Englischer

[77] Original vor allem, und voll der tiefsten Gedanken,

Unergründlich und groß sei dein erstaunliches Werk;

Führ' es gigantisch aus, und vierzig Schuhe sind wenig,

Denn ein gewaltiger Geist will auch gewaltigen Raum.

Jage mir nicht nach Effekt, und halte nicht streng an Natur dich,

Ungeheures will ich, Seltsames bilden und sehn.

Wage nur keck, und vertrau', in tausend Verkürzungen balle,

Wind' und drehe die Schaar fliegender Engelchen du.

Wähle das Schwierigste nur, das Ungewöhnlichste sei dir

Vorwurf. Malst du vielleicht einst des Erlösers Geburt,1

So bevölkre zuerst mit etlich Dutzend verschlungner

Gruppen die wimmelnde Luft, male den Kindermord auch!

Vorn auf ehlichem Bett sei die Madonna gelagert,

Joseph bei ihr, doch dabei laß mir die Tradition.

Jupiter schein' es vielmehr und Juno; der heilige Knabe

Sei es allein, der den Sinn, der die Gestalten erklärt.

Und zum Zeichen des Siegs, den Davids Linie glorreich

Nach den Verheißungen jetzt über die Feinde gewann,

Male zur Seite des Christ den Riesen Goliath, wie er

Erderschütternd im Meer dampfenden Blutes sich wälzt.

Geld ja hast du genug, drum bleibe fein original mir,

Denn dem Britten geziemt's nicht wie ein andrer zu sein.

Fußnoten

1 In der That sah man in der letzten Kunstausstellung in Rom solch ein Bild, an dem der Künstler vierzehn Jahre gearbeitet. Die Deutschen erzählten sich lustige Anekdoten darüber.


Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Gedichte aus Italien, Band 2: Oden und Elegien aus Rom, Neapel und Sicilien, Leipzig 1893/1895, S. 77-78.
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