Zweiter Abschnitt.

[71] Matilde hatte sich auf Hippolitens Befehl in ihr Gemach verfügt, aber zur Ruhe war sie wenig aufgelegt. Ihres Bruders schreckliches Schicksal rührte sie tief. Sie war verwundert, Isabellen nicht zu sehn. Die seltsamen Reden ihres Vaters, dessen unverständliche Drohungen gegen seine fürstliche Gemahlin, und wütendes Betragen, erfüllten ihre sanfte Seele mit Schrecken und Besorgniß. Aengstlich wartete sie, daß Bianca zurück kommen mögte, ein junges Mädchen in ihren Diensten,[71] das sie abgeschickt hatte, zu erfahren, wo Isabelle hingekommen sey. Bianca erschien bald, und berichtete ihrer Gebieterin, sie habe von den Bedienten vernommen, Isabelle sey nirgends zu finden. Sie erzählte das Abentheuer des jungen Bauren, den man im Kreuzgange entdeckt hatte, obgleich mit manchem einfältigen Zusatz, aus den unzusammenhängenden Berichten der Hausleute; und vornemlich hielt sie sich bey dem Riesenbein und Fuß auf, die man im Galleriezimmer gesehen hatte. Dieser letzte Umstand hatte Bianca so erschreckt, daß sie froh war, als Matilde ihr erklärte, sie wolle nicht schlafen gehen, sondern wachen bis die Fürstin aufstände.

Die junge Prinzessin quälte sich mit Vermuthungen über Isabellens Flucht, und Manfreds Drohungen gegen ihre Mutter. Was konnt' er so nothwendig mit dem Capellan zu schaffen haben? Will er meines Bruders Leichnam in der Stille beysetzen lassen? O gnädiges Fräulein, ich errathe es, sagte Bianca. Sie sind seine Erbin geworden, jetzt kann er die Zeit nicht erwarten, Sie verheirathet zu wissen. Ihn hat immer nach mehr Söhnen[72] gelüstet, jetzt gelüstet ihn nach Enkeln. So wahr ich lebe, gnädiges Fräulein, endlich seh' ich Sie als Braut. Liebes gnädiges Fräulein, Sie werden doch Ihre getreue Bianca nicht verstoßen? Sie werden Donna Rosaura nicht über mich setzen, nun Sie eine große Fürstin sind? Arme Bianca, sagte Matilde, wie fliegen deine Gedanken! Ich, eine große Fürstin? Hat Manfreds Betragen, seit meines Bruders Tod, dir bewiesen, daß seine Zärtlichkeit gegen mich vermehrt sey? Nein, Bianca, sein Herz war mir von jeher entfremdet; aber er ist mein Vater, ich darf nicht klagen. Wenn der Himmel meines Vaters Herz gegen mich verschließt, so bezahlt er mein kleines Verdienst tausendfach, durch die Zärtlichkeit meiner Mutter. Meine theure Mutter! Ihrentwegen, Bianca, fühl' ich Manfreds rauhe Gemüthsart. Seine Strenge gegen mich kann ich geduldig ertragen, aber es verwundet meine Seele, wenn ich Zeuge bin, wie ohne Ursach hart er gegen sie ist. O gnädiges Fräulein, sagte Bianca, alle Männer sind so gegen ihre Frauen, wenn sie ihrer satt sind! Und doch wünschtest du mir Glück, erwiederte Matilde, weil du dir einbildetest,[73] mein Vater werde mich vermählen? Sie müssen eine große Frau werden, versetzte Bianca, es mag kommen wie es will. Ich wünsche nicht, daß Sie in einem Kloster versauren, wie Sie werden, wenn man Ihnen Ihren Willen läßt, und Ihre gnädige Frau Mutter nicht dazu thut, die wohl weiß, daß ein schlechter Mann besser ist, als kein Mann. – Gott sey bey uns! was rührt sich da? Heiliger Niklas vergieb mir! Ich scherzte nur. Es ist der Wind, sprach Matilde, der durch die Zinnen des Thurmes seufzt. Du hast das tausendmal gehört. Ich habe ja auch nichts böses gesagt, erwiederte Bianca, es ist keine Sünde von Heirathen zu sprechen. Also gnädiges Fräulein, wie ich sagte, wenn ihr fürstlicher Vater Ihnen einen hübschen jungen Prinzen als Bräutigam vorstellt, werden Sie sich höflich verneigen, und sprechen, ich bitte lieber um den Schleyer? Dem Himmel sey Dank! in der Gefahr bin ich nicht, antwortete Matilde. Du weist, wie viel Bewerbungen um mich er ausgeschlagen hat. – Und dafür danken Sie ihm als eine gehorsame Tochter? danken Sie ihm, gnädiges Fräulein? Nehmen Sie nur einmal[74] an, er schickte morgen nach Ihnen, im großen Audienzzimmer, und ihm zur Seite stände ein liebenswürdiger junger Prinz, mit großen schwarzen Augen, einer glatten weißen Stirn, und krausen männlichen Locken, wie Wasserstrahlen; kurz gnädiges Fräulein, ein junger Held, der so aussähe wie das Bild Alfonso des Guten in der Gallerie, vor dem Sie Stunden lang sitzen und es anstaunen. – Sprich nicht leichtsinnig von dem Bilde, unterbrach sie seufzend Matilde. Ich weiß, die Anbetung, mit der ich dies Gemälde betrachte, ist ungewöhnlich, aber in die bemalte Leinwand bin ich nicht verliebt. Die Tugenden dieses erhabenen Fürsten; die Ehrfurcht welche meine Mutter mir für sein Gedächtniß eingeflößt hat; dies Gebet, das sie mir, ich weiß nicht warum, befahl, an seinem Grabe abzulegen, alles trifft zusammen, mich zu bereden, daß mein Schicksal auf irgend eine Weise mit etwas, das ihm angehört, verbunden sey. Herr Gott! gnädiges Fräulein, wie könnte das zugehen? fragte Bianca. Ich habe immer gehört, Ihr Geschlecht sey dem seinigen nicht verwand; und, wahrhaftig, ich kann nicht begreifen,[75] warum Ihre Hoheit die Fürstin, Ihre Gnaden an kalten Morgen oder feuchten Abenden an seinem Grabe beten läßt? Er ist doch kein Calenderheiliger? Wenn Sie beten sollen, warum wenden Sie sich nicht lieber an unsern heiligen Sankt Niklas? Ich weiß wohl, das ist der Heilige, den ich um einen Mann anrufe. Vielleicht wäre mein Gemüth wieder beruhigt, sagte Matilde, wenn meine Mutter mir ihre Ursache erklären wollte. Aber eben dies Geheimnißvolle ihrer Winke, erweckt das Gefühl in mir, das ich nicht zu nennen weiß. Da sie niemals nach Launen handelt, so bin ich gewiß, irgend ein verborgener Zusammenhang liegt darunter versteckt; ich bin davon überzeugt. In der heftigsten Qual ihres