Zweite Szene


[348] Jetzt springt sie ihm entgegen.


TRISTAN stürzt herein.

Isolde! Geliebte!

ISOLDE.

Tristan! Geliebter!


Stürmische Umarmungen Beider, unter denen sie in den Vordergrund gelangen.


Bist du mein?

TRISTAN.

Hab ich dich wieder?

ISOLDE.

Darf ich dich fassen?

TRISTAN.

Kann ich mir trauen?

ISOLDE.

Endlich! Endlich!

TRISTAN.

An meiner Brust!

ISOLDE.

Fühl ich dich wirklich?

TRISTAN.

Seh ich dich selber?

ISOLDE.

Dies deine Augen?

TRISTAN.

Dies dein Mund?

ISOLDE.

Hier deine Hand?

TRISTAN.

Hier dein Herz?

ISOLDE.

Bin ich's? Bist du's?

Halt ich dich fest?[348]

TRISTAN.

Bin ich's? Bist du's?

Ist es kein Trug?

BEIDE.

Ist es kein Traum?

O Wonne der Seele,

o süße, hehrste,

kühnste, schönste,

seligste Lust!

TRISTAN.

Ohne Gleiche!

ISOLDE.

Überreiche!

TRISTAN.

Überselig!

ISOLDE.

Ewig!

TRISTAN.

Ewig!

ISOLDE.

Ungeahnte,

nie gekannte!

TRISTAN.

Überschwenglich

hoch erhab'ne!

ISOLDE.

Freudejauchzen!

TRISTAN.

Lustentzücken!

BEIDE.

Himmelhöchstes

Weltentrücken!

Mein!

ISOLDE.

Tristan mein!

TRISTAN.

Isolde mein!

BEIDE.

Mein und dein!

ISOLDE.

Ewig! Tristan mein,

Isolde ewig dein!

TRISTAN.

Ewig, Isolde mein

BEIDE.

Ewig, ewig ein!

ISOLDE.

Wie lange fern!

Wie fern so lang!

TRISTAN.

Wie weit, so nah!

So nah, wie weit!

ISOLDE.

O Freundesfeindin,

böse Ferne!

Träger Zeiten

zögernde Länge!

TRISTAN.

O Weit und Nähe!

Hart entzweite!

Holde Nähe!

Öde Weite!

ISOLDE.

Im Dunkel du,

im Lichte ich!

TRISTAN.

Das Licht! Das Licht![349]

Oh, dieses Licht,

wie lang verlosch es nicht!

Die Sonne sank,

der Tag verging,

doch seinen Neid

erstickt er nicht:

sein scheuchend Zeichen

zündet er an,

und steckt's an der Liebsten Türe,

daß nicht ich zu ihr führe.

ISOLDE.

Doch der Liebsten Hand

löschte das Licht;

wes die Magd sich wehrte,

scheut ich mich nicht:

in Frau Minnes Macht und Schutz

bot ich dem Tage Trutz!

TRISTAN.

Dem Tage! Dem Tage!

Dem tückischen Tage,

dem härtesten Feinde

Haß und Klage!

Wie du das Licht,

o könnt ich die Leuchte,

der Liebe Leiden zu rächen,

dem frechen Tage verlöschen!

Gibt's eine Not,

gibt's eine Pein,

die er nicht weckt

mit seinem Schein?

Selbst in der Nacht

dämmernder Pracht

hegt' ihn Liebchen am Haus,

streckt mir drohend ihn aus!

ISOLDE.

Hegt' ihn die Liebste

am eig'nen Haus,

im eig'nen Herzen

hell und kraus

hegt ihn trotzig

einst mein Trauter:

Tristan, – der mich verriet!

War's nicht der Tag,

der aus ihm log,

als er nach Irland

werbend zog,[350]

für Marke mich zu frein,

dem Tod die Treue zu weihn?

TRISTAN.

Der Tag! Der Tag,

der dich umgliß,

dahin, wo sie

der Sonne glich,

in höchster Ehren

Glanz und Licht

Isolden mir entrückt!

Was mir das Auge

so entzückt':

das Herze tief

zur Erde drückt':

in lichten Tages Schein

wie war Isolde mein?

