Erste Szene

[94] Der Herzog. Gislind von Glonnthal.


HERZOG. Nun, Gislind?

GISLIND. Würdest du mich meine Rolle nicht noch einmal überhören?

HERZOG. Die kannst du doch am Schnürchen. Ich gäbe etwas darum, wenn ich meine eigene Rolle schon gelernt hätte.

GISLIND. Darf ich denn nicht endlich wissen, in welchem Kostüm ich spielen soll?

HERZOG. Das erfährst du bei der Aufführung früh genug.[94]

GISLIND. Wenn mich nun aber das Kostüm nicht kleidet?

HERZOG. Sei unbesorgt, das Kostüm kleidet dich.

GISLIND. Das kann man doch im voraus nie wissen.

HERZOG. Das Kostüm kleidet sich vorteilhafter als jedes andere.

GISLIND. Wirklich? Das ahnte mir doch gleich.

HERZOG. Nun, Gislind?

GISLIND. Daß ich mich wieder einmal ohne Kostüm zeigen soll.

HERZOG. Bist du nicht stolz darauf?

GISLIND. Was bleibt mir andres übrig. Etwas künstlerisch Wertvolleres habe ich ja doch nicht zu bieten.

HERZOG. Schön' Gislind, du verschmachtest wieder einmal nach Lobsprüchen.

GISLIND. Weil ich mich meiner geistigen Armut schäme?

HERZOG. Deine unübertreffliche Meisterschaft kennst du doch selbst am besten.[95]

GISLIND. Und die wäre?

HERZOG. Liebe.

GISLIND. So? – Ja, darin stelle ich meinen Mann.

HERZOG. Dann sei doch zufrieden.

GISLIND. Es gibt ein Sprichwort – ich kann es nicht aussprechen.

HERZOG. Das ist die verlogenste Pöbelweisheit, die je in einer Kartoffelseele entstand; dumm versteht sich gut auf Liebe.

GISLIND. Ist das nicht mein Fall?

HERZOG. Kennst du die amerikanischen Mädchenköpfe, die jetzt in allen Schaufenstern zu sehen sind?

GISLIND. Findest du die hübsch?

HERZOG. So hübsch wie dich. Aber hältst du diese jungen Amerikanerinnen für dumm?

GISLIND. Was fällt dir ein! Hätte ich nur einen Funken von ihrem Verstand.[96]

HERZOG. Aber du glaubst, daß sie sich schlecht auf Liebe verstehen?

GISLIND. Woran erkennt man das?

HERZOG. Glaub' mir, sie verstehen sich meisterlich darauf. Darin ist uns Amerika überlegen, daß seine Frauen nicht auf den Kopf gefallen sind und sich außerdem auch gut auf Liebe verstehen.

GISLIND. Aber von meinen Geistesgaben hältst doch auch du nicht viel?

HERZOG. Habe ich mich je mit einer Silbe beklagt?

GISLIND. Deshalb frage ich. Du bist der einzige Mensch auf Gottes Welt, der sich nie über meine Beschränktheit lustig gemacht hat. Und eigentlich bist du doch gar nicht um so viel dümmer als all die andern.

HERZOG. O doch. Für die andern bin ich noch viel dümmer als du. Nur sagen sie es mir nicht, aus Furcht, in Ungnade zu fallen.

GISLIND. Mir sagen sie es am liebsten dann, wenn ich mich nicht verteidigen kann. Deshalb habe ich Angst vor[97] dem Festspiel. Wenn ich mich vor hundert Menschen ohne Kostüm zeige, und dann fällt ein plumper Witz über meine Geisteslosigkeit ...

HERZOG. Das wagt niemand.

GISLIND. Ich habe auch meinen Stolz. Ich weiß nicht, was ich dann täte. Ich glaube, ich stürbe auf der Stelle vor Scham.

HERZOG. Heute abend um zehn also. Ich muß mir jetzt Vortrag halten lassen.

GISLIND. Darf ich nicht zuhören?

HERZOG. Heute nicht.

GISLIND. Wen erwartest du?

HERZOG. Einen Geist.

GISLIND. Gibt es denn das? Dann laß mich bleiben. Ich habe noch nie einen gesehen.

HERZOG. Ich habe kein Geheimnis vor dir, mein Kind. Aber der Geist redet in deiner Gegenwart nicht.[98]

GISLIND. Geliebter! Deinetwegen haben sich meine Geschwister von mir losgesagt. Deinetwegen sehe ich fast seit einem Jahre keine menschliche Seele mehr. Du nennst mich »Gislind Glonnthal, schöne Sache«. Mehr bin ich dir nicht.

HERZOG. Für mich ist es das Höchste. – Denk' dir doch nur meine mimosenhafte Empfindlichkeit in fünfjähriger Ehe mit einer Stimmungsmörderin, in deren Vaterhaus der Familienzank als unerläßlichste Gemütsgymnastik gepflegt wurde. – Es gibt eben Menschen, denen der Appetit leichter verdorben wird als anderen. Bin ich deshalb ein entarteter Schwächling?

GISLIND. Du und entartet?! – Wenn nur ich nicht entartet bin. Ich frage mich oft, ob ich meinen Schwachsinn nicht als Kind schon selber verschuldet habe.

HERZOG. Dir tut es not, wieder einmal unter vergnügte Menschen zu kommen.

GISLIND. Ich freue mich auch darauf. Aber ohne Kostüm! Man ist so entsetzlich hilflos! Deshalb ... Hast du noch einen Augenblick Zeit?

HERZOG. Noch zwei, wenn du befiehlst?[99]

GISLIND. Nein, es muß nicht sein. – Ich habe nur dich, alles bist du mir: Elternhaus! Glück! Stolz! Wenn ich denke, wie – wie nichtig wenig ich dir bedeute. – Kann's gar nicht denken. Bin zu dumm.


Der Herzog leitet Gislind hinaus.


Quelle:
Wedekind, Frank: Franziska. Ein modernes Mysterium in fünf Akten, München 1912, S. 94-100.
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