Schmerzes, über den Tod meines Bruders, ließ sie einige Worte fallen, die mich dessen versichern. – O liebes gnädiges Fräulein! rief Bianca, was waren das für Worte? Nein, sagte Matilde, einen Ausdruck der Mutter, den sie wieder zurück zu nehmen wünschte, darf ihr Kind nicht wiederholen. Ey, fragte Bianca, that es ihr leid, was sie gesagt hatte? Gnädiges Fräulein, mir können sie trauen! Mit meinen eignen kleinen Geheimnissen,[76] wenn ich ihrer habe, kann ich das wohl, sprach Matilde, aber nie mit den Geheimnissen meiner Mutter. Eine Tochter muß weder Augen noch Ohren haben, als nach dem Willen ihrer Mutter. Nun gewiß, gnädiges Fräulein, rief Bianca, Sie sind zur Heiligen gebohren, und seinem Beruf kann niemand wiederstehn! Sie kommen doch noch am Ende ins Kloster. Fräulein Isabelle würde nicht so hinterm Berge gegen mich halten; sie hört gern, wenn ich ihr von jungen Herrn vorschwatze; und so oft ein schmucker Ritter ins Schloß kam, gestand sie mir, wie sehr sie wünsche, Junker Corrado mögte ihm ähnlich sehn. Bianca, sagte die Prinzessin, ich erlaube dir nicht, die Achtung gegen meine Freundin zu vergessen. Isabelle ist geneigt zum Scherzen, aber ihre Seele ist so rein, als die Tugend selbst. Sie weiß, welch ein Plaudermaul du bist, und hat dich vielleicht zuweilen zum Schwazen aufgemuntert, um sich der Schwermuth zu entreissen, und die Einsamkeit zu beleben, worin uns mein Vater hält. – Heilige Mutter! rief Bianca, und fuhr zusammen, da ist es wieder! Hören Sie nichts gnädiges Fräulein? Es spukt sicherlich in dieser[77] Burg! – Still, sprach Matilde, und horch auf! ich glaube eine Stimme zu vernehmen. Aber es muß Einbildung seyn, deine Schreckhaftigkeit wird mich angesteckt haben. Warlich, warlich, gnädiges Fräulein, sagte Bianca, halbweinend vor Angst, ich habe gewiß eine Stimme gehört. Liegt jemand in der untern Kammer? fragte die Prinzessin. Das hat sich niemand unterstanden, antwortete Bianca, seit der große Sterndeuter, Ihres Bruders Hofmeister, sich ersäufte. Sicherlich, gnädiges Fräulein, besucht unsers jungen Prinzen Geist den seinigen in der Kammer unter uns. Ums Himmels willen, lassen Sie uns in das Gemach Ihrer gnädigen Mutter flüchten! Ich befehle dir, bleib, sprach Matilde. Sind dies leidende Geister, so müssen wir sie befragen, ob ihre Qualen zu lindern stehn? Sie können uns nicht schaden wollen, denn wir haben sie nicht beleidigt; und wollen sie schaden, so sind wir nicht mehr sicher in einem Zimmer, als in dem andern. Gieb mir meinen Rosenkranz; erst will ich beten, und dann zu ihnen reden. O! gnädiges Fräulein, rief Bianca, ich spräche nicht zu einem Geist, und wenn ich die ganze Welt dadurch[78] gewönne! – Als sie dies sagte, hörten sie die Fensterrahmen der kleinen Kammer unter Matilden öffnen. Sie horchten wohl zu, und bald däuchte es ihnen, als vernähmen sie jemand singen, aber die Worte konnten sie nicht verstehn. Dies kann kein böser Geist seyn, sagte die Prinzessin leise: es ist ohne Zweifel jemand von unsern Leuten. Mach' das Fenster auf, wir werden die Stimme kennen. Ich unterstehe michs nicht, gnädiges Fräulein, sagte Bianca. Du bist eine rechte Närrin, versetzte Matilde, und öfnete sanft das Fenster. Doch bemerkte die Person die unten war, das Geräusch welches die Prinzessin machte, und hielt ein. Sie schlossen daraus, man habe die Eröfnung des Geschosses bemerkt. Ist jemand unten? fragte die Prinzessin. Wer da ist, antworte! Ja, sagte eine unbekannte Stimme. Wer ist es? fragte Matilde. Ein Fremder, antwortete die Stimme. Welcher Fremde? fragte sie; und wer kann zu dieser ungewöhnlichen Stunde hieher kommen, wo alle Thore der Burg verschlossen sind? Ich bin nicht mit meinem Willen hieher gekommen, erwiederte die Stimme. Verzeihn Sie mir, Signora, wenn[79] ich Ihre Ruhe gestört habe; ich wuste nicht, daß man mich vernehmen könnte. Mich flieht der Schlaf; und ich verließ mein rastloses Lager, ungeduldig aus dieser Burg entlassen zu werden, um die peinliche Zeit damit zu verbringen, daß ich dem schönen Morgen entgegen sähe. Ihre Sprache und Ihre Stimme, versetzte Matilde, haben einen Anstrich von Schwermuth. Sind Sie unglücklich, so bedaure ich Sie. Leiden Sie aus Armuth, so lassen Sie mich's wissen. Ich will der Fürstin davon sagen, deren wohlthätige Seele gegen jede Noth empfindlich ist; sie wird Ihnen aufhelfen. Ich bin in der That unglücklich, sagte der Fremde, und kenne den Wohlstand nicht: aber ich klage das Loos nicht an, das der Himmel mir zutheilte. Ich bin jung und stark, und schäme mich nicht, für meinen Unterhalt zu arbeiten. Halten Sie mich nicht für so übermüthig, daß ich Ihr großmüthiges Anbieten verachten könne. Ich will Ihrer in meinem Gebet gedenken, und den Segen des Himmels für Sie, die Sie so gnädig sind, und für Ihre edle Gebieterin erflehen. Ich seufze, Signora, aber um andre, nicht um mich. Nun hab' ichs, gnädiges[80] Fräulein, zischelte Bianca der Prinzessin zu, dies ist sicherlich der Bauerjunge, und auf mein Gewissen! er ist verliebt. Das ist ein himmlisches Abentheuer! Liebes gnädiges Fräulein, lassen Sie uns ihn ausholen. Er kennt Ihre Gnaden nicht, er hält Sie für ein Kammerfräulein der Fürstin Hippolite. Schämst du dich nicht, Bianca? sagte die Prinzessin. Wer giebt mir das Recht, den Herzens Geheimnissen dieses jungen Mannes nachzuforschen? Er scheint rechtschaffen und aufrichtig, und sagt uns er sey unglücklich. Sollen diese Eigenschaften ihn uns Preis geben? Welchen Anspruch haben wir auf sein Vertrauen? Herr Gott! rief Bianca, wie wenig verstehn sich Ihre Gnaden auf Liebe? Ein Liebhaber hat ja keine