dem kann was Gut's erblühn.

SACHS.

Meister und Volk sind gewillt

zu vernehmen, was mein Zeuge gilt.

Herr Walther von Stolzing, singt das Lied! –

Ihr Meister, lest, ob's ihm geriet.


Er übergibt Kothner das Blatt zum Nachlesen.


DIE LEHRBUBEN in Aufstellung.

Alles gespannt! 's gibt kein Gesumm:

da rufen wir auch nicht »Silentium!«

WALTHER beschreitet festen Schrittes den kleinen Blumenhügel.

»Morgenlich leuchtend im rosigen Schein,

von Blüt und Duft

geschwellt die Luft,

voll aller Wonnen,

nie ersonnen,

ein Garten lud mich ein, –


An dieser Stelle läßt Kothner das Blatt, in welchem er mit andren Meistern eifrig nachzulesen begonnen, vor Ergriffenheit unwillkürlich fallen; er und die übrigen hören nur noch teilnahmsvoll zu. Wie verzückt.


dort unter einem Wunderbaum,

von Früchten reich behangen,

zu schaun in sel'gem Liebestraum,

was höchstem Lustverlangen

Erfüllung kühn verhieß,

das schönste Weib:

Eva im Paradies.«

DAS VOLK leise flüsternd.

Das ist was Andres, wer hätt's gedacht;

was doch recht Wort und Vortrag macht!

DIE MEISTERSINGER leise flüsternd.[489]

Jawohl, ich merk, 's ist ein ander Ding,

ob falsch man oder richtig sing.

SACHS.

Zeuge am Ort,

fahret fort!

WALTHER.

»Abendlich dämmernd umschloß mich die Nacht;

auf steilem Pfad

war ich genaht

zu einer Quelle

reiner Welle,

die lockend mir gelacht:

dort unter einem Lorbeerbaum,

von Sternen hell durchschienen,

ich schaut im wachen Dichtertraum,

von heilig holden Mienen,

mich netzend mit dem edlen Naß,

das hehrste Weib,

die Muse des Parnaß!«

DAS VOLK immer leiser, für sich.

So hold und traut, wie fern es schwebt,

doch ist es grad, als ob man selber Alles miterlebt!

DIE MEISTERSINGER.

's ist kühn und seltsam, das ist wahr:

doch wohlgereimt und singebar.

SACHS.

Zeuge, wohl erkiest!

Fahret fort, und schließt!

WALTHER sehr feurig.

»Huldreichster Tag,

dem ich aus Dichters Traum erwacht!

Das ich erträumt, das Paradies,

in himmlisch neu verklärter Pracht

hell vor mir lag,

dahin lachend nun der Quell den Pfad mir wies;

die, dort geboren,

mein Herz erkoren,

der Erde lieblichstes Bild,

als Muse mir geweiht,

so heilig ernst als mild,

ward kühn von mir gefreit,

am lichten Tag der Sonnen,

durch Sanges Sieg gewonnen

Parnaß und Paradies!«

VOLK.

Gewiegt wie in den schönsten Traum,

hör ich es wohl, doch faß es kaum.


Zu Eva.


Reich ihm das Reis;[490]

sein sei der Preis!

Keiner wie er so hold zu werben weiß!

DIE MEISTER sich erhebend.

Ja, holder Sänger, nimm das Reis;

dein Sang erwarb dir Meisterpreis!

POGNER mit großer Rührung und Ergriffenheit zu Sachs sich wendend.

O Sachs! Dir dank ich Glück und Ehr:

vorüber nun all Herzbeschwer!


Walther ist auf die Stufen der Singerbühne geleitet worden und läßt sich dort vor Eva auf ein Knie nieder.


EVA zu Walther, indem sie ihn mit einem Kranz aus Lorbeer und Myrte bekränzt, sich hinabneigend.

Keiner wie du so hold zu werben weiß!

SACHS zum Volk gewandt, auf Walther und Eva deutend.

