Dritter Aufzug

[470] Man sieht einen mit elektrischen Lampen erleuchteten Gartensaal, von dem aus eine breite Glastür in der rechten Seitenwand in den Garten hinausführt. Die Mitteltür in der Hinterwand führt ins Speisezimmer, in dem getafelt wird. Beim Öffnen der Tür erblickt man das obere Ende der Tafel. In der linken Seitenwand eine Tür mit Portiere zum Spielzimmer, durch das man ebenfalls in den Speisesaal gelangt. Neben derselben ein Pianino. Rechts vorn ein Damenschreibtisch, links vorn eine Causeuse, Sessel, Tischchen u.a. In der Ecke rechts hinten führt eine Tür zum Vorplatz. Im Speisezimmer wird ein Toast ausgebracht. Während die Gläser erklingen, kommen Sommersberg, in dürftiger Eleganz, und von Keith, im Gesellschaftsanzug, durch die Mitte in den Salon.


VON KEITH die Tür hinter sich schließend. Sie haben das Telegramm aufgesetzt?

SOMMERSBERG ein Papier in der Hand, liest. »Die Gründung der Münchner Feenpalast-Gesellschaft versammelte gestern die Notabilitäten der fröhlichen Isarstadt zu einer äußerst animierten Gartenfeier in der Villa des Marquis von Keith in der Briennerstraße. Bis nach Mitternacht entzückte ein großartiges Feuerwerk die Bewohner der anliegenden Straßen. Wünschen wir dem unter so günstigen Auspizien begonnenen Unternehmen ...?«

VON KEITH. Ausgezeichnet! – Wen schicke ich denn damit aufs Telegraphenamt ...?

SOMMERSBERG. Lassen Sie mich das besorgen. Auf all den Sekt hin tut es mir gut, etwas frische Luft zu schöpfen.


Sommersberg nach dem Vorplatz ab; im gleichen Moment kommt Ernst Scholz herein; er ist in Gesellschaftstoilette und Paletot.


VON KEITH. Du läßt lange auf dich warten![470]

SCHOLZ. Ich komme auch nur, um dir zu sagen, daß ich nicht hier bleibe.

VON KEITH. Dann macht man sich über mich lustig! Der alte Casimir läßt mich schon im Stich; aber der schickt doch wenigstens ein Glückwunschtelegramm.

SCHOLZ. Ich gehöre nicht unter Menschen! Du beklagst dich, du stehest außerhalb der Gesellschaft; ich stehe außerhalb der Menschheit!

VON KEITH. Genießt du denn jetzt nicht alles, was sich ein Mensch nur erträumen kann?!

SCHOLZ. Was genieße ich denn! Der Freudentaumel, in dem ich schwelge, läßt mich zwischen mir und einem Barbiergesellen keinen Unterschied mehr erkennen. Allerdings habe ich für Rubens und Richard Wagner schwärmen gelernt. Das Unglück, das früher mein Mitleid erregte, ist mir durch seine Häßlichkeit schon beinahe unausstehlich. Um so andächtiger bewundere ich dafür die Kunstleistungen von Tänzerinnen und Akrobatinnen. – Wäre ich bei alledem aber nur um einen Schritt weiter! Meines Geldes wegen läßt man mich allenfalls für einen Menschen gelten. Sobald ich es sein möchte, stoße ich mit meiner Stirn gegen unsichtbare Mauern an!

VON KEITH. Wenn du die Glückspilze beneidest, die aufwachsen, wo gerade Platz ist, und weggeblasen werden, sobald sich der Wind dreht, dann suche kein Mitleid bei mir! Die Welt ist eine verdammt schlaue Bestie, und es ist nicht leicht, sie unterzukriegen. Ist dir das aber einmal gelungen, dann bist du gegen jedes Unglück gefeit.

SCHOLZ. Wenn dir solche Phrasen zur Genugtuung gereichen, dann habe ich auch in der Tat nichts bei dir zu suchen.


Will sich entfernen.


VON KEITH hält ihn auf. Das sind keine Phrasen! Mir kann heute kein Unglück mehr etwas anhaben. Dazu kennen wir uns zu gut, ich und das Unglück. Ein Unglück ist für mich eine günstige Gelegenheit wie jede andere. Unglück kann jeder Esel haben; die Kunst besteht darin, daß man es richtig auszubeuten versteht!

SCHOLZ. Du hängst an der Welt wie eine Dirne an ihrem Zuhälter.[471] Dir ist es unverständlich, daß man sich zum Ekel wird wie ein Aas, wenn man nur um seiner selbst willen existiert.

VON KEITH. Dann sei doch in des Dreiteufels Namen mit deiner himmlischen Laufbahn zufrieden! Hast du erst einmal dieses Fegefeuer irdischer Laster und Freuden hinter dir, dann blickst du auf mich elenden armseligen Sünder wie ein Kirchenvater herab!

