Erster Auftritt

[175] Ein festlich erleuchteter Saal, durch die zwey Mittelthüren sieht man in anstoßende Zimmer, die ebenfalls mit Kronleuchtern beleuchtet sind. In der Mitte der Bühne das Sopha, zu benden Seiten Stühle, im Hintergrund Spieltische. Die Damen sitzen, die Herren gehen hinter den Stühlen herum. Zur Verzierung des Saals sind Blumentische angebracht.

Auf der Bühne sind: Die Baroninn, Nina, Emy, Waldberg, Grünau, Blümlein, Fr. von Lichtberg, Herr von Dorn, Frau von Dorn, Herr von Hacken, Herr von Traufbach, Fräulein Impfen, Fräulein Grinzberg, Räthinn Sommer, noch einige Herren, die abwechselnd an dem Gespräch Theil nehmen, dann im Hintergrund redend auf und abgehen. – Wenn die Musik aus ist, wird nach einer Pause, ehe noch aufgezogen wird, gesprochen.


FRAU VON LICHTBERG. Ich sage, Sie irren.

FRÄULEIN GRINZBERG. Ich sage nein.

FRÄULEIN IMPFEN. Sie hatte drey Männer,

FRAU VON LICHTBERG. Ich sage viere.[175]

FRÄULEIN IMPFEN. Ich habe sie recht gut gekannt.

FRAU VON LICHTBERG. Ich auch.

FRÄULEIN IMPFEN. Ich besser.

FRAU VON LICHTBERG. O wenn ich reden wollte.

ALLE. O wir bitten, reden Sie, reden Sie!


Hier wird aufgezogen, dann sagt Blümlein.


BLÜMLEIN. Ja meine Vortressliche, reden Sie –

FRAU VON LICHTBERG. Sie war eine Wirthstochter.

BLÜMLEIN. Darum speiset man so gut bey ihr.

FRAU VON LICHTBERG. Ihr erster Mann war Amtschreiber.

FRÄULEIN IMPFEN. Um Vergebung! meine Mutter war bey der Hochzeit, er war Advocat.

FRAU VON LICHTBERG. Der zweyte Officier, den habe ich gekannt. Nachdem sie beyde zu Tode disputirt, nahm sie den reichen Kornhändler.

FRÄULEIN GRINZBERG. Darauf wurde das Brot kleiner.

FRÄULEIN IMPFEN. Sie trug goldne Ähren auf dem Kopfe.

FRAU VON DORN. Und als auch der ins Land der Ruhe ging, nahm sie den alten Baron.

FRAU VON DORN. Jetzt gibt sie es hoch –

FRAU VON LICHTBERG. Spricht von ihren Ahnen.

FRÄULEIN IMPFEN lacht. Die hängen wohl in der Schenke?

FRAU VON DORN. Sie ist immer prächtig gekleidet, aber ohne allen Geschmack.

FRÄULEIN IMPFEN. Und ohne Rücksicht auf ihr Alter.

BARONINN. Nun sie kann so alt nicht seyn.

ALLE schreyen. Was? nicht alt?[176]

RÄTHINN SOMMER ist bey diesen Reden, die alle sagen, stille, sie sitzt auf dem Sopha neben der Baroninn. Auch Waldberg und Grünau sind von dem, was alle sagen, ausgenommen.

BARONINN. Ich halte sie für 35.

RÄTHINN SOMMER. Und das hat sie kaum.

HERR VON HACKEN. Kaum? um Vergebung, sie hat 45.

FRAU VON DORN. Mehr, mehr.

FRÄULEIN IMPFEN. 48 und noch drüber.

ALLE. Fünfzig, sie ist über die fünfzig.

BLÜMLEIN. Das sieht man ihr nicht an.

BARONINN. Nein, sie ist conservirt.

FRÄULEIN IMPFEN. Sie verkleistert die Furchen der Zeit.

FRÄULEIN GRINZBERG. Sie legt fingerdick Roth auf.

FRÄULEIN IMPFEN. Und Weiß.

FRAU VON LICHTBERG. Auch die Purpurlippen lassen die Farbe.

BARONINN schnell. Nein, die sind echt!

FRAU VON LICHTBERG. Echt?

BLÜMLEIN. Darauf wollte ich schwören.

FRÄULEIN IMPFEN. Aber nicht sterben.

