Dritte Szene

[303] Als der vordere Vorhang wieder aufgezogen wird, stellt die Bühne die Aue am Ufer der Schelde dar, wie im ersten Akt; glühende Morgenröte, allmählicher Anbruch des vollen Tages.


Ein Graf mit seinem Heergefolge zieht im Vordergrunde rechts auf, steigt vom Pferd und übergibt dies einem Knechte; zwei Edelknaben tragen ihm Schild und Speer. Er pflanzt sein Banner auf, sein Heergefolge sammelt sich um dasselbe. – Während ein zweiter Graf auf die Weise, wie der erste, einzieht, hört man bereits die Trompeten eines dritten sich nähern. – Ein dritter Graf zieht mit seinem Heergefolge ebenso ein. Die neuen Scharen sammeln sich um ihre Banner; die Grafen und Edlen begrüßen sich, prüfen und loben ihre Waffen usw. – Ein vierter Graf zieht mit seinem Heergefolge von rechts[303] her ein und stellt sich bis in die Mitte des Hintergrundes auf. – Als die Trompeten des Königs vernommen werden, eilt Alles, sich um die Banner zu ordnen. – Der König mit seinem sächsischen Heerbann zieht von links ein.


ALLE MÄNNER an die Schilde schlagend, als der König unter der Eiche angelangt ist.

Heil, König Heinrich!

König Heinrich Heil!

KÖNIG HEINRICH.

Habt Dank, ihr Lieben von Brabant!

Wie fühl' ich froh mein Herz entbrannt,

find ich in jedem deutschen Land

so kräftig reichen Heerverband!

Nun soll des Reiches Feind sich nahn,

wir wollen tapfer ihn empfahn:

aus seinem öden Ost daher

soll er sich nimmer wagen mehr!

Für deutsches Land das deutsche Schwert!

So sei des Reiches Kraft bewährt!

ALLE MÄNNER.

Für deutsches Land das deutsche Schwert!

So sei des Reiches Kraft bewährt!

KÖNIG.

Wo weilt nun der, den Gott gesandt

zum Ruhm, zur Größe von Brabant?


Ein scheues Gedränge ist entstanden: die vier Edlen bringen auf einer Bahre Friedrichs verhüllte Leiche und setzen sie in der Mitte des Kreises nieder.


DIE MÄNNER.

Was bringen die? Was tun sie kund?

Die Mannen sind's des Telramund.

KÖNIG.

Was führt ihr her? Was soll ich schau'n?

Mich faßt bei eurem Anblick Grau'n!

DIE VIER EDLEN.

So will's der Schützer von Brabant;

wer dieser ist, macht er bekannt.


Elsa, mit einem großen Gefolge von Frauen, tritt auf und schreitet langsam, wankenden Schrittes vor.


DIE MÄNNER.

Seht, Elsa naht, die Tugendreiche!


Der König geht Elsa entgegen und geleitet sie zu einem Sitze der Eiche gegenüber.


Wie ist ihr Antlitz trüb und bleiche!

KÖNIG.

Wie muß ich dich so traurig sehn!

Will dir so nah die Trennung gehn?


Elsa versucht vor ihm aufzublicken, vermag es aber nicht. – Großes Gedränge im Hintergrunde.


EIN TEIL DER MÄNNER im Hintergrunde.

Macht Platz dem Helden von Brabant![304]

ALLE MÄNNER.

Heil! Heil dem Helden von Brabant!


Der König hat seinen Platz unter der Eiche wieder eingenommen. – Lohengrin, ganz so gewaffnet wie im ersten Akte, tritt auf und schreitet feierlich und

ernst in den Vordergrund.


KÖNIG.

Heil deinem Kommen, teurer Held!

Die du so treulich riefst ins Feld,

die harren dein in Streites Lust,

von dir geführt des Siegs bewußt.

DIE BRABANTER.

Wir harren dein in Streites Lust,

von dir geführt des Siegs bewußt!

LOHENGRIN.

Mein Herr und König, laß dir melden:

die ich berief, die kühnen Helden,

zum Streit sie führen darf ich nicht!


Alle drücken höchste Betroffenheit aus.


DER KÖNIG, ALLE MÄNNER UND FRAUEN.

Hilf Gott! Welch hartes Wort er spricht!

LOHENGRIN.