größere Freude, als wenn er von seinem Herzens Schatz reden kann. Und mich willst du zur Vertrauten eines Bauren machen? fragte die Prinzessin. Wohl, so lassen Sie mich mit ihm reden, sagte Bianca. Obschon ich jetzt die Ehre habe, Ihrer Gnaden Ehrenfräulein zu seyn, so war ich nicht immer so vornehm. Zudem, wenn Liebe alle Stände gleich macht, so erhebt sie ja auch alle Stände. Ich habe Achtung[81] für jeden jungen Mann, der verliebt ist. – Schweig, Gimpel! unterbrach sie die Prinzessin. Er nannte sich unglücklich. Folgt daraus, daß er verliebt sey? Bedenk' was alles heute vorgefallen ist, und dann sprich, ob es kein ander Unglück giebt, als was von Liebe kommt. Fremdling, begann die Prinzessin von neuem, wenn Sie nicht unglücklich sind durch eigne Schuld, und die Fürstin Hippolite Ihnen helfen kann, so nehme ich es auf mich, dafür zu haften, daß ihr Schutz Ihnen nicht entstehn soll. Entläßt man Sie aus dieser Burg, so wenden Sie sich an den ehrwürdigen Vater Geronimo, in dem Kloster hart an der Kirche Sanct Nicola, und entdecken sich ihm so weit Sie gut finden. Er wird die Fürstin sicherlich davon unterrichten, die aller Hülflosen Mutter ist. Leben Sie wohl! Es ist nicht ziemlich, daß ich, zu dieser ungewöhnlichen Stunde, mich mit einem Mann länger unterhalte. Die Heiligen schützen Sie für diese Gnade, Signora! sagte der Bauer, aber o! wenn ein armer verdienstloser Fremdling, um einen Augenblick länger Gehör bitten dürfte, – darf er es wagen? – Sie schließen das Fenster nicht? –[82] Bin ich so glücklich, daß Sie mirs gestatten? – Sprechen Sie kurz, versetzte Matilde, der Morgen dämmert schon heran; die Arbeiter dürfen nicht ihr Feld zu bestellen kommen, und uns gewahr werden. Was begehren Sie? – Ich weiß nicht wie, – ich weiß nicht ob ich darf, sagte der junge Fremde stammelnd, aber das Erbarmen Ihrer Worte giebt mir Herz. Darf ich Ihnen trauen, Signora? – Himmel! sprach Matilde, was meinen Sie? Was wollen Sie mir vertrauen? Was die Unschuld hören kann, dürfen Sie mir nicht verhehlen. Ich wollte fragen, sagte der Bauer, der sich gefaßt hatte, ob es wahr ist was ich von den Bedienten gehört habe, daß die Prinzessin in der Burg nicht zu finden sey? Was geht Sie das an? erwiederte Matilde. Ihre ersten Reden waren weiser und schicklicher. Sind Sie hergekommen, Fürsten Angelegenheiten auszuspähen? Ich habe mich in Ihnen geirrt. Leben Sie wohl. Mit diesen Worten schlug sie eilig das Fenster zu, ohne dem jungen Mann Zeit zur Antwort zu lassen. Ich hätte weißlicher gethan, sagte die Prinzessin etwas bitter gegen Bianca, dich mit dem Bauren reden zu lassen.[83] Seine Fragsucht ist wie es scheint mit der deinigen aus einem Stück. Ich darf mit Ihren Gnaden nicht rechten, erwiederte Bianca, aber die Fragen die ich ihm vorgelegt haben würde, mögten leicht mehr zum Zweck geführt haben, als die welche Sie zu thun geruhten. O, sonder Zweifel! sprach Matilde, du bist ein schlauer Diebesfänger! Darf ich wissen, was du gefragt haben würdest? Wer in die Charten sieht, antwortete Bianca, begreift oft mehr vom Spiel, als wer sie hält. Glauben denn Ihr Gnaden etwa, er habe aus bloßer Neugier Fräulein Isabellen nachgefragt? Nein, nein, gnädiges Fräulein, da steckt mehr dahinter, als Sie vornehmen Leute sich einbilden. Lopez erzählt mir, alle Bedienten glauben, der junge Bursche habe Fräulein Isabellen fortgeholfen; nun bitte ich Sie zu bemerken, gnädiges Fräulein, wir beyde wissen ja wohl, daß Fräulein Isabelle niemals sonderliches Behagen an Ihrem hochseeligen Herrn Bruder fand, – gut, er ist gerade zur rechten Zeit aus der Welt gegangen, – ich klage niemanden an. Ein Helm fällt aus der Luft, so sagen Seine Hoheit, Ihr Herr Vater; aber Lopez und alle Bedienten[84] sagen, dieser junge Springinsfeld sey ein Hexenmeister, und habe ihn dem steinernen Alfonso weggemaust. – Wirst du aufhören, ungereimtes Zeug zu reden? fragte Matilde. Sobald Ihre Gnaden befehlen, erwiederte Bianca. – Sonderbar aber bleibt es immer, daß Fräulein Isabelle noch an dem nemlichen Tage davon läuft, wo dieser junge Zauberer gerade am Eingang der Fallthüre gefunden wird – ich klage niemanden an – wenn unser gnädiger Junker aber mit rechten Dingen zu Tode gekommen ist, – Ich befehle dir, sagte Matilde, keinen Argwohn gegen den unbefleckten Ruf meiner Isabelle zu wagen. – Unbefleckt oder nicht unbefleckt, antwortete Bianca, fort ist sie, ein Fremder findet sich den niemand kennt, Sie selbst befragen ihn, er sagt er sey verliebt, oder unglücklich, das ist einerley – richtig, er sagt er sey unglücklich um andre; nun frag' ich: wer ist unglücklich um andre? Antwort, der in andre verliebt ist. Und gleich darauf meint die unschuldige Seele: ob Fräulein Isabelle nicht zu finden sey? – Deine Bemerkungen, sprach Matilde, sind freylich nicht ganz ohne Grund. Isabellens Flucht setzt mich in[85] Erstaunen. Des Fremden Neugier ist auffallend, doch hat Isabelle nie einen ihrer Gedanken mir verborgen. – Das gab sie vor, sagte Bianca, um Ihrer Gnaden Geheimnisse herauszulocken. Wer weiß, gnädiges Fräulein, ob dieser Fremde nicht irgend ein verkleideter Prinz ist? Lassen Sie mich das Fenster wieder öfnen, gnädiges Fräulein, ich will ich noch ein wenig vernehmen. Nein, erwiederte Matilde, ich frage mit einem Wort, ob er etwas von Isabellen weiß? einer längern Unterhaltung mit mir, ist er nicht werth. Schon wollte sie das Geschoß ihres Fensters eröfnen, als sie an dem Pförtchen der Burg schellen hörte, das dem Thurm, wo Mathildens Zimmer war, zur Rechten lag. Dies verhinderte die Prinzessin, den Fremden aufs neue anzureden.

