Vorrede der ersten englischen Ausgabe.

[7] Das folgende Werk fand sich in der Büchersammlung eines alten catholischen Geschlechts, im nördlichen Theile Englands. Es ward im Jahr 1529, in Mönchsschrift, in Neapel gedruckt. Wie viel früher es geschrieben worden, ersieht man nicht. Die Hauptvorfälle, welche es erzählt, sind von der Art, als zu den finstersten Zeiten des Christenthums Glauben fanden; aber Schreibart und Darstellung schmecken keinesweges nach Barbarey. Die Sprache ist rein Italiänisch. Wäre die Geschichte um eben die Zeit geschrieben, da sie sich zugetragen haben soll, so träfe das zwischen 1095, der Epoche des ersten Kreuzzuges, und 1243 als dem Zeitpunkt des letzten, oder nicht lange[7] nachher. Sonst stößt man auf keinen Umstand, der die Periode errathen ließe, worin die Scene versetzt ist. Die Nahmen der handelnden Personen sind offenbar erdichtet, und wahrscheinlich absichtlich verstellt. Doch lassen die spanischen Nahmen der Bedienten vermuthen, das Werk sey erst verfaßt, da die Gelangung arragonischer Könige zum Thron von Neapel, spanische Benennungen in diesem Lande gewöhnlich gemacht hatten. Die Schönheit der Sprache, und der Eifer des Schreibers, welchen doch eine seltne Urtheilskraft in Schranken hält, bereden mich anzunehmen, dieses Product sey wenig älter als die Buchdruckerkunst. Damals waren die Wissenschaften in Italien in ihrem blühendsten Zustande, und trugen das ihrige dazu bey, das Reich des Aberglaubens zu zerstören, das von den Kirchenverbesserern so heftig angefallen ward. Läßt es sich nicht denken, daß ein schlauer Pfaffe den Versuch wagen mogte, die Neuerer mit ihren eignen Waffen zu bekämpfen; und sich seines schriftstellerischen Talents bediente, um den Pöbel in alten Irrthümern und Aberglauben zu bestärken? War[8] dies seine Absicht, wahrlich! so verfuhr er schlau genug. Ein Werk wie das seinige wird hundert gewöhnliche Menschenseelen leichter fesseln, als die Hälfte aller Streitschriften, die von Luthers Zeiten bis auf gegenwärtige Stunde erschienen sind. Doch gebe ich diese Entwickelung des Zweckes meines Autors, nur als eine Möglichkeit. Was auch seine Absicht war, welche Wirkung ihre Ausführung auch hervorgebracht haben mag; sein Werk kann der jetzigen Lesewelt, blos als ein Gegenstand der Unterhaltung, vorgelegt werden. Und selbst in dieser Rücksicht, bedarf es einer Schutzschrift. Wunderwerke, Erscheinungen, Zaubermittel, Träume, und was sonst übernatürlich heißt, ist jetzt sogar aus Romanen verbannt. Das war nicht der Fall als mein Autor schrieb, und noch weniger als die Geschichte sich begeben haben soll, die er aufzeichnet. In jenen Jahrhunderten der Finsterniß, war der Glaube an das Uebernatürliche jeder Art so fest gegründet, daß ein Schriftsteller den Sitten der Zeiten nicht treu bleiben würde, wenn er desselben gar nicht erwähnte. Er ist nicht verbunden daran[9] zu glauben, aber den Leuten die er aufstellt, muß er ihren Glauben nicht absprechen.

Kann der Leser diesen Anstrich des Wunderbaren entschuldigen, so wird er alles übrige seiner Durchsicht wehrt finden. Man gebe nur die Möglichkeit der Thatsachen zu, und alle handelnden Personen betragen sich, wie jedermann in ihrer Lage thun würde. Es giebt hier keinen Schwulst, Gleichnisse, Blumen, Ausschweifungen, oder unnöthige Beschreibungen. Jede Begebenheit zweckt geradezu auf die Entwickelung. Des Lesers Aufmerksamkeit bleibt gespannt. Ich mögte sagen, das Ganze sey nach dramatischen Regeln behandelt. Die Charactere sind gut gezeichnet, und noch besser gehalten. Des Schriftstellers vorzüglichste Triebfeder ist Schrecken, nie läßt es seine Geschichte ermatten, und steht so oft dem Mitleid gegen über, daß sich die Seele in einer beständigen Abwechslung herzangreifender Gefühle befindet.

