Fünfte Szene

[292] Der König, Lohengrin und die sächsischen Grafen und Edlen sind in feierlichem Zuge aus dem Palas getreten; durch die Verwirrung im Vordergrunde wird der Zug unterbrochen. Der König und Lohengrin schreiten lebhaft vor.


DIE MÄNNER.

Heil! Heil dem König!

Heil dem Schützer von Brabant!

KÖNIG.

Was für ein Streit?

ELSA sehr aufgeregt an Lohengrins Brust stürzend.

Mein Herr! O mein Geliebter!

LOHENGRIN.

Was ist?

KÖNIG.

Wer wagt es hier den Kirchengang zu stören?

DES KÖNIGS GEFOLGE.

Welcher Streit, den wir vernahmen?

LOHENGRIN Ortrud erblickend.

Was seh ich! Das unsel'ge Weib bei dir?

ELSA.

Mein Retter! Schütze mich vor dieser Frau!

Schilt mich, wenn ich dir ungehorsam war!

In Jammer sah ich sie vor dieser Pforte,

aus ihrer Not nahm ich sie bei mir auf: –

nun sieh, wie furchtbar sie mir lohnt die Güte,

sie schilt mich, daß ich dir zu sehr vertrau![292]

LOHENGRIN den Blick fest und bannend auf Ortrud heftend, welche vor ihm sich nicht zu regen vermag.

Du fürchterliches Weib, steh ab von ihr!

Hier wird dir nimmer Sieg.


Er wendet sich freundlich zu Elsa.


Sag, Elsa, mir,

vermocht ihr Gift sie in dein Herz zu gießen?


Elsa birgt ihr Gesicht weinend an seiner Brust. Lohengrin, sie aufrichtend und nach dem Münster deutend.


Komm, laß in Freude dort die Tränen fließen!


Er wendet sich mit Elsa und dem König dem Zuge voran nach dem Münster; Alle lassen sich an, wohlgeordnet zu folgen. – Friedrich tritt auf der Treppe des Münsters hervor; die Frauen und Edelknaben weichen entsetzt aus seiner Nähe.


FRIEDRICH.

O König! Trugbetörte Fürsten! Haltet ein!

DER KÖNIG UND ALLE MÄNNER.

Was will der hier? Verfluchter!

Weich von dannen!

FRIEDRICH.

O hört mich an!

DIE MÄNNER.

Hinweg! Du bist des Todes, Mann!

FRIEDRICH.

Hört mich, dem grimmes Unrecht ihr getan!

DIE MÄNNER.

Hinweg! Weich von dannen!

FRIEDRICH.

Gottes Gericht, es ward entehrt, betrogen!

Durch eines Zaubrers List seid ihr belogen!

DIE MÄNNER.

Greift den Verruchten! Hört! Er lästert Gott!


Sie dringen von allen Seiten auf ihn ein.


FRIEDRICH mit der fürchterlichsten Anstrengung, um gehört zu werden, seinen Blick nur auf Lohengrin geheftet und der Andringenden nicht achtend.

Den dort im Glanz ich vor mir sehe,

den klage ich des Zaubers an!


Die Andringenden schrecken vor Friedrich zurück und hören endlich aufmerksam zu.


Wie Staub vor Gottes Hauch verwehe

die Macht, die er durch List gewann!

Wie schlecht ihr des Gerichtes wahrtet,

das doch die Ehre mir benahm, –

da eine Frag' ihr ihm erspartet,

als er zum Gotteskampfe kam!

Die Frage nun sollt ihr nicht wehren,

daß sie ihm jetzt von mir gestellt!


In gebieterischer Stellung.


Nach Namen, Stand und Ehren

frag ich ihn laut vor aller Welt!


[293] Bewegung großer Betroffenheit unter Allen.


Wer ist er, der an's Land geschwommen,

gezogen von einem wilden Schwan?

Wem solche Zaubertiere frommen,

des Reinheit achte ich für Wahn.

Nun soll der Klag' er Rede stehn;

vermag er's, so geschah mir Recht, –

wo nicht, so sollet ihr ersehn,

um seine Reine steh es schlecht!

DER KÖNIG, ALLE MÄNNER UND FRAUEN.


Alle blicken bestürzt und erwartungsvoll auf Lohengrin.


Welch harte Klagen! Was wird er ihm entgegnen?

LOHENGRIN.

Nicht dir, der so vergaß der Ehren,

hab Not ich Rede hier zu stehn;

des Bösen Zweifel darf ich wehren,

vor ihm wird Reine nie vergehn!

FRIEDRICH.

Darf ich ihm nicht als würdig gelten,

dich ruf ich, König hoch geehrt;

wird er auch dich unadlig schelten,

daß er die Frage dir verwehrt?

LOHENGRIN.

Ja, selbst dem König darf ich wehren,

und aller Fürsten höchstem Rat!

Nicht darf sie Zweifels Last beschweren,

sie sahen meine gute Tat!

Nur Eine ist's, der muß ich Antwort geben:

Elsa ...


Lohengrin hält betroffen an, als er, sich zu Elsa wendend, diese mit heftig wogender Brust in wildem innerem Kampfe vor sich hinstarren sieht.


Elsa, – wie seh ich sie erbeben!

In wildem Brüten muß ich sie gewahren!

Hat sie betört des Hasses Lügenmund?