Sie blieb eine Zeitlang schweigend, und wandte dann sich gegen Bianca: Ich bin überzeugt, Isabellens Flucht hat keine unwürdige Ursache. Nahm dieser Fremdling Theil daran, so muste sie seiner Treue und Rechtschaffenheit gewiß seyn. Bemerktest du nicht, Bianca, wie ich, daß seine Worte ein ungewöhnliches Gepräge von Frömmigkeit trugen?[86] So spricht kein Missethäter. Seine Ausdrücke würden einem Manne von edler Geburt geziemen. Sagt' ich nicht, gnädiges Fräulein, fragte Bianca, es sey sicherlich ein verkleideter Prinz? Wenn sie ihn aber zu ihrer Flucht gebrauchte, sagte Matilde, wie willst du das erklären, daß er sie nicht dabey begleitete? Warum setzt er sich ohne Noth und tollkühn, der Rache meines Vaters aus? O gnädiges Fräulein, erwiederte Bianca, ist er unter der Sturmhaube weggekommen, so wird er auch Wege finden, dem Zorn Ihres Herrn Vaters zu entgehn. Wer weiß, wie viel Talismane der in der Tasche hat? Du hilfst dir aus aller Noth mit Zaubermitteln, sprach Matilde: wer sich aber mit höllischen Geistern abgiebt, darf die gottgesegneten Namen nicht aussprechen, wie er that. Hörtest du nicht, wie andächtig er gelobte, meiner im Gebet an die Heiligen des Himmels zu denken? Isabelle war unstreitig von seiner Gottesfurcht überzeugt. Verlassen Sie sich auf die Gottesfurcht eines jungen Burschen, und eines Fräuleins, die mit einander entlaufen wollen! rief Bianca. Nein, nein, gnädiges Fräulein, Donna Isabelle ist aus[87] ganz anderm Thon geformt, als Sie sich einbilden. In Ihrer Gesellschaft konnte sie freylich seufzen und die Augen verdrehen, weil sie weiß, Sie sind eine Heilige, aber sobald Sie den Rücken drehten – Du thust ihr Unrecht, sprach Matilde, Isabelle ist keine Heuchlerin. Es fehlt ihr nicht an Frömmigkeit, aber nie prahlte sie mit einem Beruf, den sie nicht empfand. Im Gegentheil bestritt sie immer meine Neigung für das Kloster. Und obschon ich bekenne, daß mich das Geheimniß das sie mir aus ihrer Flucht machte, in Verlegenheit setzt; obwohl es scheint, als bestehe das nicht mit unsrer Freundschaft; so kann ich doch den uneigennützigen Eifer nicht vergessen, mit dem sie mich immer abhielt, den Schleyer zu ergreifen. Sie wünschte mich verheyrathet zu sehn, wenn gleich mein Leibgedinge, für ihre und meines Bruders Kinder, ein Verlust gewesen wäre. Ihrentwegen will ich gut von diesem jungen Bauren denken. Ihre Gnaden glauben also, es könne wohl einige Liebe unter ihnen Statt finden? fragte Bianca. Indem trat ein Bedienter eilig in das Zimmer, der Prinzessin zu melden, daß Fräulein Isabelle gefunden sey. Wo?[88] fragte Matilde. Sie hat sich in die Kirche Sanct Nicola geflüchtet, antwortete der Bediente. Vater Geronimo hat die Nachricht selbst überbracht; er ist unten bey Seiner Hoheit. Wo ist meine Mutter? sagte Matilde. In ihrem Zimmer, sie fragt nach Ihren Gnaden.

Manfred war mit Tages Anbruch aufgestanden, und in Hippolitens Gemach gegangen, um zu erforschen, ob sie etwas von Isabellen wisse. Während er sie ausfragte, benachrichtigte man ihn, daß Geronimo ihn zu sprechen verlange. Manfred ließ sich von der Ursache nichts träumen, die den Mönch herbrachte. Er wuste, daß ihn Hippolite als ihren Almosenier gebrauchte, und befahl ihm hereinzukommen, weil er beyde zusammen lassen wollte, um indessen seine Nachforschungen nach Isabellen fortzusetzen. Gilt Ihr Besuch mir oder der Fürstin? fragte Manfred. Beiden, antwortete der ehrwürdige Mann. Fräulein Isabelle – Was wissen Sie von ihr? unterbrach ihn Manfred eifrig – Sie steht am Altar Sankt Nicola, erwiederte Geronimo. Das geht meine Gemahlin nicht an, sprach Manfred bestürzt; folgen Sie mir in[89] mein Zimmer, Vater, und belehren Sie mich, wie sie dorthin gekommen ist? Nein, gnädiger Herr, antwortete der gute Alte, mit einem Ausdruck von Festigkeit und Ansehn, das selbst dem entschlossenen Manfred Einhalt that, der nicht umhin konnte, Geronimo's Heiligen gleiche Tugenden zu verehren: mein Auftrag geht Sie beyde an, und Ihre Hoheit werden mir erlauben, ihn in Ihrer beyder Gegenwart auszurichten. Erst aber, gnädiger Herr, muß ich die Fürstin fragen, ob ihr die Ursache von Fräulein Isabellens Entfernung aus der Burg bekannt ist? – Nein, auf meine Seele, sprach Hippolite. Beschuldigt mich Isabelle, daß ich darum gewußt habe? – Vater, unterbrach sie Manfred, ich hege alle schuldige Ehrerbietung gegen Ihren heiligen Stand; aber hier bin ich Herr, und werde nie zugeben, daß sich ein pfäffischer Unterhändler in meine häußlichen Angelegenheiten mische. Haben Sie etwas zu bestellen, so folgen Sie mir auf mein Zimmer. Ich bin nicht gewohnt, meine Gemahlin um geheime Staatsgeschäfte wissen zu lassen. Darum hat sich keine Frau zu bekümmern. Gnädiger Herr, antwortete der ehrwürdige[90] Mann, ich dränge mich nie zu Familiengeheimnissen. Mein Amt ist Frieden zu verbreiten, Zwiespalt zu heilen, Buße zu predigen, und den Menschen zu lehren, daß er seine ungezähmten Leidenschaften bändige. Ich verzeihe Ihrer Hoheit, daß Sie mich so unfreundlich angeredet haben, ich weiß meine Schuldigkeit, und bin der Diener eines mächtigern Herrn als Manfred. Hören Sie, was der zu Ihnen spricht, durch meinen Mund. Manfred bebte vor Wuth und Schaam. Auf Hippolitens Antlitz lag Erstaunen und Ungeduld, zu erfahren wo dies hinauslaufen würde, und ihr Stillschweigen bewies deutlich, wie gehorsam sie gegen Manfred sey. Fräulein Isabelle, hub Geronimo wieder an, empfiehlt sich Ihren Hoheiten beiderseits; beiden dankt sie für die Liebe, die Sie ihr in dieser Burg erwiesen haben. Sie beklagt den Verlust Ihres Sohnes, und ihr eignes Unglück, daß sie nun nicht die Tochter so weiser und edler Fürsten wird, die sie immer als Eltern verehren will; sie betet, daß Ihre Eintracht und Glückseligkeit untereinander nie unterbrochen werde. (Manfred veränderte die Farbe) Da es ihr nun aber nicht länger möglich[91] ist, Ihnen anzugehören, so ersucht sie um Ihre Einwilligung, daß sie an heiliger Stäte bleiben möge, bis sie Nachricht von ihrem Vater bekommen kann, oder durch die Gewißheit seines Todes, die Freyheit erhält, mit Einwilligung ihrer Vormünder, eine schickliche Heirath für sich zu treffen. Diese Einwilligung geb' ich niemals, sagte der Fürst; ich bestehe darauf, daß sie ohne Verzug in die Burg zurück kehre: ich muß ihren Vormündern für sie stehn, und werde sie in niemandes Gewahrsam dulden, als in der meinigen. Ihre Hoheit geruhen sich zu erinnern, versetzte der Mönch, ob das mit einigem Anstande hinführo geschehen kann? Ich brauche keinen Hofmeister, sagte Manfred erröthend. Isabellens Betragen giebt zu seltsamen Argwohn Anlaß, und der junge Bube, wenigstens ein Mitschuldiger ihrer Flucht, wo nicht deren Ursach – Deren Ursach? unterbrach ihn Geronimo. War ein junger Mann deren Ursach? Ich ertrag' es nicht länger! rief Manfred. Darf ein unverschämter Pfaff, mir in meinem eignen Pallast Trotz bieten? Ich wette, Sie sind der Vertraute ihrer Liebeshändel. Wäre Ihre Hoheit nicht in Ihrem[92] Gewissen überzeugt, sprach Geronimo, wie ungerecht Sie mich anklagen, so würd' ich zum Himmel beten, daß er Ihren lieblosen Verdacht aufkläre. Jetzt bete ich zum Himmel, daß er diese Lieblosigkeit vergebe. Und Ihre Hoheit beschwöre ich, die Prinzessin friedlich an der heiligen Stäte zu lassen, wo sie der Störung nicht ausgesetzt ist, so eitles und weltliches Geschwätz anhören zu müssen, als die Liebeserklärungen eines Mannes sind. Predige mir nicht, sprach Manfred, sondern geh, und führe die Prinzessin zu ihrer Pflicht zurück. Es ist meine Pflicht, antwortete Geronimo, mich ihrer Rückkehr hieher zu widersetzen. Wo sie ist, sind Waisen und Jungfrauen am besten verwahrt, vor den Schlingen und Tücken dieser Welt; und keine Macht, als die eines Vaters, soll sie von dort hinwegnehmen. Ich bin ihr Vater, schrie Manfred, und fordre sie! Sie wünschte Ihre Hoheit zum Vater zu haben, erwiederte der Mönch, aber der Himmel, der dieses Band untersagte, hat jede Verbindung unter Ihnen auf ewig zerrissen, und ich erkläre Ihnen, gnädiger Herr – Halt ein, Verwegner, unterbrach ihn Manfred, und fürchte[93] meinen Zorn! Ehrwürdiger Vater, sprach Hippolite, es ist Ihr Amt, niemands zu schonen. Sie reden nach Ihrer Pflicht. Meine Pflicht aber ist es, nichts zu hören, als was mein Gemahl will, daß ich hören soll. Folgen Sie dem Fürsten auf sein Zimmer. Ich will mich im Gebet nieder werfen, und die hochgebenedeyte Jungfrau anrufen, Sie mit ihrem heiligen Rath zu erfüllen, und dem Herzen meines gütigen Gebieters, seinen gewohnten Frieden und Sanftmuth wieder zu geben. Gott segne Ihre Hoheit, antwortete der Mönch. – Gnädiger Herr, ich folge Ihnen, wohin Sie befehlen.

Manfred ging mit dem Mönch in sein Gemach, und zog die Thür hinter sich zu. Vater, sagt' er, ich merke wohl, Isabelle hat Sie von meiner Absicht unterrichtet. Hören Sie jetzt meinen Entschluß, und gehorchen. Staatsgründe, dringende Gründe, meine und meines Volkes Wohlfahrt erfordern, daß ich einen Sohn erhalte. Vergeblich erwart' ich einen Erben von Hippoliten. Ich habe Isabellen gewählt. Sie müssen sie zurückbringen. Sie müssen mehr thun. Ich kenne Ihren[94] Einfluß auf Hippoliten, ihr Gewissen steht in Ihrer Hand. Ich gestehe Ihnen, es ist ein Weib ohne Fehler; ihre Seele trachtet nach dem Himmel, und verschmäht die kleinliche Größe dieser Welt. Sie können sie gänzlich davon abziehen. Ueberreden Sie sie, in unsre Ehescheidung zu willigen, und sich in ein Kloster zu begeben. Sie soll eines stiften, wenn sie will. Auch soll es ihr nicht an Mitteln gebrechen, so freygebig gegen Ihren Orden zu seyn, als Sie beide wünschen können. Auf diese Weise werden Sie das Unglück ab wenden, das über unsern Häuptern hängt, und sich das Verdienst erwerben, das Fürstenthum Otranto vom Untergange zu retten. Sie sind ein kluger Mann. Die Aufwallung meines Bluts verführte mich zu unschicklichen Ausdrücken, aber ich ehre Ihre Tugend, und wünsche Ihnen die Ruhe meines Lebens, und die Erhaltung meines Stammes, zu verdanken.

Des Himmels Wille geschehe! sprach der Mönch. Ich bin nur sein unwürdiges Werkzeug. Er bedient sich meiner Zunge, Fürst, Ihnen zu sagen, daß Ihr Vorhaben unverantwortlich sey. Die Leiden der tugendhaften Hippolite sind vor den Thron der[95] Gnade gedrungen. Ich bestrafe Sie, um Ihrer ehebrecherischen Absicht willen, sie zu verstoßen; ich warne Sie, die blutschänderische Nachstellung derjenigen aufzugeben, die Ihnen als Tochter versprochen war. Der Gott, der sie Ihrer Wuth entzog, als sein Gericht, das so kürzlich Ihr Haus betroffen hatte, Sie zu andern Gedanken auffordern sollte, wird auch fernerhin sie bewachen. Ich selbst, ein armer verachteter Klosterbruder, bin im Stande sie vor Ihrer Gewalt zu schützen. Ich sündiger Mensch, und lieblos von einem Fürsten geschmäht, als wär' ich der Mitschuldige solcher Liebeshändel, verachte die Bestechung, womit Sie sich einfallen lassen, meine Rechtschaffenheit zu versuchen. Ich liebe meinen Orden, ich schätze andächtige Seelen, ich verehre die Gottesfurcht der Fürstin; aber nie werde ich das Vertrauen hintergehen, daß sie in mich setzt; oder selbst der Sache der Religion, durch schändliche und sündige Gefälligkeit dienen. Warlich! die Wohlfahrt des Staats erfordert, daß Ihre Hoheit einen Sohn erhalten? Der Himmel spottet des kurzsichtigen Blickes der Menschen. Wessen Haus war noch gestern morgen so groß, so blühend[96] als Manfreds? Wo ist jetzt der junge Corrado? Gnädiger Herr, ich ehre Ihre Thränen, ich wünsche nicht sie zu hemmen. Geben Sie Ihnen Raum, mein Fürst, sie sprechen lauter im Himmel, für die Wohlfahrt Ihrer Unterthanen, als eine Ehe, die auf fleischliche oder ehrgeizige Begierden gegründet, nie gedeihen kann. Der Scepter, der vom Stamm Alfonso's auf den Ihrigen kam, mag durch keine Verbindung erhalten werden, welche die Kirche nie gestatten wird. Ist es der Wille des Allmächtigen, daß Manfreds Nahme untergehe, so ergeben Sie sich in seinen Rathschluß, gnädiger Herr, und verdienen Sie dadurch eine Krone, die nicht entwendet werden kann. Kommen Sie, gnädiger Herr, diese Traurigkeit steht Ihnen wohl, lassen Sie uns zu der Fürstin zurück kehren; sie ist von Ihrem grausamen Vorhaben nicht unterrichtet, auch wollte ich nicht weiter gehn, als Sie besorgt machen. Sie sahen, mit wie sanfter Geduld, mit welcher Erhabenheit der Liebe, sie hörte, sie den Umfang Ihrer Schuld zu hören verwarf. Ich weiß, sie verlangt Ihre Hoheit in ihre Arme zu schließen, und Sie ihrer unwandelbaren Zuneigung zu versichern.[97] Vater, sagte der Prinz, Sie mißverstehen meine Zerknirschung. Es ist wahr, ich ehre Hippolitens Tugenden, ich sehe auf sie als eine Heilige, und wünsche, es vertrüge sich mit dem Heil meiner Seele, das Band, das uns vereinigt, noch fester zu schlingen, – aber ach! Vater, Sie kennen meine bitterste Qual noch nicht! Es ist schon eine Weile her, daß ich über die Gesetzmäßigkeit unsrer Verbindung Gewissenszweifel habe. Hippolite ist mir im vierten Grade verwandt. Wir haben zwar darüber eine Erlassung. Ich muß aber erfahren, daß sie schon mit einem andern verlobt gewesen sey. Dies liegt mir schwer auf dem Herzen. Dieser widerrechtlichen Verheirathung schreib' ich die Strafe zu, womit Corrado's Tod mich heimsucht. Befreyen Sie mein Gewissen von dieser Last. Trennen Sie unsre Ehe, und vollenden Sie das gottselige Werk, daß Ihre Ermahnungen in meiner Seele begonnen haben.