ISOLDE.

War sie nicht dein,

die dich erkor?

Was log der böse

Tag dir vor,

daß, die für dich beschieden,

die Traute du verrietest?

TRISTAN.

Was dich umgliß

mit hehrster Pracht,

der Ehre Glanz,

des Ruhmes Macht,

an sie mein Herz zu hangen

hielt mich der Wahn gefangen.

Die mit des Schimmers

hellstem Schein

mir Haupt und Scheitel

licht beschien,

der Welten-Ehren

Tages-Sonne,

mit ihrer Strahlen

eitler Wonne,

durch Haupt und Scheitel

drang mir ein,

bis in des Herzens

tiefsten Schrein.

Was dort in keuscher Nacht

dunkel verschlossen wacht,

was ohne Wiss' und Wahn

ich dämmernd dort empfahn:[351]

ein Bild, das meine Augen

zu sehn sich nicht getrauten,

von des Tages Schein betroffen

lag mir's da schimmernd offen.

Was mir so rühmlich

schien und hehr,

das rühmt ich hell

vor allem Heer;

vor allem Volke

pries ich laut

der Erde schönste

Königin.

Dem Neid, den mir

der Tag erweckt';

dem Eifer, den

mein Glücke schreckt';

der Mißgunst, die mir Ehren

und Ruhm begann zu schweren:

denen bot ich Trotz,

und treu beschloß,

um Ehr und Ruhm zu wahren,

nach Irland ich zu fahren.

ISOLDE.

O eitler Tagesknecht!

Getäuscht von ihm,

der dich getäuscht,

wie mußt' ich liebend

um dich leiden,

den, in des Tages

falschem Prangen,

von seines Gleißens

Trug befangen,

dort, wo ihn Liebe

heiß umfaßte,

im tiefsten Herzen

hell ihn haßte.

Ach, in des Herzens Grunde

wie schmerzte tief die Wunde!

Den dort ich heimlich barg,

wie dünkt' er mich so arg,

wenn in des Tages Scheine

der treu gehegte Eine

der Liebe Blicken schwand,

als Feind nur vor mir stand![352]

Das als Verräter

dich mir wies,

dem Licht des Tages

wollt ich entfliehn,

dorthin in die Nacht

dich mit mir ziehn,

wo der Täuschung Ende

mein Herz mir verhieß;

wo des Trugs geahnter

Wahn zerrinne;

dort dir zu trinken

ew'ge Minne,

mit mir dich im Verein

wollt ich dem Tode weihn.

TRISTAN.

In deiner Hand

den süßen Trank,

als ich ihn erkannt,

den sie mir bot;

als mir die Ahnung

hehr und gewiß

zeigte, was mir

die Sühne verhieß:

da erdämmerte mild

erhab'ner Macht

im Busen mir die Nacht;

mein Tag war da vollbracht.

ISOLDE.

Doch ach, dich täuschte

der falsche Trank,

daß dir von neuem

die Nacht versank:

dem einzig am Tode lag,

den gab er wieder dem Tag!

TRISTAN.

O Heil dem Tranke!

Heil seinem Saft!

Heil seines Zaubers

hehrer Kraft!

Durch des Todes Tor,

wo er mir floß,

weit und offen

er mir erschloß,

darin ich sonst nur träumend gewacht,

das Wunderreich der Nacht;

von dem Bild in des Herzens[353]

bergendem Schrein

scheucht' er des Tages

täuschenden Schein,

daß nachtsichtig mein Auge

wahr es zu sehen tauge.

ISOLDE.

Doch es rächte sich

der verscheuchte Tag;

mit deinen Sünden

Rats er pflag:

was dir gezeigt

die dämmernde Nacht,

an des Tagsgestirnes

Königsmacht

mußtest du's übergeben, –

um einsam

in öder Pracht

schimmernd dort zu leben. –

Wie ertrug ich's nur?

Wie ertrag' ich's noch?

TRISTAN.

O nun waren wir

Nachtgeweihte!

Der tückische Tag,

der Neid-bereite,

trennen konnt uns sein Trug,

doch nicht mehr täuschen sein Lug!