SCHOLZ. Wäre ich nur erst im Besitz meiner angeborenen Menschenrechte! Lieber mich wie ein wildes Tier in die Einöden verkriechen als Schritt für Schritt meiner Existenz wegen um Verzeihung bitten müssen! – – Ich kann nicht hierbleiben. – Ich begegnete gestern der Gräfin Werdenfels. – Wodurch ich sie gekränkt habe, das ist mir einfach unverständlich. Vermutlich verfiel ich unwillkürlich in einen Ton, wie ich ihn mir im Verkehr mit unserer Simba angewöhnt habe.

VON KEITH. Ich habe von Frauen schon mehr Ohrfeigen bekommen, als ich Haare auf dem Kopfe habe! Hinter meinem Rücken hat sich aber deswegen noch keine über mich lustig gemacht!

SCHOLZ. Ich bin ein Mensch ohne Erziehung! – und das gegenüber einer Frau, der ich die allergrößte Ehrerbietung entgegenbringe!

VON KEITH. Wem wie dir von Jugend auf jeder Schritt zu einem seelischen Konflikt auswächst, der beherrscht seine Zeit und regiert die Welt, wenn wir andern längst von den Würmern gefressen sind!

SCHOLZ. Und dann die kleine Simba, die heute abend hier bei dir als Aufwärterin figuriert! – Solch einer heikeln Situation wäre der gewandteste Diplomat nicht gewachsen!

VON KEITH. Simba kennt dich nicht!

SCHOLZ. Ich fürchte nicht, daß mir Simba zu nahetritt; ich fürchte Simba zu kränken, wenn ich sie hier ohne die geringste Veranlassung übersehe.

VON KEITH. Wie solltest du denn Simba damit kränken! Simba versteht sich hundertmal besser auf Standesunterschiede als du.

SCHOLZ. Auf Standesunterschiede habe ich mich gründlich verstehen gelernt! Das sind weiß Gott diejenigen Fesseln,[472] in denen sich der Mensch am allereindringlichsten seiner vollkommenen Ohnmacht bewußt wird!

VON KEITH. Glaubst du vielleicht, ich habe mit keinerlei Ohnmacht zu kämpfen?! Ob mein Benehmen so korrekt wie der Lauf der Planeten ist, ob ich mich in die ausgesuchteste Eleganz kleide, das ändert diese Plebejerhand so wenig, wie es aus einem Dummkopf je eine Kapazität macht! Bei meinen Geistesgaben hätte ich mich ohne diese Hände auch längst eines besseren Rufes in der Gesellschaft zu erfreuen. – Komm, es ist sicherer, wenn du deinen Paletot im Nebenzimmer ablegst!

SCHOLZ. Erlaß es mir! Ich kann heute kein ruhiges Wort mit der Gräfin sprechen.

VON KEITH. Dann halte dich an die beiden geschiedenen Frauen; die laborieren in ähnlichen Konflikten wie du.

SCHOLZ. Gleich zwei auf einmal?!

VON KEITH. Keine über fünfundzwanzig, vollendete Schönheiten, uralter nordischer Adel, und so hypermodern in ihren Grundsätzen, daß ich mir wie ein altes Radschloßgewehr erscheine.

SCHOLZ. Ich glaube, mir fehlt auch nicht mehr viel zu einem modernen Menschen.


Scholz geht ins Spielzimmer ab; von Keith will ihm folgen, doch kommt im selben Moment Saranieff vom Vorplatz herein.


SARANIEFF. Sagen Sie, kriegt man noch was zu essen?

VON KEITH. Lassen Sie bitte Ihren Havelock draußen! – Ich habe noch den ganzen Tag nichts gegessen.

SARANIEFF. Hier nimmt man's doch nicht so genau. Ich muß Sie nur vorher etwas Wichtiges fragen.


Saranieff hängt Hut und Havelock im Vorplatz auf; derweil kommt Sascha in Frack und Atlas-Kniehosen mit einem gefüllten Champagnerkühler aus dem Spielzimmer und will in den Speisesaal.


VON KEITH. Wenn du nachher das Feuerwerk abbrennst, Sascha, dann nimm dich ja vor dem großen Mörser in acht! Der ist mit der ganzen Hölle geladen!

SASCHA. I hab koa Angst net, Herr Baron!


In den Speisesaal ab, die Tür hinter sich schließend.[473]


SARANIEFF kommt vom Vorplatz zurück. Haben Sie Geld?

VON KEITH. Sie haben doch eben erst ein Bild verkauft! Wozu schicke ich Ihnen denn meinen Jugendfreund!

SARANIEFF. Was soll ich denn mit der ausgepreßten Zitrone. Sie haben ihn ja schon bis aufs Hemd ausgeraubt. Er muß drei Tage warten, bis er mir einen Pfennig bezahlen kann.

VON KEITH gibt ihm einen Schein. Da haben Sie tausend Mark.


Simba, ein echtes Münchner Mädel, mit frischen Farben, leichtem Schritt, üppigem roten Haar, in geschmackvollem schwarzen Kleid mit weißer Latzschürze, kommt mit einem Tablett voll halbleerer Weingläser aus dem Speisesaal.


SIMBA. Der Herr Kommerzienrat möchten noch an Spruch auf den Herrn Baron ausbringen.


