Zweiter Aufzug

[839] Im inneren Verließe eines nach oben offenen Turmes; Steinstufen führen nach dem Zinnenrande der Turmmauer; Finsternis in der Tiefe, nach welcher es von dem Mauervorsprunge, den der Boden darstellt, hinabführt. Zauberwerkzeuge und nekromantische Vorrichtungen. – Klingsor auf dem Mauervorsprunge zur Seite, vor einem Metallspiegel sitzend.


KLINGSOR.

Die Zeit ist da. –

Schon lockt mein Zauberschloß den Toren,

den kindisch jauchzend fern ich nahen seh: –

Im Todesschlafe hält der Fluch sie fest,

der ich den Krampf zu lösen weiß.

Auf denn! Ans Werk!


Er steigt, der Mitte zu, etwas tiefer hinab, und entzündet dort Räucherwerk, welches alsbald den Hintergrund mit einem[839] bläulichen Dampfe erfüllt. – Dann setzt er sich wieder vor die Zauberwerkzeuge und ruft, mit geheimnisvollen Gebärden, nach dem Abgrunde.


Herauf! Herauf! Zu mir!

Dein Meister ruft dich Namenlose,

Urteufelin, Höllenrose!

Herodias warst du, und was noch?

Gundryggia dort, Kundry hier!

Hieher! Hieher denn, Kundry!

Dein Meister ruft: herauf!


In dem bläulichen Lichte steigt Kundry's Gestalt herauf. Sie scheint schlafend. – Dann macht sie die Bewegung einer Erwachenden und stößt einen gräßlichen Schrei aus.


KLINGSOR.

Erwachst du? Ha!

Meinem Banne wieder

verfielst du heut zur rechten Zeit.


Kundry läßt ein Klagegeheul, von größter Heftigkeit bis zu bangem Wimmern sich abstufend, vernehmen.


Sag, wo triebst du dich wieder umher?

Pfui! Dort, bei dem Rittergesipp,

wo wie ein Vieh du dich halter läßt!

Gefällt's dir bei mir nicht besser?

Als ihren Meister du mir gefangen –

haha! – den reinen Hüter des Grales,

was jagte dich da wieder fort?

KUNDRY rauh und abgebrochen, wie im Versuche, wieder Sprache zu gewinnen.

Ach –! Ach –!

Tiefe Nacht ...

Wahnsinn ... Oh! – Wut..

Ach! Jammer!

Schlaf ... Schlaf ...

tiefer Schlaf ... Tod ...!

KLINGSOR.

Da weckte dich ein Andrer? He?

KUNDRY wie zuvor.

Ja ... mein Fluch.

Oh ...! Sehnen ... Sehnen ...

KLINGSOR.

Haha! – dort nach den keuschen Rittern?

KUNDRY.

Da ... da ... dient ich.

KLINGSOR.

Ja ja, den Schaden zu vergüten,

den du ihnen böslich gebracht? –

Sie helfen dir nicht;

feil sind sie Alle,

biet ich den rechten Preis:

der festeste fällt,[840]

sinkt er dir in die Arme, –

und so verfällt er dem Speer,

den ihrem Meister selbst ich entwandt. –

Den gefährlichsten gilt's nun heut zu bestehn:

ihn schirmt der Torheit Schild.

KUNDRY.

Ich – will nicht. – Oh – Oh! –

KLINGSOR.

Wohl willst du, denn du mußt.

KUNDRY.

Du ... kannst mich nicht halten.

KLINGSOR.

Aber dich fassen.

KUNDRY.

Du? ...

KLINGSOR.

Dein Meister.

KUNDRY.

Aus welcher Macht?

KLINGSOR.

Ha! – weil einzig an mir

deine Macht nichts vermag.

KUNDRY grell lachend.

Haha! Bist du keusch?

KLINGSOR wütend.

Was frägst du das? Verfluchtes Weib!

Furchtbare Not!

So lacht nun der Teufel mein,

daß einst ich nach dem Heiligen rang?

Furchtbare Not! –

Ungebändigten Sehnens Pein,

schrecklichster Triebe Höllendrang,

den ich zum Todesschweigen mir zwang,

lacht und höhnt er nun laut

durch dich, des Teufels Braut?

Hüte dich!

Hohn und Verachtung büßte schon Einer –

der Stolze, stark in Heiligkeit,

der einst mich von sich stieß:

sein Stamm verfiel mir,

unerlöst

soll der Heiligen Hüter mir schmachten,

und bald – so wähn ich –

hüt ich mir selbst den Gral.

