Das ist nicht auszustehn

[140] Wenn sich ein Narr im Pompe zeiget,

Der Pöbel sich demüthig beuget,

Sich niemals glaubet satt zu sehn:

Das laß ich gern geschehn.

Doch wenn bey magern plumpen Scherzen

Ein lauter Hof von ganzem Herzen

Sein Bravo! schreyt, schreyt: das war schön!

Das ist nicht auszustehn!
[141]

Wenn Fräulein, bey der Gans gebohren,

Im städtischen galanten Thoren

Den Phönix aller Junker sehn,

Das laß ich gern geschehn!

Doch wenn hochweis erfahrne Damen

Das beste Herz um Westen, Namen

Und fein fresiertes Haar verschmähn,

Das ist nicht auszustehn!


Wenn junge Krieger vor ihr Leben,

Das sie zu sehr empfinden, beben,

Mit blasser Stirn zu Felde gehn:

Das laß ich gern geschehn.

Doch wenn sie ohne Graun und Zagen

Sich wild um Concubinen schlagen,

Durch Brunst und Wein den Tod erflehn:

Das ist nicht auszustehn!
[142]

Wenn oft ein Mann beym zänkschen Weibe

Ihr Mädchen sich zum Zeitvertreibe,

So ungerecht es ist, ersehn:

Das laß ich noch geschehn.

Doch wenn ein Mann bey einer Schönen,

Der Tugend Zier, des Jünglings Sehnen,

Sucht plumpe Dirnen auszuspähn,

Das ist nicht auszustehn!


Wenn Mädchen, Herzen zu berücken,

Sich tagelang vorm Spiegel schmücken,

Und auch was menschliches versehn,

Das laß ich gern geschehn.

Doch wenn es alte Jungfern wagen,

Den ganzen Lenz an sich zu tragen,

Zu siegen sich noch unterstehn,

Das ist nicht auszustehn!
[143]

Wenn Juden niederträchtig sinnen,

Durch schlauen Wucher zu gewinnen,

Auf Vortheil, nicht auf Ehre sehn,

Das laß ich gern geschehn!

Doch wenn vom Schweiß gedrückter Armen

Sich Fürsten mästen, ohn Erbarmen

Da erndten, wo sie doch nicht sä'n:

Das ist nicht auszustehn!


Wenn Thoren mich unglücklich schätzen,

Wenn sie bey schimmerndem Ergötzen

Mich einsam ohne Reigen sehn;

Das laß ich gern geschehn!

Doch wenn sie taumelnd sich bemühen,

Mich in ihr lermend Glück zu ziehen,

Unwitzig Witz von mir erflehn,

Das ist nicht auszustehn!

Quelle:
Christian Felix Weiße: Scherzhafte Lieder, Leipzig 1758, S. 140-144.
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