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[175] Zu den Kumpanen Niels Heinrich Engelschalls gehörte Joachim Heinzen, der Sohn des verunglückten Metallarbeiters, ein höchst einfältiger Mensch. Sein wahlloser Hang zum weiblichen Geschlecht gab ihn bösartigen Scherzen preis, und da infolge der Lächerlichkeit, die ihm anhaftete, sich jedes Frauenzimmer hütete, in seiner Gesellschaft gesehen zu werden, erfaßte ihn nach und nach eine stille Wut, die den Umgang mit ihm gefährlich machte, obwohl er im allgemeinen ziemlich gutmütig war.

Neben einigen andern Weibern hatte die rote Hedwig sein Gefallen erregt. Er schlich ihr im Dunkeln nach, und in den Kneipen setzte er sich an einen Tisch in ihrer Nähe und stierte sie an. Sie wies seine Annäherungsversuche höhnisch zurück, auch als er einen Vermittler mit Geldversprechungen zu ihr schickte. Solange sie in vertrauten Beziehungen zu Niels Heinrich Engelschall stand, wagte er nichts weiter zu unternehmen, und sein Interesse schien sogar abgekühlt, aber nachdem ihr dieser den Laufpaß gegeben hatte, fing er wieder an, ihr nachzustellen. Seine Mühe war so fruchtlos wie vorher.

Da kam ihm Niels Heinrich selber zu Hilfe. Er erbot sich, ihm die rote Hedwig zu verschaffen, wenn er ihm einen blauen Lappen zahlen wolle. Joachim Heinzen zögerte, eine so große Summe aufzuwenden. Sie wurden in dem Sinne handelseins, daß er vorläufig die Hälfte des Kuppelpreises entrichtete, die andre Hälfte sollte in Raten gezahlt werden. Die rote Hedwig, durch Niels Heinrich in Angst gesetzt, war ihm wohl ein paarmal zu Willen, aber er fand nicht das erhoffte Vergnügen bei ihr, denn seit dem Bruch mit dem früheren Liebhaber betrank sie sich täglich und führte wüste Szenen auf. Er behauptete, Niels Heinrich habe ihn übers Ohr gehauen, weigerte sich, die Raten zu zahlen, und forderte auch die fünfzig Mark zurück. Sie gerieten in Streit.[176]

Niels Heinrich fürchtete den Dummkopf nicht, und es wäre ihm ein leichtes gewesen, sich ihn vom Halse zu schaffen, aber da er unbeschränkte Herrschaft über ihn besaß und ihn bei verschiedenen Gelegenheiten für nützlich befunden hatte, wollte er es nicht bis aufs äußerste kommen lassen und traf Anstalten, ihn zu begütigen. Er zeichnete ihn schmeichelhaft aus, erlaubte ihm, in der Kneipe an seiner Seite zu sitzen, und ergriff bei Spöttereien und Händeln seine Partei. In seinem Hirn entstand Verworfenes und zog mit zielvoller Langsamkeit Kreis um Kreis. Finstere Pläne beschäftigten ihn, waren aber noch ohne festen Umkreis. Er erwählte sich eine Kreatur und war sich über ihre Verwendung noch nicht im klaren; er sah bloß die Brauchbarkeit zu jedem, auch zum schrecklichsten Dienst und dabei einen gewissen Grad von Unschuld. Vielleicht gewann ein Vorhaben, mit dem seine Gedanken nur zynisch und bildlos gespielt, erst in dem Sklavenblick des geistesschwachen Individuums Greifbarkeit; vielleicht entzündete ihn dies, flößte ihm Mut ein und machte seine Phantasie, die am Abgrund des Menschlichen hing, ausschweifend.

