[336] Kurwenal geht wieder zurück. Brangäne, kaum ihrer mächtig, wendet sich in den Hintergrund. Isolde, ihr ganzes Gefühl zur Entscheidung zusammenfassend, schreitet langsam, mit großer Haltung, dem Ruhebett zu, auf dessen Kopfende sich stützend, sie den Blick fest dem Eingange zuwendet. – Tristan tritt ein und bleibt ehrerbietig am Eingang stehen. – Isolde ist mit furchtbarer Aufregung in seinen Anblick versunken.
TRISTAN.
Begehrt, Herrin,
was Ihr wünscht.
ISOLDE.
Wüßtest du nicht,
was ich begehre,
da doch die Furcht,
mir's zu erfüllen,
fern meinem Blick dich hielt?
TRISTAN.
Ehrfurcht
hielt mich in Acht.
ISOLDE.
Der Ehre wenig
botest du mir;
mit offnem Hohn
verwehrtest du
Gehorsam meinem Gebot.
TRISTAN.
Gehorsam einzig
hielt mich in Bann.
ISOLDE.
So dankt ich Geringes
deinem Herrn,
riet dir sein Dienst[336]
Unsitte
gegen sein eigen Gemahl?
TRISTAN.
Sitte lehrt,
wo ich gelebt:
zur Brautfahrt
der Brautwerber
meide fern die Braut.
ISOLDE.
Aus welcher Sorg?
TRISTAN.
Fragt die Sitte!
ISOLDE.
Da du so sittsam,
mein Herr Tristan,
auch einer Sitte
sei nun gemahnt:
den Feind dir zu sühnen,
soll er als Freund dich rühmen.
TRISTAN.
Und welchen Feind?
ISOLDE.
Frag deine Furcht!
Blutschuld
schwebt zwischen uns.
TRISTAN.
Die ward gesühnt.
ISOLDE.
Nicht zwischen uns!
TRISTAN.
Im offnen Feld
von allem Volk
ward Urfehde geschworen.
ISOLDE.
Nicht da war's,
wo ich Tantris barg,
wo Tristan mir verfiel.
Da stand er herrlich,
hehr und heil;
doch was er schwur,
das schwur ich nicht: –
zu schweigen hatt' ich gelernt.
Da in stiller Kammer
krank er lag,
mit dem Schwerte stumm
ich vor ihm stund:
schwieg da mein Mund,
bannt ich meine Hand, –
doch was einst mit Hand
und Mund ich gelobt,
das schwur ich schweigend zu halten.
Nun will ich des Eides walten.
TRISTAN.
Was schwurt Ihr, Frau?[337]
ISOLDE.
Rache für Morold!
TRISTAN.
Müht Euch die?
ISOLDE.
Wagst du zu höhnen?
Angelobt war er mir,
der hehre Irenheld;
seine Waffen hatt ich geweiht;
für mich zog er zum Streit.
Da er gefallen,
fiel meine Ehr: –
in des Herzens Schwere
schwur ich den Eid,
würd ein Mann den Mord nicht sühnen,
wollt ich Magd mich des erkühnen.
Siech und matt
in meiner Macht, –
warum ich dich da nicht schlug?
Das sag dir selbst mit leichtem Fug.
Ich pflag des Wunden,
daß den Heilgesunden
rächend schlüge der Mann,
der Isolden ihm abgewann.
Dein Los nun selber
magst du dir sagen!
Da die Männer sich all ihm vertragen,
wer muß nun Tristan schlagen?
TRISTAN bleich und düster.
War Morold dir so wert,
nun wieder nimm das Schwert,
und führ es sicher und fest, –
daß du nicht dir's entfallen läßt!
Er reicht ihr sein Schwert dar.
ISOLDE.
Wie sorgt' ich schlecht
um deinen Herren;
was würde König
Marke sagen,
erschlüg ich ihm
den besten Knecht,
der Kron und Land ihm gewann,
den allertreusten Mann?
Dünkt dich so wenig,
was er dir dankt,
bringst du die Irin
ihm als Braut,
daß er nicht schölte,[338]
schlüg ich den Werber,
der Urfehde-Pfand
so treu ihm liefert zur Hand?
