Kapitel III


Einflüsse der Revolution

[64] Seit einer Woche habe ich nichts für mein Tagebuch geschrieben – es ist eine wahre Schande. Aber die Unterbrechung war zu arg. So eine Revolution wie die französische bringt einen ehrlichen Mann ganz außer Fassung. Wenn die Kronen von den Köpfen fliegen wie die Äpfel von den Bäumen, da hört alles auf. Man kommt ganz aus seinem alten Gleis; es ist, als ob Feuer in der Stadt gewesen wäre, als ob man irgendwo eingebrochen und gestohlen hätte, und ehe man schlafen geht, sieht man noch einmal unter die Bettstelle, und die ganze Nacht träumt man von Mord und Totschlag, von Bosco und Schinderhannes.

Ich bin keineswegs furchtsamer Natur; ich kann ein Gewehr losschießen, ohne die Augen zuzukneifen; ich kann dabeistehen, wenn man einen Hahn schlachtet, und ich werde nicht unwohl, wenn ich sein Blut sehe. Auf der Spitze eines Kirchturms werde ich nicht schwindlig, und[64] ohne Grausen ginge ich nachts über einen Kirchhof; aber so eine Revolution – es ist gar zu unkomfortabel, Gott verzeih mir.

Wie schlimm ist die Geschichte doch dem armen Herrn von der Windmühle bekommen! Ich besuchte ihn gestern; er sah so kümmerlich runzelig aus wie eine getrocknete Pflaume. Den ersten Tag nach Ankunft der verhängnisvollen Nachricht soll sein Zustand wirklich bedauernswert gewesen sein. Die Köchin versicherte mir, er habe sich die Haare stückweise ausgerissen, es sei nicht anders gewesen, als ob ihn vierzig Millionen Flöhe plagten. Mit dem Bauch habe er sich auf den Boden gelegt und den Steiß mit Fäusten geschlagen. »O meine Fünfprozentigen! O meine Bankanteile! O meine Nordbahnaktien!« – so schrie er, daß man es auf der Straße hören konnte. Niemand ist doch mehr zu bedauern als ein reicher Mann.

Der Rentner Dürr wußte sich schon eher zu trösten. Dieser Bindfaden von einem Mann glaubt an ein besseres Leben nach dem Tode, wenigstens an kein schlechteres. Er nahm einen Schweinslederband und eine Portion Heringssalat und schloß sich damit ein: den Schmerz durch aufmerksame Studien, durch Gebet und stille Betrachtungen zu überwinden.

Das Leben ist eine Dummheit, meint der Herr Dürr, eine Dummheit, die nur durch den Tod wiedergutgemacht wird. Der Mensch ist kristallisierter Dreck, und erst in jener Welt, wo man weder die Marseillaise singt noch den Cancan tanzt, da wird es uns gut gehn – frei von allem Irdischen. Der Rentner Dürr ist ein frommer Rentner. Er liebt die Pastöre und das ewige Leben. Wenn er einst am Jüngsten Tage von den Toten aufersteht, da[65] wird er aus seinem Grabe emporschießen wie ein Spargel aus dem Gartenbeet.

Daß der Holzhändler Puff über die französische Revolution im höchsten Grade erbost ist: das versteht sich von selbst. Er hat in den letzten acht Tagen wenigstens vierzig neue Flüche erfunden. Er trägt ein großes Baummesser in der Hosentasche, und seine Stimme hat einen brüllenden Ton angenommen.

»Wenn wir jetzt noch einmal an den Franzosen leiden sollen«, sagte er mir gestern, »so können Sie sicher sein, daß wir sie nicht wieder loswerden. Was hilft uns jetzt das Beckersche Rheinlied?« – Der Herr Puff hat recht. Gegen die Weiber sind die Franzosen stets galant. Aber wehe, wenn sie über die Männer kommen! – Der Advokat Verdammlich gehört zu den Leuten, die der Zukunft am ruhigsten entgegensehen. Unsereins begreift so etwas nicht; aber bei einem Advokaten ist alles möglich. In der Sünde auf- und großgezogen, ist ihm selbst das Böse recht, wenn es nur mit dem Gesetz zu vereinbaren ist.

»Der Code ist meine Moral«, pflegt der Advokat Verdammlich zu sagen. »Solange der Code besteht, wird die Welt trotz aller Revolutionen nicht untergehn.« – Vielleicht hat er recht. Jedenfalls heult er mit den Wölfen, und ich liebe ihn daher.

Der Professor Fuchs versichert mir, daß er seit den Februartagen auch nicht ein einziges Gedicht mehr gemacht habe. Dies mag nun, im Grunde genommen, ein Glück für die Welt sein. Er sagte mir, die Revolution habe ihn gelähmt; nichts sei unpoetischer als dieser Wirrwarr; man könne eher einen Pagoden besingen als ein provisorisches Gouvernement. Aller Firlefanz der Poesie falle weg, wenn man nicht mehr an das Althergebrachte[66] glaube. »Wie kahl müssen sich alle Gedichte in Zukunft ausnehmen«, bemerkte er mir, »wenn man nicht mehr von Kronen, von Hermelinmänteln, von Szeptern, von Majestäten, von Kammerjägern und königlichen Zofen singen darf! Es ist entsetzlich. Die beste Zutat der Poesie geht uns durch diese Revolutionen verloren. Wie nackt und nüchtern ist doch alles Demokratische! Ein Republikaner ist ein ganz unpoetischer Gegenstand. Man weiß bei einem solchen Kerl hintereinander, was er will; er hat nichts Verschleiertes, nichts Geheimnisvolles. Eine Welt ohne Könige ist ein Himmel ohne Götter. Alles Brimborium der Poesie geht zum Teufel. Für einen demokratischen Zeitungsschreiber, für einen republikanischen Advokaten werde ich mich wahrhaftig nie begeistern, und stände er auch an der Spitze eines Reiches und geböte über Millionen.

Sie sollen mal sehen, für die nächste Zeit ist es mit der Poesie vorbei.

Vergebens werden sich die Besten anstrengen, aus Rosen und Lilien die schönsten Verse zu flechten – der demokratische Dunst unsres Jahrhunderts wird wie ein garstiger Höh'rauch darüber herwehen und das Geschaffene auf eine unheimliche Weise verderben. Mit den Königen sinken die Dichter.«

»Aber, lieber Herr Professor«, versetzte ich meinem Freunde, »Sie können auch nicht verlangen, daß die ganze Welt nur für die Poesie in der alten Weise fortexistiere.« – »Allerdings«, meinte er, »allerdings kann ich das verlangen. Die Poesie ist das einzige, was Wert hat. Die ganze Welt der Griechen existierte nur, damit wir einen Homer bekämen.«

Der Gourmand, der Herr Kreuz, ist nicht so geistig[67] ausgebildet wie der Professor. Er versicherte mir gestern, alles wanke, nur nicht sein Appetit. Als ich ihn in seinem Hotel nach dem Essen abholte, da lagen auf seinem Teller sieben Heringsschwänze. »Ich esse nichts anderes mehr als Heringe«, bemerkte er, »von wegen meines Durstes nach Franzosenblut. Ich empfehle dies allen Wohlgesinnten.«


Hier trägt das Manuskript des ehrenwerten Tagebuchschreibers einen großen Tintenklecks.

Gleich darunter sind nur noch die Worte gekritzelt: »Der Literat Warze stürzt atemlos ins Zimmer – es muß ein neues Malheur in der Welt los sein.« – –[68]

Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 4, Berlin 1956/57, S. 64-69.
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