Wie schneidend war die Betrübniß, die der gute Greiß empfand, als er diese Verkehrtheit des tückischen Fürsten gewahrte. Er zitterte vor Hippoliten, deren Verderben, wie er sah, beschlossen war; und[98] fürchtete, wenn Manfred die Hofnung verlöre, Isabellen wieder zu erhalten, so mögte sein ungeduldiges Verlangen nach einem Sohn, ihn zu einem andern Gegenstande führen, welcher der Versuchung von Manfreds Rang nicht so leicht widerstände. Eine Zeitlang blieb der ehrwürdige Alte in Nachdenken verloren. Endlich fing er an, sich etwas Gutes von der Verzögerung zu versprechen, und hielt es für das weiseste, wenn Manfred nicht ganz die Hofnung verlöre, Isabellen wieder zu erhalten. Von ihr wuste der Mönch, da sie Hippoliten liebte, und ihm bezeugt hatte, wie sehr sie Manfreds Bewerbung verabscheue, er könne sie vermögen, seine Absichten zu unterstützen, bis man Zeit gewönne, den Kirchenbann gegen eine Ehescheidung schleudern zu lassen. In diesem Vorhaben sprach er endlich, als hätten des Fürsten Gewissenszweifel Eindruck auf ihn gemacht: Gnädiger Herr, ich habe Ihrer Hoheit Reden erwogen. Ist wirklich ein zartes Gewissen der Bewegungsgrund, der Sie Ihrer tugendhaften Gemahlin entfremdet, so sey es fern von mir, daß ich unternehmen sollte, Ich Herz zu verhärten. Die Kirche ist eine nachsichtige[99] Mutter. Schütten Sie Ihren Kummer in ihren Schoos. Nur sie kann Ihrer Seele Trost ertheilen, indem sie entweder Ihr Gewissen beruhigt, oder wenn sie Ihre Zweifel erheblich findet, Sie in Freyheit setzt, und Ihnen rechtmäßige Mittel verstattet, Ihren Stamm fortzupflanzen. Giebt im letztern Falle Fräulein Isabelle ihre Einwilligung – Manfred hielt dafür, er habe entweder den guten alten Mann überlistet, oder seine erste Aufwallung sey ein bloßer Zoll, den er dem Schein bezahlen müssen: daher war er mit dieser unvorbereiteten Wendung überaus vergnügt, und wiederholte die prächtigsten Versicherungen, falls es ihm durch des Mönchs Vermittelung gelingen sollte. Der wohlmeinende Geistliche ließ ihn sich selbst betrügen, fest entschlossen, seine Absichten zu vereiteln, anstatt sie zu unterstützen.

Da wir nun einander verstehn, Vater, hub der Fürst an, so erwarte ich, Sie werden mich über einen Punkt befriedigen. Wer ist der junge Bursche, den ich im Kreutzgange fand? Er muß Theil an Isabellen Flucht genommen haben. Sagen Sie mir die Wahrheit: ist er ihr Liebhaber?[100] oder ist er der Abgesandte einer fremden Leidenschaft? Oft hab' ich geargwohnt, Isabelle sey unempfindlich gegen meinen Sohn. Mir schweben tausend Umstände vor, die diesen Argwohn vermehren. Sie war sich dessen selbst so wohl bewust, daß sie, da ich mit ihr in der Gallerie sprach, meinem Verdacht zuvorkam, und mir versicherte, sie sey nie kalt gegen Corrado gewesen. Der Mönch, dem von dem jungen Menschen nichts bekannt war, außer was er gelegentlich von der Prinzessin erfahren hatte, der ausserdem nicht wuste, was aus ihm geworden sey, und Manfreds heisses Blut nicht genugsam in Betrachtung zog, ließ sich einfallen: es mögte vielleicht nicht übel seyn, den Saamen der Eifersucht in seiner Seele auszustreuen. Der könne nachher zu einigem Nutzen heranreifen; entweder um den Fürsten gegen Isabellen einzunehmen, wenn er auf dieser Verbindung bestände; oder doch, um seine Aufmerksamkeit eine unrechte Fährte zu leiten, und dadurch, daß man seine Gedanken mit einem erträumten Handel beschäftige, ihn von irgend einer neuen Unternehmung abzubringen. Diese unglückliche Weltklugheit bewog ihn, auf eine Weise[101] zu antworten, die Manfred in dem Glauben bestärkte, als sey zwischen Isabellen und dem Jüngling eine Verbindung. Der Fürst, dessen Leidenschaft nur wenig Zunder bedurfte, um in eine Flamme aufzulodern, ward wüthend bey dem Wink, welchen der Mönch ihm zu geben schien. Ich will diesen Schleicher bis auf den Grund kennen! rief er, verließ Geronimo plötzlich, gebot ihm seiner Rückkehr zu warten, eilte in die große Halle der Burg, und befahl den Landmann vorzuführen.