Den Zeugen, denk es, wählt ich gut:

tragt ihr Hans Sachs drum üblen Mut?

DAS VOLK bricht schnell und heftig in jubelnde Bewegung aus.

Hans Sachs! Nein! Das war schön erdacht!

Das habt Ihr einmal wieder gut gemacht!

DIE MEISTERSINGER feierlich sich zu Pogner wendend.

Auf, Meister Pogner! Euch zum Ruhm,

meldet dem Junker sein Meistertum!

POGNER mit einer goldenen Kette, dran drei große Denkmünzen, zu Walther.

Geschmückt mit König Davids Bild,

nehm ich Euch auf in der Meister Gild!

WALTHER mit schmerzlicher Heftigkeit abweisend.

Nicht Meister! – Nein!


Er blickt zärtlich auf Eva.


Will ohne Meister selig sein! –


Alles blickt mit großer Betroffenheit auf Sachs.


SACHS schreitet auf Walther zu und faßt ihn bedeutungsvoll bei der Hand.

Verachtet mir die Meister nicht,

und ehrt mir ihre Kunst!

Was ihnen hoch zum Lobe spricht,

fiel reichlich Euch zur Gunst.

Nicht Euren Ahnen, noch so wert,

nicht Eurem Wappen, Speer noch Schwert, –

daß Ihr ein Dichter seid,

ein Meister Euch gefreit,

dem dankt Ihr heut Eu'r höchstes Glück.

Drum, denkt mit Dank Ihr dran zurück,

wie kann die Kunst wohl unwert sein,

die solche Preise schließet ein? –[491]

Daß unsre Meister sie gepflegt

grad recht nach ihrer Art,

nach ihrem Sinne treu gehegt,

das hat sie echt bewahrt:

blieb sie nicht adlig, wie zur Zeit,

wo Höf und Fürsten sie geweiht,

im Drang der schlimmen Jahr

blieb sie doch deutsch und wahr;

und wär sie anders nicht geglückt,

als wie, wo Alles drängt und drückt,

Ihr seht, wie hoch sie blieb in Ehr: –

was wollt Ihr von den Meistern mehr?


Habt Acht! Uns dräuen üble Streich: –

zerfällt erst deutsches Volk und Reich,

in falscher welscher Majestät

kein Fürst bald mehr sein Volk versteht,

und welschen Dunst mit welschem Tand

sie pflanzen uns in deutsches Land;

was deutsch und echt, wüßt Keiner mehr,

lebt's nicht in deutscher Meister Ehr.

Drum sag ich Euch:

ehrt Eure deutschen Meister!

Dann bannt Ihr gute Geister;

und gebt Ihr ihrem Wirken Gunst,

zerging in Dunst

das heil'ge röm'sche Reich,

uns bliebe gleich

die heil'ge deutsche Kunst!


Während des folgenden Schlußgesanges nimmt Eva den Kranz von Walthers Stirn und drückt ihn Sachs auf; dieser nimmt die Kette aus Pogners Hand und hängt sie Walther um. Nachdem Sachs das Paar umarmt, bleiben Walther und Eva zu beiden Seiten an Sachsens Schultern gestützt; Pogner läßt sich, wie huldigend, auf ein Knie vor Sachs nieder. Die Meistersinger deuten mit erhobenen Händen auf Sachs, als auf ihr Haupt. Alle Anwesenden – schließlich auch Walther und Eva – schließen sich dem Gesange des Volkes an.


VOLK.

Ehrt eure deutschen Meister,

dann bannt ihr gute Geister;

und gebt ihr ihrem Wirken Gunst,[492]

zerging in Dunst

das heil'ge röm'sche Reich,

uns bliebe gleich

die heil'ge deutsche Kunst!


Als es hier zu der bezeichneten Schlußgruppe gelangt ist, schwenkt das Volk begeistert Hüte und Tücher; die Lehrbuben tanzen und schlagen jauchzend in die Hände.


Heil! Sachs!

Nürnbergs teurem Sachs!

Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 481-493.
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