Die siebenunddreißigste Fabel.

Von der Tauben und Atzeln.

[215] Die atzel sprach zu einer tauben:

»Ich bitt dich, sage mir auf glauben,

Wer rät dir, daß dein nest und gmach

Allzeit bauest under jens dach,

Dahin doch all vier wochen kümt

Der baur und dir dein jungen nimt?«

Da sprach die taub on allen haß:

»Frumkeit, einfalt raten mir das.«

Es ist der brauch auf diser erden,

Allzeit die einfeltigen werden

Benückt von schwetzern und betrogen

Und oft gar felschlich überlogen.

Das macht, daß sie nit so zerrißen,

Sich nicht zu verantworten wißen,

Und get zu, wie man pflegt zu sagen:

Der Simeon das kreuz must tragen.

Des nidrigen zauns schont man nicht;

Der krenkest helt allzeit das liecht.


Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 1, Leipzig 1882, S. 215.
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