Haha!

Gefiel er dir wohl, Amfortas, der Held –

den ich zur Wonne dir gesellt?

KUNDRY.

Oh! Jammer! Jammer! –

Schwach auch Er – schwach – Alle, ...

meinem Fluche mit mir

Alle verfallen! –

Oh, ewiger Schlaf,[841]

einziges Heil,

wie – wie – dich gewinnen?

KLINGSOR.

Ha! Wer dir trotzte, löste dich frei;

versuch's mit dem Knaben, der naht! –

KUNDRY.

Ich will nicht!

KLINGSOR steigt hastig auf die Turmmauer.

Jetzt schon erklimmt er die Burg.

KUNDRY.

Oh! – Wehe! Wehe!

Erwachte ich darum?

Muß ich? Muß ...?

KLINGSOR hinabblickend.

Ha! Er ist schön, der Knabe!

KUNDRY.

Oh –! Oh –! Wehe mir! –

KLINGSOR stößt, nach außen gewandt, in ein Horn.

Ho! Ihr Wächter! Ho! Ritter!

Helden! Auf! Feinde nah!


Außen wachsendes Getöse und Waffengeräusch.


Ha! Wie zur Mauer sie stürmen,

die betörten Eigenholde,

zum Schutz ihres schönen Geteufels!

So! Mutig! Mutig!

Haha! Der fürchtet sich nicht:

dem Helden Ferris entwand er die Waffe, –

die führt er nun freislich wider den Schwarm.


Kundry gerät in unheimliches ekstatisches Lachen bis zu krampfhaftem Wehgeschrei.


Wie übel den Tölpeln der Eifer gedeiht!

Dem schlug er den Arm, – jenem den Schenkel!

Haha! Sie weichen.


Kundry verschwindet.


Sie fliehen.


Das bläuliche Licht ist erloschen, volle Finsternis in der Tiefe, wogegen glänzende Himmelsbläue über der Mauer.


Seine Wunde trägt jeder nach heim.

Wie das ich euch gönne!

Möge denn so

das ganze Rittergezücht

unter sich selber sich würgen!

Ha! Wie stolz er nun steht auf der Zinne!

Wie lachen ihm die Rosen der Wangen,

da kindisch erstaunt

in den einsamen Garten er blickt!


Er wendet sich nach der Tiefe des Hintergrundes um.


He! Kundry! ... Wie? Schon am Werk?[842]

Haha! Den Zauber wußt ich wohl,

der immer dich wieder zum Dienst mir gesellt!


Sich wieder nach außen wendend.


Du da, – kindischer Sproß, –

was auch

Weissagung dich wies,

zu jung und dumm

fielst du in meine Gewalt:

die Reinheit dir entrissen,

bleibst mir du zugewiesen!


Er versinkt schnell mit dem ganzen Turme; zugleich steigt der Zaubergarten auf und erfüllt die Bühne gänzlich. Tropische Vegetation, üppigste Blumenpracht; nach dem Hintergrunde zu Abgrenzung durch die Zinne der Burgmauer, an welche sich seitwärts Vorsprünge des Schloßbaues selbst (arabischen reichen Stiles) mit Terrassen anschließen. – Auf der Mauer steht Parsifal, staunend in den Garten hinabblickend. – Von allen Seiten her, zuerst aus dem Garten, dann aus dem Palaste, stürzen, wirr durch einander, einzeln, dann zugleich – immer mehre, schöne Mädchen herein; sie sind mit flüchtig übergeworfenen, zartfarbigen Schleiern verhüllt, wie soeben aus dem Schlafe aufgeschreckt.


MÄDCHEN vom Garten kommend.

Hier war das Tosen!

Waffen? Wilde Rufe!

MÄDCHEN vom Schlosse heraus.

Wo ist der Frevler?

Auf zur Rache!

EINZELNE.

Mein Geliebter verwundert.

ANDERE.

Wo find ich den meinen?

ANDERE.

Ich erwachte alleine –

wohin entflohn sie?

IMMER ANDERE.

Wo sind unsre Liebsten?

Wir sahn sie im Saale!

Oh! Weh! Ach Wehe!

Wer ist der Feind?


Sie gewahren Parsifal und zeigen auf ihn.


Da steht er! Seht ihn dort!

Meines Ferris Schwert

in seiner Hand!