Von Keith nimmt ihr eines der Gläser ab und tritt inmitten der offenen Tür an die Tafel. Simba ins Spielzimmer ab.


VON KEITH. Meine Damen und Herren! Die Feier des heutigen Abends bedeutet für München den Beginn einer alles Vergangene überstrahlenden Ära. Wir schaffen eine Kunststätte, in der alle Kunstgattungen der Welt ihr gastliches Heim finden sollen. Wenn unser Unternehmen allgemeine Überraschung hervorgerufen, so seien Sie der Tatsache eingedenk, daß stets nur das wahrhaft Überraschende von großen Erfolgen gekrönt war. Ich leere mein Glas zu Ehren des Lebenselementes, das München zur Kunststadt weiht, zu Ehren des Münchner Bürgertums und seiner schönen Frauen.


Während noch die Gläser erklingen, kommt Sascha aus dem Speisesaal, schließt die Tür hinter sich und geht ins Spielzimmer ab. – Simba kommt mit einer

Käseglocke aus dem Spielzimmer und will in den Speisesaal.


SARANIEFF sie aufhaltend. Simba! Bist du denn mit Blindheit geschlagen?! Bemerkst du denn nicht, Simba, daß dein Genußmensch auf dem besten Wege ist, dir aus dem Garn zu gehen und sich von dieser Gräfin aus der Perusastraße einfangen zu lassen?![474]

SIMBA. Was bleibst denn da heraußen? – Geh her, setz dich mit an den Tisch!

SARANIEFF. Ich werde mich unter die Karyatiden setzen! – Simba! Willst du denn das ganze schöne Geld, das dein Genußmensch in der Tasche hat, diesem wahnsinnigen Marquis von Keith in den Rachen jagen?!

SIMBA. Geh, laß mi aus! I muaß servieren!

SARANIEFF. Die Karyatiden brauchen keinen Käse mehr! Die sollen sich endlich den Mund wischen! Setzt die Käseglocke auf den Tisch und nimmt Simba auf die Knie. Simba! Hast du denn gar kein Herz mehr für mich?! Soll ich mir von dem Marquis die Zwanzigmarkstücke unter Heulen und Zähneklappern erbetteln, während du die Tausendmarkscheine frisch aus der Quelle schöpfen kannst?!

SIMBA. I dank schön! Es hat mi fein noch koa Mensch auf dera Welt äso sekiert as wie der Genußmensch mit seim Mitg'fühl, seim damische! Mir will der Mensch einreden, daß ich a Märtyrerin der Zivilisation bin! Hast scho so was g'hört?! Ich und a Märtyrerin der Zivilisation! Ich hab ihm g'sagt: Sag du das dena Damen in der G'sellschaft, hab i g'sagt. Die freut's, wann's heißt, sie san Märtyrerinnen der Zivilisation, weil's sunst eh nix san! Wann ich an Schampus trink und mich amüsier, so viel ich Lust hab, nachher bin ich a Märtyrerin der Zivilisation!

SARANIEFF. Simba! Wenn ich ein Weib von deinen Qualitäten wäre, der Genußmensch müßte mir jeden feuchten Blick mit einer Ahnenburg aufwiegen!

SIMBA. Akkurat a solche Sprüch macht er a! Warum as er a Mann ist, fragt er mi. Als gäb's net schon G'spenster gnua auf dera Welt! Frag i denn an Menschen, warum daß ich a Madel bin?!

SARANIEFF. Du fragst auch nichts danach, uns wegen deiner verwünschten Vorurteile fünfzig Millionen aus dem Netz gehen zu lassen!

SIMBA. Mei, die traurigen Millionen! An oanzigs Mal, seit ich den Genußmenschen kenn, hab ich ihn lachen g'sehn. I hab ihm doch g'sagt, dem Genußmenschen, daß er muaß Radfahren lernen. Nachher hat er's g'lernt. Mir[475] also radeln nach Schleißheim, und wie mir im Wald san, bricht a G'witter los, daß i moan, d' Welt geht unter. Da zum erstenmal, seit ich ihn kenn, fangt er z'lachen an. Mei, wie der g'lacht hat! Na, sag i, jetzt bist der rechte Genußmensch! Bei jedem Blitzschlag hat er g'lacht. Je mehr als blitzt und donnert hat, je narrischer lacht der! – Geh, stell dich doch net unter den Baum, sag i, da derschlagt di ja der Blitz! – Mi derschlagt koa Blitz net, sagt er, und lacht und lacht!

SARANIEFF. Simba! Simba! Du hättest unmittelbare Reichsgräfin werden können!

SIMBA. I dank schön! Sozialdemokratin hätt i können werden. Weltverbesserung, Menschheitsbeglückung, das san so dem seine Spezialitäten. Noa, woaßt, ich bin fein net für die Sozialdemokraten. Die san mir z'moralisch! Wann die amal z'regieren anfangen, nachher da is aus mit die Champagnersoupers. – Sag du, hast mei Schatz net g'sehn?

SARANIEFF. Ob ich deinen Schatz nicht gesehen habe? Dein Schatz bin doch ich!