O Himmel, schirm ihr Herz vor den Gefahren!

Nie werde Zweifel dieser Reinen kund!

FRIEDRICH UND ORTRUD.

In wildem Brüten darf ich sie gewahren,

der Zweifel keimt in ihres Herzens Grund.

Der mir zur Not in dieses Land gefahren,

er ist besiegt, wird ihm die Frage kund!

DER KÖNIG, DIE FRAUEN UND MÄNNER.

Welch ein Geheimnis muß der Held bewahren?

Bringt es ihm Not, so wahr' es treu sein Mund![294]

Wir schirmen ihn, den Edlen, vor Gefahren;

durch seine Tat ward uns sein Adel kund!

ELSA der Umgebung entrückt, vor sich hinblickend.

Was er verbirgt, wohl brächt es ihm Gefahren,

vor aller Welt spräch es hier aus sein Mund;

die er errettet, weh mir Undankbaren!

Verriet ich ihn, daß hier es werde kund!

Wüßt ich sein Los, ich wollt es treu bewahren!

Im Zweifel doch erbebt des Herzens Grund!

KÖNIG.

Mein Held, entgegne kühn dem Ungetreuen!

Du bist zu hehr, um, was er klagt, zu scheuen!

DIE MÄNNER sich an Lohengrin drängend.

Wir stehn zu dir, es soll uns nicht gereuen,

daß wir der Helden Preis in dir erkannt!

Reich uns die Hand! Wir glauben dir in Treuen,

daß hehr dein Nam', auch wenn er nicht genannt!

LOHENGRIN.

Euch Helden soll der Glaube nicht gereuen,

werd euch mein Nam' und Art auch nie genannt.


Die Männer schließen einen Ring um Lohengrin; er empfängt von jedem der Reihe nach den

Handschlag. – Friedrich drängt sich an Elsa, welche vor sich hin brütend, einsam im Vordergrunde zur Seite steht.


FRIEDRICH leise, mit leidenschaftlicher Unterbrechung.

Vertraue mir! Laß dir ein Mittel heißen,

das dir Gewißheit schafft!

ELSA erschrocken, doch leise.

Hinweg von mir!

FRIEDRICH.

Laß mich das kleinste Glied ihm nur entreißen,

des Fingers Spitze, und ich schwöre dir,

was er dir hehlt, sollst frei du vor dir sehn, –

dir treu, soll nie er dir von hinnen gehn!

ELSA.

Ha! Nimmermehr!

FRIEDRICH.

Ich bin dir nah zur Nacht, –

rufst du, ohn Schaden ist es schnell vollbracht!

LOHENGRIN schnell in den Vordergrund tretend.

Elsa, mit wem verkehrst du da?


Mit fürchterlicher Stimme zu Ortrud und Friedrich.


Zurück von ihr, Verfluchte!

Daß nie mein Auge je

euch wieder bei ihr seh!


Friedrich macht eine Gebärde der schmerzlichsten Wut. – Lohengrin wendet sich zu Elsa, welche bei seinem ersten Zuruf wie vernichtet ihm zu Füßen gesunken ist.


Elsa, erhebe dich! In deiner Hand,[295]

in deiner Treu' liegt alles Glückes Pfand!

Läßt nicht des Zweifels Macht dich ruhn?

Willst du die Frage an mich tun?

ELSA in heftigster innerer Aufregung und in schamvoller Verwirrung.

Mein Retter, der mir Heil gebracht!

Mein Held, in dem ich muß vergehn, –


Mit Bedeutung und Entschluß.


hoch über alles Zweifels Macht

soll meine Liebe stehn!


Sie sinkt an seine Brust. – Orgel und Glockengeläute.


LOHENGRIN.

Heil dir, Elsa! Nun laß vor Gott uns gehn!

DIE MÄNNER UND FRAUEN in begeisterter Rührung.

Seht, seht! Er ist von Gott gesandt! –


Lohengrin führt Elsa feierlich an den Edlen vorüber zum König. Wo Lohengrin mit Elsa vorbeikommt,

machen die Männer ehrerbietig Platz.


Heil euch! Heil Elsa von Brabant!


Von dem König geleitet, schreiten Lohengrin und Elsa dem Münster zu.


Gesegnet sollst du schreiten!

Gott möge dich geleiten!

Heil dir, Tugendreiche!

Heil! Heil Elsa von Brabant!


Der König hat mit dem Brautpaar die höchste Stufe zum Münster erreicht; Elsa wendet sich in großer Ergriffenheit zu Lohengrin, dieser empfängt sie in seinen Armen. Aus dieser Umarmung blickt sie mit scheuer Besorgnis rechts von der Treppe hinab und gewahrt Ortrud, welche den Arm gegen sie erhebt, als halte sie sich des Sieges gewiß; Elsa wendet erschreckt ihr Gesicht ab. – Sowie Elsa und Lohengrin, wieder vom König geführt, dem Eingang des Münsters weiter zuschreiten, fällt der Vorhang.
[296]

Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 292-297.
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Ausgewählte Ausgaben von
Lohengrin
Lohengrin: Einsam in trüben Tagen (Elsas Traum). WWV 75. Sopran und Klavier. (Edition Schott Einzelausgabe)
Lohengrin: Treulich geführt (Brautlied). WWV 75. hohe Singstimme und Klavier. (Edition Schott Einzelausgabe)

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