Ich sah's! Der stürmte die Burg.

Ich hörte des Meisters Horn.

Mein Held lief herzu,

sie Alle kamen, doch Jeden

empfing seine Wehr.[843]

Der schlug mir den Liebsten!

Noch blutet die Waffe!

Du dort! Du dort!

Was schufst du uns solche Not?

Verwünscht, verwünscht sollst du sein!


Parsifal springt etwas tiefer in den Garten herab. Die Mädchen weichen jäh zurück.


DIE MÄDCHEN.

Ha! Kühner! Wagst du zu nahen?

Was schlugst du unsre Geliebten?

PARSIFAL voll Verwunderung anhaltend.

Ihr schönen Kinder, mußt ich sie nicht schlagen?

Zu euch, ihr Holden, ja wehrten sie mir den Weg.

MÄDCHEN.

Zu uns wolltest du?

Sahst du uns schon?

PARSIFAL.

Noch nie sah ich solch zieres Geschlecht:

nenn ich euch schön, dünkt euch das recht?

DIE MÄDCHEN.

So willst du uns wohl nicht schlagen?

PARSIFAL.

Das möcht ich nicht.

MÄDCHEN.

Doch Schaden

schufst du uns so vielen, –

du schlugest unsre Gespielen:

wer spielt nun mit uns?

PARSIFAL.

Das tu ich gern.


Die Mädchen, von Verwunderung in Heiterkeit übergegangen, brechen jetzt in ein lustiges Gelächter aus. – Während Parsifal immer näher zu den aufgeregten Gruppen tritt, entweichen unmerklich die Mädchen der ersten Gruppe und des ersten Chores hinter die Blumenhäge, um ihren Blumenschmuck zu vollenden.


MÄDCHEN.

Bist du uns hold, so bleib nicht fern von uns!

Und willst du uns nicht schelten,

wir werden dir's entgelten:

wir spielen nicht um Gold, –

wir spielen um Minnes Sold.

Willst auf Trost du uns sinnen,

sollst den du uns abgewinnen!


Die Mädchen der ersten Gruppe und des ersten Chores kommen mit dem Folgenden, ganz in Blumengewändern, selbst Blumen erscheinend, zurück und stürzen sich sofort auf Parsifal.


DIE GESCHMÜCKTEN MÄDCHEN.

Lasset den Knaben! Er gehöret mir!

Nein! Nein! Nein! Mir![844]

DIE ANDERN MÄDCHEN.

Hai Die Falschen! – Sie schmückten heimlich sich.


Während die Zurückgekommenen sich an Parsifal

herandrängen, verlassen die Mädchen der zweiten Gruppe und des zweiten Chores hastig die Szene, um sich ebenfalls zu schmükken. – Während des Folgenden drehen sich die Mädchen, wie in anmutigem Kinderspiele, um Parsifal, sanft ihm Wange und Kinn streichelnd.


DIE MÄDCHEN.

Komm! Komm!

Holder Knabe,

laß mich dir blühen!

Dir zur Wonn und Labe

gilt mein minniges Mühen.


Die zweite Gruppe und der zweite Chor kommen, ebenfalls geschmückt, zurück und gesellen sich zum Spiele.


PARSIFAL heiter ruhig in der Mitte der Mädchen.

Wie duftet ihr hold!

Seid ihr denn Blumen?

DIE MÄDCHEN immer einzeln, bald mehrere zugleich.

Des Gartens Zier,

und duftende Geister,

im Lenz pflückt uns der Meister.

Wir wachsen hier

in Sommer und Sonne,

für dich erblühend in Wonne.

Nun sei uns freund und hold,

nicht karge den Blumen den Sold!

Kannst du uns nicht lieben und minnen,

wir welken und sterben dahinnen.

ERSTES MÄDCHEN DER ZWEITEN GRUPPE.

An deinen Busen nimm mich!

ERSTES MÄDCHEN DER ERSTEN GRUPPE.

Die Stirn laß mich dir kühlen!

ZWEITES MÄDCHEN DER ERSTEN GRUPPE.

Laß mich die Wange dir fühlen!

ZWEITES MÄDCHEN DER ZWEITEN GRUPPE.

Den Mund laß mich dir küssen!

ERSTES MÄDCHEN DER ERSTEN GRUPPE.

Nein! Ich! Die Schönste bin ich.

ZWEITES MÄDCHEN DER ERSTEN GRUPPE.