SIMBA. Da könnt a jeder kommen! – Woast, i muaß fein Obacht geben, daß er koan Schwips kriagt, sunst engagiert ihm der Marquis net für den neuen Feenpalast.


Sommersberg kommt vom Vorplatz herein.


SIMBA. Da is er ja! Wo steckst denn du die ganze Ewigkeit?

SOMMERSBERG. Ich habe ein Telegramm an die Zeitungen abgeschickt.

SARANIEFF. Die Gräber tun sich auf! Sommersberg! Und Sie schämen sich nicht, von den Toten aufzuerstehen, um Sekretär dieses Feenpalastes zu werden?!

SOMMERSBERG auf Simba deutend. Dieser Engel hat mich der Welt zurückgegeben.

SIMBA. Geh, sei stad, Schatzerl! – Kommt er und fragt mi, wo mer a Geld kriagt. – Geh halt zum Marquis von Keith, sag i; wann der koans hat, nachher findst in der ganzen Münchner Stadt koan Pfenning net.

RASPE in elegantester Gesellschaftstoilette, eine kleine Kette mit Orden auf der Brust, kommt aus dem Spielzimmer.[476] Simba, das ist einfach skandalös, daß du die ganze Feenpalastgesellschaft auf Käse warten läßt!

SIMBA ergreift die Käseglocke. Jesus Maria – i komm schon!

SARANIEFF. Bleiben Sie doch bei Ihren alten Schrauben, für die Sie engagiert sind!

SIMBA Raspes Arm nehmend. Laß mir du das Buberl in Ruh'! – Ihr beid' wärt's froh: wann's mitsamt aso guat g'stellt wart as wie der!

SARANIEFF. Simba – du bist eine geborene Dirne!

SIMBA. Was bin i?

SARANIEFF. Du bist eine geborene Dirne!

SIMBA. Sagst das noch amal?

SARANIEFF. Du bist eine geborene Dirne!!

SIMBA. Nein, ich bin keine geborene Dirne. Ich bin eine geborene Käsbohrer.


Mit Raspe ins Spielzimmer ab.


SOMMERSBERG. Ich diktiere ihr ja selbst ihre Liebesbriefe.

SARANIEFF. Dann habe ich mich also bei Ihnen für meine zertrümmerten Luftschlösser zu bedanken!

SASCHA kommt mit einer brennenden Laterne aus dem Spielzimmer.

SARANIEFF. Donnerwetter, bist du geschniegelt! Du willst hier wohl auch eine Gräfin heiraten?

SASCHA. Jetzt geh i das Feuerwerk im Garten abbrennen. Wann i den großen Mörser anzünd', na werden's aber schaun! Der Herr Marquis sagt, der is mit der ganzen Höll' g'laden. –


Ab in den Garten.


SARANIEFF. Sein Herr fürchtet, er könnte mit in die Luft fliegen, wenn er seinen Mörser mit dem Feuerwerk drinnen selbst abbrennt! – Das Glück weiß sehr wohl, warum es den nicht aufsitzen läßt! – Sobald er im Sattel sitzt, hetzt er das Tier zuschanden, daß ihm keine Faser mehr auf den Rippen bleibt! – Da sich die Mitteltür öffnet und die Gäste den Speisesaal verlassen. Kommen Sie, Sommersberg! Jetzt lassen wir uns von unserer Simba ein lukullisches Mahl auftischen!


Die Gäste strömen in den Salon; voran Raspe zwischen Frau Kommerzienrat Ostermeier und Frau Krenzl;[477] dann von Keith mit Ostermeier, Krenzl und Grandauer; dann Zamrjaki mit Freifrau von Rosenkron und Freifrau von Totleben, zuletzt Scholz und Anna. – Saranieff und Sommersberg nehmen an der Tafel im Speisesaal Platz.


RASPE. Darf ich die fürstlichen Hoheiten zu einer Tasse köstlichen Mokkas geleiten?

FRAU OSTERMEIER. Nein, a so an liebenswürdigen Kavalier wie Ihnen find't man in ganz Süddeutschland net!

FRAU KRENZL. An Ihnen könnten sich fein unsere hochadeligen Herren von der königlichen Equitation a Muster nehmen!

RASPE. Ich gebe jeden Augenblick mein Ehrenwort darauf, daß dies der seligste Moment meines Lebens ist. –


Mit den beiden Damen ins Spielzimmer ab.


OSTERMEIER zu von Keith. 's ist immerhin schön vom alten Casimir, wissen's, daß er a Glückwunschtelegramm g'schickt hat. Aber schaun's, verehrter Freund, der alte Casimir, das is halt an vorsichtiger Mann!

VON KEITH. Macht nichts! Macht nichts! Bei der ersten Generalversammlung haben wir den alten Casimir in unserer Mitte. – Wollen die Herren eine Tasse Kaffee trinken?


Ostermeier, Krenzl und Grandauer ins Spielzimmer ab.


FREIFRAU VON ROSENKRON zu von Keith, der den Herren folgen will. Versprechen Sie mir, Marquis, daß Sie mich für den Feenpalast zur Tänzerin ausbilden lassen.