Verstockter junger Betrüger! rief der Fürst dem Jüngling entgegen, sobald er ihn sah; wie besteht jetzt die Wahrhaftigkeit, mit der du dich brüstest? Waren es Vorsehung und Mondschein, die das Schloß der Fallthür dir offenbarten? Sage mir, verwegner Junge, wer bist du? wie lange bist du mit der Prinzessin bekannt? und hüte dich, nicht so zweydeutig zu antworten, als diese Nacht, oder die Marterbank soll dich Wahrheit reden lehren. Der Jüngling merkte, daß sein Antheil an der Flucht der Prinzessin entdeckt sey, und urtheilte, was er auch jetzt sage, könne ihr nicht mehr zum Vortheil oder zum Schaden gereichen. Er antwortete[102] also: Gnädiger Herr, ich bin kein Betrüger, und verdiene keine Schmachreden. Jede Frage, die mir Ihre Hoheit diese Nacht vorlegten, habe ich so wahrhaftig beantwortet, als ich jetzt thun werde, und zwar nicht aus Furcht vor Martern, sondern weil meine Seele jede Falschheit verabscheut. Ich bitte Ihre Hoheit, Ihre Fragen zu wiederholen; ich bin bereit Ihnen genug zu thun, so viel in meiner Macht steht. Du weißt meine Fragen, versetzte der Prinz, und suchst nur Zeit für Ausflüchte zu gewinnen. Sprich grade heraus: wer bist du? und wie lange kennt dich die Prinzessin? Ich bin ein Feldarbeiter vom nächsten Dorf, antwortete der Jüngling; mein Nahme ist Theodor. Die Prinzessin fand mich verwichene Nacht im Kreuzgange: nie war ich zuvor in ihrer Gegenwart. Davon mag ich glauben, so viel mir beliebt, sprach Manfred; aber ich will deine Geschichte zu Ende hören, bevor ich ihre Wahrheit untersuche. Sprich weiter: welche Ursache führte die Prinzessin an, warum sie entfliehe? Dein Leben hängt von der Antwort ab. Sie sagte mir, erwiederte Theodor, sie stehe am Rande des Verderbens, und schwebe in Gefahr, in[103] wenig Augenblicken auf ewig unglücklich zu werden, wenn sie nicht aus der Burg entrinnen könne. Und auf diesen schwachen Grund hin, auf die Aussage eines albernen Mädchens, sprach Manfred, wagtest du mir zu mißfallen? Ich fürchte niemandes Mißfallen, versetzte Theodor, wenn ein unglückliches Frauenzimmer sich meinen Schutz begiebt. Während dieses Verhörs ging Matilde in Hippolitens Gemach. An dem obern Ende der Halle, wo Manfred saß, war eine bedeckte Gallerie mit Gitterfenstern, durch welche Matilde und Bianca gehen musten. Da sie ihres Vaters Stimme vernahm, und seine Diener um ihn versammelt sah, stand sie still, zu erfahren was es gäbe. Bald zog der Gefangene ihre Aufmerksamkeit an sich. Die feste und gesetzte Art, womit er antwortete, und der Edelmuth seiner letzten Erklärung, deren Worte das erste waren, was sie deutlich verstand, nahmen sie zu seinem Vortheil ein. Sein Wuchs war edel, schön, und selbst in dieser Lage ansehnlich, aber bald fiel ihr nichts so sehr auf, als sein Gesicht. Himmel! Bianca! träum' ich? sprach die Prinzessin leise, oder ist dieser Jüngling das wahre[104] Ebenbild von dem Gemälde Alfonso's in der Gallerie? Sie konnte nicht weiter reden, denn ihres Vaters Stimme ward lauter bey jedem Wort. Diese Prahlerey sprach er, geht noch weiter als alle deine vorige Unverschämtheit. Du sollst den Zorn empfinden, dessen du zu spotten wagst. Greift ihn, fuhr Manfred fort, und bindet ihn. Die erste Neuigkeit, welche die Prinzessin erfährt, sey, daß er ihrentwegen den Kopf verloren habe! Die Ungerechtigkeit, die Sie sich gegen mich zu Schulden kommen lassen, erwiederte Theodor, überzeugt mich, daß ich eine gute That verrichtete, da ich die Prinzessin von Ihrer Tyranney befreyte. Möge sie glücklich seyn, was auch aus mir wird! Dies ist ein Liebhaber! rief Manfred wüthend. Solche Empfindungen hegt kein Bauer, wenn er dem Tode ins Gesicht sieht. Entdecke mir, rascher Knabe, wer du bist, oder die Folter soll dir das Geheimniß entreissen! Sie haben mich schon mit dem Tode bedroht, antwortete der Jüngling, weil ich Ihnen die Wahrheit sagte. Findet meine Aufrichtigkeit keine andre Ermunterung, so versucht mich das nicht, eitle Neugier weiter zu befriedigen.[105] Du willst also nicht sprechen? fragte Manfred. Nein, erwiederte er. Führt ihn auf den Hofplatz, sprach Manfred. Man soll ihm sogleich das Haupt abschlagen. Matilde fiel bey diesen Worten in Ohnmacht. Bianca schrie: zu Hülfe! zu Hülfe! die Prinzessin stirbt! Manfred fuhr bey diesem Aufruf zusammen, und fragte, was es gäbe? Der junge Landmann hörte ihn auch, ward mit Grausen erfüllt, und fragte eifrig eben das. Aber Manfred befahl, ihn schleunigst in den Hof hinabzuführen, und dort alles zu seiner Hinrichtung bereit zu halten, bis er die Ursache von Bianca's Geschrey erfahren haben werde. Als er hörte, was es bedeute, nannte er es eine Anwandlung weibischen Schreckens, befahl, Matilden in ihr Gemach zu bringen, eilte auf den Hof, rief einen von seiner Wache, und gebot Theodoren nieder zu knien, daß er den Todesstreich empfänge.

Der unerschrockene Jüngling hörte dies Urtheil, mit einer Ergebung, die jedes Herz rührte, außer Manfreds. Er wünschte sehnlichst zu wissen, was die Worte bedeuteten, womit man der Prinzessin erwähnte; aber er gab es auf, aus Besorgniß, den[106] Tyrannen noch mehr gegen sie aufzubringen. Nur eine Gnade, ließ er sich herab, zu erbitten, daß man ihm einen Beichtiger erlauben möge, um sich mit dem Himmel versöhnen zu können. Manfred hofte durch den Beichtvater, die Geschichte des Jünglings zu erfahren, und bewilligte diese Forderung gern. Aus Ueberzeugung, daß Vater Geronimo es jetzt mit ihm halte, befahl er ihn zu rufen, daß er des Gefangenen Beichte höre. Der ehrwürdige Mann, der nichts weniger vorhergesehen hatte, als daß seine Unvorsichtigkeit zu einem solchen Ausgange führen würde, fiel dem Fürsten zu Füssen, und beschwor ihn auf die feyerlichste Weise, unschuldiges Blut nicht zu vergiessen. Er klagte sich mit den bittersten Ausdrücken der Unbedachtsamkeit an, versuchte den Jüngling zu entschuldigen, und ließ nichts unerprobt, die Wuth des Tyrannen zu mildern. Manfred vielmehr aufgebracht, als zufrieden gesprochen, durch Geronimo's Vermittelung, dessen Widerruf ihn jetzt argwöhnen ließ, daß er von beyden hintergangen sey, befahl dem Mönch, seine Schuldigkeit zu thun, und setzte hinzu, er wolle dem Gefangenen nicht viele Minuten[107] Zeit lassen, seine Sünden zu bekennen. Auch bedarf ich dazu nicht vieler, gnädiger Herr, sagte der unglückliche junge Mann. Die Zahl meiner Sünden, ist, Dank dem Himmel! nicht ansehnlich, noch sind sie schwerer, als man bey meinen Jahren erwarten kann. Trocknen Sie Ihre Zähren, guter Vater, und lassen Sie uns eilen. Dies ist eine böse Welt, und ich habe keine Ursach, sie ungern zu verlassen. Armer Jüngling! sprach Geronimo: wie kannst du meinen Anblick geduldig ertragen? Ich bin dein Mörder. Ich habe diese Stunde des Verderbens über dich gebracht! Ich vergebe Ihnen von Herzen, sagte der Jüngling, wie ich hoffe, daß mein himmlischer Vater mir vergeben wird. Hören Sie meine Beichte, Vater, und geben Sie mir Ihren Seegen. Wie kann ich dich, sprach Geronimo, meiner Pflicht gemäß, zu diesem Uebergange vorbereiten? Du kannst nicht selig werden, wenn du deinen Feinden nicht vergiebst: kannst du dem grausamen Fürsten dort vergeben? Ich kann es, antwortete Theodor, ich vergeb' ihm. Erweicht dies Ihrer Hoheit Strenge nicht? fragte Geronimo. Ich sandte dich, ihn Beichte zu hören,[108] sprach Manfred unerschüttert, nicht seinen Anwald zu machen. Du hast mich zuerst gegen ihn aufgehetzt, sein Blut komm' über dich! Das wird es, das wird es, sprach der Geistliche, der vor Schmerz beynahe versank. Sie und ich dürfen niemals hoffen, dahin zu gehen, wohin dieser gesegnete Jüngling geht. Eile! befahl ihm Manfred, Pfaffenthränen rühren mich so wenig, als Weibergeschrey. Ist es möglich? sagte der Jüngling, ist das Schicksal ganz so unbarmherzig, als ich vernehme? ist die Prinzessin wieder in Ihrer Gewalt? Du weckst meinen Zorn, sprach Manfred. Bereite dich, dies ist dein letzter Augenblick! Der Jüngling fühlte seinen Unwillen empor streben, aber ihn jammerte des Kummers, den er über alle Umstehende, wie über den Klosterbruder verbreitet sah, darum unterdrückte er diese Aufwallung, zog seine Weste aus, öfnete seinen Hemdekragen, und kniete nieder zum Gebet. Da er sich bückte, glitt ihm das Hemd die Schulter herab, und enthüllte das Mahl eines blutigen Pfeils. Gütiger Himmel! rief der ehrwürdige Alte mit Entsetzen, was seh' ich? es ist mein Sohn! mein Theodor![109]

Den Eindruck welchen dies machte, muß man fühlen. Wer kann ihn beschreiben? Die Thränen derer, die dabey standen, waren mehr durch Verwunderung aufgehalten, als durch Freude erstickt. Es schien, als forschten sie in den Augen ihres Herrn, was sie fühlen sollten. Ueberraschung, Zweifel, Zärtlichkeit und Ehrfurcht, wechselten in des Jünglings Antlitz. Mit bescheidener Demuth nahm er die Ergießung der Zähren und Umarmungen des Alten auf. Doch scheute er sich, der Hofnung den Zügel schießen zu lassen. Was vorgegangen war, ließ ihn argwöhnen, Manfreds Stimmung wäre nicht zu beugen. Er warf einen fragenden Blick auf den Prinzen: bleibst du bey diesem Auftritt unbewegt?