Nein! Ich bin die Schönste!

ERSTES UND DRITTES MÄDCHEN DER ERSTEN UND ZWEITES MÄDCHEN DER ZWEITEN GRUPPE.

Ich bin schöner![845]

ERSTES MÄDCHEN DER ZWEITEN GRUPPE.

Nein! Ich dufte süßer.

BEIDE CHÖRE.

Nein! Ich! Ja, ich!

PARSIFAL ihrer anmutigen Zudringlichkeit sanft wehrend.

Ihr wild holdes Blumengedränge,

soll ich mit euch spielen, entlaßt mich der Enge!

ERSTES MÄDCHEN DER ZWEITEN GRUPPE.

Was zankest du?

PARSIFAL.

Weil ihr euch streitet.

ERSTES MÄDCHEN DER ERSTEN UND ZWEITES MÄDCHEN DER ZWEITEN GRUPPE.

Wir streiten nur um dich.

PARSIFAL.

Das meidet!

ZWEITES MÄDCHEN DER ERSTEN GRUPPE.

Du laß von ihm: sieh, er will mich.

DRITTES MÄDCHEN DER ERSTEN GRUPPE.

Mich lieber!

ZWEITES MÄDCHEN DER ZWEITEN GRUPPE.

Nein, lieber will er mich!

ERSTES MÄDCHEN DER ZWEITEN GRUPPE zu Parsifal.

Du wehrest mich von dir?

ERSTES MÄDCHEN DER ERSTEN GRUPPE.

Du scheuchest mich fort?

ERSTER CHOR.

Bist du feige vor Frauen?

ZWEITE GRUPPE UND ZWEITER CHOR.

Magst dich nicht getrauen?

ERSTES MÄDCHEN DER ERSTEN UND ZWEITEN GRUPPE.

Wie schlimm bist du, Zager und Kalter!

ERSTES MÄDCHEN DER ERSTEN GRUPPE.

Die Blumen läßt du umbuhlen den Falter?

ERSTER CHOR.

Auf, weichet dem Toren!

ERSTE GRUPPE.

Wir geben ihn verloren.

ZWEITER CHOR.

Doch sei er uns erkoren!

BEIDE GRUPPEN UND CHÖRE.

Nein, uns! Nein, mir gehört er an!

Auch mir! – Nein, uns gehört er an!

PARSIFAL halb ärgerlich die Mädchen abschreckend.

Laßt ab! Ihr fangt mich nicht!


Er will fliehen, als er aus dem Blumenhage Kundrys Stimme vernimmt und betroffen stillsteht.


KUNDRY.

Parsifal! – Weile!

PARSIFAL.

Parsifal? ...

So nannte träumend mich einst die Mutter.


Die Mädchen sind bei dem Vernehmen der Stimme Kundrys erschrocken und haben sich alsbald von Parsifal zurückgehalten.


KUNDRY allmählich sichtbar werdend.

Hier weile, Parsifal!

Dich grüßet Wonne und Heil zumal. –

Ihr kindischen Buhlen, weichet von ihm;

früh welkende Blumen,[846]

nicht euch ward er zum Spiele bestellt.

Geht heim, pfleget der Wunden;

einsam erharrt euch mancher Held. –


Die Mädchen entfernen sich jetzt zaghaft und widerstrebend von Parsifal und ziehen sich nach dem Schlosse zu zurück.


ALLE MÄDCHEN.

Dich zu lassen, dich zu meiden,

O wehe! O wehe der Pein!

Von Allen möchten gern wir scheiden,

mit dir allein zu sein!

Leb wohl! Leb wohl!

Du Holder! Du Stolzer!

Du – Tor!


Mit dem Letzten sind die Mädchen, unter Gelächter, im Schlosse verschwunden.


PARSIFAL.

Dies Alles – hab ich nun geträumt?


Parsifal sieht sich schüchtern nach der Seite hin um, von welcher die Stimme kam. Dort ist jetzt, durch

Enthüllung des Blumenhages, ein jugendliches Weib von höchster Schönheit – Kundry, in durchaus verwandelter Gestalt – auf einem Blumenlager, in leicht verhüllender, phantastischer Kleidung – annähernd arabischen Stiles – sichtbar geworden.


PARSIFAL noch ferne stehend.

Riefest du mich Namenlosen?

KUNDRY.

Dich nannt ich, tör'ger Reiner:

»Fal-parsi« –

Dich reinen Toren: »Parsifal«.

