Dritte Szene


[360] Brangäne stößt einen grellen Schrei aus. – Kurwenal stürzt mit entblößtem Schwerte herein.


KURWENAL.

Rette dich, Tristan!


Er blickt mit Entsetzen hinter sich in die Szene zurück Marke, Melot und Hofleute (in Jägertracht) kommen aus dem Baumgange lebhaft nach dem Vordergrunde und halten entsetzt der Gruppe der Liebenden gegenüber an. Brangäne kommt zugleich von der Zinne herab und stürzt auf Isolde zu. Diese, von unwillkürlicher Scham ergriffen, lehnt sich, mit abgewandtem Gesicht, auf die Blumenbank. Tristan, in ebenfalls unwillkürlicher Bewegung, streckt mit dem einen Arme den Mantel breit aus, so daß er Isolde vor den Blicken der Ankommenden verdeckt. In dieser Stellung verbleibt er längere Zeit, unbeweglich den starren Blick auf die Männer gerichtet, die in verschiedener Bewegung die Augen auf ihn heften. – Morgendämmerung.


TRISTAN.

Der öde Tag

zum letzten Mal!

MELOT zu Marke.

Das sollst du, Herr, mir sagen,

ob ich ihn recht verklagt;[360]

das dir zum Pfand ich gab,

ob ich mein Haupt gewahrt?

Ich zeigt' ihn dir

in off'ner Tat:

Namen und Ehr

hab ich getreu

vor Schande dir bewahrt.

MARKE nach tiefer Erschütterung, mit bebender Stimme.

Tatest du's wirklich?

Wähnst du das?

Sieh ihn dort,

den treu'sten aller Treuen;

blick auf ihn,

den freundlichsten der Freunde:

seiner Treue

frei'ste Tat

traf mein Herz

mit schmerzlichstem Verrat!

Trog mich Tristan,

sollt' ich hoffen,

was sein Trügen

mir getroffen,

sei durch Melots Rat

redlich mir bewahrt?

TRISTAN krampfhaft heftig.

Tagsgespenster!

Morgenträume! –

täuschend und wüst –!

Entschwebt! Entweicht!

MARKE mit tiefer Ergriffenheit.

Mir dies?

Dies, Tristan, mir?

Wohin nun Treue,

da Tristan mich betrog?

Wohin nun Ehr

und echte Art,

da aller Ehren Hort,

da Tristan sie verlor?

Die Tristan sich

zum Schild erkor,

wohin ist Tugend

nun entflohn,

da meinen Freund sie flieht,

da Tristan mich verriet?


[361] Tristan senkt langsam den Blick zu Boden; in seinen Mienen ist, während Marke fortfährt, zunehmende Trauer zu lesen.


Wozu die Dienste

ohne Zahl,

der Ehren Ruhm,

der Größe Macht,

die Marken du gewannst;

mußt' Ehr und Ruhm,

Größ' und Macht,

mußte die Dienste

ohne Zahl

dir Markes Schmach bezahlen?

Dünkte zu wenig

dich mein Dank,

daß, was du mir erworben,

Ruhm und Reich,

ich zu Erb' und Eigen dir gab?

Da kinderlos einst

schwand sein Weib,

so liebt' er dich,

daß nie auf's neu

sich Marke wollt vermählen.

Da alles Volk

zu Hof und Land

mit Bitt' und Dräuen

in ihn drang,

die Königin dem Lande

die Gattin sich zu kiesen;

da selber du

den Ohm beschworst,

des Hofes Wunsch,

des Landes Willen

gütlich zu erfüllen;

in Wehr wider Hof und Land,

in Wehr selbst gegen dich,

mit List und Güte

weigerte er sich, –

bis, Tristan, du ihm drohtest,

für immer zu meiden

Hof und Land,

würdest du selber

nicht entsandt,

dem König die Braut zu frei'n.[362]

Da ließ er's denn so sein. –

Dies wundervolle Weib,

das mir dein Mut gewann,

wer durft es sehen,

wer es kennen,

wer mit Stolze

sein es nennen,

ohne selig sich zu preisen?