BLÜMLEIN. Nein, sterben nicht.

FRÄULEIN IMPFEN. Sie wären auch gewiß todt.

HERR VON DORN. Ich hätte auch geglaubt, sie wären echt.

FRAU VON DORN. O euch Männern kann man viel weis machen.

HERR VON DORN. Ja, das weiß Gott!

FRAU VON LICHTBERG. Ich wollte, ich hätte mir seit gestern Abend das Gesicht nicht gewaschen, so könnten Sie die Purpurlippen der Baroninn Fenchel noch auf meinen Wangen sehen.[177]

FRÄULEIN IMPFEN UND FRÄULEIN GRINZBERG. Wie ging das zu?

ALLE. Erzählen Sie doch –

FRAU VON LICHTBERG. Sie gab mir einen Kuß, weil ich ihr den Kalender von Kotzebue geschickt. Gott verzeihe es mir! aber ich glaube gar, die alte Dame will Komödie spielen.

ALLE lachen. Warum nicht gar!

FRAU VON DORN. Die scherzhafte Frau in der Beichte.

BLÜMLEIN. Oder den kleinen Declamator.

FRÄULEIN IMPFEN. Oder die kleine hübsche Putzmacherinn.

ALLE lachen. Der kauft niemand ab.

FRÄULEIN IMPFEN. Aber wie ging es mit dem Kusse?

ALLE. Ja, mit dem Kusse?

FRAU VON LICHTBERG. Den trug ich zu aller Welt Spectakel den ganzen Abend auf der Wange herum. Als man mich endlich darauf aufmerksam machte, wollte ich ihn weg wischen, aber die Beitze war von so guter Qualität –

BARONINN schnell. Wo kauft man sie?

ALLE DAMEN außer Frl. Impfen. Es ist eine Französinn hier.

FRAU VON DORN. Sie wohnt in der grünen Straße.

FRÄULEIN IMPFEN. Die hat schlechte Waare, denn sie ist schon über zehn Jahre hier. Aber Madam Clairon, erst vier Monathe aus Paris.

ALLE DAMEN. Wo wohnt die?

FRÄULEIN IMPFEN. In der Herrengasse, in ihrem eignen Hause.

BLÜMLEIN. In vier Monathen so viel verdient? mit lauter Purpurlippen ein Haus gekauft?[178]

FRÄULEIN IMPFEN. Alles läuft zu ihr. Neulich las ich die Ankündigung einer Deutschen, die gute Frau wollte auch etwas verdienen, und hatte den Zettel deutsch und französisch in alle Häuser geschickt. In dem französischen – es waren nur fünf Zeilen, aber mehr als fünfzig Fehler.

WALDBERG. Aber der deutsche war correct?

FRÄULEIN IMPFEN. Den habe ich nicht gelesen. Deutsch mögen die Leute reden und schreiben, wie sie wollen, aber französisch muß man wissen.

DIE DAMEN. Ja, das muß man wissen!

FRÄULEIN IMPFEN. Im Deutschen mag man hundert Fehler machen, kein Mensch lacht; aber ein schlechtes bon jour bringt einen Menschen um Ehr' und Reputation.

WALDBERG zu Grünau. Wie ist dir?

GRÜNAU. Als ob ein Schwarm Wespen mir um die Ohren summte.

WALDBERG. Sie stechen auch so.

GRÜNAU. Ich lasse anspannen.

WALDBERG. Geduld!

BARONINN. Wer war denn gestern im Theater?

RÄTHINN SOMMER. Ich.

HERR VON DORN. Auch ich.

BLÜMLEIN. Und ich.

FRAU VON LICHTBERG. Was gab man denn?

RÄTHINN SOMMER. Die Catacomben.

FRÄULEIN GRINZBERG. Was sind das für Völker?

HERR VON DORN. Ich glaube, Römer – nicht wahr, Herr Rath, die Herren und Damen waren römisch gekleidet?[179]

BLÜMLEIN. Ja, ganz recht, alt römisch. Auf dem Mantel des Nero waren lauter kleine Romulus gestickt; ich sah ganz deutlich, wie sie die Wölfinn säugte. Ja, die Catacomben sind Römer.

RÄTHINN SOMMER lächelt. Um Vergebung – die Catacomben sind keine Römer, aber Römer waren in den Catacomben.

