Phaethon an Theodor

[235] Mit Gott zu kämpfen, war das nicht von jeher mißlich? Die Riesen, die Gebirge türmten aufeinander und mit gewaltiger Kraft die wandellose Macht des Vaters der Götter und der Menschen stürzen wollten, die eichenstarken Männer, warf ewig unerschüttert, den Donner von der Höhe schmetternd, allmächtig der erzürnte Gott zu Boden.

Wie mir einst alles Leben war, ist mir alles nun Tod, wohin ich blicke.

Die Millionen Welten, die werden, sind und vergehen wie der Mensch, die aus dem Elemente sprangen wie Blasen und wachsen! Ich bin so garnichts gegen das unermeßliche All!

Ewiges Sein! Ewiges Nichts! Wie fürchterliche Feinde sich gegenüberliegend, einander zerstörend und aufreibend, beide mir gleich verhaßt! Mir wirbelt's!

Denke Dir das Nichts! Bruder! Das Nichts! Mensch!

Was ist auf Erden der Mensch? Was der Blumenstaub auf dem Blatte. Sie verwehen.[236]

Als ich mich noch so ewig fühlte, o da war ich wie ein Gott!

Auf das ewige Sehnen und Kämpfen, das Ringen und Treiben muß doch Ermattung folgen, und auf Ermattung?

Tod?

Eine Träne im Auge meines Mädchens, ein Blick in ihre Seele, ein Kuß auf ihre reinen Wangen, ein stummer Druck ihrer Hand, machte mich das nicht unsterblich?

Das Leben ist ein ungeheures Meer, in dem wir schwimmen, bis seine Wogen uns verschlingen.

Es ist Gott wohl ein liebender Gott; aber ich fühle doch, wenn er mich an seinen Busen drückt, daß ich so klein bin gegen ihn.

O, sich ihm zu nähern und nicht zu Nichts zu werden! Vor ihm bleiben zu können, dazu muß man rein sein wie sie, wie sie!

Wir Menschen sind nur Wolken, die vorüberwandeln am Himmel und manchmal durchglüht werden von seinem Hochrot; aber sie verwehen wie Träume.[237]


Alles, was er noch in dieser Zeit zeichnete, trug den Stempel seiner Geistesverwirrung: himmelstürmende zurückgeschleuderte Riesen; Eichenstämme, samt den Wurzeln aus dem Boden gewirbelt und über wildes jähes Felsgeklippe taumelnd; engelschöne Mädchen, die Hände betend zu Gott hebend; abgezehrte, die Hände ringende, zu Boden liegende Jünglinge; Kirchhöfe, worin beim Mondlicht die Geister über den Gräbern schweben und einsame Menschen um ihre verstorbenen Geliebten trauern. Dann zeichnete er wieder Atalanta mit dünnem fließendem Gewande, mit aufstrebenden Flügeln, auf Wolken schwebend, in den langen fließenden Locken junge Blumen, mit zartem offenem Busen, die gott-trunknen Augen zu einem großen Auge hebend, das über ihr aus wallendem Lichte quoll, womit er das Auge Gottes bezeichnen wollte. Das wiederholte er hundertmal und fügte zuletzt immer seltsamere Bilder und Zeichen hinzu. Er verschloß alles sorgfältig, was er gebildet.

Wenn er einen schönen weißen Knaben sah, drückte er ihn an den Busen, weinte, nannte ihn ein Kind der Sonne.

Gegen Erwachsene war er verschlossen und geheimnisvoll. Die Worte Gott und Natur kamen nie auf seine Lippen.

Um diese Zeit erhielt er einen Brief von Atalanta, der sich schloß auf folgende Weise:

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 235-238.
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