Als Streitgenoß bin nicht ich euch gekommen; –

als Kläger sei ich jetzt von euch vernommen!


Er enthüllt Friedrichs Leiche, vor deren Anblick sich Alle mit Abscheu abwenden. Lohengrin feierlich vor der Leiche.


Zum ersten klage laut ich vor euch Allen,

und frag um Spruch nach Recht und Fug:

da dieser Mann zur Nacht mich überfallen,

sagt, ob ich ihn mit Recht erschlug?

DER KÖNIG UND ALLE MÄNNER die Hand feierlich nach der Leiche ausstreckend.

Wie deine Hand ihn schlug auf Erden,

soll dort ihm Gottes Strafe werden!

LOHENGRIN.

Zum andren aber sollt ihr Klage hören,

denn aller Welt nun klag ich laut:

daß zum Verrat an mir sich ließ betören

das Weib, das Gott mir angetraut!

DER KÖNIG UND ALLE MÄNNER heftig erschrocken und betrübt.

Elsa! Wie mochte das geschehn?

Wie konntest so du dich vergehn?

DIE FRAUEN mit klagenden Gebärden auf Elsa blickend.

Wehe dir, Elsa!

LOHENGRIN immer streng.

Ihr hörtet Alle, wie sie mir versprochen,

daß nie sie woll' erfragen, wer ich bin?

Nun hat sie ihren teuren Schwur gebrochen,

treulosem Rat gab sie ihr Herz dahin!


Alle drücken die heftigste Erschütterung aus.


Zu lohnen ihres Zweifels wildem Fragen,[305]

sei nun die Antwort länger nicht gespart;

des Feindes Drängen dürft ich sie versagen, –

nun muß ich künden, wie mein Nam' und Art.


Mit immer steigender Verklärung seiner Mienen.


Nun merket wohl, ob ich den Tag muß scheuen!

Vor aller Welt, vor König und vor Reich

enthülle mein Geheimnis ich in Treuen.


Sich hoch aufrichtend.


Nun hört, ob ich an Adel euch nicht gleich.

DER KÖNIG, ALLE MÄNNER UND FRAUEN.

Welch Unerhörtes muß ich nun erfahren?

O, könnt' er die erzwung'ne Kunde sich ersparen!

LOHENGRIN.

In fernem Land, unnahbar euren Schritten,

liegt eine Burg, die Monsalvat genannt;

ein lichter Tempel stehet dort inmitten,

so kostbar als auf Erden nichts bekannt;

drin ein Gefäß von wundertät'gem Segen

wird dort als höchstes Heiligtum bewacht:

es ward, daß sein der Menschen Reinste pflegen,

herab von einer Engelschar gebracht;

alljährlich naht vom Himmel eine Taube,

um neu zu stärken seine Wunderkraft:

es heißt der Gral, und selig reinster Glaube

erteilt durch ihn sich seiner Ritterschaft.

Wer nun dem Gral zu dienen ist erkoren,

den rüstet er mit überirdischer Macht, –

an dem ist jedes Bösen Trug verloren,

wenn ihn er ersieht, weicht dem des Todes Nacht;

selbst wer von ihm in ferne Land' entsendet,

zum Streiter für der Tugend Recht ernannt,

dem wird nicht seine heil'ge Kraft entwendet,

bleibt als sein Ritter dort er unerkannt;

so hehrer Art doch ist des Grales Segen,

enthüllt muß er des Laien Auge fliehn: –

des Ritters drum sollt Zweifel ihr nicht hegen,

erkennt ihr ihn – dann muß er von euch ziehn. –

Nun hört, wie ich verbot'ner Frage lohne: –

vom Gral ward ich zu euch daher gesandt;

mein Vater Parzival trägt seine Krone, –

sein Ritter ich – bin Lohengrin genannt.

ALLE MÄNNER UND FRAUEN voll Staunen und in größter Rührung.[306]

Hör ich so seine höchste Art bewähren,

entbrennt mein Aug' in heil'gen Wonnezähren!

ELSA.

Mir schwankt der Boden! – Welche Nacht! –

O Luft – Luft der Unglücksel'gen!


Sie droht umzusinken – Lohengrin faßt sie in seine Arme.


LOHENGRIN.

O, Elsa! Was hast du mir angetan?

