Die neunundfunfzigste Fabel.

Wie ein Dorfpfaff die Baurn straft.

[298] Man hat mir gsagt von eim dorfpfaffen,

Der pflag die bauren ernstlich strafen

Umb trunkenheit und füllerei,

Umb eebruch und umb hurerei

Und sonst umb andre grobe boßen,

Und sprach: »Wo ir nit wolt abloßen

Vom schendlichen und bösen leben

Und zu dem guten euch begeben

Und mein warnung zu herzen füren,

So wurd ich euch, vorwar, baß rüren,

Wenn ich dermaleinst einen nenn;

Denn ich eur mer denn einen kenn.«

Solch red zu wider und verdrieß

Den baurn er oftmals hören ließ;

Wenn er sie sonst Gottswort solt leren,

So musten sie solch scheltwort hören

Von irem pfarrherrn ungeschlacht;

Damit er sie oft schellig macht,

Daß sie gleich über in ergrimmten

Und eintrechtig zusamen stimmten.[298]

Je einer zu dem andern sprach:

»Dem pfaffen geben wir vil nach.

Wölln wir stets freßen solche grumpen,

Daß er uns auf dem maul mag trumpen,

Sein groll und mutwilln an uns uben,

Ausfilzen wie die lotterbuben?

Kurzumb, wir wöllens nimmer leiden:

Machts ja zu grob und unbescheiden.«

Drumb sie allsamet zu im kamen,

Zu underrichten in fürnamen,

Und sprachen: »Herr, es ist nit gut,

Daß ir uns also schmehen tut,

Mit solchen worten ungelaschen

Uns von der kanzel aus zu waschen.

Drumb sei euch jetzt gesaget das,

Daß ir des machen wolt ein maß,

Auf daß nicht euch und uns einst greut.

Wir sein vorwar nit solche leut,

Wie ir uns offentlich austragt,

Solch grobe grumpen von uns sagt.«

Er sprach: »Ich wolt, ir machts gelinder,

Lebten wie die frommen pfarrkinder,

So wert ir vor der straf wol frei

Und dörft keinr solchen meuterei,

Die ir jetzt wider mich erregen

Und euch zu unlust selb bewegen.

Weil ir euch aber jetzt so hoch

Entschuldigt, wil ich auch hernach

Mit worten mich wißen zu halten.

Drumb laßt eurn zorn jetzund erkalten

Und nemt die ler von mir jetzt an,

Daß allzeit ein unschüldig man,

Der sich im gwißen selb weiß frum,

Verachts allzeit und gibt nichts drumb,

Ob man die schüldigen beklagt,

Und denkt, es sei im nit gesagt.[299]

Also laßt euch auch nit verdrießen

Mein straf, weil ir habt gut gewißen,

Denn ir werdt nit damit gemeint,

Auch an eur ere nit verkleint.«

Damit sie ließen sich bereden

Und gaben sich darin zu freden.

Der pfarrherr in im selber lacht;

Dieweil ein guten rat bedacht

Und sprach: Ich wil euch das wol kochen!

Ir meint, habt euch an mir gerochen!

Darnach den nehsten sontag balt

Hin zu der kirchen jung und alt,

Die ganz dorfschaft, baurn und beurin,

Predigt zu hören kamen hin.

Der pfarrherr auch zur kirchen kam,

Ein großen knüttel mit im nam,

Gar heimlich undern rock verhal,

Biß sie da waren allzumal.

Darnach er auf die kanzel gieng,

Nach gwonheit den sermon anfieng,

Hub wider an die bauren zschelten

Und sprach: »Fürwar, man findt gar selten

Von solchen groben rülzen einen,

Ders herzlich und mit treu solt meinen,

Daß er sich einst recht beßern wolt.

Ob er schon weiß, daß er hat schult,

Jedoch setzt er im kein gefer

Im gwißen, streicht nur über her

Mit eim fuchsschwanz fein, weich und glind,

Als ob er het gar keine sünd;

Und sind ir vil so grobe boßen,

Daß sich nit wöllen strafen laßen.

Wo man in wil die warheit sagen,

So hebens selber an zu klagen

Ubern pfarrherrn abents und morgen,

Welcher ir selen muß versorgen

Und für sie all rechenschaft geben.

Drumb wil ich auch ein mal anheben,[300]

Mit disem knüttel werfen drein.

Vorwar, ich weiß wol, wer sie sein,

Die hoffertigen und die stolzen,

Die eebrecher und trunkenbolzen.«

Damit den knüttel aufgewunden

Und draut den bauren zu den stunden,

Sein zornig gsicht in sie zu scherfen,

Stellt sich, als ob er jetzt wolt werfen.

Von stund sich da ein jeder tuckt,

Und einer hindern andern buckt.

Damit legt er den knüttel nider,

Hub an freundlich zu reden wider

Und sprach: »Habs oft zuvorn gesagt,

Gar unbillch man über mich klagt.

Welcher nit böses hat getan,

Darf sich keins trauens nemen an.

Seit ir all frum in disem dorf,

Warumb forcht ir euch für dem worf?

Zur straf ist niemand ungedültig,

Nur der, der sich weiß selber schüldig.

Wenn ir nit wist von bösen stücken,

Het sich jetzt keiner dorfen bücken,

Der sich mit worten wil entschulden.«

Da het ein jeder baur ein gulden

Gern geben für denselben hon,

Den in der pfarrherr het geton.

All glerten eintrechtig beschließen,

Und wirs auch aus erfarnheit wißen:

Sein herz eim jeden selber zeugt,

Die conscienz keinem vorleugt,

Eim jeden selb sein urteil fellt

Und solchs stets vor die augen stellt.

Hat er wol tan, weiß sich unschüldig,

So ist sein herz auch nicht unhüldig;

Er freut sich stets und hofft das best,

Mit keim drauen sich schrecken leßt.

Ob man schon böses auf in ticht,

So lacht ers selb und acht sein nicht.[301]

Wer aber ist im gwißen wund,

Der scheut und fürchtet sich all stund,

Und wo man heimlich etwas sagt,

So denkt er, daß man in verklagt,

Und get, gleich wie das sprichwort laut:

Dem schuldign schüttert stets die haut.

Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 2, Leipzig 1882, S. 298-302.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Arnim, Bettina von

Märchen

Märchen

Die Ausgabe enthält drei frühe Märchen, die die Autorin 1808 zur Veröffentlichung in Achim von Arnims »Trösteinsamkeit« schrieb. Aus der Publikation wurde gut 100 Jahre lang nichts, aber aus Elisabeth Brentano wurde 1811 Bettina von Arnim. »Der Königssohn« »Hans ohne Bart« »Die blinde Königstochter« Das vierte Märchen schrieb von Arnim 1844-1848, Jahre nach dem Tode ihres Mannes 1831, gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter Gisela. »Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns«

116 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon