Zweite Szene


[323] Man blickt dem Schiff entlang bis zum Steuerbord, über den Bord hinaus auf das Meer und den Horizont. Um den Hauptmast in der Mitte ist Seevolk, mit Tauen beschäftigt, gelagert; über sie hinaus gewahrt man am Steuerbord Ritter und Knappen, ebenfalls gelagert, von ihnen etwas entfernt Tristan, mit verschränkten Armen stehend und sinnend in das Meer blickend; zu Füßen ihm, nachlässig gelagert, Kurwenal. Vom Maste her, aus der Höhe, vernimmt man wieder die Stimme des jungen Seemanns.


DER JUNGE SEEMANN auf dem Maste, unsichtbar.

Frisch weht der Wind[323]

der Heimat zu: –

Mein irisch Kind,

wo weilest du?

Sind's deiner Seufzer Wehen,

die mir die Segel blähen?

Wehe, wehe du Wind!

Weh, ach wehe, mein Kind!

ISOLDE deren Blick sogleich Tristan fand und starr auf ihn geheftet blieb, dumpf für sich.

Mir erkoren, –

mir verloren, –

hehr und heil –

kühn und feig!

Tod geweihtes Haupt!

Tod geweihtes Herz! –


Zu Brangäne, unheimlich lachend.


Was hältst du von dem Knechte?

BRANGÄNE ihrem Blicke folgend.

Wen meinst du?

ISOLDE.

Dort den Helden,

der meinem Blick

den seinen birgt,

in Scham und Scheue

abwärts schaut?

Sag, wie dünkt er dich?

BRANGÄNE.

Frägst du nach Tristan,

teure Frau?

Dem Wunder aller Reiche,

dem hochgepries'nen Mann?

Dem Helden ohne Gleiche,

des Ruhmes Hort und Bann?

ISOLDE sie verhöhnend.

Der zagend vor dem Streiche

sich flüchtet, wo er kann,

weil eine Braut er als Leiche

für seinen Herrn gewann!

Dünkt es dich dunkel,

mein Gedicht?

Frag ihn denn selbst,

den freien Mann,

ob mir zu nah'n er wagt?

Der Ehren Gruß

und zücht'ge Acht

vergißt der Herrin

der zage Held,[324]

daß ihr Blick ihn nur nicht erreiche,

den Helden ohne Gleiche!

Oh, er weiß

wohl, warum!

Zu dem Stolzen geh,

meld ihm der Herrin Wort!

Meinem Dienst bereit,

schleunig soll er mir nah'n.

BRANGÄNE.

Soll ich ihn bitten,

dich zu grüßen?

ISOLDE.

Befehlen ließ

dem Eigenholde

Furcht der Herrin

ich, Isolde!


Auf Isoldes gebieterischen Wink entfernt sich Brangäne und schreitet verschämt dem Deck entlang dem Steuerbord zu, an den arbeitenden Seeleuten vorbei. Isolde, mit starrem Blicke ihr folgend, zieht sich rücklings nach dem Ruhebett zurück, wo sie sitzend während des Folgenden bleibt, das Auge unabgewandt nach dem Steuerbord gerichtet.


KURWENAL der Brangäne kommen sieht, zupft, ohne sich zu erheben, Tristan am Gewande.

Hab acht, Tristan!

Botschaft von Isolde.

TRISTAN auffahrend.

Was ist? – Isolde? –


Er faßt sich schnell, als Brangäne vor ihm anlangt und sich verneigt.


Von meiner Herrin? –

Ihr gehorsam

was zu hören

meldet höfisch

mir die traute Magd?

BRANGÄNE.

Mein Herre Tristan,

dich zu sehen

wünscht Isolde,

meine Frau.

TRISTAN.

Grämt sie die lange Fahrt –,

die geht zu End;

eh noch die Sonne sinkt,

sind wir am Land.

Was meine Frau mir befehle,

treulich sei's erfüllt.

BRANGÄNE.

So mög' Herr Tristan[325]

zu ihr gehn:

das ist der Herrin Will'.

TRISTAN.

Wo dort die grünen Fluren

dem Blick noch blau sich färben,

harrt mein König

meiner Frau:

zu ihm sie zu geleiten,

bald nah ich mich der Lichten;

keinem gönnt ich

diese Gunst.

BRANGÄNE.

Mein Herre Tristan,

höre wohl:

deine Dienste

will die Frau,

daß du zur Stell ihr nahtest,

dort, wo sie deiner harrt.

TRISTAN.

Auf jeder Stelle

wo ich steh,

getreulich dien ich ihr,

der Frauen höchster Ehr;

ließ ich das Steuer

jetzt zur Stund,

wie lenkt' ich sicher den Kiel

zu König Markes Land?

BRANGÄNE.

Tristan, mein Herre!

Was höhnst du mich?

Dünkt dich nicht deutlich

die tör'ge Magd,

hör meiner Herrin Wort!

So hieß sie, sollt ich sagen: –

befehlen ließ

dem Eigenholde

Furcht der Herrin

sie, Isolde.

KURWENAL aufspringend.

Darf ich die Antwort sagen?

TRISTAN ruhig.

Was wohl erwidertest du?

KURWENAL.

Das sage sie

der Frau Isold!

Wer Kornwalls Kron

und Englands Erb

an Irlands Maid vermacht,

der kann der Magd

nicht eigen sein,[326]

die selbst dem Ohm er schenkt.

Ein Herr der Welt

Tristan der Held!

Ich ruf's: du sag's, und grollten

mir tausend Frau Isolden!


Da Tristan durch Gebärden ihm zu wehren sucht und Brangäne entrüstet sich zum Weggehen wendet, singt Kurwenal der zögernd sich Entfernenden mit höchster Stärke nach:


»Herr Morold zog

zu Meere her,

in Kornwall Zins zu haben;

ein Eiland schwimmt

auf ödem Meer,

da liegt er nun begraben!

Sein Haupt doch hängt

im Irenland,

als Zins gezahlt

von Engeland:

hei! unser Held Tristan,

wie der Zins zahlen kann!«


Kurwenal, von Tristan fortgescholten, ist in den Schiffsraum hinabgestiegen; Brangäne, in Bestürzung zu Isolde zurückgekehrt, schließt hinter sich die Vorhänge, während die ganze Mannschaft außen sich hören läßt.


ALLE MÄNNER.

Sein Haupt doch hängt

im Irenland,

als Zins gezahlt

von Engeland:

hei! unser Held Tristan,

wie der Zins zahlen kann!


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 323-327.
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