Achter Auftritt

[101] Der König, die Königinn.


KÖNIG. Nun Marie – sprich schnell, wie konntest du erfahren? wer, wo ist der Schuldige? ist er mit ihm entflohen? kann ihn meine Rache noch ereilen?

KÖNIGINN. Zertreten, denn er ist euch nahe –

KÖNIG. O so sprich, verzögre nicht seine Strafe, wo ist er?

KÖNIGINN nach einer Pause. Er steht vor euch.

KÖNIG bebt. Wie?

KÖNIGINN mit Ruhe. Ich mein König, ich habe ihn befreyt.

KÖNIG starrt sie betäubt an. Du? Du – mein Weib?[101]

KÖNIGINN. Ich, euer Weib. – Wem ziemt es mehr als eurem Weibe, für eure Ehre, für eure Seelenruhe, und für die Wohlfahrt eures Volks besorgt zu seyn?

KÖNIG. Gott – willst du mir denn jeden, auch den kleinsten Glauben an die Menschen nehmen! nein – nein, das ist nicht, das kann nicht seyn. Sieht sie an. Verrath trägst du in dieser sanften Miene? Verrath an deinem Gatten, deinem König? Allein stehe ich in dieser großen weiten Welt? so liegt der Fluch auf mir, daß mich mein Blut, und nur mein Blut verrathe? Der eigne Vater haßte mich, der Bruder strebt nach meinem Leben, ich wollte wenigstens als Gatte glücklich seyn, verschmähte Königstöchter, nahm eine Bettlerinn, und konnte mir mit Glanz und Thron kein Herz erkaufen. O! Wirft sich in einen Stuhl.

KÖNIGINN wirft sich zu seinen Füßen. Mein Erik – höre mich!

KÖNIG. Fort Schlange! Springt auf. Ein Ungeheuer war ich euch? Ihr gabt dem Lamm den Nahmen, der Tiger tritt erst jetzt aus seiner Höhle, und er naht fürchterlich. Ein Leben galt es, nun mögen tausend fallen; ihr seyd geschäftig, das Schaffot zu füllen – Johann stieg durch dich herab, du steigst hinauf.

KÖNIGINN steht mit Würde auf. Ich scheue nicht den Tod; trifft er mich unverdient, so hoffe ich, ihm mit Ruhe zu begegnen. Für andre hatte ich Bitten, für mich keine. Nicht jede Königinn sieht so wie ich dem letzten Augenblick entgegen. Ich stieg nicht, um zu hassen, zu verfolgen, nein, um zu lieben, zu beglücken. Bringt dieß Gefühl mir Tod, so folgt mir manche Thräne[102] in mein frühes Grab, und keines Menschen Fluch verbittert meine letzte Stunde.

KÖNIG heftig. Ich, ich fluche dir.

KÖNIGINN sanft. Das könnt ihr nicht, mein König; nehmt von der That den falschen Schein, seht sie in ihrem wahren, eigenen Licht, und ihr könnt eure Gattinn nicht verdammen. Die Morgensonne sollte Johann nicht mehr sehen, geschäftig war man, ein Gerüst zu bauen, das euch zum Schandpfahl werden sollte. Cure Diener schlichen mit gesenktem Haupt einher; er schont den Bruder nicht, wer zittert nicht in Schweden für sein Leben – so dachten sie. In ängstlicher Bewegung war das Volk, die Weiber weinten, drängten sich zur Kirche, aus jedem Auge sprach, aus jeder Brust erscholl: Gott! Gott! verhüte Brudermord! Umsonst lag ich zu euren Füßen, kein Mittel wußt' ich mehr, die Zeit entfloh, die Schreckensstunde rückte näher, sie drängte mich, ich sah das Beil schon blinken, an einem Augenblick hing Tod und Leben. Ich wagte meines, und er ist frey.

KÖNIG. Und ich bin verloren. Um ihn versammelt sich das Volk, es jauchzt ihm zu, es dient zur Brustwehr ihm, zum Schilde; es nahen einverstandne fremde Völker; Aufruhr, Empörung herrscht im Lande, Krieg droht den Grenzen.

