[156] Winzer und Winzerinnen im Weinberg. – Im Westen sinkt die Sonne hinter die Berggipfel. Helles Glockengeläute vom Tal herauf. – Hänschen Rilow und Ernst Röbel im höchstgelegenen Rebstück sich unter den überhängenden Felsen im welkenden Grase wälzend.
ERNST. – Ich habe mich überarbeitet.
HÄNSCHEN. Laß uns nicht traurig sein! – Schade um die Minuten.
ERNST. Man sieht sie hängen und kann nicht mehr – und morgen sind sie gekeltert.
HÄNSCHEN. Ermüdung ist mir so unerträglich, wie mir's der Hunger ist.
ERNST. Ach, ich kann nicht mehr.
HÄNSCHEN. Diese leuchtende Muskateller noch!
ERNST. Ich bringe die Elastizität nicht mehr auf.
HÄNSCHEN. Wenn ich die Ranke beuge, baumelt sie uns von Mund zu Mund. Keiner braucht sich zu rühren. Wir beißen die Beeren ab und lassen den Kamm zum Stock zurückschnellen.
ERNST. Kaum entschließt man sich, und siehe, so dämmert auch schon die dahingeschwundene Kraft wieder auf.
HÄNSCHEN. Dazu das flammende Firmament – und die Abendglocken – Ich verspreche mir wenig mehr von der Zukunft.
ERNST. – Ich sehe mich manchmal schon als hochwürdigen Pfarrer – ein gemütvolles Hausmütterchen, eine reichhaltige Bibliothek und Ämter und Würden in allen Kreisen. Sechs Tage hat man, um nachzudenken, und am siebenten tut man den Mund auf. Beim Spazierengehen reichen einem Schüler und Schülerinnen die Hand, und wenn man nach Hause kommt, dampft der Kaffee, der Topfkuchen wird aufgetragen, und durch die Gartentür bringen die Mädchen Äpfel herein. – Kannst du dir etwas Schöneres denken?
HÄNSCHEN. Ich denke mir halbgeschlossene Wimpern, halbgeöffnete Lippen und türkische Draperien. – Ich glaube nicht an das Pathos. Sieh, unsere Alten zeigen uns lange Gesichter, um ihre Dummheiten zu bemänteln. Untereinander[156] nennen sie sich Schafsköpfe wie wir. Ich kenne das. – Wenn ich Millionär bin, werde ich dem lieben Gott ein Denkmal setzen. – Denke dir die Zukunft als Milchsette mit Zucker und Zimt. Der eine wirft sie um und heult, der andere rührt alles durcheinander und schwitzt. Warum nicht abschöpfen? – Oder glaubst du nicht, daß es sich lernen ließe.
ERNST. – Schöpfen wir ab!
HÄNSCHEN. Was bleibt, fressen die Hühner. – Ich habe meinen Kopf nun schon aus so mancher Schlinge gezogen ...
ERNST. Schöpfen wir ab, Hänschen! – Warum lachst du?
HÄNSCHEN. Fängst du schon wieder an?
ERNST. Einer muß ja doch anfangen.
HÄNSCHEN. Wenn wir in dreißig Jahren an einen Abend wie heute zurückdenken, erscheint er uns vielleicht unsagbar schön!
ERNST. Und wie macht sich jetzt alles so ganz von selbst!
HÄNSCHEN. Warum also nicht!
ERNST. Ist man zufällig allein – dann weint man vielleicht gar.
HÄNSCHEN. Laß uns nicht traurig sein! –
Er küßt ihn auf den Mund.
ERNST küßt ihn. Ich ging von Hause fort mit dem Gedanken, dich nur eben zu sprechen und wieder umzukehren.
HÄNSCHEN. Ich erwartete dich. – Die Tugend kleidet nicht schlecht, aber es gehören imposante Figuren hinein.
ERNST. Uns schlottert sie noch um die Glieder. – Ich wäre nicht ruhig geworden, wenn ich dich nicht getroffen hätte. – Ich liebe dich, Hänschen, wie ich nie eine Seele geliebt habe ...
HÄNSCHEN. Laß uns nicht traurig sein! – Wenn wir in dreißig Jahren zurückdenken, spotten wir ja vielleicht! – Und jetzt ist alles so schön! Die Berge glühen; die Trauben hängen uns in den Mund und der Abendwind streicht an den Felsen hin wie ein spielendes Schmeichelkätzchen ...[157]
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