So rief, als in arab'schem Land er verschied,

dein Vater Gamuret dem Sohne zu,

den er, im Mutterschoß verschlossen,

mit diesem Namen sterbend grüßte;

ihn dir zu künden, harrt ich deiner hier:

was zog dich her, wenn nicht der Kunde Wunsch?

PARSIFAL.

Nie sah ich, nie träumte mir, was jetzt

ich schau, und was mit Bangen mich erfüllt.

Entblühtest du auch diesem Blumenhaine?

KUNDRY.

Nein, Parsifal, du tör'ger Reiner!

Fern – fern – ist meine Heimat.

Daß du mich fändest, verweilte ich nur hier;

von weither kam ich, wo ich viel ersah.

Ich sah das Kind an seiner Mutter Brust,

sein erstes Lallen lacht mir noch im Ohr;

das Leid im Herzen,

wie lachte da auch Herzeleide,

als ihren Schmerzen[847]

zujauchzte ihrer Augen Weide!

Gebettet sanft auf weichen Moosen,

den hold geschläfert sie mit Kosen,

dem, bang in Sorgen,

den Schlummer bewacht der Mutter Sehnen,

den weckt' am Morgen

der heiße Tau der Muttertränen.

Nur Weinen war sie, Schmerzgebahren

um deines Vaters Lieb und Tod:

vor gleicher Not dich zu bewahren,

galt ihr als höchster Pflicht Gebot.

Den Waffen fern, der Männer Kampf und Wüten,

wollte sie still dich bergen und behüten.

Nur Sorgen war sie, ach! und Bangen:

nie sollte Kunde zu dir her gelangen.

Hörst du nicht noch ihrer Klagen Ruf,

wann spät und fern du geweilt?

Hei! Was ihr das Lust und Lachen schuf,

wann sie suchend dann dich ereilt;

wann dann ihr Arm dich wütend umschlang,

ward dir es wohl gar beim Küssen bang?

Doch, ihr Wehe du nicht vernahmst,

nicht ihrer Schmerzen Toben,

als endlich du nicht wiederkamst,

und deine Spur verstoben.

Sie harrte Nächt und Tage, –

bis ihr verstummt die Klage,

der Gram ihr zehrte den Schmerz,

um stillen Tod sie warb:

ihr brach das Leid das Herz,

und – Herzeleide starb. –

PARSIFAL immer ernsthafter, endlich furchtbar betroffen, sinkt, schmerzlich überwältigt, bei Kundrys Füßen nieder.

Wehe! Wehe! Was tat ich? – Wo war ich? –

Mutter! Süße, holde Mutter!

Dein Sohn, dein Sohn mußte dich morden! –

O Tor! Blöder, taumelnder Tor!

Wo irrtest du hin, ihrer vergessend, –

deiner, deiner vergessend?

Traute, teuerste Mutter!

KUNDRY.

War dir fremd noch der Schmerz,

des Trostes Süße

labte nie auch dein Herz;[848]

das Wehe, das dich reut,

die Not nun büße

im Trost, den Liebe dir beut.

PARSIFAL im Trübsinn immer tiefer sich sinken lassend.

Die Mutter, – die Mutter – konnt ich vergessen!

Ha! – Was Alles vergaß ich wohl noch?

Wes war ich je noch eingedenk? –

Nur dumpfe Torheit lebt in mir!

KUNDRY immer noch in liegender Stellung, beugt sich über Parsifals Haupt, faßt sanft seine Stirne und schlingt traulich ihren Arm um seinen Nacken.

Bekenntnis

wird Schuld in Reue enden –

Erkenntnis

in Sinn die Torheit wenden.

Die Liebe lerne kennen,

die Gamuret umschloß,

als Herzeleids Entbrennen

ihn sengend überfloß! –

Die Leib und Leben

einst dir gegeben,

der Tod und Torheit weichen muß, –

sie beut

dir heut –

als Muttersegens letzten Gruß,

der Liebe ersten Kuß.


Sie hat ihr Haupt völlig über das seinige geneigt, und heftet nun ihre Lippen zu einem langen Kusse auf seinen Mund.


PARSIFAL fährt plötzlich mit einer Gebärde des höchsten Schrekkens auf: seine Haltung drückt eine furchtbare Veränderung aus; er stemmt seine Hände gewaltsam gegen das Herz, wie um einen zerreißenden Schmerz zu bewältigen.