KÖNIGINN einfallend. Krieg? nein, mein Gemahl. Steht Gott mir bey, so ist geendet jeder Zwist, so gebe ich eurem Herzen Frieden, und dem ganzen Lande.

KÖNIG schnell. Wo ist er? sprich, wo hält er sich verborgen?

KÖNIGINN innig. Bey seinem besten Freund.[103]

KÖNIG. Er schmiedet Waffen.

KÖNIGINN. Waffen, das Bruderherz zu rühren.

KÖNIG. Er sammelt Heere –

KÖNIGINN. Seine Heere sind ein flehend Weib, ein weinend Kind.

KÖNIG. Kind? sein Kind?

KÖNIGINN. Ja, er ist Vater, Gatte, er hat Freunde, er ist nicht verlassen. Kommt, seht seine ganze Macht, und widersteht ihr, wenn ihr könnt. Geht an die Seitenthüre, wo sie kam, und bringt Catharina und Siegmund.

KÖNIG steht in banger Erwartung.

KÖNIGINN. Diese Geißeln ließ er euch zurück; ist seine Flucht euch noch gefährlich? Zu Catharina. Geht hin, bestürmt das Bruderherz, die Gattinn hat das Ihrige gethan.

ERIK hat sich, wie er sie erblickt, in einen Stuhl geworfen.

CATHARINA stürzt zu seinen Füßen. Mein königlicher Bruder! o wendet euch zu mir – kein thränenvolles Aug' soll auch begegnen, ich habe keine Thränen mehr. O Gott! mir fehlen auch die Worte; nichts kann ich, als mit Todesangst und mit Verzweiflung schrey'n: tödtet euren Bruder nicht! Siegmund! umfasse seine Knie, rufe: Oheim! gib mir den Vater wieder!

SIEGMUND weinend. Oheim! gib mir den Vater wieder!

KÖNIG wendet sich gerührt zu dem Kinde, sieht es an, dann reißt er es an sich, küßt es, und stellt es schnell wieder nieder.

KÖNIGINN dringend. Gebt ihn dem Vater wieder!

KÖNIG. Ihr treibt mit eurem König Spott. Nun er in Freyheit ist, fordert ihr ihn von mir.[104]

KÖNIGINN. Von dir – er ist nicht frey, er ist in deiner Macht.

KÖNIG. Marie –

KÖNIGINN. Nicht fremde Völker führt er feindlich dir entgegen, strebt nicht nach deinem Leben, nach deinem Herzen, dieses will er rühren. O Erik, höre ihn, höre die Stimme der Natur!

KÖNIG. Er wäre nicht entflohn?

KÖNIGINN. Rufe Bruder, und er liegt an deinem Herzen. – Blick' um dich!

KÖNIG sieht sich um und erblickt Johann mit Catharina und Siegmund an der Hand. Ha – Wendet sich weg.

JOHANN naht langsam und sagt mit unterdrückter Stimme. Mein König –

KÖNIG sieht nach ihm hin. Er ist's – er ist's –

JOHANN. Ja – ich bin es – und, du bist es auch. Trotz allem, was ich litt, jetzt fühl' ich nur die mächtige Regung der Natur, ich sehe nicht in dir den Feind – den König – den Bruder seh' ich nur.

KÖNIG sagt gerührt, indem er ihn betrachtet. Johann!

JOHANN. So ruft der König nicht, das war des Blutes Stimme.

KÖNIG. Bruder!

JOHANN stürzt in seinen Arm und sagt. Mein Bruder! Dann sinkt er zu seinen Füßen. Mein König –

KÖNIG. Herauf, herauf – Komm an mein Herz! Sieht ihn bewegt an. Verzeihe –

JOHANN. Erik!

KÖNIG tief bewegt. Verzeihe! mein Argwohn stahl dir die schönsten Lebensjahre; diese blasse Wange klagt[105] mich an. Sie soll sich wieder röthen. – Ruft mir Jöran, Braske, ich brauche Zeugen dieser schönen Stunde.

KÖNIGINN öffnet die Thüre.


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 1, Wien 1817, S. 101-106.
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