Letztes Lied aus Capri

[134] Capri werde mir stets der Edelsteine

Wundervollster genannt, den Vater Ocean

Mit der Wogen Azur umfängt; kein Eiland

Sei ihm gleich, ob's mit Weinlaub Bacchus kränze,

Ob's in furchtbarem Fels der Vorwelt Schreckniß,

Den Gedanken der Einsamkeit und deine

Werkstatt, Mutter Natur, im Schooß verberge,

Blüthenweckender Hauch des Westes oder

Sturm das Haupt ihm umweht, ob's Sitt' und Unschuld

Stillen Fischern, ein Greuel der Geschichte,

Künft'gen Zeiten zum Graun geweiht: mein Eiland

Bist du.

Möge kein Frühling mir verblühen,

Wo dein himmlischer Strand den Gast nicht aufnimmt,

Nicht den Gast, denn Vertrauter, Kind und Liebling

Bin ich dir; mich erkennet Haus und Garten,

Palm' und Feige, mich Fels und Fischerhütte,

Mich der Mensch, die Natur; die falsche Meerfluth

Ist's allein, die den Kehrenden nicht kennet.

So auch, was ich geliebt, gethan hienieden,

Bleibt mir treu ins beständ'ge Herz gewurzelt;

Mag das wechselnde Schicksal jede Stunde

Die vergängliche Well' im Sturm und Brandung

Rauschend treiben zum Fels; beharrlich steht er.


Wo am schönsten erscheinst du mir, o Eiland?

Ist's, wo Reben, des Geistes voll, den Abhang,[134]

Schöpferinnen verweg'ner Kraft, mir aufblühn,

Und die holdere Sonne sie durchglühet,

Wie ein besseres Herz die Liebe? Morgens

Gern aus Garten und Weinberg seh ich träumend

Schimmern Golf und Vesuv und Kap und Inseln,

Ueber Ischia weg, wo weit im Norden,

Fast dem Himmel vermählt, der Circe zaubrisch

Vorgebirge mich lange täuscht, ob's Nebel

Oder Wirkliches ist. Dem Schmerz erscheinet

So vergangenes Glück. Vergieb der Sehnsucht

Dieses Herzens, ich denke Roms.

Doch ewig,

Strand der Einsamkeit, auserwählet seist du,

Wo schreckhaft in des Südmeers wilde Brandung

Niedergraut des Solaro Fels, dem Vogel

Kahle, wolkenumrauschte Wohnung. Menschen

Trifft mein Auge hier nicht, dem Oceane

Preis gegeben, erscheint die Welt, in Trümmer

Liegt zersplittert der Fels, doch nur am Fuße,

Dem jäh starrend erhebt sein stolzes Haupt sich

Und den Scheitel bekrönt die kühne Burg ihm,

Unten aber umtost, vom Schaum des Meeres

Ruht das Einsamste, was sich Schmerz und Schwermuth

Menschenfeindliche, je geträumt, die Hütte.

Fels nur scheint sie, doch Trepp' und Thüre seh' ich,

Und die Sonne des Mittags trocknet Netze

Da und dort auf dem Kies, auf ödem Felsblock.

Nicht Trinakria scheint, nicht Lybien's Küste,

Jene Wildniß des Meeres zu verbergen,

Wo das Auge verirrt, kein Grün am Strande,

Hoch nur sproßt aus dem Spalt' die ind'sche Feige;

Himmel zeigt dir und Meer unübersehbar

Das Unendliche hier.

Gepriesen seid mir,

Kühne Sieger des Elements, o Schiffer![135]

Fast am Grab' der Natur, der Menschheit steh' ich;

Und von meinem Geschlecht allein noch übrig

Dünke ich mich der Letzte noch zu sterben;

Unvermeidlich erschien es mir, doch find' ich

Ueber'm Rücken des Felsens euch, o Fischer,

Und das schaudernde Herz fühl' ich beruhigt;

In Verbannung nur wähn' ich mich: doch süß ist

Solcher Einsamkeit selbsterkorne Stille.

Nicht verlangt mich's den blauen Golf hinüber,

Und die dämmernde Stadt, die ihm entglänzet,

Zaubert nicht bis zum stillen Eiland; oft nur

Seh' ich lange hinein den Wasserspiegel

Hoch herab mit der Bangigkeit der Liebe,

Bis ein Segel im Sonnenlicht erschimmert;

Süße Angst und verhohl'ne Zweifel fesseln

Auf das schwankende Schiff den Blick, ob treulich

Einen Brief mir von Rom das Liebchen sende.


Flügel wünsch' ich mir dann. Das träge Ruder

Legt zur Seite; der Gott der Winde schicke

Mir von Osten den frischen Hauch, die Worte

Der Entfernten in Eile mir zu bringen.

Kummervoll, wie das engbeschränkte Leben,

Ist im Reiche Neptuns der Weg, wenn mühsam

Ihn das Schiffchen im Ruderschlag durchstrebet;

Aber Wonne, wenn Wind die Segel schwellet,

Wenn's den rauschenden Pfad hinfliegt; dem Genius

Gleicht's alsdann den Begeisterung ergriffen.

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Gedichte aus Italien, Band 2: Oden und Elegien aus Rom, Neapel und Sicilien, Leipzig 1893/1895, S. 134-136.
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