Manfreds Herz war fähig gerührt zu werden. Sein Zorn wich dem Erstaunen, aber sein Stolz verbot ihm, diese Empfindungen zu gestehn. Es fiel ihm sogar ein, die Erkennung sey vielleicht nur eine List, deren der Mönch sich bediene, den Jüngling zu retten. Was soll das bedeuten? fragt' er. Wie kann er Ihr Sohn seyn? Besteht es mit Ihrem Amt, und dem Geruch Ihrer Heiligkeit, den[110] Sohn eines Bauren für die Frucht Ihrer zügellosen Liebe zu erkennen? O Gott! erwiederte der Alte, zweifelt Ihre Hoheit, ob er mir angehört? Könnte ich die Beklemmung empfinden, die ich fühle, wenn ich nicht sein Vater wäre? Schonen Sie seiner, guter Fürst, schonen Sie seiner. Setzen Sie mich so tief herab, wie Sie wollen. Schonen Sie seiner, schonen Sie seiner, gnädiger Herr, riefen die Umstehenden, um des guten alten Mannes willen! Schweigt! sprach Manfred störrig, ich muß mehr wissen, bevor ich geneigt werde zu vergeben. Eines Heiligen Bankert mag kein Heiliger seyn! Gnädiger Herr, sprach Theodor, häufen Sie nicht Beleidigung mit Grausamkeit. Bin ich der Sohn dieses ehrwürdigen Mannes, so fließt edles Blut in meinen Adern, wenn gleich kein Fürstenblut. – Ja, es ist edles Blut, unterbrach ihn der Mönch, er ist nicht der Verworfne, Gnädiger Herr, für den Sie ihn halten. Er ist aus rechtmäßiger Ehe von mir erzeugt, und Sicilien kennt wenig ältere Geschlechter, wie das Haus Falconara. Aber ach! gnädiger Herr, was ist Blut, was ist Adel? Wir alle sind kriechende, elende, sündenvolle Geschöpfe.[111] Nur Gottesfurcht allein vermag uns über den Staub empor zu heben, aus dem wir genommen wurden, und zu dem wir zurückkehren müssen. – Schenken Sie mir die Predigt, sprach Manfred, Sie vergessen, daß Sie nicht länger Bruder Geronimo sind, sondern Graf Falconara. Lassen Sie mich Ihre Geschichte erfahren. Himmlische Weisheit können Sie in der Folge genug anbringen, wenn es Ihnen etwa nicht gelingt, diesem hartnäckigen Verbrecher Gnade auszuwürken. Heilige Mutter! sagte der Mönch, würden Ihre Hoheit einem Vater das Leben seines einzigen, seines lange verlohrnen Sohnes abschlagen? Treten Sie mich mit Füssen, gnädiger Herr, verachten Sie mich, verschmähen Sie mich, nehmen Sie mein Leben für das seinige, nur verschonen Sie meinen Sohn. Können Sie also fühlen, fragte Manfred, wie es thut, wenn man seinen einzigen Sohn verliert? Noch vor einer Stunde predigten Sie mir vor, dem meinigen zu entsagen. Mein Haus darf untergehn, wenn es dem Schicksal so gefällt, aber das Gräfliche Falconara – Ach, gnädiger Herr! antwortete Geronimo, ich gestehe, ich habe Ihre Hoheit beleidigt;[112] aber erschweren Sie nicht die Leiden eines alten Mannes. Ich rühme mich meines Geschlechtes nicht, über solche Eitelkeiten bin ich hinaus, aber die Natur spricht in mir, für diesen Jüngling. Für ihn spricht das Gedächtniß des theuren Weibes, das ihn gebahr – sage mir Theodor, lebt sie noch? Ihre Seele ist lange bey den Auserwählten, erwiederte Theodor. O wie ist sie gestorben? rief Geronimo, erzähle mir – aber nein! sie ist wohl daran, und du bist in Lebensgefahr. – Gnädiger Herr, mein gebietender Fürst, wollen mir, wollen mir Ihre Hoheit das Leben meines armen Jungen schenken? Gehn Sie in Ihr Kloster, antwortete Manfred, führen Sie mir die Prinzessin zu, befolgen Sie den andern Auftrag, den ich Ihnen gab, und ich verspreche Ihnen das Leben Ihres Sohnes. O! gnädiger Herr, sprach Geronimo, soll ich meine Rechtschaffenheit ihm zum Lösegeld weggeben? Mir zum Lösegeld! rief Theodor. Lassen Sie mich tausendmal sterben, ehe Sie Ihr Gewissen beflecken? Was verlangt der Tyrann? Ist die Prinzessin noch vor ihm bewahrt? Schützen Sie die mein Vater, und das ganze Gewicht seines Zorns treffe mich! Geronimo[113] versuchte, der Heftigkeit des Jünglings einzuhalten, und ehe Manfred etwas erwiedern konnte, hörte man Rosse stampfen, und eine eherne Drommete, die ausserhalb des Schloßthores hing, ertönte zugleich. In dem nemlichen Augenblick bewegten sich die schwarzen Federn des bezauberten Helms, der immer noch am andern Ende des Hofes lag, wie im Sturm, und nickten dreymal, als habe sie ein unsichtbarer Träger erschüttert.

Quelle:
Walpole, Horace: Die Burg von Otranto. Berlin 1810, S. 71-114.
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