FRAU VON LICHTBERG zu den andern. Die thut wieder gelehrt. Laut. Nun so belehren Sie uns Unwissende. Was sind die Catacomben?

RÄTHINN SOMMER. Sie scherzen, als ob Sie nicht so gut wie ich wüßten, daß es unterirdische Gewölbe sind, in denen sich die verfolgten Christen verbargen.

ALLE. Nun freylich, wer weiß das nicht!

FRAU VON LICHTBERG. Man thut manchmahl unwissend, damit Andere Gelegenheit bekommen, was sie wissen, auszukramen.

BARONINN. Aber der Inhalt des Stücks?

BLÜMLEIN. Ich habe nur wenig Acht gegeben; ich sprach mit einigen Damen vom Cours.

BARONINN. Mit Damen? was verstehen die vom Cours?

BLÜMLEIN. Jede Köchinn versteht sich darauf, und jede Höckerinn, die inländisches Obst verkauft, berechnet es nach ausländischer Münze. Die Aufklärung schreitet mit Riesenschritten in der Welt umher, und übernachtet in jeder Hütte.

BARONINN. Und Sie, Herr von Dorn, wie fanden Sie das Stück?

HERR VON DORN. Die Grausamkeit des Nero hatte[180] meine arme Frau so angegriffen, daß ich sie nach dem ersten Act nach Haus bringen mußte.

FRAU VON DORN. Ich war einer Ohnmacht nahe, und mußte noch Toilette auf einen Ball machen.

BARONINN. Und Sie, Frau Räthinn?

RÄTHINN SOMMER. Ich freute mich bey dem Rückblick in die Vergangenheit der bessern Gegenwart, und dachte mir: wenn jetzt auch nicht alles so ist, wie wir es wünschen, besser ist es denn doch, und Gerechtigkeit waltet, wo damahls nur rohe Gewalt herrschte. Nicht in dunkeln Gewölben bethet jetzt der fromme Christ, die weite Welt, die blaue Himmelsdecke ist sein Tempel, und friedlich steht er neben dem Bruder, den eine andere Meinung darum nicht zu seinem Feinde macht. Man darf jetzt Gott in jedem Kleide, in jeder Sprache anbethen, die Menschen dürfen sich ihren Himmel denken, wie sie wollen, wenn sie nur darnach leben, ihn einst zu verdienen.

NINA zu Waldberg. Sie unterhalten sich wohl nicht?

WALDBERG. Doch – das Urtheil dieser Dame unterhielt mich sehr.

GRÜNAU. Die hat gesprochen, die andern plappern nur.

BARONINN. Aber wie wurde das Stück gespielt? Blümlein, wie sind Sie mit den Schauspielern zufrieden?

BLÜMLEIN. Die Frage kann ich erst morgen beantworten, denn ich habe die Theaterzeitungen noch nicht gelesen.

RÄTHINN SOMMER. Haben Sie kein eigenes Urtheil?

BLÜMLEIN. Ich habe wohl, aber ich darf es nicht laut werden lassen, denn ich habe mich schon oft gräulich prostituirt.[181] Wenn ich zum Beyspiel noch denselben Abend in Gesellschaft kam, und die Damen über mich her fielen: Blümlein, wie hat der, wie hat die gespielt? Herr A. hat gewiß seine Rolle nicht gewußt, und Mamsell B. war gewiß wieder schlecht gekleidet? – Nicht doch! rief ich, Mamsell B. war gut gekleidet, Herr A. wußte seine Rolle, das Ganze wurde gut gegeben, und rauschend beklatscht; aber siehe da – den andern Tag stand von alle dem gerade das Gegentheil in den Zeitungen. Ich durfte mich einige Tage nicht in Gesellschaft wagen, denn die Herren, die da sammeln und beobachten, geben doch gleichsam den Ton an, nach welchem man in unsern eleganten Gesellschaften singen muß. Also kann man nicht sagen, was einem gefallen hat, bevor man liest, was einem gefallen darf.

FRAU VON DORN. Man muß sich bilden lassen.

FRAU VON LICHTBERG. Ich gehe jetzt weit seltner in's Theater, denn man liest ja in allen Zeitungen, wie die Leute spielen; also braucht man es nicht selbst zu sehen.


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 2, Wien 1817, S. 175-182.
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