Wahre dein Schwert!
Da einst ich's schwang,
als mir die Rache
im Busen rang: –
als dein messender Blick
mein Bild sich stahl,
ob ich Herrn Marke
taug als Gemahl: –
das Schwert – da ließ ich's sinken.
Nun laß uns Sühne trinken!
Sie winkt Brangänen. Diese schaudert zusammen, schwankt und zögert in ihrer Bewegung. Isolde treibt sie mit gesteigerter Gebärde an. Brangäne läßt sich zur Bereitung des Trankes an.
STIMMEN DES SCHIFFSVOLKES außen.
Ho – he – ha – he!
Am Obermast
die Segel ein!
Ho – ha – ha – he!
TRISTAN aus düstrem Brüten auffahrend.
Wo sind wir?
ISOLDE.
Hart am Ziel!
Tristan, gewinn ich Sühne?
Was hast du mir zu sagen?
TRISTAN finster.
Des Schweigens Herrin
heißt mich schweigen: –
faß ich, was sie verschwieg,
verschweig ich, was sie nicht faßt.
ISOLDE.
Dein Schweigen faß ich,
weichst du mir aus.
Weigerst du die Sühne mir?
SCHIFFSVOLK außen.
Ho – he – ha – he!
Auf Isoldes ungeduldigen Wink reicht Brangäne ihr die gefüllte Trinkschale.
ISOLDE mit dem Becher zu Tristan tretend, der ihr starr in die Augen blickt.
Du hörst den Ruf?
Wir sind am Ziel: –
in kurzer Frist
Mit leisem Hohne.
stehn wir – vor König Marke.
Geleitest du mich,
dünkt dich's nicht lieb,[339]
darfst du so ihm sagen? –
»Mein Herr und Ohm,
sieh die dir an:
ein sanftres Weib
gewännst du nie.
Ihren Angelobten
erschlug ich ihr einst,
sein Haupt sandt ich ihr heim;
die Wunde, die
seine Wehr mir schuf,
die hat sie hold geheilt;
mein Leben lag
in ihrer Macht –:
das schenkte mir
die milde Magd,
und ihres Landes
Schand und Schmach,
die gab sie mir darein, –
dein Eh'gemahl zu sein.
So guter Gaben
holden Dank
schuf mir ein süßer
Sühnetrank;
den bot mir ihre Huld,
zu sühnen alle Schuld.«
SCHIFFSVOLK außen.
Auf das Tau!
Anker los!
TRISTAN wild auffahrend.
Los den Anker!
Das Steuer dem Strom!
Den Winden Segel und Mast! –
Er entreißt ihr die Trinkschale.
Wohl kenn ich Irlands
Königin
und ihrer Künste
Wunderkraft.
Den Balsam nützt ich,
den sie bot:
den Becher nehm ich nun,
daß ganz ich heut genese.
Und achte auch
des Sühne-Eids,
den ich zum Dank dir sage –!
Tristans Ehre –[340]
höchste Treu'!
Tristans Elend –
kühnster Trotz!
Trug des Herzens!
Traum der Ahnung!
Ew'ger Trauer
einz'ger Trost:
Vergessens güt'ger Trank, –
dich trink ich sonder Wank!
Er setzt an und trinkt.
ISOLDE.
Betrug auch hier?
Mein die Hälfte!
Sie entwindet ihm den Becher.
Verräter! Ich trink sie dir!
Sie trinkt. Dann wirft sie die Schale fort. – Beide, von Schauer erfaßt, blicken sich mit höchster Aufregung, doch mit starrer Haltung unverwandt in die Augen, in deren Ausdruck der Todestrotz bald der Liebesglut weicht. – Zittern ergreift sie. Sie fassen sich krampfhaft an das Herz – und führen die Hand wieder an die Stirn. – Dann suchen sie sich wieder mit dem Blick, senken ihn verwirrt und heften ihn wieder mit steigender Sehnsucht aufeinander.
ISOLDE mit bebender Stimme.
Tristan!
TRISTAN überströmend.
Isolde!
ISOLDE an seine Brust sinkend.
Treuloser Holder!
TRISTAN er umfaßt sie mit Glut.
Seligste Frau!