FREIFRAU VON TOTLEBEN. Und daß Sie mich zur Kunstreiterin ausbilden lassen!

VON KEITH. Ich schwöre Ihnen, meine Göttinnen, daß wir ohne Sie den Feenpalast nicht eröffnen werden! – Was ist denn mit Ihnen, Zamrjaki? Sie sind ja totenbleich ...

ZAMRJAKI ein schmächtiger, kleiner Konservatorist mit gescheitelten, langen, schwarzen Locken; spricht mit polnischem Akzent. Arbeite ich Tag und Nacht an Symphonie meiniges. – Von Keith beiseite nehmend. Erlauben, Herr Marquis, daß ich bitte, möchten geben Vorschuß zwanzig[478] Mark auf Gage von Kapellmeister von Feenpalastorchester.

VON KEITH. Mit dem allergrößten Vergnügen. Gibt ihm Geld. Können Sie uns aus Ihrer neuen Symphonie nächstens nicht etwas in einem meiner Feenpalastkonzerte vorspielen?

ZAMRJAKI. Werde ich spielen Scherzo. Scherzo wird haben großen Erfolg.

FREIFRAU VON ROSENKRON an der Glastür zum Garten. Nein, dieses Lichtermeer! Martha, sieh nur! – Kommen Sie, Zamrjaki, begleiten Sie uns in den Garten!

ZAMRJAKI. Komm ich schon, Damen! Komm ich schon.


Mit Freifrau von Rosenkron und Freifrau von Totleben in den Garten ab.


VON KEITH ihnen folgend. Tod und Teufel, Kinder, bleibt von dem großen Mörser weg! Der ist mit meinen prachtvollsten Raketen geladen!


In den Garten ab. Simba schließt vom Speisesaal aus die Mitteltür. – Anna und Scholz bleiben allein im Salon.


ANNA. Ich wüßte nichts in der Welt, was ich Ihnen jemals hätte übelnehmen können. Sollte Ihnen die Taktlosigkeit, von der Sie sprechen, nicht vielleicht mit irgendeiner anderen Dame begegnet sein?

SCHOLZ. Das ist völlig ausgeschlossen. Aber sehen Sie, ich bin ja so glücklich wie ein Mensch, der von frühester Kindheit auf im Kerker gelegen hat und der nun zum erstenmal in seinem Leben freie Luft atmet. Deshalb mißtraue ich mir auch noch bei jedem Schritt, den ich wage; so ängstlich zittre ich um mein Glück.

ANNA. Ich kann es mir sehr verlockend vorstellen, sein Leben im Dunkeln und mit geschlossenen Augen zu genießen!

SCHOLZ. Sehen Sie, Frau Gräfin, wenn es mir gelingt, mein Dasein für irgendeine gemeinnützige Bestrebung einzusetzen, dann werde ich meinem Schöpfer nicht genug dafür danken können.

ANNA. Ich glaubte, Sie wollten sich hier in München zum Genußmenschen ausbilden?[479]

SCHOLZ. Meine Ausbildung zum Genußmenschen ist für mich nur Mittel zum Zweck. Ich gebe Ihnen meine heiligste Versicherung darauf! Halten Sie mich deswegen nicht etwa für einen Heuchler! – Ach, es gibt ja noch so viel Gutes zu erkämpfen in dieser Welt! Ich finde schon meinen Platz. Je dichter es Schläge regnet, um so teurer wird mir meine Haut sein, die mir bis jetzt so unsagbar lästig war. Und der einen Tatsache bin ich mir vollkommen sicher: Sollte es mir jemals gelingen, mich um meine Mitmenschen verdient zu machen, mir werde ich das nie und nimmer zum Verdienst anrechnen! Führe mein Weg mich aufwärts oder führe er mich abwärts, ich gehorche nur dem grausamen unerbittlichen Selbsterhaltungstrieb!

ANNA. Vielleicht erging es allen berühmten Menschen so, daß sie nur deshalb berühmte Menschen wurden, weil ihnen der Verkehr mit uns gewöhnlicher Dutzendware auf die Nerven fiel!

SCHOLZ. Sie mißverstehen mich noch immer, Frau Gräfin. – Sobald ich meinen Wirkungskreis gefunden habe, werde ich der bescheidenste, dankbarste Gesellschafter sein. Ich habe hier in München schon damit angefangen, Rad zu fahren. Mir war dabei zumut, als hätte ich die Welt seit meinen frühesten Kindertagen nicht mehr gesehen. Jeder Baum, jedes Wasser, die Berge, der Himmel, alles wie eine große Offenbarung, die ich in einem andern Leben einmal vorausgeahnt hatte. – Darf ich Sie vielleicht einmal zu einer Radpartie abholen?

ANNA. Paßt es Ihnen morgen früh um sieben Uhr? Oder sind Sie vielleicht kein Freund vom frühen Aufstehen?

SCHOLZ. Morgen früh um sieben! Ich sehe mein Leben wie eine endlose Frühlingslandschaft vor mir ausgebreitet!

ANNA. Daß Sie mich aber nicht umsonst warten lassen!