Der mein Wille

nie zu nahen wagte,

der mein Wunsch

ehrfurchtscheu entsagte,

die so herrlich,

hold erhaben

mir die Seele

mußte laben,

trotz Feind und Gefahr

die fürstliche Braut

brachtest du mir dar.

Nun, da durch solchen

Besitz mein Herz

du fühlsamer schufst

als sonst dem Schmerz,

dort, wo am weichsten,

zart und offen,

würd' ich getroffen,

nie zu hoffen,

daß je ich könnte gesunden:

warum so sehrend,

Unseliger,

dort nun mich verwunden?

Dort mit der Waffe

quälendem Gift,

das Sinn und Hirn

mir sengend versehrt,

das mir dem Freund

die Treue verwehrt,

mein off'nes Herz

erfüllt mit Verdacht,

daß ich nun heimlich

in dunkler Nacht

den Freund lauschend beschleiche, –

meiner Ehren Ende erreiche?[363]

Die kein Himmel erlöst,

warum mir diese Hölle?

Die kein Elend sühnt,

warum mir diese Schmach?

Den unerforschlich tief

geheimnisvollen Grund,

wer macht der Welt ihn kund?

TRISTAN mitleidig das Auge zu Marke erhebend.

O König, das

kann ich dir nicht sagen;

und was du frägst,

das kannst du nie erfahren.


Er wendet sich zu Isolde, die sehnsüchtig zu ihm aufblickt.


Wohin nun Tristan scheidet,

willst du, Isold', ihm folgen?

Dem Land, das Tristan meint,

der Sonne Licht nicht scheint:

es ist das dunkel

nächt'ge Land,

daraus die Mutter

mich entsandt,

als, den im Tode

sie empfangen,

im Tod sie ließ

an das Licht gelangen.

Was, da sie mich gebar,

ihr Liebesberge war,

das Wunderreich der Nacht,

aus der ich einst erwacht:

das bietet dir Tristan,

dahin geht er voran:

ob sie ihm folge

treu und hold?

Das sag' ihm nun Isold'!

ISOLDE.

Als für ein fremdes Land

der Freund sie einstens warb,

dem Unholden

treu und hold

mußt' Isolde folgen.

Nun führst du in dein Eigen,

dein Erbe mir zu zeigen;

wie flöh' ich wohl das Land,

das alle Welt umspannt?

Wo Tristans Haus und Heim,[364]

da kehr Isolde ein;

auf dem sie folge

treu und hold,

den Weg nun zeig Isold'!


Tristan neigt sich langsam über sie und küßt sie sanft auf die Stirn. – Melot fährt wütend auf.


MELOT das Schwert ziehend.

Verräter! ha!

Zur Rache, König!

Duldest du diese Schmach?


Tristan zieht sein Schwert und wendet sich schnell um.


TRISTAN.

Wer wagt sein Leben an das meine?


Er heftet den Blick auf Melot.


Mein Freund war der,

er minnte mich hoch und teuer;

um Ehr und Ruhm

mir war er besorgt wie keiner:

zum Übermut

trieb er mein Herz,

die Schar führt' er,

die mich gedrängt,

Ehr und Ruhm mir zu mehren,

dem König dich zu vermählen! –

Dein Blick, Isolde,

blendet' auch ihn;

aus Eifer verriet

mich der Freund –

dem König, den ich verriet!


Er dringt auf Melot ein.


Wehr dich, Melot!


Als Melot ihm das Schwert entgegenstreckt, läßt Tristan das seinige fallen und sinkt verwundet in Kurwenals Arme. Isolde stürzt sich an seine Brust. Marke hält Melot zurück. – Der Vorhang fällt schnell.
[365]

Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 360-366.
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