Amfortas! ...

Die Wunde! – Die Wunde! –

Sie brennt in meinem Herzen! –

Oh –! Klage! Klage!

Furchtbare Klage!

Aus tiefstem Herzen schreit sie mir auf.

Oh –! Oh –!

Elender!

Jammervollster!

Die Wunde sah ich bluten, –

nun blutet sie in mir –![849]

Hier – hier! ...

Nein! Nein! Nicht die Wunde ist es.

Fließe ihr Blut in Strömen dahin!

Hier! Hier im Herzen der Brand!

Das Sehnen, das furchtbare Sehnen,

das alle Sinne mir faßt und zwingt!

Oh! – Qual der Liebe!

Wie Alles schauert, bebt und zuckt –

in sündigem Verlangen!


Während Kundry in Schrecken und Verwunderung auf Parsifal hinstarrt, gerät dieser in völlige

Entrücktheit. – Schauerlich leise.


Es starrt der Blick dumpf auf das Heilsgefäß:

das heil'ge Blut erglüht;

Erlösungswonne, göttlich mild,

durchzittert weithin alle Seelen.

Nur hier, – im Herzen will die Qual nicht weichen.

Des Heilands Klage da vernehm ich,

die Klage, ach, die Klage

um das entweihte Heiligtum:

»Erlöse, rette mich

aus schuldbefleckten Händen!«

So rief die Gottesklage

furchtbar laut mir in die Seele.

Und ich ... der Tor ... der Feige ...

zu wilden Knabentaten floh ich hin! ...


Er stürzt verzweiflungsvoll auf die Knie.


Erlöser! Heiland! Herr der Hulden!

Wie büß ich Sünder solche Schuld?

KUNDRY deren Erstaunen in leidenschaftliche Bewunderung übergegangen, sucht schüchtern sich Parsifal zu nähern.

Gelobter Held! Entflieh dem Wahn!

Blick auf, sei hold der Huldin Nah'n!

PARSIFAL immer in gebeugter Stellung, starr zu Kundry aufblickend, während diese sich zu ihm neigt und die liebkosenden Bewegungen ausführt, die er mit dem Folgenden bezeichnet.

Ja! ... diese Stimme ... so – rief sie ihm;

und diesen Blick – deutlich erkenn ich ihn, –

auch diesen, der ihm so friedlos lachte; –

die Lippe, ja ... so zuckte sie ihm;

so neigte sich der Nacken, –

so hob sich kühn das Haupt;

so flatterten lachend die Locken,[850]

so schlang um den Hals sich der Arm;

so schmeichelte weich die Wange;

mit aller Schmerzen Qual im Bunde,

das Heil der Seele

entküßte ihm der Mund –!

Ha – dieser Kuß! ...

Verderberin! Weiche von mir!

Ewig, ewig von mir!


Parsifal hat sich allmählich erhoben, und stößt Kundry von sich.


KUNDRY in höchster Leidenschaft.

Grausamer!

Fühlst du im Herzen

nur And'rer Schmerzen,

so fühle jetzt auch die meinen!

Bist du Erlöser,

was bannt dich, Böser,

nicht mir auch zum Heil dich zu einen?

Seit Ewigkeiten harre ich deiner,

des Heilands – ach! – so spät ...

den einst ich kühn geschmäht.

Oh!

Kenntest du den Fluch,

der mich durch Schlaf und Wachen,

durch Tod und Leben,

Pein und Lachen,

zu neuem Leiden neu gestählt,

endlos durch das Dasein quält!

Ich sah – Ihn – Ihn –

und ... lachte:

da traf mich ... sein Blick! –

Nun such ich ihn von Welt zu Welt,

ihm wieder zu begegnen.

In höchster Not

wähn ich sein Auge schon nah, –

den Blick schon auf mir ruhn ...

Da kehrt mir das verfluchte Lachen wieder:

ein Sünder sinkt mir in die Arme! –

Da lach ich, lache,

kann nicht weinen,

nur schreien, wüten,

toben, rasen

in stets erneueter Wahnsinns-Nacht,

aus der ich büßend kaum erwacht.[851]

Den ich ersehnt in Todesschmachten,

den ich erkannt – den blöd Verlachten:

laß mich an seinem Busen weinen,

nur eine Stunde mit dir vereinen,

und ob mich Gott und Welt verstößt

in dir entsündigt sein und erlöst!

PARSIFAL.