Seine eitle Pracht,

seinen prahlenden Schein

verlacht, wem die Nacht

den Blick geweiht.

Seines flackernden Lichtes

flüchtige Blitze

blenden uns nicht mehr.

Wer des Todes Nacht

liebend erschaut,

wem sie ihr tief

Geheimnis vertraut:

des Tages Lügen,

Ruhm und Ehr,

Macht und Gewinn,

so schimmernd hehr,

wie eitler Staub der Sonnen

sind sie vor dem zersponnen!

In des Tages eitlem Wähnen[354]

bleibt ihm ein einzig Sehnen, –

das Sehnen hin

zur heil'gen Nacht,

wo ur-ewig,

einzig wahr,

Liebeswonne ihm lacht!


Tristan zieht Isolde sanft zur Seite auf eine Blumenbank nieder, senkt sich vor ihr auf die Knie und schmiegt sein Haupt in ihren Arm.


BEIDE.

O sink hernieder,

Nacht der Liebe,

gib Vergessen,

daß ich lebe,

nimm mich auf

in deinen Schoß,

löse von

der Welt mich los!

TRISTAN.

Verloschen nun

die letzte Leuchte;

ISOLDE.

was wir dachten,

was uns deuchte;

TRISTAN.

all Gedenken –

ISOLDE.

all Gemahnen –

BEIDE.

heil'ger Dämm'rung

hehres Ahnen

löscht des Wähnens Graus

welterlösend aus.

ISOLDE.

Barg im Busen

uns sich die Sonne,

leuchten lachend

Sterne der Wonne.

TRISTAN.

Von deinem Zauber

sanft umsponnen,

vor deinen Augen

süß zerronnen;

ISOLDE.

Herz an Herz dir,

Mund an Mund;

TRISTAN.

eines Atems

ein'ger Bund;

BEIDE.

bricht mein Blick sich

Wonn-erblindet,

erbleicht die Welt

mit ihrem Blenden:[355]

ISOLDE.

die uns der Tag

trügend erhellt,

TRISTAN.

zu täuschendem Wahn

entgegen gestellt,

BEIDE.

selbst dann

bin ich die Welt:

wonnehehrstes Weben,

Liebe-heiligstes Leben,

Nie-wieder-Erwachens

wahnlos

hold bewußter Wunsch.


Tristan und Isolde versinken wie in gänzlicher Entrücktheit, in der sie, Haupt an Haupt auf die Blumenbank zurückgelehnt, verweilen.


BRANGÄNE von der Zinne her unsichtbar.

Einsam wachend

in der Nacht,

wem der Traum

der Liebe lacht,

hab der Einen

Ruf in Acht,

die den Schläfern

Schlimmes ahnt,

bange zum

Erwachen mahnt.

Habet Acht!

Habet acht!

Bald entweicht die Nacht!

ISOLDE.

Lausch, Geliebter!

TRISTAN.

Laß mich sterben!

ISOLDE allmählich sich ein wenig erhebend.

Neid'sche Wache!

TRISTAN zurückgelehnt bleibend.

Nie erwachen!

ISOLDE.

Doch der Tag

muß Tristan wecken?

TRISTAN ein wenig das Haupt erhebend.

Laß den Tag

dem Tode weichen!

ISOLDE.

Tag und Tod,

mit gleichen Streichen,

sollten unsre

Lieb' erreichen?

TRISTAN sich mehr aufrichtend.

Unsre Liebe?

Tristans Liebe?

Dein und mein,[356]

Isoldes Liebe?

Welches Todes Streichen

könnte je sie weichen?

Stünd er vor mir,

der mächt'ge Tod,

wie er mir Leib

und Leben bedroht, –

die ich so willig

der Liebe lasse,

wie wäre seinen Streichen

die Liebe selbst zu erreichen?


Immer inniger mit dem Haupt sich an Isolde schmiegend.


Stürb ich nun ihr,

der so gern ich sterbe,

wie könnte die Liebe

mit mir sterben,

die ewig lebende

mit mir enden?

Doch, stürbe nie seine Liebe,

wie stürbe dann Tristan

seiner Liebe?