Als meine Augen dich zuerst ersahn,

zu dir fühlt ich in Liebe mich entbrannt,

und schnell hatt ich ein neues Glück erkannt:

die hehre Macht, die Wunder meiner Art,

die Kraft, die mein Geheimnis mir bewahrt,

wollt ich dem Dienst des reinsten Herzens weihn; –

was rissest du nun mein Geheimnis ein?

Jetzt muß ich – ach! von dir geschieden sein!

ELSA in höchster Verzweiflung aufschreckend.

Mein Gatte! Nein! ich laß dich nicht von hinnen!

Als Zeuge meiner Buße bleibe hier!

LOHENGRIN.

Ich muß, ich muß, mein süßes Weib!

ELSA.

Nicht darfst du meiner bittren Reu' entrinnen,

daß du mich strafest, liege ich vor dir!

DER KÖNIG, ALLE MÄNNER UND FRAUEN.

Weh! Wehe! Mußt du von uns ziehn?

Du hehrer, gottgesandter Mann!

Soll uns des Himmels Segen fliehn,

wo fänden dein wir Tröstung dann?

LOHENGRIN.

Ich muß, ich muß, mein süßes Weib!

Schon zürnt der Gral, daß ich ihm ferne bleib!

ELSA.

Bist du so göttlich, als ich dich erkannt,

sei Gottes Gnade nicht aus dir verbannt!

Büßt sie in Jammer ihre schwere Schuld,

nicht flieh' die Ärmste deiner Nähe Huld!

Verstoß mich nicht, wie groß auch mein Verbrechen!

Verlaß mich nicht! Verlaß die Arme nicht!

LOHENGRIN.

Nur eine Strafe gibt's für dein Vergehen, –

ach! mich wie dich trifft ihre herbe Pein!

Getrennt, geschieden sollen wir uns sehen:

dies muß die Strafe, dies die Sühne sein!


Elsa sinkt mit einem Schrei zurück.


DER KÖNIG UND ALLE MÄNNER ungestüm Lohengrin umdrängend.

O bleib, und zieh uns nicht von dannen!

Des Führers harren deine Mannen!

LOHENGRIN.

O König! hör! Ich darf dich nicht geleiten!

Des Grales Ritter, – habt ihr ihn erkannt, –[307]

wollt er in Ungehorsam mit euch streiten,

ihm wäre alle Manneskraft entwandt! –

Doch, großer König, laß mich dir weissagen:

Dir Reinem ist ein großer Sieg verliehn!

Nach Deutschland sollen noch in fernsten Tagen –

des Ostens Horden siegreich nimmer ziehn!


Während sämtliche Gruppen des Vordergrundes von dem Eindruck der Weissagung lebhaft erregt sind, gewahren die im Hintergrunde die Annäherung des

Schwanes.


EIN TEIL DER MÄNNER im Hintergrunde.

Der Schwan! Der Schwan!

DIE MÄNNER im Vordergrunde, nach hinten gewandt.

Der Schwan! Der Schwan!

Seht dort ihn wieder nahn!

DIE FRAUEN im nächsten Vordergrunde um Elsa.

Der Schwan! Der Schwan!

Weh, er naht!


Der Schwan kommt um die vordere Flußbiegung herum. Er zieht den leeren Nachen.


ELSA aus ihrer Betäubung erweckt, erhebt sich, auf den Sitz gestützt, und blickt nach dem Ufer.

Entsetzlich! Ha! Der Schwan!


Sie verbleibt lange Zeit wie erstarrt in ihrer Stellung.


LOHENGRIN erschüttert.

Schon sendet nach dem Säumigen der Gral!


Unter der gespanntesten Erwartung der Übrigen tritt Lohengrin dem Ufer näher und neigt sich zu dem Schwan, ihn wehmütig betrachtend.


Mein lieber Schwan!

Ach, diese letzte traurige Fahrt,

wie gern hätt ich sie dir erspart!

In einem Jahr, wenn deine Zeit

im Dienst zu Ende sollte gehn,

dann, durch des Grales Macht befreit,

wollt ich dich anders wiedersehn!


Er wendet sich im Ausbruch heftigen Schmerzes in den Vordergrund zu Elsa zurück.


O Elsa! Nur ein Jahr an deiner Seite

hätt ich als Zeuge deines Glücks ersehnt!

Dann kehrte, selig in des Grals Geleite,

dein Bruder wieder, den du tot gewähnt.


