Die dreiundsiebzigste Fabel.

Vom Fuchs und einem Birnbaum.

[67] Einsmals der fuchs on als gefer

Kam laufen übers feld daher

Bei einem dorf nach einer hennen.

Dieselb entlief im in die tennen,

Daß ers also must laßen gan.

Auch warn die hund nit weit davon.

Da trollet sich der fuchs so bald

Den berg hinauf nach jenem wald[67]

Mit lerem bauch; da fand er stan

Ein birnbaum schon und wol getan;

Stund hoch dort oben an eim zaun

Voll schöner birn, gelb, rötlicht, braun.

Da ers sahe, ward der fuchs so fro,

Er sprang frölich und sprach: »Da, do,

Hie ists, da ich mich laben sol,

Habs ee geßen, sie schmecken wol.«

Lief undern baum und sucht die birn.

Da war fürhin ein kleine dirn

Des morgens mit eim korb gewesen

Und hets allsamen aufgelesen,

Dem armen fuchs gar kein gelaßen.

Da ward er zornig über dmaßen

Und so verbittert gar und ganz;

Er schlug an baum mit seinem schwanz

Ein mal, drei, vier; doch keine fiel.

Er sprach: »Fürwar, ich ir nit wil;

Sein noch nit reif, ja hart und saur;

Es freß kein hungeriger baur.

Ich kenn gar wol das ungeziber;

Ders ißt, der kriegt fürwar das fieber.

Wenn ich auch gunt hinauf zu steigen,

Möcht ich in letzen an den zweigen;

Ee ich dem baum wolt schaden tun,

Nem ich ein gans ja für ein hun.«

Bei dem fuchs werden angezeigt,

Die zu den dingen sein geneigt

Und sten darnach mit alln geberden,

Die in doch nimmer mögen werden.

Die teten recht, daß sich des maßen,

Von unmüglichen dingen laßen.

So bald dir nit ein ding mag werden,

Vergrab dein danken in die erden

Und sprich: Was mir nit wol mag wern,

Da wöll mir Gott den sin abkern!


Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 2, Leipzig 1882, S. 67-68.
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