Er sagte zu Joachim, mit der roten Hedwig sei nichts los; die sei eine abgetakelte Schraube, ein verpestetes Aas. Da könne er ganz andre haben, wenn er nur die Augen auftun wolle. Ha, da gäbe es welche, nach denen müsse man sich die Finger lecken; ein Graf könne sich gratulieren. Da gäbe es welche, da und da, und dort und dort, solche und solche, sein, pikfein, namentlich von Leibesart. Na wo denn? wer denn? schnappte der armselige Kerl. Da wisse er zum Beispiel eine Jüdin, erklärte Niels Heinrich mit Feixen, Donnerlittken, wei Backe; die müsse man sehen. Wie 'n geschältes Ei. Stramm auf den Beinen. So und so; nicht zu fett, nicht zu mager; Augen wie die Irländerin im Kientopp, Haare wie der geschniegelte Schwanz von nem Vollblut, das zum Start geht; alles übrige direktemang zum Reinbeißen. »Nanu wirds Dag,« antwortete Joachim Heinzen verblüfft, »Junge, Junge.«[177]

Es verursachte Niels Heinrich ein düsteres Behagen, dem Menschen immer wieder von der Jüdin zu erzählen. Er erfüllte ihn damit; er reizte ihn auf damit. Er richtete die unflätigen Begierden des Idioten auf ein Wesen, das dieser noch nicht einmal erblickt hatte. Außerdem malte er sie für sich selbst, steigerte sich, hetzte sich, machte sich selber ungeduldig, hielt sich selber zum besten, um im Zorn über das Unerreichbare die stechen Geburten seiner Einbildung auf die Möglichkeit der Verwirklichung zu prüfen. Er nahm Joachim in die Stolpische Straße mit, und sie lauerten gemeinsam auf Ruths Heimkehr. Da zeigte er ihm das Mädchen, und sie gingen hinter ihr bis zur Stiege. Ruth war tief geängstigt.

Es fügte sich dann, daß sie von einer Studentin, die in der Czernikauer Straße wohnte, auf die merkwürdigen Heilerfolge des alten Heinzen aufmerksam gemacht wurde; aber als sie hinging, wußte sie nicht, daß Joachim Heinzen der eine ihrer Verfolger war, erkannte ihn auch nicht, als sie ihn im Zimmer gewahrte. Sie war nur beunruhigt durch sein entgeistertes Glotzen.

Aufgeregt meldete Joachim seinem Beschützer, daß er die Jüdin, die er bereits wie seine Leibeigene betrachtete, bei seinem Vater gesehen. »Na, Junge, so 'n Dussel,« sagte Niels Heinrich kalt. Über die Wunderkuren des alten Heinzen hatte er sich schon früher mit giftigem Hohn geäußert. So tat er auch jetzt und fügte hinzu, wenn die Jüdin bei Vater Heinzen gewesen sei, habe es nur den Grund, daß sie ein Auge auf Joachim geworfen habe; das leide nicht den mindesten Zweifel. Joachim grinste. In der Spelunke »Zum grünen Hund«, wo sie nächtlicherweile verkehrten, hatte Niels Heinrich mit überlegter Berechnung dafür gesorgt, daß die vermeintlich in Sicht stehende Liebschaft des Idioten von vielen besprochen und glossiert wurde. Daß man ihn hänselte, merkte Joachim nicht. Er zog Niels Heinrich beiseite und fragte, wie er sich der Jüdin am schnellsten nähern könne; Niels Heinrich schaute[178] ihn spöttisch an und sagte, der Zeitpunkt sei noch zu verschieben, solches müsse schlau eingefädelt werden; die Jüdin sei mißtrauisch und überdies eins von den neumodischen studierten Menschern, der dürfe man nicht so klatrig kommen, das müsse mit Eleganz gedeichselt werden. Aber der einfältige Mensch ließ nicht nach. Er sagte, er wolle zu ihr in die Wohnung gehen und sie für Sonntag zum Ball bei Knotze einladen. Niels Heinrich schlug eine Lache auf. »Du hast woll 't jroße Traller?« versetzte er; »verrückt und drei macht neune.« Sein Gesicht verfärbte sich, dann lachte er von neuem und sagte: »Minne, mach Licht, oder ick sterbe im Dustern.«

»Warten und aufpassen,« sagte er; »die Judenschickse wird in den nächsten Tagen wieder bei Vater Heinzen vorkommen; da leg ich zehn gegen eins für. Ich stell nen Spion auf Posten, und du bleib hübsch zu Hause und sieh zu, daß du die richtige Zeit nicht verbummelst.«

Er schlug ihm die Hand auf die Schulter; er stand da wie ein Pfahl, eng, dürr, spitz. Auf dem Damm gegen Weißensee schmetterten die Räder eines Schnellzugs auf den Schienen.

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 175-179.
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