Erste Szene

[280] In der Burg von Antwerpen.

Im Hintergrunde der Palas (Ritterwohnung), links im Vordergrunde die Kemenate (Frauenwohnung); rechts das Münster. Es ist Nacht.

Ortrud und Friedrich, beide in dunkler knechtischer Tracht, sitzen auf den Stufen des Münsters: Friedrich finster in sich gekehrt, Ortrud die Augen unverwandt auf die hell erleuchteten Fenster des Palas gerichtet. – Aus dem Palas hört man jubelnde Musik.


FRIEDRICH erhebt sich rasch.

Erhebe dich, Genossin meiner Schmach!

Der junge Tag darf hier uns nicht mehr sehn.

ORTRUD ohne ihre Stellung zu ändern.

Ich kann nicht fort, hieher bin ich gebannt;

aus diesem Glanz des Festes unsres Feindes

laß saugen mich ein furchtbar tödlich Gift,

das unsre Schmach und ihre Freuden ende!

FRIEDRICH finster vor Ortrud hintretend.

Du fürchterliches Weib, was bannt mich noch in deine Nähe?


Mit schnell wachsender Heftigkeit.


Warum laß ich dich nicht

allein, – und fliehe fort, dahin, dahin,


Schmerzlich.


wo mein Gewissen Ruhe wieder fänd!


Im heftigsten Ausbruch schmerzlicher Leidenschaft und Wut.
[280]

Durch dich mußt ich verlieren

mein Ehr', all meinen Ruhm;

nie soll mich Lob mehr zieren,

Schmach ist mein Heldentum!

Die Acht ist mir gesprochen,

zertrümmert liegt mein Schwert;

mein Wappen ward zerbrochen,

verflucht mein Vaterherd! –

Wohin ich nun mich wende,

gebannt, gefemt bin ich;

daß ihn mein Blick nicht schände,

flieht selbst der Räuber mich.

O, hätt ich Tod erkoren,


Fast weinend.


da ich so elend bin!


In höchster Verzweiflung.


Mein Ehr' hab ich verloren,

mein Ehr', mein Ehr' ist hin!


Er stürzt, von wütendem Schmerz überwältigt, zu Boden. – Musik aus dem Palas.


ORTRUD immer in ihrer ersten Stellung, während Friedrich sich erhebt.

Was macht dich in so wilder Klage doch vergehn?

FRIEDRICH.

Daß mir die Waffe selbst geraubt,


Mit einer heftigen Bewegung.


mit der ich dich erschlüg! ...

ORTRUD mit ruhigem Hohn.

Friedreicher Graf

von Telramund, weshalb mißtraust du mir?

FRIEDRICH.

Du fragst? War's nicht dein Zeugnis, deine Kunde,

die mich bestrickt, die Reine zu verklagen?

Die du im düstren Wald zu Haus, logst du

mir nicht, von deinem wilden Schlosse aus

die Untat habest du verüben sehn? –

Mit eignem Aug', wie Elsa selbst den Bruder

im Weiher dort ertränkt? Umstricktest du

mein stolzes Herz durch die Weissagung nicht,

bald würde Radbods alter Fürstenstamm

von neuem grünen und herrschen in Brabant?

Bewogst du so mich nicht, von Elsas Hand,

der reinen, abzustehn, und dich zum Weib

zu nehmen, weil du Radbods letzter Sproß?

ORTRUD leise, doch grimmig.

Ha, wie tödlich du mich kränkst!


Laut.


Dies alles, ja, ich sagt und zeugt es dir![281]

FRIEDRICH sehr lebhaft.

Und machtest mich, des Name hochgeehrt,

des Leben aller höchsten Tugend Preis,

zu deiner Lüge schändlichem Genossen?

ORTRUD trotzig.

Wer log?

FRIEDRICH.

Du! Hat nicht durch sein Gericht

Gott mich dafür geschlagen?

ORTRUD mit fürchterlichem Hohne.

Gott?

FRIEDRICH.

Entsetzlich!

Wie tönt aus deinem Munde furchtbar der Name!

ORTRUD.

Ha, nennst du deine Feigheit Gott?

FRIEDRICH.

Ortrud!

ORTRUD.

Willst du mir drohn? Mir, einem Weibe, drohn?