In Ewigkeit

wärst du verdammt mit mir

für eine Stunde

Vergessens meiner Sendung,

in deines Arms Umfangen!

Auch dir bin ich zum Heil gesandt,

bleibst du dem Sehnen abgewandt.

Die Labung, die dein Leiden endet,

beut nicht der Quell, aus dem es fließt;

das Heil wird nimmer dir gespendet,

eh jener Quell sich dir nicht schließt.

Ein Andres ist's, ein Andres, ach! –

nach dem ich jammernd schmachten sah;

die Brüder dort, in grausen Nöten,

den Leib sich quälen und ertöten.

Doch, wer erkennt ihn klar und hell,

des einz'gen Heiles wahren Quell?

Oh, Elend, aller Rettung Flucht!

Oh, Weltenwahns Umnachten:

in höchsten Heiles heißer Sucht

nach der Verdammnis Quell zu schmachten!

KUNDRY in wilder Begeisterung.

So war es mein Kuß,

der Welt-hellsichtig dich machte?

Mein volles Liebes-Umfangen

läßt dich dann Gottheit erlangen.

Die Welt erlöse, ist dies dein Amt,

schuf dich zum Gott die Stunde,

für sie laß mich ewig dann verdammt,

nie heile mir die Wunde!

PARSIFAL.

Erlösung, Frevlerin, biet ich auch dir.

KUNDRY.

Laß mich dich Göttlichen lieben,

Erlösung gabst du dann auch mir.

PARSIFAL.

Lieb' und Erlösung soll dir werden,

zeigest du

zu Amfortas mir den Weg.

KUNDRY in Wut ausbrechend.

Nie –! sollst du ihn finden!

Den Verfall'nen, laß ihn verderben –[852]

den Unsel'gen,

Schmach-lüsternen,

den ich verlachte – lachte – lachte – haha!

Ihn traf ja der eigne Speer!

PARSIFAL.

Wer durft ihn verwunden mit der heil'gen Wehr?

KUNDRY.

Er ... Er ...

der einst mein Lachen bestraft ...

Sein Fluch – ha, mir gibt er Kraft;

gegen dich selbst ruf ich die Wehr,

gibst du dem Sünder des Mitleids Ehr'! ...

Ha ... Wahnsinn!


Flehend.


Mitleid! Mitleid mit mir!

Nur eine Stunde mein!

Nur eine Stunde dein ...

und des Weges

sollst du geleitet sein!


Sie will ihn umarmen. Er stößt sie heftig von sich.


PARSIFAL.

Vergeh, unseliges Weib!

KUNDRY rafft sich mit wildem Wutrasen auf und ruft dem Hintergrunde zu.

Hilfe! Hilfe! Herbei!

Haltet den Frechen! Herbei!

Wehrt ihm die Wege!

Wehrt ihm die Pfade!

Und flöhest du von hier, und fändest

alle Wege der Welt,

den Weg, den du suchst,

des Pfade sollst du nicht finden:

denn Pfad und Wege,

die dich mir entführen,

so verwünsch ich sie dir!

Irre! Irre!

mir so vertraut –

dich weih ich ihm zum Geleit!


Klingsor ist auf der Burgmauer herausgetreten und schwenkt eine Lanze gegen Parsifal.


KLINGSOR.

Halt da! Dich bann ich mit der rechten Wehr!

Den Toren stelle mir seines Meisters Speer!


Er schleudert auf Parsifal den Speer, welcher über dessen Haupte schweben bleibt. Parsifal erfaßt den Speer mit der Hand und hält ihn über seinem Haupte.


PARSIFAL.

Mit diesem Zeichen bann ich deinen Zauber:

wie die Wunde er schließe,[853]

die mit ihm du schlugest,

in Trauer und Trümmer

stürz' er die trügende Pracht!


Er hat den Speer im Zeichen des Kreuzes geschwungen: wie durch ein Erdbeben versinkt das Schloß. Der Garten ist schnell zu einer Einöde

verdorrt; verwelkte Blumen verstreuen sich auf dem Boden. Kundry ist schreiend zusammengesunken. Parsifal hält, im Enteilen, noch einmal an.


PARSIFAL wendet sich von der Höhe der Mauertrümmer zu Kundry zurück.

Du weißt,

wo du mich wiederfinden kannst!


Parsifal enteilt. Kundry hat sich ein wenig erhoben und nach ihm geblickt.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 839-854.
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