Zamrjaki, Freifrau von Rosenkron und Freifrau von Totleben kommen aus dem Garten zurück. – Simba kommt aus dem Spielzimmer.


FREIFRAU VON ROSENKRON. Hu, ist das kalt! – Martha, wir müssen nachher unsere Tücher mitnehmen. Spielen Sie uns einen Cancan, Zamrjaki! – Zu Scholz. Tanzen Sie Cancan?[480]

SCHOLZ. Ich bedaure, gnädige Frau.

FREIFRAU VON ROSENKRON zu Freifrau von Totleben. Dann tanzen wir zusammen!

ZAMRJAKI hat sich ans Piano gesetzt und intoniert einen Walzer.

FREIFRAU VON ROSENKRON. Nennen Sie das Cancan, Herr Kapellmeister?!

ANNA zu Simba. Aber Sie tanzen doch Walzer?

SIMBA. Wann's die gnädige Frau befehlen ...

ANNA. Kommen Sie!


Freifrau von Rosenkron, Freifrau von Totleben, Anna und Simba tanzen Walzer.


FREIFRAU VON ROSENKRON. Mehr Tempo, bitte!


Von Keith kommt aus dem Garten zurück und dreht die elektrischen Lampen bis auf einige aus, so daß der Salon nur mäßig erhellt bleibt.


ZAMRJAKI das Spiel ärgerlich abbrechend. Komm ich bei jedem Takt in Symphonie meiniges!

FREIFRAU VON TOTLEBEN. Warum wird es denn auf einmal so dunkel?

VON KEITH. Damit meine Raketen mehr Eindruck machen! – Öffnet die Tür zum Spielzimmer. Darf ich bitten, meine Damen und Herren ...


Raspe, Herr und Frau Ostermeier und Herr und Frau Krenzl kommen in den Salon. – Simba ab.


VON KEITH. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß noch im Laufe der nächsten Woche das erste unserer großen Feenpalastkonzerte stattfinden wird, die schon jetzt im Münchner Publikum für unsere Sache Propaganda machen sollen. Frau Gräfin Werdenfels wird uns darin mit einigen Liedern allermodernster Vertonung bekannt machen, während Herr Kapellmeister Zamrjaki einige Bruchstücke aus seiner symphonischen Dichtung »Die Weisheit des Brahmanen« eigenhändig dirigieren wird.


Allgemeine Beifallsäußerungen. Im Garten steigt zischend eine Rakete auf und wirft einen rötlichen[481] Schimmer in den Salon. von Keith dreht das elektrische Licht völlig aus und öffnet die Glastür.


VON KEITH. In den Garten, meine Damen und Herren! In den Garten, wenn Sie etwas sehen wollen!


Eine zweite Rakete steigt auf, während die Gäste den Salon verlassen. – von Keith, der ihnen folgen will, wird von Anna zurückgehalten. – Die Szene bleibt dunkel.


ANNA. Wie kommst du denn dazu, meine Mitwirkung bei deinem Feenpalastkonzert anzukündigen?!

VON KEITH. Wenn du darauf warten willst, daß dich deine Lehrerin für die Öffentlichkeit reif erklärt, dann kannst du, ohne je gesungen zu haben, alt und grau werden. – Wirft sich in einen Sessel. Endlich, endlich hat das halsbrecherische Seiltanzen ein Ende! Zehn Jahre mußte ich meine Kräfte damit vergeuden, um nur das Gleichgewicht nicht zu verlieren. – Von heute ab geht es aufwärts!

ANNA. Woher soll ich denn die Unverfrorenheit nehmen, mit meiner Singerei vor das Münchner Publikum zu treten?!

VON KEITH. Wolltest du denn nicht in zwei Jahren die erste Wagnersängerin Deutschlands sein?

ANNA. Das sagte ich doch im Scherz.

VON KEITH. Das kann ich doch nicht wissen!

ANNA. Andere Konzerte werden Monate vorher vorbereitet!

VON KEITH. Ich habe in meinem Leben nicht tausend Entbehrungen auf mich genommen, um mich nach andern Menschen zu richten. Wem deine Singerei nicht gefällt, der berauscht sich an deiner brillanten Pariser Konzerttoilette.

ANNA. Wenn mich die andern Menschen nur auch mit deinen Augen betrachten wollten!

VON KEITH. Ich werde dem Publikum schon die richtige Brille aufsetzen!

ANNA. Du siehst und hörst Phantasiegebilde, sobald du mich vor Augen hast. Du überschätzest meine Erscheinung geradeso, wie du meine Kunst überschätzest.

VON KEITH aufspringend. Ich stand noch kaum je im Verdacht, Frauen zu überschätzen, aber dich erkannte ich allerdings[482] auf den ersten Blick! Was Wunder, da ich zehn Jahre lang in zwei verschiedenen Weltteilen nach dir gesucht hatte! Du warst mir auch schon mehrere Male begegnet, aber dann befandest du dich entweder im Besitz eines Banditen, wie ich es bin, oder ich war so reduziert, daß es keinen praktischen Zweck gehabt hätte, in deinen Lichtkreis zu treten.