O Feiger, – hättest du so grimmig ihm

gedroht, der jetzt dich in das Elend schickt, –

wohl hättest Sieg für Schande du erkauft!

Ha, wer ihm zu entgegnen wüßt, der fänd

ihn schwächer als ein Kind!

FRIEDRICH.

Je schwächer er,

desto gewalt'ger kämpfte Gottes Kraft!

ORTRUD.

Gottes Kraft? Haha!

Gib mir die Macht, – und sicher zeig ich dir,

welch schwacher Gott es ist, der ihn beschützt.

FRIEDRICH von Schauer ergriffen, mit leiser, bebender Stimme.

Du wilde Seherin, wie willst du doch

geheimnisvoll den Geist mir neu berücken!

ORTRUD auf den Palas deutend, in dem das Licht verlöscht ist.

Die Schwelger streckten sich zur üpp'gen Ruh; –

setz dich zur Seite mir! Die Stund ist da,

wo dir mein Seherauge leuchten soll.


Friedrich nähert sich Ortrud immer mehr und neigt sein Ohr aufmerksam zu ihr herab.


Weißt du, wer dieser Held, den hier

ein Schwan gezogen an das Land?

FRIEDRICH.

Nein!

ORTRUD.

Was gäbst du doch, es zu erfahren,

wenn ich dir sag, ist er gezwungen

zu nennen wie sein Nam' und Art,

all seine Macht zu Ende ist,

die mühvoll ihm ein Zauber leiht.

FRIEDRICH.

Ha! Dann begriff ich sein Verbot.

ORTRUD.

Nun hör! Niemand hier hat Gewalt

ihm das Geheimnis zu entreißen,[282]

als die, der er so streng verbot,

die Frage je an ihn zu tun.

FRIEDRICH.

So gält' es Elsa zu verleiten,

daß sie die Frag ihm nicht erließ?

ORTRUD.

Ha, wie begreifst du schnell und wohl!

FRIEDRICH.

Doch wie soll das gelingen?

ORTRUD.

Hör! –

Vor Allem gilt's, von hinnen nicht

zu fliehn; drum schärfe deinen Witz!

Gerechten Argwohn ihr zu wecken,

tritt vor, klag ihn des Zaubers an,

mit dem er das Gericht getäuscht!

FRIEDRICH mit fürchterlich wachsender innerer Wut.

Ha! Trug und Zaubers List! –

ORTRUD.

Mißglückt's,

so bleibt ein Mittel der Gewalt!

FRIEDRICH.

Gewalt?

ORTRUD.

Umsonst nicht bin ich in

geheimsten Künsten tief erfahren;

drum achte wohl, was ich dir sage!

Jed' Wesen, das durch Zauber stark, –

wird ihm des Leibes kleinstes Glied

entrissen nur, muß sich alsbald

ohnmächtig zeigen, wie es ist!

FRIEDRICH sehr rasch.

Ha, sprächst du wahr!

ORTRUD lebhaft.

O hättest du

im Kampf nur einen Finger ihm,

ja, eines Fingers Glied entschlagen,

der Held – er war in deiner Macht!

FRIEDRICH.

Entsetzlich! Ha, was lässest du mich hören!

Durch Gott geschlagen wähnt' ich mich: –


Mit furchtbarer Bitterkeit.


Nun ließ durch Trug sich das Gericht betören, –

durch Zaubers List verlor mein' Ehre ich!

Doch meine Schande könnt ich rächen,

bezeugen könnt ich meine Treu'?

Des Buhlen Trug, ich könnt ihn brechen,

und meine Ehr' gewänn ich neu!

O Weib, das in der Nacht ich vor mir seh, –

betrügst du jetzt mich noch, dann weh dir! Weh!

ORTRUD.

Ha, wie du rasest! Ruhig und besonnen!

So lehr ich dich der Rache süße Wonnen!


Friedrich setzt sich langsam an Ortruds Seite nieder.
[283]

ORTRUD UND FRIEDRICH.

Der Rache Werk sei nun beschworen

aus meines Busens wilder Nacht!

Die ihr in süßem Schlaf verloren

wißt, daß für euch das Unheil wacht!


Die Tür zum Söller in der Kemenate öffnet sich.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 280-284.
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