Zweite Szene

[284] Elsa, in weißem Gewande, erscheint auf dem Söller, sie tritt an die Brüstung und lehnt den Kopf auf die Hand; Friedrich und Ortrud ihr gegenüber auf den Stufen des Münsters sitzend.


ELSA.

Euch Lüften, die mein Klagen

so traurig oft erfüllt, –

euch muß ich dankend sagen,

wie sich mein Glück enthüllt.

ORTRUD.

Sie ist es!

FRIEDRICH.

Elsa!

ELSA.

Durch euch kam er gezogen,

ihr lächeltet der Fahrt, –

auf wilden Meereswogen

habt ihr ihn treu bewahrt.

ORTRUD.

Der Stunde soll sie fluchen,

in der sie jetzt mein Blick gewahrt!

ELSA.

Zu trocknen meine Zähren

hab ich euch oft gemüht;

wollt Kühlung nun gewähren

der Wang', in Lieb' erglüht!

ORTRUD.

Hinweg!

Entfern ein Kleines dich von hier!

FRIEDRICH.

Warum?

ORTRUD.

Sie ist für mich – ihr Held gehöre dir!


Friedrich entfernt sich und verschwindet im Hintergrunde.


ELSA.

Wollt Kühlung nun gewähren

der Wang' in Lieb' erglüht! In Liebe!

ORTRUD laut, mit klagendem Ausdruck.

Elsa!

ELSA.

Wer ruft? – Wie schauerlich und klagend

ertönt mein Name durch die Nacht?

ORTRUD.

Elsa!

Ist meine Stimme dir so fremd?[284]

Willst du die Ärmste ganz verleugnen,

die du ins fernste Elend schickst?

ELSA.

Ortrud – bist du's? Was machst du hier,

unglücklich Weib?

ORTRUD.

»Unglücklich Weib!« –

wohl hast du recht, so mich zu nennen!

In ferner Einsamkeit des Waldes,

wo still und friedsam ich gelebt, –

was tat ich dir, was tat ich dir?

Freudlos, das Unglück nur beweinend,

das lang belastet meinen Stamm, –

was tat ich dir, was tat ich dir?

ELSA.

Um Gott, was klagest du mich an?

War ich es, die dir Leid gebracht?

ORTRUD.

Wie könntest du fürwahr mir neiden

das Glück, daß mich zum Weib erwählt

der Mann, den du so gern verschmäht?

ELSA.

Allgüt'ger Gott! Was soll mir das?

ORTRUD.

Mußt ihn unsel'ger Wahn betören,

dich Reine einer Schuld zu zeihn, –

von Reu' ist nun sein Herz zerrissen,

zu grimmer Buß ist er verdammt.

ELSA.

Gerechter Gott!

ORTRUD.

O, du bist glücklich! –

Nach kurzem, unschuldsüßem Leiden

siehst lächeln du das Leben nur;

von mir darfst selig du dich scheiden,

mich schickst du auf des Todes Spur, –

daß meines Jammers trüber Schein

nie kehr' in deine Feste ein!

ELSA sehr bewegt.

Wie schlecht ich deine Güte priese,

Allmächt'ger, der mich so beglückt,

wenn ich das Unglück von mir stieße,

das sich im Staube vor mir bückt!

O nimmer! Ortrud! Harre mein!

Ich selber laß dich zu mir ein!


Sie eilt in die Kemenate zurück. – Ortrud springt in wilder Begeisterung von den Stufen auf.


ORTRUD.

Entweihte Götter! Helft jetzt meiner Rache!

Bestraft die Schmach, die hier euch angetan!

Stärkt mich im Dienste eurer heil'gen Sache!

Vernichtet der Abtrünn'gen schnöden Wahn!

Wodan! Dich Starken rufe ich![285]

Freia! Erhabne, höre mich!

Segnet mir Trug und Heuchelei,

daß glücklich meine Rache sei!

ELSA noch außerhalb.

Ortrud, wo bist du?


Elsa und zwei Mägde mit Lichten treten aus der unteren Tür auf.


ORTRUD sich demütig vor Elsa niederwerfend.

Hier – zu deinen Füßen.

ELSA bei Ortruds Anblick erschreckt zurücktretend.

Hilf Gott! So muß ich dich erblicken,

die ich in Stolz und Pracht nur sah! –

Es will das Herze mir ersticken,

seh ich so niedrig dich mir nah!

Steh auf! O, spare mir dein Bitten!

Trugst du mir Haß, – verzieh ich dir;

was du schon jetzt durch mich gelitten,

das, bitte ich, verzeih auch mir!

ORTRUD.

O habe Dank für so viel Güte!

ELSA.

Der morgen nun mein Gatte heißt,

anfleh' ich sein liebreich Gemüte,

daß Friedrich auch er Gnad erweist.

ORTRUD.

Du fesselst mich in Dankes Banden!

ELSA mit immer gesteigerter heiterer Erregtheit.

In Frühn laß mich bereit dich sehn, –

geschmückt mit prächtigen Gewanden,

sollst du mit mir zum Münster gehn: –

dort harre ich des Helden mein,


Freudig stolz.


Vor Gott sein Ehgemahl zu sein!


Selig entzückt.


Sein Ehgemahl!

ORTRUD.

Wie kann ich solche Huld dir lohnen,

da machtlos ich und elend bin?

Soll ich in Gnaden bei dir wohnen,

stets bleibe ich die Bettlerin!


Immer näher zu Elsa tretend.


Nur eine Macht ist mir geblieben,

sie raubte mir kein Machtgebot; –

durch sie vielleicht schütz ich dein Leben,

bewahr es vor der Reue Not.

ELSA unbefangen und freundlich.

Wie meinst du?

ORTRUD heftig.

Wohl daß ich dich warne,


Sich mäßigend.
[286]

zu blind nicht deinem Glück zu traun;

daß nicht ein Unheil dich umgarne,

laß mich für dich zur Zukunft schaun.

ELSA mit heimlichem Grauen.

Welch Unheil?

ORTRUD sehr geheimnisvoll.

Könntest du erfassen,

wie dessen Art so wundersam,

der nie dich möge so verlassen,

wie er durch Zauber zu dir kam!

ELSA von Grausen erfaßt, wendet sich unwillig ab; voll Trauer und Mitleid wendet sie sich dann wieder zu Ortrud.

Du Ärmste kannst wohl nie ermessen,

wie zweifellos mein Herze liebt?

Du hast wohl nie das Glück besessen,

das sich uns nur durch Glauben gibt? –


Freundlich.


Kehr bei mir ein! Laß mich dich lehren,

wie süß die Wonne reinster Treu'!

Laß zu dem Glauben dich bekehren:

es gibt ein Glück, das ohne Reu'.

ORTRUD für sich.

Ha! Dieser Stolz, – er soll mich lehren,

wie ich bekämpfe ihre Treu'!

Gen ihn will ich die Waffen kehren,

durch ihren Hochmut werd' ihr Reu'!


Ortrud, von Elsa geleitet, tritt mit heuchlerischem Zögern durch die kleine Pforte ein; die Mägde

leuchten voran und schließen, nachdem Alle eingetreten. – Erstes Tagesgrauen. – Friedrich tritt aus dem Hintergrunde vor.


FRIEDRICH.

So zieht das Unheil in dies Haus! –

Vollführe, Weib, was deine List ersonnen;

dein Werk zu hemmen fühl ich keine Macht.

Das Unheil hat mit meinem Fall begonnen, –

nun stürzet nach, die mich dahin gebracht!

Nur Eines seh ich mahnend vor mir stehn:

der Räuber meiner Ehre soll vergehn!


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 284-287.
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