ISOLDE.

Doch – unsre Liebe,

heißt sie nicht Tristan

und – Isolde?

Dies süße Wörtlein: und,

was es bindet,

der Liebe Bund,

wenn Tristan stürb,

zerstört es nicht der Tod?

TRISTAN.

Was stürbe dem Tod,

als was uns stört,

was Tristan wehrt,

Isolde immer zu lieben,

ewig ihr nur zu leben?

ISOLDE.

Doch, dieses Wörtlein: und,

wär es zerstört,

wie anders als

mit Isoldes eig'nem Leben

wär Tristan der Tod gegeben?


Tristan zieht, mit bedeutungsvoller Gebärde, Isolde sanft an sich.


TRISTAN.

So starben wir,

um ungetrennt,[357]

ewig einig

ohne End',

ohn Erwachen,

ohn Erbangen,

namenlos

in Lieb' umfangen,

ganz uns selbst gegeben,

der Liebe nur zu leben!

ISOLDE wie in sinnender Entrücktheit zu ihm aufblickend.

So stürben wir,

um ungetrennt –

TRISTAN.

ewig einig

ohne End –,

ISOLDE.

ohn Erwachen –

TRISTAN.

ohn Erbangen –,

BEIDE.

namenlos

in Lieb' umfangen,

ganz uns selbst gegeben,

der Liebe nur zu leben!


Isolde neigt wie überwältigt das Haupt an seine Brust.


BRANGÄNES STIMME wie vorher.

Habet Acht!

Habet Acht!

Schon weicht dem Tag die Nacht!

TRISTAN lächelnd zu ihr geneigt.

Soll ich lauschen?

ISOLDE schwärmerisch zu ihm aufblickend.

Laß mich sterben!

TRISTAN ernster.

Muß ich wachen?

ISOLDE bewegter.

Nie erwachen!

TRISTAN drängender.

Soll der Tag

noch Tristan wecken?

ISOLDE begeistert.

Laß den Tag

dem Tode weichen!

TRISTAN.

Soll der Tod

mit seinen Streichen

ewig uns

den Tag verscheuchen?

ISOLDE.

Der uns vereint,

den ich dir bot,

laß ihm uns weihn,

dem süßen Tod!

Mußte er uns

das eine Tor,

an dem wir standen, verschließen;

zu der rechten Tür,[358]

die uns Minne erkor

hat sie den Weg nun gewiesen.

TRISTAN.

Des Tages Dräuen

nun trotzten wir so?

ISOLDE mit wachsender Begeisterung.

Seinem Trug ewig zu fliehn.

TRISTAN.

Sein dämmernder Schein

verscheuchte uns nie?

ISOLDE mit großer Gebärde ganz sich erhebend.

Ewig wär uns die Nacht!

BEIDE.

O ew'ge Nacht,

süße Nacht!

Hehr erhab'ne

Liebesnacht!

Wen du umfangen,

wem du gelacht,

wie wär ohne Bangen

aus dir er je erwacht?

Nun banne das Bangen,

holder Tod,

sehnend verlangter

Liebestod!

In deinen Armen,

dir geweiht,

urheilig Erbarmen,

von Erwachens Not befreit!

Wie sie fassen,

wie sie lassen,

diese Wonne,

fern der Sonne,

fern der Tage

Trennungsklage!

Ohne Wähnen,

sanftes Sehnen;

ohne Bangen,

süß Verlangen;

ohne Wehen

hehr Vergehen;

ohne Schmachten

hold Umnachten;

ohne Meiden,

ohne Scheiden,

traut allein,[359]

ewig heim,

in ungemess'nen Räumen

übersel'ges Träumen. –

ISOLDE.

Du Isolde,

Tristan ich,

nicht mehr Isolde!

TRISTAN.

Du Tristan,

Isolde ich,

nicht mehr Tristan!

BEIDE.

Ohne Nennen,

ohne Trennen,

neu Erkennen,

neu Entbrennen;

endlos ewig

ein-bewußt:

heiß erglühter Brust,

höchste Liebeslust!


Sie verbleiben in verzückter Stellung.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 348-360.
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