ANNA. Wenn du aus Liebe zu mir den Verstand verlierst, ist das für mich ein Grund, den Spott von ganz München auf mich zu laden?

VON KEITH. Andere Frauen haben um meinetwillen noch ganz andere Dinge auf sich geladen!

ANNA. Ich bin aber nicht in dich vernarrt!

VON KEITH. Das sagt jede! Ergib dich in dein unabwendbares Glück. Die nötige Unbefangenheit für dein erstes Auftreten werde ich dir schon einflößen – und wenn ich dich mit dem geladenen Revolver vor mir hertreiben muß!

ANNA. Wenn du mich wie ein Stück Vieh behandelst, dann ist es bald zwischen uns zu Ende!

VON KEITH. Setz dein Vertrauen getrost in die Tatsache, daß ich ein Mensch bin, der das Leben verteufelt ernst nimmt! Wenn ich mich gern in Champagner bade, so kann ich dafür auch wie kein anderer Mensch auf jeden Lebensgenuß verzichten. Keine drei Tage ist mir aber mein Dasein erträglich, ohne daß ich derweil meinen Zielen um einen Schritt näher komme!

ANNA. Es ist wohl auch die höchste Zeit, daß du endlich deine Ziele erreichst!

VON KEITH. Glaubst du denn, Anna, ich veranstaltete das Feenpalastkonzert, wenn ich nicht die unverbrüchliche Gewißheit hätte, daß es dir den glänzendsten Triumph einträgt?! – Laß dir eines sagen: Ich bin ein gläubiger Mensch ...


Im Garten steigt zischend eine Rakete empor.


VON KEITH. ... Ich glaube an nichts so zuversichtlich, wie daran, daß sich unsere Mühen und Aufopferungen in dieser Welt belohnen!

ANNA. Das muß man wohl, um sich so abzuhetzen, wie du das tust![483]

VON KEITH. Wenn nicht an uns, dann an unsern Kindern!

ANNA. Du hast ja noch gar keine!

VON KEITH. Die schenkst du mir, Anna – Kinder mit meinem Verstand, mit strotzend gesundem Körper und aristokratischen Händen. Dafür baue ich dir ein königliches Heim, wie es einer Frau deines Schlages zukommt! Und ich gebe dir einen Gatten zur Seite, der die Allmacht hat, dir jeden Wunsch, der aus deinen großen schwarzen Augen spricht, zu erfüllen! Er küßt sie inbrünstig.


Im Garten wird ein Feuerwerk abgebrannt, das das Paar für einen Moment mit dunkelroter Glut übergießt.


VON KEITH. – – Geh in den Garten. Die Karyatiden lechzen jetzt danach, vor unserem Götterbilde die Knie beugen zu dürfen!

ANNA. Kommst du nicht auch?

VON KEITH dreht zwei der elektrischen Lampen auf, so daß der Salon matt erhellt ist. Ich schreibe nur rasch noch eine Zeitungsnotiz über unser Konzert. Die Notiz muß morgen früh in den Zeitungen stehen. Ich gratuliere dir darin schon im voraus zu deinem eminenten Triumph.


Anna in den Garten ab. von Keith setzt sich an den Tisch und notiert einige Worte. – Molly Griesinger, einen bunten Schal um den Kopf, eilt aufgeregt und verhetzt vom Vorplatz herein.


MOLLY. Ich muß dich nur eine Minute sprechen.

VON KEITH. Solang du willst, mein Kind; du störst mich durchaus nicht. Ich sagte dir doch, du werdest es allein zu Hause nicht aushalten.

MOLLY. Ich flehe zum Himmel, daß ein furchtbares Unglück über uns hereinbricht! Das ist das einzige, was uns noch retten kann!

VON KEITH. Aber warum begleitest du mich denn nicht, wenn ich dich darum bitte!?

MOLLY zusammenschaudernd. In deine Gesellschaft?!

VON KEITH. Die Gesellschaft in diesen Räumen ist das Geschäft, von dem wir beide leben! Aber das ist dir unerträglich, daß ich mit meinen Gedanken hier bin und nicht bei dir.[484]

MOLLY. Kann dich das wundern?! – Sieh, wenn du unter diesen Leuten bist, dann bist du ein ganz anderer Mensch; dann bist du jemand, den ich nie gekannt habe, den ich nie geliebt habe, dem ich nie in meinem Leben einen Schritt nachgegangen wäre, geschweige denn, daß ich ihm Heim, Familie, Glück und alles geopfert hätte. – Du bist so gut, so groß, so lieb! – Aber unter diesen Menschen – da bist du für mich – schlimmer als tot!

VON KEITH. Geh nach Haus und mach ein wenig Toilette; Sascha begleitet dich. Du darfst heute abend nicht allein sein.

MOLLY. Mir ist es gerade danach zumut, mich aufzudonnern. Dein Treiben ängstigt mich ja, als müßte morgen die Welt untergehen. Ich habe das Gefühl, als müßte ich irgend etwas tun, sei es was es sei, um das Entsetzliche von uns abzuwenden.