Alle drücken ihre lebhafte Überraschung aus. Lohengrin, während[308] er sein Horn, sein Schwert und seinen Ring Elsa überreicht.


Kommt er dann heim, wenn ich ihm fern im Leben, –

dies Horn, dies Schwert, den Ring sollst du ihm geben:

dies Horn soll in Gefahr ihm Hülfe schenken, –

in wildem Kampf dies Schwert ihm Sieg verleiht; –

doch bei dem Ringe soll er mein gedenken,

der einst auch dich aus Schmach und Not befreit!


Während er Elsa, die keines Ausdruckes mächtig ist, wiederholt küßt.


Leb wohl! Leb wohl! Leb wohl, mein süßes Weib!

Leb wohl! Mein zürnt der Gral, wenn ich noch bleib!

Leb wohl! Leb wohl!


Elsa hat sich krampfhaft an ihm festgehalten: endlich verläßt sie die Kraft, sie sinkt ihren Frauen in die Arme, denen sie Lohengrin übergibt. Er eilt schnell dem Ufer zu.


DER KÖNIG, ALLE MÄNNER UND FRAUEN.

Weh, Weh! Du edler, holder Mann!

Welch harte Not tust du uns an!

ORTRUD im Vordergrund auftretend.

Fahr heim! Fahr heim, du stolzer Helde,

daß jubelnd ich der Törin melde,

wer dich gezogen in dem Kahn;

am Kettlein, das ich um ihn wand,

ersah ich wohl, wer dieser Schwan:

es ist der Erbe von Brabant!

ALLE.

Ha!

ORTRUD zu Elsa.

Dank, daß den Ritter du vertrieben!

Nun gibt der Schwan ihm Heimgeleit!

Der Held, wär länger er geblieben,

den Bruder hätt er auch befreit!

ALLE in äußerster Entrüstung.

Abscheulich Weib! Ha, welch Verbrechen

hast du in frechem Hohn bekannt!

ORTRUD.

Erfahrt, wie sich die Götter rächen,

von deren Huld ihr euch gewandt!


Sie bleibt in wilder Verzückung hoch aufgerichtet stehen. –Lohengrin, bereits am Ufer angelangt, hat Ortrud genau vernommen und sinkt jetzt zu einem stummen Gebet feierlich auf die Knie. Aller Blicke richten sich mit gespanntester Erwartung auf ihn. – Die weiße Gralstaube schwebt über den Nachen herab. Lohengrin erblickt sie; mit einem dankenden Blicke springt er auf und löst dem Schwan die Kette, worauf[309] dieser sogleich untertaucht; an seiner Stelle hebt Lohengrin einen schönen Knaben in glänzendem Silbergewande – Gottfried – aus dem Flusse an das Ufer.


LOHENGRIN.

Seht da den Herzog von Brabant, –

zum Führer sei er euch ernannt.


Lohengrin springt schnell in den Kahn, den die Taube an der Kette gefaßt hat und sogleich fortzieht. – Ortrud sinkt bei Gottfrieds Anblick mit einem Schrei zusammen. – Elsa blickt mit letzter freudiger Verklärung auf Gottfried, welcher nach vorn schreitet und sich vor dem König verneigt; Alle

betrachten ihn mit seligem Erstaunen, die Brabanter senken sich huldigend vor ihm auf die Knie. – Gottfried eilt in Elsas Arme; diese, nach einer kurzen freudigen Entrückung, wendet hastig den Blick nach dem Ufer, wo sie Lohengrin nicht mehr erblickt.


ELSA.

Mein Gatte! Mein Gatte!


In der Ferne wird Lohengrin wieder sichtbar. Er steht mit gesenktem Haupte, traurig auf seinen Schild gelehnt, im Nachen; bei diesem Anblick bricht Alles in einen lauten Wehruf aus. – Elsa sinkt entseelt in Gottfrieds Armen zu Boden. – Während Lohengrin immer ferner gesehen wird, sinkt langsam der Vorhang.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 303-310.
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Ausgewählte Ausgaben von
Lohengrin
Lohengrin: Einsam in trüben Tagen (Elsas Traum). WWV 75. Sopran und Klavier. (Edition Schott Einzelausgabe)
Lohengrin: Treulich geführt (Brautlied). WWV 75. hohe Singstimme und Klavier. (Edition Schott Einzelausgabe)

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