Sie verbleiben in stummer Umarmung.
Aus der Ferne vernimmt man Trompeten.
RUF DER MÄNNER von außen auf dem Schiffe.
Heil! König Marke Heil!
BRANGÄNE die, mit abgewandtem Gesicht, voll Verwirrung und Schauder sich über den Bord gelehnt hatte, wendet sich jetzt dem Anblick des in Liebesumarmung versunkenen Paares zu und stürzt händeringend voll Verzweiflung in den Vordergrund.
Wehe! Weh!
Unabwendbar
ew'ge Not
für kurzen Tod!
Tör'ger Treue
trugvolles Werk
blüht nun jammernd empor!
Beide fahren verwirrt aus der Umarmung auf.
[341]
TRISTAN.
Was träumte mir
von Tristans Ehre?
ISOLDE.
Was träumte mir
von Isoldes Schmach?
TRISTAN.
Du mir verloren?
ISOLDE.
Du mich verstoßen?
TRISTAN.
Trügenden Zaubers
tückische List!
ISOLDE.
Törigen Zürnens
eitles Dräu'n!
TRISTAN.
Isolde!
ISOLDE.
Tristan!
TRISTAN.
Süßeste Maid!
ISOLDE.
Trautester Mann!
BEIDE.
Wie sich die Herzen
wogend erheben,
wie alle Sinne
wonnig erbeben!
Sehnender Minne
schwellendes Blühen,
schmachtender Liebe
seliges Glühen!
Jach in der Brust
jauchzende Lust!
Isolde! Tristan!
Welten-entronnen,
du mir gewonnen!
Du mir einzig bewußt,
höchste Liebeslust!
Die Vorhänge werden weit auseinander gerissen; das ganze Schiff ist mit Rittern und Schiffsvolk bedeckt, die jubelnd über Bord winken, dem Ufer zu, das man, mit einer hohen Felsenburg gekrönt, nahe erblickt. – Tristan und Isolde bleiben, in ihren gegenseitigen Anblick verloren, ohne Wahrnehmung des um sie Vorgehenden.
BRANGÄNE zu den Frauen, die auf ihren Wink aus dem Schiffsraum heraufsteigen.
Schnell, den Mantel,
den Königsschmuck!
Zwischen Tristan und Isolde stürzend.
Unsel'ge! Auf!
Hört, wo wir sind!
Sie legt Isolden, die es nicht gewahrt, den Königsmantel an.
ALLE MÄNNER auf dem Schiff.
Heil! Heil! Heil![342]
König Marke Heil!
Heil dem König!
KURWENAL lebhaft herantretend.
Heil Tristan!
Glücklicher Held!
Mit reichem Hofgesinde
dort auf Nachen
naht Herr Marke.
Hei! wie die Fahrt ihn freut,
daß er die Braut sich freit!
TRISTAN in Verwirrung aufblickend.
Wer naht?
KURWENAL.
Der König!
TRISTAN.
Welcher König?
Kurwenal deutet über Bord.
ALLE MÄNNER die Hüte schwenkend.
Heil! König Marke
Heil!
Tristan starrt wie sinnlos nach dem Lande.
ISOLDE in Verwirrung.
Was ist, Brangäne?
Welcher Ruf?
BRANGÄNE.
Isolde! Herrin!
Fassung nur heut!
ISOLDE.
Wo bin ich? Leb ich?
Ha! welcher Trank?
BRANGÄNE verzweiflungsvoll.
Der Liebestrank!
ISOLDE starrt entsetzt auf Tristan.
Tristan!
TRISTAN.
Isolde!
ISOLDE.
Muß ich leben?
Sie stürzt ohnmächtig an seine Brust.
BRANGÄNE zu den Frauen.
Helft der Herrin!
TRISTAN.
O Wonne voller Tücke!
O Trug – geweihtes Glücke!
ALLE MÄNNER Ausbruch allgemeinen Jauchzens.
Kornwall Heil!
Trompeten vom Lande her.
Leute sind über Bord gestiegen, andere haben eine Brücke ausgelegt, und die Haltung Aller deutet auf die soeben bevorstehende Ankunft der Erwarteten. Der Vorhang fällt schnell.
[343]
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
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