Es mag Leser geben, denen die Schilderung der Bedienten, gegen den Totaleindruck der Geschichte, nicht ernsthaft genug gehalten[10] dünkt; aber eben dadurch contrastiren sie gegen die Hauptpersonen; und mir scheint gerade die Art, wie mein Autor seine untergeordneten Mitspieler gebraucht, sehr empfehlungswürdig. Von ihnen erfahren wir manches, das wesentlich zur Geschichte gehört, und doch nur durch Naivetät und Einfalt an den Tag gebracht werden konnte; besonders aber tragen Bianca's weibliche Furcht und Schwachheiten, im letzten Abschnitt, wesentlich dazu bey, die Entwickelung zu befördern. Natürlicher Weise ist ein Uebersetzer für das Stiefkind seines Geistes eingenommen. Dem unpartheyischen Leser werden seine Schönheiten minder rühren, als mich. Doch ganz blind, gegen die Mängel meines Originals, bin ich nicht. Ich wünschte der Plan desselben gründete sich auf eine nützlichere Lehre, als darauf: daß die Sünden der Väter an ihren Kindern heimgesucht werden, bis ins dritte und vierte Glied. Ich zweifle, ob der Ehrgeiz, aus Furcht vor einer so entfernten Strafe, sein Gelüsten nach Herrschsucht, zu jener Zeit mehr wie zu der meinigen, in Zaum gehalten habe. Und sogar diese Lehre, wird durch einen versteckteren[11] Wink entkräftet: daß man auch einen solchen Fluch, durch Andacht zum heiligen Niklas, von sich abwenden könne. Hier gilt dem Mönch sein Eigennutz offenbar mehr, als dem Schriftsteller sein Verstand. Aber trotz dieser Fehler, verspreche ich dem Werkchen eine günstige Aufnahme. Die Frömmigkeit die in jeder Zeile athmet, die Tugendregeln die es predigt, und die strenge Unbeflecktheit der Gefühle die es schildert, überheben dieses Buch einem Tadel, den Romane nur zu häufig verdienen. Sollte es so viel Beyfall finden als ich hoffe, so entschließe ich mich vielleicht, das italiänische Original drucken zu lassen, obgleich meine Arbeit dadurch unendlich verlieren wird. Welschlands Sprache läßt die meinige, an Reizen der Mannigfaltigkeit und des Wohlklanges, weit hinter sich zurück. Besonders treflich schickt sie sich, für die Einfalt der Erzählung. Wir finden es sehr schwer, etwas wieder zu sagen, ohne entweder zu gemein zu werden, oder zu hochtrabend. Die Ursache dieser Verlegenheit liegt am Tage. Wir geben uns zu wenig Mühe, im gemeinen Leben rein zu sprechen. Hingegen hält[12] jeder Italiäner oder Franzose, von einigem Range, viel darauf, sich in seiner Sprache richtig und mit Auswahl auszudrücken. Ich darf mir in dieser Rücksicht nicht schmeicheln, daß ich meinem Autor Gerechtigkeit wiederfahren lasse; seine Sprache ist eben so zierlich, als meisterhaft seine Behandlung der Leidenschaften; nur Schade daß er seine Talente nicht dafür anwandte, wofür die Natur sie bestimmt zu haben schien, für die Bühne.

Eine kurze Bemerkung noch, und ich halte meinen Leser nicht länger auf. Obwohl die Machinerie Erfindung ist, und die Nahmen der handelnden Personen erdacht, so kann ich doch nicht umhin zu glauben, die Hauptvorfälle der Geschichte gründen sich auf etwas wahres. Die Scene selbst ist zweifelsohne aus einer wirklichen Burg entlehnt. Unwillkührlich entwischt dem Schriftsteller, hie und da, ein Umstand in seiner Beschreibung, der auf etwas hindeutet, was er sah. Die Kammer rechter Hand; die Thür linker Hand; die Entfernung von der Capelle bis zu Corrado's Zimmer: diese und ähnliche Stellen,[13] erwecken eine starke Vermuthung, daß der Schreiber irgend ein Gebäude vor Augen hatte. Wißbegierige Gelehrte, die zu einer solchen Untersuchung Muße genug besitzen, entdecken vielleicht, in italiänischen Schriftstellern, den Grund auf welchem unser Autor baute. Kann man glauben, daß eine wirkliche Begebenheit dieses Werkchen veranlaßt habe, so wird der Leser desto mehr Theil daran nehmen, und die Geschichte der Burg von Otranto seinem Herzen näher legen.


Wilhelm Marshal.

Quelle:
Walpole, Horace: Die Burg von Otranto. Berlin 1810, S. 7-14.
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Die Burg von Otranto
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