VON KEITH. Ich beziehe seit gestern ein Jahresgehalt von hunderttausend Mark. Du brauchst nicht mehr zu fürchten, daß wir Hungers sterben müssen.

MOLLY. Spotte nicht so! Du versündigst dich an mir! Ich bringe es ja gar nicht über die Lippen, was ich fürchte!

VON KEITH. Dann sag mir doch nur, was ich tun kann, um dich zu beruhigen. Es geschieht augenblicklich.

MOLLY. Komm mit mir! Komm mit aus dieser Mördergrube, wo es alle nur darauf abgesehen haben, dich zugrunde zu richten. Ich habe den Leuten gegenüber auf dich geschimpft, das ist wahr; aber ich tat es, weil ich deine kindische Verblendung nicht mehr mit ansehen konnte. Du bist ja so dumm. Du bist so dumm wie die Nacht! Ja, das bist du! Von den gemeinsten niedrigsten Gaunern läßt du dich übertölpeln und dir geduldig den Hals abschneiden!

VON KEITH. Es ist besser, mein Kind, Unrecht leiden als Unrecht tun.

MOLLY. Ja, wenn du es wenigstens wüßtest! – Aber die hüten sich wohl, dir die Augen zu öffnen. Diese Menschen schmeicheln dir, du seist weiß Gott welch ein Wunder an Pfiffigkeit und an Diplomatie! Weil deine Eitelkeit auf nichts Höheres ausgeht, als das zu sein! Und dabei legen sie dir gemächlich kaltblütig den Strick um den Hals![485]

VON KEITH. Was fürchtest du denn so Schreckliches?

MOLLY wimmernd. Ich kann es nicht sagen! Ich kann es nicht aussprechen!

VON KEITH. Sprich es doch bitte aus; dann lachst du darüber.

MOLLY. Ich fürchte ... ich fürchte ...


Ein dumpfer Knall tönt vom Garten herein; Molly schreit auf und bricht in die Knie.


VON KEITH sie aufrichtend. Das war der große Mörser. – – Du mußt dich beruhigen! – Komm, trink ein paar Gläser Champagner; dann sehen wir uns zusammen das Feuerwerk an ...

MOLLY. Mich brennt das Feuerwerk seit vierzehn Tagen in meinen Eingeweiden! – Du warst in Paris! – Mit wem warst du in Paris! – Ich schwöre dir hoch und heilig, ich will nie um dich gezittert haben, ich will nie etwas gelitten haben, wenn du jetzt mit mir kommst!

VON KEITH küßt sie. Armes Geschöpf!

MOLLY. – Ein Almosen. – Jaja, ich gehe ja schon ...

VON KEITH. Du bleibst hier; was fällt dir ein! – Trockne deine Tränen! Es kommt jemand aus dem Garten herauf ...

MOLLY fällt ihm leidenschaftlich um den Hals und küßt ihn ab. – Du Lieber! – Du Großer! – Du Guter! – Sie macht sich los, lächelnd. Ich wollte dich nur gerade heute einmal in der Gesellschaft sehen. Du weißt ja, ich bin zuweilen so ein wenig ...


Sie dreht die Faust vor der Stirn.


VON KEITH will sie zurückhalten. Du bleibst hier, Mädchen ...!


Molly stürzt durch die Vorplatztür hinaus. Scholz kommt hinkend, sich das Knie haltend, durch die Glastür aus dem Garten herein.


SCHOLZ sehr vergnügt. Erschrick bitte nicht! – Lösch das Licht aus, damit man mich von draußen nicht sieht. Es hat niemand aus deiner Gesellschaft etwas davon gemerkt. Er schleppt sie zu einem Sessel, in den er sich niederläßt.

VON KEITH. Was ist denn mit dir?

SCHOLZ. Lösch nur erst das Licht aus. – Es hat gar nichts auf sich. Der große Mörser ist explodiert! Ein Stück davon hat mich an die Kniescheibe getroffen![486]

VON KEITH hat die Lampen ausgedreht; die Szene ist dunkel. Das kann nur dir passieren!

SCHOLZ in beseligtem Ton. Die Schmerzen beginnen ja schon nachzulassen. – Glaub mir, ich bin ja das glücklichste Geschöpf unter Gottes Sonne! Zu der Radpartie mit der Gräfin Werdenfels werde ich mich morgen früh allerdings nicht einfinden können. Aber was macht das! Jubelnd. Ich habe die bösen Geister niedergekämpft; das Glück liegt vor mir; ich gehöre dem Leben! Von heute an bin ich ein anderer Mensch ...


Eine Rakete steigt im Garten empor und übergießt Scholzens Gesichtszüge mit düsterroter Glut.


VON KEITH. Weiß der Henker – ich hätte dich eben tatsächlich kaum wiedererkannt!

SCHOLZ springt vom Sessel auf und hüpft auf einem Fuße, indem er das andere Knie mit den Händen festhält, jauchzend im Zimmer umher. Zehn Jahre lang hielt ich mich für einen Geächteten! Für einen Ausgestoßenen! Wenn ich jetzt denke, daß das alles nur Einbildung war! Alles nur Einbildung! Nichts als Einbildung![487]

Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 470-488.
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